Kitabı oku: «Homunkulus Rex», sayfa 4

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Kapitel 6: Der Schatten des Zweifels

Das Wochenende verging ohne besondere Vorkommnisse. Robert ging seinem Klon die meiste Zeit aus dem Weg, auch wenn das in seiner kleinen Wohnung nicht gerade einfach war. Robert hatte viel geschlafen, weil er sich nach dem Eingriff immer noch müde und erschöpft gefühlt hatte.

Wie versprochen kam Hendrik am Sonntag noch einmal vorbei. Zu dritt besprachen sie den kommenden ersten Arbeitstag für Robert2. Dem musste aber eigentlich nichts erklärt werden, da sein Wissen und seine Erinnerungen lückenlos und vollumfänglich mit denen von Robert übereinstimmten.

»Das Wichtigste ist, dass Sie sich nicht in der ersten Arbeitswoche überanstrengen«, sagte Hendrik zum Klon. »Ihr transplantierter Chip und Ihr Gehirnimplantat sind neu in Ihren Organismus integriert. Ihr Körper selbst ist auch brandneu und muss sich erst daran gewöhnen, auch wenn Sie jetzt nichts davon merken. Überanstrengung kann negative Auswirkungen haben. Also übertreiben Sie es nicht.«

»In Ordnung. Nach meinem letzten Schwächeanfall und dem anschließenden Besuch bei der Betriebspsychologin-KI werde ich garantiert keine Risiken eingehen«, antwortete Robert2, als er seinen Irrtum bemerkte. »Ich meine, nach deinem letzten Schwächeanfall«, korrigierte er sich und sah Robert entschuldigend an.

Hendrik machte für einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment ein ernstes Gesicht, entspannte sich dann aber sofort und sagte zu Robert2: »Das kann schon für Sie beide verwirrend sein, nicht wahr? Wer jetzt wer ist, meine ich. Aber letztlich sind Sie ja ab heute Robert Mester. Und es sind keine fremden Erinnerungen an vergangene Ereignisse, sondern ab sofort Ihre eigenen, das müssen Sie sich immer wieder klarmachen. Wenn Sie nach draußen gehen, sind Sie von nun an der echte Robert Mester.« Dann wandte er sich an Robert. »Und Sie werden schon bald eine neue Identität bekommen. Und zwar so lange, wie wir brauchen, um Sie nach Kamtschatka zu bekommen.«

Robert nickte. »Wird schon schiefgehen.«

»Gut. Ich melde mich Ende der Woche wieder.« Hendrik verabschiedete sich und ging.

»Na schön. Dann viel Glück morgen«, sagte Robert zu seinem Klon, nachdem er die Wohnungstür hinter Hendrik verriegelt hatte.

»Glück brauche ich nicht. Ich will nur, dass uns nichts dazwischen kommt.«

»Das meinte ich.« In Gegenwart seines Klons fühlte sich Robert nach wie vor unsicher. Er würde die Stunden zählen, bis Hendrik endlich mit seinem neuen Überwachungschip aufkreuzen und ihm sagen würde, dass sie endlich aufbrechen könnten.

Der erste Arbeitstag verlief für Robert2 völlig problemlos. Wie empfohlen, versuchte er, alles ruhig angehen zu lassen, ohne dabei der ständigen Arbeitskontrolle negativ aufzufallen. Auch seine Kollegen schöpften nicht den geringsten Verdacht. Im Gegenteil: Er hatte sogar den Eindruck, dass man ihn mehr als üblich ignorierte. Wahrscheinlich wollte keiner von Roberts schlechten Bewertungen in Mitleidenschaft gezogen werden. Nichts steigerte die Arbeitsmoral mehr als das stetig über einem schwebende Damoklesschwert namens Kündigung.

