Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Fabeleien», sayfa 7

Yazı tipi:

»Warum denn nicht?«

»Weil sonst die Welt aus den Fugen ginge.«

In seinen Augen blitzte es – von Göttlichkeit oder von Wahnsinn.

Jetzt begann ich zu begreifen: statt in den Himmel, wie ich dachte, war ich ins Fegefeuer geraten, wo die armen Seelen ihre irdische Qual so lange mit sich schleppen, bis sie gänzlich gesäubert sind.

Und mein Verdruß wuchs, als ein peinlicher Argwohn in mir aufstieg, der Argwohn, daß ich vielleicht zur Strafe meiner Sünden verurteilt sei, eine unbekannte Anzahl Jahrtausende den eintönigen Leierkasten anzuhören und als Gesellschafter nur diesen kindischen Greis zu haben. Ich erinnerte mich mit Unbehagen, daß ich während meiner Erdentage wenig Vorliebe für die Alten und Schwachen gehabt hatte, namentlich, wenn sie immer dieselben Stücke leierten.

Und nun war ich in eine Zelle zusammengesperrt mit einem solchen Leiermann! Ich warf einen bösen Blick auf meinen Zellengenossen. Dabei sah ich, daß er mich aufmerksam und gespannt beobachtete.

Um seines lieben, arglosen Gesichtes willen verschluckte ich meinen Unmut und sagte leutselig: »Setzen sie sich nur nieder! Wenn es sein muß, kann ja ich indessen das Spiel in Gang erhalten, damit die Welt nicht aus den Fugen geht.«

Da brach der Alte in ein großes Lachen aus. Es war ein so herzliches, unwiderstehliches Lachen, voll ewiger Heiterkeit und göttlichem Behagen, daß ich nicht ärgerlich werden konnte, sondern gleichfalls zu lachen begann, obwohl ich nicht einsah, was denn so Lächerliches an meinem Anerbieten war.

»Weißt du denn nicht«, fragte er und lachte noch immer, »daß dazu fünf Stücke erforderlich sind?«

»Sie spielen doch die ganze Zeit nur ein- und dasselbe Stück, so viel ich höre?«

Er lachte weiter. Und dann stellte er fünf Fragen an mich.

»Hast du den festen Willen?«

»Hast du die Aufopferung?«

»Hast du das Wissen?«

»Bist du als Mensch geboren?«

»Bist du ein Mann geworden?«

»Nun, bei Gott! Dazu werden doch die geistigen Fähigkeiten des weiblichen Geschlechtes hinreichen?«

»Mein Kind, bisher ist die Mannheit eines der unerläßlichen fünf Stücke gewesen, und ich habe strenge darauf gehalten. Soll ich nun anfangen, Ausnahmen zu machen? Übrigens, warum nicht? Ich bin nie ein Pedant gewesen. Also komm her, mein Kind.«

Ich stand auf und trat zu ihm.

»Eines aber müssen Sie mir erlauben«, sagte ich, schon im Begriff, ihm die Kurbel aus der Hand zu nehmen. »Ich kann Ihnen nicht verhehlen, dieses Stück, das Sie schon so lange spielen – es Ist ja ein ganz nettes, altes Lied – aber nehmen Sie mirʼs nicht übel, immer dasselbe, das halte ich nicht aus. Deshalb möchte ich ein neues Register aufziehen, wenn ich beginne.«

»Das wird sich finden,« versetzte er, indem er meine Hand ergriff.

In diesem Augenblick verwandelte sich das Spiel des Leierkastens in ein Brausen wie von tausend Orgeln; das Stübchen fiel auseinander wie eine zerschnittene Pappschachtel, und eine ungeheure Weite, von blendender Helligkeit erleuchtet, dehnte sich ins Grenzenlose aus. Millionen farbiger Strahlen flössen in kreisenden Wirbeln vor meinen Augen ineinander und schienen sich in unendlicher Ferne in einem strahlenden weißen Punkte zu vereinen. Und dieses weiße Licht traf meinen Blick mit unerträglichem Glanz, und das Brausen schwoll immer gewaltiger an, als dröhnten schon die Donner des jüngsten Gerichtes an mein Ohr . . .

