Kitabı oku: «Die Hirntod-Falle», sayfa 2

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MEHR ORGANE DURCH VERZICHT AUF ZWEITE HIRNTOD-UNTERSUCHUNG

In vielen Kliniken der USA wird eine zweite Hirntod-Untersuchung durchgeführt, die auf den Richtlinien beruht, die 1995 von der »American Academy of Neurology« (AAN) herausgegeben wurden. 2012 revidierte die AAN ihre Richtlinien und empfahl, dass eine einzige Hirntod-Untersuchung genügt, um den Hirntod festzustellen. Begründet wurde diese Entscheidung u. a. damit, dass Angehörige innerhalb der Wartefrist zwischen der ersten und zweiten Untersuchung zu einer ablehnenden Einstellung gegenüber einer Einwilligung zu einer Organentnahme kommen können.

»Falls es eine der Ziele des im Bundesstaat New York geltenden Gesetzes war, über mehr Organe für die Transplantation verfügen zu können, dann ist die Erfordernis von zwei Hirntod-Untersuchungen eindeutig ein Hindernis, jedenfalls wenn längere Zeitabstände zwischen beiden Untersuchungen liegen«, sagten die Autoren des Vorworts Dr. Gene Sung und Dr. David Greer.11

Bei hirntoten Patienten ist eine zweite Hirntoduntersuchung, um den Tod festzustellen, nicht nur unnötig, sondern sie könnte auch zur unerwünschten Konsequenz führen, dass die Familienmitglieder sich eher gegen eine Organspende des Patienten aussprechen, wie es eine Studie nahelegt, die in der Zeitschrift Neurology veröffentlicht wurde.

Dr. Dana Lustbader, Leiterin der Palliativ-Medizin am North Shore University Hospital und Autorin der Studie schreibt in einer E-Mail: »Eine einzige Untersuchung reicht aus, um den Hirntod zu diagnostizieren und sollte medizinischer Standard sein. Es gibt einfach keinen Vorteil für eine zweite Untersuchung. Keinen einzigen.«

Die Verfasser der Studie überprüften die Krankenakten von 1.311 Patienten in den Jahren zwischen 2007 und 2009 in 88 Kliniken in New York. Wenn sich der Zeitabstand zwischen erster und zweiter Hirntoduntersuchung verlängerte, stieg auch Wahrscheinlichkeit an, dass die Familie die Organspende verweigerte – von 23 % auf 36%, das ergab die Studie.

Befürworter der neuen Regelung ist auch das im vorigen Kapitel zitierte »New York Organ Donor Network«.

Nach Auskunft der »National Institutes of Health« warten in den USA mehr als 105.000 Menschen auf eine Organtransplantation.

»HIRNTOD« – DER TOD BEI BEDARF

Manche Formulare und Dokumente bekommt der Normalsterbliche, wenn überhaupt, nur selten zu Gesicht oder erst dann, wenn es zu spät ist. Dazu zählt die Todesbescheinigung. Sie ist in Deutschland im Rahmen des Bestattungswesens Angelegenheit der Bundesländer. Das erklärt auch das Phänomen, dass die Texte in den 16 Bundesländern z. T. unterschiedlich sind. Was dazu auf den Formularen von Nordrhein-Westfalen zu lesen ist – kann, je nach Interessenlage – unterschiedlich interpretiert werden.

Wäre es nicht toternste Wirklichkeit was auf dieser Todesbescheinigung zu lesen ist, könnte der geneigte Leser verwundert zu dem Schluss kommen, es handele sich um einen makaberen Scherz, was noch schlimmer wiegen würde, um eine vorsätzliche Täuschung. Da sind unter der Rubrik »Sichere Todeszeichen« zunächst zutreffend und korrekt die Positionen »Totenflecken, Totenstarre, Fäulnis« aufgeführt, schließlich aber auch »Hirntod«.

