Kitabı oku: «Tod in der Viamala», sayfa 2

Yazı tipi:

Julia hörte regungslos zu und war gespannt, was folgen sollte.

«Ich denke nach wie vor, dass der Verstorbene den Hasen im Schlaf selbst umgebettet hat, auch wenn ihr beide der Ansicht seid, er sei dazu nicht in der Lage gewesen.» Der Vorwurf war nicht zu überhören. «Es ist zu befürchten, dass die Tochter des Verstorbenen, Silvia Häberli-Mazzotta, ebenfalls ein Theater veranstalten wird, wenn sie ihren Vater sieht. Sie wusste, dass er den Hasen immer so platziert haben wollte, dass er ihn nicht anschauen musste. Sie hat sich darüber amüsiert, wie er jeweils wetterte, er habe lieber den Hintern des Hasen im Gesicht, il culo, als in diese dämlichen Knopfaugen blicken zu müssen.»

Ihre beiden Angestellten nickten einträchtig.

Die Vorgesetzte war noch nicht fertig: «Der Arzt kann eine unnatürliche Todesursache nicht ausschliessen, obwohl alles nach friedlichem Einschlafen aussieht. Frau Häberli könnte darauf beharren, dass die Umstände restlos geklärt werden. Das wäre ein Desaster für das Altersheim, egal, ob dabei etwas herauskäme oder nicht. Deshalb ist es wohl gescheiter, wenn wir die Polizei selbst einschalten.»

Yes!, jubelte Julia innerlich. Sie liess sich nichts anmerken, sondern nickte nur. Als sie endlich zu ihrer Arbeit zurückkehren konnte, waren ihre Schritte leicht, was auch Rösli Sjögren nicht entging, die mit ihrem Rätselheft in der Sitzecke sass.

«Jetzt gefallen Sie mir schon besser als heute Morgen, Julia», sagte sie zur Pflegerin. «Haben Sie sich vom Auffinden des verstorbenen Mazzotta erholt?»

Julia lächelte sie an. «Seine Tochter sollte jeden Augenblick kommen. Kennen Sie sie?», fragte sie Rösli.

«Ich habe sie hie und da gesehen, als sie zu Besuch kam. Schön wie ihre Mutter, mit den dunklen Augen ihres Vaters.» Rösli überlegte weiter. «Jetzt wird sie seine Beerdigung organisieren müssen. Ob sie ihn wohl kremieren lässt? Dann wird es ein paar Tage länger dauern bis zur Beisetzung.»

«Das wird es so oder so.» Julia hätte sich die Zunge abbeissen können. Warum war ihr das herausgerutscht? Sie fluchte innerlich.

Rösli bestätigte ihre Befürchtungen postwendend. «Ach? Und weshalb dauert es länger?»

Die Pflegerin wand sich, aber sich gegen die hartnäckige Bewohnerin behaupten zu wollen, war ein aussichtsloses Unterfangen. Als sie sich endlich losreissen konnte, wusste Rösli, dass Mazzottas Tod von der Polizei untersucht würde. Rösli gab sich nur wenig Mühe zu verbergen, dass sie sich über diese Wendung freute. Was für ein Skandal! Die nächsten Tage versprachen gute Unterhaltung im Altersheim.

2

Am nächsten Morgen stieg Walter Buess umständlich aus dem Wagen. Zuerst schob er das verletzte linke Bein zur Tür hinaus, dann stellte er die Krücken daneben, zuletzt hievte er seinen Körper in die Senkrechte. Hatte er das endlich geschafft, war ihm bereits ein ordentliches Repertoire an Verwünschungen durch den Kopf gegangen. Er fluchte, weil er an jenem Frühlingstag geglaubt hatte, etwas Sport würde ihm nicht schaden. Weil er sich ausgerechnet fürs Velofahren entschieden hatte. Weil er den Frostschaden im Strassenbelag zu spät gesehen hatte und gestürzt war. Weil die schmerzhaften Prellungen nicht alles waren, sondern sein linkes Knie beschädigt war, und zwar so schlimm, dass eine Operation nötig und er drei Monate krankgeschrieben war.

Er weigerte sich, das Positive an der Sache zu sehen: Der Arzt erlaubte ihm mittlerweile, drei Stunden pro Tag im Büro zu arbeiten und mit einem Auto mit Automatik zu fahren, und die Kantonspolizei stellte ihm sogar ein solches zur Verfügung. Stattdessen schimpfte er, weil er nicht einmal fünfzig Prozent arbeiten durfte, weil er zum Innendienst verurteilt war und weil es im Auto keinen CD-Player gab.