Überwältigt schlug ich die Augen auf. Da schien mir die Morgensonne hell ins Gesicht, und unten im Hofe wurde mit aller Macht ein Teppich geklopft.

Eine Unterredung

Gabriel ging kopfschüttelnd aus der Werkstatt. Da wurde von Tag zu Tag schlechter gearbeitet; wohin sollte das führen? Alle Hände voll zu tun, Arbeit, daß man nicht genug Gehilfen anstellen konnte – aber was dabei herauskam, war Dutzendware, schleuderhaft ausgeführtes Zeug ohne reine Prägung, ohne Schwung in der Linienführung, ohne Originalität der Erfindung, nur so in Eile und Oberflächlichkeit aus den verbrauchten und verschmierten Gußformen herausgestanzt. Je größer die Stückzahl, desto geringer der Wert.

Und dabei, wenn man hinunterhorchte in das Getriebe, stieg der Wert des Besonderen und Eigenartigen mit jedem Tage, ganz in dem Verhältnis wie es seltener wurde. Immer lauter scholl der Ruf nach dem, was da unten Individualität oder Persönlichkeit genannt wurde, als stünden alle diese Großen und Herrlichen schon vor der Tür und warteten nur darauf, bis das Zeichen zum Einlaß gegeben würde, um die Erde mit neuem Glanz zu erfüllen. Nächstens schon würden sie eintreten, so schien man zu glauben, nächstens schon würden sie da sein, die Heilsboten, die Gottgesandten, die Erlöser, die triumphierenden, lachenden, gewaltigen Herren der Erde, von denen man sich einstweilen alles versprach, was den Gegenwärtigen fehlte. Die guten Kreaturen! Wie grimmig täuschten sie sich wieder einmal! Wenn sie einen Blick in diese Formgießerei hätten werfen können, dann wäre es ihnen wohl aufgedämmert, daß ihre festlichen Preislieder nicht den Kommenden galten, sondern – den Gegangenen. Die Schatten der Vergangenheit waren es, die sie für die Schatten der? Zukunft hielten.

Kopfschüttelnd ging Gabriel aus der Werkstatt. Und in seinem großen, milden Erzengelsherzen reifte, während er so die mißlichen Aussichten des Menschengeschlechtes überdachte, ein Entschluß. Was war denn der Grund, daß die Sachen auf Erden täglich geistloser und gewöhnlicher wurden? Wenn diesem Übelstande abgeholfen werden sollte, dann gab es nur ein Mittel: neue Modelle, neue Gußformen! Weg mit dem alten Gerümpel! Dem Schlendrian ein Ende machen!

Aber das konnte nur Er!

Wo war Er? Wo war der Schöpfer und Meister? Seit langer Zeit hatte er die Werkstatt nicht mehr betreten, keinen Blick mehr auf seine Erfindung geworfen. Er überließ die Durchführung den dazu bestellten Geistern. Alles war ausgedacht, angeordnet, festgesetzt; der Betrieb mußte von selber gehen. Und es ging – aber so wie es geht, wenn die Geister zweiten Ranges das Regiment führen.

Gabriel seufzte. Er meinte sich selbst unter den Geistern zweiten Ranges. Ihm war die Leitung der Herstellung übertragen, und er besorgte sie gewissenhaft, mit allem Fleiß und Eifer bemüht, den Ansprüchen der täglich wachsenden Vermehrung gerecht zu werden. Aber Ideen: nein, Ideen hatte er nicht. Die hatte nur Er, der Schöpfer und Meister.

Deshalb wollte er versuchen, eine Privataudienz bei ihm zu erlangen. Denn in den großen Empfängen, wenn Er, dessen Name unaussprechlich ist, sich im Glanze seiner Herrlichkeit dem versammelten Hofstaat zeigte, wenn die blauesten Fernen des Himmels vom blendenden Licht seines Angesichts strahlten und alle Höhen widerhallten vom Brausen der Jubelgesänge, die seine Stimme erweckte, da war nicht Zeit, solche Fragen mit ihm zu besprechen. Vielleicht aber wollte es diesmal das Glück, daß er ihn erreichte und geneigt fand, ihm Gehör zu schenken.

