Kitabı oku: «Handeln mit Dichtung», sayfa 2
1.2.2 Neuer Zugang
Diese Arbeit versucht, die P-E unter einer Perspektive zu lesen, welche die oben beschriebenen getrennten Forschungsbereiche verbindet. Das Ziel ist eine ganzheitliche Lektüre, die beide Bereiche der P-E – den thematischen und den sprachtheoretisch interessierten – verknüpft. Die gelehrte sprachtheoretische Ebene soll in den Zusammenhang mit einer literaturwissenschaftlichen (narratologischen) Perspektive gebracht werden. Dieser Ansatz soll nicht nur poetologische Verfahren offenlegen und das avancierte Medienwissen der Prosa-Edda sichtbar machen: Er schliesst auch die Frage nach der Überlieferung und Kompilation der Texte mit ein und öffnet so den Blick auf die mediale Dynamik in der isländischen Literatur des 13. Jahrhunderts.
Die Grundlage der Arbeit bildet die Beobachtung, dass in der P-E auf vielfältige Weise über Sprache, Dichtung und Erzählen als je spezifische Arten von Kommunikation nachgedacht wird. Das geschieht, indem mit traditionellen Erzählformen (eddischen Liedern, genealogischen Narrativen etc.) gespielt und dabei die Grenzen und Möglichkeiten eines neuen Erzählens ausgelotet werden. Die verschiedenen Texte machen Gebrauch von der Möglichkeit, durch Sprache und Erzählen die Welt zu vermitteln und zu ordnen sowie die eigene Vermittlung zu hinterfragen. Die P-E ist sich ihrer literarischen Konstruiertheit also sehr bewusst und thematisiert sie auf vielen Ebenen. So drehen sich nicht nur die als „pragmatisch“ bezeichneten Textteile (wie z.b. die Versmasslehre Háttatal und Teile der Dichtungslehre Skáldskaparmál) um Dichtung, indem sie deren Funktionsweisen erklären. Die dichtungstheoretischen Teile stehen auch in einer engen Beziehung zu denjenigen Textteilen, die auf den ersten Blick wenig mit einer Dichtungslehre verbindet. Tatsächlich zeigen aber auch diese Texte grosses Interesse an sprachtheoretischen Fragestellungen: Sowohl im Prolog als auch in Gylfaginning und Skáldskaparmál geht es um Dichtung, Erzählen und deren Potenzial zur Sinnstiftung in der Welt. Deshalb gehören auch sie in eine an sprachtheoretischen Fragen orientierten Lektüre miteinbezogen.
In eine solche Lektüre gehören zudem auch Texte, die bis anhin nicht unter dem „Titel“ Prosa-Edda verstanden werden: Je nach überlieferter Handschrift sind es unterschiedliche Texte, die sich an den kanonischen Edda-Text angliedern.1 Für diese Arbeit sollen alle Texte des Codex Upsaliensis miteinbezogen werden. So gehören zur P-E plötzlich auch ein grammatischer Traktat oder verschiedene genealogische Listen. Ebenso müssen die verschiedenen medialen Phänomene integriert werden: Neben dem Text kommen in Codex Upsaliensis Illustrationen und diagrammatische Formen hinzu, zusätzlich sind die Eigenheiten des Layouts zu beachten. Liest man die Inhalte, Formen und Besonderheiten einer Handschrift im Kontext, erlaubt das neue Einsichten sowohl für die jeweiligen Einzeltexte wie auch für das Gesamtwerk.
Der Fokus der folgenden Lektüre liegt deshalb auf den Stellen, die sichtbar machen, was für ein Bild von Sprache, Literatur und deren Bedingungen und Möglichkeiten die Prosa-Edda in U vertritt bzw. entwirft. Interessant dafür sind auffällige Bruchstellen oder Momente der Grenzüberschreitung zwischen verschiedenen, d.h. alten und neuen Modellen des Erzählens.2 Von Interesse sind solche Stellen gerade deshalb, weil sie der Diskussion um das Potenzial von Sprache eine weitere Dimension hinzufügen. Nicht immer ist nämlich klar, ob es sich um provozierte Brüche und Grenzüberschreitungen handelt oder ob es unbewusst entstandene Uneindeutigkeiten sind.
