Kitabı oku: «Sonne satt», sayfa 6
10
Zur Arbeit in den Glashäusern fährt - unter sich das knatternde Moped - Margarita früh am nächsten Morgen. Feuchter Dunst saugt das Salz des Atlantiks ein, später würde es über der Gärtnerei an den Steilhang abrieseln. Jetzt Mitte März filtert der Dunst die Hitze im spürbar einsetzenden Sommer. Unzählige Tage würden so strahlend sonnig beginnen, zu Mittag den Bananenstauden am Hang vor Hitze flirrende Schatten anzaubern. Heute signalisiert das Kommende Margarita eher die Abreise, hinein in den lästigen Streit mit dem Schwager, seinen eisigen Schatten der Trauer um die Ehefrau, ihrer Schwester.
Nahe waren wir uns in der gemeinsamen Zeit des Aufwachsens, seufzt Margarita, und an Leos Deutung der Mädchenzeit denkend. Die verpflichte zu fahren, sonst würde ihr Rücken steif, wohin die Psyche gallebitter funke, zeige sie kein Rückgrat.
Heute würde der Gärtnermeister die Urlaubsfrage hören. Leo fliegt demnächst ab nach Berlin. Längst ist sie kribbelig, nur ohne Margarita und nur während ihrer Jobzeit mit dem Motorrad durch die Gegend zu fahren, ohne sie stundenlang abzuhängen.
Später, als die Nachmittagshitze des unendlich weiten Himmels ans weiße Blechdach der Gärtnerei drückt, öffnet Margarita das Portal für die Karawane der mit Kisten beladenen Arbeiter. Mit ihnen und dem vollzogenen Auftrag zum Blumenfest entweicht die feuchte Schwüle, untertags im Glashaus aufgestaut, ungenügend entlüftet über die Reihe staubiger Oberlichtschlitze.
Ihre grüne Schürze bindet sie nach, fährt fort im Umsetzen der Steigen von Birkenfeigen, den blauviolette Rispen tragenden Jacaranda und Tulpenbäumchen, in Scharlachrot blühend, an die Plätze verkaufter Blumen. Vom Portal dringt der Lärm jener, die sich mühen beim Stapeln. Während der LKW mit Auspuffwolken vom Hof rumpelt, geht Margarita entschlossen in den Pausenraum.
Der Meister sitzt wie eine leere, überdimensionale Tüte im Stuhl. Margarita glättet ihr Tshirt, und so fest wie ihren Ton.
„Nach der Maloche nehme ich zwei Wochen Urlaub, und bald.“
Sie bemerkt, ihr Ton und sein Inhalt kommen allmählich bei ihm an. Noch aber sieht er müde an die durch den Frühjahrsorkan zerfledderten Spitzen der Bananenstauden in der Plantage. Dann weist sein Arm, in einer Geste von Protest ins Glashaus, an die Kästen mit blassgrünen Aussaaten, und sackt wieder ab.
„Die da gleichen den Unwetterverlust aus. Bleib schön da.“
„Ich fliege ab, muss einen Störfaktor abwürgen“, ruft sie im Ton rau und mit Leos Tipp im Ohr, und öffnet vor dem Meister ihre Hände, weist ihn mit überzeugter Stimme zurecht. „Hast du was von mir, werde ich krank, kompensiere den Druck? Erhält das meine Arbeitskraft? Willst du die?“
Von den Händen fort blickt er seitlich nach hinten, in den Augen ein Feuer von mehr Interesse. Margarita mutmaßt, nach dem Auftrag für das Blumenfest erwacht sein von Erotik initiierter Charme, sie sah kaum noch eine Spur davon an ihm. Er war eine träge Raupe geworden, mit wenig zu knabbern.
Ein Ruck geht soeben durch des Meisters Leib, setzt sich an der grünen Gärtnerschürze fort. Seine Slipper mit den Füßen vor den Stuhl ziehend, und, obgleich seine Augen klar sie ansehen, erwidert er ungeduldig:
„Es drängt dich also? Mir erscheint ein Widerstand dagegen sinnlos zu sein. Dies Mal, aber wer bearbeitet die Saatkästen? Unter den Helfer war keiner ohne Hummeln am Hintern. Pikieren fordert ruhige Hände, deine.“
Innerlich jubelt Margarita. Fort zu sein, liefert den guten Grund zur Rückkehr! Wer ungern weggelassen wird, sich selbst treu aber geht, kehrt um so lieber heim. - Wie all jene fuchsig abreisenden Touristen, von denen Vera manchmal berichtet.
