Kitabı oku: «Abendland»

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»Wir müssen uns unserer Vorherrschaft und der Überlegenheit der westlichen Zivilisation bewußt sein.« (Ministerpräsident Silvio Berlusconi am 26.9.2001 in Berlin)

»Berlusconis Italien könnte ein Wegweiser sein zu einem vereinigten Europa, welches im Zeichen der heiligen Dreifaltigkeit von Kapitalismus, Rassismus und Dummheit zu ungeahnter abendländischer Größe und Schönheit wächst. Es sei denn, uns fiele eine Alternative ein.« (Hans-Martin Lohmann in der Frankfurter Rundschau 21.3.2003)

Der Autor

Richard Faber, geboren 1943, wurde mit »Zur Kritik der Politischen Theologie« in Philosophie promoviert und habilitierte sich in Soziologie über den »Mythos des Abendlandes«. Er publizierte mehrere Bücher und gab zahlreiche Sammelbände heraus, u. a. »›Wir sind Eines‹. Über politisch-religiöse Ganzheitsvorstellungen europäischer Faschismen«, 2005; »Politische Dämonologie. Über modernen Marcionismus«, 2007; »Deutschbewusstes Judentum und jüdisch- bewusstes Deutschtum. Der Historische und Politische Theologe Hans-Joachim Schoeps«, 2011; »Konservatismus in Geschichte und Gegenwart,« 1991; »Politische Religion – religiöse Politik«, 1997; »Abendländische Eschatologie. Ad Jacob Taubes«, 2001; »Imperalismus in Geschichte und Gegenwart«, 2005 (alle im Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg).

Richard Faber

Abendland.
Ein politischer Kampfbegriff


© E-book-Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2020

© 2002 Philo Verlagsgesellschaft mbH, Berlin/Wien

Alle Rechte vorbehalten.

Covermotiv: Karl der Große am Zürcher Großmünster

Covergestaltung: nach Entwürfen von MetaDesign

Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)

eISBN 978-3-86393-557-3

Auch als gedrucktes Buch erhältlich, ISBN 978-3-86393-096-7

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im

Internet unter www.europaeische-verlagsanstalt.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

I.Einleitung oder: »Das neue Reich«

1.Deutsche Romanitas per translationem imperii

2.Das Reich als »complexio oppositorum«

3.Neo-Vergilische Reichsapokalyptik

4.Konservative Utopie des Abendlandes

II.Verteidigung und Ausbreitung des Abendlandes: »Euro-Amerika«

1.Die Verteidigung des Abendlandes

a) Römisches Kriterium der Ost-Bestimmung

b) Telos des antiorientalischen Affekts: Antikommunismus

c) Ost-West-Auseinandersetzung als »ew’ge Schlacht« und permanenter Kreuzzug

d) Der spanische Bürgerkrieg als konzentrierter Weltbürgerkrieg: »allumfassendes Abendland im Symbol Spaniens«

2.Der imperialistische Aufgang des Abendlandes

a) Kolonialismus und Rassismus im Zeichen der Mission

b) Vom antik-mittelalterlichen Imperium zum neuzeitlichen Imperialismus der Nationalstaaten

c) Römisches Empire: Anglikanismus

d) Missionarisch-militärisch-ökonomischer Komplex

e) »Pax Romana als Pax Americana«

3.Euro-Amerika oder »Atlantis«

a) »Weltmonarch« und »katéchon« USA – per translationem imperii

b) Euro-Amerika: Über-Abendland und »Weltabendland«

c) Abendland als »Werkzeug der Erlösung«

d) Fortdauernde und verstärkte Europazentrik

III.»Großraum«-Europa oder Abendländisches Europa: »Imperium Europaeum«

1.»Pan-Europa« und/oder Christliches Abendland: »Großwirtschaftsraum« Westeuropa

2.»Katholisches Europa« (1)

3.Integrales Europa

4.Lateinisches Europa

5.Vergilsches Abendland

6.Organisches Europa

7.Christlich-humanistisches Europa

8.»Katholisches Europa« (2)

