Kitabı oku: «Adolf - Alles, was Recht(s) ist», sayfa 2
Ab hier wird es mir zu kompliziert. Jedenfalls ist es bei den Zweibeinern nicht mit Beschnüffeln, kurzem Anbellen und dann ab ins Gebüsch getan. Obwohl Kevin an dieser unkomplizierten Art der partnerschaftlichen Zweisamkeit mehr Gefallen zu finden scheint als an den umständlichen menschlichen Gebräuchen. An denen er aber – leider, leider – nicht vorbei kann.
Ich denke, jeder kommt irgendwann in das Alter, wo er es gerne etwas komplizierter, langsamer und dauerhafter hätte. Verfalle ich am Ende gar in Torschlusspanik? Nein, naja, vielleicht auch, aber es ist Liebe, da bin ich mir trotzdem sicher. So was spürt ein Hund, ganz tief in seinem großen Herzen. Mal abgesehen von den plumpen Bernhardinern, denn die haben bekanntlich ein viel zu kleines Herz für ihren massigen Körper. Vermutlich auch zu kleine Eier, ich weiß nicht, ich kann diese chronisch atemlosen Fleischberge einfach nicht leiden.
Außerdem geht mir die unbekannte Schöne auch in den folgenden Tagen nicht mehr aus meinem behaarten Kopf. Wann immer wir Gassi gehen, schnüffele ich in alle Richtungen, um ein kleines Zeichen, eine versteckte Botschaft von ihr, zu finden.
Vergeblich.
Ich hinterlasse ihr romantische Nachrichten: Wo kann ich dich treffen? Ich möchte dich näher kennenlernen, ich bin ein gut gebauter Deutscher Schäferhund und weiß, wie man Nebenbuhler aus dem Weg räumt!
So etwas beeindruckt die Mädels, keine Frage. Aber ob sie meine gefühlsechten Liebesschwüre überhaupt zu riechen kriegt? Was – ein schrecklicher Gedanke durchfährt mich -, wenn sie hier nur zu Besuch war, eine eintägige Stippvisite ihres Herrchens bei einer wenig geliebten Tante, der er notgedrungen ein Mal im Jahr seine Aufwartung machen muss! Sonst lässt er seine wunderschöne Hündin immer zu Hause, die Tante hat eine leichte Tierhaarallergie, doch diesmal hatte Frauchen einen Außendienst-Termin und konnte sich nicht um das vierbeinige Familienmitglied kümmern. Ausnahmsweise musste Herrchen sie mitnehmen und nur damit die Erbtante nicht zu früh einen allergischen Schock bekommt, ging er mit ihr dieses eine Mal eine Runde Gassi durch den Park. Mittlerweile sind sie längst schon wieder abgereist, daheim in Oer-Erkenschwick oder gar Falkenberg an der Elster.
Stopp, auf der Stelle! Meine Fantasie geht mit mir durch. Ich unterbreche meine apokalyptischen Gedankengänge und sage mir mantramäßig, dass es nichts bringt, den Teufel in den düstersten Farben an die Wand zu scheißen. Stattdessen: Nase auf im Straßenverkehr und wenn das Schicksal uns füreinander bestimmt hat, dann lässt es uns auch ein zweites Mal unsere Wege kreuzen. Beziehungsweise uns richtig zusammenführen, denn immer nur ihre aufregenden Duftmarken schnuppern wäre auf Dauer echt unbefriedigend, bei aller Liebe!
Ich bin an den Tagen danach etwas unaufmerksam, das muss ich zugeben. Schuld daran ist allein sie, die schöne Unbekannte mit der betörenden Duftmischung aus frischen weiblichen Hormonen, zartem Urin und einem Spritzer Mandelblüte, wie es sich in meiner Erinnerung festgebissen hat.
Oberflächliche Begegnungen mit stolzen Pudeldamen, rassig-scharfen Schnauzer-Girls und eleganten, aber ein wenig eingebildeten Dalmatinerinnen können mich nur kurzzeitig von ihr ablenken. Und ich beginne, Fehler zu machen, auch das darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.
