Kitabı oku: «Ein moderner Lederstrumpf», sayfa 7
Mit einem Ruck wurde Ellen aus dem Sattel geschleudert, der schon abgesprungene Starke fing sie auf, etwas Weiches, Haariges wurde der halb Besinnungslosen in die Hand gedrückt.
»Der Hurican!« schrie er ihr in's Ohr. »Mir nach! Laufen Sie um Ihr Leben! Halten Sie Hassans Schwanz fest!«
Alle Elemente der Hölle schienen entfesselt zu sein, es heulte in allen Tonarten, ein einziges Feuermeer, ein ununterbrochenes Krachen und Schmettern. — Ellen verging Hören und Sehen, sie sah nur Starke mit weiten Sätzen rennen, über jeder Schulter ein Rad; sie rannte schon mit, ohne es zu wissen, den Hundeschweif krampfhaft gepackt, Hassan riss sie mit fort.
Nur einige Minuten ging es so vorwärts, den Sturm von der Seite. Ein neues Flammenmeer zeigte ihr in der Ferne Bäume, und Starke stand.
»Der Wald, der Wald!« schrie sie. »Dort sind, wir geborgen!«
»Um Gottes Willen! Vorwärts, mir nach, jetzt fliegen wir mit dem Winde!«
Er stürmte weiter, in einer anderen Richtung, und Ellen flog wirklich, ihre Füsse berührten kaum den Boden. Ein Hinderniss stellte sich ihr entgegen, es war eine Böschung, sie stürzte, wurde aufgerissen, einige Schritte getragen, wieder hingelegt, oder richtiger hingeworfen, sie fühlte Eisentheile, Speichen, sie lag neben den Maschinen.
»Fürchten Sie nichts, die Gummidecke isolirt!«
Es war das Letzte, was sie von seiner Stimme vernahm, Dunkelheit umgab sie, eine Decke legte sich über sie, dafür aber war das bisherige Krachen und Heulen der Elemente eine Kleinigkeit gewesen gegen das, was jetzt losbrach, unbeschreiblich, gleichzeitig stürzte eine schwere Last auf sie hernieder, es rauschte wie ein Wasserfall.
»Der Weltuntergang!« Das war Ellen's letzter Gedanke, dann verliess sie, vor körperlicher und seelischer Erschöpfung und vor Entsetzen, das Bewusstsein. Doch es war keine krankhafte Ohnmacht, sie fiel in einen tiefen Schlaf.
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Als sie wieder zu sich kam, fühlte sie sich auf weichem Heu gebettet, sie tastete abermals an Eisentheilen, und dass es so dunkel war, daran musste eine Decke schuld sein — oder es war Nacht. Das kräftige Mädchen brauchte nicht lange Zeit, um völlig bei Besinnung zu sein. Gleich erinnerte sie sich an Alles. Die Elemente wütheten nicht mehr, und sie befand sich noch am Leben. Zuerst gab sie sich allerdings einer behaglichen Empfindung hin. Sie fühlte sich wirklich so behaglich; sie lag so weich gebettet, es war so hübsch warm hier — und sie war dem Verderben entgangen.
Ja, was war denn nun aber aus Starke geworden, aus seinem treuen Hunde, der sie zuletzt kraftvoll gezogen hatte? Sich jetzt dieser Behaglichkeit hinzugeben, das war ja der reine Egoismus.
Sie lüftete die Decke, ein heller Lichtschein — sie schlug die Decke ganz zurück, eine tiefstehende, blendende Sonne — und da — Ellen traute ihren Augen nicht ....
»Guten Morgen, Miss Howard. Haben Sie gut geschlafen? Ungefähr 14 Stunden sind's gewesen.«
Dort im nassen Grase sass breitbeinig Starke, schnitt Stücke von einem kalten Rinderbraten ab, streute Salz darauf und schob die Bissen abwechselnd sich und dem neben ihm kauernden Hunde in den Mund, dies Alles auf einer kleinen Insel. Die Prairie hatte sich in einen unübersehbaren See verwandelt; nur hier und da tauchte der Gipfel eines höheren Hügels als Eiland aus dem Wasser.
