Kitabı oku: «Die Geburt eines finsteren Universums», sayfa 5

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Kapitel 11

Der Herbst des Jahres 2013 zeichnete sich durch eine wahre Tristesse aus, wenn man es rein auf das Wetter bezog. Im besonders grauen November erwarb Andreas das Verwaltungsgebäude einer bankrottgegangenen Spedition in einem Gewerbegebiet nördlich von Bielefeld, wo er gedachte, sein High End–Labor einzurichten.

Um dorthin zu gelangen, kaufte sich Automuffel Hillmann tatsächlich einen nagelneuen VW Passat–Kombi.

Einen ganzen Tag lang brachten Lastkraftwagen einer beauftragten Firma die benötigten Gerätschaften heran, während unablässig Regen von einem Himmel fiel, der so finster wirkte, dass es dem Betrachter wie ein böses Omen vorkommen musste; ein Menetekel für die Zukunft meines alten Freundes und die Wesensveränderung, die sich in ihm vollziehen sollte.

Zunächst aber ging alles noch in Ordnung und Andreas blieb bester Dinge.

An einem Mittwoch, ich weiß den Tag noch ganz genau, lud Andreas Michael, Sara, Marlene und mich ein, seine Laborräume zu besichtigen.

So fuhren wir zusammen in meinem Toyota hinaus in das Gewerbegebiet, wo das ehemalige Verwaltungsgebäude neben einer Filiale des ADACs lag.

Als Andreas uns durch die Räumlichkeiten führte, wurde mir wieder einmal bewusst, über welch Reichtum mein alter Freund doch verfügte.

Seit dem Zeitpunkt der Immobilienübernahme vor zwei Wochen hatte der Trupp beauftragter Handwerker und Laborfachkräfte schier Unglaubliches geleistet.

Von innen sah das von außen doch recht gemeine Gebäude futuristisch aus und ich fühlte mich an einen Science Fiction–Film erinnert.

Fangen wir mit dem unspektakulärsten Teil unseres Rundganges an. Beginnen wir im Keller.

Hier standen noch immer die Regale, die über viele Jahre die nicht mehr direkt benötigten Aktenordner der einst gut gehenden Spedition beherbergt hatten. Nun verweilten sie leer und kahl im kalten Licht der alten Neonröhren.

Diese Räume sollten lediglich als Lager dienen.

Im Erdgeschoss musste der gehende Besucher sich durch Türen mit einer Magnetkarte hindurchpiepen, die er über quadratische Sensorfelder neben den Zugängen zog. Darauf wurden die Portale von Roboterarmen geöffnet, um sich kurze Zeit danach hinter dem Passierenden wieder sanft und beinahe geräuschlos zu schließen.

Die Räume, die Andreas zu nutzen gedachte, waren mit grauen Sesseln, Sofas, eckigen Schreibtischen, Notebooks sowie Desktop PCs der Firma Apple ausgestattet. Allerdings lagen auch Kladden aus Papier und Lamy–Füllfederhalter in Blau auf den Arbeitsplatten parat. Für das rechte Licht sorgten gebogene, schwarze LED-Stehlampen mit Dimmer-Funktion. Beleuchtung unterhalb der Decke sah ich keine.

Er wolle sich jederzeit in jedem Raum an irgendeinen PC setzen können, ohne dabei groß herumlaufen zu müssen, wenn ihm etwas einfiele oder er was nachschlagen wolle, beschrieb er die Vielzahl der Arbeitsplätze.

Das größte Zimmer beherbergte eine Bibliothek mit den neusten Werken zu Themen wie Mechanik, Genetik, Mineralogie, Sprachwissenschaften, Mathematik, Astronomie, Informatik und Metallurgie. Auch an diesem Ort existierte selbstverständlich ein PC–Arbeitsplatz und blaue Füller mit den farblich dazu passenden, gebundenen Kladden.

Andreas führte uns in eine kleine, aber neuwertige Küche in Weiß, die alles beinhaltete, was man zum Kochen brauchte; Herd, Kühlschrank, Gefrierfach, Mikrowelle, Spülmaschine, Wasserkocher, ein Kaffeevollautomat, der im Licht der Deckenbeleuchtung schwärzlich-silbern vor sich hin funkelte.

