Kitabı oku: «Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben – "5:04" – Eine Blau-Weisse Autobiografie», sayfa 2

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1969 – Schule, Lehre und das Pokalfinale.

1969 war ein ganz wichtiges und ereignisreiches Jahr in meinem Leben.

Mittlerweile war ich in der Schalker Fanszene schon als ein verrückter Hund bekannt. Ich trug zu den Spielen der Schalker immer ein altes blaues Baumwolltrikot mit der Rückennummer neun, eine von der Schwester gestrickte blau-weiße Pudelmütze auf dem Kopf, den von der Mutter selbstgestrickten und fast zwei Meter langen blau-weißen Blockschal um den Hals, dazu das mit blau-weißem Isolierband beklebte Tamburin in der einen und natürlich meine 6,20 Meter große Fahne in der anderen Hand.

Meine Fahne war sogar für einen kurzen Moment die größte Fahne in der Nordkurve. Die Fahne war blau-weiß-blau, etwa 2,40 Meter breit und gut 4,50 Meter lang und die blau-weißen Stoffe waren auf zwei gut drei Meter langen Bambusstäben aufgezogen, die miteinander verbunden waren. Natürlich war die Fahne so schon schwer genug, aber wehe, es regnete. Der Baumwollstoff konnte nämlich jede Menge Wasser aufsaugen und die Fahne gewann somit schnell an Gewicht, sehr viel Gewicht. In diesem Schalke Outfit machte ich mich Wochenende für Wochenende auf den Weg, um bei jedem Heimspiel und bei fast allen Auswärtsspielen meine Mannschaft zu unterstützen.

Früher hieß ich bei allen nur Rolli. In der Glückauf Kampfbahn gab es damals den Eisanbieter „Rolli Eiscreme“. Die Verkäufer zogen am Spieltag mit ihrem Bauchladen durch die Blöcke und riefen immer »Rolli Eiscreme!« Das haben meine Freunde mit Freude übernommen und somit war ich als „Rolli Eiscreme“ auf Schalke bekannt.

Im Jahr 1969 fieberte ich dem Sommer entgegen, da ich im Juni aus der Schule entlassen werden sollte. Einen Ausbildungsvertrag als Betriebsschlosser auf der Zeche Hugo hatte ich auch schon unterschrieben in der Tasche. Aber das war nicht der einzige Grund, warum ich mich auf den Sommer freute. Mein FC Schalke 04 stand im DFB-Pokalfinale. Am 14. Juni 1969 sollten wir in Frankfurt das Finale gegen die Bayern bestreiten. Mein erstes Finale. Voller Stolz schaute ich mir jeden Tag meine Eintrittskarte für das Spiel an und betete. Lieber Gott, lass uns die Bayern schlagen! Ja, damals betete ich noch.

Mit meinen Freunden, Harry, Wowo, Ralle und wie sie alle hießen, machten wir große Pläne, was wir nach dem Pokalsieg alles anstellen wollten. Vom Anstreichen des Bahnhofsvorplatzes in blau und weiß bis zur Drei-Tages-Feier in der Glückauf Kampfbahn war alles dabei. Aber es kam alles ganz anders als gedacht …

Am Montag vor dem Finale bekam ich am ganzen Körper kleine Pickelchen. Ich machte mir keine ernsthaften Gedanken darüber, außer, dass ich vielleicht nicht mehr so gut aussah und die Mädels über mich lachen würden. Mehr Sorgen habe ich mir nicht gemacht. Doch plötzlich ließ mich meine Mutter nicht mehr aus dem Bett und sie rief den Doktor an. Früher kamen die Ärzte noch nach Hause, so auch unser Doc. Er stellte nach der Untersuchung die furchtbare Diagnose: Der kleine Rolli hat Windpocken. Ok, dachte ich, dann hast du eben Windpocken. Was solls, dann gehe ich eben mit Pickeln ins Stadion, wen soll das schon stören? Es störte zumindest den lieben Doktor. Neben absoluter Bettruhe gab es auch ein Kontaktverbot zu meinen Freunden. Ich schaute auf meine Eintrittskarte und hätte heulen können. Mit Tränen in den Augen hörte ich die Übertragung im Radio auf WDR 2 in meinem Bett: 1:0 durch Gerd Müller. Manfred Pohlschmidt konnte mit einem Traumtor zum 1:1 ausgleichen, bevor wieder Gerd Müller in seiner unnachahmlichen Art den 2:1 Siegestreffer für die Bayern schoss. Das war also mein erstes Pokalfinale mit meinem FC Schalke 04 …