Er schreckte zwar bis anhin davor zurück, geistig eine Tirade über seine Frau Sidonia zu ergiessen, viel fehlte dazu indessen nicht mehr. Erstens, weil sie ihm jeweils genau diese positiven Aspekte vorhielt. Zweitens, weil sie nicht allzu zimperlich mit ihm umging und, ihrer Natur entsprechend, kein grosses Trara um seine Verletzung machte. Hätte sie das getan, hätte er sich freilich darüber geärgert, aber ein wenig Trost hätte es allemal bedeutet. Drittens war er für alles und jedes auf die Hilfe seiner Frau angewiesen, was sein Stimmungsbarometer tief sinken liess. Sidonia konnte er mit seinem Gejammer nicht aus der Ruhe bringen, was ihn erst recht auf die Palme brachte. Ebenso wenig hielt sie ihm vor, dass sie wegen seines dummen Unfalls ihren Aufbruch nach Moldawien hatte verschieben müssen, wohin sie ein-, zweimal pro Jahr für ein paar Wochen verreiste, um ein Hilfsprojekt zu betreuen. Dadurch fühlte er sich in ihrer Schuld, womit er schlecht umgehen konnte. Fast wäre ihm lieber gewesen, sie hätte sich beklagt, dann hätte er sie zurechtweisen können.

Inzwischen war er beim Haupteingang angekommen, wo er dem Architekten die Pest wünschte, weil dieser keine automatische Tür eingeplant, sowie dem Kanton Graubünden im Allgemeinen, weil dieser die Finanzen dazu nicht bereitgestellt hatte. Dass derselbe Architekt einen behindertengerechten Empfangsschalter eingebaut und derselbe Kanton diesen bezahlt hatte, wusste er nicht zu schätzen. Er humpelte in sein Büro, wo er sich, keuchend wie ein Brauereipferd, in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen liess.

«Guten Morgen, Walter!», begrüsste ihn seine Bürokollegin Meta Schäfer. «Soll ich dir einen Kaffee holen?»

Diese Frage brachte ihn erneut in Rage, weil ihm der Atem fehlte, um sofort zu antworten, was Meta nicht entging. Und jetzt lachte ihn diese Hexe auch noch aus. «Ja!», japste er endlich. Für ein «gerne» reichte sein Schnauf nicht.

Als sie mit zwei dampfenden Bechern zurückkehrte, hatte sich sein Puls beruhigt. «Was läuft heute?», fragte er zwischen zwei Schlucken.

«In zehn Minuten haben wir Besprechung mit der -kova. Es geht um den Fall Mazzotta.»

Buess verdrehte die Augen. Lieber hätte er sich mit Meta allein darüber unterhalten. War die Staatsanwältin dabei, verlief die Sitzung förmlich, und alle waren zurückhaltend mit ihren Vermutungen.

Meta Schäfer zauderte etwas, bevor sie mit der heiklen Nachricht herausrückte. «Bis jetzt steht nicht fest, ob er wirklich ermordet wurde. Das zeigt sich erst bei der medizinischen Untersuchung des Leichnams. Vorerst wird er als ungeklärter Todesfall eingestuft, das heisst, wir beginnen zu ermitteln», berichtete sie. «Und dafür will sie mir einen zusätzlichen Polizisten zur Seite stellen. Da du nicht voll einsatzfähig bist, findet sie, es brauche eine weitere Person, um den Fall zu bearbeiten.»

Buess’ Puls stieg in Lichtgeschwindigkeit auf das nächste Hoch. «Was erlaubt sich diese …», rief er händeringend. «Glaubt sie, wir schaffen das nicht? Was meint die hochnäsige, eingebildete …»

«Wenn du möchtest, dass sie hierherkommt, rufst du sie besser an, anstatt herumzubrüllen, dass man dich bis auf die Strasse hört», warf Meta trocken ein. «Jetzt warten wir erst einmal ab, was sie zu sagen hat. Dann sehen wir weiter.»

Eine halbe Stunde später wussten sie, was die Staatsanwältin vorhatte. Meta Schäfers Herzschlag hatte sich jenem von Buess angeglichen, sie kochte vor Wut. «Ich sage es dir nochmals klipp und klar», sagte sie. «Mit Domenig werde ich nicht zusammenarbeiten!»

«Ich mache es ein für alle Mal deutlich: Deine persönlichen Sympathien und Antipathien stehen hier nicht zur Diskussion!», erwiderte Svetlana -kova. «Du musst in der Lage sein, die Sache über deine persönlichen Empfindungen zu stellen.»

