Kitabı oku: «Adolf - Alles, was Recht(s) ist», sayfa 3
2. Was bin ich? – Jetzt ohne Robert Lembke!
Während ich dabei bin, mich mit dem Afghanen-Girl bei Vollmond an einen einsamen, spärlich beleuchteten Laternenpfahl zu träumen, in dessen Nähe gleich drei ausufernde Büsche mit weichen Blättern wachsen, holt mich sein Gedankengang in die prosaische Rummelsburger Realität zurück.
„Jetzt machen sich och noch die Pollaken hier breit“, lautet bei meinem Herrchen das Ergebnis von gefühlten 20 Minuten intensiven Reflektierens des soeben Erlebten.
Ich lege den Kopf etwas schief und bedeute ihm damit, dass ich jetzt noch eine kleine Ergänzung erwarte. Schon vergessen, wo ich herstamme? Gerade eben wurde ich auf nettere Art daran erinnert.
Fehlanzeige, komplexe Zusammenhänge sind nicht Kevins Ding. Stattdessen lupft er nur kurz die Leine an und bedeutet mir damit, dass es losgeht. Wir marschieren nach Osten, Richtung Karlshorst, trotten über die Bahnstrecke nach Biesdorf und reden kein Wort mehr, bis wir bei Pelle, Paule, Evi und den anderen ankommen. Kevin greift sich erschöpft eine Flasche Blondes und sinkt zu Boden, als habe er soeben nachträglich und ganz allein Paulus’ fünfte Armee aus dem Kessel gehauen.
„Weeste, Mann, dat globste echt nich, wat sich jetzt och noch die Pollacken rausnehm’! Belabern dich wat von wejen Hund uffpassen und Latschen kaputt jemacht deswejen und ham denne ihre eijene Töle selba nich im Griff. Als Deutscha musste dich da uff pollackensisch belejen lassen! Wo jibet denn sowat?“
„Da, wo die deutschen Köter nur Bier saufen und nichma anständig für ihr Herrchen eintreten könn’“, antwortet Petri trocken und schaut mich an: „Isset nich so oda hab ick Recht, wa, Adolf?“
Ich lecke mir die rechte Vorderpfote und erwidere den Blick. Willst du es wirklich herausfinden, wie ich für etwas eintreten kann? Meine Augen machen eine klare Ansage, der Romantik-Modus ist gecancelt.
Petri scheint das zu verstehen und lenkt ein, indem er mir vorsichtshalber seine Büchse Bier vor die Nase hält. Einverstanden! Ich strecke meine Zunge aus und der Frieden ist wieder hergestellt.
„Und wennde denn och ma wat sachst oda denen di Fresse polierst, denn biste gleich wieda ’n Nazi“, beklagt Wanne den Verfall der Sitten, während ihm die dicke Christel zärtlich über den kahl rasierten Schädel streicht.
Evi, die sich die ganze Zeit suchend nach ihrem Hund Kanu umgeschaut hat, der mal wieder ausgebüchst ist, ergreift das Wort.
„Ein Mann ist nur der, der als Mann sich auch wehrt und verteidigt.“
„Jetzt komm nich schon wieda mit deinen blöden Intellektuellen-Sprüchen“, braust Kevin auf. „Mir is dat scheißejal, wat dein Mario Basler oder Toni Schumacher irjendwann mal von sich jejeben ham!“
„Der Führer.“
„Wat?“
„Der Führer hat das gesagt“, antwortet Evi und dreht sich sofort wieder weg. Eben hat sie ihren Kanu von fern her knurren hören.
„Jagt wieder Katzen, der Schwerenöter“, sagt sie und steht langsam auf.
„Darf ich mitkommen?“, grunze ich begeistert, doch Kevin hält mich schon an der Leine fest.
Verdammter Bengel, da versteht er mich auf einmal!
„Sei froh, dass du nicht mitgehen musst ins Feindgebiet. Hier, bei uns, bist du wenigstens in Sicherheit und dir kann nichts passieren“, grinst Firo, der eingebildete Riesenschnauzer, hämisch. Obwohl seine Leine lose am Boden liegt, denkt er gar nicht daran, mit auf die Jagd zu gehen. Katzen jagen ist unter seiner Würde als reinrassiger Riesenschnauzer, hat er einmal gesagt, als ich, unter einem Obstbaum stehend, einem feisten Katzenvieh in den Kronen so richtig die Meinung gegeigt habe. Es gab eine kleine Meinungsverschiedenheit über das Thema wichtigster Freund des Menschen. Just in dem Moment, als ich die argumentative Lufthoheit zu gewinnen ansetzte, indem ich mit einem gezielten Biss auf ihr Genick losgehen wollte, war das räudige Biest auf den Baum geflüchtet. Firo meinte natürlich, dies mit einer blöden Bemerkung kommentieren zu müssen. Er ist eben ein richtiger Arsch.