Im Juni 1969 habe ich im Alter von 15 Jahren endlich nach neun Jahren die Schule verlassen. Nein, ein guter Schüler war ich mit Sicherheit nicht, ich musste aber nie eine Klasse wiederholen. Nein, ein dummer Schüler war ich auch nicht, aber ich war faul und habe die Schule nicht ernst genommen. Für mich gab es nur zwei wichtige Dinge im Leben, den Bolzplatz und Schalke.

Ich hatte jedoch das Glück, dass mein Lehrer viel Verständnis für mich aufbrachte. Er hat erkannt, dass viel mehr in mir steckte als das, was ich in der Schule zeigte. Wenn wir Gedichte lernen mussten, lernte ich immer nur eine Strophe und die Rechtschreibung war auch alles andere als gut. Als Englisch als Fremdsprache auf den Schulplan kam, entschied ich mich für Sport als Wahlfach. Die Überredungsversuche meiner Lehrer, Englisch sei eine Weltsprache, konterte ich mit: »Ich kann noch nicht einmal richtiges Deutsch, was soll ich dann mit Englisch.«

Mein Lehrer hat meine Mutter fast bei jedem Elternsprechtag mit den gleichen Worten empfangen. »Der Rolli ist stinkfaul, aber viel zu intelligent, um sitzenzubleiben. Den muss ich einfach mitnehmen.» Er hat mich immer mitgenommen, auch wenn auf meinem Zeugnis nur eine gute Note stand, in Sport. Ich gebe zu, ich habe mir nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht, was ich nach der Schule werden wollte. Mein Opa war Betriebsschlosser, mein Vater war Betriebsschlosser. Warum sollte ich nicht auch Betriebsschlosser werden? Schließlich gab mit der Zeche Hugo und der Zeche Nordstern gleich zwei Zechen vor meiner Nase und beide suchten Auszubildende als Betriebsschlosser.

Besonders lustig war damals auch die Berufsberatung in der Schule. Zwei Männer und eine Frau besuchten uns am frühen Morgen in der Klasse. Wie ein Richter mit seinen Beisitzern saßen sie am Tisch und jeder von uns musste einzeln vor ihnen antreten. Nachdem wir unseren Namen genannt hatten, suchten sie in den Listen von unseren Lehrern nach Informationen über uns. Es hieß fast immer: »Betriebsschlosser, Elektriker, Zeche Hugo. Betriebsschlosser, Elektriker, Zeche Nordstern.«

Mein Schulfreund Manfred war ‘ne Granate in Mathematik, er hat mir immer die Hausaufgaben gemacht. Ob Prozentrechnung, Dreisatz oder Algebra, Manfred konnte alles. Ein kleiner Streber war er irgendwie schon. Wir alle haben ihn schon in einer Bank arbeiten sehen, doch die Berufsberatung meinte: »Betriebsschlosser, Zeche Nordstern.« Natürlich hat Manfred bitterlich geweint. Aber seine Eltern haben ihm später doch noch einen Ausbildungsplatz bei der Sparkasse Gelsenkirchen besorgt.