Meta verschlug es die Sprache. Die Staatsanwältin unterstellte ihr mangelnde Teamfähigkeit? Ihr?

Buess griff ein. «Das ist nicht fair, Svetlana. Meta hat dir dargelegt, warum sie nicht mit Domenig zusammenarbeiten kann. Ich denke, du solltest ernst nehmen, was sie gesagt hat.»

«Dass Domenig ein Keule schwingender Steinzeitmensch ist, meinst du?», fragte Svetlana ironisch.

«Das hat sie nicht gesagt, sondern gebrüllt», berichtigte Buess. «Bevor es so weit kam, hat sie dir dargelegt, dass Domenig mit Frauen im Polizeidienst ein Problem zu haben scheint und eine Zusammenarbeit mit ihm bei der Aufklärung des Falls Mazzotta hinderlich ist.»

«Ich habe bei ihm noch nie frauenfeindliche Aussagen oder Handlungen festgestellt», wandte die -kova ein. «Dies im Gegensatz zu manchen anderen, mit denen ihr offenbar problemlos zurechtkommt.»

«Du redest von den lockeren Sprüchen eines Camenisch, Meuli oder Stgier, nehme ich an», mischte sich Meta wieder ein. Als Svetlana nickte, fuhr sie fort: «Das ist etwas anderes. Es ist ihre Art von Humor, ein Spiel. Sie provozieren, um eine Antwort zu erhalten, über die man gemeinsam lachen kann. In Tat und Wahrheit machen sie keinen Unterschied, ob Erfolge oder Misserfolge einem Mann oder einer Frau zuzuschreiben sind.»

Die Staatsanwältin schien alles andere als überzeugt, deshalb setzte Buess hinzu: «Genau so ist es, und es ist allen hier in der Abteilung klar, wie es auch allen klar ist, dass Domenig und Zwahlen ein echtes Problem mit Frauen im Polizeiberuf haben.»

«Das konnte ich bisher nie feststellen», wiederholte Svetlana.

«Natürlich nicht», sagte Buess. «Du stehst auf einer anderen Hierarchiestufe, sie können kaum offen deine Fähigkeiten in Frage stellen. Bei ihren ranggleichen Kolleginnen ist das etwas anderes.»

Die Staatsanwältin erhob sich, um das Fenster zu öffnen, und schaute einen Moment lang den Vögeln im angrenzenden Garten zu. Schliesslich kehrte sie zurück an den Tisch, wo sie stehen blieb. «Ich werde versuchen, Camenisch zu bekommen», sagte sie.

Buess und Meta atmeten hörbar auf. Sie rangen sich sogar zu einem «Danke!» durch, bevor sie das Sitzungszimmer verliessen.

Bis Walter Buess seine Krücken platziert hatte und sich in seinen Bürostuhl sinken liess, war der Kaffee, den Meta auf dem Rückweg im Pausenraum geholt hatte, beinahe kalt. Schweigend schlürften sie die Automatenbrühe.

«Bestimmt bereut sie jetzt, dass sie uns angeboten hat, sie zu duzen», vermutete Buess.

«Das Gespräch wäre wohl ruhiger verlaufen, wenn wir sie siezen würden», stimmte Meta zu. «Was sie jetzt wohl vorhat?»

«Sie wird versuchen, Camenisch zu bekommen, hat sie gesagt.»

«Ja, natürlich», sagte Meta ungeduldig. «Das meine ich nicht. Wird sie etwas unternehmen betreffend Domenig?»

«Kann ich mir nicht vorstellen», überlegte Buess. «Dazu müsste sie sich zu weit aus dem Fenster lehnen. So sicher sitzt sie nicht im Sattel, sie ist jung und noch nicht lange im Amt.»

Meta Schäfer nickte. «Ich frage mich, wie sie sich entwickelt. Wird sie genug Rückgrat haben, um unschöne Dinge anzupacken, oder wird sie sich anpassen, um ihre Karriere nicht zu gefährden?»

Die Frage blieb im Raum stehen, während sie ihren Kaffee tranken.

Dass die Polizei wegen Mazzottas Tod im Altersheim war, hatte sich rasch herumgesprochen. Während auf der Strasse noch gemutmasst wurde, die Polizei sei eingeschaltet worden, weil Mazzottas Besitztümer verschwunden seien, wusste Rösli längst, dass in seinem Zimmer nichts fehlte. Die Polizei war aus einem anderen Grund aufgekreuzt.

