Kitabı oku: «Wechselgeld für einen Kuss», sayfa 2

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»Nun ja, ich hatte so einen Verdacht«, sagte Lian, »aber genau wissen konnte ich es natürlich nicht.«

»Verdacht?« Nicola runzelte die Stirn. »Was für einen –« Sie brach ab. »Ach so. Ob ich auf Frauen stehe, meinst du«, fuhr sie dann mit einem genervten Augenrollen fort.

Nickend bestätigte Lian diese Vermutung. »Es spielt zwar keine so große Rolle, weil auch viele Frauen, die mit Männern zusammen sind oder sein wollen, einem Abenteuer mit einer Frau nicht abgeneigt sind, aber ehrlich gesagt«, sie seufzte geradezu entsagungsvoll, »hatte ich darauf im Moment keine Lust.«

»Ach, du Arme.« Gespielt bedauernd blickte Nicola sie an. »Haben sie dir so wehgetan, die bösen Heterofrauen?«

Lian lachte. »So weit lasse ich es nicht kommen. Aber eine Frau, die wirklich weiß, was sie will, ist mir schon lieber.« Fragend hob sie die Augenbrauen. »Tatsächlich gar keinen Hunger?«

Obwohl Nicola das eigentlich keiner Antwort würdigen wollte, knurrte in diesem Augenblick ihr Magen. Verräter! dachte sie.

Doch Lian hätte sich nun fast ausgeschüttet vor Lachen. Dann riss sie sich zusammen und blickte nur noch belustigt. »Es ist gegen deine eigenen Interessen«, sagte sie. »Aber ich will dir da trotzdem nicht reinreden.«

»Wie rücksichtsvoll von dir.« Nicola verzog das Gesicht. »Ich habe noch eine Tiefkühlpizza im Eisfach. Das reicht mir.«

»Nur eine?«, hakte Lian nach.

»Nur eine.« Nicolas Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich kann mir keine Vorräte leisten für Besuch, den ich gar nicht erwartet habe. Geschweige denn eingeladen.«

Etwas ratlos hob Lian eine Hand. »Sieh mal, ich bin dir doch sowieso noch eine Entschädigung schuldig. Willst du das Essen nicht als Entschuldigung annehmen? Und einen schönen Abend?«

»Na.« Nicola blickte sie schräg von der Seite an. »Das bezweifle ich mit dem schönen Abend. Wir waren ja schon übereingekommen, dass du ganz etwas anderes willst.«

»Und das wäre kein schöner Abend?« Gespielt enttäuscht schaute Lian sie an. »Ich bin am Boden zerstört. Bisher hatte ich eigentlich keine Klagen in der Beziehung.«

Nicolas Mundwinkel zuckten. Kann ich mir vorstellen, dachte sie, aber sie sagte es nicht laut. Denn in ihrem Inneren meldete sich doch das eine oder andere Teufelchen, das sie davon zu überzeugen versuchte, Lians bisher angeblich nicht in Frage gestellte Vorzüge auszuprobieren. Schließlich war sie jetzt wieder Single und hatte das Recht dazu.

»Na gut«, sagte sie. »Lass uns essen gehen. Mehr aber auch nicht.«

»Wie Sie befehlen, Madame.« Lian verbeugte sich spöttisch. »Ich werde meine tiefempfundenen Gefühle für dich in den Keller verbannen.«

»Ha! Tiefempfundene Gefühle!« Höhnisch lachte Nicola auf. »Du weißt doch gar nicht, was das ist. Alles, woran dir liegt, ist dein Vergnügen.«

»Wie gut du mich kennst«, sagte Lian und grinste wieder.

»Dich vielleicht nicht.« Kurz ließ Nicola ihren Blick über sie schweifen. »Aber Frauen wie dich. Und davon habe ich genug.«

»Ach, wirklich?« Interessiert hob Lian die Augenbrauen. »Wie wäre es, wenn du mir beim Essen davon erzählst?« Sie hob ihren Arm angewinkelt an, als wollte sie Nicola einladen, sich dort einzuhaken.

»Bevor ich das kann – falls ich es überhaupt tue –, muss ich mich aber erst noch umziehen«, sagte sie. »Denn so, wie ich jetzt bin, kann ich ja wohl kaum gehen.« Etwas selbstkritisch schaute sie an dem Jogginganzug hinunter, den sie aus Bequemlichkeitsgründen zu Hause trug, und lachte leicht. »Vor allem nicht, wenn du hier im Abendanzug ankommst.« Mit einem Arm wies sie zur Tür. »Und da ich nur ein Zimmer habe, musst du leider draußen warten.«

»Wie schade.« Lians Lippen zuckten. »Ich liebe Vorspeisen. Da kann man sich so richtig auf das Hauptgericht freuen.«

»Raus«, sagte Nicola und streckte ihren Arm noch weiter aus. »Sonst bekommst du weder Vorspeise noch Hauptgericht.«

»Schon gut.« Lian hob die Hände, aber mit einem Gesichtsausdruck, als machte ihr das alles großen Spaß. »Bin schon draußen.« Sie ging zur Wohnungstür und ließ sie tatsächlich hinter sich zuschnappen.