Um es in aller Kürze vorweg zu sagen: Der sogenannte Hirntod ist nicht der Tod des Menschen, sonst würden dem als Hirntod diagnostizierten Patienten keine lebendfrischen Organe mehr entnommen werden können, die in einem anderen Körper weiterleben. Das lässt sich, wie wir später sehen werden, auf jeder Ebene belegen. Erschwerend kommt hinzu, dass der weitaus größte Teil der Ärzteschaft nicht qualifiziert ist, den »endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Stammhirns«, wie es im Transplantationsgesetz (TPG) von 1997 heißt, zu diagnostizieren. Der Patient stirbt letztlich erst durch die Hand des Chirurgen nach Entnahme der Organe und Abstellen der Beatmung.

In einem anderen Formular, keineswegs so geheim wie die Todesbescheinigung, geht man noch einen Schritt weiter und verzichtet selbst auf den Begriff »Hirntod«, sondern spricht vom »Tod«. Dabei handelt es sich um den offiziellen »Organspendeausweis« mit Aufdruck des Bundesadlers, herausgegeben von der »Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung« BZgA im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Dort heißt es im Kleingedruckten auf der Rückseite: »Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Geweben zur Transplantation in Frage kommt, erkläre ich: …«

Obwohl der Begriff »Hirntod« im TPG nicht zu finden ist, wohl aber der Begriff »Leichnam« nach erfolgter Organentnahme (§ 6 Abs. 2 TPG), hat er durch die amtliche Todesbescheinigung, nicht nur eine folgenschwere Konsequenz für die ungeschützten sterbenden Patienten, sondern auch für Angehörige, wenn sie Ihre Zustimmung zu einer Organentnahme verweigern, dennoch den Wunsch haben, den Patienten weiter intensivmedizinisch betreuen zu lassen, wie folgendes Beispiel zeigt.

WER ZAHLT, WENN DER HIRNTOTE WEITERLEBT?

Dabei handelt es sich um seltenen Fall und eine komplizierte Rechtslage. Da der Hirntod als der Tod des Menschen gilt und dieser auch auf der Todesbescheinigung eingetragen wird, erlischt damit das Vertragsverhältnis mit der Krankenversicherung des so zu Tode definierten Patienten. Das bestätigte dem Verfasser auch der GKVSpitzenverband mit den Worten: »Die Zuständigkeit der Krankenkasse endet mit dem Hirntod, so wie Sie auch geschrieben haben. Danach beginnt die Zuständigkeit des Transplantationsgesetzes.

Wird ein Mensch (potenzieller Organspender) im Hinblick auf eine mögliche Organspende im Krankenhaus nach seinem Tod (Hirntod) weiter versorgt, ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) für die Vergütung zuständig. Das Krankenhaus kann seine Leistung mit der DSO über die vereinbarten Pauschalen abrechnen.

Wenn aber der Patient einen Widerspruch dokumentiert oder die Angehörigen eine Organentnahme verweigern und der Patient nach dem »Hirntod« weiterlebt, können Angehörige zur Kasse gebeten werden, da offenbar kein Kostenträger mehr zur Verfügung steht – und das kann, wie bereits geschehen, sehr teuer werden.

In einer TV-Dokumentation der Fernsehjournalistin Silvia Matthies, ausgestrahlt im Bayerischen Rundfunk am 11. 06. 2012, 23:34 Uhr, wird ein solcher Fall vorgestellt. Auf der Sendungshomepage heißt es u. a:

DER FALL EINER FALLE

»Das Drama beginnt, als Horst L. (Name dem Autor bekannt) seine goldene Hochzeit feiert. Beim abendlichen Festessen verschluckt er sich, durch Luftnot kommt es zum Herzstillstand, der 73-jährige muss reanimiert werden. Horst L. kommt – künstlich beatmet – auf die Intensivstation. Sein Zustand ist lebensbedrohlich, eine Prognose aber schwierig.« Der Patient wird an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet, ohne das Wissen der Ehefrau und unter Verzicht ihrer Zustimmung eine Hirntod-Diagnose durchgeführt. Als der Oberarzt der Intensivstation die Ehefrau schon am nächsten Morgen vor die Alternative stellt: Abbruch der künstlichen Beatmung oder Organspende ist sie entsetzt und lehnt ab, Denn ihr Mann hatte einen ausgeprägten Lebenswillen und sie wollte alles für ihn tun. In dieser Ausnahmesituation wehrt sich die Ehefrau gegen die Einstellung der Therapie und unterschreibt unter Druck ein Schriftstück, in dem ihr – quasi als Sanktion – die Behandlungskosten ab dem Zeitpunkt der Hirntod-Diagnose aufgebürdet werden. Das könnte man als einen Fall einer Falle bezeichnen.

In der Folge kommt es weiter zu einem Nervenkrieg zwischen dem Intensivarzt und der Familie. Schließlich drängt der Arzt darauf, dass das Betreuungsgericht das Abstellen der künstlichen Beatmung verfügt. Doch der Richter lehnt ab. Über 20 Tage lebt Horst L. weiter an der Beatmung bis er schließlich wirklich stirbt.

Die Intensiv-Behandlung des durch die Hirntoddiagnose für tot erklärten Patienten kosten »nach seinem Tod« 26.500 Euro (pro Tag etwa einen Tausender). Dafür kommt nun kein Kostenträger mehr auf. Die Familie verweigert zunächst die Zahlung und zieht vor das Landgericht Mainz. Wegen der zu erwartenden hohen Anwalts- und Gerichtskosten lassen sich die Kläger schließlich auf einen Vergleich ein, 10.000 Euro in Raten zahlen zu müssen. Auch diese Summe überfordert die Familie. Schließlich milderte das Ergebnis eines Spendenaufruf von KAO (Kritische Aufklärung über Organtransplantation) die finanzielle Belastung.

Dass ein hirntoter Patient u. U. noch weiterlebt – und das ist nicht ungewöhnlich – zeigt ein aktueller tragischer Fall einer 13-jährigen hirntoten Patientin in Kalifornien, die über zwei Jahre lang durch künstliche Beatmung am Leben erhalten wurde.12

Wer einer solchen Hirntod-Falle entkommen will, dem sei geraten, in seiner Patientenverfügung ausdrücklich einer Hirntod-Diagnose zu widersprechen. Sie ist u. U. schmerzhaft, kann, wie das beschriebene Beispiel zeigt, zu erheblichen finanziellen Verlusten führen. Ein weiteres gravierendes Problem besteht außerdem bei der spendezentrierten Lebensverlängerung darin, dass sie in seltenen Fällen zur Ausbildung eines appalischen Syndroms (Wachkoma) führen kann, indem der Patient wieder selbstständig atmen und schlucken kann.

Sollte unter Verzicht einer schriftlichen Einwilligung des Patienten oder der Zustimmung eines Betreuers dennoch eine Hirntod-Diagnose durchgeführt werden, bleibt der Klageweg gegenüber den Ärzten oder der Klinik. Denn jeder ärztliche Eingriff erfordert eine Information über die Folgen des medizinischen Eingriffs und eine Zustimmung des Patienten oder dessen Betreuer. Wird darauf verzichtet, handelt es sich um den Straftatbestand einer Körperverletzung.

IST DIE »HIRNTOD«-DIAGNOSE SCHMERZHAFT?

»Unsere Schwestern haben einen Riesenschreck bekommen, als sie von Patienten, die nach den Hirntodkriterien definitiv tot waren, beim Kopfkissenbetten umarmt wurden.«

Detlef B. Linke (1945 – 2005), Die Welt, 05. 09. 1995/Linus Geisler, Ausschussdrucksache des Deutschen Bundestages 13/114, S. 36 – 43.

Ist die »Hirntod«-Diagnose schmerzhaft? Bevor diese Frage beantworten werden kann, stellt sich zunächst eine andere heikle Frage – nach der Erlaubnis des Machbaren.