9.»Christliches Abendland«

10.Römisches Abendland

11.»Abendländisches Christentum«

12.»Reichseuropa«

13.Faschistisches Abendland

14.Nationalsozialistisches »Imperium Europaeum«

15.Gegenrevolutionäres Europa

16.»Karolingische Internationale«

17.»Rhein-Europa«

18.»Romania«

19.Deutsch-Französisches Europa

20.»Latinité« und Gallikanismus: translatio imperii ad Gallos

21.»Antipreußischer Affekt« der (deutschen) »Abendländer«

22.»Katholisches Europa« (3)

23.»Französisches Europa«

24.Abendländisches Europa

25.Der Kaiserdom zu Speyer als »Nationalheiligtum des deutschen Volkes«

26.Kampf um die europäische Hegemonie: Germanozentrik gegen Frankozentrik

27.»Gaullistisches« Europa

IV. Schluß oder: »Das dritte Reich«

1.»Völkerrechtliche Großraumordnung«

2.Nationalsozialistische Weltreichsambitionen

3.Nationalsozialistischer Romanismus

4.»Neues Mittelalter« des Nationalsozialismus

5.Fortdauerndes Mittelalter des Katholizismus

Fußnotenverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

»Ist der Westen die Zauberformel, auf der das Selbstverständnis der wiedervereinigten deutschen Nation im anbrechenden 21. Jahrhundert gründet? Zehn Jahre nach dem Fall des Kommunismus erlebt ein Begriff, der einst der ideologischen Mobilmachung gegen Moskau diente, in den Reden deutscher Politiker, in den Feuilletons deutscher Tageszeitungen und in den Schriften deutscher Historiker und Publizisten eine fast schon unheimliche Renaissance.«

Diese Sätze des Heidelberger Historikers Philipp Gassert waren am 19. September 2001, nur eine gute Woche nach den Anschlägen auf Pentagon und World Trade Center, in der Frankfurter Rundschau zu lesen.1 Sie sind offenkundig von unmittelbarer – auch innenpolitischer – Aktualität, und nicht erst, seitdem der hessische Ministerpräsident Koch – gleichfalls im September 2001 – gefordert hat, die »Nationale Identität« zum zentralen Thema des nächsten Bundestagswahlkampfes zu machen. Gassert möchte seinerseits verdeutlichen, »daß der Westen als ein kollektiver Mythos die Nation moralisch legitimiert, indem er die gegenwärtige politische Kultur Deutschlands in den größeren Zusammenhang der ›westlichen Wertegemeinschaft‹ stellt und sie dadurch positiv sowohl vom wilhelminischen Obrigkeitsstaat und von der Barbarei des Nationalsozialismus als auch vom gescheiterten Experiment der Weimarer Republik und vom realen Sozialismus der DDR abgrenzt. In der ›Erfolgsgeschichte‹ der allmählichen Verwestlichung der alten Bundesrepublik, so scheint es, hat die Nation den roten Faden gefunden, dem sie entlastet durch die letzten fünfzig Jahre deutscher Geschichte folgt.«

Roland Kochs Parteifreund, der baden-württembergische CDU-Fraktionsvorsitzende Oetinger hat bereits Ende 2000 die von Friedrich Merz inaugurierte »Leitkultur«-Debatte dadurch zu ›entschärfen‹ versucht, daß er vorschlug, von »Deutscher Leitkultur auf abendländischer Grundlage« zu sprechen. Und er war erfolgreich damit; in der »Arbeitsgrundlage für die Zuwanderungskommission der CDU« vom November 2000 heißt es unter anderem: »Wir Deutschen haben auf der Grundlage der europäischen Zivilisation im Laufe der Geschichte unsere nationale Identität und Kultur entwickelt, die sich in unserer Sprache und in den Künsten, in unseren Sitten und Gebräuchen, in unserem Verständnis von Recht und Demokratie, von Freiheit und Bürgerpflicht niederschlägt. Deutschland gehört zur Wertegemeinschaft des christlichen Abendlandes2

