Kitabı oku: «Bin kaum da, muss schon fort», sayfa 3
Für immer in meinem Herzen!
Im Oktober 2003 entschlossen wir uns, uns noch einmal auf das Abenteuer Schwangerschaft, Geburt und ein drittes Kind einzulassen. Bis dahin hatten wir bereits zwei gesunde, muntere und liebe Buben. Wir hatten uns nie Gedanken darüber gemacht, wie viele Kinder wir einmal wollten, hatten uns aber stets mehrere Kinder vorgestellt. Der Zeitpunkt im Oktober 2003 schien uns günstig. Die Jungs waren jetzt zwei und fünf, und einen zu großen Abstand zwischen dem zweiten und dritten Kind wollten wir nicht unbedingt. Nun waren wir sehr gespannt, das heißt vor allem ich. Die Erinnerung an die zweite Schwangerschaft war mir nämlich noch ziemlich präsent. Damals war ich ein ganzes Jahr lang nicht schwanger geworden. Deshalb schwang bei unserem Entschluss, noch einmal ein Kind zu bekommen, auch ein bisschen Angst mit. Vielleicht musste ich mich ja noch einmal auf eine längere Wartezeit gefasst machen. Vielleicht würden wir auch gar kein Kind mehr bekommen. Wer wusste das schon. Ich war also so ziemlich auf alles gefasst. Nur nicht auf Folgendes:
Ich wurde nämlich prompt schwanger! Kein Warten, Bangen und Hoffen! So schnell war ich noch nie schwanger geworden! Für mich war das eine absolute Überraschung, eine überaus positive Erfahrung, und ich war total glücklich und selig! Wie dankbar war ich auch Gott gegenüber! Er meinte es so gut mit mir! Er beschenkte mich und unsere Familie auf ganz wunderbare Weise. Von da an war jeder Tag viel leichter und beschwingter. Ich erlebte Gott sehr intensiv und fühlte mich ihm so nahe wie schon lange nicht mehr. Jeden Tag musste ich an unser Kind unter meinem Herzen denken, schmiedete Pläne und stellte mir vor, wie es dann im nächsten Sommer sein würde. Ich überlegte mir, wie und wann wir unsere Buben über den Familienzuwachs informieren wollten, dachte mir schon Namen und Paten aus. Es ging sehr viel in meinem Kopf und Herzen vor.
Umso schmerzlicher war dann der Tag, an dem ich dieses Kind wieder hergeben musste. Ich kann mich sehr gut an diesen Tag erinnern. So etwas brennt sich ein in Herz und Seele. Am Tag vor dem ersten Advent hatte ich mehr Ausfluss als gewöhnlich. Das beunruhigte mich schon ein bisschen. Am Abend entdeckte ich dann plötzlich Blut. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wusste sofort, was dies zu bedeuten hatte. Typischerweise war auch noch Wochenende. Meinen Arzt konnte ich unmöglich erreichen. So rief ich meine Schwägerin an, die Gynäkologin ist. Sie erklärte mir ziemlich kühl und sachlich, dass ich dieses Kind mit größter Wahrscheinlichkeit verlieren würde. Ich machte mir selbst auch nichts vor. Ich spürte innerlich, dass es so kommen würde. Trotzdem hätte ich mir von meiner Schwägerin ein bisschen Hoffnung gewünscht – irgendeinen Strohhalm, an den ich mich hätte klammern können. Noch war ja nichts Schlimmes passiert. Bloß ein bisschen Blut, wenn ich aufs WC musste.
Die nächsten 24 Stunden verbrachte ich ausschließlich zu Hause im Bett. Am Sonntagmorgen rief ich dann in meiner Verzweiflung eine Hebamme an. Diese Frau war sehr mitfühlend und warmherzig. Ihre Anweisung war Bettruhe. Es könne in einer Schwangerschaft mal bluten, das habe noch nichts zu bedeuten. Im Verlauf des Sonntags nahm aber dann die Blutung zu, und wenn ich aufs WC musste, entdeckte ich auch kleine Blutklümpchen im Urin. Ich wusste Bescheid.
Am Abend des ersten Advents ging dann ein etwa mandarinengroßer Klumpen weg – weg in die Kanalisation. Jetzt war es doch passiert. Ich hatte dieses bereits geliebte Kind in der neunten Schwangerschaftswoche verloren. Ich war todunglücklich und untröstlich.
