Kitabı oku: «Nie wieder Apfelkorn», sayfa 4
»So, ich muss wieder«, kippte sie ihr letztes Glas runter und winkte dem Köbes mit ihrem Fuffi. »Wo bist du denn morgen Abend, Büb?«
»In Braunschweig. Und Sonntag in Billerbeck. Krach machen.«
»Wow!«, tat sie begeistert. »Wieder eine dieser großen Tourneen, wa’? Die Stones und wir!« Das war mir keine Antwort wert, zur Strafe bedankte ich mich aber auch nicht dafür, dass sie (mal wieder) einen ausgegeben hatte. Immer im Kampf für Gerechtigkeit. Büb Bronson.
Ich brachte sie noch rüber in ihren Laden. Das verbesserte meine Laune wieder, denn ich erntete jede Menge neidischer Männerblicke. So’n Teilchen hatte lange nicht jeder am Arm. Oben im Lagerraum bekam ich dann noch einen sehr langen Jägermeisterkuss. Dann trug ich meine Erektion in Richtung Schrebergarten. Auch blöd – vierzehn Bier im Bauch und nicht mal pissen können!
***
Oder sollte ich doch mal in Meyers Büro? Natürlich würde mir da kein Schwein erzählen, was ich wissen wollte, aber vielleicht würde mein Instinkt …? Das Büro war in einer Jugendstilvilla am Sachsenring, einem der letzten Stückchen der Kölner Ringe, das noch halbwegs so aussah, wie es sich der Stadtbaumeister Josef Stübben 1880 ausgedacht hatte. Dessen Ringe waren einmal ein Nachtboulevard nach Pariser Vorbild und die größte Grünfläche der Kölner Neustadt gewesen. Aber Spekulantenklüngel im Verein mit dem Bombenteppich des Zweiten Weltkrieges hatten dafür gesorgt, dass von dem löblichen Vorbild nur noch der eine oder andere gebrauchte Pariser übrig blieb. Moderne Zeiten. Die hatten allerdings auch die Frittenbude zwei Ecken weiter mitgebracht, in der ich erst mal meinen Hunger stillen, pinkeln und das Bier neutralisieren wollte.
Mein Instinkt! – An einem der Stehtische stand Bernd Assmann und tunkte eine Frikadelle abwechseln in Currysauce, Senf und Mayo.
»Der Kanaldeckel’s Büb!«, schrie er, wie immer drei Nummern zu laut, und hieb mir sein Lederpfötchen ins Kreuz, als sei er wunders wie begeistert, mich zu sehen. Kanaldeckel nennen sie mich, weil ich an meinem Schlagzeug die dicksten Becken hängen habe, die man überhaupt auftreiben kann – zwei bestehen aus Autofelgen. Die feinen, dünnen, schön klingenden türkischen halten bei mir nie sehr lange, und ich muss schon ständig genug Kohle ausgeben für die Knüppel und die Felle, die auf der Strecke bleiben. Rock’n’Roll. Ich kniff ihn freundschaftlich in die Backe, dass die Frikadelle in seine Pampe fiel und ihm das Wasser in die Augen trat.
»Ah, du Wichser! A’s klar?«, begrüßte ich ihn. Manche Leute steh’n drauf, wenn ein Künstler wie ich so mit ihnen redet. Das ergänzt sich aber ganz gut – mir macht es nichts aus, so mit denen zu reden. Im Gegenteil. Aber angesichts dieser Fresse war mit Bier neutralisieren auch nix mehr. Ich holte mir ’ne Flasche und bestellte mir ’ne Bratwurst mit Fritten und Tomatensalat. Tomaten sind gut für’n Kreislauf. Dann ging ich wieder an seinen Tisch und hörte mir an, mit was für wichtigen Leuten er heute schon telefonisch verhandelt hatte, wen er alles für das absolute Bombenkonzert in die Stadt geholt hatte und noch holen würde, welche Frauen er diese Woche schon gevögelt hatte, welche nächste Woche dran kämen und was der neue Kurzwellenapparat kostete, mit dem er mit CB-Funkern in Australien dirty jokes austauschen konnte. Mein Essen war fertig. Ich holte es mir ab, zusammen mit einem weiteren Fläschchen. Ich bot Assmann, der derweil natürlich nicht aufgehört hatte zu labern, eine Fritte an und fragte ihn mitten im Satz:
»Haste ’ne Ahnung, wo die Blaue Britta steckt?« So wie seine blassblauen, leicht vorstehenden Augen mit einem Mal stumpf wurden und sein Gesicht den Ausdruck von jemandem bekam, der beim Kartenspielen mogelt, hätte ich schwören können, er hatte. Er ignorierte die Fritte.