»Ja, was ist denn das?«
»Es war ein kleiner Wolkenbruch, nichts weiter, es giebt noch ganz andere. Aber der Hurrican war gut, der liess nichts zu wünschen übrig. Blicken Sie dorthin. Sehen Sie das Gestrüpp? Manchmal einen Baumstamm, Wurzeln und Aeste aus dem Wasser streckend. Das ist der Wald, in dem Sie gestern Zuflucht suchen wollten. Das dürfen Sie nie thun, wenn Gewitter und Sturm im Anzuge sind. Da bringt man selten ein Bein und einen Arm gesund wieder heraus.«
Ellen erkannte das Werk der Zerstörung — ja, Alles zerschmettert, und sie selbst wäre es jetzt ebenfalls — und sie schauderte zusammen. Dann wanderten ihre Blicke zurück zu Starke. Sein lederner Anzug hielt das Wasser nicht, aber feucht war er doch, der Hund noch ganz nass, so nass wie das heuähnliche Gras.
»Und Sie? Sie haben mich mit Ihrer Decke geschützt, während Sie die ganze Nacht im Regen und Sturm zugebracht haben! Sie beschämen mich.«
»Oh, das macht uns nichts, über solche Kleinigkeiten sind wir erhaben,« erklang es gleichgültig zurück. »Erst habe ich beobachtet, wie die Blitze in das Wasser einschlugen, dann bin ich sanft neben Hassan eingeschlafen. Solch eine Gummidecke schaffen Sie sich in der nächsten Stadt auch an, man fühlt ihr Gewicht nicht und sie ist oft unentbehrlich; man sichert sich mit ihr ein trockenes Plätzchen, ehe es zu regnen anfängt, in der Kälte wärmt sie; gegen die Gefahr, vom Blitz getroffen zu werden, giebt es keinen besseren Schutz, und das hat besonders beim Radfahrer etwas zu sagen. Hier in der Prairie, wo meilenweit kein Eisen den Blitz ablenkt, hätten ihn unsere Räder unfehlbar angezogen. Nun frühstücken Sie erst, Proviant haben Sie nicht bei sich, nehmen Sie mit meinem Rinderbraten fürlieb. Als Getränk giebt es Regenwasser, aber auch mit Citronensäure gewürzt. Ich sehe inzwischen nach den Maschinen.«
Er hatte sich erhoben und deckte ihr den Tisch, das zusammengelegte Gummituch, stellte die geöffnete Ledertasche daneben. Unverwandt schaute ihn Ellen an. Heiss stieg ihr das Blut aus dem Herzen in den Kopf, die Gedanken schneller jagen machend. Was hatte sie ihm nicht für Namen gegeben? Am ersten Tage war wohl »Sclavenseele« das letzte Wort gewesen. »Sie sind mir ein Ekel — unverschämter Mensch — aufdringlicher Gesellschafter.«
»Mr. Starke, geben Sie mir Ihre Hand — schlagen Sie mir die Bitte nicht ab.«
»Weshalb?«
»Was wäre aus mir geworden, hätte ich Sie nicht gehabt. Verzeihen Sie, ach, verzeihen Sie meine Undankbarkeit.«
Diesmal nahm er die ihm gebotene Hand, er drückte sie sogar.
»Wenn Sie glauben, einer Verzeihung zu bedürfen, so gebe ich meine Hand gern. Zu danken brauchen Sie mir nicht, ich werde für meine Dienste bezahlt.«
Schliesslich war er doch wieder derselbe. Immer kalt, immer zurückhaltend, ohne Herz. Aber sein Händedruck war dennoch herzlich gewesen. Er konnte eben nicht anders sprechen, und da dies Ellen erkannte, fühlte sie sich nicht gekränkt durch seine kühle Abweisung.
Während sie es sich schmecken liess, ölte er die Maschinen und spannte die Ketten.
»Das Wasser wird sich bald verlaufen haben, und sobald wir nur waten können, muss es sofort weiter gehen,« meinte er dabei. »Erst strömte es mächtig nach dem tieferen Norden, jetzt steht es so ziemlich; die festgebrannte Bodenschicht weicht auf, dann wird die durstige Erde schon schlucken, das Uebrige besorgt die Sonne. In einer Stunde wird Alles wieder trocken sein.«
»Und so lange wollen wir nicht warten, bis es wieder trocken ist?« fragte Ellen, mit einigem Schaudern an eine Watparthie über den sumpfigen Boden denkend.