Die Tage darauf waren sehr schlimm. Ich lag meistens im Bett. Meine Buben wurden von meiner Mutter umsorgt. Sie konnten mich in diesen Tagen wohl nicht verstehen und wussten nicht, weshalb ihre Mami im Bett lag und so viel weinte. Ich nahm mich ihnen gegenüber so gut wie möglich zusammen. Wir klärten sie nicht über die wahren Gründe auf. Das kam erst viel später. Im Nachhinein würde ich unseren älteren Sohn sofort informieren. Es wäre für ihn wahrscheinlich einfacher gewesen, und er hätte meinen Seelenschmerz schon verstanden. Nachher ist man sowieso meistens klüger.
Die ersten Tage nach der Fehlgeburt war ich sehr müde und fühlte mich leer. Ich wurde immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt und schrie den Schmerz ins Kissen. Wo war da Gott? Weshalb hatte er mir dies angetan? Ich verstand ihn nicht. Ich fühlte mich von ihm betrogen: So, als hätte er mir den Speck durch den Mund gezogen. Ich nahm es Gott ziemlich übel und machte ihn lange für mein Unglück verantwortlich.
Am nächsten Tag stellte der Arzt bei einer Ultraschalluntersuchung fest, dass das Kind wirklich weg war. Das tat sehr weh. Wieder ein paar Tage später musste ich dann ins Krankenhaus zur »Auskratzung«. Das war am 6. Dezember 2003. Auch dort konnte ich meinen seelischen Schmerz nicht unterdrücken. Ich weiß noch gut, wie mir die Tränen ununterbrochen über die Wangen liefen und ich unterwegs in den Operationssaal von zwei Krankenschwestern betreut wurde, die mir sachte übers Haar strichen und mit mir über den Verlust dieses Kindes sprachen.
Ganz lieb war an diesem Tag meine Schwiegermutter. Sie saß beim Aufwachen aus der Narkose schon an meinem Krankenbett und weinte mit mir. Sie hatte selbst ein paar Kinder verloren und konnte richtig mit mir mitfühlen. Sie konnte mir mit ihrer Gegenwart etwas geben, was nicht einmal meine Mutter gekonnt hätte. Heute kann ich sagen, dass diese Fehlgeburt meine Schwiegermutter und mich näher zueinander gebracht hat – und das ist sehr wertvoll! Meine Freundin war auch gleich zur Stelle. Sie war eine der wenigen, die von meiner Schwangerschaft überhaupt wussten. Sie hatte sich zusammen mit ihrem Mann so fest auf das Kind gefreut. Nun brachte sie mir ein ganz schönes und besonderes Geschenk mit ins Krankenhaus. Es war eine Tonfigur zum Aufstellen: ein Engel (ein Kind) mit einem kleinen Engel (einem Baby) im Arm. Heute steht diese Figur in unserem Schlafzimmer und erinnert mich immer wieder an unseren kleinen Engel im Himmel. Am meisten Trost, Kraft und neuen Lebensmut haben mir in dieser Zeit aber meine beiden Buben gegeben. An ihnen konnte ich mich freuen! Ich hatte ja bereits zwei gesunde Kinder, die mich brauchten und für die ich da sein wollte. Sie waren im ganzen Leid mein allergrößter Trost.
Auch mein Mann versuchte, mich in diesen schweren Stunden zu verstehen und zu trösten. Er fühlte sich aber selbst so hilflos und war in gewisser Weise überfordert. Überfordert mit mir und der ganzen Situation. So widmete er sich bald wieder seiner Arbeit und schaute positiv nach vorne. So schnell konnte ich das nicht. Ich musste zuerst noch mit dem Erlebten fertig werden. In diesem Punkt war ich allein, da musste ich selbst durch.
Doch es war erstaunlich, wie offen und mitfühlend sich die meisten Leute um mich herum verhielten. Viele Frauen berichteten mir von gleichen oder ähnlichen Erlebnissen. Ich war also nicht allein. Ich war überrascht, wie viele Frauen eine oder mehrere Fehlgeburten erlebt hatten. So etwas kann auch verbinden. Das berührte mich sehr und half mir über den Verlust hinweg. Während ich noch krankgeschrieben war, begann ich, unsere Fotoalben mit Fotos anzufüllen. Seit zwei Jahren hatte ich sie nicht mehr weitergeführt. Diese Arbeit war auch Balsam für meine Seele. Auf den Fotos konnte ich so viel Schönes noch einmal durchleben. Wie reich beschenkt war ich doch mit meiner Familie!