An den mythographischen Textteilen der P-E lässt sich die Absage an mythologische Konzepte mitverfolgen, die aber gleichzeitig als Grundlage der traditionellen skaldischen Dichtung präsentiert werden. Sowohl die heidnische Mythologie als auch (damit untrennbar verbunden) die skaldische Dichtung werden von einem Bestreben zur Erneuerung und Aktualisierung erfasst: Die P-E sucht nach einer Möglichkeit, die einheimische kulturelle Praxis auch für die Gegenwart relevant zu erhalten.
Das Werk stellt die Frage nach der Vermittelbarkeit der mündlichen einheimischen Dichtung im Kontext der lateinischen Buchkultur: Wie erklärt man eine Dichtung, die von der Uneindeutigkeit lebt und sich selbst als „verhüllt“ bezeichnet, wenn das höchste Ziel der lateinischen Gelehrsamkeit die eindeutige Beschreibung und Erfassung der Welt ist?
Die gleichzeitige Orientierung an den skaldischen Vorbildern der Vergangenheit und die lustvolle Annahme der neuen sprachlichen Möglichkeiten der Buchkultur gehören zu den interessantesten Strategien textueller Selbstbehauptung in der Prosa-Edda. Die selbstreflexive Art und Weise mit einer solchen medialen Dynamik umzugehen, ist einzigartig in der volkssprachlichen Literatur des skandinavischen Mittelalters.
Die textuellen und materiell-medialen Strategien, die für eine Überwindung der Geltungskrise der alten sprachlichen Modelle (und damit für das durch die Dichtung vermittelte, eigene kulturelle Gedächtnis) erprobt werden, sollen systematisch beschrieben werden. Damit kann ein möglichst breiter Überblick über in der P-E entworfenen Modelle von Erzählen und dem Verständnis von Sprache gewonnen werden. Für den Überblick werden ausgewählte Stellen verschiedener Werkteile einer Lektüre unterzogen. Die Auswahl ist keinesfalls erschöpfend, sie repräsentiert aber wichtige Momente in der mittelalterlichen isländischen Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen von Sprache. Im Kern geht es dabei immer um die Frage, wie sich in einem Text und durch einen Text Sinn und Bedeutung generieren lassen.
Um die Lektüre zu systematisieren wird ein Theorieansatz an die P-E herangetragen, der in den letzten Jahren in den verschiedensten Disziplinen vielfältig erprobt und diskutiert worden ist. Es handelt sich dabei um den Diskurs des Performativen oder der Performativität, der in der skandinavistischen Mediävistik bislang noch nicht sehr bekannt ist. In je unterschiedlicher Weise geht es in diesem Diskurs um das Potenzial von Sprache und sprachlichen Handlungen, Einfluss auf die Wirklichkeit nehmen zu können. Das ist der Schnittpunkt mit der P-E, der eine Lektüre des mittelalterlichen Werks entlang bestimmter Prämissen des aktuellen Diskurses lohnend machen kann.
1.3 Korpus: Was ist die Prosa-Edda?
Die Prosa-Edda ist eine moderne Erfindung: Es gibt kein einzelnes Werk, das diesen Namen trägt, sondern verschiedene Versionen in unterschiedlicher Gestalt, an und mit denen über viele Jahrzehnte gearbeitet worden ist. In einem ersten Schritt gilt es folglich zu klären, was es eigentlich ist, was wir Prosa-Edda nennen: Von den mittelalterlichen Texten selbst spricht bloss eine Version von der Edda. Die Bezeichnung findet sich in einer Rubrik im Codex Upsaliensis. Das, was in Editionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und häufig auch in aktuellen Übersetzungen als Prosa-Edda präsentiert wird, entspricht nicht dem, was uns in der titelgebenden Version von Codex Upsaliensis überliefert ist. Möchte man sich mit der Prosa-Edda in der Form, wie sie uns in den mittelalterlichen Handschriften entgegentritt beschäftigen, so stellt sich zusätzlich die Frage, welches die beste Version ist. Die älteste oder die vollständigste Version? Diese Schwierigkeiten stemmatologischer Forschung betreffen diese Arbeit nicht, denn gemäss den Überlegungen der new philology hat jede mittelalterliche Handschrift ihren eigenen Wert und ist ein eigenständiges Werk, das eine Lektüre lohnt.1 Es ist deshalb wichtig, sich immer im Klaren zu sein, was man genau meint, wenn man von der Prosa-Edda spricht.