Nicola durchsuchte das Wenige, das ihr Kleiderschrank hergab, und entschied sich dann für ein Kleid, das sie schon lange nicht mehr getragen hatte. Es entsprach nicht der neuesten Mode, aber sie hatte es immer gemocht. Und es passte gut zu ihren blonden Haaren. Außerdem hatte sie die passenden Schuhe dazu. Was man nicht von vielem in ihrem Kleiderschrank sagen konnte.

Sie ging unter die Dusche – Lian konnte ruhig warten, und wenn sie das nicht konnte, war Nicola ihr nicht wichtig genug – und zog sich danach sorgfältig an, bis ihr ihr eigenes Spiegelbild gefiel.

Sie wusste, es würde auch Lian gefallen, aber darum ging es nicht.

Sie würden nur essen gehen, sonst nichts.

4

»Ihr Zucker, Frau Harnoncourt.« Es schien, als hätte Frau Schindler auf der Treppe auf sie gewartet, als Nicola von der Arbeit kam.

Sie lächelte müde. »Das wäre nicht so eilig gewesen.«

»Doch, doch.« Frau Schindler hielt die Tasse in die Höhe, die Nicola ihr gegeben hatte. »So etwas vergisst man leicht, wenn man zu lange wartet.«

Nicola schloss ihre Wohnungstür auf, hatte aber keine Hand mehr frei, die Tasse zu nehmen. Etwas umständlich versuchte sie, die Sachen, die sie trug, neu zu verteilen, da sagte Frau Schindler schon: »Kommen Sie. Ich helfe Ihnen«, nahm ihr eine Tüte ab und marschierte ihr wie selbstverständlich in die Wohnung voraus.

Und wenn ich jetzt nicht aufgeräumt hätte? dachte Nicola noch, aber es war zu spät, um Frau Schindler von irgendetwas abzuhalten, so oder so.

Glücklicherweise hatte Nicola zwar eine chaotische Ader, aber es störte sie, wenn Sachen herumlagen. Vor allem, seit sie nur noch einen einzigen Raum hatte. Das hatte ihren Ordnungssinn sehr beflügelt. Wenn es keine Schlafzimmertür oder Küchentür gab, die man einfach zumachen konnte . . .

Sie war sich sicher, dass Frau Schindler nur ihre Neugier befriedigen wollte. Auf jeden Fall war es klar, warum sie alles, was in diesem Haus vor sich ging, wusste. Sie hatte keinerlei Berührungsängste.

»So«, sagte sie jetzt mit einem so strahlenden Lächeln, als ob sie – im Gegensatz zu Nicola – einen herrlichen Tag gehabt hätte. »Das wär’s.« Sie hatte die Tüte auf dem Boden abgestellt und die Tasse mit dem Zucker nach einiger Überlegung neben die Veilchen, die in der kleinen Vase standen. »Die sind aber hübsch«, sagte sie. »Aus dem Garten?«

Wenn es einen Preis für eine erfolgreiche Überrumpelungstaktik gab, Frau Schindler hätte ihn bekommen. Nicola öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann wieder und erwiderte beim zweiten Versuch: »Ja, von meiner Mutter.« Ihre Mutter hätte sich sehr über diese Aussage gewundert, da sie sich schon seit einiger Zeit nicht gesehen hatten und sie auch gar keinen Garten besaß, aber sie war ja nicht da.

Statt sich wieder zu verabschieden, legte Frau Schindler etwas besorgt den Kopf zur Seite und sah Nicola an. »Sie sehen müde aus. Richtig erschöpft. Haben Sie überhaupt schon gegessen?«

Tatsächlich müde schüttelte Nicola den Kopf. »Nein, aber ich habe noch eine Tiefkühlpizza –«

Weiter kam sie nicht.

»Tiefkühlpizza!« Frau Schindler schlug nicht nur bildlich, sondern gleich richtig die Hände über dem Kopf zusammen. »Das kann man doch nicht essen!«

»Na ja, man kann schon . . .«, setzte Nicola an, aber wieder kam sie nicht weit.