Trotzdem war es eine sehr traurige Weihnachtszeit. Stets wurde ich wieder an das Erlebte erinnert, und oft fühlte ich mich allein. Klar trauerte auch mein Mann. Für ihn war es aber trotzdem nicht das Gleiche. Er war diesem Kind noch nicht sehr nahe gewesen, hatte es weder gesehen noch gespürt. Er hatte sich auch kaum Gedanken über die Zukunft gemacht. Da sind wir Frauen einfach viel näher am Kind. Für ihn war jedoch nach der Fehlgeburt sofort klar, dass er weiterhin ein drittes Kind wollte – unbedingt, oder jetzt erst recht. Er war auch sehr zuversichtlich und optimistisch. Das half mir manchmal; manchmal machte es mir Angst. Was, wenn es nicht mehr klappen sollte?
Trotz meiner Fehlgeburt wollte ich sofort wieder schwanger werden. Es gab da für mich kein Warten. Ich stürzte mich in meine Arbeit als Lehrerin, Mutter und Hausfrau. Zwischendurch ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf, weinte und trauerte still für mich. Die Umwelt vergaß die Fehlgeburt schnell. Das tat manchmal weh! Ein Gedanke tröstete mich aber stets: Ich wusste, dass unser verlorenes Kind jetzt bei Gott war. Dort ging es ihm gut – es war glücklich und dem himmlischen Vater nahe. Es würde im Himmel auf mich warten, und eines Tages würde ich es sehen und in meine Arme nehmen können. Dieser schöne Gedanke gab mir auch eine andere Sicht auf den Tod. Bisher hatte ich mit etwas Angst an den Tod gedacht. Nun aber bekam er einen anderen Geschmack. Mein Kind wartet im Himmel auf mich. Darauf freue ich mich heute.
Im Februar wurde ich noch einmal heftig mit meiner Fehlgeburt konfrontiert. Bei drei Frauen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis wurde nämlich langsam ein Bäuchlein sichtbar. Irgendwie war es schon gemein. Diese Frauen hatten das, was ich mir auch so fest gewünscht hatte. So gerne hätte ich jetzt auch mein wachsendes Bäuchlein gezeigt. Eine dieser Frauen hatte den gleichen Geburtstermin, den ich mit meinem Baby gehabt hätte – den 8. Juli 2004. So sehr ich mich für diese Frauen freute, so groß war auch mein Schmerz. Doch dieser Schmerz ging wieder vorbei – es war nur eine kurze Attacke.
Dann im März, nach nur drei Monaten, war auch ich wieder schwanger. Der errechnete Geburtstermin war der 19. November. Also würde ich noch in diesem Jahr ein Kindlein in den Armen halten können, und dies, noch bevor die Fehlgeburt sich jähren sollte. Im ersten Moment war ich außer mir vor Freude, doch sehr bald stellte sich Angst ein. Heute denke ich, dass ich die Fehlgeburt noch zu wenig verarbeitet hatte. Die Wunde war noch zu wenig verheilt.
Viele Gedanken kreisten in den ersten Tagen und Wochen in meinem Kopf. Was, wenn sich meine Erfahrung einer Fehlgeburt wiederholen würde? Wieso sollte ich gerade dieses Kind behalten können? Es gibt schließlich Frauen, die haben mehrere Fehlgeburten nacheinander. Zu meinem eigenen Schutz wollte ich mich noch nicht zu früh freuen. Bald ging ich zum Frauenarzt. Dieser nahm mich ernst und untersuchte mich in den darauf folgenden Wochen häufiger, als es üblich ist. Er wollte mir dadurch Sicherheit vermitteln und mir die Ängste nehmen. Er meinte auch, dass meine Ängste berechtigt wären. Eine Fehlgeburt hinterlasse immer Spuren. Ich solle aber zuversichtlich sein, denn es bestehe kein Grund zur Besorgnis. Ich war ihm dankbar für sein Verständnis. Es verlief dann auch alles sehr gut, und das Baby entwickelte sich prima.
Etwa in der zwölften Schwangerschaftswoche versicherte mir der Arzt, dass ich dieses Kind behalten würde und mir wirklich keine Sorgen zu machen bräuchte. Bei mir wollte sich aber trotzdem noch keine Freude breit machen. Ich kannte Frauen, die hatten ihr Kind auch später noch verloren. So sagte ich mir, dass ich es erst in der 15., 16. Woche glauben würde. Und so schob ich diesen Termin hinaus und weiter hinaus. In der 17. Schwangerschaftswoche spürte ich dann die ersten Kindsbewegungen. Das war genau am 5. Juni. Wir waren unterwegs zu einer Hochzeitsfeier. Es waren ganz feine Bewegungen, fast wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Jetzt wollte ich glauben, dass es gut gehen würde mit dieser Schwangerschaft.