Ohne Helmut Kohls Wort aus dem Jahre 1989 vergessen zu haben – »der Untergang des Abendlandes findet nur in den Bibliotheken statt«3 – waren es die Äußerungen derer, die heute in seiner Partei das Sagen haben, die mich veranlaßten, meine 1979 in Hildesheim erschienene Schrift Abendland. Ein ›politischer Kampfbegriff‹, leicht gekürzt und aktualisiert, erneut zu publizieren.* Um so mehr, als mein im Jahre 2000 herausgekommenes Buch Das ewige Rom oder: die Stadt und der Erdkreis. Zur Archäologie ›abendländischer‹ Globalisierung interessierte Aufnahme fand.4 Günter Eich hat den Zusammenhang zwischen beiden Büchern vorweg auf den Begriff gebracht, als er in Fußnote zu Rom dichtete: »Zuviel Abendland,/verdächtig«5.

Die vorliegende Studie zeigt, daß der politische Kampfbegriff Abendland von weit her rührt und hoch belastet ist: nicht nur antikommunistisch und antisozialistisch, sondern auch antidemokratisch und antiliberal. In seinen verschiedenen Ausprägungen ist er autoritär bis faschistisch geprägt, elitär bis hierarchisch und klerikal bis neopagan – vor allem aber imperialistisch. Gestützt auf zahlreiche Quellen wird außerdem deutlich werden, daß die europäischen Konzepte, die mit den abendländischen konkurrieren, in aller Regel nicht genügend Abstand zu diesen gehalten haben. Karl Jaspers formulierte schon 1958: »Das Abendland, Europa und Amerika.«6 In diesem Sinne analysiere ich gerade auch die euro-amerikanische, sprich »atlantische« Ideologie. Wie die abendländisch-europäische und die US-amerikanische weist sie eine antik-römische Referenz auf. Dementsprechend handelt es sich bei Abendland. Ein politischer Kampfbegriff nicht nur um einen Beitrag zur Ideologiegeschichte, sondern auch um einen zur Rezeptions- und Kulturgeschichte. Als Faschismus-, Imperialismus- und Rassismuskritik ist sie von unmittelbarem politischem Interesse – gerade weil die analysierte Literatur zum großen Teil belletristischer und philosophischer Natur ist. Doch große Namen – wie Rudolf Borchardt, Ernst Robert Curtius, T. S. Eliot, Hugo von Hofmannsthal, Carl Schmitt und Oswald Spengler – allein verbürgen noch keine Dignität. Im Zweifelsfall belegen sie das nur scheinbar paradoxe Phänomen eines humanistischen Antihumanismus.7

Was heute unbekanntere Autoren wie Werner Bergengruen, Theodor Haecker, Gertrud von Le Fort und Reinhold Schneider angeht, so muß man sich vor Augen halten, daß diese katholischen Schriftsteller in den zwanziger und dreißiger, vor allem aber von den späten vierziger bis in die frühen sechziger Jahre hinein hohe Auflagen erreichten und einen großen Einfluß ausübten – weit über den konfessionell-katholischen Raum hinaus.* Bergengruen und Schneider waren Mitglieder der wiederbegründeten Friedensklasse des Ordens Pour le Mérite; Schneider erhielt 1957 sogar den »Friedenspreis des deutschen Buchhandels«, Bergengruen 1962 den Schillerpreis des Landes Baden-Württemberg.

Schneider und Schmitt sind Autoren, die sich nicht nur als Gegenstand meiner Ideologiekritik anbieten, sondern – partiell und gegen den Strich gelesen – auch als kritische Instanz fungieren können. Ich exponiere bereits meine Begriffsklärung der Vokabel »politischer Kampfbegriff« mit Hilfe Schmitts. Sie führt mich sofort auf den engen Zusammenhang des Abendland- mit dem Reich-Begriff und beider Kampfmythen mit der Konservativen Revolution, also dem intellektuellen Prä- (und Post-)Faschismus. Gerade die Begriffe »Reich« und »Abendland« belegen die Romanozentrik der Konservativen Revolution8 – ganz gleich, ob sie eher neopagan oder christ-katholisch akzentuiert ist. In jedem Fall gilt der römische Reichsdichter Vergil als Vater des Abendlandes und hat alle (Prä-)Faschisten ergriffen, was ich »Neo-Vergilsche Reichsapokalyptik« nenne. Vielleicht hat Bergengruen ihr im Gedichtzyklus Der ewige Kaiser am deutlichsten Ausdruck verliehen, in einem Buch, das er – nachdem es 1937 erstmals erschienen ist – 1950 erneut hat auflegen lassen, dieses Mal unter ausdrücklich »europäischen« Vorzeichen. Nicht zuletzt Bergengruen belegt, was man später auf die affirmative Kurzformel gebracht hat: »Das Reich ist tot – es lebe Europa.«