Lange suchte Gabriel. Er wagte sich aufwärts in Höhen, die sein Fuß noch nie betreten hatte. Wo in Nebelballen neue Planeten eingewickelt lagen und aus dem Dunkel formloser Massen neue Sonnensysteme ihre ersten Strahlen entfalteten, in dem ungeheuren Chaos werdender Welten stand der Herr wie ein Künstler in seinem Atelier. Als er den Ankömmling erblickte, schien er ihn nicht gleich zu erkennen; dann aber winkte er ihn näher herbei.

»Du hier, Gabriel?« fragte er mit einiger Überraschung. »Ich fürchte, es wird dir hier nicht ganz behaglich sein, alter Freund!«

Gabriel fand keine Worte; überwältigt von dem Gefühl des Abstands, schlug er die Augen nieder und beugte sich tief.

»O Herr, erhabener Meister«, stammelte er, »du, dessen Name als ein ewiger Lobgesang von den Lippen der Engel tönt . . .«

»Nicht so feierlich, lieber Gabriel! Du bist noch aus der guten alten Schule; aber da sich mittlerweile viel geringere Leute als du auf einen ganz anderen Fuß mit mir gestellt haben, warum solltest du es nicht auch tun? Hast du ein Anliegen, so sprich ungescheut!«

Da nun Gabriel sah, daß er den Meister in so leutseliger Stimmung angetroffen hatte, faßte er sich ein Herz und sagte:

»Es ist . . . ich komme . . . es ist die Menschheit . . .«

»Ach so!« sagte der Meister und machte eine geringschätzige Handbewegung. »Die Menschheit? Eine Jugendarbeit! Offen gestanden, sie hat kein Interesse mehr für mich . . .«

»O Herr, das eben ist ihr Unglück! In den Tagen, da du noch unter den Menschen wandeltest, war es besser um sie bestellt!«

»Ja, ich habe lange nichts mehr von ihnen gehört. Was treiben sie immer? Sie verstehen wohl noch immer nicht, was ich mit ihnen meinte?«

»Weniger denn je, fürchtʼ ich.«

»Sie gehen nicht auf meine Absichten ein, das verdrießt mich an ihnen so sehr!«

»O Herr, verzeih! Sie können auf deine Absichten nicht eingehen, weil . . . Darf ich offen sprechen?«

»Ich weiß, ich weiß! Du willst einwenden, daß sie eben nicht klüger und besser sind, als ich sie geschaffen habe. Ganz richtig! Es ist eine verpfuschte Arbeit, reden wir nicht weiter davon!«

Eine Wolke legte sich über die Stirn des Meisters, er wandte sich ab.

Gabriel versuchte einzulenken.

»Du sagtest, o Herr, sie gingen auf deine Absichten nicht ein. Gäbe es nicht vielleicht Mittel ihnen diese verständlich zu machen, sie ihnen gewissermaßen zu verdolmetschen, da doch ihre Fassungsgabe so gar nicht ausreicht?«

»Also eine Art Kommentar zu meinen Absichten meinst du?«

»Du sprichst es aus, o Herr.«

»Ist es dir denn nicht bekannt, daß seit einer Reihe von Jahrtausenden eine ganz erkleckliche Anzahl solcher Kommentare auf Erden erschienen ist?«

»Und hat nicht jeder die Menschheit um einen Schritt vorwärts gebracht?«

Der Meister sah den Erzengel über die Augengläser hinweg mit einem lächelnd vielsagenden Blick an. Gabriel begriff und errötete.

»Verzeih, o Herr! Was ich da sagte, klingt in deinen Ohren wohl als Phrase . . .«

»Lieber Freund, ist es nicht eben die Unverbesserlichkeit des Menschengeschlechts, die dich hergeführt hat? Diese ewig sich gleichbleibende Mittelmäßigkeit und Stumpfsinnigkeit?«

»Ja! Wenn du meine Stimme hören willst, so glaube mir, Herr, es ist Zeit, daß du wieder etwas für die Menschen tust! Zieh deine Hand nicht länger von ihnen ab! Schlage sie mit deinem Zorn, wenn es sein muß; das wird sie zur Besinnung bringen. Aber wenn sie weiter so dahinleben, täglich mehr und täglich geringer, werden sie in ihrer Stumpfsinnigkeit bald jede Möglichkeit verlieren, sich zu dir wieder in ein Verhältnis zu setzen. Sie wollen durchaus nicht mehr glauben, daß ihr Dasein nur jenen Sinn und Zweck haben kann, für den du sie geschaffen hast.«

