Kitabı oku: «Traumzeit für Millionäre», sayfa 3

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VOM BANKIER ZUM BANKER

Von den 929 Wiener „Millionären“ des Jahres 1910 bezeichneten sich 82 als Bankiers oder Bankinhaber. Nicht alle, die man aus heutiger Sicht dem Bankgeschäft zuordnen würde, sahen sich in ihrem damaligen Selbstverständnis als solche: Die Schoeller bezeichneten sich als „Großindustrielle“, die Miller-Aichholz und die Gutmann als „Händler“. Die Ephrussi hingegen, die im Großhandel ihr Vermögen gemacht hatten, verstanden sich 1910 bereits als „Bankgeschäftsinhaber“. Manche Bankiers und Kreditvermittler nannten sich bloß „Büroinhaber“ oder „Hypothekenvermittler“. Das Wiener Adressbuch, der Lehmann, unterschied bei den Bankiers zwischen Bankhäusern, Geldwechslern und Kommissionshändlern mit Börseeffekten.

Bei den Bankhäusern gab es Aktienbanken und Privatbankiers. Während die Aktienbanken als publikationspflichtige Institute gut dokumentiert sind, ist von den Privatbankiers oft nicht viel mehr als eine Adresse bekannt. Man meint fast, 1910 sei ihre Zeit bereits vorbei gewesen. In Wahrheit war es ihre letzte große Blüte. In Wien zählte das Bankiersbuch um 1910 etwa 230 Banken und Bankiers, davon 21 Aktienbanken und 192 Privatbankiers.30 Die Wirtschaftsgeschichte hat bislang ihr Augenmerk viel zu sehr auf die Aktienbanken gelegt, deren Jahresergebnisse und Beteiligungen in den Zeitungen viele Seiten füllten, während die Privatbankiers im Hintergrund diskret ihr Geld verdienten und verwalteten.

Die letzte Blüte der Privatbankiers

Was die Einkommen betrifft, sind die Privatbankiers den Spitzenmanagern der Aktienbanken mehr als ebenbürtig. Rothschild nahm sowieso eine Ausnahmestellung ein. Das Bankhaus S. M. v. Rothschild war auch Hauptaktionär der größten österreichischen Aktienbank, der „Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe“. Für zahlreiche Privatbankiers war solch eine Doppelstellung charakteristisch. Diese großen Privatbankiers kamen auf extrem hohe Einkünfte: die Reitzes, die Gomperz, die Lieben, die Thorsch.

Richard v. Lieben, der 1910 ein Einkommen von 644.975 Kronen versteuerte, war zwar Vizepräsident der Credit-Anstalt. Sein Hauptinteresse aber galt der Bildung und Wissenschaft. Der ausgebildete Mathematiker war Präsident der Wiener Handelsakademie und betrieb nationalökonomische Forschungen. Zusammen mit seinem Cousin, Schwager und Compagnon Rudolf Auspitz hatte er ein Werk zur Preistheorie verfasst, das mit seiner mathematischen Ausrichtung dem Stand der damaligen volkswirtschaftlichen Theorie weit vorausgeeilt war. Gemeinsam mit seinem Bruder Leopold hatte er 1862 das Bankhaus „Lieben & Co.“ gegründet, das sich bis zum Börsenkrach von 1873 sehr erfolgreich an großen Bank- und Finanzgeschäften beteiligt hatte, aber rechtzeitig auf Vermögensverwaltung und Geldanlage in Industrieunternehmen umgestiegen war. Leopold, der lange Zeit Präsident der Wiener Börsenkammer war, war mit Anna Todesco verheiratet, deren Mutter Sophie den berühmten Salon im Palais Todesco führte. Die Lieben, die sich im Lieben-Haus, in Sichtweite der Neuen Universität, die einzelnen Stockwerke teilten, ganz oben im Dachgeschoß der berühmte Chemiker Adolf Lieben und seine Gattin Mathilde, geborene Schey von Koromla, prägten durch ihre Salons und Gesprächsrunden die geistige Kultur der ganzen Epoche.31

Auch Viktor Ephrussi in seinem fast benachbarten Palais interessierte sich mehr für Wissenschaft und Kunst als für Geld und Geschäft. Er war nicht für die Arbeit geschaffen. Er las die Zeitung, ging ins Kaffeehaus und in den Club, beschäftigte sich mit seinen Inkunabeln und widmete sich dem Nichtstun, schreibt Edmund de Waal in seinem einfühlsamen Ephrussi-Roman über seinen Urgroßvater.32