Mit mir fingen fast 40 weitere Abschlussschüler eine Ausbildung auf der Zeche Hugo an. Damals gab es noch eine Lehrwerkstatt, in der wir ein halbes Jahr lang eine Art Grundausbildung absolvierten. Wir haben dort so lange U-Stahl gefeilt, bis wir Blasen an den Händen bekamen. Natürlich war unter uns Auszubildenden, damals hieß es noch Lehrlinge, Fußball das ganz große Thema. Die meisten Auszubildenden waren selbstverständlich Schalke-Fans. Aber natürlich gab es auch in unseren Reihen Anhänger von Rot-Weiß Essen, Rot-Weiß Oberhausen oder dem MSV Duisburg. Es fehlten eigentlich nur Fans von Dortmund und Bochum, dann wäre der Ruhrpott komplett an unserer Werkbank vertreten gewesen.

An jedem Montag wurde in den ersten beiden Stunden an der Werkbank nur über Fußball geredet. Das hat unserem Ausbildungsmeister weniger gefallen. Oft haben wir Lehrlinge uns am Wochenende auch auf dem Sportplatz getroffen, natürlich als Gegner. Denn fast alle spielten irgendwo aktiv Fußball, sei es in Schaffrath, Buer, Hassel, Erle oder wie ich bei Beckhausen 05.

Der Sportplatz und das Vereinslokal in Beckhausen lagen auf der gleichen Straße, auf der ich wohnte. Dass das Vereinslokal und die Pächterin einmal mein Leben komplett auf den Kopf stellen würden, habe ich damals nicht geahnt …

Früher waren Gaststätten noch Begegnungsstätten. Man traf sich dort, um sich zu informieren, zu diskutieren und sich auszutauschen. Es gab häufig einen Flipper, es wurde Skat gespielt oder an der Theke um die nächste Runde geknobelt. Aus der Musikbox spielten unaufhörlich die gleichen Lieder. Egal ob in Beckhausen, auf Schalke oder anderswo: Fußball war immer das Thema Nummer 1 in den Kneipen.

Und das Beste? Na, als Stammgast im Vereinslokal konnte man immer auf Deckel trinken. Wer knapp bei Kasse war, bekam trotzdem sein Bierchen und konnte die selbstgemachte Frikadelle essen. Beim Wirt hatte damals jeder Stammgast Kredit.

»Die größten Meister sind die, die nicht aufhören Schüler zu sein.«

(Ignaz Anton Demeter)

1972 – Ein kaputtes Knie und ein Pokalhalbfinale mit 21 Elfmetern.

Seid ehrlich, dass kennt ihr auch: Man(n) sitzt gemeinsam beim Stammtisch, auf einem Geburtstag oder beim Grillen zusammen und spricht über Politik, Schalke oder einfach von früher, von damals als angeblich alles noch besser war. Es werden ein, zwei oder drei Veltins getrunken und irgendwann kommt das Thema, als man(n) jung war und selbst aktiv Fußball gespielt hat. »Früher als ich noch selbst gepöhlt habe, war ich gar nicht so schlecht. Wenn ich damals nicht meine Frau kennengelernt hätte … wer weiß, was aus mir geworden wäre.« Zur Bestätigung wird dann erstmal ein großer Schluck aus der Pulle Bier genommen.

Die Frauen sind also schuld, dass aus den meisten Männern keine Fußballprofis geworden sind. Aber das lasse ich jetzt einfach einmal so stehen, denn ehrlich, als ich damals noch jung und selbst aktiv in der Mannschaft gespielt habe, da war ich gar nicht so schlecht …

Mit meinen 72 Kilo Kampfgewicht bei einer Körpergröße von 182 cm hatte ich eine durchtrainierte Figur ohne Fettpölsterchen oder Bierbauch wie es heute der Fall ist. Kein Wunder, früher gab es keine Spielkonsolen und Smartphones, die Kinder haben auf der Straße gepöhlt, die Älteren waren meist selbst in einer Fußballmannschaft aktiv. Für mich gab es nur Schalke und ich habe selbst gekickt. Mit meinen Jungs war ich vier Tage in der Woche auf dem Bolzplatz, die restlichen drei Tage gehörten Schalke – alles eine Frage der Organisation.