»Was war das nur gleich, lieber Gabriel? Es ist so lange her, daß ich mich nicht mehr genau entsinnen kann.«

»Daß sie dich suchen sollten, o Herr, um dich zu lobpreisen und in deinem Anblick selig zu sein.«

»Hm! Damit haben sich wohl immer nur die wenigsten beschäftigt. Aber wenn mir recht ist, so war es nicht eigentlich das, was ich mit den Menschen vorhatte.«

Gabriel senkte betreten sein lockiges Haupt, »Deine Ratschlüsse sind unerforschlich, o Herr«, murmelte er entschuldigend. »Was könnte es Höheres für sterbliche und unsterbliche Geister geben als deines Anblicks teilhaftig zu werden?«

»Vielleicht gibt es etwas Höheres. Vielleicht hatte ich den Menschen etwas Höheres zugedacht, damals, als ich sie schuf und mir so viel von ihnen versprach, wie man sich immer von dem Werk verspricht, mit dem man eben beschäftigt ist. Ja! Damals hatte ich etwas ganz Besonderes im Sinne: ein Experiment, das glücken oder mißglücken konnte. Das warʼs, was ich damals brauchte. Wagnis, Ungewißheit, Hoffnung! Ach Gabriel, es gibt Stunden, in denen die Allwissenheit sich selbst unerträglich wird und sich nach dem sehnt, was ihr Gegensatz ist, weil es ihr Gegensatz ist! In einer solchen Stunde geschah es, daß ich die Menschheit schuf. Das heißt . . . vorher hatte diese Stimmung oder Verstimmung etwas anderes bewirkt. Laß mich ein wenig weiter ausholen.«

Von Erinnerung ergriffen ließ sich der Meister auf einen Nebelballen nieder, und lud Gabriel mit einer Handbewegung ein, sich auf die nächste Haufenwolke niederzusetzen.

Nach einem kleinen Schweigen fuhr er mit einem Seufzer fort:

»Schöne Zeiten! Zeiten der Liebe und des Vertrauens! Damals liebte ich den, der mir am nächsten stand, den Ersten der Engel, jenen geheimnisvollen Luzifer . . .«

Bei diesem Namen verhüllte Gabriel sein Gesicht mit den Händen.

»Der Verruchte, der Furchtbare, der sich wider dich erhob!«

Aber das Angesicht des Meisters hatte sich nicht verfinstert.

»Glaubst du denn, Gabriel«, sagte er lächelnd, »daß es einen Geist gibt, der sich ohne meine Einwilligung wider mich erheben kann?«

»Herr, wie soll ich das verstehen?«

»Was ich dir jetzt mitteile, ist das große Geheimnis oder, wenn du willst, das große Rätsel der geschaffenen Welt. Es zu lösen sollte die Aufgabe der Menschheit sein, jene Aufgabe, die sie nie begriffen hat. Als ich den Menschen schuf, wollte ich nichts Geringeres zu seiner Bestimmung machen als Freiheit. Freiheit, Gabriel, verstehst du, was das sagen will? Sein Leben sollte sein Werk sein, frei sollte er sein von meinem Willen, sein eigener Schöpfer und Überwinder: er sollte werden wie Gott!«

»O Herr, das sind die Worte seines Erzfeindes, die Worte der Verführung!« murmelte Gabriel mit geängstigten Augen.

Aber wieder lächelte der Meister.

»Da liegtʼs eben! Daß sie sich nie in das rechte Verhältnis zu diesem vermeintlichen Erzfeind und Verführer zu setzen vermochte, das ist das Mißglückte an der Menschheit. Damit hat sie meinen Plan vereitelt, meine Absichten verkannt. Immer hat sie getrachtet, den Gegensatz zwischen den beiden Mächten, denen sie ihr Dasein verdankt, bis zum Äußersten zu vergrößern anstatt ihn zu versöhnen; immer hat sie getrachtet, es mir allein recht zu machen, ohne Verständnis für den Geist der Auflehnung, der sie den Weg ihrer wahren Bestimmung weisen wollte, den Weg der Freiheit und Unabhängigkeit«.