Meine Aufgaben in der Partnerschaft mit Kevin sind überschaubar. Ich muss ihm zur Seite stehen, ihn auch mal beschützen vor linken Zecken oder uns überfremdenden islamistischen Terroristen. Beides blieb in der Praxis bislang weitestgehend aus. Vor allem muss ich gefährlich und Respekt einflößend aussehen, wenn wir gemeinsam ausgehen. Kevins Schritte in seinen Springerstiefeln hallen schwer, beinahe wie ein Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Bogenprall, übers Pflaster. Er bemüht sich so intensiv um einen festen Schritt, dass er hinterher, im trauten Heim, nicht selten über Knöchelschmerzen wimmert. Bei so viel deutscher Entschlossenheit im Gangbild darf ich natürlich nicht wie Jorge Gonzales hinterher tänzeln. Den Kopf erhoben, die Ohren gespitzt, die Zähne stets etwas blitzen lassen und dazu die Läufe möglichst breit gestellt, so, findet Kevin, sehe ich wie ein richtig gefährlicher deutscher Schäferhund aus. Na gut, andere Hunde grinsen mitunter über meine leicht unnatürliche Beinstellung und blaffen mich an, wie es denn der Hüftarthrose gehe, aber ich soll ja auf Menschen beeindruckend wirken und nicht auf meine Artgenossen. Untereinander regeln wir das Respektsverhältnis auf zivilisiertere Weise.
Manchmal stupst mich Kevin leicht mit seinem Knie in die Flanke und flüstert mir zu: „Da, böser Ausländer, guck, da, böse, böse!“. Dann pflanze ich ein Knurren auf meine martialische Haltung obendrauf. Mein Herrchen pflegt daraufhin überrascht dreinzuschauen, um schließlich einen Satz wie: „Na, der hat aba ’ne hervorrajende Menschenkenntnis, mein Adolf!“, unüberhörbar zu murmeln.
Klappt nicht immer, wie erst kürzlich, als der südländisch aussehende drahtige Typ sein Basecap aus der Stirn schob, die Backen aufblies und entrüstet antwortete: „Ey, wat vazapfste da dem Hund für’n Scheiß, ick bin een Berlina, schon seit Jeburt an, du Ghani!“
Wir überhörten beide die despektierliche Bemerkung. Mit solchen Kanaken brauchst du erst gar keinen Streit anzufangen, weil die dich dumm und dusselig reden können, dat muss man denen lassen. Da hilft nur zu geeigneter Zeit ein Eingreifen mit dem kompletten Sturmtrupp. Kevin nahm mich, als wir außer Sichtweite waren, kurz beiseite, fasste mich am Halsband und erklärte mir: „Pass uff, Adolf, künftig heeßt eenmal mit dem Knie in die Seite, so hier, weeste, dat is’n böser Ausländer. Da knurrste janz spontan von janz alleene, so rrrr. Zweemal anstubben bedeutet, det is’n Fidschi, da darfste ruhig ma kräftig anbellen, waff-waff, die sinn meist friedfertig und reagieren nich gleich so aggro wie die Türken!“
Alles klarofix, normalerweise wuppe ich das immer zuverlässig. Doch an diesem Tag flaniere ich stark abgelenkt durch meine eigene Fantasiewelt. Erst nach dem fünften Stoß in die Seite fahre ich erschrocken hoch und blicke Kevin erwartungsvoll und mit herabhängender Zunge an. „Ja kiek nich so blöd, haste nich jemerkt, wie ick dir zweemal anjestubst hab, und denn noch zweemale. Also wat is?“
Ich brauche einen Moment, um vor meinem inneren Auge das Traumbild der unbekannten Schönen, wie sie lasziv ihre Mähne schüttelt und mir aus den Augenwinkeln zublinzelt, beiseite zu wischen und es gegen das Echtzeit-Abbild meines Herrchens einzutauschen. Dieses schaut ziemlich grimmig zu mir herunter, und auch ein bisschen genervt. Von mir beziehungsweise von meiner Begriffsstutzigkeit.