Ich wurde jedoch weiterhin von Ängsten und Sorgen geplagt. Irgendetwas würde noch passieren, so sagte ich mir. Zudem hatte ich ständig das Gefühl, es würde bluten. Wie oft habe ich ein WC aufgesucht und nachgesehen, ob ich Blut entdecken würde. Zu Hause, bei Freunden, in der Stadt oder wo auch immer. Täglich!
Inzwischen war ich in der 22. Schwangerschaftswoche, und zusammen mit meinem Mann und den Buben waren wir beim Arzt. Bei der Ultraschalluntersuchung sahen wir das kleine Menschlein. Alles war in bester Ordnung. Doch vor dieser – und auch jeder anderen Untersuchung – hatte ich große Angst. Bereits auf dem Weg zum Arzt hatte ich weinen müssen und war ganz verkrampft und angespannt gewesen. Nach der Untersuchung – dem Baby ging es gut – war die Erleichterung so groß, dass ich wieder nur weinen konnte. Ich war nervlich sehr, sehr angespannt.
Im September überrollte mich dann das Ganze wie eine riesige Welle. Ich konnte meine Gedanken und Gefühle nicht mehr steuern und hatte mich selbst nicht mehr im Griff. Am Morgen konnte ich kaum mehr aufstehen und den Alltag bewältigen. Ich war müde und völlig erschöpft. So suchte ich am 14. September notgedrungen den Arzt auf, denn ich spürte, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Der Arzt begriff sofort, in welchem Zustand ich mich befand. Er kannte mich schließlich schon ziemlich gut. Er ließ mich sofort krankschreiben. Ich befände mich in einer Depression und sollte meine Ängste noch vor der Geburt in den Griff bekommen. Ansonsten wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass es nach der Geburt noch schlimmer würde und ich postnatale Depressionen bekäme. Ich war völlig niedergeschlagen. Bereits bei Levi, unserem zweiten Kind, hatte ich eine Schwangerschaftsdepression gehabt, und nun schon wieder? Das hatte ich nicht gewollt. Ich hatte mich bisher heftig dagegen gewehrt, sonst hätte ich die ersten Anzeichen viel früher ernst genommen (denn Anzeichen einer Depression waren schon lange vorhanden). Bei dieser außerordentlichen Untersuchung machte der Arzt zu meiner Beruhigung noch einen Ultraschall. Das Baby war wohlauf, schien zufrieden und munter.
Da ich nun ab sofort nicht mehr unterrichten musste, hatte ich Freiraum gewonnen und Zeit, mich meiner Depression voll und ganz zu stellen. Ich ging nun jede Woche zu einer speziell ausgebildeten Hebamme (wie bereits bei Levi) und versuchte, mit ihr das Ganze aufzuarbeiten. Sie hatte früher viele Jahre lang als Hebamme gearbeitet und betreute nun Frauen mit Problemen während und nach der Schwangerschaft. Diese Treffen waren immer sehr intensiv, oft schmerzlich und mit Tränen verbunden. Im Gespräch wurde viel aufgedeckt und ans Licht gebracht. So musste ich feststellen, dass ich mich aus Angst und Misstrauen noch kaum auf das Kind gefreut hatte. Dabei hatte ich mir eine weitere Schwangerschaft so schön vorgestellt. Ich wollte glücklich sein und mich freuen. Was hatte ich bloß aus dieser Schwangerschaft gemacht? Ich machte mir riesige Vorwürfe und hatte ein schlechtes Gewissen dem ungeborenen Kind gegenüber. Ich liebte es ja bereits aus vollem Herzen, doch wie musste sich dieses Kind bei meinen instabilen Gemütszuständen fühlen? Eine solche Mutter hatte es nun wirklich nicht verdient!
Allmählich ging es mir besser. Ich kam wieder zu Kräften und spürte, wie ein Druck von mir wich. Ich versuchte, positiv zu denken und mich zu freuen. Das gelang mir mal mehr, mal weniger. Auch versuchte ich nun, mehr Kontakt mit dem Kind aufzunehmen. Bisher hatte ich sehr wenig mit ihm gesprochen, den Bauch selten gestreichelt. Ich wollte, dass es spürte, dass ich da war und mich freute! Dabei versuchte ich, die Buben mit einzubeziehen. Sie sangen dem Baby Lieder vor, redeten mit ihm und beteten. Solche Momente waren berührend und schön. Levi massierte mir zwischendurch sogar den Bauch.