»Wat, Büb – auf die biste immer noch scharf?« Ganz schnell hatte sich sein Gesicht wieder zu seinem gewohnten lüsternen Grinsen verwandelt. Das hatte er auch besser drauf als ’n Pokerface. »Da würd’ ich doch nich’ mal mehr drauf pissen! He, ich hab’ letztens im Santa Cruz eine kennen gelernt, das wär’ was für dich. Die –« Mir war schwer danach, ihm meine Pulle in die Schnauze zu hauen. Aber sie war noch halb voll. Er hatte es auch so mitgekriegt. »Nä, wo die Britta rumhängt, weiß ich auch nich’. Ich hab gehört, sie hätte Ärger mit irgendwelchen Jungs …«
»Irgendwelche Jungs?«, unterbrach ich ihn wieder.
»Ja, Genaueres weiß ich auch nich’. Aber wenn es dich so interessiert, kann ich ja mal ’n bisschen rumhören. Du weißt doch: Der Assmann erfährt alles hier. Aber jetzt muss ich erst mal wieder los, ins Büro. Der Meyer is’ nich’ da und ich muss den Laden alleine schmeißen.« Er kramte einen Zehner aus seiner Hemdtasche und warf ihn mit großer Geste auf den Tisch, »Ich ruf dich an, Büb.«
»Assmann …!«, rief ich sanft, als er die Tür erreicht hatte. Er drehte sich um. Für eine kurze Sekunde sprühten seine Augen Gift und Galle. »Ich bin sehr interessiert.«
»Alles klar, Büb«, er hob nach Rennfahrerart seinen rechten Daumen. »Du hörst von mir.«
Ich beendete mein Mittagessen. Es schmeckte nicht besonders.
9
Heile, heile, Gänschen
Im Schrebergarten ließ ich das abgestandene Bier aus der Leitung laufen, zapfte mir ein frisches, suchte mir das Putzzeug zusammen und fing an, den Laden zu putzen. Heute ging’s einigermaßen. Nur einer hatte neben die Kloschüssel gekotzt, und im Damenklo fehlten nur zwei Glühbirnen. Dafür kehrte ich unter einem der Tische einen verkrumpelten Zwanziger zutage. My lucky day.
Fast. Mit einem Stereoknall flogen die beiden Schwingtüren auf, und mein Lieblingspärchen kam reingewackelt. Brikett-Fuss gekleidet wie letztes Mal, Nijinsky mit dem gleichen Unterhemd, aber ’ner anderen Hose. Es war ein riesiges, blank gescheuertes Stresemann-Modell mit breiten, passend grau-weiß gestreiften Hosenträgern. Der Eiserne Gustav. Ich war gerade im hinteren Raum dabei, die Stühle wieder auf ihre Plätze zu stellen, die ich zum Putzen auf die Tische gekippt hatte. Ich behielt mal einen in der Hand.
»Vierunfuffzichfuffzich«, sagte ich zum Fuss, »ohne Trinkgeld.« Er sagte nichts, nahm mir den Stuhl ab, warf ihn mit einer Hand beiseite und zog mich mit der anderen am Aufschlag meiner Jeansweste zu sich heran, um mir seine Tolle ins Nasenbein zu drücken. Damit hatte ich mittlerweile aber schon gerechnet. Ich machte einen Diener, und seine Stirn knallte auf meine. Einszunull. Ich zog mein Knie hoch. Aber da, wo eben noch seine Eier hingen, war jetzt sein Knie. Langsam is’ der auch nicht. Unentschieden. Meine Kniescheibe knallte gegen sein Schienbein. Mir wurde schlecht. Einszuzwei. Ich drehte mich von ihm weg, um mal kurz durchzuatmen. Das brachte mir einen Faustschlag in die Nieren ein. Einszudrei. Mir wurde noch schlechter, und ich begriff langsam, dass das jetzt ernst war. Ich ließ Durchatmen Durchatmen sein, vollendete meine Drehung etwas flotter als geplant und schaffte es, ihm meinen Ellbogen auf die Augenbraue zu pflanzen. Aufgeholt.