Okay, ja, zwei Mal in die Flanke, das war – jetzt hab ich’s, das bedeutet Ausländer und zwar Fidschi und den darf ich ankläffen. Ich setze mich sogleich in Positur, arbeitete an einer grimmigen Grimasse und fletsche als Warmup ein wenig die Zähne, da tritt der vietnamesische Gemüsehändler plötzlich an mich heran. Er hat uns offenbar schon die ganze Zeit interessiert beobachtet. Jetzt zaubert er ein Stück Wiener Würstchen – oder auch Frankfurter, den Unterschied konnte ich mir nie merken – aus seiner Kitteltasche hervor und redet mir zu: „Na, gutel Hund, ayhn gans Gutel bist du, da, machen happ!“
Kevin droht zu hyperventilieren. Ihm fällt auf die Schnelle keine passende verbale Entgegnung ein. Schlagfertigkeit ist nur dann seine Stärke, wenn es tatsächlich ums Schlagen geht. Noch bevor er drei aufgeregte Pruster in die feinstaubbelastete Karlshorster Luft schicken kann, hat der freundliche Asiat die Wurst vor mir abgelegt und wendet sich nun meinem Herrchen zu.
„Hiel, biddeschön“, mit diesen Worten hält er ihm ein Klappmesser hin, „habe Sie velolen bei Bücken zu gute Hund.“
Kevin blickt einige Male verdutzt zwischen seinem Butterfly, dem Gemüsehändler und seiner Hosentasche hin und her, dann greift er zögerlich nach dem ihm so offenherzig dargebotenen Gegenstand.
„Ja, äh, thank you dann auch“, stottert er nach einer gefühlten Ewigkeit ein wenig verlegen. Ich packe derweil die Wurst und schlinge sie hinunter. Köstlich! Liegt wahrscheinlich daran, dass die Fidschis Katzen in ihren Wienern verarbeiten, wie deutsche Zweibeiner, die sich nichts vormachen lassen, schon lange vermuten.
„Nix thänk ju, saggen eifach Dangeschön, schließlich wil sinn hiel in Deuschlann.“
Der kleine schmächtige Mann lächelt uns sein breitestes Ho-Chi-Ming-Grinsen hinterher, winkt noch einmal und geht zurück in seinen Laden.
Was für eine Blamage! Offensichtlich denken wir ausnahmsweise mal beide denselben Gedanken. Wobei: Für mich hatte die Blamage wenigstens einen leckeren Beigeschmack. Diesen Gedanken behalte ich natürlich für mich, das heißt, ich lecke mir nicht noch demonstrativ die Lefzen. Kevin ist so verdattert, dass er sogar vergisst, mit mir zu schimpfen.
Die Sache ist peinlich für uns gelaufen, soviel steht fest. Das müssen wir uns jetzt nicht noch gegenseitig erklären. Auf solcherart Konflikte sind wir einfach nicht vorbereitet, da wirst du richtiggehend wehrlos gemacht. Das dürfte wohl nicht schwer zu verstehen sein: Ein rechter Deutscher weiß sich zu schlagen, er kann auf Angriffe, Hinterhalte, auf eine Übermacht reagieren oder den sicheren Sieg einpacken. Er versteht, zuzuschlagen, eine ängstliche Deckung ebenso auseinander zu nehmen wie auf eine gesellschaftspolitische Provokation stilvoll und angemessen mit dem Baseballschläger zu antworten. Doch wie reagiert man auf ausgefuchste Freundlichkeit und perfides Entgegenkommen? Das hat uns keiner gelehrt und damit musste sich unser Volk in der Historie auch nur ausgesprochen selten herumplagen. Es ist traurig, aber wahr: Wenn dich der Gegner umarmt, macht er dich bewegungsunfähig. Wie soll man dann noch jemanden vernünftig hassen, wenn einem so viel Gutmütigkeit in die Fresse springt?
Ich merke es Kevin an, dass er auf diese Fragen ebenso wenig eine Antwort findet wie ich. Vermutlich befindet er sich erst an dem Punkt, solche Fragen überhaupt auszumachen, bevor ihm darauf keine passable Antwort einfallen kann. Jedenfalls verharrt er noch eindeutig in dieser frühen Phase der direkten Vergangenheitsbewältigung, als für mich sämtliche Grübeleien mit einem Schlag in den Hintergrund rücken. Am Sportplatz auf der Dolgenseestraße, direkt hinter dem Bahnhof Rummelsburg, treffe ich SIE. Unter einer Million Düften hätte ich den ihren heraus gerochen, und ungefähr so viele umschwirrten mich auch zwischen Abfallbehälter und frischen Graffiti an der Wand der alten Sporthalle, die schon deutlich bessere Zeiten und zigtausende erhobene Hundebeine gesehen hat. Ich blicke auf und bleibe wie erstarrt stehen, obwohl ich sie noch gar nicht zu Gesicht bekommen habe. Aber ich spüre, nein, ich weiß sofort, dass sie selbst, höchstpersönlich, und nicht nur ihre Duftmarke in meiner unmittelbaren Nähe ist. Ich fange an zu tänzeln, ganz entgegen meiner sonstigen Schrittgewohnheiten, hopse aufgeregt herum, stelle die Lauscher auf und versuche mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, keines der himmlischen Duftmoleküle an meiner empfindsamen Nase vorbeirauschen zu lassen.