Wir piepten uns durch weitere Türen und sahen drei Schlafzimmer voller neuwertigen Mobiliars. Sara berührte mit der Hand die Oberfläche eines nach Weichspüler duftenden Spannbettbezuges über einer der großen Matratzen, die in einem schwarzen Bettgestell ruhte. Natürlich durften die MacBooks auf den dunklen Nachttischen selbst in solchen Räumlichkeiten nicht fehlen. Den Schlafzimmern schloss sich ein kleines, weiß gefliestes Bad mit Dusche, Waschbecken und WC an, auf dessen Ablageflächen Shampoo, Duschgel, Zahnpflegeprodukte und Seife in einem roten Plastikspender zur Erstnutzung bereitstanden. Für einen Moment konnte ich in dem runden Spiegel über dem Waschbecken mein erstauntes Gesicht sehen.

Hier im Erdgeschoss befänden sich die Bereiche für die theoretischen Überlegungen, die Recherchen, die Nahrungsaufnahme und die Ruhe, erklärte Andreas uns kurze Zeit später im Treppenhaus neben dem Lastenaufzug und führte uns hinauf in die erste Etage.

Dort hatten die Arbeiter zahlreiche Zwischenwände entfernt, so dass ein einziger, großer Raum entstanden war, welcher, unschwer zu erkennen, ein Laboratorium im klassischeren Sinne darstellte. Weil die Fenster von großen, schwarzen Pappbögen auf den Millimeter genau abgedeckt wurden, sorgten rundliche, helle, in die weiße Decke eingearbeitete LED–Fluter für das rechte Licht. Eine kräftig säuselnde Klimaanlage brachte frische Luft und hielt die Temperatur konstant.

Mit vor Staunen offenen Mündern begannen wir, uns an diesem Ort umzusehen.

Selbstverständlich fehlten auch hier die hochgerüsteten MACs nicht, doch den Schwerpunkt der Einrichtungsgegenstände stellten für den naturwissenschaftlichen Laien seltsam aussehende Apparaturen in Weiß, Silber und Schwarz dar, von denen einige die Rechner integriert zu haben schienen. Von einem Gerät nahm ich an, dass es sich um einen Spektrografen handelte, während ein anderes eine Art Hochleistungsofen sein musste. Es fanden sich aber auch Bunsenbrenner, Zentrifugen, Reagenzgläser, Kolben und diverse Messinstrumente, die ein jeder noch aus dem Chemie- oder Physikunterricht kannte. All das befand sich auf dem neusten Stand der Forschungstechnologie und besaß sicherlich den mehrfachen Wert eines Einfamilienhauses.

„Hast du diese Gegenstände nach einem bestimmten Schema gekauft oder einfach nur so aus einer Laune heraus?“, erkundigte Michael sich.

Nun sah Hillmann ein klein wenig beleidigt aus. Der Blick verriet, dass er allein diese Frage als eine Infragestellung seiner Intelligenz und wissenschaftlichen Arbeitsweise auffasste.

„In der Forschung und Wissenschaft tut man nichts aus einer Laune heraus. Ich kenne dich jetzt bald zehn Jahre, mein lieber Michael, und halte dich für klug genug, dass du das wissen solltest. Nein. Ich habe das alles streng danach angeschafft und/oder nach dem zusammengebaut, was mir die Botschaft über Medium XY übermittelt hat.“

„Haben dir deine Silici eine Einkaufsliste vom anderen Ende der Milchstraße geschickt?“, fragte Sara humorvoll wie eh und je.

„Zeta Reticuli liegt nicht am anderen Ende der Milchstraße, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserem Stern. Aber, du hast Recht, Sara, unsere Freunde dort draußen teilen mir mit, was ich für zukünftige Aufgaben brauchen werde. Sei es auf Erden zu beschaffen oder nach Plan selber zu fertigen“, erörterte Andreas und mit jedem Wort stieg die Begeisterung an, die in seiner melodischen Stimme mitschwang.

Marlene stellte sich auf die Zehenspitzen und griff mit ihren kleinen Händchen nach einem von vielen Erlenmeyerkolben, die auf einem weißen Rollwagen sauber in Reih und Glied ausgerichtet standen.

„Lass stehen, Strampel!“, rief Sara unsere Kleine bei ihrem Spitznamen.

Sie machte sich daran, der Tochter den Glasbehälter abzunehmen, aber Andreas gebot ihr mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht Einhalt.