Die aus Odessa stammenden Ephrussi waren nach dem Krimkrieg nach Wien und Paris übersiedelt. Innerhalb weniger Jahre hatten sie einen sagenhaften Reichtum erwirtschaftet. Die sogenannte „Wunderernte“ des Jahres 1867, als das Getreide in der Ukraine hervorragend und in Westeuropa sehr schlecht gediehen war, muss ihnen ganz fantastische Gewinne gebracht haben. Ignaz Ephrussi heiratete in die Familie Porges, wurde 1871 zum Ritter ernannt, ließ sich im selben Jahr von Theophil Hansen ein riesiges Palais an der Ringstraße erbauen und verheiratete seinen Sohn Viktor mit einer Freifrau von Schey-Koromla. Nachdem Ignaz 1899 gestorben war und sein älterer Bruder sich mit dem Vater zerkracht hatte, übernahm Viktor eher widerwillig das Unternehmen. Seit 1900 betrieb die Firma ausschließlich Bankgeschäfte. Viktor Ephrussi selbst soll 1921 bekannt haben, er werde „finanziell allgemein überschätzt“. Auch de Waal überschätzt ihn. Er war keineswegs mehr der zweitreichste Bankier der Stadt, sondern rangierte 1910 an 258. Stelle der Einkommensskala. Vor dem Kriegsausbruch hatte Viktor zwar ein erhebliches Vermögen in Effekten besessen, dazu das Palais, etliche weitere Häuser und nicht zuletzt eine großen Kunstsammlung mit über hundert alten Bildern. Aber er sammelte anders als seine französischen Verwandten keine Moderne. Im Krieg und durch die Hyperinflation war vieles verloren gegangen: Er habe, so behauptete Viktor Ephrussi 1921, nicht wie viele andere sein Vermögen rechtzeitig in fremde Valuta transferiert. Vor dem Krieg habe er zwar ein Vermögen von zehn bis zwölf Millionen Kronen und ein Einkommen von mehreren Hunderttausend Kronen gehabt, doch dieses Vermögen habe sich reduziert. Es bestand, so gab er 1921 an, aus zwei großen und unbelasteten – allerdings nicht mehr gewinnbringenden – Mietshäusern, aus Effekten im Wert von 50.000 britischen Pfund und Forderungen im Wert von weiteren 40.000 britischen Pfund.33

Auch der Ruhm der Gomperz liegt in der Kultur: Ein Großteil des Einkommens von Max Gomperz kam wohl aus dem Vermögen und nicht aus der laufenden Geschäftstätigkeit in der Bank und den Funktionen in der Leitung der Credit-Anstalt. 1913 schrieb die Neue Freie Presse, früher habe das Bankhaus Gomperz auch an großen Bankgeschäften teilgenommen, seit geraumer Zeit widme es sich aber vorwiegend der Vermögensverwaltung. Anfang 1922 löste Philipp Gomperz das Bankgeschäft ganz auf.34

Reitzes war ein Reizwort für Antisemiten: Das Bankhaus Sigmund & Max Reitzes war 1870 ins Wiener Handelsregister eingetragen worden. Sigmund Reitzes, in Lemberg geboren, hatte sich als geschäftsführender Gesellschafter zunächst mit Kommissionsgeschäften durchgeschlagen. In der Wirtschaftskrise von 1873 hatte er mit Baissespekulationen sein Vermögen verdient. Er erwarb große Beteiligungen an zahlreichen Eisenbahngesellschaften und vor allem an der Wiener Pferde-Tramway. Als Hauptaktionär soll er nicht nur lange deren Elektrifizierung verhindert haben, sondern wurde auch von Kritikern – sowohl von Victor Adler, dem Begründer der Sozialdemokratie, wie auch von Karl von Vogelsang, dem Wegbegleiter der Christlichsozialen – für die schlechten Arbeitsbedingungen in dem Unternehmen verantwortlich gemacht, die zu dem großen Streik der Wiener Tramwaykutscher von 1889 führten. Sigmund Reitzes hinterließ bei seinem Tod im Jahre 1906 ein Vermögen von 33,6 Mio. Kronen und zahlreiche in- und ausländische Beteiligungen. Etwa 24 Mio. Kronen waren in Wertpapieren angelegt. Da er kinderlos geblieben war, wurde sein Neffe Hans Reitzes sein Universalerbe und Nachfolger. Dieser versteuerte 1910 die riesenhafte Summe von 1,6 Millionen Konen Jahreseinkommen.35