Am Abend erstattete er Robert ausführlich Bericht. Robert selbst erging es in den Stunden, in denen er allein in seiner Wohnung ausharren musste, wesentlich schlechter. Ständig waren ihm Gedanken gekommen, dass sein Klon auffliegen könnte, und die Polizei jede Minute seine Wohnung stürmen könnte. Er fragte sich, wie er das noch wochenlang aushalten sollte. Robert2 beruhigte ihn, so gut es ging. Er machte sich weniger Sorgen, zeigte aber für Roberts Ängste - gleich, ob sie denn real oder eingebildet waren - Verständnis.

»Mach dir nicht so viele Gedanken. Es läuft doch alles nach Plan.«

»Hm.« Robert sah aus dem Fenster. Einige Flugtaxis sausten in der Ferne vorbei. Der Gedanke, nicht herausgehen zu können, war nur schwer zu ertragen. Und er hatte noch nicht einmal einen Tag geschafft.

Der Dienstag verlief ebenso wie der Vortag reibungslos. Robert machte sich weniger Sorgen. Er fühlte sich schon deutlich besser. Am Mittwoch wunderte er sich am Nachmittag zunächst, dass sein Klon zu spät von der Arbeit kam, bis ihm dann wieder einfiel, dass er sich mit Nicole treffen würde. Eine unangenehme Vorstellung, die ihn bis zum Abend, als Robert2 wieder nach Hause kam, nicht mehr losließ.

»Und?«, überfiel er seinen Klon, als dieser endlich in die Wohnung trat und erschöpft wirkte.

»Und was?«

»Wie lief das Essen mit Nicole?«

Robert2 zuckte leicht mit den Achseln. »So wie immer. Sie hat sich wieder ziemlich aufgeregt über ihren neuen Maschinen-Kollegen, der alles so viel besser macht als sie. Sie tut mir leid, weißt du? Schade, dass sie nicht mit dir mitgehen wird. Das wäre besser für sie gewesen.«

»Ich weiß. Ich habe alles versucht, sie zu überzeugen, aber es hat nicht geklappt.«

»Was hast du denn schon versucht?«, warf ihm Robert2 überraschend vor, während er seine Jacke aufhing und danach zum Bad ging, um sich die Hände zu waschen.

»Wie bitte?« Robert folgte ihm wütend.

»Na, ich an deiner Stelle hätte nicht so ein großes Geheimnis aus deinem Vorhaben gemacht. Du hättest ihr von dem Erbe erzählen sollen. Du hättest ihr sagen sollen, dass du gehen wirst. Du hättest sie vor vollendete Tatsachen stellen sollen. Dann wäre sie auch mit dir gegangen.«

Robert konnte nicht glauben, was sein Klon ihm vorwarf. »Du an meiner Stelle? Das ist wohl ein Witz! Du bist ich, schon vergessen?«

»Nein. Aber behaupte doch bitte nicht, du hättest alles getan. Das ist doch Schwachsinn. Du hast dich nicht getraut, das ist alles. Ich weiß das. Und du weißt das. Du willst es dir nur nicht eingestehen.«

Robert schwieg. Er war empört, weil er insgeheim wusste, dass sein Klon recht hatte.

»Verzeih mir. Ich wollte dich nicht wütend machen. Aber ich betrachte das eben aus einer anderen Perspektive. Im Nachhinein würde ich sagen, dass du dich falsch verhalten hast. Aber jetzt ist es leider zu spät.«

»Ja, allerdings. Danke für den Klugscheißer-Kommentar. Ich weiß selber, dass es anders hätte laufen können. Aber denk bitte auch mal an das Risiko, das ich eingegangen wäre, wenn ich ihr von dem Erbe und dem Klon erzählt hätte.«

»Was denn für ein Risiko? Sie hätte niemandem etwas gesagt, selbst wenn sie es gewusst hätte.«

»Ja, aber falls irgendetwas schiefgeht, kann man auch gegen ihren Willen nichts aus ihr herauskriegen, wenn sie nichts weiß. Und zwar nur, wenn sie nichts weiß. Das ist daher auch zu ihrer eigenen Sicherheit, dass ich mich so entschieden habe.«

Robert2 hob die Augenbrauen, was soviel sagen sollte wie: Deine Meinung.