An des Gärtners Arm tippend, dankt Margarita ihm mit einem warmherzigen Lächeln. Er jedoch entzieht sich. Margarita zuckt in einem Schritt zurück, vor dem Sprung vom Stuhl in Richtung eines knappen Dress über kindlichen Formen, die zaghaft auf die Schwelle treten. Ihr Ebenbild, braune Kulleraugen und halblange Haare, einzig die glatte Haut im Kaffeeton. Krass die Affinität wie ihre Täuschung. Er sollte sich zum Schmetterling entraupen, nicht sie abservieren. Margarita geht zu ihm in drei Schritten.
„Noch bin ich nicht weg!“, hascht sie, mit bitterem Anflug in der Stimme, nach seiner Rücksicht. Einen unheilverheißenden Blick wirft er an sie zurück, der stoppt sie nicht. „Nur wegen etwas Unvermeidbaren fliege ich fort. Was hältst du von Anton? Er springt gerne ein, kennst ihn doch! Ich frage gleich.“
„Greif mir nicht vor! Ich mach das, wird es nötig sein.“
Sein Blick verliert an Schärfe, gewinnt an Glimmer.
Dem Paar nachsehend, das die Ecke am Gewächshaus ansteuert, lenkt Margarita ihre Schritte in entgegengesetzter Richtung in den Hof und kickt, zur Entschärfung ihrer Laune, eine gereizte Weile lang die Kiesspur des Transporters platt.
Bei der abendlichen Essenszubereitung, für die Maik am Ofen die Knie beugt, hört Margarita Anton gestenreich erzählen von dem Ausrotten des Wildwuchses am Hang. Und dabei ruckelt er auch in typischer Marotte den Bund der Jeans über die Hüften aufwärts, zeigt seine sauberen weißen Socken.
Margarita verhält kaum ihr Glucksen. Anton agiert den Frust an der Gartenverwüstung seit Februar überzogen aus, spürt sie. Und keine Regung, ihre Hilfe anzubieten, obschon es seine Beine schwerer haben als andere an den stufigen Hangwegen.
„Und?“, will Maik wissbegierig hören. Derweil deckt er den Saum seines grauen Tshirts auf die Henkel des überdimensionalen Edelstahltopfes, und hebt den aus dem Ofen an ein Schneidbrett. Im Deckelabnehmen, ergänzt er: „Sag, war der Helfer anstellig?“
„Nervenkraft kostete er, für ein vergleichsweise miserables Resultat!“ Anton erinnert die Wärme am Morgen, aber dämpft den Tonfall. „Ich will Keinen, dem ich Kraft leihe, während er Bier trinkt, der irgendwas lallt, sich öfter an der Hacke festhält.“
„Landarbeiter wie der haben keinen Spaß an der Sache - den Tag bringen sie um. Finde Einen, der die Arbeit erfunden hat.“
Maiks Miene spiegelt, die Angelegenheit vorerst gestoppt zu haben. Er öffnet den Sahnebecher, gießt ihn in den sämigen Sud, letzte Tropfen in den Mund. Den Becher in den Müllsack werfend, rührt er die Soße um. Dann rebbelt er an einem Zweig Rosmarin frische Spitzen ab, streut sie hinein.
„Glaubst du an das Wunder, solch Einen finden zu können?“, faucht ihn Margarita an. Mit Nachdruck klappernd, legt sie an den Esstisch Besteck, in die Mitte ebenso heftig den Untersatz für den Bratentopf. „Damit planst du eine Enttäuschung, Maik, bei der mir für Anton eine Täuschung vorneweg vor Augen liegt.“
Maik blinzelt ihr zu, ruckt den Kopf bedächtig hin und her. Dann setzt er den Topf ab und sich an seinen Platz, und erwägt Margaritas mutmaßlich aus hitzigem Grund stammenden Vergleich. Ihrem Teller und dem seinen legt er eine Scheibe Rinderbraten auf, leckt schon vor dem leckeren Genuss mit der Zungenspitze kurz an seiner Unterlippe, zuvor aber soll etwas gesagt sein.
„Enttäuschung kann Anton die Täuschung entziehen, damit er seinen Job unbedroht bewältigen kann. Nun iss, sei friedlich.“
„Ja, warten wir nicht auf die Anderen?“
Anton irritiert Maiks Zugriff bei den Lorbeerkartoffeln mit in rosa Pfefferperlen gebratenen Zwiebeln. Da Maik nicht sofort antwortet, setzt er sich vor seinen Teller.