»Nein, nein, nein!« Wild entschlossen schüttelte Frau Schindler den Kopf. Dann warf sie kurz forschend einen Blick auf Nicolas Tüten. »Ist da irgendetwas Gefrorenes drin oder etwas, das in den Kühlschrank muss?«

»Ähm, nein«, antwortete Nicola verwirrt.

»Dann kommen Sie mit zu mir«, beschloss Frau Schindler daraufhin, nahm sie am Arm und schob sie zu ihrer eigenen Wohnungstür hinaus. »Ich habe genug Essen für eine ganze Armee, meine Familie hat mich heute im Stich gelassen, weil mein Mann mit den Kindern zum Sport gegangen ist, und es ist noch so viel vom Abendessen übrig, dass ich Sie schmale Person davon sicherlich satt kriege.« Sie lachte ziemlich zufrieden. Es ging doch nichts über einen gut gefüllten Kühlschrank.

Obwohl Nicola sich darauf gefreut hatte, endlich die Beine hochlegen zu können, hatte sie Frau Schindlers Energie nichts entgegenzusetzen und ließ sich fast willenlos von ihr die Treppe hinunter in die Schindlersche Wohnung schieben.

»Übrigens, ich heiße Marlies«, verkündete sie fröhlich, als sie Nicola am Küchentisch auf einem Stuhl versorgt hatte. »Und wie heißt du?«

Kaum etwas von dem allen hatte Nicola so richtig mitbekommen, und sie war auch viel zu erschöpft, um darüber nachzudenken, dass Frau Schindler sie mit einem eleganten Schwung vom Sie ins Du befördert hatte, also antwortete sie fast mechanisch: »Nicola.«

»Schön, Nicola, dass wir uns mal ein bisschen näher kennenlernen.« Geschäftig holte Marlies Schindler Töpfe aus dem Kühlschrank, stellte sie auf den Herd und schaltete ihn an. Hier in dieser Wohnung, die auf der linken Seite des Treppenhauses lag, gab es mehrere Räume, nicht nur einen. Und selbstverständlich eine separate Küche. Die Einzimmerwohnungen waren alle auf der rechten Seite, wie Nicolas. »Du musst ja einen furchtbar anstrengenden Beruf haben, wenn du so fix und fertig nach Hause kommst.«

»Verkäuferin«, sagte Nicola. »Etwas anderes habe ich so schnell nicht bekommen.«

»Den ganzen Tag auf den Beinen, oh je«, bedauerte Marlies sie sofort. »Willst du die Beine hochlegen?« Sie zog einen zweiten Stuhl zu Nicola heran, wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern griff an ihre Knöchel und platzierte ihre Unterschenkel auf der Sitzfläche des Stuhls. Gleichzeitig schaffte sie es jedoch mühelos, einfach weiterzureden. »Du bist also gar nicht Verkäuferin von Beruf?«

»Doch, schon«, sagte Nicola. »Das habe ich ursprünglich mal gelernt, aber zuletzt habe ich im Büro gearbeitet.« Die Erinnerung daran ließ einen dunklen Schatten über ihr Gesicht huschen.

»Dann trink jetzt erst mal einen Kaffee.« Wie eine fliegende Kellnerin hatte Marlies schon eine Tasse vor Nicola platziert. »Ich trinke immer welchen nach dem Abendessen. Manche Leute können ja nicht schlafen, wenn sie abends noch Kaffee trinken, aber ich schlafe wie ein Murmeltier, selbst wenn ich kurz vor dem Zubettgehen noch Kaffee trinke. Macht mir gar nichts«, verkündete sie strahlend.

Nicola hatte große Probleme, sich überhaupt auf irgendetwas zu konzentrieren. Marlies brachte sie völlig durcheinander. Hatte sie sie jetzt etwas gefragt? Musste sie antworten?

»Milch und Zucker?«, fragte Marlies in diesem Augenblick, als hätte sie Nicolas Gedanken gelesen. »Hab ja wieder welchen.« Sie lachte.

»Milch«, sagte Nicola. »Kein Zucker.«

Und schon stand die Milch neben ihr. »Nimm dir, wie viel du magst«, bot Marlies an, ging wieder zum Herd und kümmerte sich um die Töpfe, in denen sie die Sachen, die sie zuvor im Kühlschrank aufgehoben hatte, nun aufwärmte.

Fast wie ein Roboter goss Nicola Milch in die Tasse, rührte um und nahm einen Schluck. »Puh, stark«, stellte sie fest und setzte die Tasse wieder auf den Unterteller zurück.