Nach diesen einleitenden Überlegungen, die den Leser mit den Eckpunkten der Abendland-Ideologie vertraut machen sollen, werde ich im zweiten Kapitel darstellen, wie sich der Einsatz von Abendland als politischem Kampfbegriff intensiviert hat: vom zunächst eher defensiven Gebrauch bis zu seiner schließlichen Ausweitung auf Euro-Amerika. Grundlegendes Kennzeichen aller konservativen Abendland-Utopien – vor und nach 1945 – ist die Stilisierung des Ostens zu einem den Westen »ewig« bedrängenden Erbfeind: synchron ein asiatisch wie kommunistisch definiertes Rußland. Gerade sein dämonischer Kontrast soll dem neuen, vor allem dem abendländischen Europa zur eigenen »Identität« verhelfen. Selbst das kriegerische »Unternehmen Barbarossa« wurde als »Geburtsstunde des neuen Europa« bezeichnet: eines nationalsozialistischen und deswegen ausdrücklich rassistischen Europa. Ein solches oder auch nur deutsches konnte nach 1945 nicht mehr angestrebt werden; indem man aber sogar die Nazis dem Osten generell oder dem Bolschewismus speziell zuschlug, konnte die europäisch-gegenrevolutionäre Emphase der Zwischenkriegszeit »durchgehalten« werden – und man konnte weiter in der Tradition christlicher Kreuzzüge seit Konstantin über die Karolinger, die Ottonen, die Staufer bis hin zu den Habsburgern denken und dichten. Als scheinbar unverfängliche »Urszene« fungierte dabei der Spanische Bürgerkrieg.

Es waren gerade die aus kirchlich-moralischen Gründen antinationalsozialistischen Katholiken, die im Spanischen Bürgerkrieg, in dem die Katholiken mit Franco und der Falange gegen den sogenannten atheistischen Kommunismus kämpften, eine großartige, geradezu befriedigende Perspektive fanden. Nicht nur sie betrachteten diesen Kampf noch nach 1945 als konzentrierten »Weltbürgerkrieg« und das Ewige Spanien als Symbol eines »allumfassenden«, also expansiven, ja imperialistischen »Weltabendlands«, das auf die Zeiten Karls V. und Philipp II. zurückging. – Spaniens (und Portugals) missionarische Reichsideologie hatte weiter gewirkt: bei Niederländern, Engländern und schließlich US-Amerikanern, unbeschadet des Übergangs vom Raub- zum Handels- und Finanzkolonialismus. Zumindest zeitweise – und schon in Spaniens »Goldenem Zeitalter« beginnend – fundierte Rassismus solchen weißen Imperialismus oder kulminierte dieser Imperialismus rassistisch – im 19. und 20. Jahrhundert als externer Sozialdarwinismus. Doch noch dieser scientifizierte – deutlich bei Auguste Comte – ein imperialistisches Christentum, dessen »friedliche Mission« stets Ideologie oder Illusion war, unabhängig davon, ob dieses Christentum auf nationalistische oder universalistische, sprich »abendländische« Art und Weise imperialistisch war. Erst recht spielten die Konfessionsunterschiede in diesem alles entscheidenden Punkt keine Rolle.