„Und wenn sie Wasser in den Spektrografen dort vorne kippt? Na und! Noch haben die Forschungen hier nicht wirklich begonnen. Lass sie spielen! Sie ist nur einmal jung und die Schulzeit mit all dem Druck kommt schon noch früh genug. Wenn sie hier irgendwas kaputt macht, kaufe ich es einfach neu.“, erklärte Andreas gelassen und streichelte Marlene kurz über das dunkelblonde Haar, welches sie wohl von meiner Mutter geerbt hatte.

Ich nahm zunächst an, Andreas lege diese Einstellung an den Tag, weil Geld für ihn niemals wirklich eine Rolle gespielt habe. Aber dann reifte in mir das Wissen heran, dass er meiner Tochter diese Freiheiten einräumte, weil er sie als Kind niemals gehabt hatte. Seine jungen Tage waren von Beginn an vom Leistungs- und Konkurrenzdruck zu seinem Bruder durch die Eltern bestimmt gewesen. Es gab keine Wärme und keine Liebe für ihn, denn diese Gefühle bekam nur der Stärkere, der Bruder, der Thronfolger der Unternehmensdynastie vermittelt. Ganz, ganz sicher! Obgleich Andreas mir das niemals so berichtet hatte, wusste ich, dass es stimmte und plötzlich tat mir mein alter Freund unglaublich leid.

„Du erzählst hier häufig was von nach Plänen erschaffen, aber was du endlich erschaffen wirst, davon hast du noch nichts gesagt. Also, was willst du endlich hier fertigen?“, fragte Michael und streichelte mit der flachen Hand über eine der seltsam anmutenden Apparaturen.

„Das weiß ich noch überhaupt nicht. Bislang ist mir nur bekannt, dass ich diese Geräte für meine zukünftigen Projekte und Taten brauchen werde. Ich nehme an, dass das, was es zu bauen gilt, noch in dem Teil der Botschaft sich befindet, den ich noch nicht übersetzt habe. Ach, was heißt annehmen! Ich weiß es ganz genau!“, sprudelte er grinsend und voller Begeisterung.

Sara blickte mich an, verdrehte für einen Moment die Augen und zog dabei eine Braue hoch. Ich wusste genau, was sie mir mit diesem kurzen Mienenspiel mitteilen wollte. Sie hielt Andreas, um es vorsichtig zu formulieren, nun, für etwas abgedreht, ein klein wenig neben der Spur.

Nachdem die Führung beendet worden war und wir uns wieder in dem frisch renovierten Eingangsbereich befanden, merkte Michael an, ob es nicht unvorsichtig sei, solche enormen Werte des nachts in einem abgelegenen Gewerbegebiet unbeaufsichtigt zu lassen.

Darauf entgegnete Andreas, er habe bereits ein privates Sicherheitsunternehmen beauftragt, das auf seinen Streiffahrten dreimal die Nacht hier Station mache, um nach dem Rechten zu sehen.

„Du arbeitest Vollzeit an der Uni und nach all dem, was ich hier sehe und höre, sieht das nach einer Menge Arbeit aus, die vor die liegt. Wie willst du es alleine schaffen, dass du mit deinen Forschungen vorankommst?", stellte Michael die nächste Frage.

„Das stellt in der Tat ein Problem dar. Ich habe bei diesem Projekt ja glücklicherweise keinen Zeitdruck. Sollten sich jedoch größere Fortschritte abzeichnen bei meinen Forschungen oder größere Aufgaben vor mir liegen, was ganz sicher geschehen wird, werde ich natürlich meinen Beruf verlassen und mich voll und ganz den privaten Forschungen widmen."

„Kannst du nur von diesen Dingsdabums Botschaften empfangen oder kannst du ihnen auch Nachrichten senden?“, fragte Sara mit leicht schnippischem Unterton.

Marlene erzählte ihrem Erlenmeyerkolben, den sie noch immer stolz bei sich trug und auch nicht mehr abzugeben gedachte, in ihrer kleinkindlichen Sprache die Geschichte über ein Kinderkarussell auf der Kirmes. Als sie an ihm vorüberlief, strich Andreas ihr liebevoll über den Kopf.