Präfinale Spenderkonditionierung

Eine Hirntoddiagnose wird in der Regel im Interesse Dritter gestellt. Das wurde im Zusammenhang mit der Novelle des Tranplantationsgesetzes von 201213 wiederholt gefordert, damit mehr Organe beschafft werden. Die Hirntoddiagnose berührt aber den Straftatbestand einer Körperverletzung, es sei denn, der Patient hat in einem einwilligungsfähigen Zustand nach vorheriger Aufklärung ihr zugestimmt. Erschwerend kommt hinzu, der Patient muss, um eine solche Diagnose zu ermöglichen, konditioniert werden und zwar in einem Zustand, in dem er rechtlich gesehen noch als lebend gilt. Erst nach abgeschlossener Hirntoduntersuchung und wenn das Hirntodprotokoll vollständig ausgefüllt ist, gilt der Patient als tot, obwohl sein Zustand sich in der Regel nicht verändert hat.

Während der Dauer der zeitlich getrennten zweimaligen Hirntoddiagnose muss auf die Behandlung des Patienten mit Schmerz-, Beruhigungsmitteln und Muskelrelaxantien verzichtet werden, wohl wissend, dass der Patient unter Umständen Schmerzen erleidet. Diese Situation wäre beispielsweise vorstellbar bei einem verunglückten Motorradfahrer, der als potenzieller »Organspender« geeignet erscheint. Dann hätte der Patient womöglich nicht mehr die Chance auf eine Behandlung, die seinem Wohl dient. Bei bloßem Verdacht auf Hirntod würde dann schon auf Schmerzmittel verzichtet, unabhängig davon, ob der Verletzte Schmerzen leidet oder nicht. Der fachliche Hintergrund ist, dass die zuvor genannten Arzneimittel abgebaut sein müssen, bevor eine Hirntoddiagnose gestellt wird. Anderenfalls wäre das Ergebnis der Diagnose gefälscht. Auch nach den Richtlinien der Bundesärztekammer müssen Medikamentenwirkungen zur Durchführung einer Hirntoddiagnostik ausgeschlossen sein.

Der Verzicht auf Schmerzmitteltherapie bei bloßem Verdacht auf Hirntod ist nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch zu bewerten. Ärzte, die auf Schmerzmitteltherapie im Interesse Dritter, zugunsten einer reibungslosen zeitnahen Organentnahme verzichten, verletzen damit sträflich ihre ärztliche Fürsorgepflicht gegenüber dem komatösen Patienten im Todeskampf.14 Die klinische Medizin verzichtet allerdings auch in anderen Fällen kurzfristig auf Schmerzmittelgaben und Sedativa bei Patienten, die ähnliche Verletzungsmuster aufweisen wie die zur »Organspende« vorgesehenen Menschen, um zu sehen, wie sie reagieren, ob sie wieder zum Bewusstsein kommen. Das geschieht aber nicht im Interesse Dritter.

»Hirntod«-Diagnose im Interesse Dritter

Die klinische »Hirntod«-Diagnose an dem komatösen Patienten kann, je nach Zustand des Betroffenen, ein schmerzhafter Prozess sein – wie gesagt, obligatorisch unter Verzicht auf Schmerzmittel. Es ist ein nicht indizierter Eingriff, der in der Regel der Organbeschaffung dient. Angehörigen, die über die Schritte einer Hirntoddiagnose aufgeklärt werden sollten, wird nicht selten diese Information vorenthalten. Die klinischen Untersuchungen können u. a. folgende Tests beinhalten: Provokation der Augenhornhaut mit einem Fremdkörper, testen des Pupillenreflexes durch Lichteinfall, Stechen in die Nasenwand, Reizen des Rachenraums mit einem Gegenstand zum Testen des Würge- und Hustenreflexes, schnelles Drehen oder Kippen des Kopfes, Setzen eines heftigen Schmerzes zur Reizung von Reflexen, Reizung des Bronchialraums durch Absaugkatheter, festes Drücken der Augäpfel, Gießen von Eiswasser in die Gehörgänge.