»Erinnern Sie sich der beiden noch lebenden Cowboys, von denen wir nur 6 - 8 Meilen entfernt sein mögen. Vielleicht sind sie ertrunken — das belastete mein Gewissen sehr wenig, dann sind es eben Tölpel gewesen, die sich nicht zu helfen gewusst haben. Wahrscheinlich aber wussten sie sich eben zu helfen, Einer löste mit den Zähnen die Knoten des Anderen, auch ein Knebel hätte sie nicht lange daran gehindert, und ich möchte meinen Kopf darauf setzen, dass wir sie bald hinter uns haben werden. Verstehen Sie nun? Jetzt sitzen die auch auf einer Insel, und sobald sie die Möglichkeit haben, die ihrige zu verlassen, um ihre Kameraden aufzusuchen, müssen wir von der unsrigen herunter. Da ist jeder gethane Schritt unschätzbar. Von 100 Schritten kann unser Leben abhängen, ob wir z. B. dann die Räder auf einen guten Weg setzen können oder nicht, ehe wir in Schussweite ihrer Revolver sind.«
»Oh mein Gott,« hauchte Ellen mit bleichen Lippen, »so sind wir also noch gar nicht ausser Gefahr.«
»Machen Sie sich keine Sorge, so lange es nicht nöthig ist. Wir werden uns schon durchschlagen. Und wenn sie uns auch kriegen, zum Schiessen lasse ich es dann nicht kommen, und ausserdem habe ich immer noch allerlei Mittelchen in der Tasche. Denken Sie doch, es ist nicht das erste Mal, dass ich ein derartiges Abenteuer erlebe. Nun essen Sie, essen Sie; mit leerem Magen ist der Mensch nichts werth.«
Wirklich, Ellen konnte noch immer mit Appetit essen. Solche Worte, so einfach und sorglos gesprochen, wirkten geradezu herzstärkend. Plötzlich schwand vor ihren Augen jede Gefahr. Was sollte sie denn auch fürchten, wenn sie diesen Mann an ihrer Seite hatte.
Starke hatte sich wieder gesetzt, er band die breiten Lederstreifen ab, welche er als Gamaschen von den Fussgelenken an bis an die Kniee trug, und wickelte sie fester. Dass seine Stiefeln hackenlos waren, hatte Ellen schon bemerkt, und nun sah sie, dass er nur dünne Halbschuhe trug, richtige indianische Mokassins. Wahrhaftig, dann war dies ja ein ......
»Mr. Starke, kennen Sie Cooper's Lederstrumpf?«
»Natürlich kenne ich den, wenn auch nicht persönlich. Als Kind habe ich ihn mehrmals verschlungen. So,« er hatte jeden Mokassin noch besonders mit zwei kurzen Riemen am Fusse befestigt, »nun gestatten Sie, dass ich Ihnen die Beine auszureissen versuche. Halten Sie sich am Grase fest.«
Fassungslos blickte Ellen den auf sie Zukommenden an. Dass er eine gute Portion Humor besass, Witze machen konnte, hatte sie schon mehrmals bemerkt, nur dass er nichts davon durch sein Äusseres verrieth. Gerade dadurch vielleicht wirkten seine trockenen Worte um so komischer. Was wollte er aber jetzt von ihr?
»Halten Sie sich fest,« sagte er nochmals, und ehe sich Ellen versah, hatte er ihren Fuss in der Hand und riss aus Leibeskräften daran, nun hielt sich Ellen von ganz allein fest, und ebenso probirte er dann den anderen Fuss.
»Fest sitzen die Schnürstiefel, Sie werden keinen im Sumpf stecken lassen. Ich rathe Ihnen aber doch, sich Gamaschen und dünne, hackenlose Schuhe anzuschaffen, wie ich sie benutze. Oder ich werde Ihnen nächstens ein Paar anfertigen. Diese starken Stiefel haben beim Radfahren gar keinen Vortheil, und Sie können in ihnen keine 80 Meilen marschieren, ohne sich wunde Füsse zu holen. Werden sie nass, bekommen Sie sie nicht aus und nicht wieder an. Gewöhnen Sie sich an meine Fussbekleidung; sie verbindet alle Vortheile. Lernen Sie wieder so laufen, wie eine weise Natur es uns vorgeschrieben hat, ohne Hacken. Die kleinen Menschlein wollen nur immer grösser erscheinen, als sie sind — besonders die Damen. Wenn Sie nun bereit sind, wollen wir den Wasserspaziergang antreten.«
Ellen war bereit dazu. Er hing sich beide Räder, an denen er vorher seine und Ellen's Schusswaffen und Munition befestigte, über die Schultern, sie folgte ihm; das Wasser ging ihr fast immer bis an die Kniee, manchmal bis an den halben Leib, Hassan schwamm beständig.
