Kitabı oku: «Das Vermächtnis aus der Vergangenheit»
Sabine von der Wellen
Das Vermächtnis aus der Vergangenheit
Teil 4 Die Sucht
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Sehnsucht
Ein neuer Weg
Beziehungsunfähig
Die Sucht
Falsches Spiel
Eriks Kampf
Gefährliches Drogenmilieu
Ex-Horror
Impressum neobooks
Sehnsucht
Marcel und ich genießen den Nachmittag auf unserer Terrasse in der Sonne liegend. Ich soll mich von der anstrengenden Woche erholen, in der ich zwei ganze Nachmittage angeblich Ellen gepflegt hatte.
Ich bin wirklich völlig fertig. Aber nicht wegen Ellen, sondern wegen ihrem Bruder Erik. Er hatte sich vier Tage in seiner Panikwohnung mit einem Berg Drogen eingesperrt und stand schlimm zu, als er mich endlich zu sich ließ. Und ich war die einzige, die er bei sich haben wollte. Nicht mal Ellen oder Daniel wollte er sehen. Nur mich.
Und ich hatte ihm seine Wunden versorgt, die er sich im Drogenrausch zugezogen hatte, … und er hatte mich erneut in sein Bett gezogen.
Dass wir ein zweites Mal miteinander geschlafen haben, ist ein Umstand, der mich verwirrt. Denn bisher kam das in Eriks Leben so gut wie nie vor, dass er eine Frau nochmals zu sich mitnahm.
Erik will keine Gefühle und er will keine Beziehung. Das weiß jeder und er sagt es auch jedem. Er hatte das auch zu mir schon gesagt. Und dennoch wollte er mich ein zweites Mal und verlangte, dass ich heute noch einmal zu ihm kam und nach seinen Wunden sah. Und er hatte mir viel von sich erzählt und mir viel erklärt, als wäre ihm wichtig, dass ich sein konfuses Leben verstehe. Und er hatte mich nach Hause gefahren und ich hatte ihn zum Abschluss geküsst …
Marcel ahnt das alle nicht. Er glaubt, ich bin einfach nur von einer anstrengenden Woche geschafft und müde. Aber das ist nicht mein Problem. Mein Problem ist meine Beziehung und Liebe zu Marcel … und dass Erik in mir Gefühle auslöst, die falsch sind. Und obwohl ich das weiß, kann ich mich ihm nicht entziehen.
Marcel achtet an diesem Nachmittag strickt darauf, dass ich mich nicht zu viel aus dem Liegestuhl erhebe. Er holt Trinken, Essen, versorgt unser Katzenbaby Diego und deckt mich zum Abend hin zu, als es etwas kühler wird.
Ich schlafe fast die ganze Zeit und werde höchstens durch Diego geweckt, der mir auf den Bauch springt, um es sich dort gemütlich zu machen.
Es ist schon spät, als Marcel mich weckt und mich bittet, ins Haus zu kommen. Als ich ihm folge, von seiner Hand mitgezogen, erwartet mich ein Essen bei Kerzenschein und Wein. Er zieht mir den Stuhl zurück und grinst mich schelmisch an. „Jetzt noch ein gutes Essen, frisch vom Italiener geholt und du wirst für eine heiße Nacht gewappnet sein.“
Mir vergeht augenblicklich der Appetit, den ich eben noch hatte. Aber mir ist klar, dass ich mir das auf gar keinen Fall anmerken lassen darf. Ich werde mir diese schöne Nacht mit Marcel machen … irgendwie.
Erik würde es freuen, wenn er über meinen wirklichen Sex-Elan bei Marcel informiert wäre.
Marcels Handy meldet eine ankommende SMS, die er schnell ausdrückt.
„Schaust du nicht rein?“, frage ich ihn und drehe mir die Spagetti auf die Gabel.
„Kann nichts Wichtiges sein“, raunt er und isst weiter.
Nachdem wir die Flasche Wein ausgetrunken haben und Marcel mich ins Bett trägt, wird der Abend doch noch ganz schön. Er lässt sich Zeit und seine zärtlichen Berührungen und heißen Küsse verfehlen irgendwann auch nicht mehr ihre Wirkung. Da draußen langsam ein Gewitter aufzieht, legt sich eine schnelle Dämmerung über den Ort, die uns in eine seichte Dunkelheit hüllt und mich nur kurz den Atem anhalten lässt, als Marcel mein T-Shirt über meinen Kopf zieht.