„Solche wie dich haben wir ’45 im Rucksack verhungern lassen“, entgegne ich ihm und versuche, so viel Abfälligkeit wie möglich in meine Körpersprache einfließen zu lassen.
„Najaaa“, erwidert Firo und beginnt, indem er sich langsam erhebt, seinen Körper zu strecken. Er tut das mit betonter Bedächtigkeit, nur um die Spannung zu steigern.
„Kein Wunder also, dass wir damals nur Vizeweltmeister geworden sind, wenn ihr mit – Rucksäcken – anstatt ordentlichem Soldatengepäck losmarschiert seid.“
Er betont das Wort so, als spräche er von der fleckigen Beulenpest.
Firo! Schon dieser Name geht mir dermaßen auf die Eier, das glaubt ihr gar nicht! Wenn das wirklich arisch sein soll, dann fresse ich einen Staudensellerie! Frisch geerntet aus der Walachei, garantiert! Firo, das klingt irgendwie nach, nach – ach, irgendwas von den Kaffern, den südosteuropäischen. Kommt mir jedenfalls sehr spanisch vor. Zumindest verhält er sich nicht wie ein richtiger Hund. Denn normalerweise regeln wir Meinungsverschiedenheiten und gegenseitige Abneigungen anders. Da wird einmal kräftig geknurrt, notfalls gebellt und wenn das nicht hilft, probeweise zugeschnappt. Damit ist die Sache meistens geklärt und derjenige, der Unrecht hat, zieht den Schwanz ein und geht. Es sei denn, es geht um ein Weibchen, da sieht es der Unterlegene mitunter nicht sofort ein, dass er genau das ist und er verrennt sich in eine sinnlose Keilerei. Spätestens, wenn eine seiner Flanken zu einer Klapptasche umgearbeitet oder die Schnauze stilistisch an die Zungenform von Schlangen angepasst wurde, sagt er sich dann, dass andere Hündinnen auch Töchter zum Bespringen haben. Aber das es so weit kommt, ist eher die Ausnahme.
Firo dagegen – der argumentiert! So etwas geht eigentlich gar nicht, zumindest nicht unter zivilisierten Hunden, wo es klare Strategien zur Problemlösung gibt und die haben nun einmal was mit Knurren, Bellen und Schnappen zu tun. So sind die Regeln, ich hab sie nicht gemacht. Er hingegen schlabbert dir mit seinen zynischen Phrasen ein Ohr ab und baut sich dabei so auf, dass seine Körpergröße und seine – nicht ganz zu ignorierenden - Kieferknochen schlecht zu übersehen sind. Ich kenne keinen deutschen Hund, der sich so hinterfotzig verhält. Verdammter Ausländer!
Damit ist es diesem Bastard wieder mal indirekt gelungen, mich an meine eigene Herkunft zu erinnern, ohne dass er sie anspricht. Polen, Cecyl, naja, ist jetzt auch nicht wirklich deutsch. Zumindest heute nicht mehr, früher verhielt sich das wohl mal anders mit diesem Landesteil. Aber so genau weiß ich es nicht, denn meine Erinnerung setzt erst ab dem Zeitpunkt ein, als ich tagtäglich diversen Zweibeinern auf dem so genannten Polenmarkt vorgeführt wurde. Ich sollte hübsch gucken, die Zunge ein bisschen heraushängen lassen und hecheln. Egal, ob es heiß war oder nicht, aber damals erfuhr ich, dass die Menschen das niedlich finden und für ein Zeichen von Anhänglichkeit halten. Muss man freilich nicht verstehen.
Jedenfalls war dieser Teil des Landes, zumindest zu dem Zeitpunkt, eindeutig Polen, da beißt die Maus keinen Faden ab. Sonst wäre Kevin gar nicht dorthin gekommen, denn in Deutschlands gibt’s nun mal keine Polenmärkte mit Fidschi-Buden noch und nöcher, wo alles viel billiger ist als im arischen Stammland. Und ich wäre demzufolge nie bei Kevin gelandet, der mich in alter Tradition erzogen und mir deutsche Werte beigebracht hat. Wenn er das sagt, muss es wohl stimmen. Womit ich wieder bei dem Dilemma ankomme, dass ich, der Schäferhund, das Urbild des treuen deutschen Gefährten, eigentlich gar nicht aus der Pollackei stammen dürfte. Der Gedanke daran, wie meine treudeutsche Gesinnung ganz weit links außen von meiner unglückseligen Herkunft überholt wird, verpasst mir immer wieder ein flaues Gefühl irgendwo zwischen meinem Fleisch liebenden Magen und den selbst geleckten Eiern.