Trotz meiner Begeisterung für den Sport war ich beim Geräte- und Bodenturnen eine Wurst. Ehrlich, ich schaffte es nie, mich an einem Seil oder einer Stange nach oben zu hangeln. Dafür war ich in fast allen Ballsportarten, vor allem im Fußball, nicht schlecht. Ganze drei Jahre habe ich in der Fußballauswahlmannschaft unserer Schule gespielt, während meiner Ausbildung kickte ich für die Auswahlmannschaft der Ruhrkohle und auch bei meinem Heimatclub, dem SUS Beckhausen 05, war ich aktiv. Ich bin sogar vorzeitig von der Jugend- in die Herrenmannschaft gerutscht. Neben meiner robusten Spielweise und meiner Durchsetzungskraft war Schnelligkeit meine Stärke. Bei den Leichtathletik Stadtmeisterschaften in Gelsenkirchen lief ich die 100 Meter in 12,1 Sekunden und erreichte damals den stolzen dritten Platz.

Meinen Stammplatz als Fußballspieler hatte ich aber nur in der zweiten Mannschaft von Beckhausen 05 und gurkte mit dem Team in der dritten Kreisklasse herum. Dass ich in der unteren Liga kicken musste, lag aber nicht daran, dass alle anderen Spieler besser waren als ich. Es lag vielmehr daran, dass mein Trainer sich auf mich verlassen konnte. Denn an jedem Wochenende, an dem Schalke spielte, konnte er sicher sein, dass ich mit Schalke unterwegs bin. Egal ob Heim- oder Auswärtsspiele – wenn Schalke spielte, konnte ich nicht selbst spielen. Nach den Auswärtstouren kam ich selten nüchtern und meist spät nach Hause, nach den Heimspielen ging es meist noch in die Kneipen am Schalker Markt. Unser Stammlokal „Der Kreisel“ haben meine Kumpels und ich häufig erst am frühen Morgen notgedrungen verlassen. Selbst Fußball spielen an den Wochenenden war also (fast) unmöglich. Also kickte ich, ohne zu murren, weiter in der zweiten Mannschaft und in der dritten Kreisklasse. Und da es in meiner Fußballklasse nicht tiefer ging, habe ich auch nie die Erfahrung gemacht, wie sich ein Abstiegskampf anfühlt. Das gefiel meinem damaligen Trainer Günther Thon überhaupt nicht. Er war nicht nur mein Trainer und Nachbar, sondern auch der Vater von Olaf Thon …

Günther kannte mich gut. Er wusste, dass ich das Zeug hätte, zwei Klassen höher in der ersten Mannschaft zu spielen. Daher versuchte er mich ab und an zu locken und setzte mich manchmal bei der ersten Mannschaft auf die Bank. Er hoffe, dass dadurch mein Ehrgeiz geweckt würde und ich Spaß am Fußballspielen hätte. Ich hatte Spaß am Fußball, aber eher am Fußball gucken. Der Schalke-Virus war größer als mein Ehrgeiz und so gurkte ich weiter in der letzten Liga rum. Aber trotzdem war es eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich hatte super Kumpels, mit denen ich gerne zusammen in der zweiten Mannschaft gespielt habe.

In den unteren Fußballklassen wurde auch nicht so viel Wert auf „schönen“ Fußball mit feinen Techniken gelegt. Es wurde vielmehr gerannt und hart gekämpft und auch nicht immer fair gespielt. Ein Vorteil, dass Schnelligkeit und Kampfgeist zu meinen Stärken gehörten, denn „schönen“ Fußball fürs Auge konnte ich nicht abliefern, geschweige denn feine Techniken.