Aber Eriks Mahnmale sind von Ellens Abdeckstift genügend verdeckt und in dem wenigen Licht nicht auszumachen und Marcel zeigt keine Reaktion. Ich gebe mich seinen Lippen auf meinem Körper hin.
In der Nacht schlüpfe ich erneut in mein T-Shirt und mir wird wieder bewusst, wie geschickt Erik sich mit seinen Küssen auf meinem Halsansatz, und den sichtbaren Beweis dafür, dass ich mich ihm nicht entziehen kann, immer wieder in mein Gedächtnis ruft.
Marcel zieht mich sofort wieder in seinen Arm und murrt nur verschlafen, als er den Stoff fühlt.
Ich kann nicht sofort einschlafen und frage mich, was Erik wohl gerade macht. Es ist Freitagnacht und er kann jede haben, die er will.
Am Samstag geht es mir etwas besser und ich mache mich daran, die Wohnung etwas auf Vordermann zu bringen, während Marcel mit seinem Auto zur Tankstelle fährt, um Öl zu kontrollieren und den Reifendruck zu messen. Zumindest hat er mir das gesagt und ich bat ihn, auch gleich einzukaufen. Da wir wenig zu Hause sind brauchen wir nicht viel. Das meiste ist für unseren Kater Diego.
Am Nachmittag fährt Marcel zum Training. Er hatte mich angefleht, ihn zu begleiten. Aber ich ließ mich nicht erweichen.
Ellen ruft mich an und versucht mich zu überreden, mit ihr am Abend durch die Stadt zu ziehen, weil Erik und Daniel geschäftlich unterwegs sein werden. Doch ich wimmele sie ab. Ich fühle mich schon wieder so, als hätte ich mein ganzes Pulver verschossen und möchte lieber einen ruhigen Abend daheim verbringen. Ob Marcel da sein wird, weiß ich nicht mal. Aber Diego wird es freuen, wenn jemand zu Hause bleibt.
Marcel kommt vom Training zurück und springt sofort unter die Dusche.
Ich habe einen Auflauf im Ofen und setze mich an meinen Laptop, um etwas für meine Hausaufgaben zu recherchieren, als mein Handy eine SMS meldet.
Mein Herz schlägt sofort einen anderen Rhythmus an, als ich Ellen2 lese.
„Mir geht es gut. Danke der nicht gestellten Nachfrage. Ich hoffe, der Elan hält sich in Grenzen. Sichere meine Nummer mit einem falschen Namen. Ist besser. E“
Ich muss sie zweimal lesen. Ist Erik sauer, weil ich mich heute nicht nach seinem werten Befinden erkundigt habe oder ist das erneut eines seiner Spielchen? Zumindest macht er sich Gedanken um die Probleme, die ich bekomme, wenn Marcel seine Nummer auf meinem Handy mit seinem Namen finden würde. Aber das habe ich schon längst im Griff. Erik hätte sich lieber so viele Gedanken um meine auftretenden Probleme machen sollen, als er mir die Knutschflecke verpasste.
Ich schreibe ihm schnell zurück: „Sicher geht es dir gut. Deine Nummer ist schon lange gesichert. Elan? Ich kuriere mich noch von der Woche aus und werde mir einen ruhigen Abend machen. Sei vorsichtig bei dem, was du heute vorhast.“
Dass er wieder mit Daniel seinen Geschäften nachgeht, macht mich nervös und ich versuche den Gedanken daran zu verdrängen. Erik ist noch auf Bewährung und ich denke, es geht um Drogen. Also muss ich damit rechnen, dass es auch mal schiefgehen kann. Etwas, was mich nicht kalt lässt.
Erneut meldet mein Handy eine SMS.
„Lese ich da Sorge? Wer macht sich schon Sorgen um den Teufel? Ich werde auf mich achtgeben.“
Ich tickere nur ein schnelles: „Danke!“, rein und lösche alles.
Das Handy in meine Hosentasche verstauend, lese ich den Artikel weiter, den ich gefunden habe und schreibe mir einige Daten heraus, als Marcel hinter mir erscheint und sein nasses Haar über mir ausschüttelt.
„Iiiih, Marcel nicht! Mein Laptop wird doch ganz nass“, quicke ich.