Was bin ich wirklich? Ein Deutscher Schäferhund, klar. Kein polnischer. Auch wenn ich aus Polen stamme. Aber ich bin deutsch erzogen. Erziehung oder Herkunft – kann man sich einfach so aussuchen, worüber man sich definiert? Bleibt ein Hintertürchen offen, wenn es mal anders herum gebraucht wird?
Kevin sagt immer, weiter im Osten sitzen die linken Zecken. Aber wir sind rechte Deutsche. Rechts ist immer gut, sagt er, denn es heißt nicht umsonst „rechtschaffen“, im Gegensatz dazu, wenn jemand ein „linkes Ding dreht“. Kevin muss es wissen, er hat mit seinem biblischen Alter von 26 Jahren bereits unendliche Lebenserfahrung gesammelt.
26 Jahre, das muss man sich einmal überlegen! Manche von uns können froh sein, wenn sie die Hälfte davon erreichen. Ich bin mit meinen gut fünf Jahren beileibe kein Jungspund mehr und kenne mich aus in der Welt diesseits und jenseits der Spree. Aber mit 26 Jahren – Wahnsinn, was man da alles erlebt hat! Natürlich muss ich so jemanden glauben, was er mir erzählt. Wenn er sagt, ich bin ein rechter Deutscher, dann bin ich es wohl. Vielleicht ein polnischer Deutscher, aber rechts, das ist nun einmal die Normalform.
Was wäre ich wohl, wenn mich Kevin damals nicht vom Polen-Markt weggekauft hätte? Was, wenn mich am Ende gar eine linke Zecke…? Wäre ich dann überhaupt ich geworden?
Mir brummt der Schädel von so vielen verwirrenden Gedanken. Wenn mir das nur jemand mal richtig erklären könnte! Durchaus denkbar, dass es weise, uralte Menschen gibt, die sogar noch mehr Lebenserfahrung als mein Herrchen auf dem Buckel haben!
Inzwischen kommt die lange Evi zurück, Kanu am Halsband hinter sich herziehend.
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht jeden Abfall vom Weg fressen sollst?“, fragt sie ihn schimpfend und erwartet gar keine Antwort. So etwas sind rein rhetorische Fragen, das weiß ich inzwischen. Die Menschen fragen sich gern gegenseitig Dinge und wollen gar nicht wissen, was der Angesprochene darauf zu erwidern hat. Sie wissen schon die Antwort im Voraus und geben sie sich dann auch selbst. Vermutlich leiden sie darunter, dass ihnen niemand ernsthaft zuhört. Was wiederum daran liegen könnte, dass sie meist solche Fragen stellen, die keine Sau interessieren.
Kanu sieht mir gar nicht so aus, als ob ihm daran gelegen wäre, auf irgendwelche Fragen zu antworten. Entweder das Vieh ist ihm entwischt und hat ihn nach Strich und Faden verhöhnt – ich weiß, wie sich das anfühlt, glaubt mir! -, oder er hat sich von den Katzenkrallen eins auf die Schnauze geben lassen.
Peinlich!
Wobei, dann müsste man eigentlich Spuren davon an seiner Nase sehen. Sieht man aber nicht. Also entwischt, vermutlich im letzten Moment von Frauchen zurückhalten und die blöde Muschi durfte aus sicherer Entfernung mit anhören, wie er sein Fett abbekommt.
Mindestens ebenso peinlich.
Und da wundern sich die Menschen, dass Hunde einfach nicht mit Katzen können! Das epische Duell sozusagen zwischen Mut und Stärke auf der einen Seite und Gerissenheit gepaart mit Heimtücke auf der anderen. Aus so einer Konstellation kannst du keinen Stuhlkreis bilden, bei dem jeder mal eben seine Probleme total offen anspricht.