Es war Sonntag, 28. Mai 1972 und unsere zweite Mannschaft von Beckhausen hatte ein Heimspiel. An diesem Tag strahlte nicht nur schon am frühen Morgen die Sonne vom königsblauen Himmel, unser Platzwart hatte auch verdammt gute Laune. Er erlaubte uns großzügig, dass wir endlich einmal wieder auf dem heiligen Rasen spielen dürfen. Und das kam wahrlich nicht oft vor, unsere Fußballheimat war der knochenharte Ascheplatz nebenan.

Wir haben das Spiel zwar 4:2 gewonnen und trotz meiner beiden Tore und den herausgeholten Elfmeter war ich unglücklich. Warum? Weil es wieder einmal mein linkes Knie erwischt hat. Als ich meinem Gegenspieler davonlief, zog er mir einfach und kompromisslos die Beine im vollen Lauf weg. Den fälligen Elfer verwandelte unser Mannschaftskapitän Ulli sicher zum 4:2, aber ich konnte nach dem Foul nur noch humpeln. Das linke Knie schmerzte fürchterlich und wurde dicker als mein Oberschenkel, und der hatte damals schon Gerd Müller Niveau.

Als ich am nächsten Tag zu meinem Hausarzt ging, warf er nur einen kurzen Blick auf mein Knie und schrieb mir sofort eine Überweisung ins Krankenhaus Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer.

Am darauffolgenden Dienstag war ich überpünktlich um 8 Uhr morgens mit meinem Freund Horst in der Klink. Ich wollte möglichst früh drankommen, damit ich mich anschließend mit meinen Kumpels treffen konnte. Aber erst nach mehr als zwei Stunden Wartezeit wurde ich aufgerufen und durfte zum Doc. Der sah sich mein Knie kurz an und schickte mich direkt zum Röntgen – das ganze dauerte weniger als zwei Minuten und dafür musste ich über zwei Stunden warten. Vor dem Röntgenraum musste ich nicht so lange warten, nur etwas mehr als eine Stunde … Anschließend ging es wieder zum Doc und natürlich musste ich auch da wieder warten.

Als ich auf die große Uhr im Wartezimmer schaute, zeigte diese schon 12:30 Uhr an. Mein Kollege Horst und ich waren richtig genervt von der ganzen Warterei, außerdem schmerzte mein Knie vom langen Sitzen. Ich war kurz davor, einfach abzuhauen, zumal wir uns eigentlich gleich mit unseren Kumpels Ralle, Harry, Wowo und all den anderen in unserem Vereinslokal in Beckhausen auf der Braukämperstraße treffen wollten. Nicht einfach so, sondern heute hatte Schalke das erste Pokalhalbfinale in Köln. Da wollten wir natürlich dabei sein …

Seit 1935 gibt es den Wettbewerb im DFB-Pokal und in diesem Jahr wurde erstmalig ein Hin- und Rückspiel ausgetragen. Wir mussten nur noch die Kölner wegputzen und wären im Finale. Und nur wegen meiner blöden Knieverletzung sollte ich das wichtige Spiel in Köln verpassen? Nein, das wollte ich mir nicht entgehen lassen und beschloss abzuhauen. In den Moment, in dem ich meinen Freund Horst sagen wollte, dass wir gehen, rief mich der Doc in sein Behandlungszimmer. Mist!

Die Diagnose vom Doc war für mich zuerst erfreulich. Er meinte, ich hätte Glück gehabt und bräuchte nicht operiert werden. Stattdessen müsste ich punktiert werden. Natürlich wusste ich nicht, was punktieren bedeutet. Aber wenn keine OP nötig ist, kann es nicht so schlimm sein. Daher sah ich mich in Gedanken schon auf dem Wellenbrecher in Köln stehen und meine Mannschaft anfeuern …

Zur damaligen Zeit war die Medizin noch nicht so weit wie heute. Eine Kniepunktion war ein richtig schwerwiegender und schmerzhafter Eingriff, aber das wusste ich bisher (noch) nicht. Ich machte mir also keine großen Gedanken, als es zum OP-Raum ging. Nach einer örtlichen Betäubung fing der Doc an: Er schob mir einen Eisenstab, etwa so dick wie ein Strohhalm, unter die Kniescheibe. Scheiße, tut das weh! Anschließend saugte er noch Blut und Wasser aus meinem dick angeschwollenen Knie.