»Verzeih, o Herr, wenn ich es wage dich zu erinnern: Hast du nicht selbst gleich zu Beginn jenes erste Paar, das sich vermaß, deinem Gebot zu trotzen und der Stimme des Verführers zu folgen, mit deinem schwersten Zorn gestraft?«

»Ganz richtig! Gab es denn ein anderes Mittel, den Menschen die Freiheit zu schenken? Aber wie haben sie das mißverstanden! Wie falsch haben sie diesen herrlichen ersten Akt ihrer Geschichte ausgelegt! Was für kurzsichtige Vorwürfe haben sie dem großen Adam nicht gemacht, weil er sich durch seinen Ungehorsam den müssiggängerischen Aufenthalt im Paradies verscherzte! Und was haben sie nicht alles der Eva nachgesagt, diesem göttlichen Weibe, das mehr Freiheitsmut und Erkenntnistrieb besaß als ihre ganze männliche Nachkommenschaft! Ach, der Anfang war so groß, so vielversprechend! Und das Werk war mit einem so ungeheuren Opfer erkauft! Wahrlich, die Menschheit ist meine Strafe; die Strafe dafür, daß ich dies ungeheure Opfer annahm. Aber was tut man nicht alles, um eine Idee zu verwirklichen, die man einmal ausgeheckt hat! Und wenn es auf Leben und Tod geht, die Idee muß heraus! Ideen kosten immer Opfer, lieber Gabriel. Hast du das bedacht, als du herkamst, um eine neue Idee für die Menschheit von mir zu verlangen? So oft ich etwas für die Menschheit getan habe, ist ein Opfer gefallen: das größte, als sie ins Leben treten sollte. Das Opfer aller Opfer war der Preis ihrer Erschaffung, die Bedingung ihrer Entstehung.«

»Wie das, o Herr? War nicht das Opfer aller Opfer, von dem du sprichst, der Preis ihrer Erlösung von dem Erbübel, das ihr anhaftete?«

Der Meister war in tiefes Nachsinnen versunken. Er schien diese Frage überhört zu haben.

»Als er, der Vertraute meines Herzens, der Erste unter denen, die mir nahe sind, den Plan erfuhr, mit dem ich umging, erschrak er; denn er begriff ihn. Ein Geschöpf, das frei sein sollte, über sich zu entscheiden, mußte sich mir auch widersetzen, sich von mir abwenden können; es mußte wählen können, es mußte mißraten und entarten können um seiner Freiheit willen. Freiheit: das war die Wahl zwischen mir und meinem Gegensatz. Also mußte, damit ich dem Menschen Freiheit geben konnte, erst mein Gegensatz in die Welt treten. Wer aber sollte dies ungeheure Amt übernehmen? Wer sollte den Mut haben, äonenlang den Schein meines Zorns auf sich zu laden und die odiose Rolle des Gottesfeindes zu spielen? Aber während ich noch darüber mit mir zu Rat ging, hatte er, der wie ein Teil von mir selbst war, mich schon verstanden. Er war bereit, sich selbst um meines Werkes willen zum Opfer zu bringen. Aus Hingebung wählte er Auflehnung; indem er sich mir widersetzte, gehorcht er mir im Tiefsten!«

»Deine Worte sind dunkel, o Herr« murmelte Gabriel.

»Freilich dachte er nicht, daß diese Trennung ewig währen sollte. Sobald der Mensch seine Aufgabe begriffen hatte, mußte er das Schöpfungsrätsel des Gegensatzes lösen: Gott und Teufel konnten wieder eins werden, das neue Reich war gegründet, ein Werk ohnegleichen vollbracht! So einigten wir uns, daß er sich gegen mich erheben und ich den guten Haudegen Michael beauftragen würde, ihn hinunterzustürzen in die Tiefe, die das Gebiet seines künftigen Wirkens sein sollte. Ihr alle, dir Ihr Zeugen dieses furchtbaren Schauspiels wäret, sähet wohl, wie nahe es mir ging. Ach, teurer ist nie ein Werk erkauft worden als die Menschheit! Und doch so mißlungen! Nein, reden wir nicht weiter von ihr; ich habe keine Lust mehr, auch nur das Geringste für sie zu tun.«

Es entstand ein langes Schweigen. Gabriel dachte mit Anstrengung nach, was er noch vorbringen könnte, ehe der Meister sich wieder an seine Arbeit machte und ihm sein Ohr verschloß.