Ich schicke ein aufmunterndes Knurren zu ihm hinüber und sage, um ihn moralisch aufzurichten: „Beim nächsten Mal kriegst du sie. Die hat einfach nur Schwein gehabt, sonst nichts!“
Kanu, die eigentlich so selbstbewusste Kreuzung zwischen einem Dobermann und einem Rottweiler, seufzt resigniert, kriegt dabei einen Würgeanfall und presst zwischen zwei Schnaufern mühsam heraus: „Frag bloß nicht!“
Na, da ist ihm aber irgendetwas gehörig auf den Magen geschlagen, das spüre ich sofort. Ich beschließe, ihn in Ruhe zu lassen, doch Irvin, der kleine Spitzbube, kann sich die Bemerkung nicht verkneifen: „Muskelkraft ist eben nicht alles, wahre Größe kommt von innen!“
Ich signalisiere ihm durch kurzes angedeutetes Erheben auf meine Vorderpfoten, dass er einfach die Schnauze halten soll. Um das für Kanu leidige Thema zu wechseln, flechte ich ein paar Bemerkungen über meine neue Augenblick-Bekanntschaft ein. Ich kann es nicht verhindern, dass Firo zuhört, obwohl er ausgesprochen desinteressiert tut.
„Wie heißt dieses Hammer-Weib noch mal? Hab ich da was von Darinka gehört? Also, richtig deutsch klingt das in meinen Lauschern nicht, andererseits kann eine dahergelaufene Ausländer-Tusse wohl kaum das Schärfste rund um Rummelsburg sein, hab ich Recht?“
„Sagt einer, der Firo heißt“, fahre ich ihn an. „Wer selbst mit Steinen ein Glashaus einschmeißt, der, äh, Moment, warte mal, ich hab’s gleich, der – der sollte nicht drin sitzen. Das schreib dir mal hinter deinen Boden!“
„Mann, reg dich wieder ab, das schlägt doch glatt dem Fass ’nen Zacken aus der Krone“, grinst er frech und wendet sich ab, um sich gelangweilt die Flanken zu lecken. Immerhin hat er eingelenkt. Ehre wieder hergestellt. Dennoch meine ich aus irgendeinem Grund, mich rechtfertigen zu müssen: „Außerdem ist sie absolut reinrassig, noch dazu von altem Adel. Kann einer vermutlich nichts damit anfangen, der sich am liebsten über Schwächere lustig macht und blöde Bemerkungen hinwirft, wo andere Mut und Entschlossenheit zeigen. Wenn das keine Tugenden sind!“
„Stimmt“, tut Firo verblüfft und setzt in gespielter Anerkennung hinzu: „Ich mache mich in der Tat gern über dich lustig.“
Während ich noch überlege, was es bringt, diesen Lackaffen – in Gegenwart unserer Herrchen und Frauchen – ordentlich zu verbellen, schaltet sich Irvin wieder ein.
„Von den Dahergelaufenen halte ich nicht viel. Du weißt nicht, wo sie überall schon ihre Hinterläufe aufgemacht haben.“
„Weil sie bei dir als Allerletztem die Hinterläufe aufmachen würden“, gibt ihm Kanu die despektierliche Bemerkung von vorhin zurück. Er hebt dazu nur kurz den Kopf und nach wie vor scheint ihm das Sprechen Mühe zu bereiten.
„Aber wo er Recht hat, hat er Recht“, stimmt Firo Irvin zu. „Zumindest theoretisch kennt er sich aus. Naja, auch ein blindes Huhn trinkt mal einen Korn, wie es so schön heißt.“
„Blutreinhaltung“, bellt Irvin eifrig, Firos Zusatz geflissentlich überhörend. „Die Reinhaltung der Blutlinie, genau darum geht es.“
Da ist er wieder, der Dünkel der Reinrassigen! Obwohl – es ist schon ein bisschen herausgehoben aus der Masse der Mischlinge und Promenadenmischungen, wenn einer reinrassig ist. Was soll ich sagen – ich bin eben auch nur ein Hund, und zwar ein reinrassiger Deutscher Schäferhund!
„Die Einstellung muss stimmen, der Charakter, Tugenden wie Treue, Mut, Entschlossenheit“, brummt Kanu, die Rottweiler-Dobermann-Mischung, verdrießlich. „Das bringen die Fremdlinge durcheinander, die haben ganz andere Wertevorstellungen.“
Bevor er wieder sein Lieblingsthema von wegen Pollacken und Klemm & Klau auspacken kann, falle ich ihm ins Wort. Eigentlich kann ich Kanu gut leiden, er ist nicht so ein Angeber wie Firo und kein Kläffer wie der kleine Irvin, der es ständig nötig hat, auf sich aufmerksam zu machen. Kanu vertritt eben völkische Werte und das kann ich ihm nicht verübeln. Er und die anderen wissen nicht einmal, wo ich ursprünglich herkomme, fällt mir ein. Was freilich die unbequeme Frage aufwirft, ob prinzipiell jemand eher nach seiner Herkunft zu beurteilen ist, oder was und wie er ist. Knifflige Sache! Aber in einem Punkt muss ich Kanu Recht geben: Es kommt auf die Einstellung und den Charakter an.