„Für Probleme im Gelände eignet sich auch Fernandos riesige Verwandtschaft, Anton“, hebt Maik an, und zerquetscht unter der Gabel eine Kartoffel. Hinaus an die Grenzmauer denkt er, hinab zu dem auf viele Schaufeln wartenden Erdmatsch, um den Anton ständig in Bogen geht. Maik hebt seine volle Gabel in den Mund, legt einen Zwiebelring nach, und mümmelt aus vollem Mund:
„Anton, außer denen kann dir auch der im Buddeln erfahrene Carel beistehen.“
Seinen Teller ansehend, zwackt es Anton im Gedärm. Ein Furz entfährt ihm, untrügliche Antwort. Wirr aufblickend, klärt ihm ein Rülpser seine Gesinnung, die er ausspricht.
„Mich stört schon Carels Name! Ich plage mich nicht mit ihm für nur ein einziges Beet. Mit Kompost weit lieber und allein!“
Antons affektiven Ton kontrapunktiert die Küchentür. Herein traben Lian, Usa und Leo, mit Rosen hinter je einem Ohr, und ebenso überhauchten Wangen, vom Lachen über sonderbare Ideen.
„Uns Angeheiterten stört eure ernste Debatte unsern Humor“, rügt gen die Sitzgruppe Leo, spöttisch grinsend.
„Ja, schwenkt um!“, stimmt Lian froh ein, und öffnet ihre Arme in die Luft. Sie umfängt die Sitzenden, unter denen, von Vera abgesehen, ihr leider Einer fehlt. Statt seiner zückt sie einen großen Geldschein. „Seht, das gab der Rosenzüchter! Und obenauf mehr Zuversicht, er vermittle mir noch mehr Aufträge!“
„Der Künstlerin Glück, gratuliere! Ich wünsch dir reichlich Nachkommen“, entfährt es Maik, fassungslos über das Geld.
Lian legt an die Schulter der sie ansehenden Margarita eine Hand und erklärt ihr, im Kopfschwenk auf Anton:
„Bevor er seinen Senf zugibt, so höre, wir schmieden meinen Erfolgsplan und essen nur kurz, halten unsere Magie tunlichst wach, damit die in Folge am späteren Abend tiefer greife. Magst du dabei sein? Das würde deine miese Laune ausrotten.“
11
„Gestattest du, Anton?“, fragt Leo, am nächsten Vormittag ins Büro kommend. „Ich verließ das Gästezimmer für Jörgs Söhne und zog in Margaritas Zimmer. In ihrem breiten Bett haben wir Spaß. Und Spaß soll auch dir meine PC-Nachhilfe bringen. Magst du dir etwas von meiner Freizeit stehlen?“
Leos geblümtes Spagettikleid schmiegt sich an ihre schlanke Figur, im Platznehmen am zweiten Stuhl. Zu nah, zu schnell für Anton. Daher erwidert er ihrer morgenfrischen Leichtherzigkeit:
„Usas gut gemeinte Absicht zielte hauptsächlich gegen meine Blockade vor der Gartenmisere, mir fiel schon der Anfang zu.“
„Du solltest damit also mehr in Balance kommen.“
Kurz nur zur Zimmerdecke aufsehend, tippt Leo im Schoß ihre Fingerkuppen zusammen. Ihre Tonlage wird herb. „Ich balanciere selber auf der Schneide der Aufgaben in der Bank, an der Schere der Reichen und dem Pulk der Ärmergewordenen. Die klafft auf am Schalter vor mir, und erfordert ein Verwalten auf hohem Niveau. Und würde ich nicht reisen, verklänge niemals meinen Ohren das kollegiale Quotenjammern, der Selbstbetrug der Geklonten, die mir am Bürohocker abverlangen, nicht aus der Rolle zu fallen.“
„Scheren grassieren auch hier, auch wir leben nach keinem gängig anerkannten Stil, Leo. Ich verstehe dich gut.“
Von Leos bebenden winzigen Brüsten blickt Anton fort. Er faltet am Bauchrund im hellgrauen Tshirt die Hände und stellt zum x-den Mal fest, vollere Formen zu mögen. Wie Usas nebenan vor der Nähmaschine, deren Schwünge er zu sehen vermeint, im selben Moment des dort drüben einsetzenden Ratterns.