„Sie heißen Silici, Sara. Ja, so wie es aussieht, bin ich nur ein Empfänger. Vielleicht sende ich auch Informationen aus, welche Medium XY durch das Netz transportiert, aber, wenn ich das tatsächlich tue, werden wir entweder achtzig Jahre auf die Antwort warten müssen, oder die Silici, falls es Abkürzungen in diesem wundervollen Gebilde gibt, reagieren nicht oder noch nicht auf irgendwelche Aktionen meinerseits. Ich bin also nur so etwas wie das gute, alte Radio. Im Moment jedenfalls.“

Er verzog sein Gesicht zu einem beinahe dämlichen Grinsen.

„Die Schlafzimmer dort oben und die Küche und das Badezimmer. Gedenkst du hier einzuziehen?“, fragte ich.

„Es wird sicherlich vorkommen, dass meine wissenschaftliche Mission mich hier Tag und Nacht einspannt. Dafür möchte ich in allen Fällen gewappnet sein. Deswegen die Schlafzimmer und so weiter.“

„Gedenkst du Leute einzustellen? Ich meine, die Schlafzimmer sind doppelt vorhanden und die ganzen PC–Arbeitsplätze sind doch für eine Person eigentlich viel zu viel. Aber am meisten wundert mich die Küche. Daheim hast du, seit ich dich kenne, nur einen Kühlschrank herumstehen. Was ist da los?“, fragte Michael grinsend.

„Ich habe bereits einen Dreisternekoch einen Vertrag als Koch unterschreiben lassen. Natürlich mit Probezeit, falls mir das Zeug nicht schmeckt, welches er zubereitet. Aber gut. Spaß beiseite! Es könnte durchaus sein, dass, wenn es hier richtig zu brummen anfängt, ich weiteres wissenschaftliches Personal einstellen muss, weil es schlicht und einfach zu viel für mich wird. Das bleibt aber erst mal abzuwarten. Falls das geschieht, müssen diese Personen natürlich sorgfältig überprüft werden. Denn Sicherheit geht über alles. Ich weiß genau, dass das, was ich hier forschen und entwickeln werde, in den falschen Händen sicherlich katastrophale Folgen haben könnte. Es ist wie bei allem revolutionär Neuen, was in die Welt der Wissenschaft kommt. Zwei Seiten der Medaille, eine dunkle und eine helle. Ich kann gar nicht vorsichtig genug sein. Im Keller werde ich übrigens Lebensmittel einlagern, die für zwei bis drei Wochen halten. Außerdem gibt es dort bereits ein hochwertiges Notstromaggregat. So ist es möglich, für eine Weile vollkommen autark von der Außenwelt zu leben und zu arbeiten. Ich muss euch übrigens bitten, dass ihr all das, was ihr hier seht, für euch behaltet. Ihr seid jetzt praktisch Geheimnisträger.“

Im Lauf seiner Berichterstattung schwoll die Begeisterung in seiner Stimme immer mehr und mehr an, bis sie sich förmlich überschlug. Sara warf mir einen Blick zu und spielte wieder ein Mienenspiel, welches nun eine weitaus größere Intensität als das vorangegangene besaß. Ich brauchte nicht lange zu interpretieren, um zu erkennen, was meine bessere Hälfte von der Sache hielt.

Kapitel 12

Sechzehn Monate später kündigte Andreas seine Tätigkeit an der Universität, um sich ausschließlich seiner Forschung, oder seiner fixen Idee, die vielleicht nichts weiter als eine Pseudowissenschaft war, widmen zu können. Ich persönliche redete mir mittlerweile ein, mein Freund befände sich auf einer Art Spieletrip für Erwachsene, von dem er irgendwann einmal runterkäme.

Natürlich kann man das neue Labor dort draußen in dem Industriegebiet als Wahnsinn bezeichnen, aber, okay, Andreas besitzt die Kohle doppelt und dreifach und in diesem Land kann ein jeder mit seinem Geld machen, was er will. Es gibt reichlich Menschen, die geben ihre hart erarbeiteten Flocken für Kostüme aus, in denen sie an den Wochenenden auf Burgen ein romantisiertes Mittelalter ins Leben rufen oder sie gehen zu Dominas, um sich die Knute verpassen zu lassen. Ist es da so viel verrückter, sich der Erforschung irgendeiner unbekannten Art und eines kosmischen Netzes zu widmen, auch wenn diese Dinge vielleicht nicht existieren? Und wer weiß? Dass Andreas ein brillanter Wissenschaftler ist, steht außer Frage! Vielleicht ist mehr dran, als wir alle meinen...