Auch das Privatbankhaus Thalberg hat seinen Platz in der Wiener Kulturgeschichte: Im Salon von Risa Thalberg verkehrten nicht nur die großen Künstler der Zeit, die Komponisten Richard Strauss und Gustav Mahler, die Pianisten Moritz Rosenthal und Alfred Grünfeld, die Dichter Schnitzler und Hofmansthal, die Maler Makart und Klimt, sondern auch die jeweiligen Großen der Politik. Graf Stuergkh war fast täglich zu Gast, in einer Wohnung, die an Ausdehnung und Luxus nichts zu wünschen übrig ließ.36 Ihr Mann Sigmund Thalberg war Inhaber von „Joseph Kohn & Comp. Bankgeschäft“. Sein Vater, 1838 in Wien als Joseph Kohn geboren, hatte 1884 seinen Familiennamen auf Thalberg geändert. Sigmund Thalberg war als Einziger der drei Söhne in das Bankgeschäft eingetreten, während August, der Chemie studiert hatte, jung starb und der Jurist Oscar sich als Privatgelehrter der Musik und dem Studium der Kirchengeschichte zuwandte. Sigmund Thalbergs Einkommen stammte aus einer Doppelfunktion im Privatbankhaus und als Vizepräsident des Direktionsrats der Disconto- und Effektenbank in Budapest. Als Herausgeber der Zeitschrift Der Capitalist war er einer der Lieblingsgegner von Karl Kraus.37

Josef Redlich, der berühmte Jurist, Politiker und Historiker, der eine etwa ein Jahr dauernde Affäre mit Risa Thalberg hatte, pendelte zwischen Himmel und Hölle: „Am Samstag, den 12. (Februar 1910), abends bei R(isa) T(halberg): ex amore lux! Diese ganzen Tage unter dem erwärmenden Strahle reiner inniger Liebe!“ Am 5. April 1910 schmachtet er an der Riviera: „Und dazwischen die rührend guten liebeerfüllten Briefe von Risa! O feminae, o mores! Stärker als alle – la politique!“ Am 8. Mai hingegen: „Gestern ein fürchterlicher Abend mit R(isa) T(halberg). Es muss der letzte sein.“ Und am 14. Mai: „Freitag höchst peinliche Unterredung mit R(isa) T(halberg). Die Sache ist innerlich für mich von Anfang an gezwungen, muss zu Ende kommen. Ich schrieb heute einen entscheidenden Brief. Fahre heute Abend nach Dresden, dann Leipzig.“ Im Dezember 1910 ging die Affäre mit der schönen Bankiersgattin zu Ende: Am 6. 12. 1910 schrieb er: „Mit R(isa) T(halberg) unnütze Liebesausbrüche erlebt! Welche Torheit, diese ganzen Beziehungen!“ Und am 18. 12. 1910, mit deutlich antisemitischem Unterton: „Heute Nachmittag beim Jour bei R(isa) T(halberg): Welcher Unsinn, diese jüdischen Jours … Die Affäre mit R(isa) T(halberg) – ganz sinnlos geworden.“38

Sigmund Rosenfeld, der Begründer das Bankhauses Rosenfeld, war als Sohn eines reichen Kaufmanns aus Sillein (Žilina, Slowakei) in den 1860er Jahren nach Wien gekommen. 1882 war er Direktor der neugegründeten Länderbank, wo er wesentlichen Anteil daran hatte, dass die Bank ihre Anfangskrise überstand. 1890 trat er aus der Länderbank aus und gründete seine eigene Bank. Sein Zielpublikum war exklusiv. Bekannt war ein geflügeltes Bankerwort: „Wovon leben die Rosenfelds eigentlich? Antwort: Von den Gesellschaften, die sie ablehnen.“39 Grundsatz war: Der Bankier geht nicht zum Kunden. Der Kunde muss zum Bankier kommen. Alles andere war unter der Würde, unstandesgemäß. Als Sigmund Rosenfeld 1900 im 52. Lebensjahr verstarb, genossen das Bankhaus und er selbst hohes Ansehen, nicht nur im eigenen Umfeld, sondern auch in notorisch kapitalismuskritischen Kreisen wie der Arbeiterzeitung.


Die Todesanzeige für Sigmund Rosenfeld, den Begründer des Bankhauses Rosenfeld, lässt auf das Imperium schließen, das sich die Familie aufgebaut hat.

Sigmund Rosenfelds Töchter waren mit Sigmund Popper und Julius Neustadt verheiratet, die er beide zu Compagnons seines Bankhauses gemacht hatte. Das Bankhaus befand sich in der Rathausstraße 20. Die Familie Popper wohnte im Parterre, die Familie Neustadt im ersten Stock, im zweiten Stock und in einer Hälfte des dritten befand sich die Bank, in der anderen Hälfte des dritten wohnte ein Vetter der Familie, nämlich Wilhelm Kux, damals Generaldirektor der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft. Kux zählte zu den schillerndsten Bankiers seiner Zeit. Zusammen mit Dr. Paul Hammerschlag war er 1910 Gründer des Verbands österreichischer Banken und Bankiers. Er war Präsident der Wiener Musikgesellschaft und Förderer junger Talente. Als Freund der Sozialdemokratie war er unter den Bankiers vielleicht gar keine so große Ausnahme. Das gesamte Bankhaus Rosenfeld galt als linksliberal bis links. Sigmund Rosenfelds Sohn Alfred war der Ehemann von Rosa Hochmann, die in erster Ehe mit dem Bankier Felix Stransky verheiratet gewesen war. Sie war eine begnadete Geigerin. Die Quartett-Abende bei Rosenfeld und Kux galten als gesellschaftliche Ereignisse ersten Ranges, zusammen mit dem Buffet aus der Küche von Frau Bertha Popper.40