»Es ist immer noch besser als es in einer viertel Stunde sein wird,« sagte er mit schlechtem Trost, »jetzt ist der Boden wenigstens noch weich, dann aber, wenn kein Wasser mehr darüber steht, wird er uns wie mit Klammern festhalten. Doch das wird auch vorüber gehen. Können Sie schwimmen? Ja? So bitte ich Sie, als Pfadfinder vorauszugehen. Es ist doch wohl besser, wenn die Räder nicht unter Wasser kommen.«
Das sah Ellen ein. Sie war sogar mit Vergnügen dazu bereit, wenn nur ein Loch käme, in dem sie ...... Da war sie auch schon verschwunden und als sie wieder auftauchte, festen Boden suchend, blies sie lustig und lachend das Wasser von sich.
Das war es ja, was sie sich immer gewünscht, solche urwüchsige Romantik zu erleben, das könnte sie in England nicht haben. Schade nur; dass der Gedanke an die Cowboys die Harmlosigkeit des Abenteuers etwas trübte.
Starke hatte Recht. Das Wasser schwand zusehends, der Boden mochte auch steigen; aus dem Waten im Wasser wurde ein solches im Schlamm, und jetzt kam erst die Anstrengung; nach einer halben Stunde drohte Ellen die Kraft in den Knieen zu versagen, sie fühlte schon jetzt die spätere Gliedersteifheit.
»Jeder gewonnene Schritt ist unschätzbar,« wiederholte sie aber für sich Starke's Worte, und sie kämpfte sich tapfer vorwärts.
Auch dies wurde überstanden. Der Boden der Prairie, hier nur mit spärlichen Grasbüscheln bedeckt, nahm jene schlüpfrige Beschaffenheit an, welche Jeder von der schlechten, aufgeweichten Landstrasse her kennt.
»Hier wird es per Rad schneller gehen als zu Fuss,« meinte Starke, die Maschine niedersetzend, »probiren Sie, wie es sich fährt«
Zwei Mal versuchte Ellen vergeblich, in den Sattel zu kommen, das dritte Mal brachte sie auch nur einige Umdrehungen fertig, sie kippte wieder um. Die schmalen Räder drangen doch noch sehr tief in den Schlamm ein.
»Da werden wir wohl wieder Vorspann nehmen müssen,« sagte Starke gutmüthig, den Lasso von den Hüften lösend.
Während er die Lederriemen an die Lenkstange knüpfte und Ellen ihren Revolver an sich nahm, stiess Hassan ein leises Knurren aus. Starke folgte seinem Blicke, Ellen gewahrte nichts, er zog ein kleines Fernrohr aus der Tasche, richtete es rückwärts und stellte es ein. Der Hund knurrte drohender.
»Da sind sie. Vielleicht zwanzig. Hören Sie Hassan erzählen? Er sagt mir, dass es Feinde sind. Sonst könnte ich das nicht wissen. Es könnten ja auch andere Reiter sein. Aber Hassan irrt sich nicht, er wittert es. Jetzt unterscheide ich sie deutlicher. Sie jagen in voller Carriere, haben uns gesehen. Nun auf das Rad und in die Pedale getreten, was das Zeug hält. Wohl beugen Sie den Kopf herab, um die Luft zu durchschneiden, aber in Gedanken halten Sie den Kopf hoch — sie sollen uns nicht bekommen.«
Er hatte sein Rad sofort in der Gewalt, und da er das andere hochzog, kam Ellen leicht auf das ihre.
»Vorwärts! Nicht umgesehen! Lassen Sie den Revolver stecken, Instructionen gebe ich Ihnen später, wenn es nöthig sein sollte.«
Die Locomotive zog an, in den Lederriemen krachte es, schneller und schneller drehten sich die Kurbeln. Der zähe Schlamm konnte diesen Mann nicht hindern. Ellen wurde nur von einem Gedanken beherrscht: wenn jetzt etwas bricht, etwas reisst, sind wir verloren. Sie setzte ihre ganze Kraft ein, um sich möglichst wenig ziehen zu lassen, sie keuchte vor Anstrengung.
Immer fester wurde der sterile Boden, die Strömung des Wassers hatte mit dem Schlamme die Unebenheiten ausgeglichen, immer schneller und schneller ging es. Ellen's Füsse wirbelten nur noch herum, ihre Kraft war erschöpft.
Ein Blockhaus tauchte auf, ein weisser Streifen zog sich durch die braune Prairie — und hinter ihnen ertönte ein gellendes Geheul. Ellen erblasste.
»Das ist die alte Poststrasse, dort am Blockhaus ist die Grenze!« schrie Starke.