Und zu früh gefreut. Ihm war völlig klar, was als nächstes kommen würde, und mein Absatz, der seine Kniescheibe treffen sollte, verpuffte irgendwo an der Kante vom Billardtisch. Ersatzweise trat er mich in die Kniekehle. Ich knickte kurz nach hinten über, was ihm reichte, mir seinen Unterarm um die Gurgel zu biegen. Ich bog mich ein bisschen mehr mit, als ihm nötig war, packte seine Elvis-Tolle mit beiden Händen, ging noch ein Stückchen weiter in die Knie, machte einen Buckel und versuchte, ihn über mich zu werfen. Ich landete auf allen Vieren, ein Büschel roter Haare in der Hand.
Hinter mir ertönte ein Schrei, eine Mischung aus Schmerz und Wut. Gar nix mehr mit Punktezählen. Jetzt Leben oder Tod. Ich wischte um ihn rum, bekam die weiße Kugel zu packen – und hätte sie ihm auf den Hinterkopf gedengelt, wenn ich nicht den Queue aufs Handgelenk gekriegt hätte, den Nijinsky sich derweil in Ruhe ausgeguckt hatte. Der Queue kam auch gleich noch mal und traf mich im Nacken. Die weiße Kugel glitt mir aus der Hand wie ein nasses Stück Seife, ich küsste die Bande und hatte gerade noch Zeit genug herauszufinden, wie eine Billardtischbespannung riecht. Dann rissen mich die Fäuste vom Fuss wieder ans andere Ende des Tischs. Weg hier! Nur weg! Ich schlug blindlings mit beiden Fäusten über meinen Kopf nach hinten. Spürte, dass ich ein paar Zähne traf, und wie meine Knöchel aufgerissen wurden. Die Fäuste ließen eine Moment locker. Jetzt!
Nö. Das stumpfe Ende von Nijinskys Knüppel traf mich genau auf den Solar Plexus. Mir blieben die Luft, der Mut, die Wut und alle Lebensgeister auf einmal weg. Das letzte, was ich sah, war das grinsende Gesicht hinter dem Billardstock, der noch mal auf mich zu sauste.
Wieder wach wurde ich von dem dumpfen Rhythmus, der meinem Magen empfahl, sich doch endlich auszukotzen. Es waren die Cowboystiefel vom Fuss, der mich überall dahin trat, wo ich meine schützenden Unterarme gerade nicht hatte. Rhythmisch begleitet von seinen heiseren Flächen und Drohungen:
»Du. Küss. Mir. Nimmieh. In. Die. Quer! Du. Mischs’. Dich. Nirjendswo. Mieh. En! Du. Häls. Ding. Dreckelije. Fress. En Zukumpf. Us Allem. Rus! Dich. Mach. Ich. Dermaßen. Platt …!«* Ich fühlte mich, als wäre eine Kolonne Kieslaster über mich hinweggerollt. Das, was jetzt kam, war nur noch der Bollerwagen von Opa Krumm. Ich mochte Opa Krumm nicht – er machte immer den Nikolaus in unserer Siedlung und drohte mir dreijährigem Daumenlutscher, mir mit seiner riesigen Schneiderschere den Daumen abzuschneiden. Selbst unter der Küchenbank war ich nie sicher vor ihm – da zogen sie mich schon raus, Mutti, Vati, Oma, Onkel Ernst. Die liebe Verwandtschaft. Wir wollen doch nur dein Bestes!
Ich griff zum billigsten Trick und krallte meine Faust um Opa Krumms Eier, so hart ich konnte. Dann hängte ich mich mit all meinem Gewicht daran. Fuss gab ein seltsames Jauchzen von sich und kam mir entgegen. Nein, ich lass nicht los! Das Jauchzen verwandelte sich in ein Kreischen, und Nijinskys Grinsen fror ein. Fror ein zu einer eisigen Temperatur, die mir von einer Stelle unterhalb des Nabels hochkroch bis zum Hinterkopf. Ach, Vera! Tschüs, Kathrin.
Die Tür schwang auf, und Twiggy sagte: «Hi, folks!«
***
Aus derselben Bewegung, mit der er mir den Schädel hatte eintreten wollen, drehte Nijinsky sich um seine eigene Achse, brachte die drei Meter zwischen sich und Twiggy hinter sich und schwang sein rechtes Bein in Richtung dessen Kinn. Twiggy knickte leicht in der Hüfte ein, hatte plötzlich Nijinskys Fuß mit beiden Händen gepackt und ließ sich wie ein einjähriges Baby nach dem ersten Gehversuch auf den Arsch plumpsen. Der Fuß sah auf einmal aus wie falsch angenäht, Nijinsky quiekte, versuchte, sich in der Luft noch zu fangen, konnte sich aber zwischen Schmerz und Wehtun nicht entscheiden und knallte mit dem Kopf gegen den Türpfosten. Was ihn nicht hinderte, sich gleich wieder rumzudrehen und eine Karatekralle Richtung Twiggy zu schicken. Der war aber schon ein Stück weiter ins Hinterzimmer vorgedrungen, wurde allerdings sofort wieder gebremst – der Fuss hatte von irgendwoher ein Stilett hervorgezaubert und hielt es mir an die Halsschlagader.