»Was nützt es, Kaffee zu trinken, wenn er nicht stark ist?«, lachte Marlies. »Dann ist es doch nur gefärbtes Wasser.«

Nicola nickte müde. »Wahrscheinlich hast du recht.«

»Natürlich habe ich recht.« Daran schien für Marlies kein Zweifel zu bestehen. Ein Teller landete vor Nicolas Nase. »So, musste ja nur aufgewärmt werden.« Endlich setzte Marlies sich Nicola gegenüber. Eine Kaffeetasse hatte bereits auf dem Tisch gestanden. Es sah so aus, als stände sie den ganzen Tag da und würde immer nur nachgefüllt. »Nun iss erst mal. Essen hält Leib und Seele zusammen.« Sie musterte Nicola kritisch. »Und du bist viel zu dünn.«

Gemessen an Marlies Schindlers etwas rundlichen Formen war Nicola das tatsächlich. Aber auch ansonsten. Sie hatte in letzter Zeit sehr abgenommen, obwohl sie noch nie dick gewesen war. Deshalb sah sie jetzt aus wie jemand, der fast schon übertrieben auf seine Figur achtete, auch wenn sie das noch nie getan hatte.

Um zu essen, musste Nicola die Beine zwar wieder von dem Stuhl nehmen, auf dem Marlies sie abgelegt hatte, aber sie merkte, dass selbst diese paar Minuten des Hochlegens ihr gutgetan hatten. Ihre Füße taten nicht mehr so weh. Und obwohl sie das nicht gedacht hätte, hatten die leckeren Düfte, die durch Marlies’ Küche zogen, doch ihren Appetit geweckt. Zuvor hatte sie das Gefühl gehabt, sie wäre zu müde zum Essen. Wahrscheinlich wäre die Tiefkühlpizza auch heute im Kühlfach geblieben.

Aber nach dem Essen gestern . . . da hatte sie gedacht, sie müsste überhaupt nie wieder essen. Das war sehr üppig gewesen. Viel üppiger, als sie es sonst gewöhnt war. Lian hatte sich nicht lumpen lassen.

Lian . . . Fast hätte Nicola verwirrt den Kopf geschüttelt. Es war gestern Abend wirklich bei dem Essen geblieben. Lian hatte nicht einmal den Versuch gemacht, sie noch einmal zu küssen.

Sie wusste zwar nicht, wie sie darauf reagiert hätte, aber dass Lian sich wie der perfekte Gentleman verabschiedet hatte, ohne auch nur einen Versuch zu starten, noch einmal in Nicolas Wohnung zu kommen, brachte sie völlig aus dem Konzept. Sie hätte sich vorstellen können – und sie hatte sich fast schon darauf vorbereitet gehabt –, Lian einen Vortrag zu halten, dass sie keine Frau war, die mit jeder gleich am ersten Abend ins Bett hüpfte, aber dass das gar nicht nötig gewesen war, hatte sie doch etwas ratlos zurückgelassen.

»Schmeckt’s nicht?«, fragte Marlies auf Hausfrauenart enttäuscht. »Ich weiß, es ist nur Eintopf . . .«

»Nein, nein.« Schnell nahm Nicola den Löffel, den Marlies ihr hingelegt hatte, und begann zu essen. »Sehr lecker«, gab sie gleich darauf das erwartete Urteil ab, aber es stimmte auch. Marlies konnte wirklich gut kochen, sie musste nicht lügen.

»Wenn du das nicht magst, hätte ich auch noch Grießpudding.« Lachend wies Marlies auf den zweiten Topf. »Ich habe viel zu viel gemacht. Irgendwie habe ich es nicht so mit Mengen, obwohl ich das nach all den Jahren ja eigentlich wissen sollte. Ich habe immer Angst, ich kriege meine Rasselbande nicht satt.«

Mittlerweile hatte Nicola die Hälfte ihres Tellers geleert, und es schmeckte ihr immer besser. »Es ist schön, wenn man nach Hause kommt und nicht erst noch kochen muss«, sagte sie lächelnd. »Vor allem nach so einem anstrengenden Tag.«

»Das glaube ich dir.« Marlies schaute sie mitfühlend an. »Die Kunden sind manchmal schlimm, oder?« Sie lachte wieder. »Ich weiß, dass ich manchmal schlimm bin. Es gibt einfach viel zu viele Sachen zur Auswahl. Ich kann mich nie entscheiden. Und alles kaufen kann man ja nicht.«

Marlies brachte Nicola zum Lachen, und dafür war sie ihr genauso dankbar wie für das Essen.