Zu meinen eben erwähnten Mitteln gehört übrigens auch, den weiteren Vormarsch abrupt zu unterbinden. Kevin flucht entsetzt, als ihm die Leine aus der Hand gleitet und er ins Trudeln gerät, doch ich denke in dem Moment nicht einmal im Entferntesten an zivilen Ungehorsam. Ich bleibe einfach nur wie angewurzelt stehen, fiepe wie ein von der Milch entwöhnter Welpe und kümmere mich nicht den Wurstzipfel um die zu Boden gefallene Leine. Denn der Duft, ihr Duft, kommt näher! Zu mir! Immer näher, er verstärkt sich, der blassgraue Himmel scheint zu jubilieren und ich nehme weder das Geruchsinferno aus dem Papierkorb noch die beißenden Farbdämpfe von der Wand wahr. Einzig und allein das Markenzeichen meiner Traumfrau spüre ich bis in alle Zellen meiner Hundeschnauze.
Und dann steht sie plötzlich vor mir, keine vier Hundelängen entfernt! Beziehungsweise sie trabt, scheinbar völlig unbeeindruckt von meiner heillosen Begeisterung, einfach weiter um die Kurve. Den Kopf stolz erhoben, die Beine grazil hintereinander setzend, über den Hals ein umhäkeltes weiches Lederband, führt sie ihr Frauchen auf uns zu. Eleganz, Anmut, Sexappeal, Weiblichkeit pur – denk dir irgendein aufregendes Attribut aus, welches dir beim anderen Geschlecht heillos die Sinne raubt, und es trifft garantiert auf sie zu!
Sie tut, als bemerke sie mich überhaupt nicht, doch das ist natürlich unmöglich. Sie muss mich wahrgenommen haben, es sei denn, sie war beim selben Nasendoktor in Behandlung wie einst Michael Jackson. Stattdessen wirft sie den Kopf mit einer kurzen Bewegung in den Nacken und schüttelt sich leicht. Doch ihre Augen sprechen eine andere Sprache als ihre zur Schau gestellte Gleichgültigkeit.
Diese verfehlt bei mir keineswegs ihre gewünschte Wirkung. Ich bin von null auf hundert spitz wie Nachbars Lumpi. Da kannst du dir tausend Mal vornehmen, nicht mehr auf die Masche der Weiber reinzufallen – wenn dir so etwas Formvollendet-Sinnliches begegnet, gehen die guten Vorsätze schneller flöten als eine Perserkatze in den Fängen eines Bullterriers. Mein Adrenalinspiegel schießt im gleichen Tempo nach oben und noch bevor er vollständig mein Gehirn erobern kann, schieße ich einfach los. Ich mache einen Satz auf sie zu, versuche ihren aufregenden Hals zu packen – natürlich in aller Zärtlichkeit, wie es sich für einen verliebten Rüden gehört – und lasse ein schmachtendes Winseln ertönen, welches Steine erweichen könnte.
Kevin dagegen gibt ein „Scheiße, Mann!“ von sich. Soeben ist es ihm gelungen, das Ende meiner Leine vom Boden aufzuheben. Noch während er sich aufrichtet, reißt ihn mein plötzlicher Ruck nach vorne. Diesmal lässt er nicht wieder los - zu seinem Pech. Die urgewaltige Kraft meines liebestollen Sprungs holt ihn nämlich umgehend von den Beinen, er schlittert der Länge nach hinter mir her und kommt genau vor dem Frauchen meiner großen Liebe zum Liegen. Diese hatte mein spontanes Liebesgeständnis irrigerweise als Attacke gedeutet und verzweifelt versucht, ihre vierbeinige Partnerin beiseite und aus meiner Reichweite zu zerren.