Als der Tote abgeholt wurde, war ihr klar, dass er nicht in den Aufbahrungsraum gebracht wurde, sondern in die gerichtsmedizinische Untersuchung. Das blutjunge Huhn befand sich aufgrund der Ereignisse so im Ausnahmezustand, dass es alle Regeln der Diskretion, die in seinem Beruf galten, vergass. Die Pflegerin sah sogar darüber hinweg, dass sie Rösli nicht ausstehen konnte, und erzählte ihr brühwarm, dass der Todesfall von der Polizei untersucht werde, weil der Verdacht auf Fremdeinwirkung bestehe.

«Er wird obduziert!», berichtete das Huhn. «Sie müssen herausfinden, woran er gestorben ist. Das ist gar nicht so einfach. Gewisse Gifte verflüchtigen sich, die lassen sich im Körper nicht nachweisen.»

«Meine Güte, wo haben Sie denn das her?», fragte Rösli. «Aus einem Spionagethriller?» Sie grinste innerlich, als die Pflegerin sich ertappt fühlte. «Glauben Sie, Mazzotta hat hier im Altersheim für die italienische Finanzpolizei spioniert?», setzte sie noch einen drauf.

Das Huhn reagierte eingeschnappt und erinnerte sich endlich wieder an die Antipathie zwischen ihm und der Alten im Lehnstuhl. Mit einer schnippischen Bemerkung zog es von dannen, was Rösli nicht weiter bedauerte. Sie registrierte befriedigt, dass Frau Schwarz, die Plaudertasche vom hintersten Zimmer, die neben ihr in der Sitzecke Platz genommen hatte, eingeschlafen war und sie nicht weiter stören würde. Rösli setzte sich zurecht, nahm ihr Rätselheft zur Hand und spitzte die Ohren. Die Polizisten befanden sich immer noch in Mazzottas Zimmer. Leider hatten sie die Tür geschlossen. Rösli verfluchte die gute Schallisolation des Neubaus, kein Ton drang nach draussen.

Es dauerte zwei Sudokus, bis sich die Tür endlich öffnete. Unter den heraustretenden Polizisten befanden sich einer mit einer Fotoausrüstung und einer mit einem Koffer in jeder Hand. Spurensicherung, vermutete Rösli aufgrund ihrer Kenntnisse aus Fernsehkrimis. Der letzte der Uniformierten verschloss die Tür und spannte ein Klebband darüber.

Sobald sich die Gruppe in ihre Richtung bewegte, bemühte sich Rösli, harmlos in ihr Rätselheft vertieft zu erscheinen und sich gleichzeitig nichts entgehen zu lassen. Als die Gruppe im Lift verschwunden war, liess sie sich die Gesprächsfetzen, die sie aufgeschnappt hatte, nochmals durch den Kopf gehen.

«Das Kissen muss auch in die kriminaltechnische Untersuchung, so könnte es allenfalls gemacht worden sein.»

«Oder mit dem Hasen, ja.»

«Wenn dieser Hase nicht gewesen wäre, hätte wohl niemand Verdacht geschöpft.»

«Ich bin immer noch alles andere als überzeugt, dass der Verdacht begründet ist.»

«Auf den ersten Blick sieht man ihm wirklich nichts an.»

«Wir werden es wissen, sobald sie ihn obduziert haben.»

Ihr schon, dachte Rösli, aber ich nicht. Sie würde sich etwas länger gedulden müssen, bis die Nachricht durchsickern und sich im Altersheim verbreiten würde.

Kurz vor der Mittagspause am nächsten Tag kehrten Meta Schäfer und Camenisch vom Altersheim auf den Polizeiposten zurück. Sogleich berichteten sie Buess, was sie in Erfahrung gebracht hatten.

«Die Todesursache steht noch nicht zweifelsfrei fest», begann Meta. «Vorläufig gehen wir davon aus, dass er getötet wurde.»

«Damit stellt sich uns die Frage: Whodunit?» Camenisch griff nach einem Schokoriegel auf Buess’ Schreibtisch, doch dieser beantwortete seinen fragenden Blick mit einem Kopfschütteln.

«Jemand vom Personal könnte ihn natürlich ohne Probleme umgebracht haben», machte Meta weiter. «Und zwar sowohl jemand, der Nachtschicht hatte, als auch jemand, der am Abend oder in der Nacht unbemerkt ins Heim kam und es nach der Tat wieder verliess. Wir haben bereits mit einigen Angestellten gesprochen. Sie sind oder geben sich völlig ahnungslos, es scheint ihnen nicht bewusst zu sein, dass sie die Gelegenheit zur Tat hatten und verdächtig sind.»