Noch ein säkular(isiert)es »Evangelium von der abendländischen Zivilisation« entpuppt sich als aggressive Kreuzzugspropaganda. Deshalb geht mein Buch von der Untersuchung des missionarisch-militärisch-ökonomischen Komplexes der USA über zu dem, was der ehemalige bayerische Theologe Georg Moenius bereits 1948 »Pax Romana als Pax Americana« genannt hat. In Fortsetzung seiner christlich-abendländischen Reichsvision des Zwischenkriegs erhob er die Vereinigten Staaten zum »Neuen Weltmonarchen« – eine Sichtweise, mit der er auch bei Nichtkatholiken und Nichtchristen Anklang fand.

Seit 1945 und verstärkt seit 1989 haben wir es mit einem Euro-Amerika zu tun. Seine immer extensivere wie intensivere Institutionalisierung macht wesentlich das aus, was seit gut zehn Jahren »Neue Weltordnung« heißt. Diese Vokabel verdankt sich dem Wappenspruch der USA: »Novus ordo seclorum«, der seinerseits der vierten Ekloge Vergils entnommen ist. Diese Verbindung ist keineswegs zufällig, denn noch die Vereinigten Staaten besitzen eine römische Genealogie, verstehen sich römisch-imperial. Auch für sie gilt, was Schneider auf die allgemeine Formel brachte: »Wer immer die Welt begehrt, fahndet nach dem römischen Erbschein.« Und Ernst Blochs Freund Hans Mühlestein konstatierte: »Das heutige ›Römische Reich‹ ist die europäische-amerikanische Übermächtigung der Welt« – wie nie zuvor einig und mächtig, präsentiert sich heute der römisch-imperiale Anspruch »der Welt«.

Europaintern setzt dies die recht erfolgreichen Einigungsbestrebungen von der Montanunion über die EWG und EG bis zur gegenwärtigen EU voraus. Sie selbst waren nochmals bedingt durch die weitgehende Synthese der in den zwanziger und dreißiger Jahren bis zum gegenseitigen Ausschluß miteinander konkurrierenden Konzeptionen (Pan-)Europas und des (christlichen) Abendlands. Oder, um zu entmythologisieren: Die Abendland-Ideologie mußte durch die hinter Pan-Europa stehende Notwendigkeit eines »Großwirtschaftsraumes« Westeuropa in Dienst genommen werden. Carl Schmitt hatte bereits 1928 rhetorisch gefragt, ob sich das ganze Problem Europa vielleicht auf die Bildung eines einheitlichen Wirtschaftskomplexes reduziere.

In meinem vorletzten Kapitel versuche ich die diversen Abendland- und Europa-Konzepte des 20. Jahrhunderts möglichst repräsentativ durchzubuchstabieren, dabei sowohl auf ihre teilweise unversöhnlichen Differenzen achtend als auch auf die mehr oder weniger großen Identitäten. Es ist von besonderer Wichtigkeit, das – gerade auch im Nationalsozialismus beobachtbare – Phänomen einer »complexio oppositorum« nicht zu übersehen. Manche Gegensätze wurden aufgrund geschickter Manipulationen immer wieder vernachlässigt, weil die bereitstehenden argumentationes ad homines sich als allzu verführerisch erwiesen. Nicht wenige mußten – eben auch aus Nazi-Mund – nur das Wort Abendland hören, um dahinzuschmelzen. Dieser Kampfbegriff hat sich ein ums andere Mal als Zauberwort bewährt, obwohl nicht geleugnet werden kann, daß die radikale Abendland-Ideologie konfessionell gebunden ist. Soziologisch bedeutet entschiedene Konfessionalität im 20. Jahrhundert aber exklusives Sektierertum. Und wie verhängnisvoll sonst auch immer, davor suchte sich ein Hofmannsthal stets zu hüten. Sein Katholizismus zielte auf den wortwörtlichen Anspruch des »Katholischen«: Alle »Ströme des wirklichen geistigen Lebens« sollten nach ihm »in das Becken des großen Begriffes« Europa münden.