Leo winkt ab. Sie glättet eine am Hals anliegende Strähne, strafft Rücken und Brust. Ihre Wangen beleben sich erneut mit Morgenweichheit, während sie, das Geratter übertönend, grinsend anmerkt, um Anton ein wenig zu picken: „Trifft mich die Schere, die anderen Bankern den Job schon kappte, so komme ich mit One Way Flug, und bleibe. Aber dem zuvor, solltest du lernen. Oder raubte dir dein Paket Vorkommnisse gänzlich deine Neugierde?“
„Unser Abendessen verlief dann noch glimpflich, wohl wahr!“
Anton zwingt seine Finger am Bauch zur Ruhe und sich, in Leos braune Augen zu lugen. „Mich rettete deine Schnoddrigkeit in Berliner Art aus Maiks mir mit Carel gestellte Falle.“
„Nimm Distanz zu Carel ein. Kette ihn, unwichtig geworden, anderswo an, sperre ihm deine Gedanken“, erwidert Leo spontan, ohne seinem erschreckten Blick auszuweichen. „Oder hat er eine wünschenswerte Bedeutung aufgrund deiner Story? Prägungen der Kindheit verlassen nie, auch nach einem Umformen in schönster Absicht erinnert jedes hartnäckige Ego eines der Desaster.“
Alarm schrillt Anton. Ihm gelingt eine Wende. Doch deren Ertrag kann er schwerlich einschätzen. Ihm jucken die Ohren. Er drückt die Hände fest an den Bauch, um keines anzufassen. Aber schon krächzt sein Hals rau ein „Was ...“. Sich kurz räuspernd versucht Anton es noch einmal, und vermeidet es, Leo anzusehen.
„Was meintest du neulich mit dem polaren Beziehungsmodell?“
In seine braunen Augen sieht Leo sehr freundlich, und tönt ebenso ihre Stimme. „Auf dich intuitiven Mann, deine sensible Gabe und schwankende Stimmung kann ich nicht reagieren wie bei einer Frau. Du wirkst oft sehr verinnerlicht, oder bist manisch hochgradig begeistert, zu wenig vom Äußeren abgegrenzt.“
Leo findet in Antons Gesicht nur eine verzögerte Reaktion.
„Okay, dann ausführlich. Manche nennen es das Modell eines Anlockens und Abwehrens in der Komm her, geh weg – Mentalität.“ Sie gestikuliert mit den Händen um ihren Kopf herum. „Mit einer Hand Sahne ums Maul schmieren und zeitgleich die Kanne auf die Rübe schlagen. Ich rede vom Gesetz von Ursache und Wirkung. Ein drastisches Beispiel wäre ein Asteroid im Flug gen Erde. Stell dir vor, der rüttelt an den Erdpolen, kapiert?“
Anton nickt heftig. Er hebt seine Arme wie Leo ihre zuvor, die nun ruhig im Schoß liegen. Er scheut sich nicht, kurzerhand seine Ohrläppchen einmal vom Kopf abzuziehen.
„So oder so Baustelle. Abgesehen vom Drama an der Erde, der Verseuchung im All“, kurz pausiert er. „Ich weiß, meine Seele will mir wohl, in deiner Nähe entgleitet mir das wie Sand durch die Finger, dann kommt Abwehr heraus. Ich stecke fest in diesen bipolaren Schuhen, bin schon wieder reingestolpert. Desculpe!“
„Nur eine der Krisen, um in der Liebe stärker zu werden.“
Soeben über die Lippen, entdeckt Leo einen winzigen Tumult in sich, leichtherzig vorzutragen jetzt, wo Anton seine Schuhe bebrütet. Auf das Geblümte an ihrem Schoß sehend, bekennt sie:
„Manchmal fehlt mir das Verstehen der Entwicklung des neuen Männerbewusstseins, in dem gewiss Spuren uralten Jägerstolzes schwelen. Und dafür, wie laut ihr eure Gesichter wahrt - meine Kollegen, legen sie sich ins Zeug.“ Leo zeigt auf den Desktop, vor dem Anton sitzt. „Los, rufen wir Männerseiten auf.“
Eine Reaktion darauf verhindern Antons Sinne, in denen noch Leos emotionaler Tipp eine ferne Erinnerung aufgreift. Jene der Gruppentherapie nach dem Unfall. Er erfuhr mehr über sich und das ihn abstrus anmutende, ihm vorgelebte Wohlwollen. Letztlich erkannte er daran keinen Makel. Wohlwollen ähnelt den Rülpsern, die befreit verkünden, im Ego gäre es nur noch leicht, und es verdaue auch, wie die Frau, die neben ihm saß, auf ihn wirkte. Bis hinein in die Mundwinkel leuchteten ihre Augen. Sie hatte ihren Segen in einem Schamanencamp erhalten, und rüttelte ihn wach. Nach Wochen in dem Camp dort, peinigte ihn, im Liegen und Lauschen auf einer Klangliege, in seinem Bein ein Schmerzblitz. Aufspringen wollte er. Doch warnte der alte Indianer: Auf der Jagd warst du viel zu oft. Kann lange währen, was dein Vorleben dir noch beschert an unerträglichen Wirkungen.