Die Thorsch zählten zu den führenden Privatbankiers in Wien. Zu Eduard Thorschs Tod im Juli 1883 schrieb die Neue Freie Presse: „Heute repräsentiert die Firma, zumindest was die Höhe der Umsätze betrifft, das größte Bankhaus Österreich-Ungarns.“41 Allerdings beschränkte sich das Bankgeschäft schließlich mehr und mehr auf die Vermögensverwaltung der eigenen Familie. Der Reichtum der Familie galt als sagenhaft. 300 Millionen Gulden (!) habe das Vermögen des Bankhauses vor Kriegsausbruch betragen, meint Hubertus Czernin in seiner kleinen Geschichte dieser Familie, eine sehr zweifelhafte Angabe, nicht nur, weil es damals gar keine Gulden mehr gab, sondern weil es auch dann viel zu hoch ist, wenn nur Kronen gemeint wären. Um eine Zehnerstelle niedriger wäre es auch noch ein Riesenbesitz.42 Das Bankhaus befand sich in der Hohenstaufengasse 17, die Familie wohnte im Palais in der Metternichgasse, das kurz vor der Jahrhundertwende erbaut worden war, ein Haus mit 60 Zimmern, bewohnt von Alphonse und Marie Thorsch, geborene Spitzer, und den fünf Töchtern Clarisse, Henriette, Gabriele, Eva und Dorothea, dem Portiersehepaar, der Haushälterin, dem Diener, dem Hilfsdiener, der Köchin, dem Küchenmädchen, der Gouvernante, der Kinderschwester, der Kammerfrau, zwei Stubenmädchen, einem Hilfsstubenmädchen, der Wäscherin und dem Gärtner. Die Diener trugen Livrees mit Silberknöpfen und dem eingravierten T für Thorsch.43

Saly Jakob Schloss war vom vermögenslosen Bankbuchhalter zum Millionär und Mitinhaber der Bankgesellschaft Ellissen & Schloss aufgestiegen. Diese Bank war Nachfolgerin der wenig erfolgreichen Firma „Ludwig Ladenburg“, die einem Onkel von Rudolf Ellissen gehört und in der Saly Schloss als kleiner Buchhalter gearbeitet hatte. 1875 gründete er zusammen mit Rudolf Ellissen eine neue Bankgesellschaft. 1906, bei seinem Tod, hinterließ er ein Vermögen von 3,4 Mio. Kronen, davon 2,9 Mio. in Wertpapieren.44

Die Liste der Privatbankiers ist lang: Von Auspitz über Bellak, Biedermann, Blitz und Brunner bis zu Julius Schwarz, Schwarz & Strisower und Zirner. Viel Stoff noch für künftige Wirtschaftshistoriker. Es gab kaum nichtjüdische Privatbankiers. Unter den Millionären ist Franz Haunzwickl, Sohn des Baumeisters Ignaz Haunzwickl, einer der wenigen. Nach einer Bankausbildung war er zuerst im Bankhaus Löwenthal, dann im Bankhaus Gerstbauer tätig gewesen. Wie er zu seinem Spitzeneinkommen kam, liest sich wie ein Märchen. Er hatte das Glück, bei türkischen Anleihen, die mit einem Lotteriegewinn verbunden waren, den Haupttreffer zu ziehen. Er kaufte sich in das Bank- und Wechselhaus M. Gerstbauer ein. Michael Gerstbauer überließ ihm nach seinem Tod im Jahr 1903 die Leitung des Bankhauses. Gerstbauers Sohn Karl, offensichtlich schon schwer krank, verstarb 1905 zwei Jahre nach seinem Vater, ohne Kinder zu hinterlassen. 1910 machte Haunzwickl, der Glückliche, einen zweiten Lottohaupttreffer, der sein Einkommen nochmals sprunghaft erhöhte, von 29.000 Kronen im Jahr 1909 auf mehr als 300.000 Kronen im Jahr 1910. Die primäre Geschäftstätigkeit des Bankhauses war die Industriefinanzierung, aber auch die Vermögensverwaltung für das Kaiserhaus. 1919, nach dem Tode Haunzwickls, wurden Frieda Nowotny und ihr Bruder Ernst Haunzwickl Eigentümer der Bank, beratend war auch Dr. Otto Nowotny tätig, zuletzt Leiter der Staatsschulden-Hauptkasse. Nach schweren Verlusten in der Weltwirtschaftskrise musste das Bankhaus liquidiert werden. Der Familie blieben Teile des Beteiligungsvermögens. Auf diese Weise ist der gegenwärtige Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny ein Erbe des Bankhauses Haunzwickl.45