»Jangk noch eine Schritt, un’ du häss ’ne Fründ jehatt, Ami!«*
»Sure, Baby«, knurrte Twiggy, tat einen langen, fließenden Schritt zurück, legte seine Arme um Nijinskys Hals und machte eine ruckartige Bewegung. Es knackte laut, und Nijinsky kippte mit weißem Gesicht zu Boden. Fensterscheiben und Gläser klirrten. Twiggy verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich in den Durchgang. Kauend. Kein Ausdruck in seinem Gesicht.
»Your turn, Ruby.«* Was er kaute, schien ihm zu schmecken. Er schien sich überhaupt ziemlich wohl zu fühlen. Meine Arme und meine Rippen und meine Kehle und mein Schädel schmerzten. Aber das Stilett war weg. Ich rollte mich mühsam herum, weg vom Fuss, der halb gebeugt dastand, beide Arme an den Seiten herabhängend, und völlig fassungslos abwechselnd auf das leblose Bündel Nijinsky und auf Twiggy starrte.
Seine Erstarrung löste sich in einem rasselnden Fauchen. Er schleuderte das Stilett in Richtung Twiggy, der sich seitwärts weg duckte und mit zwei langen Sätzen, sich um sich selbst drehend, ins Hinterzimmer flog. Sein Fuß traf den Fuss kurz unter dem Herzen. Als dessen Kinn den Fußboden traf, zitterte sein Stilett immer noch in der Tür. Dann war es sehr still im Raum. Nur die Thekenkühlung summte, wie immer.
»Wollte nock ein letz’ Bier mit dir trinke’ before I take off, Boob.«
»Konntste nich’ kommen, bevor ich mit Putzen fertig war? Jetzt muss ich noch mal anfangen!« keuchte ich und rappelte mich hoch. Schwer genug, überhaupt hochzukommen. »Biste böse, wenn’s zu dem Bier noch ’n Cognac gibt?«
»N-nh. Make it double.«* Machte ich. Dann rief ich Stevie an und bat ihn, mich für heute zu vertreten. Zum Glück hatte er nichts Besseres vor. Besaufen konnte er sich ja auch hier, hinter der Theke.
***
Ich stand gerade hinten in der Küche und ließ Twiggy checken, ob ich irgendwas gebrochen hatte, als wir die Eingangstür klappern hörten. Er wischte raus in den Laden und auf die Straße, konnte aber nur noch den gelben Capri mit qualmenden Reifen lospreschen sehen. Dann kam er zurück. Ich hatte nichts gebrochen.
»Wie haste denn das mit dem Nijinsky hingekriegt?« Er kicherte in sich hinein.
»Good trick, ey? Is einfack – look!« Er nahm einen der Apfelkornkanister, schlang seine mächtigen Arme darum wie um ein menschliches Genick, presste eine Hand zwischen seinen rechten Bizeps und seinen Brustkorb und ließ gleichzeitig laut all ihre Fingergelenke knacken. Absolut glaubwürdig. Man lernt doch nie aus.
Als Stevie eintraf, bestellten wir uns ein Taxi und ließen uns zu Veras Wohnung fahren. Ich quälte mich raus, und Twiggy fuhr weiter zu seiner Cessna.
»Have a nice weekend!«, wünschte er mir noch mit einem mitfühlenden Grinsen. »Next Wocke wir geh’n mal bisschen mack Ordnung in de Scheisenest, ey, Boob?«
Ich brachte nur ein mühsames Grunzen zustande. Nächste Woche war so weit weg wie meine Silberne Hochzeit.
***
»Ich wette, du hast in den letzten zehn Minuten mehr gestöhnt und gejammert als während der ganzen Schlägerei«, sagte Vera und machte eine Pause, um sich eine Zigarette anzuzünden. Ich hatte eine halbe Stunde geduscht, heiß, kalt, heiß, kalt, lag jetzt auf dem Bett in ihrem Gästezimmer und schwitzte. Seit zehn Minuten massierte sie mich mit einer Mischung aus Massageöl und flüssig gemachter Beinwellsalbe, sanft, wo sich überall schon blaue Flecken und Blutergüsse abzeichneten, fester, wo meine Muskeln verkrampft und hart wie Knorpel waren. Also hauptsächlich sanft. Mein Körper brannte, als hätte ich schon den ganzen Tag nichts getan als raus aus der Sauna, rein in den Schnee und raus aus dem Schnee und rein in die Sauna. Der Grog, den sie uns gemacht hatte, tat ein Übriges. Ich nahm noch einen Schluck und sah sie an.