»Außerdem wäre sie nicht mitgekommen, selbst wenn ich es so gemacht hätte, wie du gesagt hast. Sie sagte, sie sei nicht bereit, mit dem Risiko zu leben, verfolgt zu werden. Hast du das vergessen?«

»Schon gut. Ich meinte ja nur. Lassen wir das Thema.« Robert2 ging in die Küche und holte sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank.

Robert empfand seine Reaktion als maßlos arrogant. Sein Klon wollte bestimmen, wann die Diskussion beendet war? Für wen hielt er sich? Robert wollte sich aber nicht weiter aufregen. Er müsste ja nicht ewig mit ihm zusammenleben. Er ging seinem Klon für den Rest des Abends aus dem Weg.

Nachts konnte er nicht einschlafen, weil er sich so ärgerte. War mit dem Klon wirklich alles in Ordnung? Er würde Hendrik bei seinem nächsten Besuch darauf ansprechen.

Kapitel 7: Das eigene Ich

Hendrik besuchte Robert erst über eine Woche später. Robert war allein zuhause. Sein Klon verspätete sich - schon wieder. Also waren sie allein.

»Ist der neue Ortungschip für mich schon fertig?«

»Noch nicht. Die meisten Anpassungen für Ihren Organismus sind schon vorgenommen. Eine Woche noch, vielleicht auch zwei.«

»Geht es dann auch endlich los?«

»Nein, Ihr Chip muss sich erst noch anpassen, ehe wir mit Ihnen nach draußen gehen können. Außerdem hängt Ihre Flucht aus dem Land noch von einer Reihe anderer Faktoren ab. Haben Sie Geduld. Es soll doch alles glattgehen.«

»Ja, sicher. Ich habe nur das Gefühl, es mit meinem Klon nicht mehr lange auszuhalten.«

»Wieso? Ist irgendetwas passiert?«

»Nichts Ernstes. Er warf mir vor, mich in der Vergangenheit falsch verhalten zu haben, obwohl ich davon überzeugt bin, das Richtige getan zu haben. Wenn er doch absolut identisch mit mir sein soll, warum stellt er mein Tun dann infrage?«

»Das ist nichts Ungewöhnliches. Der Klon weiß, dass er ist, was er ist. Also kann es schon mal vorkommen, dass er sich einbildet, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel beurteilen zu können.«

»Er verhält sich letztlich also nur so, weil er mit mir zusammenlebt? Wenn er allein leben würde, würde er dann so denken wie ich?«

»Vermutlich. Er ist dann ein Individuum, was er jetzt ja in gewisser Weise nicht ist. Im Augenblick muss er tun, was wir oder Sie ihm sagen. Das gefällt ihm unterbewusst vielleicht nicht. Das bedeutet aber nicht, dass er aufsässig werden könnte. Oder gar gegen Sie rebellieren würde.«

»Verstehe.«

Hendrik bemerkte, dass Roberts Zweifel nicht beiseite geräumt waren. »Sehen Sie, Herr Mester, er ist natürlich Sie, aber er ist auch ein Mensch mit eigenen Gedanken. Selbst wenn Sie beide vollkommen identisch sind, kann es vorkommen, dass Sie beide unterschiedliche Entscheidungen bezüglich derselben Angelegenheit treffen.«

»Ja, das klingt einleuchtend.« Robert war mit dieser Erklärung schon eher zufrieden. Er war nervös angesichts seiner bevorstehenden Ausreise. Er hatte sich da wohl zu sehr hineingesteigert.