Am 12. November 2004 kam dann unsere Tochter Mia Noeme zur Welt. Die Geburt verlief reibungslos und so gut wie noch nie. Mia ist ein gesundes, munteres und total süßes Kind. Sie ist pflegeleicht und macht uns viel Freude. Ich bin sehr glücklich und denke manchmal, dass mich Gott jetzt für viel Durchgestandenes belohnt. Ich bin ihm von Herzen dankbar und bin sicher, dass alles seinen Sinn hat! Ich weiß nicht, ob ich so denken würde, wenn ich nicht mehr schwanger geworden wäre. Vielleicht wäre ich jetzt verbittert. Ich schätze mich sehr glücklich und hoffe, dass viele Frauen mit einer Fehlgeburt ein ebenso glückliches Ende erfahren dürfen!
Andrea Berger, Burgdorf, CH
Gott sieht die Leere
Offene Fragen
Nach unserer Hochzeit 1996 stand es nie außer Frage, dass einmal Kinder zu unserer Familie gehören sollten. Nach allem Überdenken der beruflichen Konsequenzen erschien mir der Zeitpunkt, als ich Ende 1997 von einer beginnenden Schwangerschaft erfuhr, geradezu perfekt. Die Vorfreude auf das Baby war groß. Gelassen sah ich den kommenden Monaten entgegen, schließlich hatte ich, da es das erste Kind war, keine Ahnung, was da auf mich zukommen würde. Im Sommer 1998 war Philipp endlich da. Für unsere Familie begann nun eine spannende Zeit zu dritt, die uns aber oft auch sehr viel Geduld abverlangte. Es waren die wertvollsten Jahre meines Lebens. Viele schmerzvolle Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend wurden in dieser Zeit geheilt. Die guten Erlebnisse mit Philipp stärkten den Wunsch nach einem weiteren Kind. Zeitliche Vorstellungen von der weiteren Familienplanung hatten mein Mann und ich jedoch nicht.
Im Februar 2001 habe ich das sichere Empfinden, dass mit meinem Körper etwas nicht in Ordnung ist. Nach der ersten ärztlichen Untersuchung werden lediglich Unregelmäßigkeiten im Zyklusverlauf festgestellt. Wenig getröstet gehe ich nach Hause. Die Wochen, die darauf folgen, sind erfüllt mit Sorge. Immer wieder leichte Blutungen und Beschwerden im Darmbereich. Ich dränge auf einen neuen Arzttermin. Die Untersuchung dauert nicht lange und endet mit der sofortigen Einweisung ins Krankenhaus – Diagnose: Eileiterschwangerschaft. Natürlich habe ich davon gehört, dass es so etwas gibt, aber dass es mich nun selbst betrifft, ist mir unbegreiflich.
Auf dem Weg zum Krankenhaus gehen mir viele Fragen durch den Kopf. Ich habe mich in den letzten Wochen doch gar nicht schwanger gefühlt! Was ist die Ursache einer Eileiterschwangerschaft? Warum wird sie erst so spät erkannt? Die Ärzte im Krankenhaus vertrösten mich mit der Beantwortung meiner Fragen. Es bleibt keine Zeit, ich werde sofort operiert. Auf dem Weg zum OP fällt mir mit Erschrecken ein: Ich habe mich nicht einmal von meinem Mann und meinem Sohn ordentlich verabschieden können. Es bleibt nur Zeit für ein Stoßgebet, und schon wirkt die Narkose.
Ich wache auf und habe entsetzliche Schmerzen. Aber wenigstens höre ich telefonisch die Stimmen meiner beiden »Männer« und habe das Gefühl, jetzt wird alles gut. Trotz nachlassender Schmerzen kommt es wenige Stunden später zu einem Kreislaufkollaps, und schon befinde ich mich mitten in der Nacht wieder im OP, da es zu einer inneren Blutung gekommen ist. Die Tage nach diesen sich überschlagenden Ereignissen erlebe ich wie in Trance und bin nur froh, dass ich überhaupt noch lebe. Eine Störung des Gleichgewichts durch den Blutverlust und die allgemeine Schwäche machen lieb gemeinte Besuche meiner Familie sehr anstrengend. Ich kann einfach nicht begreifen, wie ich als junger Mensch, der vor wenigen Tagen noch mit beiden Beinen im Leben stand, körperlich so schnell abbauen kann. Liebevoll kümmern sich die Frauen in meinem Zimmer (sie sind alle 30 bis 50 Jahre älter) um mich.