Er lacht nur und hält seine Nase genüsslich schnüffelnd in die Luft. „Das riecht hier aber lecker. Ich habe einen Bärenhunger!“
Ich stehe auf und stelle Teller auf den Tisch und lege Besteck dazu. „Dann komm, mein hungriger Bär.“
Wir essen und ich frage: „Bist du heute Abend zu Hause?“
„Ich habe nichts vor. Und du?“
„Ich bleibe auf alle Fälle hier. Es tut mir gut, wenn ich mich noch ein wenig ausruhe. Nächste Woche wir anstrengend. Wir haben lange Schule und Mama hat sich noch nicht gemeldet, wann sie zu Julian fahren wollen.“
„Oh Mann, willst du wirklich mitfahren?“
Ich nicke entschlossen. Durch Erik habe ich das Gefühl, ich muss Julian eine Chance geben. Wenn er auch so unter der Vergangenheit leidet wie Erik, dann muss ich mit ihm reden. Vielleicht ist dieser Alchimistenmist wirklich ausgestanden und er kann zurückkommen und alles wird wieder gut. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
„Wenn du meinst!“, brummt Marcel. „Aber schön, dass du heute Abend bei mir bleibst.“
Wie er das sagt, versetzt mir einen Stich. Er tut fast so, als würde ich ihn ständig allein lassen.
Am Sonntag fühle ich mich wirklich wieder fit. Der ruhige Samstagabend und der viele Schlaf füllten meine Kraftreserven auf. Nach dem Frühstück packt mich allerdings die Unruhe. Immer wieder schieben sich Bilder von wilden Bandenkriegen und aufmarschierenden Polizisten in meinen Kopf. Als in den Nachrichten auch noch von einem gesprengten Drogenring berichtet wird, ist es mit meiner sonntäglichen Ruhe ganz vorbei. Während Marcel mit Diego in den Garten geht, um eine Zigarette zu rauchen, schreibe ich eine SMS an Ellen2.
„Ist alles in Ordnung? Geht es euch gut?“
Ich schreibe es extra so, als beziehe ich meine Frage auch auf Daniel.
Fast augenblicklich kommt zurück: „Ja, alles in Ordnung. Ich rufe dich später an.“
Oh nein! Nicht anrufen!
Aber mir ist klar, wenn Erik mich anrufen will, tut er das auch.
„Klingel mich erst kurz an und ich suche mir einen ruhigen Platz“, schreibe ich zurück und hoffe, er versteht, was ich meine.
Ich schiebe das Handy in meine Hosentasche und gehe auch in den Garten. Als ich um die Hausecke biege, sehe ich Marcel auf den Treppenstufen der Terrasse sitzen, die Zigarette im Mundwinkel und etwas in sein Handy eintippen.
Marcel ist kein großer SMS Schreiber, was man an der umständlichen Eingabe der Buchstaben sieht. Es scheint ihn einige Mühe zu kosten und ich gehe zu ihm. „Nah, schreibst du einer deiner zahlreichen Verehrerinnen?“, witzele ich und Marcel fährt erschrocken zusammen. „Nein“, brummt er und steckt das Handy augenblicklich in seine Hosentasche.
Das verwirrt mich. Will er sein Geschriebenes nicht wenigstens verschicken? Ich sehe ihn misstrauisch an. Marcel hat sein Handy neuerdings viel bei sich. Genauso wie ich.
Er raucht seine Zigarette zu Ende und sagt: „Heute Nachmittag ist ein Spiel mit Werda Bremen. Schaust du dir das mit mir an?“
„Oh, ich weiß nicht. Ich muss noch Hausaufgaben machen.“
Er nickt nur und wirft mir einen seltsamen Blick zu, als hätte er auch nicht damit gerechnet.
„Vielleicht wollen deine Jungs herkommen und mitgucken?“, schlage ich vor.
„Ich frage sie mal“, antwortet Marcel nur und ich stehe auf, um ins Haus zurückzugehen. Ich möchte mir etwas zum Lesen holen.
„Soll ich dir etwas mit rausbringen?“, frage ich Marcel und er schüttelt den Kopf.
Ich gehe um die Hausecke und bleibe stehen. Irgendwie bin ich beunruhigt. Irgendetwas an Marcel beunruhigt mich.
Ich drehe mich um und schaue vorsichtig um die Hausecke und sehe ihn erneut sein Handy in die Hand nehmen und etwas schreiben.
Mit gerunzelter Stirn setze ich meinen Weg fort. Also ist da was im Busch. Marcel schreibt SMSen und ich soll das nicht mitbekommen.
Ich beschließe, etwas schrecklich Verwerfliches zu tun. Ich werde mal in seinem Handy etwas schnüffeln müssen.