Wie erwähnt, betitelt eine Rubrik am Anfang von Codex Upsaliensis bestimmte Textteile als Edda und führt weiter aus, dass sie von Snorri Sturluson zusammengesetzt resp. gedichtet seien.2 Allerdings entsprechen die in der Rubrik genannten Texte nicht den Bestandteilen, die tatsächlich im Codex Upsaliensis zu finden sind. Definiert man das Werk rein textimmanent und hält sich an die angegebenen Teile, so beschränkt sich die Prosa-Edda auf einen Prolog, Gylfaginning, Skáldskaparmál sowie Háttatal.3 Ausschliesslich diese Teile schreibt die Rubrik in U dem Kompilator Snorri Sturluson zu und nennt sie Edda. Die folgenden Lektüren zeigen, dass zu den genannten Teilen noch weitere Inhalte dazutreten. Die materielle Einheit des Textes entspricht folglich nicht der textuellen Einheit.
Die Überlieferung der P-E in spätmittelalterlicher bis in frühneuzeitlicher Zeit zeigt aber auch, dass das Werk je nach Kopieranlass unterschiedlich aufgefasst worden ist. Zur Vereinheitlichung und Kanonisierung auf vier Texte ist es erst während der neuzeitlichen Beschäftigung mit der P-E gekommen. Die folgenden Lektüren sollen auch die zusätzlichen Bestandteile der Handschriften in den Blick nehmen und so ein flexibleres und offeneres Verständnis der P-E schaffen.
1.3.1 Lektüreschwerpunkt Codex Upsaliensis
In letzter Zeit sind neue Editionen der einzelnen Edda-Handschriften erschienen und auch verschiedene Arten von Digitalisaten machen die Arbeit nahe an den Handschriften einfacher.1 Codex Upsaliensis DG 11 4to (von nun an U genannt) steht im Zentrum dieser Arbeit. Die Wahl fällt nicht auf diese Edda-Version, weil U die älteste erhaltene Edda-Handschrift ist, sondern aufgrund der zahlreich enthaltenen verschiedenen medialen Phänomenen, die diese Handschrift so einzigartig machen. Als Kompilation konzipiert, bilden die unterschiedlichen Teile zusammen den Codex Upsaliensis.2
Die Handschrift wird auf ca. 1300 datiert und enthält mehrere Teile, die nicht dem kanonischen Bild der P-E entsprechen, das durch die modernen Editionen und Übersetzungen vermittelt wird.3 Mit dem kanonischen Text werden auch genealogische Listen, grammatische Diagramme und Bilder zusammengestellt. Diese Bestandteile sind alles Organisationsformen von Wissen, die bisher noch ungenügend in eine Lektüre der Prosa-Edda eingeflossen sind. Im Vergleich zu den komplexen medialen Phänomenen in U sind in Codex Wormianus (W) und Codex Regius (R) keine derart unterschiedlichen Ausprägungen der Buchkultur zu finden. Zwar überliefert W die vier Grammatischen Traktate zusammen, was für eine sprachzentrierte Lektüre der Edda interessant erscheint. Allerdings fehlen in W die Diagramme des Zweiten Grammatischen Traktats und damit die spezifische mediale Ausgestaltung des Textes. Es ist wichtig, solche Eigenheiten in eine rein textbasierte Lektüre einzubeziehen, vor allem, wenn dahinter so klare planerische Absichten wie in U erkennbar sind. Diese planerischen Absichten werden in der Forschung nicht immer gesehen: Mehrfach wird der Version der P-E, wie sie uns im Codex Upsaliensis vorliegt, ein unzusammenhängender Kompilationscharakter zugeschrieben. So meint z.B. Heinrich Beck:
Der Schluss liegt nahe: Der Codex Upsaliensis ist keine Komposition, in der die Teile einem Gesamtplan folgen. Es ist eher der Gedanke einer Kompilation zu erwägen, d.h. einer Sammlung von Materialien, die ungleichen Alters oder abweichender Konzeption sein konnten. Auch der Einschub des Skáldatal mitsamt den Sturlungen-Materialien und die Einbeziehung des sog. 2. Grammatischen Traktates sprechen für den Kompilationsgesichtspunkt.4
Dass eine Kompilation nicht per se aus unzusammenhängenden Texten besteht, wird im Codex Upsaliensis allerdings sehr deutlich. Gerade die Einfügung der von Beck genannten Listen (Skáldatal etc.) stellt einen klaren Rahmen für die Lektüre der Kompilation dar. Wie zu zeigen sein wird, wirken die verschiedenen Texte aufeinander ein und sollten deshalb unter einer gemeinsamen Perspektive gelesen werden. Auch die mise en page und die gesamte Handschriftenkomposition stützen den Befund, dass Codex Upsaliensis unter einer gesamtheitlichen Perspektive betrachtet werden sollte. Darauf deuten sowohl die Lagenbindung als auch die einzige vorkommende Hand hin. Die verschiedenen Bestandteile, die uns heute noch vorliegen, sind absichtlich zusammengestellt worden. Aufgrund der Überlieferungsgeschichte fehlen einzelne Seiten oder Teile sind nicht mehr lesbar, zusätzlich wurden auch spätere Papierseiten eingefügt. Dennoch scheint die Handschrift als solche als Gesamtheit verstanden werden zu wollen.5
Aber auch über die Inhalte lässt sich die planerische Zusammengehörigkeit fassen. Jürg Glauser sieht diese in U durchaus gegeben:
Der Codex Upsaliensis enthält somit in seiner Gesamtheit als Anthologie Aussagen zu den zentralen Aspekten der altnordischen Dichtung. Über Themen und Stoffe wird in den theologischen und mythographischen Abschnitten des Prologs und in Gylfaginning gehandelt, formale Phänomene wie Metrik, Rhetorik, Poetik sind ausführlich in den Skáldskaparmál theorisiert und im Widmungsgedicht Háttatal exemplifiziert, pragmatische Seiten der Sprache finden ihre Erörterung in der Phonologie des Zweiten Grammatischen Traktates und Literaturgeschichte wird in den Dichterlisten des Skaldatal skizziert. Das Ganze wird in den beiden kurzen Abschnitten Ættertala Sturlunga und Lögsögumannatal schliesslich in einen konkreten isländischen soziokulturellen Kontext gestellt.6
Als Ausgangspunkt der Lektüren dient in dieser Arbeit die Edition von Codex Upsaliensis von Heimir Pálsson aus dem Jahr 2012, die einen wichtigen Beitrag für die neuere Edda-Forschung darstellt. Pálsson bleibt so nahe wie möglich am Text von U und interpoliert nur in den Fussnoten.7 Pálsson begründet seine Edition auf der Faksimile-Ausgabe von Anders Grape. Das zweibändige Werk mit Transkription, paläographischem Kommentar und einer ausführlichen Einleitung ist – gemeinsam mit der digitalen Web-Version der Bibliothek von Uppsala – auch für diese Arbeit von grossem Wert.8 Für den Vergleich der verschiedenen Handschriftentexte von RTW bleiben die drei Bände der Edda Snorra Sturlusonar aus dem 19. Jahrhundertweiterhin sehr hilfreich.9 Vertiefende Einblicke in die Gestaltung von U bieten die jeweiligen Lektürekapitel.