Hatten wir Hillmann zuvor zumindest an den Wochenenden hier und da mal für ein Stündchen oder zwei auf einen schwarzen Tee oder ein Hefeweizen gesehen, so schien er nun förmlich in dem Objekt im Gewerbegebiet zu wohnen.

Keiner von uns erhielt mehr Anrufe oder Textnachrichten per Facebook und WhatsApp und bei spontanen Besuchen bei Andreas daheim öffnete er weder die Tür noch sah man Licht hinter einem der Fenster.

Zunächst maß ich diesem Zustand keine größere Bedeutung zu, war es doch in den vielen Jahren unserer Freundschaft mehr als einmal vorgekommen, dass Andreas für längere Zeit abtauchte, bevor er dann wie aus dem Nichts wiedererschien, als sei niemals etwas gewesen.

Doch nachdem erneut zwei Monate ins Land gegangen waren, griff ich zu meinem Smartphone und wählte seine Rufnummer an, worauf Andreas nach gut dreißig Sekunden in die Verbindung trat.

Über den Anruf zeigte er sich erfreut und versicherte mehrmals, dass es ihm leid täte, sich für eine längere Zeit nicht gemeldet zu haben, aber seine Forschungen verliefen derartig aufregend und brächten so viele neue, wertvolle Erkenntnis, dass er mehr oder weniger alles um sich herum vergessen habe. Außerdem sei eine größere Reise von ihm unternommen worden. Er schlug vor, sich heute Abend mit mir in seiner Stadtwohnung zu treffen.

Als ich gegen 21:00 Uhr dort mit einem Container Herforder eintraf, stellte ich fest, dass mein alter Freund sich vom Äußeren her verändert hatte.

Früher konnte man Andreas den typischen Dreitagebart-Träger nennen. Nun aber zierte ein wahrer Vollbart aus dunklen Stoppeln sein schmales Gesicht, was ihm nicht schlecht stand, weil es seiner Gesamterscheinung eine große Portion Reife verlieh. Er trug das braune Haar nun noch einen

Ticken länger und keine Kontaktlinsen mehr, sondern eine Hornbrille mit schwarzem Gestell a la Buddy Holly, hinter deren Gläsern die braunen Augen listig funkelten.

In seinem spartanischen Wohnzimmer berichtete Andreas mir voller Begeisterung in seiner Stimme von den Fortschritten der Arbeit.

„Es ist der Wahnsinn. Allerdings musste ich dafür bis nach Argentinien reisen und das steinerne Artefakt der Silici zu besorgen."

Ich unterbrach Andreas sprudelnden Redefluss mit der Aussage, dass ich nur Bahnhof verstünde und er bitte in aller Ruhe und der Reihe nach berichten solle.