«Befragt ihr sie alle?», erkundigte sich Buess.

«Klar, was denkst du denn?», versetzte Camenisch. «Nach dem Mittagessen legen wir los. Die Angestellten sind aber nicht die einzigen, die die Gelegenheit hatten, ihn zu töten. Der Haupteingang ist jetzt im Sommer abends bis neun Uhr offen, danach wird abgeschlossen. Wer drin ist, kann sich irgendwo verstecken, es gibt genug Möglichkeiten: Sitzungszimmer, Putzräume, Wäscherei, Küche, wird alles nicht benutzt am Abend. Hinein kommt man nicht mehr nach neun, aber hinaus kommt man jederzeit, wenn man sich auskennt, denn im Keller gibt es einen Personaleingang mit Knaufzylinder.»

Buess schaute ihn etwas ratlos an. «Knaufzylinder?»

«Weisst du nicht, was das ist?», fragte Camenisch ungeduldig. «Schiebst du bei dir in Oberurmein einen Stein vor die Höhle? Ein Knaufzylinder! Von aussen braucht man einen Schlüssel, um das Schloss zu öffnen. Von innen muss man nur den Knauf drehen, ohne Schlüssel.»

Buess brummte etwas Unverständliches.

«Es gibt noch eine dritte Möglichkeit», erläuterte Meta. «Der Täter besucht irgendjemanden. Bevor er nach Hause geht, betritt er Mazzottas Zimmer und bringt ihn um. Das dürfte rasch erledigt gewesen sein, eine Sache von ein paar Minuten. Anschliessend bittet er jemanden vom Personal, ihn zum Haupteingang hinauszulassen. Das ist gang und gäbe.»

«Dass einer auf dem Heimweg rasch jemanden umbringt, meinst du?», warf Camenisch ein.

«Dass Besucher nach der Schliessung des Haupteingangs noch im Haus sind und vom Personal hinausgelassen werden», präzisierte Meta unwillig.

«Ach so.» Camenisch grinste. «Jedenfalls müssen wir das ganze Personal befragen. Das ist eine halbe Armee, weil viele Teilzeiterinnen mit kleinem Pensum sind. Gelangweilte Mütter, die nebenbei noch ein paar Stunden etwas tun.»

«Es reicht, Camenisch», wies ihn Buess zurecht. «Nimm dich zusammen und lass die blöden Bemerkungen bleiben.»

Camenisch grinste weiter. «Also, Schäfli, was machen wir beide am Nachmittag?», fragte er Meta.

«Du, rotzfrecher Kindskopf, wirst mir, Mutter dreier erwachsener Söhne, unendlich auf die Nerven fallen.» Sie verzog spöttisch das Gesicht. «Trotzdem werden wir beide miteinander funktionieren, weil du von allen Idioten deiner Art wenigstens der gescheiteste bist.»

Camenisch feixte, Buess lachte.

«Wir beide werden zusammen ins Altersheim gehen und die Angestellten befragen», fuhr Meta fort. «Wir wollen nicht nur herausfinden, ob jemand vom Personal an der Tat beteiligt ist, sondern auch, ob sie am Abend oder in der Nacht einen Besucher bemerkt oder etwas Ungewöhnliches beobachtet haben.»

Camenisch rechnete. «Hundert Angestellte mal eine Viertelstunde macht fünfundzwanzig Stunden macht mehr als drei Tage. Machen wir das wirklich allein?»

«Natürlich nicht», beschwichtigte Meta. «Bloss heute Nachmittag. Wir besorgen uns eine Liste des Personals und teilen sie mit der Unterstützung der Pflegedienstleiterin auf. Jene, die kaum Kontakt zu Mazzotta hatten, weil sie in anderen Abteilungen tätig sind, überlassen wir Domenig und Stgier, sie stehen uns morgen zur Verfügung.»

«Zählst du diese beiden auch zu den Idioten?», fragte Camenisch interessiert.

Meta Schäfer fand die Frage keiner Antwort würdig.

«Ausserdem müsst ihr versuchen herauszufinden, warum Mazzotta ermordet wurde», grübelte Buess. «Was mag das Motiv sein?»

«Geld?», fragte Meta. «Hatte er etwas Wertvolles im Zimmer? Gibt es etwas zu erben?»

«Macht?», nahm Buess den Faden auf. «Stand er jemandem im Weg, der vorwärtskommen wollte?»

«Rache?», ergänzte Camenisch. «Hat er in seinen besseren Jahren etwas gemacht, was sich jetzt so auswirkt, dass jemandem der Kragen geplatzt ist?»