Sofort spüre ich diesen Wurm in mir. Noch klein und schmierig und deshalb nur eben wahrzunehmen. Aber ich habe Angst davor, dass er zu einer Python wird, die mich erneut von innen heraus zerfetzen will.
Ich beeile mich, mir ein Buch zu greifen und laufe schnell wieder hinaus.
Marcel sitzt nur da und schaut Diego zu, der durch die Büsche streift und alles untersucht. „Der Kleine ist richtig groß geworden“, sagt er, stolz wie ein richtiger Papa.
„Ja, ist er“, sage ich und setze mich dicht neben ihn, lege meinen Arm um seinen Nacken und lehne mich an seine Schulter.
„Du siehst wieder ausgeruhter aus. Das Wochenende hat dir gutgetan“, raunt er und sieht mich zufrieden an.
Ich nicke nur.
Er legt seinen Finger unter mein Kinn und küsst mich. „Das war ein schönes Wochenende. Diese Woche wird anstrengend und wir werden uns nicht viel sehen können.“
„Ich weiß“, flüstere ich an seiner Schulter.
Er nimmt meinen Arm und zieht mich über sein Bein zwischen seine Beine, damit ich eine Stufe unter ihm zum Sitzen komme. Beide Arme um mich schlingend, haucht er in meine Haare: „Weißt du, dass ich dich liebe?“
Ich nicke, greife hinter mich und lege meine Hand auf seine Wange, während er mir einen Kuss auf meinen Hals drückt.
Warum rege ich mich auf, weil Marcel mal jemandem schreibt? Es ist nichts! Er liebt mich immer noch, also!
Wir sitzen lange zusammen und schauen Diego bei seinen Spielchen zu. Aber irgendwann muss ich reingehen und mich an meine Hausaufgaben machen.
Marcel bietet mir erneut an, mir zu helfen, wenn ich nicht klarkomme. Aber er bleibt noch draußen und ich sehe ihn wenig später in der Garage verschwinden.
Zum ersten Mal grübele ich darüber nach, was passiert, wenn wir uns trennen. Wenn er auf einmal eine andere hätte.
Ich verdränge den Gedanken daran. Es würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen.
Am Nachmittag habe ich meine Hausaufgaben fertig, den Bericht geschrieben, der eigentlich erst nächste Woche dran ist, und meine Mappen geordnet und alle Blätter eingeheftet. Marcel ist immer noch draußen und putzt seinen Golf von innen. Diego hat er bei sich und lässt ihn durchs Auto toben. Mittlerweile haben wir keine Angst mehr, den Kater auch außerhalb des Zaunes laufen zu lassen, der sowieso kein Hindernis mehr für ihn darstellt. Marcel überlegt schon, ob wir ihm irgendwo eine Klappe einbauen können, damit er jederzeit raus und rein gehen kann.
Diego kommt zu mir ins Wohnzimmer gelaufen und Marcel folgt ihm, den Eimer und die schmutzigen Lappen in der Hand. „So, mein Auto blitzt und blinkt wieder“, sagt er und sieht zufrieden aus. „Außerdem muss der Mustang, den ich gestern gesehen habe, hier irgendwo aus unserer Nachbarschaft kommen“, meint er noch und geht ins Badezimmer, um die Lappen in die Waschmaschine zu werfen.
„Warum meinst du das?“, rufe ich ihm verunsichert hinterher.
Marcel kommt ins Wohnzimmer zurück. „Weil ich den erneut gesehen habe.“
„Wo?“, frage ich verwirrt.
„Auf unserer Straße. Der ist vor einer halben Stunde hier vorbeigefahren. Schickes Teil, sage ich dir. Wirklich ein Traum. Ich würde so was gerne mal fahren.“
Ich schlucke schwer. Erik ist hier durchgefahren? Warum?
„Glaube ich dir“, murmele ich nur und gehe zum Badezimmer. „Ich gehe eben auf Toilette“, erkläre ich und schließe die Tür hinter mir.
Mein Handy aus meiner Hosentasche ziehend, schreibe ich an Ellen2 eine SMS. „Dein Auto ist zu auffällig, als das du unauffällig hier durchfahren kannst. Wolltest du etwas Bestimmtes?“
Die Antwort lässt auf sich warten. Ich werde nervös. Schließlich kann ich nicht ewig auf dem Klo hocken bleiben. Dann klingelt mein Handy einmal und erstirbt wieder. Erik will mit mir telefonieren. Verdammt!