Am Ende muss der Arzt einen Apnoe-Test durchführen. Die Bundesärztekammer empfiehlt, diesen Test zuletzt zu machen, »wegen der physiologischen Folgen der Hyperkapnie« – des CO2-Überschusses in einem Körper mit Sauerstoffmangel. Die Beatmung wird abgestellt, um zu beobachten, ob der Patient noch selbst Luft holt, wenn die Erstickung einsetzt. Dazu schreibt der brasilianische Neurologe Cicero Coimbra, dieser Test könne zu einem Kollaps der Blutzirkulation im Hirn, auch zum Herzstillstand führen. Potenzielle Folge sei dann ein unwiderruflicher Hirnschaden. International wird darüber diskutiert, dass organprojektive Maßnahmen das Risiko bergen, dass ein Patient in ein Wachkoma fällt, bevor der Hirntod diagnostiziert ist oder dass präfinale Patienten, die einen Herzstillstand erleiden, reanimiert werden, damit danach der Hirntod und dadurch wieder die Organentnahme möglich wird.

Wenn auch ein Teil des Repertoires zu den normalen neurologischen Tests zählt, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Interesse einer Organentnahme dazu keine Einwilligung des Betroffenen vorliegt, geschweige denn, zuvor darüber aufgeklärt wurde. Wer jemals solche Prozeduren in einer Filmaufnahme gesehen hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Patient wie ein »Werkstück« behandelt wird.

Die Koma-Forschung zeigt: Der Patient reagiert auf ein schweres, schockartiges Erlebnis mit einer tiefgreifenden gesamtkörperlichen Stilllegung, einer Hemmung, einem »Totstellreflex« oder einer »Katastrophenreaktion«. Sein intuitives Verhalten kann dann lebensbedrohliche Folgen haben, wenn er sich bei einer invasiven Hirntod-Diagnose aus Furcht davor tot stellt.15 Der untersuchende Arzt findet dann u. U. bei einem regungslosen Patienten das bestätigt, was er erwartet hat.

Andererseits zeigen als hirntot diagnostizierte Patienten durchaus noch sichtbare Lebenszeichen. Der als »Lazarus-Zeichen«16 bezeichnete spinale Reflex macht deutlich, dass der Patient noch lebt. Wenn ein Hirntoter eine Krankenschwester umarmt – wie geschehen – kann es sich um einen solchen Reflex handeln, dem Transplantationsmediziner allerdings keine besondere Bedeutung beimessen. Heute weiß man aber, dass das Rückenmark als integraler Bestandteil des Zentralnervensystems Sensibilität und Motorik des Körpers steuert. Aktivitäten des Körpers und andere Fähigkeiten setzen keineswegs und ausschließlich eine intakte Gehirntätigkeit voraus. Wie Forschungen zeigen, dienen das Rückenmark und der Vagusnerv als eine Art Standleitung für die Kommunikation zwischen dem Kopfhirn und dem »zweiten Hirn«, dem »Bauchhirn«. Wenn landläufig von »Bauchgefühl« die Rede ist, das nicht selten als Entscheidungshilfe dient, könnte man auch an eine umgekehrte Reihenfolge denken. Dieses zweite Gehirn, so haben Neurowissenschaftler herausgefunden, ist quasi ein Abbild des Kopfhirns – Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren sind exakt gleich.17 Wenn also Vertreter der BÄK behaupten, der Ausfall des Gehirns eines Menschen bedeute »schließlich den Verlust der unersetzlichen physischen Grundlage seines leiblich-geistigen Daseins in dieser Welt«18 und sei deshalb ein sicheres Todeszeichen, spricht das für eine sehr verengte Sicht auf den menschlichen Körper.

Wie sicher sind »Hirntod«-Diagnosen?