So kam es in der Heilungszeit, in der er zuerst ein anderes Tempo im Job austüftelte, bevor indianisch anmutende Durchsagen ihm Wachstumsschübe anwiesen. Erwacht wusste er, seine Seele will ihm wohl! Oft ertappte er sie bei der besseren Wahl dafür, was den kleinen inneren Bub gemeinsam mit dem Erwachsenen voran bringe. Sie fand Madeiras grüne Pracht, die nächste Heilstätte seiner verletzten Seele.
Darin stänkert Carel, blitzt Anton auf. Leos Idee ist gut, den anzuketten, fern der Hochebene Paul da Serra. Doch denen, wo der Pfeffer wächst, mag er ihn nicht wünschen. - Und jeder Gedanke kettet an, versteht er. Leo wählt nur, was ihr Gehirn aktiviert. Und er, was Krücke und lockenden Segen anbot.
Sich die Augen klar blinzelnd, und in das herüber dringende Nähmaschinengeratter hinein, murmelt er:
„Ach! Ich schleppe meinen Koffer voll meines Schicksals auf der Suchtschiene und muss ehrlich in Allem werden. Oft springe ich nur auf an das Trittbrett von Usas intergalaktischen Zug.“
In seinen Weitblick berücksichtigt Anton allerdings nicht Carels Bedeutung, die er abdrängt, hinter Usas Geräusche an der Nähmaschine. Die beeindrucken ihn, und kommen auch nicht gegen Leos Herumzappeln am Stuhl an, als hätte sie ihre Bereitschaft verloren. Trotzdem fällt er in friedliche Laune. Er spreizt die Finger, die Knöchel knacken ein Signal.
„Weißt du, Leo“, beginnt er sanft, einen Finger rechts an ihre Schulter tippend. „Ich kenne psychosoziale Faktoren und anerkenne dein Recht auf deinen Blickwinkel. Aber auch du hast einen Happen von der Jägermanier. Nutze den, scheuche mich aus der Stagnation auf und rufe herbei das Web von Schamanen. Mit deren Denkstrukturen bin ich erfahren.“ Er rückt die Tastatur vor Leo, und vermeint, ihm schwebe ein Campfreund in den Sinn.
„Kennst du alle großen Such- und Kommunikationsforen?“
Nur flüchtig runzelt Leo ihre Stirn, aber seine helle Miene erneuert ihren Drang in die Tasten zu greifen. Bald blinkt eine Seite auf. Anton ging das viel zu rasch, er will es lernen.
Früh am Nachmittag treffen des Nachbarn Jörg' Söhne ein. Tiefe Stimmen schallen, als Maik sie begrüßt und über den Kies führt. Anton tastet an seine vom Horchen auf Leos Hinweise rote Ohren, über die sie witzelt, bevor sie geht, um die Fremden kennen zu lernen. Doch zuvor, wie Anton hört, da zugleich das Nähgeratter schweigt, begeistert Leo Usas Anwendung von Ursache und Wirkung für einen neuen Sinn in der Zukunft, Usas Erfolgsaussicht mit einer bunten, in Blau gehaltenen Patchworkdecke.
Nur einen Moment erregt Leos Entzücken über satte Blautöne Anton, laut genug zu ihm gedröhnt, und mit einem Bild. Sanfte klare blaue Wellen, transparent bis an den Sand am Ufer ferner Inseln. Jede rückläufige Welle am Strand trägt an der Krone die Worte Ursache und Wirkung. Bald schwappen in ihm nur diese zwei Worte. Andere Geräusche, die der endlosen Folge an Gepäck, von Fremden getragen und mit rüpelhaftem Slang belegt, versinken im Wasser wie hinter einer Wand, klar wie Glas. Vor Anton aber, am PC-Bildschirm, steht ein Suchforum. Beseelt noch, gibt er den Namen seines Freundes aus dem Schamanencamp ein. Er landet an einer Seite von aktiven Helfergruppen bei Katastrophen, und die wirft ihn um. Sehr lange betrachtet er ein Foto seines Freundes vor einem zerstörten Haus. Er zieht Parallelen zum Unwetter auf Madeira im Februar. Inmitten dessen, und im Vorgespür, erwartet Anton, ihm offenbare sich Ursache und Wirkung daran, und seine Sicherheit, denn ihn schütze seine Wand aus Glas. Darin jedoch schimmert bald das Gesicht seines Indianerlehrers, verrunt von Besorgnis, mit einem wilden Schwenken eines rotweiß gestreiften Absperrbandes in Händen. Anton interpretiert es fehl. Abenteuer treiben nach Übersee, weit weg der tausende Schritte im Garten. Die allein erschaffen keine neue Welt, nur absolute Trägheit! Im Ruck, setzt Anton seine Aktionen am PC fort, und unterdessen versinken die unwirklichen Farben des Tages im Westen.