»Außerdem ist es oft so, dass Leute, die mit ihrem Klon konfrontiert werden, Dinge an diesem sehen, die sie selbst an sich gar nicht mögen und entsprechend ablehnend reagieren.«

»Schon klar.«

»Ich werde nächste Woche wiederkommen. Vielleicht bringe ich dann schon den neuen Chip mit.«

»Das wäre schön.«

Robert war wieder allein. Sein Klon kam erst spät abends nachhause. Es war Donnerstag, und am Donnerstag kam Robert nie so spät nachhause.

»Was war denn los?«, überfiel er Robert2, als dieser die Wohnungstür mittels Gesichtserkennung entriegelte und in die Wohnung eintrat.

»Nichts. Was bist du denn so aufgeregt?«

Robert schüttelte verständnislos den Kopf. »Weil ich an diesem Wochentag in der Regel nie so spät nachhause komme.«

»Nun reg dich mal nicht so auf. Ich war nur mit Nicole im Kino, sonst nichts.«

Robert fiel die Kinnlade runter. »Und du hältst es nicht für nötig, mir das zu sagen? Ich sitze hier und male mir die schlimmsten Dinge aus, was dir passiert sein könnte, und du gehst mit Nicole ins Kino?«

»Ist das verboten? Du warst doch auch schon öfter mit ihr aus.«

»Ja, aber das letzte Mal, dass wir etwas zusammen unternommen haben, außer dem gemeinsamen Essen, ist schon bestimmt ein dreiviertel Jahr her.«

»Na ja. Dann wurde es ja wieder mal Zeit.«

Robert war wütend, ob dieser schnippischen Antwort. Er erkannte sich in seinem eigenen Klon kein Stückchen wieder.

»Das nächste Mal sagst du mir gefälligst Bescheid, wenn du später kommst, klar?«

Robert2 reagierte nicht und ging zur Küche. Robert ging ihm hinterher, packte ihn erbost an der Schulter und drehte ihn herum. »Ich rede mit dir!«

»Du meine Güte, jetzt komm wieder runter!« Robert2 schaute ihn entschlossen an, erwiderte Roberts Zorn in seinem eigenen Blick aber nicht, was Robert nur noch zorniger machte. Er unternahm auch keinen Versuch, die Hand von seiner Schulter abzustreifen, sondern blieb gefasst. »Es war nur ein Kinobesuch. Wenn mir irgendetwas passiert wäre, hättest du längst ungebetenen Besuch bekommen, meinst du nicht auch? Ich denke, du bist einfach zu empfindlich.«

»Du sollst dich an unsere Vereinbarung halten! Was du über mich denkst, interessiert mich doch einen Scheiß! Informiere mich, wenn du etwas Außerplanmäßiges unternimmst! Ist das so schwer?«

»Ich bin nicht dein Schoßhündchen, das angerannt kommt, wenn du mit dem Stöckchen wedelst.«

»Du existiert nur, weil ich es wollte, merk dir das! Und solange wir beide unter einem Dach leben, habe ich das Sagen. Ist das klar? Danach kannst du machen, was du willst.«

»Ich mache nichts, was deine Ausreise gefährden könnte, so viel Vertrauen solltest du mir schon entgegenbringen. Ich bin du - eine Tatsache, mit der du offensichtlich nicht klarkommst.«

»Ich komme sehr gut damit klar. Im Gegensatz zu dir, verhalte ich mich jedoch in diesem Bewusstsein auch verantwortungsvoll.«

»Ha, das ist doch lächerlich! Du bist neidisch, das ist alles.«

»Wie bitte?«

»Na sicher. Du bist neidisch, weil ich mit Nicole ausgehe. Du brauchst gar nicht so empört zu gucken, ich weiß, dass es so ist. Ich wäre an deiner Stelle auch neidisch. Aber dafür gibt es überhaupt keinen Grund - wie oft muss ich es noch sagen? Ich kann doch jetzt nicht einfach die Beziehungen zu allen Menschen, die du kennst, abbrechen, nur weil es dir nicht in den Kram passt. Du bist derjenige, der sich verantwortungslos verhält, weil du mit deinen Gefühlen nicht zurechtkommst.