„Oh klar. Kein Problem. Also zunächst habe ich nach Anleitung der Silici eine kleine Maschine entwickelt, welche die Schwingungen der Übertragung von Zeta Reticuli empfangen kann. Ich brauche also keine Droge und kein Yoga mehr und muss auch selber nicht mehr als Empfänger dienen. Dazu habe ich ein Programm geschrieben, welches selbstständig übersetzt. All das hat meine Forschungen vorangebracht und mein Wissen beträchtlich gemehrt. Zuerst: Es sind zu hundert Prozent die Nachfahren der Siliziumwesen, die mit mir über die Vernetzung allen Lebens kommunizieren. Ich kenne jetzt auch den Namen für dieses Gebilde. Es nennt sich das Große Kosmische Netz. Ein paar der Silici haben es tatsächlich geschafft, sich von dem Hass, den diese Pyramidenkreatur in die Welt gebracht hat, nicht anstecken zu lassen. Sie sind mit einem Raumschiff geflohen, bevor ihre Artgenossen untereinander alles Leben auf der Basis von Silizium auf der Erde und den Kolonien weggebombt haben. Sie haben sich auf einer warmen Felsenwelt ohne jede Form von organischem Leben niedergelassen, welche um Zeta 2 ihre Bahnen zieht. Dort reproduzieren sie sich bis heute fort, leben auf dieser Welt seit Milliarden von Jahren nach einem irdischen Maßstab. Doch bevor sie die Erde verlassen haben, haben sie dort etwas für die Nachwelt zurückgelassen; und zwar all das Wissen, welches ihre Spezies besessen hatte, bevor diese Pyramidenkreatur in ihre Welt kam und diese vergiftete. Sie speicherten es in einem schwarzen Zylinder aus einem künstlich hergestellten Gestein und versiegelten dieses Speichermedium in einem Spezialbehälter. Dieser Spezialbehälter ist so eine Art Castor, nur eine Millionen Mal stabiler und zuverlässiger. Auf der Erde überdauerte dieser Spezialbehälter die Jahrmilliarden, befand sich mal auf der Spitze des höchsten Berges, mal auf dem Grund eines tiefen Ozeans. Er ruhte unter hunderten von Metern Deckgestein begraben unter der Erde, lag in strömenden Gewässern und bei Wind und Wetter in wilden Landschaften herum, durch welche die Dinosaurier zogen. Es mag unglaublich klingen, nahezu fantastisch, aber die Silici sind uns von der Intelligenz so weit voraus, dass sie genau die geodynamischen Prozesse vorausberechnen konnten, damit der Zylinder, der Stein der Weisen, zu genau diesem Zeitpunkt an der Oberfläche liegt und zwar in Argentinien in der Pampa von Patagonien. Dort brauchte ich ihn nur noch aufzuheben, auch wenn das nicht so einfach war. Es passt alles in totaler Perfektion zueinander! Denk doch nur an meinen Traum in Buenos Aires, wo mich etwas rief, nach Patagonien zu reisen! Alles hat seinen Sinn! Der Kreis schließt sich, mein Bester! Der Kreis schließt sich!“

Andreas saß dort im Sessel mir gegenüber, hielt das Bier fest in der rechten Faust und schaute derartig glücklich drein, als sei er in diesem Moment Vater geworden und habe gleichzeitig der Liebe seines Lebens das Jawort gegeben.

Ein Grummeln braute sich in meinem Magen zusammen, während eine dunkle Vorahnung am Horizont meines Geistes aufzog.

Jim Morrison sang im Hintergrund leise über eine Dame, welche in der Love Street lebe und dort Affen, faule Diamanten und festliche Kleider besitze.

Jim, einer der besten Sänger aller Zeiten, ist seit fast fünfzig Jahren tot, aber seine Musik klingt von der Audiodatei und aus Andreas Soundsystem, als sei das Stück erst gestern abgemischt worden. Als er gelebt hat, waren Computer noch groß wie Wohnzimmerschränke und der verbreitetste Tonträger bestand aus Vinyl und nannte sich Schallplatte. Wunder der Technik und des Wissens!

Es fiel mir unglaublich schwer, geradeaus zu denken, bei diesem seltsamen Thema zu verharren, aber schließlich stellte ich folgende Doppelfrage: „Was für ein Wissen steckt denn in diesem schwarzen Stein und warum haben die Silici ausgerechnet dich ausgewählt als Objekt ihrer Begierde?“

Meine Stimme klang irgendwie weit entfernt in meinen eigenen Ohren.

Andreas verlangte es nach einem kleinen Spaziergang und frischer Luft. Schließlich, erklärte er, habe er den ganzen Tag vor Computermonitoren oder über seinen Unterlagen verbracht.

Bewaffnet mit zwei neuen Halbliterflaschen Herforder Pils zogen wir durch die nächtlichen Straßen unterhalb der Sparrenburg, die dort oben von Scheinwerfern illuminiert auf dem Berge über der Stadt thronte.

Obgleich die Gegend zu dieser späten Stunde weitestgehend verwaist war, schaute Andreas ständig den schattigen, zwielichtigen Bürgersteig hinauf und hinab, blickte in die Dunkelheit der am Straßenrand stehenden Fahrzeuge hinein, als wolle er sich hundertprozentig versichern, dass auch wirklich keine Seele uns zwei belauschen konnte. Das unangenehme Gefühl in meiner Magengegend wuchs.