Ihr sanftes, blasses, mütterliches Gesicht glühte, von der Anstrengung, von dem Grog und vor Ärger und Empörung. Ihr dünnes, hellblondes Haar klebte ihr an den Schläfen und Wangen. Sie trug eins von meinen verwaschenen, eingelaufenen Penner’s-Radio-T-Shirts – man konnte so gerade noch die zufrieden grinsende, bierbäuchige Ratte mit der Sprechblase Kölsch bringt’s! erkennen – und einen dunkelblauen Slip, zu dessen Farbe die blonden Schamhaare, die sich rechts und links davon hervor kringelten, ausgezeichnet passten. Ihre schweißfeuchten Schultern, ihre Arme und Schenkel glänzten, wie sie da rittlings auf meinen Oberschenkeln hockte. Ich trank schnell noch einen Schluck. Mein Mund war so trocken.
»Guck mich ja nicht so an!«, ermahnte sie mich und klemmte hart meine Beine ein, dass ich laut aufstöhnte. Aber ein Blick an mir herab ließ erkennen, dass das schon keine Sache von Kopfentscheidung mehr war.
»Du bist unmöglich!«, musste sie wider Willen lachen. »Halbtot geprügelt und schon wieder nix als Sauereien im Kopp!« Sie drückte ihre Zigarette aus und machte weiter mit ihrer Massage, die aber immer mehr ihren medizinischen Charakter verlor. Heilsam erschien sie mir trotzdem. Die heilenden Hände konzentrierten ihre Kreise immer mehr dorthin, wo es einem am wohlsten tut. Vera zog sich ihr T-Shirt über den Kopf und legte sich auf mich. Wir küssten uns zärtlich, träge und feucht. Für einen Augenblick spürte ich wieder mal den alten, leisen Stich der Eifersucht. Warum bin ausgerechnet ich mit ’ner Frau verheiratet, die mehr auf Frauen steht? Andererseits – was kann mir bei meinem Lebenswandel besseres passieren? Sie ist immer noch die beste Ehefrau, die ich je hatte. Und die beste Freundin.
Außerdem ändert Eifersucht auch nix. Tut sie nie. Und die heilenden Hände, die mich so gut und schon so lange kannten wie keine anderen, machten weiter. Meine blöden Gedanken verwandelten sich in Geigenmelodien, pumpende Bassriffs und Schlagzeugsoli. Ein wildes Zittern überkam mich, mit dem ich jede Anspannung in meinem Körper von mir schüttelte. Vera verrieb die milchig gewordene Spannung zwischen unseren dampfenden Körpern. Dann rollte sie von mir herunter und zog sanft meinen Kopf zwischen ihre Beine, damit ich mich revanchieren konnte.
10
Wieder unterwegs
Um mein fest einbandagiertes rechtes Handgelenk trug ich eine torfbraune Ledermanschette. Sie passte gut zu den dunkelrotbraunen Lederklamotten, die ich auf Tour meistens trug – in Fachkreisen auch mein Lederschlafanzug genannt. Genauso fest einbandagiert war mein Brustkorb. Die Korsage quetschte mein Tönnchen ein, meine Beine waren aus diesem lustigen Zeug aus Amerika – oder Taiwan? –, das die Kinder jetzt alle hatten und »Slime« nannten, meine Arme fühlten sich an, als hätte ich gestern Volleyball mit Bierfässern gespielt, und in meinem Nacken klopfte mir eine blaurote Schwellung fortwährend ans Hirn. Und keiner rief: Herein! Beim Versuch, meine schulterlangen Haare zu bürsten, wäre ich am Morgen beinahe die Wand hochgegangen. Ich fühlte mich, als ob nicht ich in unserem alten Opel Blitz, sondern er über mich weg fahren würde. Und das seit dreihundert Kilometern. Das waren mit diesem Gefährt bei ebener Strecke viereinhalb Stunden. Aber wo gibt’s auf einer Penner’s Radio-Tour schon ebene Strecken?