»Na ja, manche können das«, sagte sie immer noch ein wenig lächelnd. »Ich arbeite in einer sehr exklusiven Boutique. Meistens kaufen die Leute da nicht mehr als ein Teil auf einmal. Allerdings gibt es auch welche«, sie seufzte, »die sich da austoben, als wären die Sachen im Sonderangebot auf einem Wühltisch.«

»So viel Geld möchte ich mal haben!« Marlies lachte.

»Ich auch.« Nicolas Gesichtsausdruck wurde etwas starr. »Aber man kann eben nicht alles haben.«

»Stimmt auch wieder.« Marlies sah so aus, als würde sie ernsthaft über dieses Rätsel nachdenken. Aber ein anderes beschäftigte sie anscheinend noch mehr. »War diese große Frau, die gestern die Fassade hochgeklettert ist, eine Kollegin von dir?«

Wenn Nicola nicht so müde gewesen wäre, hätte sie sich schon längst gewundert, wann diese Frage – oder eine andere in der Art – kommen würde. Vielleicht hatte Marlies sie auch hauptsächlich deshalb eingeladen. »Nein«, sagte sie. »Keine Kollegin. Nur eine . . . Bekannte.«

Sie musste wirklich darüber nachdenken. Was war Lian eigentlich? Sie hatten gestern einen richtig schönen Abend miteinander verbracht, wie Lian es versprochen hatte. Aber warum? Was bezweckte Lian damit?

»Na, du hast ja vielleicht Bekannte!«, lachte Marlies. »Ich habe noch nie jemanden getroffen, der einfach so eine Fassade raufklettern kann.«

»Ich auch nicht«, sagte Nicola. »Lian ist –« Sie brach ab.

»Lian?« Marlies runzelte die Stirn. »Ist das ihr Name? Habe ich noch nie gehört.«

Nicola zuckte die Schultern. »Es gibt ja immer so Moden . . . Vielleicht gab es da mal eine Phase. Wie Kevin bei den Jungs.«

»Nein, kann mich nicht erinnern«, sagte Marlies. »Wir haben ja öfter mal nach Kindernamen gesucht. Immerhin habe ich drei.« Sie lachte. »Was ist sie denn von Beruf?«, schoss sie gleich die nächste Frage ab und hob neugierig die Augenbrauen. »Hat das vielleicht irgendwas mit Bergklettern zu tun oder so?«

»So gut kenne ich sie nicht.« Wenn das so weiterging, konnte sie bei jeder Frage nur die Schultern zucken, dachte Nicola.

»Schlecht verdienen kann sie jedenfalls nicht«, meinte Marlies mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck, als ob sie jetzt in Gedanken alle gutbezahlten Berufe durchginge, um einen zu finden, der zu Lian passte. »Der Wagen, den sie fährt, ist nicht ganz billig.«

»Woher weißt du –?« Nicola unterbrach sich selbst. »Ach ja, natürlich.«

»Sie hat dich doch gestern Abend abgeholt«, gab Marlies da auch schon die Antwort. »Zuerst hatte ich ja nicht vorn rausgeguckt, hab sie erst gesehen, als sie hier hochgeklettert ist, aber als sie dann abends wiederkam . . . so schick angezogen . . .«

»Ja, wir sind essen gegangen.« So müde, wie sie war, war Nicola ein leichtes Opfer für so eine Befragung. »Aber ich habe sie erst gestern kennengelernt, und weil ich meinen Schlüssel in der Wohnung liegengelassen hatte, hat sie mir geholfen.« Sie verschwieg, dass das schon das zweite Mal gewesen war gestern, denn sie wollte sich bei Marlies nicht gleich als der Schussel vom Dienst einführen. »Deshalb kenne ich sie nicht besonders gut.«

»Du kannst einen Schlüssel bei mir lassen«, bot Marlies sofort an. »Falls das noch mal passiert. Ist doch immer wieder mal möglich.«

Nicola nickte erschöpft und legte ihren Löffel beiseite, weil ihr Teller nun leer war.

»Noch mehr Suppe?«, fragte Marlies. »Oder Grießpudding?«

»Nein, danke.« Auf einmal hatte Nicola das Gefühl, sie würde gleich vom Stuhl fallen. »Ich glaube, ich muss ins Bett.«

»Jetzt schon?«, fragte Marlies. »Ist es gestern Abend so spät geworden?«

»Gar nicht.« Selbst erstaunt schüttelte Nicola den Kopf. »Ich glaube, ich werde krank. Muss mir irgendwas eingefangen haben.«

Sie versuchte aufzustehen, plumpste aber gleich wieder auf den Stuhl zurück. Dann versuchte sie es ein zweites Mal, indem sie sich auf dem Tisch abstützte, und schaffte es gerade so, mit wackligen Knien stehenzubleiben.