«Mitleid?» Wieder Meta. «Wollte ihn jemand vom Personal von irgendwelchen Leiden erlösen?»

«Lust am Töten?», warf Buess ein. «Wollte jemand ausprobieren, wie es ist, einem anderen das Leben zu nehmen?»

«Unsere Ideen werden immer abwegiger, aber man weiss ja nie.» Meta Schäfer packte ihre Sachen zusammen. «Wir sehen uns nach dem Essen!»

Buess schnitt eine Grimasse und wünschte den beiden zähneknirschend einen erfolgreichen Nachmittag. Mit der Miene eines kleinen Jungen, der nicht mitspielen darf, stemmte er sich aus dem Stuhl, um sich auf den beschwerlichen Heimweg zu machen.

3

Am darauffolgenden Montag, sechs Tage nach dem Auffinden des Leichnams, fand die Abdankungsfeier für den verstorbenen Gerardo Mazzotta statt. Wie es in der Todesanzeige hiess, würde die Urne später im engsten Familienkreis beigesetzt.

Dem Brauch folgend, nahmen an der Trauerfeier nicht nur die Verwandten und engen Freunde des Verstorbenen teil, sondern auch entferntere Bekannte, ehemalige Geschäftspartner, Kameraden aus Sport- und Freizeitaktivitäten in früheren Lebensjahren und viele weitere, die in irgendeiner Beziehung zu ihm standen. Zu dieser stattlichen Anzahl gesellten sich die Freunde und Bekannten seiner Tochter Silvia, die in der Region zu Hause waren, und einige wenige Verwandte seiner geschiedenen Frau.

Riccardo Tataranni war einer dieser mehreren hundert Personen, die sich in der katholischen Kirche in Thusis einfanden. Er verzichtete auf das anschliessende Leichenmahl und besuchte stattdessen seine Mutter Lucilla.

«Warum warst du nicht an der Beerdigung?», fragte er. «Du hast Mazzotta doch auch gekannt.»

Das von Falten durchzogene Gesicht seiner Mutter nahm einen verächtlichen Ausdruck an. «Oh ja, ich habe ihn gekannt. Aber ich habe seit dreiundvierzig Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen.»

Riccardo musterte seine Mutter neugierig. «Weshalb nicht?»

«Er war es nicht wert.» Als ihr Sohn sie weiter fragend betrachtete, setzte sie hinzu: «Er war ein böser Mensch.» Sie verschränkte die Arme und signalisierte, dass es nichts weiter zu sagen gebe.

Was ihren Sohn keineswegs entmutigte. «Mamma, nun sag schon!», forderte er sie auf. «Warum wart ihr verfeindet? Hat er einst papà beim Bocciaspielen betrogen? Oder hat er gesagt, dein Sugo sei nicht gut?»

Wider Erwarten reagierte Lucilla weder mit ihrem unvergleichlichen Lachen noch drohte sie ihm halb ärgerlich, halb amüsiert, ihm die Ohren lang zu ziehen. Vielmehr blieb sie regungslos sitzen, was Riccardo erheblich irritierte.

Er wurde nachdenklich. «Es ist etwas Ernstes passiert zwischen dir und Mazzotta, habe ich recht?», fragte er nach einer Weile. «Worum ging es?»

«Er war ein böser Mensch», wiederholte seine Mutter. «Mehr habe ich nicht zu sagen.»

«Mamma!», rief Riccardo. «Wir sind hier weder in Süditalien, noch bin ich ein kleiner Junge. Jetzt erzähl schon!»

Seine Mutter liess sich nicht erweichen, sie schwieg weiter. Schliesslich stand sie auf, um die Kaffeetassen aufzufüllen, und erkundigte sich in heiterem Tonfall nach ihren Enkelkindern. Riccardo kapitulierte. Er erzählte ihr bereitwillig von den Kapriolen seiner beiden Sprösslinge im Teenageralter.