Ellen hörte die Aufforderung heraus, noch einmal raffte sie alle Kraft zusammen.
Ein tiefer Graben längs der Strasse, Starke sprang ab, fing sie auf, war mit beiden Rädern hinüber, er schnitt den Riemen ab, Ellen sah hinter sich, dort raste die brüllende Reiterschaar, noch etwa 300 Meter entfernt, sie schwangen die Lassos — da war sie schon wieder mit einem Griff auf ihr Rad gehoben, es wurde fortgestossen, Starke war an ihrer Seite.
Die Strasse war eben und hart wie Stein, es herrschte Windstille, den Sturm erzeugten die Fahrer selbst. Aber ein klapperdürrer, schonungslos angetriebener Prairiegaul, dem das Blut aus den Flanken spritzt, greift anders aus als ein wohlgenährtes Gendarmeriepferd.
Das Blockhaus sauste vorbei, vor Ellen's Augen und Ohren sauste Alles. Nur schattenhaft sah sie grosse Rinderheerden, auch vor ihr jagten Reiter wie Schemen über die Prairie, verschwanden hinter einer Waldecke.
Starke blickte sich um.
»Sie sind über der Grenze,« sagte er ganz ruhig. »Wir haben sie schon nicht mehr hinter uns. Jetzt kommt eine andere Nummer des Programms; dort sammeln sich schon die Ohiojungen. Bremsen Sie, springen Sie ab, Sie sollen etwas zu sehen bekommen, was in Ihrer Erinnerung nicht fehlen darf.«
Er fuhr langsamer und sprang ab, Ellen that desgleichen, stemmte sich auf das Rad, um nicht zusammenzubrechen. Alles war ihr unfassbar.
Nein, verfolgt wurden sie nicht mehr. Warum ritt denn die Reiterschaar jetzt drüben auf der anderen Seite der Landstrasse?
Da brach es hinter jener Waldecke wie ein donnernder Wirbelwind hervor; zwei Dutzend Cowboys, die geschwungenen Revolver blitzten in der Sonne.
»Hip hip hurrah für Ohio!« brüllte es jauchzend auf der einen Seite.
»Hip hip hurrah für Virginia!« antwortete es auf der anderen.
In rasender Flucht jagten die beiden Reitertrupps auf einander zu, jetzt knatterten die Revolver, schon gab es herrenlose Pferde, jetzt prallten sie zusammen; Schüsse fielen nicht mehr, dafür blitzten die breiten Bowiemesser, sie hielten sich zum Ringkampf umschlungen, immer mehr ledige Pferde, die Reiter stürzten, rissen sich aus den Sätteln, kämpften am Boden mit dem Messer weiter ......
»Was — träume ich denn? Ist das nicht eine richtige Schlacht.« flüsterte Ellen.
»Nein, das ist nur ein unschuldiges Sonntagsnachmittagsvergnügen in der Prairie. Bilden Sie sich einmal fest ein, Sie befänden sich im Theater. Denn für diese dort ist das nichts weiter als eine lustige Comödie, die sie spielen. Bei uns gehen die jungen Leute am Sonntagnachmittage zum Kegelschieben, hier wird, seitdem die Cowboys keine Indianer mehr zum Scalpiren haben, ein fideler Grenzkrieg arrangirt. Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Es geht dabei auch ganz chevaleresk zu. In einer Entfernung von 20 Galoppsprüngen darf nicht mehr geschossen werden, dann fängt das Bowiemesser an zu arbeiten, wer am Boden liegt, den darf man nicht mehr stechen. Freiwillig legen sie sich natürlich nicht hin, so kitzlich sind die nicht. Dann, wenn das Spielchen aus ist, begraben sie die Todten, nachdem sie ihnen die Silbersporen und Waffen abgenommen haben; lachend schneiden sie sich einander die Kugeln heraus, nähen die Messerschlitze mit Schusterzwirn zu; wer einen caputgeschossenen Finger hat, der hackt ihn sich selber ab und macht einen guten Witz dabei — dann ziehen die beiden feindlichen Parteien brüderlich vereint zum nächsten Storekeeper, setzen die Hinterlassenschaft der Todten in Whisky um, und beim Becherklang machen Sie das Rendez-vous zum fröhlichen Spiel für den kommenden Sonntag aus. O ja, es lässt sich gemüthlich leben in der Prairie. — Doch kommen Sie, der Vorhang wird bald fallen, wir wollen mit der liederlichen Schauspielerbande nicht noch einmal in Berührung kommen, die pumpt einen nur an.«
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8. Capitel.