Ich verlasse das Badezimmer und schlüpfe in meine Schuhe. Marcel wirft sich gerade vor den Fernseher. „Vielleicht kommen Michael und Mike gleich noch. Magst du nicht doch mitschauen? Das Spiel fängt gleich an.“
Ach ja, das Fußballspiel.
„Ne, ich gehe lieber eben ein Stück um die Häuser. Vielleicht danach. Okay?“
Marcel sieht mich seltsam an und ich gehe zu ihm und gebe ihm einen Kuss. „Nur eine Runde die Füße vertreten - nach dem langen Sitzen. Und vielleicht sehe ich ja, wo dein Mustang wohnt und ich sage dir dann die Adresse.“
Seine Augen leuchten auf. „Au ja! Das wäre toll!“
Ich verlasse schnell das Haus und gehe durch die kleine Gartenpforte auf die Straße. Sofort blicke ich die Straße rauf und runter. Aber ich sehe keinen auffälligen Mustang. Ich muss die leichte Enttäuschung unterdrücken, die sich an die Oberfläche schleichen will. Spüre ich da so etwas wie eine seichte Sehnsucht? Ich schüttele energisch den Kopf und verdränge das Gefühl.
Ich gehe die Straße hinunter, an den Einfamilienhäusern mit ihren schön angelegten Gärten vorbei und komme zu der Straße, an der Erik und ich parkten und ich ihm den Abschiedskuss gab. Dort wechsele ich auf die andere Straßenseite und laufe weiter in die Stadt hinein. Ich nehme mein Handy und rufe Ellen2 an.
„Hi!“, meldet Erik sich sofort. „Hast du dich wegschleichen können?“
„Hallo Erik. Warum wegschleichen? Ich habe gesagt, dass ich ein Stück um die Häuser gehe und fertig. Marcel sperrt mich nicht ein.“
„… wie ich!“, raunt Erik, als wolle ich den Satz so vervollständigen.
„Das hast du gesagt“, antworte ich ihm und fühle ein seltsames Zittern durch mein Inneres toben. Schon mit Erik zu sprechen lässt alles in mir vibrieren. „Und, gestern alles gut gelaufen?“, versuche ich das Thema schnell zu wechseln.
„Ja, aber frag nicht weiter. Es ist besser, du weißt von all dem nichts“, höre ich Erik murmeln.
„Stimmt! Das ist wahrscheinlich wirklich besser. Zumal das etwas wäre, dass ich nicht tolerieren könnte, wenn wir mehr als nur Freunde wären.“ Ich kann dem Drang nicht wiederstehen, ihn erneut aus der Reserve zu locken. Mir wird klar, dass in meinem Inneren die Frage wütet, was er meint, was zwischen uns ist. Dass er mir die Freundschaft zu seiner Schwester lässt, ist mir mittlerweile klar. Aber was will er von mir? Einerseits lebt er sein Leben, als gäbe es nichts anderes, was ihn interessiert und anderseits sucht er den Kontakt zu mir.
Erik sagt nichts.
Nach einiger Zeit raunt er, das Thema wechselnd: „Du fragst nicht, wie es mir geht? Vergessen? Ich bin noch immer verletzt.“
„Ach Erik, Quatsch. Wenn du nachts durch dunkle Gassen und siffige Diskotheken gehen kannst, um Drogen zu verticken, dann kann es so schlimm nicht mehr sein“, knurre ich von der Enttäuschung getrieben, dass er sich nicht weiter auf das andere Thema einlassen will.
„Autsch, das war wie ein Schlag in den Magen. Wo bleibt denn deine hilfreiche und soziale Ader? Hast du die anderweitig ausgetobt?“, blafft er zurück.
Ich bin mir nicht sicher, was er damit meint und brumme: „Die steht nicht jedem zu und Daniel ist schließlich auch noch da. Er kann dir auch dein Händchen halten. So und nun raus mit der Sprache. Warum warst du heute in Bramsche?“
Ich höre ein Seufzen und es dauert bis er antworte: „Ich habe nur nach dem Rechten gesehen.“
„Was? Wie, nach dem Rechten gesehen?“, frage ich irritiert.
„Nah, ob das Haus noch steht oder du schon deine Sachen packst und gehen willst oder irgend sowas“, sagt er, als zähle er auf, was er zum Frühstück gegessen hat.
„Ich habe nichts, wo ich einfach so hingehen kann. Meine Eltern lieben Marcel mittlerweile wieder heiß und innig und würden mir die Hölle heiß machen, wenn ich ihn verlasse“, antworte ich, an meine Gedanken erinnert, die mich genau diesbezüglich schon bei den Hausaufgaben heimgesucht hatten.