Erst als er im Auto sass und nach Hause zu seiner Familie fuhr, kam er erneut ins Grübeln. Während der halben Stunde Fahrt versuchte er, sich Begegnungen seiner Eltern mit Gerardo Mazzotta ins Gedächtnis zu rufen. Erfolglos. Stattdessen suchten einzelne Bilder aus seiner Kindheit ihren Weg in sein Bewusstsein: Wie seine Mutter mit ihm die Strassenseite wechselte, wenn ihnen Mazzotta auf dem Trottoir entgegenkam. Wie sie ihn in einen Hauseingang zog, wenn Mazzotta draussen vorbeiging. An die Reaktion seines Vaters, als seine jüngere Schwester ahnungslos erzählte, Mazzotta habe einen hübschen Sohn, und tanzen könne er auch; nie zuvor hatte er seinen sanftmütigen Vater so zornig gesehen. Er und Luisa mieden es fortan, Mazzotta oder seine Familie daheim zu erwähnen. Luisa traf mit ihrer Clique weiterhin gelegentlich auf Robert Mazzotta und seine Freunde, wenn sie dieselben Lokale oder Anlässe besuchten, doch es blieb bei der einseitigen Schwärmerei. Robert nahm kaum Notiz von der unscheinbaren Luisa, und immer häufiger bewegte er sich in anderen Kreisen. Leider. Sie konnten beobachten, wie er tiefer und tiefer im Drogensumpf versank, den Halt vollends verlor und schliesslich an einer Überdosis Heroin starb.

Riccardo hatte wenig Hoffnung, seine Mutter zum Reden zu bringen. Wie viel einfacher wäre es bei seinem Vater gewesen! Dessen Widerstandskraft wäre rasch geschwunden, wenn er Riccardos hartnäckigen Fragen ausgesetzt gewesen wäre. Doch sein Vater Angelo war seit sechs Jahren tot.

Das Leichenmahl neigte sich dem Ende zu. Silvia Häberli-Mazzotta hatte keine Ahnung, wie viele Beileidsbekundungen sie entgegengenommen, wie viele Hände sie an diesem Tag geschüttelt hatte; bestimmt waren es Hunderte. Sie lächelte den ehemaligen Buchhalter des ehemaligen Arbeitgebers ihres Vaters freundlich an und lauschte geduldig seinen Erzählungen aus längst vergangener Zeit. Während der ältere Herr ihre Hand nicht mehr loslassen wollte, schweiften ihre Gedanken ab.

Das Essen war verlaufen wie immer. Waren die Gespräche zu Beginn noch verhalten, die Stimmung gedrückt gewesen, hatte sich die Anspannung zusehends gelockert. Als die Platten mit Fleisch und Käse aufgetragen und die Weingläser gefüllt wurden, waren bereits die ersten Lacher zu hören. Die Gespräche drehten sich bald nicht mehr um den Verstorbenen. Vielmehr entwickelte sich das Trauermahl zum Familientreffen, zur Klassenzusammenkunft, zum Geschäftsessen.

Sie stimmte ihrem Gesprächspartner zu, als dieser eine Reaktion von ihr erwartete, ohne dass sie gewusst hätte, wovon er sprach. Noch immer hielt er ihre Hand. Erst, als sich ein paar leitende Angestellte der Süsswaren Thusis AG näherten, kam er zu einem Ende und entfernte sich Richtung Ausgang.

«Er war ein guter Mann», sagte einer der Kaderleute.

Heuchler, dachte Silvia, und nickte lächelnd.

«Er hat viel für die Firma getan. Ohne ihn wären wir nie so erfolgreich geworden», bemerkte ein anderer.

Das mochte zwar übertrieben sein, aber nicht falsch, dachte Silvia, und nickte lächelnd.

«Er hatte einen guten Riecher und ein einnehmendes Wesen. Er wusste, wie er Geschäftspartner gewinnen konnte», ergänzte ein dritter.

Meint er jetzt Geschäftspartner oder Frauen?, dachte Silvia, und nickte lächelnd.

Jetzt machte sich die Gruppe der alten Italienerinnen und Italiener zum Aufbruch bereit. Die Frauen trugen Schwarz von Kopf bis Fuss, während die Männer die Kleidersitten teils etwas lockerer nahmen. Silvia kannte die allermeisten der Landsleute ihres Vaters, die seit einem halben Jahrhundert hier lebten. Manch einer war nicht besonders gut auf ihren Vater zu sprechen, der eine oder andere hegte einen Groll gegen ihn wegen Zwistigkeiten, die Dutzende Jahre zurücklagen. Trotzdem waren sie zur Abdankung erschienen. Silvia fragte sich, warum. Aus Neugierde? Weil es sich gehörte? Um ihm ein letztes Mal eins auszuwischen, indem sie auf seine Kosten assen und tranken? Oder war es ihnen wirklich wichtig, ihm die letzte Ehre zu erweisen und die Konflikte im Angesicht des Todes ebenfalls zu Grabe zu tragen? Silvia wusste es nicht, und vermutlich waren die Beweggründe nicht bei allen die gleichen. Oder doch? Vielleicht waren bei allen sämtliche dieser Beweggründe vorhanden, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung.