Der Bus hatte vorne neben dem Fahrer noch zwei Sitzplätze, und dahinter hatten wir ein altes Sofa reingeklemmt (außer bei TÜV-Terminen, natürlich), das Platz bot für drei Passagiere und eine Kühltasche. Dahinter war eine Holzwand, hinter der wiederum unsere Anlage rappelte. Die Kühltasche wurde an jeder zweiten bis dritten Raststätte mit Büchsenbier aufgefüllt, von dem ich mir immer wieder eins in den Nacken hielt, bis die kühlende und lindernde Wirkung nachließ und es Zeit wurde, die Büchse auszutrinken. Ich mag kein warmes Bier.
Die Frotzeleien über mein Aussehen und meinen Zustand hatten inzwischen aufgehört – sensibel, wie Musiker nun mal sind, hatten sie schon kurz vor dem Kamener Kreuz gemerkt, dass es mir wirklich nicht so doll ging, und das Thema gewechselt. Mittlerweile waren sie bei dem bevorstehenden Boxkampf zwischen Ali und Ken Norton. Dazu konnte ich dann wenigstens fachmännisch schweigen. Ich war sicher, dass ich meinen Zwanziger richtig platziert hatte.
Dass ich eventuell gar nicht spielen könnte, kam keinem der Kollegen in den Sinn. Eiermann, unser Bassist, hatte schon mit eingegipster linker Hand gespielt – nicht, dass das bei ihm einen großen Unterschied machte. Seine Devise war: »Dä Bass muss brumme, un’ zwar en de Eier, Mann!« So spielte er auch, und so war er an seinen Namen gekommen. Die halbe Zeit schlug er sowieso nur mit der rechten Hand die Leersaiten an – »E – A – D – wir gehen auf Tournee!« war eins unserer kompositorischen Credos. Eiermann ist übrigens mein Lieblingsbassist. Dessen rechte Hand ist mindestens so gut wie meine. Normalerweise.
Auch unsere beiden singenden Gitarristen hatten sich schon mit vierzig Fieber oder eine Darmgrippe oder einem Gipsbein oder einer Gehirnerschütterung ihre Zugabe erarbeitet. Die Regel hieß: »Solange man noch ’n Bier trinken und es bei sich behalten kann, wird kein Gig abgesagt!« Da hielten wir uns dann auch dran. Nur das mit dem Bier wurde nicht so eng gesehen – wir hatten auch schon mit einer Gesamtleistung von zirka vierzehn Promille auf der Bühne gestanden und unseren Spaß gehabt. Was ein Rudel Düsseldorfer Studenten allerdings relativ ratlos zurückgelassen hatte – aber na ja, Düsseldorf …
Zitat SOUNDS, Juni ’76: Wenn Penner’s Radio ihr Business ernsthafter betreiben und nicht so viel saufen würden, wären sie die deutschen Stones und eine ernste Konkurrenz für Udo Lindenberg. Ein Tusch für den deutschen Musikjournalismus! Ich habe noch nie in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen: Wenn Tina Turner nicht so viel kiffte, wäre sie die amerikanische Lulu und eine ernste Konkurrenz für Neil Diamond! oder ähnlichen Schwachsinn. Oder wie wär’s mit der englischen Variante: Eric Clapton ohne Drogen könnte der englische Johnny Winter sein und eine ernste Konkurrenz für Gary Glitter …?
Egal. Für unsere beiden Gitarristen, Veedelvüür und Veedelnoh, gehörte ein Kasten Bier ebenso zum Auftritt wie der Strom für ihre Marshal-Verstärker. Sie spielten seit mindestens zehn Jahren zusammen und hatten seitdem auch immer die gleiche Position auf der Bühne. Der eine von mir aus gesehen halb links, also im Uhrzeigersinn viertel vor, der andere halb rechts, also für mich viertel nach. Der zweite Grund für ihre Spitznamen lag in ihrer Spielanlage. Veedelvüür prügelte mit seinen scharfen riffs und fills permanent den beat vor sich her, während Veedelnoh, ein Meister der offen gestimmten slide-guitar, seine fetten Linien behäbig hinten auf den beat draufsetzte. Ein weniger sturer Schlagzeuger als ich hätte bei dem einen die Band ein Stück doppelt so schnell enden lassen, wie sie es angefangen hatte, bzw. bei dem anderen genau umgekehrt, aber wenn Eiermann und ich einmal die »Pump aan« hatten, spielten wir jedem Drum-Computer die Krätze an den Hals. Und genau diese kontrastreiche Rhythmusarbeit machte den drive aus, den die Leute anscheinend mochten – zwei Jahre nach unserem Debütauftritt auf einem Festival im Rheinpark, wo uns gleich mal sechstausend gefeiert hatten, kriegten wir immer noch Auftrittsangebote. Und unsere Fangemeinde wuchs – so sehr, dass wir ernsthaft überlegten, vielleicht doch mal ’ne Platte zu machen.