Mit höllischen Schmerzen und Tränen in den Augen wurde ich nach dem Eingriff in den Gipsraum verfrachtet. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis zwei Pfleger den Raum betraten. Sie sagten mir, dass ich jetzt einen Gipstutor verpasst bekäme. Also eine Gipshülse, die vom Fußknöchel bis kurz unter die Leiste geht. Um 14:30 Uhr war ich fertig, sowohl mit der Untersuchung und dem Gips als auch mit den Nerven. Die beiden Pfleger holten meinen wartenden Freund Horst vom Flur in das Behandlungszimmer und riefen uns ein Taxi für die Heimfahrt. Uns wurde deutlich erklärt, dass ich mit dem Gips auf keinen Fall auftreten oder herumlaufen durfte.

»Was?« Wir schauten uns erschrocken an. »Wir wollten doch gleich zum Pokalspiel nach Köln!«, sagten wir. Die Pfleger sahen sich an, lachten uns aus und meinten, dass wir das ganz schnell vergessen können. Ich bekam ein absolutes Gehverbot, und Krücken! Bevor wir das Krankenhaus verließen, bekam ich zwei Schmerztabletten und den Hinweis, dass ich diese nur bei starken Schmerzen nehmen sollte.

Ich saß still und schwer enttäuscht mit meinem Gipsbein auf der Rückbank im Taxi, neben mir die Gehhilfen, als ich den Taxifahrer plötzlich anschrie: »Halt! Stopp!« Der Taxifahrer trat sofort auf die Bremse und fuhr rechts ran. »Oh mein Gott, was ist passiert? Ist irgendwas mit deinem Bein?«, fragte er erschrocken. »Nein«, antwortete ich ihm. »Alles ok, aber da drüben, da an der Straßenbahnhaltestelle stehen meine Kumpels. Und die wollen jetzt zum Pokalspiel nach Köln fahren …«

Tatsächlich standen an der Haltestelle „Hugobahn“ in Gelsenkirchen-Beckhausen über 20 Schalker in Trikots und königsblauen T-Shirts. Alle trugen selbstgestrickte Schals um den Hals, einige hatten blau-weiße Fahnen, damals noch ohne Vereinslogo, bei sich und warteten singend auf die Straßenbahn. Alle Versuche von meinem Freund Horst und vom Taxifahrer, mich vom Aussteigen abzuhalten, blieben erfolglos. Ich quälte mich mit meinen Krücken und dem Gipsbein aus dem Taxi und humpelte rüber zu meinen Kumpels, die mich freudig begrüßten. Das freudig begrüßen hieß damals bei uns, von jedem Kumpel einen großen Schluck aus der Flasche zu nehmen. Und das war eine verdammt harte Prüfung: Zu der Zeit war es bei uns üblich, dass wir uns vor jeder Auswärtsfahrt den billigsten Korn gekauft und fast eins zu eins mit Cola gemixt haben. Kein Wunder, dass meine Schmerzen im Knie schnell verschwanden und ich die Krücken nur noch unter dem Arm hielt.