»Das sieht nicht gut aus«, stellte Marlies mit fachkundig mütterlichem Blick fest. »Ich werde dir gleich einen Tee kochen. Aber zuerst mal bringe ich dich zurück.«

Nicola hatte dazu offensichtlich nichts mehr zu sagen, ließ sich willenlos von Marlies in ihre eigene Wohnung bringen und wie ein kleines Kind ins Bett packen.

»Tee kommt gleich!«, verkündete Marlies beim Hinausgehen. Sie hatte sich Nicolas Schlüssel schon geschnappt. »Und ein Wadenwickel könnte auch nicht schaden. Ich glaube, du hast Fieber.«

Das fehlt mir gerade noch, ging es Nicola in einem letzten nebelverhangenen Gedanken durch den Kopf, dann konnte sie gar nichts mehr denken, denn es wurde schwarz um sie.

5

»Wer bist du, Lian?« Nicola sprach in den Nebel hinein, der ihre Gedanken immer noch umfing.

Wie immer lachte Lian nur amüsiert, als würde sie das alles nicht ernstnehmen, Nicola nicht und die ganze Welt nicht. »Warum willst du das wissen?«, fragte sie zurück.

Das war eine Frage, die sich auch Nicola stellte. Hatte sie sich nicht vorgenommen, sich nicht so schnell wieder auf etwas einzulassen? Und dann kam Lian . . .

Nicola wusste, dass das genau ihr Fehler war, dass sie Frauen wie Lian attraktiv fand. Nun ja, das war sie, äußerlich, aber über ihre inneren Werte sagte das nichts aus. Hatte sie das nicht schon einmal schmerzvoll erfahren müssen?

Schmerzvoll. Schmerz. Schmerz.

Sie stöhnte auf. Ihr Kopf tat furchtbar weh, als ob ihn jemand mit einem Holzhammer traktiert hätte. War sie irgendwo gewesen, wo das hätte passieren können? Sie konnte sich nicht erinnern. An vieles konnte sie sich so gut erinnern. Warum jetzt ausgerechnet daran nicht? Die anderen Dinge, an die sie sich so gut erinnerte, hätte sie gern vergessen. Warum spielte einem das Gedächtnis immer solche Streiche?

Etwas Kaltes legte sich auf ihre Stirn. Gemurmelte Worte, die Nicola nicht verstehen konnte. »Wer ist da?«, fragte sie, aber sie wusste nicht, ob die Wörter überhaupt aus ihrem Mund herauskamen. Vielleicht hatte sie sie auch nur in ihrem Kopf ausgesprochen. In diesem hämmernden, hämmernden, quälenden Kopf. »Lian . . .«, hauchte sie. »Lian . . .«

»Was ist denn, Nicola? Was hast du gesagt?«

Zuerst erkannte Nicola die Stimme nicht, aber dann kam ein leichtes Wiedererkennen in ihren schmerzenden Gehörgängen an. »Marlies.« Ob das zu verstehen war, wusste sie nicht. Noch nicht einmal, ob sie das wollte. Es war alles so verschwommen.

Marlies setzte sich zu ihr aufs Bett und nahm ihre Hand. »Du bist in deinem eigenen Bett«, sagte sie. »Wolltest du das wissen? Wo du bist?«

Der Versuch, nickend den Kopf zu bewegen, scheiterte. Sofort zeigten Schmerzen in all ihren Fasern wieder an, dass sie das nicht tun sollte.

»Du bist bald wieder gesund«, sagte Marlies. »Das Fieber geht jetzt runter.« Sie tauchte das Tuch, das auf Nicolas Stirn gelegen hatte, in eine Schüssel mit Wasser ein, die neben dem Bett stand, und legte es ihr kühl lindernd wieder auf die Stirn zurück, drückte es leicht an ihre Schläfen.

Sie lächelte, und langsam konnte Nicola das auch erkennen. Es schälte sich wie aus diesem Nebel, der ihren Kopf umgab, heraus.

Aber nicht genug. Sie hatte kaum erkannt, wo sie war und wer bei ihr war, als ein rasender Kopfschmerz sie überfiel und sie aufstöhnte. Sie fühlte sich furchtbar schwach, und wieder versank alles um sie herum im Nebel.

Die Zeit verging, weil sie merkte, wie es dunkel und wieder hell wurde, aber sie wusste nicht, welcher Tag es war. Die meiste Zeit bekam sie aber so gut wie gar nichts mit. Sie lag nur da und hatte das Gefühl, sie würde nie wieder aufstehen können.