Kathrinchen, die da in jedem Falle weiß, wovon sie redet, hatte sich uns mal nach einem besonders guten Joint reingezogen.
»Is’n guter Lover, die Band«, sagte sie später. Ich musste nachfragen. »Ja, weißte, Büb, wenn du mit ’nem Kerl vögelst, der was taugt, dann hat der erst mal ’nen guten Rhythmus. Die Spannung macht der nicht, indem er immer schneller losrammelt, sondern mit den unterschiedlichen Betonungen. Wie eure Rhythmusgruppe. Un’ die eine Hand, die spielt hier dagegen, un’ die andere Hand da, dass du gar nicht weißt, worauf du dich konzentrieren sollst, aber alles zusammen bringt dich richtig gut in Fahrt. Das sind deine Gitarristen. Un’ wenn die zwei dann auch noch anfangen zu singen – dann haste sojar noch wat für’t Herz. Wat will mer mehr? Macht ruhig so weiter!«
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Fehlte zur kompletten Besetzung nur noch unser Emerson, der außer Autos, Motorrädern, Verstärkern und Mikrophonen nur noch Fernseher, Telefone, Hotelaufzüge und Licht- und Klimaanlagen reparieren konnte. Seinen Namen hatte er aber seiner Art zu verdanken, mit der er seine uralte, winzige Farfisa-Orgel mit knapp zwei Oktaven bediente. Das nur vierstimmige Ding kippte und schob er kreuz und quer über die Bühne, traktierte es mit Hämmern, Schraubenziehern, Bierflaschen oder was er sonst gerade in die Finger kriegte, und dann streute er Akkorde in unsere Stücke ein, mit denen Miles Davis erst Jahre später seine Fans in Erstaunen versetzen würde.
Und Little Joe, so genannt, weil er aussah wie der Sieger des Hoss Cartwright Lookalike Contest. Aber er hasste es, Hoss genannt zu werden, und das brauchte er auch jedem, der es tat, nur einmal zu sagen. Er hatte eine Figur, als bräuchte er für unsern Opel-Blitz, den zu fahren und zu beladen sein Job war, keinen Wagenheber, wenn wir mal ’nen Platten haben sollten. Er nahm seine Verantwortung als Fahrer so ernst, dass er der einzige von uns war, der auf Tour nichts trank, was allerdings auch bei so mancher brenzligen Gelegenheit unser Glück gewesen war. Ohne ihn wären wir des Öfteren nicht in unserm Hotel oder unserer Gastgeber-WG angekommen. Dafür stellte er sich dann nach jeder Tour, wenn der Blitz ausgeladen, entrümpelt und sauber war, erst mal bei Tante Hilde in Kölns ländlichem Vorort Flittard an die Theke und brauchte höchstens zwei Stunden für ungefähr siebzig Kölsch. Dann legte er sich auf unser Tour-Sofa, schob eine der Kassetten ein, die er bei unseren Gigs immer aufnahm, und pennte selig. Isch hann keine Beruf – isch ben dä Dreiwer vun dä Penner! Dat wor isch vun Aanfang aan, un’ dat blieve isch bes zom Schluss! Un’ eines Dags fahre isch die eimol quer un’ eimol längs durch janz Amerika!* Eine Seele von Mensch.
***
»Pass auf, Hans-Werner: Wenn du uns noch einmal mit deinem Wahnsinn kommst, schmeiß ich deine Klampfe hier mitten auf die LKW-Spur! Ich kann et nimmieh hüüre! Verstehste?!«* Veedelvüür war leicht rot angelaufen und brauchte dringend ein Beruhigungsbier – er nannte Veedelnoh beim Vornamen und sprach hochdeutsch! Emerson machte ihm schnell eins auf.
»Ävver dat es doch en Riesen-Hammer-Idee! Pass op!« Und Veedelnoh, wie immer nicht aus der Ruhe zu bringen, schlug kraftvoll die Intro-Akkorde von Wild Thing an und sang dazu: »Wahnsinn! Do jommer och hin! Dat darf nit wohr sin …«* Das versuchte er uns jetzt schon seit ein paar Monaten als potenziellen Hit anzudrehen, aber niemand in der Band konnte und wollte darauf abfahren.