Wach auf, Robert! Du lebst dieses Leben nicht mehr. Du hast es gegen ein anderes eingetauscht, und du bist dir dessen offenbar noch gar nicht bewusst. Du existierst offiziell nicht mehr. Also schlage ich vor, du kommst mir nicht mehr mit deinem kindischen Benehmen in die Quere und lässt mich meine Arbeit machen, damit du deinen Traum leben kannst.« Robert2 ging ins Bad, knallte die Tür hinter sich zu und verriegelte sie.

Er ließ Robert völlig perplex stehen. Minutenlang. In dieser Zeit glaubte er, mit der Entscheidung zur Erschaffung seines Klons, den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen zu haben.

Kapitel 8: Außer Kontrolle

Eine weitere Woche verging, die Robert nur schwer durchstand. Die Isolation von der Außenwelt machte ihm immer mehr zu schaffen. Er sah viel fern, schaute sich alte Serien an, die er sich immer schon ansehen wollte. Aber während er sie sah, konnte er sich nicht auf die Handlung einlassen. Es interessierte ihn nicht mehr. Er musste sich eingestehen, dass sein Klon Recht hatte, als er sagte, er müsse sich der Realität stellen. Das war nicht mehr sein Leben, nicht seine Arbeit, nicht seine Wohnung, nicht sein soziales Umfeld. Er war längst fort. Und nun war es an der Zeit, sich endgültig von diesem alten Leben zu verabschieden.

Hendrik kam wieder zu Besuch.

»Er ist fertig«, sagte er grinsend. Stolz hielt er ein kleines Glasröhrchen hoch, das den winzigen neuen Ortungschip enthielt.

»Gott sei Dank! Ich dachte schon, ich würde wahnsinnig werden, wenn ich noch eine weitere Woche auf ihn warten muss.«

»Ich werde Ihnen eine lokale Betäubung verabreichen und dann implantieren.«

»Ausgezeichnet. Und wer bin ich jetzt?«

»Laut Ihrem Chip sind Sie von nun an Marvin Winkel. Sie haben eine eigene Sozialversicherungsnummer, eine Steuernummer, eine Unfallversicherung und sogar ein eigenes Bankkonto und eine Geburtsurkunde.«

»Wie das? Gibt es diesen Marvin Winkel in echt? Oder hat es ihn gegeben?«

»Nein. Er ist reine Fiktion. Ein Gespenst, wenn Sie so wollen.« Hendrik verabreichte Robert eine Spritze in den Nacken und wartete dann die Wirkung ab.

»Wie ist das denn möglich? Sie haben einfach eine Person erfunden und ein Konto für sie eröffnet, ohne dass sich jemals jemand ausweisen musste, um seine Identität zu bestätigen?«

»Ganz genau. Wir haben ein paar brillante Hacker, die für uns arbeiten. Man muss nur wissen, wie man unbemerkt Zugang zu den entsprechenden Datenbanken erlangt, und dann kann man einfach einen neuen Eintrag für eine fiktive Person machen. Ganz so einfach ist es natürlich nicht, aber man kann nahezu alles eintragen. Inklusive einer nachvollziehbaren Vergangenheit.«

»Wie meinen Sie das mit Vergangenheit?«

»Nun, jeder Menschen hinterlässt jeden Tag irgendwo digitale Spuren. Wenn Sie im Internet unterwegs sind, wenn Ihr Chip am Bahnhof von einem Ortungssensor erfasst wurde. Sie entgehen dem all-sehenden Auge nicht. Genau diese Spuren setzen wir in die entsprechenden Datenbanken ein. Ein Leben voller Spuren, die es nie gegeben hat.«

»Aber das müssten ja hunderttausende Einträge und Erfassungen sein. Das kann doch kein Mensch alles einprogrammieren.«