Das gelingt ihr freilich nur teilweise, nicht zuletzt deshalb, weil sie mit einem unverständlichen Fluch auf den Lippen über mein Herrchen stolpert. Gerade noch so vermeidet sie einen Sturz, sie knickt jedoch mit ihrem rechten Hinterlauf um, schreit spitz auf – und das betroffene Bein scheint mit einem Schlag mindestens zehn Zentimeter kürzer geworden zu sein!
Ach du Scheiße! Ich bin mir sicher, dass sich kein liebendes Wesen auf der Welt so chaotisch sein „erstes Mal“ vorstellt. Meine Süße jedenfalls nicht, das merke ich ihr sofort an. Sie legt den Rückwärtsgang ein, drängt sich vor ihr Frauchen, die dadurch nicht wesentlich schneller zu ihrem Gleichgewicht zurückfindet, und knurrt mich an.
Wer kann es ihr verdenken, noch weniger romantisch geht wohl kaum! Aber sorry mal, wer hat denn meine überschäumende Reaktion als Mann mit seinem divenhaften „Aber-hallo-ich-schaue-doch-nicht-jedem-Straßenköter-hinterher“-Getue provoziert! Doch Schuldzuweisungen können mich jetzt nicht weiterbringen.
Das versuche ich ihr durch zärtliches Winseln klarzumachen. Vielleicht hätte ich damit nicht nur ihr Ohr, sondern sogar ihr Herz erreicht, wenn sich unsere Zweibeiner jetzt nicht extrem ins Fell kriegen würden.
„Sie blödder Trottel, sind Sie betrunken?“, kreischt sie.
Er: „Spinnst du, blöde Tusse!“
Sie: „Was chaben Sie gesagt zu mich? Blödde Tusse? Ich gäbbe Ihnen gleich blödde Tusse, die Ihnen wird reichen für näxte Jarre!“
Er: „Nehm’se lieba ihre Töle weg, die macht meinen Adolf janz wuschig!“
Sie: „Tsü-Pfff, Adolf, so sähhen Sie auch aus!“
Er: „Jawoll, jenauso isset, oda hamse da wat jejen, Sie uffjetackelte Poll…“
Der Rest der Bemerkung, mit der er ihre vermutete Nationalität herausstreichen wollte, bleibt ihm angesichts eines eisigen Blickes durch ihre stylische Brille im Hals stecken. Zornesblitze scheinen aus ihren Augen zu schießen und Kevin krümmt sich sofort ein wenig, so als hätte ihn einer dieser Blitze in seine Weichteile getroffen.
„Ja, ja, nur zu, was Sie wollten saggen? Redden Sie ruhik weiterr!“
Ich vermute, angesichts ihres scharfen Blickes fällt ihm nicht mehr ein, was er soeben sagen wollte. Ich könnte ihm auf die Sprünge helfen: „’Pollackenpute’ wolltest du sie nennen“, doch er versteht mich ja sowieso nicht. Wie immer.
Also suche ich lieber den Blickkontakt zu meiner Schönen. Sie blinzelt mir leicht zu und meint mit bereits ein wenig Verständnis in ihrer Stimme: „Naja, für sein Herrchen kann man eben nichts. Du heißt also Adolf? Hm, was für ein schöööner Name!“
Den Schluss betont sie für meinen Geschmack etwas zu deutlich, um diese Aussage für ein echtes Kompliment nehmen zu können. Doch ich will es mir nicht gleich wieder mit der verderben, der ich so lange hinterher schmachten musste. Zumal ich noch etwas gut zu machen habe nach meinem kleinen temperamentgeschuldeten Missgeschick.
„Und du, wie heißt du so?“, will ich von ihr wissen.
„Darinka vom Schreckenstein“, antwortet sie mit ganz schlecht verhohlenem Dünkel.
„Brrr, waff, vom Schreckenstein?“, quieke ich lauthals los. „Das klingt ja fast wie Schreckschrau-“
Gerade noch rechtzeitig kriege ich mich wieder ein. Dejà vú – ich glaube, ein ähnliches Erlebnis habe ich vor nicht einmal zwanzig Sekunden bei meinem Herrchen beobachtet. Au Backe! Das hätte jetzt echt schief gehen können.