Nirgends allerdings waren die Vermögen so flüchtig wie in der Bankbranche: Zahlreiche der berühmten Bankhäuser aus dem ersten und zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts waren 1910 nur mehr Geschichte: Arnstein & Eskeles, Stametz & Mayer, Hofmannsthal, Epstein, natürlich Fries und Geymüller, die beide als Vorbilder für Ferdinand Raimunds Verschwender gelten.46 Der Reichtum der Epstein war schon in der Krise von 1873 zerronnen, der von Heinrich Mayer, dem Chef des Bankhauses J. H. Stametz, schon vorher. Auch die Familie Hofmannsthal gehörte 1910 nicht mehr zu den Millionären. Rudolf Friedrich Frh. v. Geymüller war 1910 nur mehr Gutsherr und Rentier. Vom Vermögen der Sina zehrten ihre hochadeligen Schwiegersöhne. Auch Robert Biedermann Freiherr von Turony gab 1910 bei der Steuerbehörde nur mehr Grundbesitz als zentrale Erwerbsgrundlage an. Die 1921 neu gegründete Biedermann-Bank, mit der der berühmte Ökonom Joseph Schumpeter als Generaldirektor sein Geld und das anderer Leute verlor und seinen Ruf als Wirtschaftsfachmann aufs Spiel setzte, hatte mit dem alten Bankhaus der Biedermann nicht mehr viel zu tun. Der traditionelle Name sollte der Bankgründung in der Hyperinflation nur einen soliden Anstrich verleihen.47

Julius Bachrach, 1910 noch Privatbankier und Millionär, mit einem Jahreseinkommen von 104.579 Kronen und 1909 von 82.307 Kronen, endete 1912 mit Selbstmord. Arthur Schnitzler lässt uns in seinem Tagebuch die Dramatik der letzten Lebenstage miterleben: Am 14. Oktober 1912: „O. kam mit Steffi von Bachrachs. Der Alte hat in diesen zwei Tagen 6 Millionen verloren. Steffi, die reiche Erbin ein armes Mädel! Über sein Wesen. Spielernatur. Geiz. Wenn’s schlecht geht, isst er Käs und Fleisch von demselben Teller. Für versetzte Ohrringe muss seine Frau Jahre Zinsen zahlen, weil er die kleine Summe zum Auslösen nicht gibt … “ Am 25. November notierte Schnitzler die telefonische Mitteilung von Steffi Bachrach: „Nachricht Vater ‚plötzlich gestorben‘, telephonisch mit ihr gesprochen, natürlich Selbstmord.“ Am 2. Dezember meint Schnitzler: „Zu Bachrachs. Die Verhältnisse scheinen desolat, Haltung gut. Sie werden wahrscheinlich von einer Rente leben, die die Banken an sie auszahlen werden, wo der Vater beschäftigt war.“ Am 9. Dezember 1912 erfährt die Familie die volle Tragweite, auch wenn aus der Sicht eines Industriearbeiters oder Stubenmädchens ihre Situation immer noch eine goldene war: „Man hat ihnen (Bankdirektor P.) in verletzender Weise eine Jahresrente von 6000 Kr. zur Verfügung gestellt. ‚Die Mädeln sollen verdienen.‘ Steffi weint bittre Tränen.“ Am 5. Jänner 1913 fasst Schnitzler zusammen: „Nach dem Nachtmahl Steffi. Bilanzen des Vaters. Vor 10 Jahren hatten sie auch 4 Millionen, im Jahr darauf eine (heuer im Sommer ca. 6).“ Und am 13. 2. 1916 reflektiert Schnitzler die Ereignisse noch einmal: „Dass der alte Bachrach, ihr Vater, im Juni 6 Millionen hatte – und sich ein paar Monate später umbringen musste.“48 Die Tochter Steffi Bachrach arbeitete im Krieg als Krankenschwester. Am 15. Mai 1917 beging sie mit einer Überdosis Veronal und Morphium Selbstmord. Schnitzler schreibt: „Erschütterung – und doch nicht. Wir sahn es zu sehr voraus.“49