Das Verhältniss ändert sich nicht.
Ellen konnte sich nicht helfen, sie musste lachen, obgleich sie vor Schreck über diese blutige Scene noch eben erstarrt gewesen war. Im Weiterfahren erzählte ihr Starke noch mehr über das Leben in der Prairie, über die Cowboys; hier musste das Wort »blutig« allerdings sehr häufig angewandt werden, und trotzdem, Ellen fühlte den Bann des Entsetzens immer mehr von sich weichen; sie lachte über den trockenen Humor; die Sonne schien ihr wieder heiter, und das schien Starke mit seinen haarsträubenden Geschichten auch nur erreichen zu wollen. So muss dem zukünftigen Arzte die Leichenscheu benommen werden. Es war ja auch ganz einfach: diese Cowboys betrachten das Leben als nur dazu vorhanden, um es aufs Spiel zu setzen, und wie sie wegen jeder Kleinigkeit nach einem anderen Menschen schiessen — geschossen muss überhaupt immer werden, wozu ist denn sonst das Pulver erfunden worden — so nehmen sie es auch nicht übel, wenn man ihnen nach dem Leben trachtet. Bei solchen Ansichten können sich die ästhetischen Gefühle natürlich nicht gut entwickeln; aber sonst haben sie auch ihre ritterlichen Seiten, auch ist ihnen die Gastfreundschaft heilig, ebenso wie die Blutrache. Eine radelnde Dame passt freilich nicht unter sie. Was hat denn auch eine Dame in der Prairie zu suchen!
Nach und nach lenkte Starke auf ein anderes Thema über. Von den Reitern kam er auf ihre Pferde zu sprechen, auf die wilden Mustangs und deren Abkömmlinge, auf das ganze Thierreich der Prairie.
»Sehen Sie den kleinen Vogel dort, der sich unter den Grasbusch duckt? Betrachten Sie ihn sich genau, er ist selten sichtbar, und es ist ein gar berühmter Vogel.«
»Ein berühmter Vogel?«
»Es ist eine amerikanische Nachtigall, uns literarisch gebildeten Europäern bekannt unter dem indianischen Namen Whip-por-wil.«
Hiermit hatte das harmlosere Gespräch begonnen. Er erzählte immer weiter; von jedem Thierchen, das da kroch oder flog, von jedem Baume, jeder Blume wusste er etwas Interessantes mitzutheilen, dabei war er immer einfach, er wollte nicht belehren, er erzählte nur im leichten Plauderton.
Wie im Fluge vergingen die Stunden. So hätte Ellen ihm immer zuhören mögen. Nach und nach aber kam es ihr zum Bewusstsein, wie tief ihre Bildung in dieser Hinsicht doch unter der jenes Mannes stand. Für sie war all das grüne Zeug, das da auf der Prairie wuchs, einfach »Gras«. Dazwischen, ein paar Blumen, ein Busch, dort stand ein Baum und da flog ein grosser Vogel und da ein kleiner. Die Londonerin konnte keine Buche von einer Linde unterscheiden, und da sie zufällig keine Vogelliebhaberin war, auch keinen Finken von einer Drossel. Ein des Weges daherkommendes Maulthier hielt sie für einen Maulesel. Ja, erst seit der Zeit, als sie auf dem Rade fast täglich in's Freie gekommen war, die Saat nach und nach keimen, grünen und Aehren tragen sehend, hatte sie wenigstens so viel Interesse bekommen, um sich einmal von einem Bauern erklären zu lassen, wie man denn Roggen von Weizen unterscheide.
Sie war sich bewusst, wie schlimm es mit solchen Kenntnissen bei den Stadtleuten aussieht. Das möchte man fast auch einen verloren gegangenen Sinn nennen. Denn sie scheinen wirklich blind geworden zu sein. Dass die ganze Menschheit nicht von Adam und Eva abstammt, das kann einem heutzutage jeder zehnjährige Schuljunge an den Fingern vorrechnen; es ist ja überhaupt nur ein Märchen, so dumm wie das mit dem Klapperstorche —aber kaum noch wissen sie am nächtlichen Himmel den Polarstem zu finden, von Sternbildern keine Spur, gar keine Ahnung.