Hofmannsthals Projekt war vorausschauend, ja ›zukunftsweisend‹, gerade weil er in seiner Europa-Synthese die abendländische Reichskomponente dennoch dominieren ließ, nicht anders als der ihm stark verpflichtete Romanist Ernst Robert Curtius noch nach 1945. Auch jetzt erwies sich das prätendierte integrale Europa vornehmlich als ein lateinisches, ja römisches und speziell Vergilsches Europa. »Rom«, so heißt es knappstens beim Hofmannsthal-Freund Rudolf Pannwitz, »war das erste Europa« – sei es das ›heidnische‹ oder das christliche, das römisch-katholische Europa, dessen Propagandisten sich, wie Konrad Adenauer, Heinrich von Brentano usw., als Christliche Humanisten verstanden.

Es handelte sich um einen recht militanten »Humanismus«, daran läßt Moenius noch in seinem Neuen Weltmonarchen von 1948 keinen Zweifel: »Die kompaktesten Legionen bringt sowohl zum Schutze des Abendlandes als zur stetigen Erweiterung und zum Hinaustragen der Grenzen die katholische Kirche auf.« Selbst der späte, franziskanischpazifistisch argumentierende Schneider verehrt noch das inkonsistente Konstrukt eines »Virgilius christianus« und unterscheidet sich darin weder von Moenius noch von dessen maßgeblichem Inspirator Haekker. Diese sind extreme Vertreter einer durchaus imperialen Reichstheologie, wie sie mutatis mutandis auch protestantische, neopagane und schließlich nationalsozialistische Reichsvisionäre vertreten haben, zugunsten eines Reichs- bzw. Deutscheuropas, das sie in eine ausdrückliche Kontinuität mit dem »Heiligen Römischen Reich deutscher Nation« stellten. Dennoch kann man von einem »Nationalsozialistischen ›Imperium Europaeum‹« sprechen, so romanophil, wie nicht zuletzt Hitler selbst gewesen ist. Eine Feststellung, die endlich Anlaß gibt, auf meinen entscheidenden Lehrer in Sachen »Reich, Rom und Abendland« zu verweisen: auf den bedeutenden und zu Unrecht vergessenen österreichischen Universalhistoriker Friedrich Heer, der mit Adorno und Bloch ebenso befreundet war wie mit Schneider. Ich nenne hier nur seine Habilitationsschrift von 1949, Aufgang Europas, und seine beiden Bücher aus den Jahren 1968 bzw. 1969, Der Glaube des Adolf Hitler und Kreuzzüge – gestern, heute, morgen?.9

Heer ist um so interessanter, als zeitweise selbst er, der so früh wie kaum ein anderer Katholik das »Gespräch der Feinde« gefordert hatte, an der »Karolingischen Internationale« partizipierte und damit seinerseits »reichsdienstpflichtig« blieb. Ich thematisiere nicht zuletzt das karolingische West- bzw. Rheineuropa, also das – noch für die EU zentrale – Deutsch-Französische Europa, war und ist doch die »deutschfranzösische Verständigung« die conditio sine qua non der Europäischen Vereinigung: der Ausgleich zwischen »Germanismus« und »Latinité« bzw. der Abbau der jahrhundertealten jeweiligen Hegemonialbestrebungen. Natürlich ist auch das Konzept eines Französischen Europa ihnen zuzurechnen gewesen; denn Germanozentrik und Frankozentrik waren – im Abstand betrachtet – weithin identisch, mit der Pointe, daß die jeweiligen Extremisten voneinander lernten. Ich beschließe dieses Kapitel mit der Analyse des »Gaullistischen« Europa-Konzepts der sechziger Jahre, nicht zuletzt, weil in ihm Schmittsche Überlegungen nochmals eine bedeutende Rolle spielten: eine spezifische Vorstellung vom »Europäischen Großraum«, wie ihn der NS-Völkerrechtler zuerst entworfen und damit noch den Widerständler Goerdeler und den ersten EWG-Präsidenten Walter Hallstein inspiriert hatte, wie später dann die »deutschen Gaullisten« um Franz Josef Strauß.