„Der Zylinder ist ein einzigartiges Speichermedium. Ich kann das Material, aus dem er besteht, bislang nur grob bestimmen und habe dazu auch noch keinerlei Mitteilungen von den Silici empfangen. Eines der Elemente, ist unbekannt. Vielleicht gab es das auf der Erde zu Urzeiten und ist durch irgendwelche dynamischen Prozesse verlorengegangen. Strahlung sendet der Zylinder nicht aus. Jedenfalls keine, die man mit einem Geigerzähler messen kann. Der Zylinder erhält sämtliches Wissen der Siliziumwesen. Das weiß ich sicher. Ist dir eigentlich klar, was das bedeutet?“, sprudelte er, ging schnell dabei und ließ mir selbstverständlich keine Zeit, auf seine Frage zu antworten. „Wenn ich diese gewaltige Bibliothek öffne, und dazu werde ich bald in der Lage sein, wird es kein Energieproblem mehr auf dieser Welt geben. Wir werden im absoluten Energieüberschuss leben. Und du weißt ja, dass eine Spezies, die im Energieüberschuss lebt, in ihrer Evolution auf höhere Stufen klettern wird. Mit unendlicher Energie werden wir natürlich auch das Welthungerproblem lösen und alle Wüstengebiete mit Wasser versorgen und somit urbar machen. Denn durch unendliche Mengen an Energie, wird auch das Entsalzen von Meerwasser zu einer winzig kleinen Kleinigkeit. Die Wüsten werden bewohnbar und ratzfatz gibt es kein Problem der überbevölkerten Städte und der Überbevölkerung im Allgemeinen mehr. Und dann die Technik ihrer Antriebe für die Raumfahrt! Überleg` mal, was das bedeutet! Endlich wird die Menschheit sich von ihrer Türschwelle entfernen können. Das Sonnensystem wird uns zu klein werden und wir können zu neuen Ufern aufbrechen. Und wer weiß, was für Wissen noch in dem Zylinder steckt! Ich bin aber auch überzeugt davon, dass wir nicht nur aus Sicht der Naturwissenschaften viel von den Silici werden lernen können. Bevor die Pyramidenkreatur kam, haben sie über hunderte von Millionen Jahren in Frieden und Eintracht gelebt. Ihr gesamtes Wissen steckt in diesem Zylinder! Also auch, wie sie es geschafft haben, über all die Zeit eine perfekte Gesellschaft zu bilden. Okay, ihr Leben basierte auf Silizium und nicht auf Kohlenstoff und Wasser und wahrscheinlich gingen ihnen Gefühle, so wie wir sie kennen, vollkommen ab. Aber warum sollte die Menschheit nicht auch in dieser Hinsicht von ihnen lernen können? Ja, sie werden uns gänzlich neue Wege aufzeigen, eine bessere Spezies Mensch zu werden. Durch sie werden wir ein völlig neues Miteinander lernen und der unbegrenzte Vorrat an Energie und dessen Folgen werden die meisten Kriege überflüssig werden lassen. Keine Kämpfe um Ressourcen wie Öl, Gas oder Wasser oder fruchtbares Land, mein Freund!“, jubelte er leise vor sich hin.

Andreas ging so schnell und zappelte dabei derartig mit seinem Oberkörper herum, dass das Bier in seiner Flasche überschäumte.

„Warum du?“, wiederholte ich mich.

„Ich habe dir doch erzählt, dass meine Eltern mich früher für einen Autisten gehalten haben. Ich habe stundenlang mich nur mit mir selbst und meinen wissenschaftlichen Büchern befasst. Das Geld meiner Eltern und Geld im Allgemeinen, Kohle scheffeln, rücksichtsloser Kapitalismus, wie das die Familie Hillmann seit Generationen liebt, geht mir vollkommen am Arsch vorbei. Meine Einstellung ist es, seit ich denken kann, dass es mehr geben muss als den schnöden Mammon. Zudem, das weißt du auch, bin ich dem Fantastischen, so verrückt es auch klingen mag, immer offen. Ich halte niemanden für einen Spinner, nur weil er mir erzählt, er habe eine Begegnung der Dritten Art gehabt. Außerdem, das sagen alle meine ehemaligen Studenten, kann ich selbst die komplexesten, kompliziertesten Themen verständlich und ohne Schnörkel vermitteln. Deswegen haben sie mich ausgewählt. Ich soll das Wissen der Silici aufnehmen, übersetzen und in die Welt bringen.“

Andreas nahm einen gewaltigen Schluck von seinem schäumenden Bier, wobei er seinen zerknitterten, roten Pullover kräftig mit Herforder besudelte.