„Ja, ähm“, hebe ich erneut zu sprechen an, „vom Schreckenstein also. Ist der hier irgendwo in der Nähe?“
„Pff“, macht sie und wirft den Kopf ein Stück zurück. „Der Zwinger vom Schreckenstein befindet sich in der Nähe der gleichnamigen Burg in der Wojwodschaft Poznan. Dort werden schon seit Generationen und, wie ich hinzufügen darf, sehr erfolgreich Afghanische Windhunde gezüchtet. Einfacher ausgedrückt“, fügt sie mit einem Seitenblick auf mich hinzu, „Afghanen. Meine Vorfahren stammen aus England.“
„Äh, ja, Potsnan, alles klar.“
„In Polen.“
„Polen!“ Ich springe auf vor Begeisterung darüber, endlich ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden zu haben. „Polen, das kenne ich! Du wirst es nicht glauben: Ich stamme auch aus Polen!“
„Ein Deutscher Schäferhund namens Adolf mit einem verblödeten Skinhead als Herrchen stammt aus Polen. Soll ich dir mal was sagen: Ich glaube es dir tatsächlich nicht!“
„Doch, ehrlich, ich bin eben nur schon als Welpe nach Deutschland gekommen. Mein ursprünglicher Name lautet Cecyl. Adolf, naja, das ist eben so üblich, mit polnischen Namen tun sich die Zweibeiner hierzulande etwas schwer, hat nichts weiter zu bedeuten.“
„Cecyl also. Cecyl.“
Wie sie den Namen vor sich her sagt, sinnlich mit der Zunge über die Lefzen streichend, den nachdenklichen Blick ihrer braunen Augen romantisch in die Ferne gerichtet! Jetzt hat es auch bei ihr gefunkt, da bin ich mir sicher. Aber hundert Pro!
„Cecyl“, sagt sie noch einmal gedehnt. „Das bedeutet der Sechstgeborene. Stolzer Wurf, immerhin. Ich glaube, der Hauptgang mit allem wesentlichen war wohl schon durch, als du hinterher kamst!“
Wie sie das wohl gemeint haben mag? Wir kommen nicht mehr dazu, diese Frage auszudiskutieren, denn unsere beiden Herrchen bzw. Frauchen nehmen erneut unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.
„Absatz ist abgebrochen durch Ihre Tölpelhaftigkeit. Sie werrden mir bezahlen kaputte Schuh. Benetton, das war nicht billik. Sie hörren von meine Anwalt.“
Während sie das sagt, hat sie den kaputten Schuh aufgehoben, hält ihn vor ihr Smartphone und drückt ein paar Mal den Auslöser. Dann schwenkt sie das schwarze Viereck in ihrer Hand demonstrativ zu Kevin herum und drückt erneut ab. Er grinst halb irritiert, halb verunsichert, unternimmt jedoch nichts gegen das spontane Fotoshooting. Für einen Augenblick stelle ich mir vor, dass sie einen Revolver in der Hand hält, und mir schaudert ein wenig. Die hätte garantiert keine Skrupel, damit genauso eiskalt abzudrücken, wenn es um ihren Benetton geht.
„Ja, und ich – wat bei mir kaputt is wollnse wohl janich wissen oda wie?“
„Was bei Innen kaputt ist scheint völlik klar. Kann ich mir denken. Ihre Treter aus Schuh-Discount jeddenfalls nix.“
Bevor Herrchen sich dazu entschließen kann, erneut wütend zu werden, registriert er einen neuerlichen eisigen Blick. Ich spüre, dass diese Frau – diese Dame eher – etwas an sich oder auch in sich hat, was Kevin deutlich zu verunsichern scheint. Mir dämmert, dass jetzt vermutlich nicht der geeignete Zeitpunkt ist, um ihm Darinka vorzustellen.
„Hier, schau mal, das ist Darinka, sie kommt aus Polen – genau wie ich ursprünglich, und wie die Pollackenpute, mit der du gerade streitest und hoffnungslos zu unterliegen drohst.“
Nein, selbst wenn ich ihm das nicht wortwörtlich so verklickern kann, nicht einmal mit den entsprechenden Gesten möchte ich ihm so bös in den Rücken fallen. Wie ich ihm helfen könnte, weiß ich allerdings auch nicht. Es gab keinen Stubs in die Flanke, auch sonst keine Anweisung, mit der ich etwas anfangen könnte – ich hänge befehlstechnisch etwas in der Luft, symbolisch gesehen. Wie immer, wenn ich aufgeregt bin oder nicht weiter weiß, will ich mich hinlegen und mir als Sofort-Beruhigungsmaßnahme die Eier lecken, doch eben noch besinne ich mich. In Gegenwart einer Dame, da wäre das dann vermutlich schon etwas seltsam.