Ich denke den Gedanken nicht zu Ende, ich könnte womöglich das lebende Beispiel dafür sein, dass beides Hand in Hand einhergehen kann, egal, woher jemand kommt, und frage Kanu: „Sag mal, was ist eigentlich mit dir los? Ist dir die Katze über die Leber gelaufen? Irgendetwas stimmt mit dir nicht, das merke ich doch!“
„Frag nicht“, wiederholt der nur missmutig.
„Die blöde Katze?“, frage ich.
„Der blöde Baum“, knurrt Kanu.
„Verstehe“, sage ich, ohne zu kapieren, was er meint.
Das alte Lied, denke ich. Immer dann, wenn wir unseren miauenden Erzfeind beinahe zu packen kriegen, steht irgendwo ein blöder Baum herum und der Schisser klettert in die höchsten Äste, um sofort von Todesangst auf dicke Lippe umzuschalten. Ist jedes Mal aufs Neue deprimierend - aber eigentlich kein Grund für körperliches Unbehagen, oder? Da muss etwas anderes vorgefallen sein!
Erwartungsvoll schaue ich Kanu an, die anderen tun es mir nach. Schließlich hebt er genervt den Kopf, weil er spürt, dass man von ihm noch eine Erklärung erwartet.
„Okay, aber wehe, ich höre eine blöde Bemerkung.“
Nee, iwo, wo denkst du hin, wir werden uns doch nicht über einen Kameraden lustig machen, wenn der Pech hatte! Auf uns kannst du dich immer verlassen!
„Ich hatte ein kleines Problem mit meiner Endgeschwindigkeit“, ächzt Kanu weiter. „Das Vieh ist auf einen Baum rauf, blieb im unteren Bereich hängen und ich dachte, ich könnte es noch packen. War aber ein bisschen zu schnell, als ich absprang, und donnerte gegen den Stamm. Ihr glaubt nicht, wie mir das mein Genick gestaucht hat, und die Nase habe ich mir obendrein eingedrückt. War zum Glück glatte Buche und keine borkige Kiefer.“
Wir alle nicken verständnisvoll. So was blödes aber auch, brrr-hihihi.
„Und das blöde Katzenvieh hat dich auch noch ausgelacht. Das sind doch wirklich die Hinterletzten, feige und schadenfroh!“, echauffiert sich Irvin in heiliger Empörung und ich kann spüren, wie er krampfhaft ein Glucksen zu unterdrücken versucht.
Ich kann nichts dagegen machen – vor meinem inneren Auge taucht ganz automatisch das Bild auf, wie der massige Kanu volle Kanne auf einen Baum zurast, gegen den Stamm knallt und als flacher Abdruck daran kleben bleibt. So was kenne ich aus einem Trickfilm, da war es aber eine Katze, die eine Maus jagte. Sah saukomisch aus, kann ich euch sagen!
Meine Lefzen fangen an zu zucken, während Irvin aussieht, als würde er von Krämpfen geschüttelt und Firo vergeblich versucht, seine Riesenschnauze mit einer Pfote zu bedecken. Fast gleichzeitig geben wir unsere zum Scheitern verurteilten Bemühungen auf, nicht zu lachen, und es ergießt sich ein prustendes Heulen über den Platz, dass bestimmt bis Marzahn zu hören ist.
Kanu knurrt erst böse, doch ihm wird schnell klar, dass wir seinen Ärger nicht mal ansatzweise wahrnehmen können, so sehr werden wir von Lachkrämpfen gebeutelt. Als wir uns ein wenig beruhigt haben und nur noch einzelne Pruster das Feuer der Belustigung sanft am Köcheln halten, meint er schließlich: „Schön, dass man sich auf seine Freunde so verlassen kann!“
Er dreht sich weg, legt den Kopf auf den Boden und deckt die Vorderpfoten darüber. Damit ist eigentlich alles gesagt.
Ich muss sie wieder sehen, die Schöne, Unnahbare! Also das unnahbar soll sich natürlich ändern, versteht sich. Aber fürs Erste hat es einen ganz eigenen Reiz. Und dann der Name!
Darinka.