Jetzt fühlte Ellen einmal wirkliche Scham. Immer nur zuhören, höchstens fragen, keine Gegenbemerkung machen zu können! Es war dem Mädchen verzeihbar, wenn es nachsann, ob es diesem Manne nicht durch etwas Anderes zu imponiren vermöchte. Musik? Er spielte classische Weisen. In der Literatur war er jedenfalls bewandert. Nur eins blieb ihr noch. Starke machte sie auf einen verkrüppelten Cactus aufmerksam, dessen nördlichste Grenze sonst die Riviera sei, er müsse sich hier acclimatisirt haben. Dies gab die Veranlassung zum grossen Sprunge.
An der Riviera war sie auch gewesen, war von Genua nach Nizza geradelt. Er hatte dieselbe Tour einmal gemacht. Genua, diese herrlichen Paläste mit ihren Kunstschätzen! Ob er im Palazzo Bianco gewesen sei. Gewiss.
»Können Sie sich der herrlichen Madonna zwischen den beiden Heiligen erinnern, rechts neben dem grossen Spiegel mit dem Rococco-Rahmen?«
Ellen konnte sich vor einem Bilde erwärmen, begeistern, doch eigentliches Kunstverständniss besass sie nicht. Kritische Fragen lagen ihr ganz fern. Als sie damals im Palazzo Bianco gewesen, hatten sich gerade vor dem erwähnten Madonnenbilde zwei englische Kunstmäcene heftig gestritten; der eine behauptete, es sei von Floris, wie es im Kataloge stand, der andere, es sei von Gerard David.
»Verzeihung, es ist ein sogenannter Barock-Rahmen, von Filippo Parodi geschnitzt. Sie meinen die Madonna zwischen dem heiligen Hieronymus und Nicolaus von Tolentino? Dieses Bild ist nicht von Floris, wie es immer heisst und wie es auch zu meiner Zeit im Kataloge stand, es ist von Gerard David. Aber waren Sie auch im Musée Municipal zu Nizza? Dort hängt, gleich im ersten Saale, eine Madonna zwischen Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelist. Im Katalog wird es als unbekannter Meister aus der Sienesischen Schule angeführt. Unsinn! Das eben ist das vermeintlich verschollene Bild von Floris.«
Ellen war wie niedergeschmettert. Ach, hätte sie doch nicht davon begonnen! Er sprach weiter und nun konnte sie gar nichts mehr sagen. Er hatte ja wohl alle Gallerien auf der ganzen Welt besucht, stand mit allen Madonnen auf Du und Du, mit und ohne Kindern, allein oder zwischen Heiligen!
Ein klagender, melodischer Ton erscholl über ihnen in der Luft. Aufblickend, gewahrten sie einen grossen Schwarm Vögel dem Süden zuziehend.
»Das sind die, deren Loos das meine gleicht,« sagte Starke.
»Kraniche?«
»Nein, aber Wildgänse. Sie kommen von den canadischen Seen. Kraniche trompeten grässlich. Sehen Sie dort hinten den einzelnen Nachzügler? Sie ist zu schwer, zu fett, sie wird bald stürzen und fällt einem Schakal zur Beute. Das ist der Fluch der Völlerei.«
Starke zog den Revolver und schoss, ohne zu zielen, ohne mit der raschen Fahrt einzuhalten, und dennoch wunderte sich Ellen nicht, das Thier wirbelnd herabkommen zu sehen.
Wenn der schnell dahin fliegende Radler eine Pause macht, und er blickt wieder auf, so sieht er ein anderes Bild, und das Rückwärtsblicken ist beschwerlich. Hier kam ein kleines Wäldchen.
»Es ist gerade 11 Uhr,« sagte Starke, »ich schlage vor, nach dem Stundenplane abzusteigen und in diesem Gehölz Rast zu machen. Eine klare Quelle entspringt darin, daneben steht ein Pfirsichbaum mit Früchten zum Dessert.«
Sie machten Halt und drangen durch das mit Bäumen versetzte Buschholz, bis sie eine Blösse erreichten, und wirklich: aus einem moosigen Steinhügel sprang eine Quelle, zwischen den Felsen wurzelte ein Pfirsichbaum mit reifen Früchten.
»Woher wussten Sie denn das?« rief Ellen staunend.
»Nun, ich mache doch meinen alten Weg wieder. Hier habe ich schon einmal gelagert. Passen Sie auf, wenn Hassan kommt, wird er sofort, wenn er kann, sein linkes Hinterbein lecken.«
Eben wollte Ellen erst anfangen, über diesen ihr ganz unverständlichen Sinn nachzugrübeln, wollte fragen, wo denn eigentlich der Hund geblieben sei, als die Zweige knackten und Hassan erschien, die geschossene Wildgans im Maule. Er legte sie seinem Herrn vor die Füsse, krümmte den Leib und leckte sich das linke Hinterbein.