Gehverbot hin, Gipsbein her. Natürlich bin ich mit meinen Kumpels zum Pokalspiel nach Köln gefahren und habe singend, hüpfend und trinkend im Schalke-Block gestanden. All das ging auch richtig gut mit Cola-Korn. Als sich die Schmerzen im Knie irgendwann aber trotzdem wieder bemerkbar machten, fielen mir die zwei Schmerztabletten aus dem Krankenhaus ein, die ich in der Tasche hatte. Die sollte ich doch nur bei starken Schmerzen nehmen, also jetzt. Ich warf mir direkt beide Tabletten auf einmal ein und spülte diese mit einem ordentlichen Schluck Cola-Korn runter. Und weg waren die Schmerzen …

In der 15. Minute kannte meine Glückseligkeit keine Grenzen mehr, da Klaus Fischer das 1:0 für unsere Schalker erzielte. Na gut, am Ende des Spiels mussten wir eine böse 1:4 Klatsche hinnehmen. Mit meinen Krücken unter dem Arm ging es wieder zurück nach Gelsenkirchen. Wir hatten alle noch ein wenig Hoffnung auf das Rückspiel in zehn Tagen. Es war noch nicht das Aus für Schalke, für mein Knie schon.

Drei Tage nach dem Pokal-Fight, also an einem Freitag, musste ich wieder ins Krankenhaus Bergmannsheil. Mein Knie schmerzte höllisch. Die Schwester, die mir den Gips entfernte, schimpfte wie ein Rohrspatz auf die Pfleger, die mir den Gipsverband angelegt hatten. »Wie konnten die beiden das nur so einen stümperhaften anlegen«, meckerte sie. »Der ist ja überall gebrochen! Was haben die beiden da für einen Scheiß gemacht?« Ich ließ sie einfach weiter schimpfen, denn sie wusste ja nichts von meinem Ausflug nach Köln …

Als der Gips ab war, kam auch schon der Doc ins Behandlungszimmer. Er schaute verwundert auf mein Knie, dass wieder dick angeschwollen war. Er tastete es ab und fragte mich, ob ich es stark belastet hätte. Ich schluckte. »Naja, ich bin nicht mehr als unsere Spieler in Köln gelaufen«, sagte ich. Daraufhin lachten der Doc und die Schwester laut, ich aber auch.

Mein linkes Knie ist seitdem kaputt. Noch heute habe ich große Probleme damit und bei den letzten Untersuchungen stellte sich heraus, dass an dem Knie eigentlich nichts mehr so richtig funktioniert. Aber ehrlich, wen hat das früher schon gestört, was später einmal ist. Schon damals zählte für viele wie mich, dass nichts wichtiger sein darf als Schalke. Schalke, wir leben dich …

Das Rückspiel im DFB-Pokal gegen Köln war am Samstag, 10. Juni 1972. Ein Tag, den ich niemals vergessen werde. Die Glückauf Kampfbahn platzte aus allen Nähten, mehr als 35.000 Zuschauern kamen zu diesem Spiel, obwohl der Vorstand von Schalke einen Topspielzuschlag verlangte. Die teuerste Karte kostete damals satte 25 Mark. Natürlich machten wir uns alle gegenseitig Mut. »Wir packen das. Hopp, hopp, hopp – heut schlachten wir den Ziegenbock!« Aber uns war auch klar, dass der Tabellenvierte aus Köln guten Fußball spielen kann und die Geißböcke würden den 4:1 Vorsprung aus dem Hinspiel mit allen Mitteln verteidigen.

Da damals die auswärts geschossenen Tore nicht doppelt zählten, war die Rechnung für dieses Spiel einfach: Wir müssten mindestens ein Ergebnis mit drei Toren Unterschied erzielen, um wenigstens in die Verlängerung zu gehen. Vier Tore Unterschied wäre der Einzug ins DFB-Pokalfinale. Es wurde das verrückteste und spannendste Spiel, das ich je auf Schalke gesehen habe. Schalke legte direkt zu Beginn los, wie die Feuerwehr und führte nach Toren von Fischer (14.), Rüssmann (32.) und Scheer (41.) schon mit 3:0. Wir hatten damit das Ergebnis aus dem Hinspiel ausgeglichen. Die Kampfbahn bebte und die Zuschauer in der Nordkurve schrien sich die blau-weiße Seele aus dem Leib. Doch nur eine Minute später wurden wir aus den Träumen gerissen und Löhr traf zum 3:1. Die Kölner waren jetzt wieder im Finale, aber es kam noch schlimmer. In der 52. Minute versenkte Löhr einen Elfmeter zum 3:2 und viele Schalker dachten, das sei das Ende. Als dann auch noch Klaus Beverungen zehn Minuten vor Abpfiff den Elfer für uns nicht verwandelte, gingen die ersten Zuschauer bereits aus dem Stadion. Auch ich hätte heulen können …