Das ist Musik, das ist Romantik pur, das bringt die Glocken der Liebe zum Klingen, es ist ein Lockruf, der dir das Paradies verspricht und dir zuruft: „Adolf, mein lieber Adolf, ich habe mein Chappi für dich aufgespart! Hinterher kannst du mich bespringen. Oder auch vorher, ganz wie du willst!“ Leute, ich sage euch, das geht runter wie Markknochen vom Kalb, ach, was sage ich, wie frische blutige Kalbsleber!
Ein logistisches Problem beansprucht zuvor meine ganze Aufmerksamkeit und schiebt Darinka, die Schöne, die Kalbsleber, die ganze Romantik zunächst hinten an. In dieser Reihenfolge, ungefähr. Die Quizfrage jedenfalls lautet: Wie bringe ich mein Herrchen dazu, dass wir am nächsten Tag um die Mittagszeit unbedingt noch einmal auf den Hundeplatz hinter dem Rummelsburger Bahnhof müssen?
Mit langfristiger Planung von einem Tag auf den nächsten ist das bei uns so eine Sache. Die langhaarige Maus hat es gut, wenn sie schon so weit im Voraus weiß, was in der nächsten Mittagspause bei ihr und ihrem Frauchen ansteht. Ich hingegen kann höchstens im Kaffeesatz lesen, ob Kevin gegen Mittag schon aufgestanden sein wird oder noch den Schlaf des Gerechten schläft. Wäre so ziemlich die zuverlässigste Vorhersagemethode.
Gegen langschläfernde Morgenmuffelei lässt sich allerdings etwas tun. Wozu besitzt ein Hund Tatzen und die Fähigkeit zum Bellen, wenn er damit nicht einmal sein Herrchen wach kriegen könnte! Alle Zweibeiner haben panischen Schiss davor, dass ihr vierbeiniger Freund ihnen in die Wohnung scheißt. Wir müssen ein solches Bedürfnis nur andeuten und schon kann sie weder der Weltuntergang noch die rein theoretische Gefahr, die Russen könnten kommen, davon abhalten, mit unsereins Gassi zu gehen.
Womit wir allerdings noch nicht automatisch auf dem Hundeplatz wären. Was, wenn Kevin angesichts eines selbst für ihn erkennbaren Bedürfnisses mit mir lediglich hinter die nächste Bushaltestelle latscht, sich dort eine Zigarette anzündet und solange dumm herumsteht, bis ich ihm signalisiere, dass ich fertig bin?
Nun ja, ich will nicht prahlen, aber ein Schäferhund verfügt schon über gewisse Körperkräfte. Diese zielführend eingesetzt, weiß selbst ein begriffsstutziger Zweibeiner, was Sache ist. Dennoch bin ich gehörig nervös, als der kommende Tag anbricht. Ich habe ein Date mit der heißesten Hundedame diesseits der Spree und ich weiß nicht, ob ich rechtzeitig dort sein werde, ach du meine Scheiße!
Die erste Hürde, nämlich Herrchen rechtzeitig wach zu kriegen, nimmt mir seine Herrin ab. Sie stürmt wie seinerzeit Rommel vor El Alamein in sein Zimmer, kaum dass sich die Sonne bis über die Spitze der Linde im Hof emporgearbeitet hat – das ist nach menschlicher Einteilung gegen Zehn, was immer das bedeuten mag – und trägt ihm auf, den Müll runter zu bringen und vorher in seinem Zimmer aufzuräumen.
„Und geh mit dem Hund raus. Deine Wäsche habe ich dir auf die Kommode gelegt. Socken und Schlüpper kommen ins Schubfach, die T-Shirts legst du zu den Pullovern. Ich hoffe, dass ist nicht zu viel verlangt von einem jungen Mann weit jenseits der 20!“
Mit diesen Worten verlässt sie die Wohnung, denn heute ist Mittwoch und mittwochs geht sie immer putzen. Bei einem Rechtsanwalt, Dr. Brahimi oder so ähnlich. Kevin hat den Namen einmal vom Klingelschild vorgelesen, als wir beide seine Mutter zu ihrem Arbeitseinsatz begleiteten, und es klang, als würde er die DNA des TBC-Bakteriums entziffern.
„Na und“, entgegnete seine Mutter angriffslustig, „mir doch egal, ob er Meyer, Schulze, Shlomo Israel oder eben Brahimi heißt. Hauptsache, die Bezahlung stimmt, denn einer muss ja etwas Geld verdienen!“
Obendrein ist es steuerfrei, das weiß ich. Mutters Putzjobs, u. a. bei einem Politiker, in einer Arztpraxis und bei einer gelangweilten Unternehmersgattin, die es mit einem gewissen Cognac hält, weil der Ehemann ständig auf Dienstreise ist, tragen wesentlich zum Familienwohlstand bei.