Zwischendurch kam irgendwann eine Ärztin vorbei, die Marlies gerufen hatte. Sie gab Nicola eine Spritze, und danach begann es ihr tatsächlich besser zu gehen. Zudem flößte Marlies ihr mehrmals am Tag etwas ein, das gruselig schmeckte, Marlies aber für notwendig erklärte.

Endlich konnte Nicola sich wieder aufsetzen und ohne die Hilfe von Marlies auf die Toilette gehen. »Welcher Tag ist heute?«, fragte sie, als Marlies ihr eine Hühnersuppe brachte.

»Freitag«, sagte Marlies.

»Freitag?« Erschrocken riss Nicola die Augen auf. »Aber es war Dienstagabend, als ich –«

»Richtig.« Marlies nickte. »Du hast zwei Tage und drei Nächte fast durchgeschlafen.« Leicht tätschelte sie Nicolas Arm und setzte sich neben dem Bett auf einen Stuhl. »Aber das ist auch gut so. Schlaf ist die beste Medizin. Deine Chefin hat angerufen«, fuhr sie beiläufig fort. »Der habe ich gesagt, dass du krank bist, und die Ärztin hat ein Attest für dich ausgestellt.«

Nicola stöhnte auf. »Das wird sie nicht gern haben, meine Chefin. Ich habe ja erst vor kurzem bei ihr angefangen.«

»Ja, sie war nicht begeistert, als ich es ihr vorbeibrachte«, sagte Marlies. »Aber wenn du krank bist, bist du krank. Da kann man nichts machen.«

Nicola verzog das Gesicht. »Ich bin nicht sicher, ob sie das auch so sieht.«

»Deine Mutter hat auch angerufen«, sagte Marlies. Sie runzelte die Stirn. »Habt ihr euch irgendwie gekracht?«

Als Antwort versuchte Nicola, das Gesicht zu verziehen, aber das ging nicht so gut, deshalb ließ sie es wieder. »Was hat sie gesagt?«, fragte sie schicksalsergeben.

»Na ja, sie schien zu denken, dass ich«, Marlies lachte belustigt auf, »deine Freundin bin. Und zwar eine sehr enge Freundin. Als ob wir zusammenleben würden.« Amüsiert schüttelte sie den Kopf. »Als ich ihr dann sagte, dass ich einen Mann und drei Kinder habe, war sie ziemlich entsetzt, hatte ich den Eindruck.«

Jetzt hätte Nicola so gern gelacht. Aber sie musste sich zurückhalten, um die Buschtrommeln zwischen ihren Schläfen nicht wieder zum Dröhnen zu bringen. »Das kann ich mir vorstellen«, sagte sie. »Sie hätte allerdings nichts dagegen, wenn ich bereits drei Kinder hätte. Es war immer schon ihr Wunsch, möglichst viele Enkelkinder zu haben.«

»Oh, sie kann gern mal zum Kinderhüten vorbeikommen«, schmunzelte Marlies. »Falls sie nicht ausgelastet ist.«

»Tja . . .« Nicola holte tief Luft und seufzte. »Dazu ist sie jetzt leider zu weit entfernt. Das wäre dann doch eine Bahnfahrt von mehreren Stunden.«

»Also habt ihr euch gekracht«, schloss Marlies daraus und erhob die Aussage von einer Frage zu einer Feststellung.

»Nicht wirklich«, sagte Nicola. »Es ist nur nicht so leicht, mit meiner Mutter auszukommen. Sie hat ihre ganz speziellen Vorstellungen.«

»Die haben alle Mütter.« Marlies grinste fast. »Und da nehme ich mich nicht aus.«

»Ich sehe das ja auch ein.« Nicola ließ ihren Blick kurz an die Decke wandern. »Vermutlich wollen alle Mütter nur das Beste für ihre Kinder. Aber es ist so schwer herauszufinden, was das Beste ist.«

»Da waren deine Mutter und du verschiedener Meinung?«, fragte Marlies.

Nicola nickte. »Es hat sie wohl immer geärgert, dass ich eher mit meinem Vater einer Meinung war als mit ihr. Wir hatten immer hochfliegende Pläne, mein Vater und ich, und meine Mutter fand, wir wären Träumer. Wir sollten uns mehr auf die Realität konzentrieren.«

Sinnend wiegte Marlies den Kopf hin und her. »Es ist immer gut, sich auf Ziele zu konzentrieren, die man auch erreichen kann, das stimmt schon. Erspart einem viele Enttäuschungen.« Sie lachte. »Aber was wäre das Leben ohne Träume? Ohne das Greifen nach den Sternen?« Lässig zuckte sie die Schultern und gab auch gleich die Antwort auf ihre Frage. »Sterbenslangweilig.«

»Ich wollte Abitur machen, studieren«, sagte Nicola. »Aber meine Mutter fand, ich sollte lieber eine Lehre machen. Also habe ich eine Lehre gemacht.« Erneut blickte sie an die Decke. »Mit viel Einsatz habe ich mich trotzdem hochgearbeitet. Ich stand kurz vor einer Beförderung. Aber dann –« Sie brach ab. Daran wollte sie sich wirklich nicht erinnern.