Die Macht der Bankdirektoren

An erster Stelle der Einkommensliste von 1910 steht Rothschild. An zweiter Stelle, wenn auch weit abgeschlagen, liegt – durchaus vergleichbar mit heute – mit Theodor Taussig bereits ein Bankmanager. Während die Privatbankiers eine führende Rolle im Wiener Geistes- und Kulturleben einnahmen, auch Zeit und Interesse für Wissenschaft und Kunst fanden, in ihren Palais große Gesellschaften geben konnten und über ihre Frauen eine berühmte Salonkultur pflegten, war die Welt der Manager zwar nicht viel weniger exklusiv, aber viel nüchterner. Die Bankdirektoren besetzten die Spitze der Einkommenshierarchie. Gefürchtet war ihre Macht. Ihr Arm war lang. In ihren Banken waren sie Gott. Sie herrschten als Autokraten. Der Führungsstil glich dem von Privatbankiers. Sie waren voller Pläne, die sie in der Regel im Alleingang durchzogen, ohne Vorstandskollegen zu informieren oder mit ihnen zu beraten. Nahezu die gesamte Wirtschaft war von ihnen abhängig. Sie waren nicht nur Bankleute. Sie saßen in unzähligen Verwaltungsräten der Industrie und regierten die größten Konzerne und Kartelle des Landes, Taussig in der Bodencredit oder Morawitz in der Anglobank. Auch das Kaiserhaus, der hohe Adel und die christlichsozialen, antisemitischen Politiker waren auf ihre Hilfe angewiesen. Das Lob der Bankiers steht in den Nachrufen und Festschriften. In der öffentlichen Meinung waren sie Feindbilder: jüdisch, unermesslich reich, menschenverachtend. Hinsichtlich des Einkommens machte es kaum einen Unterschied, ob es sich um Selbständige oder um Angestellte handelte, um Manager von Aktienbanken oder Privatbankiers. Von der Machtfülle, der Zahl der Mandate in Verwaltungsräten, auch der Bekanntheit in der Öffentlichkeit lagen die Direktoren der großen Wiener Aktienbanken an der Spitze. Für die Privatbankiers hingegen hatte Diskretion Vorrang.

Von den 68 Aktienbanken der österreichischen Reichshälfte im Jahr 1911 hatten 21 ihren Sitz in Wien. Auf diese 21 Banken entfielen mehr als zwei Drittel des gesamten Bankaktienkapitals der österreichischen Reichshälfte. Wien zählte vor dem Ersten Weltkrieg acht große Aktienbanken, man würde heute sagen, systemrelevante Banken. Die weitaus größte davon, die 1855 nach dem Vorbild der Crédit Mobilier gegründete Credit-Anstalt, stand immer noch im Einflussbereich der Rothschilds. Die 1863 unter maßgeblicher Beteiligung der Crédit Foncier de France entstandene Boden-Credit-Anstalt galt als Bank des Kaiserhauses und des Hochadels und betrachtete sich als die vornehmste Bank der Stadt. Dazu kamen noch die ebenfalls 1863 gegründete Anglo-Bank, ferner die Union-Bank, die Verkehrsbank, die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft und der 1869 gegründete Bankverein, der in der Gründerzeit eine recht dubiose Rolle gespielt hatte, nach der Jahrhundertwende aber eine sehr erfolgreiche Entwicklung startete, und als letzte der großen Bankgründungen 1880 die Länderbank, die als christlich-konservative Gegengründung zu den jüdisch dominierten Banken intendiert war, aber nichtsdestotrotz fast ausschließlich von jüdischen Managern geleitet war. Dazu kam eine Reihe mittlerer Aktienbanken, von der Merkurbank bis zur Depositenbank, deren spektakulärste Zeit erst in der Hyperinflation unter ihrem Präsidenten Josef Kranz beginnen sollte. Im Schatten Wiens stand der Provinzbankensektor, der in sehr rascher Bewegung war, mit zahlreichen Neugründungen, aber mit ebenso vielen Krisenfällen. Unbedeutend hingegen waren der Sparkassen- und der Genossenschaftssektor, sowohl nach System Schulze-Delitzsch wie Raiffeisen. Die Mitwirkung als Sparkassenrat oder in Genossenschaften brachte über die damit vertretenen sozialen Anliegen vielleicht symbolische Reputation. Wirkliche Finanzmacht oder große Marktanteile waren damit noch nicht verbunden.