»Stimmt. Kein Mensch kann das. Aber unsere Informatiker haben eine komplexe KI-gestützte Software entwickelt, welche diese Einträge in einer logischen Abfolge in die Datenbanken hinein schummelt. Den Betrug würde man erst entdecken, wenn man systematisch den Spuren nachgeht und Personen befragt, die Kontakt mit unserem fiktiven Marvin Winkel hatten. Das Dumme ist nur, auch diese Kontaktpersonen existieren nicht.«

»Unfassbar! Sie haben also ein ganzes Netzwerk aus imaginären Identitäten erschaffen?«

»So ist es. Und alle existieren nur virtuell. Und Sie sind jetzt einer davon. Aber nur solange, bis wir unser Ziel erreicht haben.

Das einzige Problem sind die Gesichtserkennungen, die an verschiedenen Orten durchgeführt werden. Der Normalbürger kennt die Stellen, an denen sein Gesicht gescannt wird, nur in den seltensten Fällen. Wir aber kennen sie alle. Deshalb müssen wir Sie bei Ihrer Ausschleusung um diese Erkennungsstellen herumführen, oder die Technik austricksen. Darum werden sich unsere Experten kümmern. Aus diesem Grund kann ich Ihnen auch noch keine Route sagen, die wir nehmen werden, oder Ihnen unsere Aufbruchszeit nennen. Alles muss perfekt ineinandergreifen, damit wir dem Überwachungssystem entkommen können.«

»Ihr seid echt Profis. Ich bin beeindruckt.«

»Wir machen das auch schon eine ganze Weile. Und wenn Sie wüssten, für wen wir alles schon gearbeitet haben - sprich: wen wir schon alles durch einen Klon ersetzt haben -, könnten Sie keine Minute mehr ruhig schlafen.«

»Ich würde auch nicht fragen wollen.«

»Das freut mich. Diskretion ist in unserem Metier nämlich existenziell.« Hendrik nahm irgendein Gerät in die Hand, das Robert noch nie zuvor gesehen hatte. Er scannte damit seinen Kopf.

»Stimmt was nicht?«, fragte Robert besorgt.

»Nein, alles in Ordnung. Reine Routine. So, ich denke, wir können jetzt den Chip einsetzen. Das geht wesentlich schneller als die Entfernung des Originalchips.«

»Dann mal los.« Robert wartete gespannt.

Es ging tatsächlich ganz schnell. Keine Schmerzen, kein Unwohlsein. Alles schien gut zu laufen. Moderne Technik machte es möglich.

»Ich mache noch ein paar Tests, dann sehen wir, ob es funktioniert, wie es soll.«

Alle Tests bestand der neu programmierte Chip anstandslos. »Gut, dann müssen wir noch mindestens eine Woche warten, bis sich Ihr Körper an den neuen Chip vollständig angepasst hat. Von nun an sind Sie Marvin Winkel.«

»Dann kommen Sie in einer Woche wieder?«

»Genau. Dann werde ich Ihnen auch ein ungefähres Zeitfenster nennen können, in dem wir aufbrechen werden.«

»Das klingt wundervoll. Ich bin schon ganz aufgeregt.«

»Bevor ich wieder gehe, noch eine Frage: Ist alles mit Ihrem Klon in Ordnung? Irgendwelche Auffälligkeiten?

»Bis auf die Tatsache, dass sich mein Klon für etwas Besseres hält - keine Auffälligkeiten.«

»Darüber hatten wir ja schon gesprochen. Ein gewisses Konkurrenzdenken in Ihrer Anwesenheit ist nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.«

»Ja, ich weiß. Ich gehe ihm aus dem Weg, so gut es geht. Anders geht es nicht. Sonst geraten wir wieder aneinander. Da muss ich wohl durch.« Robert war überrascht, dass Hendrik speziell nach Auffälligkeiten des Klons fragte. Waren seine beschwichtigenden Worte nur eine Farce, oder machte er sich insgeheim Sorgen über die korrekte Funktion des Klons?