Leise raunt Erik: „Das wäre kein Problem. Ich hätte sofort eine Wohnung für dich.“
„Die ich mir nicht leisten könnte“, antworte ich nur.
„Die würde dich nichts kosten. Sie ist bei Daniel im Haus“, sagt er schnell.
Ich bleibe verwirrt stehen. „Wie jetzt?“
„Ist doch egal. Wenn du wegwillst, hast du auf alle Fälle gleich eine Wohnung. Mehr brauchst du nicht zu wissen.“
Ich schüttele den Kopf und muss einen Schritt an die Seite gehen, um eine Frau mit Kinderwagen vorbeizulassen.
„Okay“, antworte ich nur. „Aber ich glaube, ich würde mir dann lieber selbst was suchen.“ Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll.
„Sicher! Aber erst mal hättest du eine Bleibe und Ellen hättest du auch gleich da“, murmelt er.
Will er mir die Wohnung schmackhaft machen? Ich finde das alles ausgesprochen seltsam und nehme mir vor, Ellen danach zu fragen. Jetzt halte ich es erst mal für besser, das Thema zu wechseln.
„Also jetzt ehrlich! Warum warst du eben da?“
„Ehrlich? Ich war in der Nähe und wollte einen kleinen Abstecher machen, um wirklich nur zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Und ich habe deinen Typen gesehen. Ich glaube, gestern auch schon. Der steht scheinbar auf Mustangs.“
Erik hört sich so an, als freue es ihn ungemein, dass er etwas hat, das Marcel auch haben möchte.
„Ich denke, wenn du ihn fragst, ob er auch mal fahren will, sagt er sofort ja“, antworte ich, seine Vermutung bestätigend.
„Ich kann ihn ja mal fragen, ob er mit mir tauscht. Er bekommt das Auto und ich seine Freundin.“ Erik lacht laut auf, um seine Worte als Witz zu kaschieren.
Ich muss auch lachen. So ein Spinner. „Nah, ich denke, er nimmt sofort das Auto“, antworte ich ihm.
„Hm, dann sollte ich ihm den Deal wirklich mal vorschlagen“, sagt Erik ernst.
„Untersteh dich“, rufe ich gespielt entrüstet aus und muss immer noch lachen. „Du bringst das wirklich und ich habe dann den Stress, weil Marcel wissen will, wie du auf so etwas kommst. Sowieso, dass ich den Mustangfahrer kenne, würde ihn aus allen Wolken fallen lassen. Also bitte halte dich zurück“, füge ich noch belustigt hinzu. Ich will diese Stimmung aufrechterhalten.
„Zurückhaltung? Hm, ich glaube, dass ich nicht gerade eine meiner Stärken“, murmelt Erik.
Ich muss schmunzeln. „Stimmt! Was ist deine Stärke?“
Erik scheint zu überlegen. „Ich weiß nicht? Ich kann nichts Besonderes. Vielleicht ist meine einzige Stärke meine Stärke.“ Er lacht auf, klingt aber eher resigniert.
„Ich bin mir sicher, du hast ganz viele“, versuche ich sofort mit einem seltsamen Gefühl im Bauch seine Laune wieder hochzutreiben.
„Ach ja? Nah, dann sage mir mal eine. Eine Einzige. Das wäre schon was“, raunt er und ich spüre erneut die Stimmung auf Talfahrt gehen.
„Ich weiß ganz viele“, sage ich aufgedreht. „Du bist stark nervig, stark verbissen, stark wehleidig, stark unberechenbar, stark ehrlich, stark im Bett.“ Das letzte lässt meinen Atem stocken. Vielleicht hätte ich das besser unerwähnt gelassen.
„Wow, das ist viel stark. Und über den letzten Punkt sollten wir uns noch mal ausführlicher unterhalten.“ Ich höre sein leises Lachen.
Ich sehe schon den Bahnhof vor mir und weiß, dass unser Gespräch zu Ende gehen muss. Ausgesprochen bedauerlich.
„Erik, ein anderes Mal. Ich bin gleich wieder zu Hause. Wir müssen Schluss machen.“
„Was? Schon? Okay …“, raunt er wenig erfreut.
In dem Moment hubt jemand neben mir und Mike brüllt aus dem offenen Fenster von Michaels Audi: „Hallo Carolin!“
Sie rasen an mir vorbei, den Motor noch einmal aufheulen lassend und Michael winkt grinsend.