Drei Tische waren noch besetzt, und niemand machte Anstalten, nach Hause zu gehen. Silvia setzte sich zu ihren Freundinnen aus Jugendtagen. Zum Glück waren diese taktvoll genug, sie nicht auf die sonderbaren Todesumstände ihres Vaters anzusprechen. Lieber lauschte sie den Erzählungen über Ex- und Ehepartner, Kinder, Karrieren und erste Anzeichen von Wechseljahren.

Julia fühlte sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Ihr Freund Joe führte sich auf wie einer der fünf Freunde, deren Bücher sie vor fünfzehn Jahren verschlungen hatte.

«Bestimmt war der, der ihn umgebracht hat, an der Trauerfeier. Eine dunkle Gestalt in der hintersten Reihe … die als letzte kam und als erste davonhuschte …» Joe riss theatralisch die Augen auf.

«Natürlich war er in der Kirche», bestätigte Julia. «Er war einer der fünfhundert Trauergäste, sass mittendrin und benahm sich so wie alle anderen auch.»

«War die Polizei auch an der Abdankung?», fragte Joe. «Im Film machen sie das.»

«Hör auf mit deinen Pseudokenntnissen aus dem Fernsehen!», wies ihn Julia zurecht. «Walter Buess von der Kantonspolizei war in der Kirche, ihn habe ich gesehen. Er sass neben Emanuele Santacaterina, und dieser kam wie Mazzotta vor bald fünfzig Jahren in die Schweiz.»

«Um 1970 herum, ja. Damals brauchte man Bauarbeiter für die Staumauern und Autobahnen, sie kamen zu Tausenden aus dem Süden Italiens.»

«Auf jeden Fall war Buess privat dort, nicht als Polizist», überlegte Julia.

«Stimmt», bestätigte Joe. «Vom lokalen Gewerbeverband waren gewiss auch zahlreiche Leute vertreten, nicht wahr? Lauter bekannte Geschäftsmänner.»

«Und -frauen», ergänzte Julia. Die Gleichstellung der Geschlechter war ihr wichtig, Joe war ihre Korrekturen gewohnt.

Diesmal widersprach er allerdings. «Geschäftsfrauen gibt es nur sehr wenige, die Gewerbler sind überwiegend Männer.» Er zuckte bedauernd die Schultern.

«Das ganze Kader der Süsswaren Thusis AG sass vorne rechts, alle in dunklem Anzug und mit Krawatte», berichtete Julia weiter.

«Ob es wohl jemand aus der Firma war?», fragte Joe.

«Wohl kaum», antwortete sie. «Er war doch seit zehn Jahren pensioniert.»

«Wer weiss? Vielleicht hat er etwas Zwielichtiges getan? Oder er hat etwas erfahren, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, und gedroht, es zu verraten?»

«Jetzt geht wieder die Fantasie mit dir durch.» Julia stand auf, um einen Beutel mit Karotten aus dem Kühlschrank zu holen, den sie vor Joe auf den Tisch legte. Er seufzte, als sie ihm wortlos einen Schäler reichte. «Mazzotta hatte zwar noch seine klaren Momente, aber oft war er verwirrt. Er konnte sich manchmal gut an Ereignisse aus der Vergangenheit erinnern, und auch manches, was mit seiner Tochter Silvia zu tun hatte, konnte er einigermassen erfassen. Er wäre aber ausserstande gewesen, Geschäftsgeheimnisse als solche zu erkennen und anzudrohen, sie zu verraten. Sein Verstand war nicht mehr in der Lage, Zusammenhänge zu begreifen oder Konsequenzen zu sehen, soviel steht fest.»

«Sein Vermögen erbt wohl Silvia.» Joes Überlegungen gingen in eine neue Richtung. «Braucht sie Geld?»

«Das Vermögen dürfte nach zwei Jahren Altersheim geschrumpft sein», meinte Julia, als sie im Kühlschrank weitere Zutaten fürs Abendessen zusammensuchte.

Joe schaute sie triumphierend an. «Da haben wir das Motiv!», jubelte er. «Sie sah ihr Erbe dahinschmelzen. Lieber ein vorzeitiges Ende als alles Geld dem Altersheim in den Rachen zu werfen! Man sagt, Vater und Tochter hätten jahrelang keinen Kontakt miteinander gehabt.»

«Das mag sein. Aber seit er im Altersheim war, hat sie ihn mindestens alle vierzehn Tage besucht. Das ist weit mehr als bei manch anderen unserer Bewohnerinnen und Bewohner.»

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