12
Vom nächsten Morgen bis in den Nachmittag hinein forscht Anton im Internet. Längst klebt fader Geschmack im Mund. Zur Erlösung solcher Verbissenheit, stürmt ein lindgrüner Leinenhosenanzug ins Büro. Usa präsentiert sich.
„Anton, wende deine Stimmung um hundertachtzig Grad!“
Wer könnte sich dem und dem grünen Energieschub entziehen?
Anton seufzt letztmalig vor seinem unbedingten Findenwollen dessen, was wäre, wenn aus ihm ein Katastrophenhelfer würde.
„Ein wenig mehr, schaffst du doch!“, fordert Usa frohgemut, und beugt sich vor, kneift ihn zart in eine Wange. „Ich greife dir bei der Wahl des Tshirts unter die Arme. Wir Frauen tragen mehrheitlich Grün, und sehen unsere Kerle auch so aufgemotzt in Jörgs Lieblingsfarbe, dem festlichen Anlass entsprechend.“
Am frühen, linden Abend gehen Margarita und Leo, Lian, Vera und Maik, Anton und Usa zur Quinta von Mona und Jörg. Oberhalb am Schotterweg, der als ausgefahrene Piste zu Bergweiden führt, parken etliche Kleinwagen. Teils blättert alternder Lack ab, so werden sie gefahren von genügsamen Residentes. Im Haus sind die Gäste, Gelächter hallt auf die Terrasse, gen Atlantik angelegt. Darüber spannen Girlanden ihre Farben, eine duftige Atmosphäre im Wind. Sitzkissen auf Mauern laden ein, später liegt der von Sternen übersäte Horizont im Nachtdunkel direkt voraus.
Beim Betreten der Parkzone nähert sich Jörgs dunkler Anzug. Das Jackett zwischen den aufgekrempelten Ärmeln steht offen. So seine Arme, die sein Willkommen gestikulieren, eine Einladung.
„Mögt ihr unseren sommerlich sattgrünen Hang besichtigen?“
Er eilt voraus. Schon erwägt Maik bei sich, der Hang lenke kaum ab von Jörgs Erregung zur Feier des Ehejubiläums. Am Hang hinab sieht Maik noch zu dem vor Wochen verschütteten Haus, dem gekippten Mast. Seither zeigt er Zwei Uhr an, wie viele Uhren der Insel. Maik folgt nach, betrachtet alle Gruppenpflanzungen hinter den zwei brusthohen, sechs Meter langen Hügelbeeten in Permakultur. Das Gemüse steht üppig im Saft. Davor verweilen die Freunde, umstehen anerkennend Jörg.
„Nichts an diesen Beeten zerstörten die Wasser des Februar. Das Gemüse strotzt vor Kraft, anheim gegeben den madeirischen Urgesteinen, und profitiert vom feuchten Wind.“
Stolz grinsend streichelt Jörg die violettblauen Blätter an Kohlrabiknollen. Er hebt den Blick zu den sieben Nachbarn, und nistet den an Maiks Strubbelhaar ein. Wie getrieben reibt Jörgs Linke den Duft des Kohlrabis an seinen polierten Oberkopf, und offenbart den Lauschenden noch eine Erklärung.
„Mir schenkt das Firmament den Siderischen Zyklenkalender, inzwischen vergleiche ich nichts mehr von dem, was an welchen Elementetagen in die Erde ging. Der Ertrag beweist es mir. Der siderische Mondzyklus zeigt beinahe einen Tierkreis zurück an, nicht den vor Jahrtausenden festgelegten Rhythmus von einst.“
Zwar bewundern die im Halbkreis untergehakt Stehenden seine Erträge, unterscheiden sich jedoch in Begeisterte und Zweifler. Jörg verschränkt seine Gärtnerarme vor dem Bauch.
„Anton, Maik erzählte, dich beschäftigen die Kabbeleien am Firmament. Seit ich mein Gemüse beobachte, sind mir Einflüsse von Planeten vertrauter, die Polaritäten von oben und unten.“
Anton befreit sich aus Usas um seine Hüfte klammernden Arm, glättet sein Tshirt am Bauch und geht drei Schritte vor zu ihm.
„Gestirne sind wie Inseln im Meer des Alls, in dem sie Ebbe und Flut bewirken, wie das Mondlicht für die Erde“, entfährt es ihm, mit weit offenen Augen. „Der Ertrag deines grünen Daumens nach dem Saatkalender erhöht meinen Gärtnerherzschlag!“
An leisen Sohlen nähert sich sekundenschnell Usa nun Antons Rücken. Sie rückt ihre Sandalen am Erdweg hüftbreit auseinander und greift, damit er nicht entwische, um Antons Hände.