Endlich bleibt auch Zeit für die Antworten auf meine Fragen. Eine Ärztin erklärt mir, dass die Ursachen einer Eileiterschwangerschaft oft ungeklärt bleiben und die typischen Schwangerschaftssymptome häufig fehlen, weil sich der Embryo nicht in der Gebärmutter eingenistet hat. Oft wird eine Eileiterschwangerschaft erst erkannt, wenn der Embryo zu groß geworden ist und der Eileiter (fast) platzt. Eine Operation ist nun nicht mehr zu umgehen.
Ich werde sehr nachdenklich, da ich weiß: Der beschädigte Eileiter ist bei mir nicht entfernt worden. Es kann also jederzeit wieder passieren. Die Ärztin beruhigt mich. Immerhin habe ich ja schon ein Kind, der andere Eileiter scheint also zu funktionieren. Was soll ich mit dieser Aussage bloß anfangen?
Schon bald nach diesem Gespräch werde ich nach Hause entlassen. Körperlich bin ich so geschwächt, dass ich etwa ein Jahr nach den Operationen immer noch mit Folgebeschwerden zu kämpfen habe. Erst dann stellen sich dank meiner Familie wieder Lebensfreude und positive Gedanken an die Zukunft ein.
Oft funktioniere ich als Mutter oder Ehefrau nur. Alle meine Wünsche und Vorstellungen erscheinen mir auf einmal unrealistisch. Lange Zeit habe ich keine Gefühle über den Verlust des Babys. Ich habe ja das werdende Leben weder in meinem Körper gespürt noch erahnen können. In meiner Vorstellung war es Zellgewebe, das mir entfernt wurde. (Erst einige Jahre später habe ich erfahren, dass der Embryo im begrenzten Raum des Eileiters genauso heranwächst wie in der Gebärmutter.)
Den Gedanken an eine weitere Schwangerschaft schiebe ich erst einmal weit weg von mir. Eine neue berufliche Herausforderung bringt mir Abwechslung und Neuorientierung.
Hoffnung
Endlich habe ich Gewissheit! Eine ambulante Untersuchung der Eileiter bestätigt, dass eine Schwangerschaft nur noch über die intakte rechte Seite möglich ist. Ich bin ermutigt und freue mich im Dezember 2003 über ein neues heranwachsendes Kind in mir, das sich auch an der richtigen Stelle platziert hat. Doch kurz nach Weihnachten setzen leichte Blutungen ein. Noch versetzt mich dieser Umstand nicht in Panik. Als ich mit meinem Sohn schwanger war, habe ich etwa in der gleichen Schwangerschaftswoche Ähnliches erlebt. Die Schwangerschaft war intakt, und nach wenigen Wochen Ruhe verschwanden auch die Beschwerden. Noch bin ich voller Hoffnung, dass auch diesmal alles gut gehen wird.
Eine Vorstellung beim Arzt ist unumgänglich. Leider muss ich diesmal eine andere, mir nicht bekannte Ärztin konsultieren. Nie werde ich die Sekunden vergessen, in denen mir die Ärztin bei der Ultraschalluntersuchung eiskalt mitteilt, dass mein Kind nicht mehr lebt. Einfach so – keine Erklärung – nichts! Ich kann nicht einmal nach dem Warum fragen, schon halte ich die Überweisung ins Krankenhaus in den Händen. Und so finde ich mich morgens um 8.00 Uhr auf einem menschenleeren Marktplatz einer Kleinstadt wieder und bin fassungslos. Fast scheue ich mich, meinen Mann anzurufen, weil ich weiß, dass ihn die Nachricht genauso hart trifft wie mich. Im Krankenhaus finde ich ein Stück meiner Sicherheit durch das mir nun schon bekannte Stationspersonal wieder. Einfühlsam erklärt mir eine Ärztin, was nun weiter mit mir passiert. Schon eine Stunde nach meinem Eintreffen werde ich operiert. Völlig schmerzfrei wache ich auf, meine Gedanken sind noch sehr durcheinander. Eine Schwester schaut zur Tür herein, fragt nach meinem Befinden und ob ich Hunger habe. Natürlich habe ich Hunger. Sie hat zwar nur Zwieback für mich, aber diese kleine freundliche Geste der Schwester ist mir bis heute in guter Erinnerung geblieben. Der Nachmittag vergeht mit Besuch von meinem Mann und meinem Sohn. Es tut so gut, aber zugleich auch so weh. Wir wissen, auch ohne es auszusprechen, dass es schwer wird, diesen Verlust zu verstehen.