„Mann, Jungs!“, brumme ich erschrocken.
„Was ist da bei dir los?“, höre ich Erik fragen und er scheint schon auf dem Sprung zu sein, um mich vor irgendwelchen bösen Buben zu retten.
„Nichts! Das waren nur Marcels Jungs. Die fahren wohl zu uns, um Fußball zu schauen.“
„Hm, alles klar. Dann hast du eine volle Bude, oder?“ Er scheint zu überlegen. „Magst du nicht lieber mit mir ein wenig rausfahren?“ Es klingt wirklich wie eine Bitte und ich schlucke.
„Nein Erik. Ich kann nicht einfach verschwinden. Außerdem habe ich noch einiges zu tun.“
Murrend höre ich ihn sagen: „Du ziehst diese Bande mir also vor?“
„Natürlich!“, sage ich neckend.
Er scheint einen Moment sprachlos zu sein. „Auch das merke ich mir“, brummt er grollend.
„Was denn noch?“, frage ich und werde immer langsamer, um noch etwas Zeit zu schinden.
„Nah, dass mit dem Teufel. Du hast gesagt, ich wäre der Teufel.“
„Ach das“, sage ich und muss erneut lachen. „Und wofür merkst du dir das?“
„Für meine Rache“, sagt er genüsslich und ich frage keck nach: „So, für die Rache! Wie soll die aussehen?“
„Lass dich überraschen“, raunt er und mir wird heiß. Das heißt wohl, dass er immer noch nicht genug von mir hat.
„Mache ich“, erwidere ich und könnte das Spiel noch endlos weiterführen. Aber ich muss gehen. Die Jungs haben mich gesehen und warten bestimmt darauf, dass ich endlich erscheine.
„Okay Erik, ich muss Schluss machen.“
„Ich weiß. Wir sehen uns dann … zu meinem Racheakt.“ Ich höre ihn förmlich die Zähne fletschen.
„Wann?“, frage ich.
„Lass dich überraschen“, antwortet er nur. „Einen schönen Sonntag noch und vergiss mich nicht.“
„Mache ich nicht. Dir auch einen schönen Sonntag. Bis bald!“ Ich lege auf, als ich fast unser Haus erreiche. Michaels Audi steht neben Marcels Golf vor der Garage.
Ich habe eigentlich keine Lust hineinzugehen. Aber ich habe noch eine Mission, die mir vielleicht gut gelingt, wenn Marcel so abgelenkt ist. Ich möchte einen Blick in sein Handy werfen.
Als ich das Haus betrete, höre ich die Fußballfreaks schon im Wohnzimmer toben, was einen schlechten Spielverlauf anzeigt. Ich schaue ins Wohnzimmer und rufe ein „Hallo“, hinein.
„Hi, Carolin!“, rufen Michael und Mike wie aus einem Mund und Marcel wirft mir einen schnellen Blick zu.
Ich gehe zu ihm und gebe ihm einen Kuss, weil ich weiß, dass ihm das ganz wichtig vor seinen Kumpels ist.
„Kommst du jetzt auch ein bisschen zu uns?“, fragt er und ich sehe mich um. Sein Handy liegt auf dem Tisch vor dem Sofa.
„Gleich! Möchte jemand einen Kaffee oder etwas anderes?“
„Kaffee wäre toll“, sagt Michael und grinst mich an.
„Dreimal“, meint Marcel, als wäre ich eine Bedienung in einem Cafe.
„Okay“, raune ich und komme wenig später mit einem Tablett wieder, auf dem Milch, Zucker und drei Kaffeebecher mit Kaffee stehen. Wie ganz nebenbei, mache ich auf dem Tisch Platz und lege Marcels Handy auf das Tablett, während ich die Becher, die Milch und den Zucker auf den Tisch stelle. Die Fernsehzeitung lege ich auch auf das Tablett und schiebe die Kaffeebecher direkt vor die jeweiligen Kaffeetrinker.
Ich gehe in die Küche und atme auf. Das Handy greifend, flitze ich ins Badezimmer und schließe mich ein. Mit zittrigen Händen und einem unglaublich schlechten Gewissen drücke ich die Tastensperre aus. Im Telefonspeicher finde ich nur Anrufe von mir, seiner Schwester, seinen Eltern oder seinen Kumpels. Ich öffne die SMSen und finde tatsächlich drei von einer Sabrina, was augenblicklich einen Sturm durch mein Innerstes toben lässt.
Mit laut pochendem Herzen öffne ich die erste.