»Es wird ja auch nicht mehr lange dauern. Wir sehen uns in einer Woche.«

»Einen Moment noch. Jetzt, da ich den neuen Chip habe, kann ich theoretisch rausgehen. Ich würde auch nur im Park spazieren gehen, wo es keine Überwachung gibt.«

»War das wirklich nur eine theoretische Frage?«

»Mir fällt hier drin die Decke auf den Kopf. Ich kann mich nicht erinnern, so lange Zeit in einem Raum eingesperrt gewesen zu sein.«

»Sie könnten rausgehen. Aber davon rate ich dringend ab. Wie ich bereits sagte, sind Ihr Körper und Ihr Chip noch nicht aneinander gewöhnt. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass er auffallen könnte - selbst wenn Sie in die Nähe eines Routine-Detekors kommen - aber wir wollen doch jedwedes Risiko vermeiden, nicht wahr? Im Park könnten Sie ja auch in eine routinemäßige Personenkontrolle geraten. Und wenn man Ihnen dann Fragen über Sie stellt, könnten Sie sich in Widersprüche verstricken. Und dann hätten wir ein Problem. Aus diesem Grund habe ich Ihnen auf Ihr Tablet Ihren Lebenslauf für Marvin Winkel aufgespielt. Den sollten Sie in den nächsten Tagen buchstabengetreu auswendig lernen. Nur im absoluten Notfall sollten Sie daher die Wohnung verlassen.«

»Und wann weiß ich, wann ein Notfall eintritt?«

»Das würde ich Ihnen schon sagen.«

»Also gut. Ich werde der Versuchung widerstehen und nicht rausgehen. Ich weiß, dass es zu gefährlich sein könnte.«

»Sie schaffen das. Auf diese Weise behalten wir über alles die volle Kontrolle.«

Robert hielt durch und beschäftigte sich in den folgenden Tagen damit, sich mit seiner neuen Identität auseinanderzusetzen. Seine neue Identität Marvin Winkel war Freiberufler, arbeitete als Werbetexter von zu Hause aus, lebte in der derselben Stadt mit einer anderen Adresse. Er hatte ein paar Freunde, mit denen er sich regelmäßig traf - alles digitale Phantome, so wie Marvin.

»Verrückt«, stieß Robert kopfschüttelnd am Freitagabend aus, als sein Klon nachhause kam.

»Und, alles in Ordnung mit deinem neuen Chip?«, fragte Robert2.

»Ich denke schon. Aus Sicherheitsgründen sollte ich aber noch nicht rausgehen.«

»Hm. Na, lange wird es ja nicht mehr dauern.«

»Und darf ich fragen, wo du heute Abend warst?«

»Ich war mit Nicole wieder im Holo-Kino, habe ich dir noch vor zwei Tagen gesagt.«

»Ach ja, richtig. Habe ich ganz vergessen.« Das hatte Robert nicht, aber er wollte den Coolen spielen. Aus irgendeinem Grund hielt er das gegenüber seinem Klon für nötig. »Und wie war es?«

»Langweilig. Dafür haben wir uns viel unterhalten. Ich glaube, was meine Beziehung zu ihr angeht, werde ich den nächsten Schritt wagen.«

Robert erstarrte. »Den nächsten Schritt?«

»Ja, ich werde ihr sagen, was ich für sie empfinde.«

Robert rang nach Luft und Worten. »Bist du vollkommen übergeschnappt?«

»Wieso? Du bist doch bald weg. Was kümmert es dich?«

»Aber Hendrik hat mir versichert, dass du nichts dergleichen unternehmen wirst.«

»Na, dann hat er sich eben geirrt.« Robert2 sprach die Worte, als handele es sich um eine völlig belanglose Nebensächlichkeit.