Eine Hirntoddiagnose setzt viel Erfahrung voraus, sicher muss sie dennoch nicht sein, soweit auf apparative Untersuchungen verzichtet wird. Das Fachwissen für diese Diagnose scheint nicht in jeder Klinik vorhanden zu sein, wie eine Studie in Niedersachsen zeigt. Das zumindest beklagte der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte (VLK), Prof. Dr. Hans-Fred Weiser, 2006 im Deutschen Ärzteblatt. Er kritisierte die Reduzierung fester, mobiler Spezialteams für die Hirntoddiagnostik aus Kostengründen. 2004 hatte die Deutsche Stiftung Organtransplantation beschlossen, den Bereitschaftsdienst für die mobilen Ärzteteams abzuschaffen, die vor allem in den kleinen Krankenhäusern den Hirntod eines hirngeschädigten Patienten feststellen sollen.

Seit Anfang 2006 wurden nun die Konsiliar-Teams pauschal pro Einsatz bezahlt. »Die Folge ist, dass keine festen Teams mehr zu Verfügung stehen«, sagte der ehemalige Leiter des mobilen Konsiliarteams der Region Nord, Prof. Dr. Hermann Deutschmann (1949 – 2014).19 Stattdessen müssten die Teams von Fall zu Fall nach dem »Lasso-Prinzip« zusammengestellt und »eingefangen werden«. »Da geht viel Zeit verloren. Wird der Hirntod zu spät festgestellt, sind die Organe verloren«, sagte der leitende Oberarzt vom Klinikum Hannover-Nordstadt.20 Ähnlich sieht das auch der VLK-Präsident Weiser: »Es klappt – aber auf fraglichem Niveau«.21

Niedergelassene Neurologen, die seit Jahren kein Beatmungsgerät mehr gesehen haben

Die DSO greife vermehrt auf niedergelassene Neurologen zurück, die aber keine aktuellen Erfahrungen mit der Arbeit auf Intensivstationen hätten. »Ein Niedergelassener, der seit Jahren kein Beatmungsgerät mehr gesehen hat, kann nicht einfach Apnoe-Tests22 durchführen oder den Hirntod diagnostizieren.« Zudem kümmere sich die DSO nur noch eingeschränkt um die Qualität der vormals zum Teil zertifizierten Spezialteams. »Die Untersucher bescheinigen sich die Qualität jetzt selbst und machen sich so zu Experten«, so Weiser. Bei der DSO wollte man hingegen von den Problemen nichts wissen. Laut dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der DSO, Kirste, sei das Ganze seit 2000 bundesweit geregelt.

In über einem Drittel der Fälle wurde ein Hirntod fälschlicherweise vermutet

Wie oben bereits erwähnt, untersuchte der Neurologe Prof. Dr. Deutschmann in einer internen Studie über die DSO-Regionen Mitte und Nordost, wie sicher die Hirntoddiagnostik in den Kliniken in der Region sei. Das Ergebnis war: »Nicht selten werde zudem der Hirntod von den Ärzten in kleineren Krankenhäusern, aber auch in Unikliniken fälschlicherweise vermutet oder nicht exakt nach den Regeln der Bundesärztekammer festgestellt. Das Team der Deutschen Stiftung Organtransplantation aus Niedersachsen etwa habe bei knapp 50 Untersuchungen in 21 Fällen den Hirntod nicht sichern können.«23

Das entspricht mehr als einem Drittel der Patienten. Es ist wahrscheinlich, dass diese potenziellen »Organspender« Stunden vorher keine Schmerzmittel mehr bekommen haben. Wenn also ein Hirntod nur vermutet und über entsprechende Diagnosen nicht seriös aufgeklärt wird, nimmt man billigend in Kauf, dass das Unwissen gutwilliger Menschen im Interesse der Organbeschaffung ausgenutzt wird. Wenn Angehörige zur Freigabe des Patienten gebeten werden, geschieht das zudem noch unter Ausnutzung des vagen Begriffs »mutmaßlicher Wille«.

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22 aralık 2023
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