Woher kamen die Bankmillionäre? Nicht alle aus begütertem Milieu. Einige schafften den Aufstieg von ganz unten. Nur vier waren nicht jüdisch. Der Geburtsadel war nur auf Ehrenposten zu finden, Montecuccoli als Präsident und Aushängeschild der Länderbank und Kasimir Freiherr von Pfaffenhofen, der die Repräsentationsfunktion eines Präsidenten der Anglobank innehatte. Anders als vor 1850 kam der typische Wiener Bankier nicht mehr aus dem Deutschen Reich, sondern, wenn er nicht ohnehin bereits in Wien geboren war, aus den Sudetenländern. Max Feilchenfeld war in seiner Verbindung von norddeutscher Präzision und Wiener Melange fast schon eine Ausnahme. Auslandserfahrung war nahezu Bedingung, mehrere Sprachen waren Pflicht. Obligatorisch war auch, wissenschaftlich oder publizistisch tätig zu sein, in der Neuen Freien Presse zu schreiben oder als Buchautor hervorzutreten.

Völlig an der Realität vorbei gehen die Angaben und Schätzungen, die bislang über die Einkommen der Wiener Bankiers und Bankdirektoren der Jahrhundertwende angeführt wurden.50 Als Neurath 1906 von der Credit-Anstalt engagiert wurde, seien ihm 15.000 Kronen angeboten und Gesamteinkünfte von mindestens 45.000 Kronen garantiert worden. Auch Taussig, so heißt es, habe bis 1905 die 24.000 erreicht, dann 40.000 Kronen, Sieghart, sein Nachfolger, 50.000, Spitzmüller 56.000.51 Die Wahrheit sieht anders aus. Theodor Ritter von Taussig versteuerte 1910 mit über vier Millionen das zweithöchste Einkommen der Habsburgermonarchie, Morawitz 1,4 Millionen, Feilchenfeld mehr als 500.000 Kronen, Lohnstein mehr als 200.000, Mikosch 141.000 Kronen. Josef Redlich, immer gut informiert, rechnete, dass sein Intimfeind Sieghart 1911 als neu bestellter Gouverneur der Boden-Credit-Anstalt die fantastische Summe von 200.000 Kronen tangieren würde, und da dürfte er weit unter der Wahrheit geblieben sein.52 Morawitz hinterließ ein Vermögen von 30 Mio. Kronen. Auch Taussig, obwohl von recht armer Herkunft, brachte es mit 10 Mio. Kronen im Laufe seiner Karriere zu einem sehr bedeutenden Vermögen.

Man muss bei den Einkommen der Bankmanager neben dem Grundgehalt in der Bank auf zwei weitere Einkommensquellen Bedacht nehmen, die Tantiemen aus den Verwaltungsratssitzen und die Erträge von Börsenspekulationen. Die meisten Direktoren spekulierten an der Börse.53 Die Grundgehälter lagen zwar unter der 100.000er-Schwelle. Aber den größten Teil des Einkommens machten die gewinnabhängigen Boni und die Einkünfte aus Verwaltungsratssitzen aus. Damit und mit spekulativen Börsegeschäften erreichten die Spitzenverdiener unter den Bankdirektoren ein Einkommen von mehreren 100.000 Kronen jährlich. Mitunter ging das schief. Maximilian Krassny hat an der Börse in Paris das Vermögen seiner Frau, einer Ehrenzweig, verloren und lag daher einkommensmäßig recht niedrig, aber immer noch bei 138.150 Kronen.54 Taussig hingegen muss in seinem letzten Lebensjahr mit Spekulationen mehrere Millionen extra verdient haben. Denn 1910 versteuerte er ein Einkommen von 4,8 Millionen Kronen. 1909 hatte er nur 748.000 Kronen deklariert.