1.3.2 Weitere handschriftliche Überlieferung
Die Prosa-Edda ist in zwei weiteren mittelalterlichen Handschriften überliefert: Codex Regius (GKS 2367 4to, von nun an R) wird auf ca. 1300–25 datiert und auf Grund des gut erhaltenen Zustands häufig als Grundlage für Editionen oder Übersetzungen genommen.1 Zusätzlich zu den kanonischen Texten sind in R eine Liste mit sog. Þulur sowie zwei skaldische Gedichte (Jómsvíkingadrápa und Málsháttakvæði) überliefert.2
Codex Wormianus (AM 242 fol., von nun an W) ist in Bezug auf die Handschriftengrösse und den Inhalt die grösste Version der Prosa-Edda. W stammt ca. von 1350 und umfasst neben den kanonischen Texten der Edda vier grammatische Traktate. Der sog. 2. Grammatische Traktat ist auch in U zu finden, die Versionen unterscheiden sich allerdings im Text und nur in U sind zwei Diagramme, die den Text zu erklären helfen, eingefügt.3 W enthält zudem das eddische Gedicht Rígsþula sowie eine fragmentarische Liste von ókent heiti.4 Zusätzlich sind mehrere Fragmente von Skáldskaparmál überliefert, die je nach Version einmal eher mit R oder dann mit W verbunden gedacht werden.5
1.4 Aufbau der Arbeit
Dieser Einleitung folgt eine Hinführung auf die theoretische Perspektive, unter der die Lektüren der Prosa-Edda vorgenommen werden (2. Kapitel). Der dafür zentrale Begriff der literarischen Performativität wird mithilfe eines Überblicks über das Performative und seine rhizomatischen Ausformungen in verschiedensten Disziplinen erarbeitet. Darauf folgen zwei Hauptkapitel, in denen ausgewählte Stellen der Prosa-Edda vertieft beleuchtet werden. Das erste der beiden Lektürekapitel widmet sich den erzählenden Teilen des Werks, die sich mit der Frage nach dem Sinnstiftungspotenzial von verschiedenen Narrativen beschäftigen (3. Kapitel). Die Reflexion der eigenen Arbeit am Mythos wird in diesen Teilen ebenso thematisiert wie die adäquate mediale Vermittlung von genealogischen Wissensbeständen. Das nächste Lektürekapitel beschäftigt sich mit den verschiedensten sprachtheoretischen Aspekten innerhalb der sprachgelehrten Teile der P-E (4. Kapitel). Anders als den erzählenden Teilen geht es diesen Texten nicht darum, die „Welt“ sprachlich zu fassen, sondern darum, die Sprache als Grundlage einer jeden sprachlichen Gestaltung der Welt in all ihren Facetten zu begreifen.
Die Kapitel enden jeweils mit einer kurzen Zusammenfassung. Zum Schluss werden die gesamten Beobachtungen zusammengefasst und ein Fazit gezogen (5. Kapitel). Dabei werden auch die während der Arbeit aufgetretenen Schwierigkeiten thematisiert sowie in einem Ausblick auf mögliche weiterführende Fragen verwiesen.
2 Literarische Performativität
2.1 „Performative – an ugly word“
Dieses Kapitel bildet die theoretische Grundlage für die vorliegende Arbeit. Dabei steht der Diskurs des Performativen resp. der Performativität im Fokus. Mit einem solchen Fokus wird eine Lektüre der Prosa-Edda vorgeschlagen, die ein neues Licht auf dieses so bekannte Werk des nordischen Mittelalters werfen soll. Für ein Werk, das sich auf so komplexe Weise mit den Möglichkeiten und Grenzen von Sprache und Literatur befasst, kann ein theoretischer Zugang, der sich mit der Macht von Sprache beschäftigt, neue Einsichten ermöglichen. Inwiefern der Performativitätsdiskurs einer erneuten Lektüre der P-E dienen kann, wird im Folgenden beleuchtet.
Bereits lange vor dem in den 1990er Jahren propagierten performative turn ist der Begriff der Performativität in vielen verschiedenen Disziplinen zu finden. Schon seit ca. 1950 wird über Performanz, das Performative oder eben die Performativität diskutiert. Dementsprechend vielfältig sind die Definitionen und Gebrauchsfelder der Begriffe. Als erste Annäherung soll an dieser Stelle die Definition von Jillian Cavanaugh dienen: „Performativity is the power of language to effect change in the world: language does not simply describe the world but may instead (or also) function as a form of social action.“1 Sprache wird hier die Fähigkeit zugeschrieben, die Wirklichkeit zu verändern und nicht nur der reinen Beschreibung der Welt zu dienen.