„Weise gesprochen!“, billigt sie sein Lob. „Was sich oben anbahnt, lehrt mich, mit geerdeten Füßen zu verstehen.“ Jörgs, ob ihres Zugriffs baffe Miene, reizt sie. Sie legt ihr Kinn auf Antons Schulter, zirpt ihm ins Ohr: „Kommen Boden und Füße und Hände ohne einander aus? Gilt nicht nur für dich, den Gärtner!“
Hinter sich hört Usa Lians vertrautes Kichern. Dem vollste Zustimmung entnehmend, denkt sie einen Moment an den nachts für Lian geschmiedeten Erfolgsplan, der auch ihr den Mut bietet für ihre öffentlich anzuschauende Zuneigung.
Usas Umklammerung einen süßen Moment musternd, gesellt Leo sich den Dreien zu, aber reckt Vera eine zuckende Braue hin.
An Lians Stirn kreuzen ahnungsvolle Falten auf, Leos Mimik gefällt ihr nicht. Leo hatte ihre vorausschauende Art bei der Erfolgsbestellung während der Nacht passender vorgeführt. Lian registriert auch, wie, irritiert von Usas Demonstration, Vera der Gruppe abrupt den Rücken zudreht.
Margarita tritt hinzu, zupft Leo am grasgrünen Blusenärmel.
„Wir haben etwas vor, und Anton ist sowieso diffus drauf.“
Dies zu hören, zuckt an Jörg und Maik bis in die Füße. Ihre Blicke fliegen an die beiden schlanken, miteinander Uneinigen.
„Nutzt es ihm was?“, knurrt Leo. Margaritas Hand abwehrend, blinkt sie aus braunen Augen einen Blitz, unbeeindruckt ob des Tipps für die Festlaune. Leos Augenmerk streift zu Usas Gesicht und Kinn, aufgelegt an Antons Schulter. Leo lächelt.
„Gut, ich zügle Spitzfindigkeiten, aber meine, Anton sollte in eine zweckdienliche Assimilation mit Bauern einsteigen.“
Anton Züge werden hölzern. Ihm missfällt ihr Vorschlag für ein Einswerden mit der Dorfkultur. Zumindest dies bewirkt zu haben, befriedigt Leo in ihrem Ansinnen. Einlenkend grinst sie zu Lian, hakt sich bei ihr ein, und hört Jörg den Rat geben:
„Oder nur in Permakultur anbauen. Unvorstellbare Rottehitze brutzelt in den Beetkernen. Jedoch was deine Prognose betrifft, Margarita, so hoffe ich, unser Fest gefällt euch allen!“
Im Nu sieht er nach Vera, abgekehrt steht sie da. Ihm, dem Gastgeber, behagt das nicht. Mitnehmen könnte er sie. Bevor er noch daran entlang gedacht hat, stört ihn ein im Nachbargelände aufgellendes Geschrei. Schnelle Laute, mit nichts vergleichbar.
„Was ist da los?“, brummt Maik, entfernt sich zur Einfahrt.
Dort erwischt ihn Jörg am grüngestreiften Hemdärmel, stoppt seinen Gang und tritt dicht vor ihn, leise sprechend.
„Da eskaliert das Resultat der Polizei, die Verwandtschaft krakeelt. Der uns befragende Beamte vermutet keine Bluttat in dem ungeklärten Fall, obgleich ein Vöglein ihm zwitscherte, der Verschwundene hätte Schulden, hat sich aus dem Staub gemacht.“
Jörg mustert Maiks unter der Sonnenbräune fahl werdende Miene, und ergänzt zögerlich: „Verhagelt dir ein unglücklicher Abgang die Petersilie? Kriminalistischen Spürsinn wecke, wäre besser.“
Maik spult seine vormalige Beobachtung im Blick nach drüben ab. Ruckartig spielt mit den Schultern. Dann nickt er, den Kopf bedauernd zur Seite geneigt.