»Aber du bist nur ein Klon und sollst unauffällig mein Leben weiterleben. Ohne eine engere Beziehung einzugehen. Sonst könnte deine wahre Identität auffliegen.«

»Was denn für eine wahre Identität? Ich bin du, das hast du selbst gesagt.«

»Dass du aus einem Reagenzglas stammst, meine ich! Stell dich nicht absichtlich dumm.«

»Sorry, aber ich kann machen, was ich will. Dein Leben ist jetzt mein Leben. Du existierst offiziell gar nicht mehr. Schon vergessen, Marvin?«

Robert lief rot an. »Du überschreitest hier eine Grenze, mein Lieber. Wage es ja nicht, mich zu verarschen.«

»Geht das Theater schon wieder los? Ich will nichts von dir. Ich will nur mein Leben leben. Oder besser gesagt: dein Leben.«

Robert tigerte - sich die Haare raufend - im Wohnzimmer hin und her. »Du musst irgendeinen Defekt haben. Irgendetwas stimmt nicht mit dir. Diese ständigen Aggressionen gegen mich, dein irrer Versuch, mit Nicole eine Beziehung einzugehen. Das widerspricht allem, was mir versprochen wurde.«

»Ruf doch bei der Verbraucherzentrale an und beschwere dich. Ach ich vergaß: Einen Klon zu erschaffen, ist ja illegal. Also was willst du jetzt tun?«

Robert blieb stehen und funkelte seinen Klon hasserfüllt an. »Je mehr ich von dir höre, desto mehr gelange ich zu der Überzeugung, dass du nichts, aber auch gar nichts mit mir gemeinsam hast. Ich bin betrogen worden, das ist es!«

»Glaubst du nicht, du übertreibst jetzt?«

»Ganz im Gegenteil. Aber ich kann immer noch die Reißleine ziehen. Robert dachte an die Worte, die seinem Klon auf der Stelle das Licht auspusten würden.«

Sein Klon wusste, dass er mit diesem Gedanken spielte. »Du würdest mich umbringen, nur weil ich deinen hochgesteckten Erwartungen nicht entspreche? Weil dein Selbstbild offensichtlich vollkommen verzerrt ist? Du willst mich für deine eigenen Unzulänglichkeiten, die du in mir siehst, ermorden?«

»Ich würde nur einen dummen Fehler rückgängig machen. Das ist alles.« Wäre Robert wirklich in der Lage, das zu tun? Hätte er den Mut, so weit zu gehen und alles zu riskieren?

Er ließ sich auf die Couch fallen und dachte nach. Eigentlich stimmte es doch, was sein Klon gesagt hatte. Was kümmerte es ihn, welche Art von Leben Robert2 führte, wenn er selbst tausende Kilometer entfernt ein neues und eigenes Leben begann? Trotzdem war er davon überzeugt, dass mit Robert2 etwas nicht stimmte. Er würde zunächst Hendrik zur Rede stellen und dann entscheiden, was er tun würde.

Als er länger darüber nachdachte, kam ihm die Idee, dass Robert2 vielleicht nur so tat, als würde er mit Nicole ernsthaft über seine wahren Gefühle sprechen wollen. Vielleicht wollte er nur Robert - sein Original - aus seiner Kränkung heraus, eine Kopie zu sein, ärgern. Hendrik hatte es Konkurrenzverhalten genannt.

»Und wann triffst du dich wieder mit Nicole, um ihr deine... Liebe zu gestehen?«, fragte Robert abfällig.

»Nächste Woche vielleicht. Vielleicht sage ich es ihr auch erst, wenn du fort bist.«

Na klar, du Feigling. Habe ich es doch gewusst. Alles nur ein Bluff. Gott, wie sehr ich ihn für sein Verhalten hasse!

Robert irrte sich nicht nur, was das Verhältnis von Nicole und Robert2 betraf. Nein, er hasste in Wahrheit sich selbst für seine eigene Feigheit, die ihm sein Klon durch dessen ausweichende Antwort nur vor Augen geführt hatte.

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