„Von Hartz allein kannst du keine großen Sprünge machen und von dir brauche ich auf Kostegeld gar nicht zu warten, du Taugenichts“, hatte Mutter meinem Herrchen schon mehrfach erklärt, was er mit einem missmutigem Brummen und dem Hinweis auf deutsche Tugenden, die wichtiger als materielle Werte seien, beantwortete.
„Bevor ich vor einem Ausländer buckele, lebe ich lieber in ehrlicher Armut“, lautet seine Devise, die ihn nicht davon abhält, sich von Muttern aushalten zu lassen. Was ehrliche Armut bedeutet, kann ihm schließlich niemand vorschreiben, das definiert er selbst und insgeheim hofft er sicherlich, dass das Arbeitsamt in absehbarer Zeit keinen Job in einem urdeutschen mittelständigen Unternehmen für ihn bereithält.
„Da stecken doch überall die Russen oder die Schlitzer mit ihrem jüdischen Geld dahinter“, pflegt er über renommierte Großunternehmen zu sagen. Folglich verbietet es ihm sein anständiges völkisches Gewissen, mit seiner Hände Arbeit dazu beizutragen, deren erschwindeltes Vermögen weiter zu mehren. Notfalls muss eben ein vorgetäuschter Rückenschaden oder eine imaginäre Allergie herhalten, um seinen Prinzipien von Ehrlichkeit und Anstand treu bleiben zu können.
Ich weiß natürlich, dass Herrchen keine Lust zum Aufräumen hat und es geht ihm gehörig auf die Nüsse, dass er seine frisch gewaschene Unterwäsche, die Mutti ihm so schön zusammengelegt hat, selber in den Schrank räumen soll. Also hole ich mit einem geschickten Schlenker die Leine von der Garderobe und halte sie zwischen meinen Zähnen und mit einem erwartungsfrohen Hecheln direkt vor Kevin. Das Wetter ist annehmbar, kein Regen beschädigt die kostbare Frisur – hahaha! – und Herrchen geht sofort auf mein Ansinnen ein.
„Dreh’n wa erst ma ’ne Runde, wa, Adolf? Ick brauch ohnehin neuen Tabak. Der Müll wird schon nich von alleene runta marschier’n.“
Ich spiele helle Begeisterung über seine Idee, das heißt, ich stelle mich mit hängender Zunge und bleckenden Zähnen vor Kevin hin, wedle mit dem Schwanz und wackle mit dem Hinterteil. So signalisiere ich ihm, dass ich vor Tatendrang kaum noch zu bremsen bin und ordentlich Auslauf benötige. Und den gibt’s, ohne dass Herrchen gleich mit mir rundenlang durch den Park joggen muss, wo? Genau, auf dem Hundeplatz hinter dem Rummelsburger Güterbahnhof!
Jetzt muss der Kerl nur noch meine eindeutige Zeichensprache verstehen. Kann man sich freilich nie wirklich sicher sein.
Vor der Haustür friemelt Kevin eine Selbstgedrehte zusammen, während ich mich schon in der richtigen Stoßrichtung postiere.
„He, warte ma, ick muss zu’n Kiosk“, nuschelt er zwischen seinen Zähnen hervor und zerrt in die Gegenrichtung.
Mann, das darf doch nicht wahr sein! Was willst du denn am Kiosk, etwa die Süddeutsche kaufen oder glaubst du, im Feuilletonteil der linksversifften TAZ steht etwas, was dich interessiert? Doch ich weiß, wenn ich jetzt auf stur schalte, geht der sture Bock mit mir keinen Meter weiter als unbedingt nötig. Mir bleibt nur eines: Hinterbacken zusammenkneifen und so lange kein Geschäft machen, bis wir uns dem Zielgebiet nähern. Die Sonne steht mittlerweile über dem Achtgeschosser, das heißt, mir läuft irgendwann die Zeit davon. Doch jüdische Eile bringt nichts, denn wie hat schon der Führer gesagt: „Wenn du es eilig hast, geh langsam. Wenn du es noch eiliger hast, mach einen Umweg1
Oder war es der Duce? Mao? Vielleicht auch Usain Bolt, was weiß ich! Jedenfalls sind wir auf einem ganz geschmeidigen Umweg und ich habe es eilig. Na toll! Läuft ja alles nach Plan.