»Kumm, Noh, loss stecke!« »Es nix im Radio, Joe?« »Lääch doch ens en Kassett op!«*, kamen von allen Seiten konstruktive Vorschläge. Er hatte keine Chance. Schmollend nahm er sich ein Bier und benutzte nach einem langen Schluck die Büchse als slide-ring. Da waren dann alle wieder dabei und sagen gemeinsam den Penner’s Blues:
Dä Kanzler es e’ Aaschloch
Dä Paaps, dä es en Funz
Wat wör die Welt e’ Drecksloch
Jööv et he nit uns …*
Und dann überlegten wir zur Abwechslung mal wieder, wie wir es hinkriegen würden, heute Abend in Braunschweig ordentlich was in Magen und Leber zu kriegen, morgen ein kräftiges Frühstück aufzutreiben und dann noch genug Kohle zu haben, um den Blitz und uns mit genügend Sprit bis nach Billerbeck bei Münster zu versorgen. Der Gig heute war nämlich mal wieder eins von unseren sechsunddreißig Benefiz-Konzerten im Jahr, in diesem Fall für das Autonome Jugendzentrum »Heißer Hund«.
»Bin jespannt, wat dat widder für’n Loch is’«, überlegte Veedelnoh. »Wahrscheinlich besteht dat Catering widder us ’ner Schüssel Müsli, zo däm die Milch suur oder all jewoode es, ’ner Kann Jasmintee un’ ’nem Teller Schmalzbruut …«*
»Un’ wenn de noh Bier frögs, luuren se eetz all blöd un’ kromen dann irgendzwo ’ne lauwärme Kaste Feldschlößjen-Pils erus!«, ergänzte Veedelvüür. »Manchmol frore ich mich, wovun die janze Autonome övverhaup verexistiere, ohne uns. Ich jläuv, esu vell Benefiz wie mir määt keiner he.«*
»Doch – Schroeder Roadshow!«, warf Emerson ein.
»Jo, klar! Wenn ich en Weetschaff en d’r Eifel hännt …!«*
»Stemmp! Do künnte mir och ens widder hinfahre!«,* leckte sich Veedelnoh genüsslich die Lippen.
»Hör bloß auf!«, winkte Emerson entsetzt ab. »Beim letzten Mal war ich drei Tage todkrank, so haben die mich vollgeschüttet!«
»Wat reparierste dänne dann och dat komplette P.A., du Lötkolbenfreier? Beste doch selver schuld!«* Veedelnoh war das dann schon wieder genug Diskutiererei, und die nächste Büchse entlockte seiner Gitarre das Intro von Schroeders Anarchie In Germoney, das auch wir manchmal in unserem Programm hatten. Würde heute Abend in Braunschweig wahrscheinlich wieder gut kommen. Und schon sangen sie wieder alle:
Ich spiele Euer Spiel nicht mit
Ich scheiß auf Eure Welt
Ich rauche lieber Shit
Und versauf mein Geld …*
Wieder unterwegs! Ich pennte die letzten paar Kilometer, begleitet vom Brummen des alten Blitz, den schrabbelnden Gitarren und dem harmonisch-bissigen Gesang meiner Freunde, und träumte, ich wäre mit der Blauen Britta unterwegs auf der Route 66 von Chicago nach Amarillo. Vor uns fuhr ein völlig verbeulter kanariengelber Ford Capri und versuchte uns dauernd auszubremsen. Dabei geriet er immer wieder aus der Spur, überschlug sich mehrmals, knallte ein paar Mal gegen unsere Kühlerhaube, landete aber stets wieder auf seinen vier Rädern. Britta schrie vor Angst, und ich streckte beruhigend meine Hand nach ihr aus. Sie warf sich schluchzend an meinen Hals. Das schmerzte in meinem Nacken, als wären ihre Hände elektrisch geladen. Voller Panik blickte ich nach links zu unserm Fahrer – aber da saß niemand. Um das Lenkrad gewickelt schaukelte Jackie O. ihren weisen alten Kopf hin und her und grinste mich spöttisch an:
»Wir sind da, Büb, wir sind da …«
***
»Wir sind da, Büb, werd wach! Ausgeladen hammer auch schon!« Little Joe rüttelte sanft an meinem Knie. »So schlecht is’ dä Schuppen jaanit!« Er hielt mir einen riesigen Cognac-Schwenker unter die Nase, der tatsächlich duftete wie mit Metaxá gefüllt. Na ja – besser als kein Apfelkorn.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.