»Nein, sind Sie denn allwissend? Oder warum thut er das?«
»Weil er sich dieses Platzes in seinem Hundegedächtniss ebenso gut erinnert wie ich. Sehen Sie dort das Loch im Boden? Hassan interessirt sich schon sehr dafür. Das vorige Mal hauste ein Fuchs darin. Hassan zu Liebe räucherte ich ihn aus, der Fuchs fuhr aus dem Bau und biss ihn in's Bein — konnte freilich nur einmal beissen — und nun erinnert sich Hassan mit Vergnügen dieses Abenteuers; das Lecken der alten Wunde ist eine Reflexbewegung. Nun, Miss Howard, ich glaube, es macht Ihnen Spass, ein regelrechtes Lagerfeuer anzuzünden und Vorbereitungen zum Gänsebraten zu treffen, während ich mich der prosaischeren Beschäftigung des Rädernachsehens hingebe.«
Und ob so etwas Ellen Spass gewährte! Mit Eifer wollte sie sich daran machen — ach, da fehlten ihr ja schon die Streichhölzer! Sie, die Weltenfahrerin, die an Bord des Dampfers schon immer von nächtlichen Urwaldslagerfeuern geträumt hatte, ohne Streichhölzer! Sollte sie Starke danach fragen? Zum Anzünden seiner Pfeife gebrauchte er immer Stahl, Feuerstein und Zunder, die er in einem Beutelchen am Gürtel trug, das war praktischer. Nein, ein besserer Gedanke fiel ihr ein, sie wollte es wenigstens versuchen, hoffentlich gelang es ihr.
Sie nahm eine Revolverpatrone, die Kugel war mit dem Messer leicht zu entfernen, einen öligen Putzlappen hatte sie seit einigen Tagen immer in der Tasche — früher hätte sie einen solchen nicht einmal angefasst — das Pulver tüchtig eingerieben, die Patrone in den Revolver geschoben, das Knallquecksilber genügte noch, um einen Feuerstrahl zu erzeugen — wirklich, der Lappen glimmte und zischte, nun schnell trockenes Laub darauf und geblasen, immer geblasen, was die Lunge hielt, die Blätter brannten, kleine Aestchen darauf, dann grössere, und das Feuer war gesichert.
»Bravo«, erklang es vom unteren Theile der Quelle, »Sie wissen sich zu helfen, Sie eignen sich zum Hinterwäldlerleben.«
Stolz schwellte Ellens Herz, zugleich die reinste Freude. Nun wollte sie auch mit der Gans fertig werden. Wie man sie rupft und ausnimmt, hatte Ellen kaum je gesehen, aber was that's, sie riss und rupfte und stach und schnitt und tauchte die blutigen Hände in's Innere und zog heraus, was sie darin fand. Dabei lachte sie immer seelenvergnügt vor sich hin, Miss Ellen Howard nahm eine Gans aus! Der auf das »Curée«, das Anrecht des Jagdhundes an das Wild, wartende Hassan mochte innerlich ebenfalls seelenvergnügt schmunzeln; Nieren, Leber, Magen, Herz, das gab ihm sein Herr niemals von der Jagdbeute. Sie schnitt auch Gabelzweige zurecht, nur noch die Frage wegen des Bratspiesses war zu lösen.
»Nehmen Sie einen starken, grünen Ast, lassen Sie ihn etwas ankohlen«, sagte der die Gedanken errathende Starke, näher kommend, »und erst auswaschen und dann inwendig mit Salz einreiben.«
Er hob den Vogel an den Beinen empor und betrachtete ihn von allen Seiten mit kritischen Blicken. Ellen wiederum sah ihm ängstlich in's Gesicht, wie der Schuljunge, der vom Lehrer die Censur erwartet. Aber aus seinen tiefernsten Zügen war nichts zu lesen.
»Hm, das scheint eine herzlose Gans gewesen zu sein, ohne Seele, ohne Gemüth, sogar ohne Leber, aber auch ohne Galle. Haben Sie das noch nie gemacht? Dann ist's für das erste Mal sehr gut. Ich habe einmal eine junge Dame gesehen, die häutete eine Gans wie einen Ochsen ab, und als ihr das nicht gelingen wollte, schälte sie das Thier wie eine Kartoffel. — Sorgen Sie für ein tüchtiges Feuer, dass wir nachher Gluth haben, ich will sie inzwischen waschen, dann braucht sie nur noch gesengt zu werden und sie ist zum Braten reif.«
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