Der Ausgangspunkt des Performativitätsdiskurses liegt in der Sprachphilosophie. John L. Austin versucht Mitte des 20. Jahrhunderts, eine spezifische Kategorie sprachlicher Äusserungen zu fassen und benennt sie mit dem, wie er sagt, hässlichen Wort performative.2 Der substantivierte Begriff der Performativität kommt erst später in Gebrauch: Ebenfalls in der Sprachphilosophie, allerdings auch in der Linguistik sowie in kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. In den beiden letzteren bezeichnet er den Vollzugscharakter kommunikativer Handlungen und den Inszenierungscharakter sozialer Praktiken.3 Die Begriffe des Performativen und der Performativität unterscheiden sich weiter vom Begriff der Performanz. Es sind z.B. die Theaterwissenschaften, die stärker auf den Begriff Performanz fokussieren, indem sie damit den Aufführungscharakter von Handlungen bezeichnen.
Die weitläufigen Entwicklungen der verschiedenen Begriffe und Anwendungen werden von mehreren Seiten immer wieder kritisiert: Performativität sei ein modischer umbrella term geworden und trage zu wenig analytische Kraft in sich, heisst es in vielen Einführungen zum Thema. Stellvertretend für derartige Bedenken stehen Joachim Grage und Stephan Michael Schröder:
Mit den Begriffen Performativität, Performanz, performance hat sich ein inter- bzw. transdisziplinäres Cluster von Begrifflichkeiten entwickelt, deren enge etymologische Verwandtschaft leicht darüber hinwegtäuscht, dass diese Termini in den einzelnen Disziplinen bzw. Problemfeldern durchaus Heterogenes bezeichnen und den inter- bzw. transdisziplinären Dialog zugleich ermöglichen und erschweren.4
Ähnlich formuliert es Eckhard Schumacher, er weist aber (wie auch Grage/Schröder) darauf hin, dass gerade die Uneindeutigkeiten, die durch die verschiedenen Konzeptverwendungen zustande kommen, häufig als produktiv verstanden werden:
Einleitungen zu Texten, die sich mit Konzeptionen von Performance oder Performativität auseinandersetzen, sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass sie zunächst die verschiedenen, durchaus gegenläufigen Lesarten der Begriffe in Anthropologie, Theaterwissenschaften, Sprachphilosophie, Texttheorien oder Cultural Studies betonten, um diese Gemengelage in weiteren Schritten dann als tendenziell produktive Ausgangsbasis für die jeweils anvisierte spezifische Konzeptualisierung zu bestimmen.5
Auch in dieser Arbeit kommt der Diskurs des Performativen zum Einsatz, weil seine breiten Anwendungsfelder produktiv scheinen für eine Lektüre altnordischer Literatur. Ein gewisses Unbehagen bleibt, ausgelöst durch eine zu wenig präzise Bestimmung der Begrifflichkeiten und ihre Anwendung in den verschiedensten Feldern. Daher ist es sinnvoll, einen Überblick über die Forschungsgeschichte des Performativen zu geben, um die produktiven Aspekte des Diskurses zu sichten. Dies soll hier allerdings eher als Abgrenzung und Herleitung der in dieser Arbeit benötigten Konzepte geschehen, als in einem umfassenden Überblick.6 Zuerst werden die forschungsgeschichtlichen Verzweigungen im chronologischen Verlauf und in den verschiedenen Disziplinen betrachtet und versucht, wichtige Aspekte herauszukristallisieren. Zentral für diese Arbeit ist ein spezifisches Verständnis von Performativität: die literarische Performativität mit einer mediävistischen Perspektive. Ihr wird deshalb ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Im Hauptteil der Arbeit – den Lektüren – wird sie vertieft behandelt und auf ihre Nützlichkeit für die Arbeit mit den Texten geprüft.