„Ja hörnse ma, is eben passiert, hat keener jewollt, awa nix mehr zu ändern – ham halt beede ’n Hund und wat solln wa uns da jejenseitig fertisch machen? Wat issn dat eijentlich for eener, die jroße Felljacke?“
Kevin versucht es nun auf die versöhnliche Tour. Vielleicht waren es die Blitze aus ihren Augen, oder auch die Erwähnung der Marke Benetton, bei der mein Herrchen nervös mit den Augen zucken musste, oder aber der Hinweis auf den Anwalt – jedenfalls scheint er nicht mehr direkt auf Krawall gebürstet zu sein.
„Meine Darinka ist eine Afghane, eine Hündin, mit Stammbaum – und Sie sollten ihren, ihren, also diesen da lieber von ihr wegnemmen. Ich möchte nicht, dass er ihr was antut!“
Da frag doch mal deine liebe Darinka mit Stammbaum, ob sie von mir nicht eventuell doch eine Kleinigkeit angetan haben möchte! Ich scheine nicht der einzige Hund zu sein, der Kommunikationsprobleme mit seinem Herrchen hat. Denn das da was läuft, das spüre ich bis in die Spitze meiner erhobenen Rute.
Upps!
Ist die wirklich schon ein bisschen auffällig erhoben?
Ich tue so, als versuchte ich, nach einer Zecke an meiner Schulter zu schnappen und schiele diskret nach hinten.
Aber so was von!
Steil nach oben geht sie und erst jetzt nehme ich wahr, mit welcher Inbrunst ich hechele und ständig mit den Hinterläufen scharre.
Okay, da kommen wir jetzt mal gaaanz langsam wieder runter! Bei dem Girl darf ich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wie bei einer dahergelaufenen Promenadenmischung.
Ich drehe also leicht den Kopf, lecke mir über die Lefzen und flüstere ihr zu: „Hab deine Nachricht mitgekriegt!“
„Meine Nachricht?“
Sie zieht die Brauen hoch und ihre langen herabhängenden Ohren wackeln kurz. Süß, wie sie sich ziert, Fräulein ’Hach-ich-bin-ja-so-unschuldig-und-habe-niemals-einen-Rüden-im-Sinn-gehabt’!
„Park an der Wuhlheide, kurz vorm Hügel, deutsche Eiche, mindestens schon 15 Hundeleben alt!“, helfe ich ihr auf die Sprünge.
„Hm“, macht sie und tut, als wäre damit bereits alles gesagt.
Auch zwischen den zweibeinigen Streitparteien scheint es allmählich besser zu laufen.
„Ich werrde versuchen mit meine Versicherung zu redden. Abber wir sollten tauschen Tellefonnummer, für alle Fälle. Hier meine Karte!“
Mit diesen Worten reicht sie Kevin ein kleines flaches Viereck aus Pappe. Er schaut drauf, sieht sie an, sagt „Hä?“, schaut wieder drauf und liest langsam, jede Silbe einzeln betonend und zwischendurch mehrfach durch eine seiner Zahnlücken pfeifend, vor: „Dr. A-ga-ta Ha-now-ski. Sto-ma-to-lo-gin. Oje!“
„Ja, genau, Zahnärztin. Scheint Innen nicht serr geläufik zu sein. Und Ihre Nummer bittescheen?“
Er braucht eine Weile, bis er begreift. Dann kramt er sein Handy aus der Gesäßtasche hervor, fingert eine Weile daran herum, stottert noch ein wenig.
„Ja, äh, warte ma, die Nummer – wie war die noch gleich? Selba ruf ick mir so selten an, hahaha!“
Es klingt nicht besonders originell und erst recht nicht souverän. Noch ein Dutzend fahrige Gesten auf dem Display und schon ist das Problem gelöst.
Er nennt ihr seine Nummer, wiederholt sie zwei Mal, doch Dr. Agata Hanowski, Stomatologin, unterbricht ihn.