»Möge ich deiner Gnade würdig bleiben, o Herr, und das Licht deiner Weisheit mir ewig leuchten! Aber noch eine Bitte sei dem Geiste gestaltet, den du mit der Fortführung deines Werkes betraut hast. Betritt noch einmal die Werkstatt, gib uns eine neue Form, nach der wir weiterarbeiten können, einen neuen Geist, der die träge Masse der Unzähligen wieder in Bewegung setze, den Gottesboten mit dem Funken, der die Herzen in Flammen setzt, daß sie dir wieder entgegenlodern, leuchtend vom Feuer eines höheren Lebens, glühend von der Wärme der Liebe, die erhöht und verklärt . . .«

»Gemach, mein Sohn! Hast du auch bedacht, was du verlangst, du unschuldig Grausamer? Wieder soll ein Opfer fallen? Wieder ein Auserwählter hinuntergestoßen werden in die gräuliche Masse, die sich über ihn hinwegwälzt und ihn zermalmt? Der Boden der Menschheit ist gedüngt mit dem Herzblut der Auserwählten: Sollen immer neue hingeschlachtet werden, damit die hoffnungslose Saat der Unzähligen weiter wuchern kann? Wenn du es dir vor Augen hältst, das Los dieser Auserwählten, hast du dann wirklich das Herz, ihrer noch einen von mir zu begehren?«

»Sie fühlen, daß dein Geist in ihnen lebt: das ist ein Preis, der jedes Opfer aufwiegt. Nie hat einer dieser Auserwählten dem göttlichen Funken geflucht, an dem er verbrannte, um voranzuleuchten. Die Kinder Gottes gehen freudig in den Tod!«

»Lieber Gabriel, ich fürchte, du bist in diesen Dingen zu sehr Idealist. Ich, der ich Herzen und Nieren prüfe, kann deiner Auffassung nicht unbedingt beipflichten. Sollte das mit dem freudigen Tod nicht eine Mythe der Unzähligen sein, mit der sie ihr Gewissen beschwichtigen, wenn sie zu spät erkennen, daß sie wieder einmal einen ihrer Wohltäter gesteinigt oder gepfählt haben? Aber wie es auch sei: selbst wenn ich wollte, ich könnte deinen Wunsch nicht erfüllen.«

»Wie, o Herr? Du könntest nicht?«

»Ich habe dir ja eben angedeutet, lieber Gabriel, daß die Menschheit nicht von mir allein gemacht worden ist, daß dabei noch ein anderer mitgewirkt hat. Ohne seine Hilfe kann ich mit der Menschheit nichts vornehmen. Glaubst du denn, wenn das Los der Menschheit von mir allein abhinge, ich hätte ihrem trostlosen Treiben so lange ruhig zugesehen? Aber er, der ein so großes Opfer für dieses Werk gebracht hat, mag es noch immer nicht verloren geben, wie es scheint. Von Zeit zu Zeit kommt er in meine Sphäre heraufgestiegen: dann geschieht allemal ein Neues unter den Menschen. Denn das Neue, Gabriel, das geht eben aus dem Wettstreit zwischen mir und ihm hervor. Will er nicht mit mir ringen, so kann nichts Neues auf Erden geschehen. Und nun ist es schon lange her, daß er sich nicht mehr blicken ließ. Du verstehst, ich muß ihn ganz nach seinem Willen gewähren lassen, ich bin es ihm schuldig, das Werk so lange fortzuführen, als er seines Anteils daran nicht überdrüssig wird. Das scheint nun keineswegs der Fall zu sein, sonst hätte er sich schon gemeldet. Warten wirʼs ab, lieber Freund! Das Einfachste wäre wohl, du würdest einmal selber mit ihm reden. Aber dazu könntʼ ich dir nicht raten. Denn er ist ein verteufelt feiner Kopf und man kommt schwer gegen ihn auf: das weiß ich aus eigener Erfahrung!«