Heftige Gedanken schossen schlagartig in Lichtgeschwindigkeit durch die Windungen meines Gehirns.

Wie ist das noch gewesen? In der Bibel! Moses wird auf einen Berg zu einem brennenden Busch gerufen, um von Gott persönlich das zu erfahren, was er dem Volke Israel in dessen Namen mitteilen soll. Er erhält durch Gott die Steintafel mit den Zehn Geboten. Der Engel Gabriel, ja, ich glaube, der muss es gewesen sein, teilt einem schlichten Mann namens Mohammed Gottes Wort mit, auf dass er es in die Welt bringe. Daraus ist dann der Koran entstanden.

Kann es sein, dass es schlimmer ist, als du dachtest, Freund der Sonne!

Der Stich, der sich nun in meinen Magen bohrte, ließ mich kräftig zusammenzucken, aber Andreas schien es gar nicht zu bemerken.

„Du hältst dich für einen Propheten!“, kam es mir leise über die leicht zitternden Lippen.

„Das hast du gesagt, mein Freund!“, antwortete Andreas. „Das hast du gesagt!“

Hat Jesus nicht die gleichen Worte vor Pilatus gewählt, als dieser ihn fragte, ob er der Sohn Gottes sei! Fehlt nur noch die Verführung durch den Satan...

„Wer ist dieses Pyramidenwesen?“, fragte ich ängstlich.

„Ich weiß es nicht. Noch nicht! Aber ich werde es noch herausfinden, verlass dich drauf! Übrigens, du weißt ja, absolutes Stillschweigen! Du kannst mit Michael oder Sara drüber reden, weil ich denen genauso vertraue wie dir. Aber ansonsten: Kein Wort zu niemanden!“

„Ist schon klar! Kein Problem! Kannst du mir diesen Zylinder mal zeigen in deinem Labor?“

„Den wirst du sicherlich noch sehen. Aber im Moment möchte ich davon noch absehen. Er befindet sich in einer Art, sagen wir mal, in einer Art Quarantäne. Erst, wenn meine Forschungen fortgeschritten sind und ich mehr weiß, werdet ihr drei die ersten sein, die ihn in natura bewundern dürfen. Aber hier, schon mal ein kleiner Vorgeschmack.“

Er zog das Iphone aus den Taschen seiner knitterigen, schwarzen Jeans, wischte mit dem Zeigefinger, während er das Bier weiterhin in der Hand behielt, kurz auf dem Display herum, um mir das Gerät darauf im Gehen unter die Nase zuhalten. Ich stoppte meine Schritte und griff nach dem Smartphone, worauf auch Andreas Halt machte. Der Widerhall unsere Schritte von den Fassaden der Stadthäuser verstummte und die Geräusche der Nacht drangen an meine Ohren; der Klang eines entfernten Automobils, das Pfeifen einer Lokomotive in der Distanz, hinter einem der Fenster über uns lief leise ein Fernseher.

Auf dem Display sah ich einen langen, rundlichen Gegenstand, der mich an einen Bohrkern erinnerte, wie man sie in der Geologie für wissenschaftliche Zwecke verwendete. Er war abgesehen von einigen silbernen Einsprengseln gänzlich schwarz. Dieses Ding stellte nun jenes Teil dar, wegen dem Hillmann eine Reise ins ferne Argentinien unternommen hatte, und das er seitdem für den Rettungsanker der Menschheit hielt. Wenn mir ein solches Teil auf der Straße liegend unter die Augen gekommen wäre, hätte ich achtlos meinen Weg fortgesetzt, ohne es eines genaueren Blickes zu würdigen.

Ich zuckte die Schultern, wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.

Wir gingen weiter und erreichten den kleinen Ortskern von Bethel und aus einer der Gaststätten fiel ein warmes Licht auf die halbdunkle Straße. Dieser optische Effekt glich einem kleinen, gelben See in einer Welt aus grauen, schwarzen Schatten.

„Wie sieht es aus? Soll ich dich zur Feier des Tages auf einen späten Grillteller mit Pommes und Tsatsiki einladen? Und natürlich gibt es ein anständiges Bier vom Fass dazu. Das Zeug in den Flaschen hier wird langsam schal.“, schlug er vor und beim Blick in sein Gesicht gewann ich den Eindruck, niemals zuvor in meinem Leben einen solch glücklichen Menschen vor mir gehabt zu haben.

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