Doch in der 85. Minute zeigte der Schiedsrichter erneut auf den Punkt, es gab wieder einen Elfer für uns. Diesmal schnappte sich Helmut Kremers den Ball und versenkte ihn zum 4:2. »Jaaaaa!« Plötzlich tobte die Glückauf Kampfbahn und die Fans hatten wieder Hoffnung, wie die Mannschaft wohl auch. Die Knappen kämpften und grätschten, was das Zeug hielt, sie schlugen jeden Ball unermüdlich in den Kölner Strafraum, aber die Kugel wollte einfach nicht reingehen. Hinzu verzögerten die Kölner das Spiel so, wie wir es eigentlich nur von den italienischen Mannschaften kannten. Der Schiri konnte nicht anders und entschied für eine Nachspielzeit von 5 Minuten. 5 Minuten, noch gab es eine Chance.

Mit einer sagenhaften Unterstützung der Fans rollte Angriff auf Angriff auf das Kölner Tor. Aber die Sekunden verflogen und es kam der letzte Angriff der Schalker. Als der Schiedsrichter gerade abpfeifen wollte, wurde Rolli Rüssmann im Strafraum umgerissen. Elfmeter für Schalke! Die Kampfbahn bebte und bebte …

Helmut Kremers läuft an, schießt und trifft zum 5:2. Verlängerung!

Meine Kumpels und ich hielten es in der Kurve nicht mehr aus. Wir öffneten die kleine Tür im Zaun in der Nordkurve und stürmten in den Innenraum, gefolgt von hunderten Schalkern. Ich war auf dem Platz, mit meiner großen Schalke-Fahne und zum Glück ohne Gips – der wurde zwei Tage vor dem Spiel abgenommen. Die Verlängerung wurde angepfiffen.

Als nur noch zehn Minuten zu spielen waren, gab der Schiedsrichter den fünften Elfmeter in diesem Spiel, diesmal wieder für die Kölner. Wir waren entsetzt, das war es dann wohl für Schalke. Biskup läuft an und Norbert Nigbur pariert. »Schaaaaaaalke, Schaaaaaaaaaaaaaaaalke!« Wir lagen uns in den Armen. Schalke war im Elfmeterschießen! Und weiter ging es.

Wir Fans standen gequetscht hinter dem Tor sowie rechts und links davon am Strafraum. Auch ich stand dort mit meiner großen blau-weißen Fahne. Ich sah die durchschwitzen Trikots der Spieler, ich sah die Schweißperlen und die Anspannung in ihren Gesichtern. Auch ich war angespannt und musste pinkeln. Aber jetzt? Unmöglich! Los ging das Elfmeterschießen.

Bei den Kölnern verschossen Overath und Glowacz, bei Schalke Libuda und zum zweiten Mal in diesem Spiel Beverungen. So ging es die ganze Zeit hin und her. Mal sind in diesem spannenden Spiel die Kölner so gut wie weiter, mal Schalke. Bis zum Elfmeter Nummer 21! Der 21. Elfmeter wird vom Kölner Cullmann an den Pfosten geballert und Schalke zieht ins Pokalfinale 1972 in Hannover gegen die roten Teufel aus Kaiserslautern ein. Die Stimmung in der Glückauf Kampfbahn kochte über. »Finaaaale!« Ein Tag, den ich niemals vergessen werde. Ich war dabei!

»Manche Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich kann Ihnen versichern, es ist sehr viel wichtiger.«

(Bill Shankly)

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