In dieser Nacht schlafe ich schlecht. Ich nehme mir ein Buch zur Hand, um mich abzulenken. Tatsächlich begreife ich gar nichts von dem, was ich lese. Die Nachtschwester ist überrascht, dass ich wach bin, und fragt nach meinem Befinden. Was soll ich ihr sagen? Alle Ärzte und Schwestern sind so um mich bemüht, aber können sie erahnen, was mich wirklich bewegt? Stehen sie nicht selbst auch ein Stück hilflos und nach Worten ringend menschlichen Schicksalen gegenüber? Mein Aufenthalt im Krankenhaus währt nicht lange. Schon am nächsten Tag werde ich entlassen. Es ist Silvester. Ich wünsche mir, dass das neue Jahr schönere Momente für mich bereithält.
Wüstenzeit
Es ist gut, dass in Wüstenzeiten des Lebens manchmal eine Oase am Horizont zu erkennen ist. Eine solche Oase erlebe ich im Frühsommer 2004, nachdem mir nach Beantragung einer Mutter-Kind-Kur diese auch innerhalb kürzester Zeit genehmigt wird. Ich genieße diese Wochen der Erholung und des Loslassens der Alltagsprobleme. Hoch motiviert und energiegeladen kehre ich in den Alltag und den Beruf zurück.
Zwei Wochen, nachdem ich meine Arbeit wieder aufgenommen habe, bemerke ich eine ungewöhnliche Zwischenblutung. Schnell nehme ich ein medizinisches Fachbuch zur Hand und bin einigermaßen beruhigt, dort zu lesen, dass Zwischenblutungen häufig völlig harmlos sind. Ein unbestimmtes, ungutes Gefühl drängt mich jedoch dazu, einen Arzttermin zu vereinbaren. Schon sitze ich wieder einmal voller Ungewissheit im Wartezimmer der Arztpraxis. Wenige Zeit später steht die ernüchternde Diagnose fest. Wie haben sich doch vor Jahren die Ärzte getäuscht, ich habe wieder eine Eileiterschwangerschaft. Und diesmal ohne die geringste Vorwarnung meines Körpers.
Wie schon mehrmals erlebt, begebe ich mich ohne eine Verabschiedung von meinen Lieben in die Hände der operierenden Ärzte und hoffe nur, dass alles gut geht. Es geht alles gut, die Schmerzen danach sind auszuhalten. In diesen Stunden frage ich mich: Haben wir als Familie, aber auch jeder für sich – mein Mann, Philipp oder auch ich – überhaupt noch eine Chance, dass diese inneren Wunden irgendwann einmal heilen werden?
In den folgenden Tagen meines Krankenhausaufenthaltes werde ich täglich einer harten Prüfung unterzogen. Eine mir gegenüberliegende ganz junge Patientin, mit der ich mich auf Anhieb gut verstehe, ist wegen Komplikationen im sechsten Monat der Schwangerschaft eingeliefert worden. Zur Kontrolle werden nun jeden Vormittag die Herztöne ihres Babys am CTG-Gerät überprüft. Eine halbe Stunde lang hört das ganze Patientenzimmer die munteren Herztöne des Babys. Welche Ironie des Schicksals, dort schlägt das Herz eines Kindes im Bauch seiner Mutter, mein Kind ist vor wenigen Tagen »entfernt« worden. Gerne möchte ich aufstehen, um das fröhliche Klopfen nicht hören zu müssen, aber noch fehlt mir die körperliche Kraft dazu. Ich muss lernen: Das ist der Krankenhausalltag. Da ist kein Platz für die Gefühle jedes einzelnen Patienten.
Dankbar möchte ich trotz allem an dieser Stelle sagen, dass nach meinen Erfahrungen während der Krankenhausaufenthalte seitens der Ärzte und Schwestern in aller Hektik ihrer Arbeit immer Zeit für aufmunternde Worte und ein freundliches Lächeln blieb.