Mir war entfallen, dass Kevin noch nichts gefrühstückt hat. Mein Fehler, aber im Feuer der Liebe kann man nicht immer alle gefühlsfremden Faktoren berücksichtigen. Deshalb also der Kiosk. Herrchen holt sich einen kleinen Schilkin und nun kann der Tag für ihn richtig beginnen. Mir fällt schon wieder ein passendes Zitat ein: „Betrinke dich nie“². Könnte aus dem Koran stammen, oder vom ehemaligen FDJ-Generalsekretär der DDR. Naja, wenn solche Kanaken und Volksverräter so etwas sagen, muss man sich nicht wirklich daran halten!
Nach den ersten Bissen aus der Flasche streckt er sich denn auch relativ tatendurstig und ich beginne meine ADHS-Show. Das heißt, ich zappele aufgeregt auf der Stelle, vollführe Sprünge aus dem Stand, ducke mich, als legte ich es darauf an, einen Geparden auf der Stadionrunde zwei Mal zu überrunden und benehme mich insgesamt wie ein russischer Langläufer, der den gesamten Dopingvorrat der Nationalmannschaft auf einmal geschluckt hat.
Kevin guckt mich gut gelaunt an.
„Geh’n wa noch’n Stück?“
„Mmmmooohr“, knurre ich mit zärtlicher Begeisterung und nicke eifrig mit dem Kopf.
Kevin überlegt kurz, während er sein Frühstück in der Innentasche seiner Bomberjacke verstaut. Dann zieht er die Leine straff, sagt zackig „Na los, bei Fuß!“ und setzt sich mit ausgesprochen entspannten Schritten in Bewegung.
Es geht runter Richtung Bahngleise, dorthin, wo auch der Fressnapf ist. Die Grobrichtung stimmt zunächst, wenn wir es nicht verpassen, beizeiten nach rechts abzubiegen. Ich zögere nicht lange und schlüpfe spontan in die Rolle des Führers. So kann ich an Abzweigen und Kreuzungen die Initiative ergreifen und außerdem entspricht das ohnehin mehr meiner Natur, als nur hinterher zu trotten.
Mein Herz frohlockt, denn Kevin, eine Hand im Eierbeutel seiner Jogginghose, die andere um seine Kippe gekrampft, scheint sich einfach dem schönen Spaziergang hinzugeben und folgt mir treu und brav. So ist’s richtig, mein Guter, kriegst auch ’ne feine Belohnung! Ich beschließe, ihm vom nächsten Markknochen, der mir in die Fänge gerät, ein besonders schönes Stück aufzuheben und taxiere unsere Grobrichtung leicht und unauffällig etwas nach Westen. Als wir an einer Fußgängerampel warten müssen, meint Kevin beiläufig: „Weeßte wat, Adolf, wenn wa schon ma hier sinn, denn jeh’n wa jleich noch ’ne Runde uffn Hundeplatz, wat meenste?“
Während er dabei selbstzufrieden vor sich hingrinst, als hätte er soeben die Weltformel entdeckt, beschleicht mich ein Verdacht. ’Kevin, Kevin, du alte Raubsau, du willst nicht etwa ganz zufällig und auf gut Glück an der Stelle vorbei schauen, wo uns beide das andere Geschlecht gestern ziemlich nachhaltig geplättet hat?’
Das mag aus seiner Sicht auf den ersten Blick etwas riskant erscheinen, wegen kaputtem Benetton und Schadenersatzforderung. Doch da verlässt er sich wahrscheinlich auf die Versicherung der heißen Stomatologin. Außerdem kann mein Hartzi eventuellen monetären Ansprüchen einigermaßen entspannt entgegen sehen, denn wie sagte schon Konfuzius: „Greif mal einem nackten Mann in die Tasche!“
Er will schauen, ob die Tusse ihm noch einmal über den Weg läuft! Sieh an, sieh an, wir haben es nötig, einer – Originalzitat Kevin, diesmal weiß ich es ganz genau -: einer „Pollackin“ hinterher zu steigen!
Ich könnte es weiter erzählen, aber ich bin keine Petze und erst recht kein Kameradenschwein. Außerdem, wenn man es genau nimmt, bin ich ebenfalls hinter einer netten Bekanntschaft mit so ein ganz klein wenig pollackisiertem Herkunftsanteil her. Aber das steht mir zu, ich habe es mir nicht ausgesucht, dass mich meine Alte nicht diesseits der Oder in die Nestmulde hat rutschen lassen. Damit Thema durch!
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.