»War das denn dein Traumberuf?« Marlies stand auf und ging zum Fenster, um hinauszuschauen.

»Mein Traumberuf?« Nicola lächelte wehmütig. »Nein, mein Traumberuf war das nicht.«

»Dann ist es ja vielleicht gut, dass du einen Schlussstrich gezogen hast. Dass du in eine andere Stadt gezogen bist und hier neu startest.«

»Ja, vielleicht ist es das«, murmelte Nicola. »Ein neuer Start.«

»Ah, da kommen die beiden Kleinen«, verkündete Marlies von ihrem Ausguck am Fenster her. »Da muss ich jetzt runter und mich ums Mittagessen kümmern.« Sie lachte wieder. »Die fressen mir immer die Haare vom Kopf, wenn sie aus der Schule kommen.« Mütterlich lächelnd kam sie zu Nicola ans Bett zurück. »Ich schaue später noch mal nach dir.«

»Danke, Marlies.« Nicola lächelte ebenfalls leicht. »Das musst du aber nicht. Mir geht es schon besser.«

»Aber nicht gut genug«, beschloss Marlies. »Ich bringe dir nachher etwas vom Mittagessen herauf.«

Nicola wies auf ihren Teller. »Aber ich habe doch gerade erst gegessen.«

»Mal sehen«, sagte Marlies, nahm den Teller und ging zur Diele hinüber. An der Ecke drehte sie sich noch einmal um und lächelte Nicola zuversichtlich an. »Alles wird gut«, sagte sie. »Wenn du wieder ganz gesund bist, sieht die Welt schon anders aus.«

Dann verschwand sie, und gleich darauf hörte Nicola die Wohnungstür ins Schloss fallen.

Eine ganze Weile lag Nicola nur so da, bis sie endlich den Versuch machte aufzustehen. Langsam tastete sie sich an der Wand entlang zur Toilette. Ohne Unterstützung war das immer noch schwierig.

Doch nicht nur deshalb stöhnte sie frustriert auf. Das konnte ja heiter werden, wenn sie den Job, den sie sich gerade erst mühsam erkämpft hatte, gleich wieder verlor. Sie war noch in der Probezeit, also konnte sie von einem Tag auf den anderen gekündigt werden. Es war schwierig genug gewesen, diesen Job zu ergattern, aber sie hatte gehofft, jetzt würde sich langsam mal wieder einiges beruhigen.

Ihre Mutter würde das natürlich als Beweis ansehen, dass Nicola sich jetzt endlich mal dem Kinderkriegen zuwenden sollte, da sie beruflich ja anscheinend höchstens ein Bein auf die Erde kriegte, aber niemals zwei, die ihr Standfestigkeit hätten verleihen können.

Das hätte ja alles sein können. Sie presste die Lippen zusammen. Wenn Chantalle nicht gekommen wäre. Nicola war so kurz davor gewesen, den Job als Einkäuferin zu bekommen, die nächste Stufe auf der Karriereleiter. So klein diese Karriere auch gewesen sein mochte, aber sie hatte hart dafür gearbeitet.

Chantalle. Tally. Klang so nett, die Verkleinerungsform. Aber das war irreführend. Tally war nicht nett. Oder nur so lange, bis sie bekommen hatte, was sie wollte. Und wehe, daran änderte sich etwas.

Das war das letzte Mal, hatte Nicola sich damals gesagt. Das letzte Mal, dass sie auf so eine Frau hereingefallen war. Nie wieder!

Und was ist mit Lian? fragte da etwas Vorwitziges in ihrem Kopf.

Was soll mit Lian sein? Ich kenne sie kaum.

Aber sie gefällt dir.

Darüber wollte Nicola lieber nicht nachdenken. Lian hatte genau diese überwältigende Art, dieses Selbstbewusstsein, dieses amüsierte Lächeln, an das sie sich von Tally noch so gut erinnerte. Wahrscheinlich war es genau diese Überlegenheit, die Nicola anzog. Sie hätte sich gern einmal fallengelassen, nicht immer nur gekämpft, sich in starke Arme gekuschelt und alle Verantwortung abgegeben. Aber wenn man das zuließ, endete es immer nur in einer Katastrophe.

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