„Hallo Marcel. Du kennst mich wahrscheinlich nicht. Ich kenne dich aber. Ich bin bei jedem Fußballspiel dabei und ein absoluter Fußballfanatiker - wegen dir! Magst du dich mal mit mir treffen? Sabrina.“
Das haut mich fast um. Wie abgebrüht ist das denn?
Ich öffne die nächste.
„Schade! Aber was heißt das schon … eine Freundin. Vielleicht entgeht dir etwas, wenn du dich nur an eine klammerst. Überlege es dir. Man weiß nie, ob sie nicht auch in fremden Teichen fischt.“
Die lässt mich aufatmen. Marcel hat sie abgeblockt. Aber dennoch scheint das Mädel nicht locker lassen zu wollen und arbeitet sogar mit unlauteren Mitteln. Sie deutet an, dass ich untreu sein könnte. Allerhand!
Ich öffne die dritte.
„Das hört sich schon besser an. Ich melde mich noch. Warte darauf.“
Mir stockt erneut der Atem. Verdammt!
Ich gehe in die Gesendeten und lese Marcels letzte SMS.
„Vielleicht hast du recht. Das Leben ist zu kurz und undurchsichtig. Schickst du mir ein Bild von dir? Ich möchte gerne wissen, mit wem ich es zu tun habe.“
Ich starre auf die SMS von Marcel. Er lässt sich tatsächlich ein Bild zuschicken? Was soll das werden? Und dann ist er auch noch so blöd und löscht das Zeug nicht.
Tief durchatmend verlasse ich das Badezimmer und lege das Handy mit der Fernsehzeitung zusammen unauffällig auf meinen Schreibtisch, während die Männer völlig resigniert auf ihren Sitzen herumrutschen und den Blick nicht von dem Spiel wenden können.
Ich sehe Marcel an und kann es nicht fassen.
Sein Blick begegnet plötzlich meinem und er fragt erneut: „Kommst du jetzt? Die spielen ganz schlecht. Vielleicht hilft es, wenn du mitguckst?“
Die anderen lachen und ich gehe zwischen ihren langen Beinen hindurch und quetsche mich zwischen Marcel und Mike aufs Sofa. Marcel legt sofort den Arm um mich und zieht mich zu sich heran.
Tatsächlich hilft da nichts. Es bleibt null zu null. Marcel ist schrecklich enttäuscht. Da half auch nicht das Bier, das ich für alle holte und auch nicht das Popcorn, das ich in der Mikrowelle machte. Für Marcel ist das eine Katastrophe und ich weiß, ich muss ihn trösten und bin doch wie befangen. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass er so leidet, weil sein Verein kein Tor geschossen hat. Diese Sabrina hat da bestimmt mehr Verständnis und der Gedanke macht mir Angst.
Ich schaffe es, noch am gleichen Abend erneut in sein Handy zu schauen. Aber es ist noch keine weitere SMS von diesem Mädchen eingegangen. Vielleicht ist sie zu hässlich, um ihm wirklich ein Bild von sich zu schicken.
Am Montagmorgen stehe ich wieder allein auf. Marcel lasse ich weiterschlafen, weil er erst mittags zur Arbeit muss.
Im Bus ruft mich Tim an und ist so unglaublich glücklich, dass wir uns noch diese Woche sehen werden, dass ich mich schon wieder überfordert fühle. Seine ganze Hoffnung ist in seiner Stimme zu hören, die er in diese kurze Zeit unseres Wiedersehens setzt.
Ich weiß nicht, wie ich diese Hoffnung dämpfen soll, ohne ihm wehzutun und ich weiß auch gar nicht, wie ich wirklich reagieren werde, wenn er vor mir steht. Ich kann mich nicht mehr einschätzen. Meine Gefühlswelt ist völlig auf den Kopf gestellt. Wer weiß da schon, wie ich bei Tim ticken werde?
Als ich aus dem Bus steige, immer noch das Handy an meinem Ohr und in Ellens Gesicht sehe, geht es mir besser. Sie grinst mich an und ich grinse zurück. „Okay Tim, ich muss jetzt Schluss machen und wünsche dir noch einen schönen Tag. Bis morgen!“
Ich beiße mir auf die Lippe. Der letzte Satz war mir so rausgerutscht.
Tim haucht noch einen Luftkuss ins Telefon und wir legen auf.
„Wie bis morgen? Weißt du schon, dass er morgen wieder anruft?“, brummt Ellen, ohne mir einen Guten Morgen zu wünschen.