Dieser Theodor Ritter von Taussig, der Lieblingsfeind von Karl Kraus, der Gouverneur der Österreichischen Boden-Credit-Anstalt, galt als der „hervorragendste Bankier des Landes“, wie Ludwig von Mises in seiner „Geldtheorie“ vermerkte.55 Spitzmüller lobte ihn als die stärkste Persönlichkeit der damaligen Bankenwelt: „Seine Konzeption auf dem Gebiet der Industriefinanzierung war eine ganz ungewöhnliche, oft auch überraschende und wohl auch bei der Wahl der Mittel zur Ausschaltung der Konkurrenz eine rücksichtslose.“56 In den Worten des Bankiers Richard Kola war er „der allmächtige Direktor“.57 Josef Redlich charakterisierte ihn als „frostig wie immer“.58 Er schrieb ihm in seinem Tagebuch einen privaten Nachruf, der, weil nicht zur Publikation gedacht, wohl ehrlich war: „Mit Theodor Taussig ist einer der stärksten und bedeutendsten Männer gestorben, die ich je gekannt habe. In den letzten Jahren standen wir uns näher: soweit das bei dem der Freundschaft wenig fähigen Naturell Taussigs möglich war. Er war aus einem königlichen Stoffe von der Natur geschnitzt: einer der wenigen Beweise dafür, dass das Echte, Große und Starke in der jüdischen Rasse, das zur Herrschaft befähigt, nicht ganz ausgestorben ist …. Im Abgeordnetenhaus aufrichtiges Bedauern bei den Klugen und Starken über Taussigs Tod, so bei Lueger und Liechtenstein!“59 Auch von Sieghart wird Taussig als „stärkste Persönlichkeit der Wiener Finanzwelt“ charakterisiert, die damals „an gescheiten und erfahrenen Bankleuten nicht arm gewesen“ sei.60 Er sei nicht sehr beliebt gewesen, habe sein Judentum sehr hervorgekehrt, was ihn nicht hinderte, Lueger Kredite zur Verfügung zu stellen, als die Liberalen noch hoffen konnten, die Herrschaft der Christlichsozialen durch eine Kreditsperre zu brechen, wie Sieghart meinte. Ähnlich habe er sich angesichts der Pogrome in Russland verhalten. „Die Wiener Börse fürchtet Gott, Taussig, Wittgenstein und sonst nichts“, meinte Karl Kraus61, und schrieb von den „eisenfressenden Bestien Taussig und Wittgenstein“.62 Ging es Taussig um persönlichen Reichtum, ging es ihm um das Ansehen seines Instituts, ging es ihm um die Macht? Er kam von sehr niedriger Herkunft: Der Vater, ein Industriearbeiter mit wechselnder Beschäftigung, arbeitete sich langsam empor, vom Gelegenheitsarbeiter über den Handlungskommis zum Kohlenhändler. Taussig war vergleichsweise wenig assimiliert. Er wurde als gläubiger Jude beschrieben, der, genährt von der Bibel, im Erfolg seiner Bank die Erneuerung des biblischen Mysteriums erblickte.63 Von 1901 bis 1906 war er Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Die Erbschaftssachen im Hause Taussig, der zehn bis 20 Millionen Kronen hinterlassen hatte, merkt Redlich noch an, seien „nicht sehr freundschaftlich verlaufen!“.64


Symbol des wirtschaftlichen Aufstiegs der Monarchie: Max Ritter von Gomperz.

Julius Herz stand in der Boden-Credit-Anstalt im Schatten Taussigs, des allmächtigen Gouverneurs. Nach dessen Tod wurde er Vizegouverneur, als Gouverneur wurde ihm Rudolf Sieghart vorgezogen. Sein internationales Standing hatte sich Herz in Paris und London erworben. Er glänzte mit brillanten Sprachkenntnissen, ökonomischem Sachverstand und herausragenden Fähigkeiten zur Repräsentation. Als Übersetzer der Werke des britischen Ökonomen G. J. Goschens genoss er auch wissenschaftliches Ansehen. Sein großer Rivale Sieghart, der ihn bei der Nachfolgefrage ausgetrickst hatte, sagte zu seinem Ableben: ein Bankier und Finanzmann in allen Fasern seines Lebens, ein Bankier der guten alten Schule … ein außerordentlicher Kenner der Tradition … ein lebendes Buch … ein reicher Tresor an Erfahrungen …65 Ob er es ehrlich meinte, ist zu bezweifeln, obwohl er zweifellos recht hatte.

Mehr als ein halbes Jahrhundert war Max von Gomperz eng mit der Credit-Anstalt verbunden, zunächst als Mitglied des Verwaltungsrats, zuletzt als Präsident. Als er 1913 im Alter von 91 Jahren starb, galt er als deren verkörperte Tradition und als Symbol des wirtschaftlichen Aufstiegs Österreichs im letzten Jahrhundert.66 Der Sektionschef Richard Schüller bezeichnete ihn nicht nur als den erfahrensten, sondern auch als den besterzogenen der Wiener Bankiers. Von ihm wie von Taussig und Sándor Hatvan habe er manches gelernt.67 Seine vorsichtig abwägende Klugheit war sprichwörtlich: „Als die Regierung und die Direktoren der Credit-Anstalt sich an einer chinesischen Anleihe beteiligen wollten, sagten sie: Österreich muss auch einen Platz an der Sonne haben. Gomperz dazu: Mir genügt ein guter Platz im Schatten.“68 Er wohnte im Palais Todesco, wo seine Schwester Sophie, verheiratet mit dem Bankier und Baron Eduard Todesco, den berühmten Salon führte, in welchem die bekanntesten Wirtschaftsführer, Politiker und Künstler verkehrten. Sein Vermögen wurde bei seinem Ableben im Jahr 1913 auf 11,2 Millionen Kronen geschätzt.69 1857 hatte ihm Philipp Gomperz ein Vermögen von 309.265 fl CM vererbt, nur 7 Prozent dessen, was Max 1913 hinterließ.

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22 aralık 2023
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9783990401842
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