Noch in diesen Tagen kurz nach der OP komme ich zu einer Erkenntnis, die mich bis heute zutiefst berührt. Ich bitte eine gute Freundin, mir aus ihrem Arbeitsbereich Fachliteratur zu Fehlgeburt, Eileiterschwangerschaft u. Ä. zu besorgen. Für mich ist es einfach wichtig, Zusammenhänge des menschlichen Körpers zu verstehen. Nach der ersten Eileiterschwangerschaft war ich der Annahme, dass der Embryo im Eileiter gar keine Chance hat, sich zu entwickeln. Die Fachliteratur meiner Freundin zeigt jedoch schön illustriert, dass der Embryo im Eileiter in den ersten Wochen die gleichen Entwicklungsphasen wie bei einem Sitz in der Gebärmutter durchläuft. Es ist ein Schock für mich!
Nach medizinischen Angaben schlägt das Herz eines Kindes bereits ab der fünften Schwangerschaftswoche. Ich weiß, dass ich mich zum Zeitpunkt der Operationen schon mindestens in der achten oder neunten Schwangerschaftswoche befunden habe. Ist es möglich, dass in diesem so beengten Raum des Eileiters schon ein kleines Herz zu schlagen begonnen hatte? Es ist eine Gnade, dass ich mit meinem Verstand nicht alles ergründen und begreifen kann.
Wieder zu Hause, beginnt für mich die in meinen Augen wohl schwerste Zeit nach solchen früh beendeten Schwangerschaften. Die hormonelle Situation pegelt sich wieder ein. Es ist eine Zeit, in der die Gefühle Purzelbäume schlagen. Gerade in diesen schwierigen Moment fällt unser Sommerurlaub. Eigentlich sollte es wohl einer der schönsten Augenblicke für eine Familie im Laufe eines Jahres sein. Ich glaube, für meinen Mann und meinen Sohn war ich in diesen Urlaubstagen eher eine Belastung als eine Bereicherung. Da ist diese Erinnerung an das verlorene Kind noch nicht ansatzweise verarbeitet, da muss ich als Mutter und Ehefrau natürlich schon längst wieder »funktionieren«. Und möglichst noch gute Urlaubslaune verbreiten. Dabei habe ich ganz andere Probleme. Wie wird die Zukunft unserer Familie aussehen? Aus der Traum von einem zweiten Kind?
Ein Bibelwort begegnet mir in den folgenden Wochen sehr häufig: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig (2. Korinther 12, 9). Ich treffe beim Lesen eines Buches auf diesen Spruch, höre ihn im Gottesdienst, bekomme eine Postkarte mit dieser Zusage. Die guten Worte verfolgen mich regelrecht. Dankbar blicke ich auf mein Leben und kann an vielen kleinen und großen Dingen Gottes Gnade feststellen: Ein fester Arbeitsplatz, eine gesunde Familie, ein fröhliches Kind, alles das sind Geschenke Gottes. So will ich auch die Zeiten der Schwachheit annehmen, denn er hat versprochen, mich auch dort hindurchzuführen.
Eine Frage beschäftigt mich nun noch sehr. Werde ich meine drei ungeborenen Kinder im Himmel einmal wieder sehen? Ein Gespräch mit einer Frau, die ich auf einer Veranstaltung zum Thema »Heilung« kennen lerne, bringt endlich Gewissheit. Diese Kinder werden schon jetzt bei Gott einen besonderen Platz haben. Ein interessanter Gedanke schießt mir nach dem Gespräch durch den Kopf. Meine Schwester hat immer großen Anteil an meinen Enttäuschungen der letzten Jahre genommen. Sie selbst hat vier Kinder. Eines Tages werde ich ihr in nichts nachstehen. Bei Gott werde ich einmal mindestens vier Kinder haben, drei sind schon jetzt bei ihm, eines hat er mir in diesem Leben anvertraut.
Hannahs Loblied
In der Bibel steht, Gott hat einen Plan für mein Leben. Ich darf aber auch Dinge, die mir am Herzen liegen, im Gebet vor ihn bringen. Ab sofort befinde ich mich auf einer regelrechten Gratwanderung. Oft bete ich: »Jesus, zeige mir den Weg, den du mit mir vorhast. Sei es im Beruf oder in der Familie. Ich möchte lernen, meine Lebensumstände so hinzunehmen, wie du sie gemeint hast.« Ein nächstes Mal bete ich: »Jesus, du siehst den Wunsch nach einem zweiten Kind. Ich weiß, dass die Chancen nach menschlichem Ermessen nicht gut stehen, aber bei dir ist nichts unmöglich.«
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