„Chabben sie zwei Tellefonnumern odder warum Sie wiederchollen alles? Ich chabe notiert.“
Sie tut, als müsste sie sich die kurzen, pechschwarzen Haare aus der Stirn schütteln, dann strafft sie ihre Haltung, so weit das die durch den abgebrochenen Absatz unterschiedliche Beinlänge zulässt. Sofort sackt sie ein wenig zusammen. Zum ersten Mal erlebe ich die Herrscherin der Amalgam-Füllungen ein wenig ratlos.
„Und wie soll ich kommen zu Auto mit abgebrochene Schuh?“
Ihr Blick geht Richtung Himmel, als erwarte sie von dort eher eine Antwort als von uns.
In Kevin scheint plötzlich der Kavalier erwacht zu sein, denn Mitleid kommt nach meinen Erfahrungen in seinem persönlichen Gefühlskatalog nicht vor. ‚So wat führ’n wa nich, wird zu selten nachjefracht’, würde er wahrscheinlich dazu sagen.
„Wo hamse denn Ihrn Wajen?“, fragt er und traut sich allmählich wieder, ihr ins Gesicht zu blicken.
„Sewanstraße, bei Frisör.“
Mein Herrchen fährt sich ein wenig verlegen mit der Hand über den Kopf, so, als müsste er mit seiner Glatze selbst wieder mal einen Frisör aufsuchen.
„Chabben Sie Auto hier?“, wird er in seinen tiefsinnigen Gedanken jäh unterbrochen.
Nein, er hat kein Auto hier, er hat überhaupt kein Auto mehr, das hat Pelle übernommen, seit er vor vier Monaten durch eine Verkettung unglücklicher Umstände seinen mühsam erworbenen Führerschein vorläufig losgeworden ist. Könnte ich der Dame alles erzählen, aber Kevin beantwortet die Frage auf seine Weise.
„Soll ick Sie helfen? Ick könnt’n Stück mitjehn, is ja nich weit vom Hundeplatz weg.“
Erneut kommt der waffenscheinpflichtige Blick zum Einsatz. „Nein, danke, noch irch bin nicht onnmächtik.“
Sie stakst zwei Schritte davon, bleibt aber gleich wieder stehen und versucht vorsichtig, ihren rechten Hinterlauf zu heben. Während ich mich wundere, dass Menschen auf einmal auch damit anfangen, ihr Revier markieren zu wollen und das ausgerechnet, wo hier noch nicht mal etwas zum Markieren da ist, fährt sie unsicher mit der freien Hand das erhobene Bein herab, packt den intakten teuren Schuh und zieht ihn aus. Dem ehemals teuren und jetzt kaputten Schuh auf der anderen Seite ergeht es ebenso. Ihr Körper schüttelt sich kurz, dann läuft sie aufrecht und unbeschuht davon.
Darinka weiß die kurze Schuh-Strip-Show zu nutzen. Sie dreht ihren schlanken Hals zu mir herum und jault diskret: „Morgen Mittagspause, Hundeplatz, wieder hier.“
Dann dreht sie sich weg, kehrt erneut die Unnahbare heraus und tut so, als wäre ich Luft.
Was für ein Weib!
Kevin scheint ähnlich zu denken, aber über das Frauchen der hammermäßigen langhaarigen Afghanin und das, wenn auch im selben Wortlaut, so doch mit anderer Bedeutung.
„Wat war dat denn?“, fragt er nach einer Weile, nachdem es ihm geglückt ist, sich eine Selbstgedrehte in den Mundwinkel zu zwängen. Traurig hängt sie von dort herab, als wolle sie signalisieren, dass sie darauf auch keine Antwort geben könne: ’Was fragst du mich das, ich bin doch nur eine stümperhaft gedrehte Billigzigarette!’
Mein Herrchen schaut zu mir herunter, als erwarte er von mir eine Antwort. Ich schaue zu ihm hinauf, als erwarte ich, dass er sich die Antwort selbst gibt. Machst dir doch sonst alles selbst und wenn ich „alles“ sage, dann meine ich auch alles, hähä!
Ansonsten, um auf deine Frage zurück zu kommen: Das war die hammermäßig schärfste Braut zwischen Friedrichshain und Friedrichshagen, mit ordentlich Haaren auf den Zähnen und einem Sexappeal, an den die kompletten letzten fünf Staffeln von Germanys next Topmodel zusammengenommen nicht annähernd heranreichen!
Und ihre Hundebegleiterin ist sogar noch süßer.
Darinka!