Im letzten Kapitel stelle ich schließlich die Wandlungen des Reichsgedankens im Nationalsozialismus dar. In seiner Entstehungsphase diente Schmitts sich so defensiv gebende »Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte« den nationalsozialistischen Weltreichsambitionen an, also dem »Dritten Reich« – das sich nach den ersten Blitzsiegen nur noch »Das Reich« nannte und somit unverhohlen seinem Monopolanspruch Ausdruck gab. Römisch bzw. vergilisch auf nationalsozialistische Art formulierte Schmitt damals: »Die Tat des Führers hat dem Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen. – ›Ab integro nascitur ordo.‹« Konsequent knüpfte das (Dritte) Reich aber auch an das mittelalterlich-deutsche, selbst römische Reich an. Heer hatte nur zu sehr recht, als er, früh die abendländische Restauration der Adenauer-Zeit erkennend, urteilte: »Der Totalstaatsversuch Hitlers läßt sich nur von reichischen Bezügen her verstehen – aus der Perversion, gewiß, aber auch aus der echten Nachfolge des alten Sacrum Imperium.« Jenes Sacrum Imperium, dessen »erster Dichter-Prophet« Vergil war: der »Prophet des Weltimperiums«. Mit dieser Passage endet das Buch, so wie es mit einem Carl-Schmitt-Zitat aus dessen Begriff des Politischen medias in res geht. Dies ist nur eine stilistische Eigenschaft, die den Band als wissenschaftlichen Essay ausweist. Unter anderem sein Materialreichtum macht ihn zum Collage- Essay, eine Darstellungsform, die ich 1979 in meinem in Hildesheim erschienenen Buch Der Collage-Essay. Eine wissenschaftliche Darstellungsform. Hommage à Walter Benjamin entwickelt und begründet habe.

Beim vorliegenden Band handelt es sich, wie eingangs bereits erwähnt, um eine leicht gekürzte und aktualisierte Wiederauflage, wobei das »Wieder« zu betonen ist: Das Buch soll als eines der siebziger Jahre erkennbar bleiben, gerade weil ich überzeugt bin, daß 1989 – was die Mythisierung des diachron wie synchron weltweiten Ost-West-Konflikts angeht – keine Zäsur darstellt. Nicht zuletzt das haben der 11. September 2001 und die Reaktionen auf ihn bewiesen; selbst die Kreuzzugsvokabel ist sofort wieder zur Stelle gewesen.*

Auch neuere Sekundär-Literatur habe ich kaum in die Zweitauflage eingearbeitet. Um so mehr möchte ich hier nachdrücklich hinweisen auf: Dagmar Pöpping, Abendland. Christliche Akademiker und die Utopien der Antimoderne 1900–1945, Berlin 2002 sowie last not least auf: Noam Chomsky, War against people. Menschenrechte und Schurkenstaaten, Hamburg/Wien 2001.

Richard Faber

Aus Anlass der dritten Auflage verweise ich auf: Volker Weiß, Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart, 2017; Richard Faber und Olaf Briese (Hrsg.), Heimatland, Vaterland, Abendland. Über alte und neue Populismen, Würzburg, 2018; Richard Faber, Hopfen und Pfalz, Gott erhalts. Historische Reflexionen und persönliche Erinnerungen aus Anlass europaweiter Reregionalisierung und Renationalisierung, Würzburg, 2019.

*Was den Kulturbetrieb angeht, verweise ich auf die drei großen ›abendländischen‹ Ausstellungen (und ihre Kataloge): »Europas Mitte um 1000«, »Otto der Große. Magdeburg und Europa« und – bereits im Jahr 2000 – »Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos«.

*Die ersten zwanzig Jahre nach dem 2. Weltkrieg waren unverhältnismäßig katholisch bestimmt. Vgl. H. Maier (Hrsg.), Deutscher Katholizismus nach 1945. Kirche – Gesellschaft – Geschichte, München 1964 sowie kritisch G. Kraiker, Politischer Katholizismus in der BRD, Stuttgart 1972.

*Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi erklärte sogar am 26. September 2001 in Berlin: »Der Westen wird weiterhin Völker erobern, so wie es ihm gelungen ist, die kommunistische Welt und einen Teil der islamischen Welt zu erobern« (zit. nach Frankfurter Rundschau vom 28.9.2001).

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