„Von solchen Zuständen lernen Kinder keinen Respekt. Nichts dort sollten wir mit unserer Lebensweisheit bewerten, uns nicht einmischen. Vermutlich beendet der Flegel Jacko sein erlerntes und ebenso berechtigtes Bockigsein von selber irgendwann.“
„Beide Jungs brauchen ein Regulativ, sie werden ohne eines zu gestörten Psychopathen“, erklärt Jörg gereizt, und nimmt die Hand von Maiks Ärmel. „Der Polizist informiert das Sozialamt, da die Alte die Kinder nicht abgebe, sie dann allein wäre. Das Amt behandelt die Jungen so normal wie alle, dann wirkt in dem Alter Anderssein nicht wie Pickel auf der Nase. Das erinnere ich vom Aufwachsen meiner Söhne, und zeitnaher aus dem Zorn des Beamten wegen der Kindesmisshandlung: Die sei aufgeflogen, der barbarischen Familie dürfen die Kinder des Verschwundenen nicht egal sein. Vor allem müssen die Verwandten der rabiaten Oma die Wichtigkeit ihres Daseins absprechen.“
Horchend hinüber zu den einander jagenden Schreien, steckt Jörg sich die Zeigefinger in die Ohren.
„Darüber streiten die also“, knurrt Maik. Langsam kehrt in sein Denken eine Struktur ein, und die rüttelt an dem unlängst mutmaßten Verdacht. Um Jörg eine Frage verständlich zu machen, hebt er seine Stimme an in lautes Dröhnen.
„Nichts anderes wurde über den Vermissten berichtet?“
Jörg schüttelt den Kopf, samt der Finger in den Ohren. Sein Jackett bauscht sich im üblen Wind, dem zänkischen Geschrei.
„Inzwischen“, hebt Maik an, und brüllt ebenfalls, „schließe ich ein Gewaltverbrechen nicht mehr aus. Oder stürzte der etwa im Suff zu Tode? Was sagt der Spezi?“
„Nichts. Wie ein rechtschaffen Trauriger. Ich höre nur das lästige Krakeelen der Alten, sobald sein Fischwagen vorfährt.“
Jörg gibt den Versuch wegzuhören auf, tippt an seine Stirn in der Geste für Unterbelichtete, kreuzt dann die Arme am Leib. Schon sieht er Leo und Lian näherkommen, kommentiert fix noch:
„Die drüben haben einen Defekt an gutem Benimm.“
„Nach unseren Wertenormen!“, stößt Lian aus.
Sie weiß nicht wohin mit ihren zappligen Fingern, legt sie vorerst an ihre vor keimendem Mitleid schmal gewölbten Lippen.
Leo schürzt den Mund zu einem festen Knoten, kurz nur.
„Unsere Gene verbergen noch Geheimnisse über die Anlage zu übermäßig aggressivem Schreien, auch übers Alkoholsaufen.“
„Könnte Ursache sein, muss ja nicht“, zischt Lian durch die Zähne. Ihr Genick versteift sich, es reibend mit einem Finger, fügt sie an: „Die Oma überfordert das Verschwinden ihres Sohnes und seine Ableger. Einen Stresstest braucht die nicht!“
„Willst du denn gar nicht wissen, was geschah?“, fragt Maik eifrig, wendet alsdann ein bettelndes Gesicht an Jörg.
„Der ist schlau, den findet keiner“, erwidert Jörg sofort.
Dem entgegen wedelt Maik mit den Armen den aggressiven Wind von gegenüber zu ihm, da er den Rest der Freunde kommen sieht.
„Der war nicht schlau, Jörg!“
Usa, und Anton mit Vera und Margarita an den Armen verhakt, nähern sich wie ein sehr grüner Wall. Usa hält zu den Dreien eine kleine Distanz, aber den Lamentierenden einen Tadel hin:
„Nun beendet eure Diskutierfreude, ja, ihr Lieben?“
„Die geht mir gehörig auf den Senkel. Wir wollen ungestört feiern, muss doch unbedingt sein!“, verstärkt es Anton.
Vermeintliche Herzlosigkeit durchzuckt Jörg. Er findet auch über die Streiter ein Resümee.
„Eigentlich ist der Mensch gut, hat nur schwache Nerven. Du bekommst dafür von Mona gleich deinen Champagner, der macht dir deine Hacken leicht, Anton!“
Antons kleine Augen weiten sich perplex.
„Geht's eine Nummer cleaner? Ich schwor dem Suff ab!“
Jörg hebt seine Arme entschuldigend.
„Ah, mein Fehler! Beim Lärm der Proleten, sieh es mir nach, wie arg mir mein Festgemüt durcheinander geriet.“
„Proleten wissen genau, was sie tun!“, schnauft Margarita kehlig, ihrem täglichen Umgangston verfallen. Sie löst sich von Anton. Lahm hängen ihre Arme. Nicht jedoch ihre Stimmung. „Ganz gleich, was sie brüllen, hört nicht hin! Sie fliehen in ihre Realität wie stachelige Igel, und tragen obenauf ihre niedrige Frustgrenze. Kommt, sonst sinkt meine Feierlaune gegen Null!“