Kitabı oku: «Kein Sommernachtstraum», sayfa 4
MORGEN
Ezra war ganz früh beim Aufwachen eingefallen, dass er vergessen hatte, das Haus mit dem Baum zuzusperren. Er hatte aber keine Lust, im ersten Morgengrauen loszugehen, um das zu erledigen.
Er tapste vorsichtig und noch wenig kompetent zum Wasserhahn. Seinen Schlafplatz hatte er in dem klein-winzigen Raum neben dem Empfang eingerichtet. Ein dunkles Gefühl von ständiger Bereitschaft trieb ihn dazu, sich nicht allzu weit von seiner Kontrollstation zu entfernen.
Über dem Mini-Waschtisch hing ein verwitterter Spiegel. Aus dem blickte ihm ein blasses Gesicht mit schwarzen Punkten entgegen. Er wischte über die glänzende Fläche, aber die schwarzen Punkte blieben hinter dem Glas. Der Hahn hustete und würgte Wasser heraus. – Der Installateur musste heute sowieso nochmals kommen, - hatte er auch versprochen. Ezra besah sich, was da aus dem Hahn kam, und hatte den Eindruck, dass es nicht sauber war. Er zog sich daher Hose und Hemd an und ging in den Küchengang, um Mineralwasser zu holen.
Alles war still und leer. Ein Totenhotel hatte seine Zombies noch nicht freigegeben… Oder kicherte da jemand?
Er ging in die noch unbewohnte Küche und schaute vorsichtig aus dem Fenster. Eine graublaue Dämmerung wurde vor den Scheiben langsam heller. Nein, keine seltsamen Flugobjekte – doch nicht in der Früh. Aber vier Jugendliche versuchten gerade, vom Hof ins Haus zu kommen. Die Türen waren noch abgesperrt. Seine hilfreichen Geister kamen erst um halb 7 aus ihren Wohnstätten im Ort und hatten einen Schlüssel.
Die Jugendlichen ließen es bei einem Versuch bewenden und verschwanden kichernd ums Eck. Nein, beschloss Ezra, er würde sie nicht hereinlassen. Die sollten schauen, wie sie`s schafften – tat ihnen gut, wenn nicht alles für sie funktionierte. Er nahm die Mineralwasserflasche mit und ging noch einmal schlafen – das hatte er nötig.
Aus der Ferne hörte er Kichern von der Treppe im Haus. Irgendwie hatten sie es geschafft, ins Haus zu kommen…
Eine Stunde später wachte er wieder auf. Es war gut, dass er angezogen war. Denn nun würde das „Hotel“ bald leben. Er glättete seine Haare und zog den Kragen gerade. Kein Geräusch. Da nahm er den Schlüssel, um zu dem anderen Gebäude zu gehen - absperren. Eine absolut notwendige Maßnahme, damit sich keiner in die dunklen Löcher verirrte. Vielleicht war auch noch der eine oder andere Sessel unter dem Haufen, den er liegen gesehen hatte…
Als er die Türe aufmachte, lag dort etwas, was er am Vortag nicht gesehen hatte. Es war ziemlich groß – er hätte es sehen müssen, sogar beim Licht vom Handy.
Es war ein Mensch.
Da lag ein Mensch und aus seinem Rücken ragte eine dünne Stange – ein Pfeil. Er berührte ihn vorsichtig – fühlte sich an wie Metall. Das Gesicht konnte er nicht sehen. Aber es war ein Mann.
Ihm war heiß und kalt gleichzeitig. Es war nicht die erste Leiche, die er in seinem Leben fand. - Seine seltsamen Jobs brachten immer wieder Probleme mit sich. Aber es stellte sich auch immer wieder in solchen Situationen die gleiche Frage: Wie sieht man, ob man die Rettung rufen muss oder ob das nicht mehr notwendig ist und man nur die Polizei verständigt? In Büchern fanden die immer ganz leicht heraus, ob da noch ein Pulsschlag war oder nicht. Er war nie sicher.
Er versuchte, einen Puls zu fühlen. Die Hand fühlte sich kalt und teigig an. Der Hals auch. Vielleicht war der aber nur unterkühlt? Die Rettung konnte da nichts mehr ausrichten, oder doch?
Er sperrte die Türe sorgfältig zu, lief ein Stück in den Wald und rief Wolfgang an.
„Sei doch nicht so ungeduldig“, sagte die tiefe Stimme. „Ich bin schon auf der Strecke.“
„Ich habe hier einen Toten, ermordet mit einem Pfeil.“ Ezra sparte sich die Einleitungen – man kannte sich seit über 25 Jahren. „Gehört das zum Programm?“
Am anderen Ende war es still.
„Ich muss zumindest die Rettung rufen. Vielleicht ist noch Leben in ihm.“
„Ja, musst du, anders geht es nicht. Ich bin in ein wenig mehr als einer Stunde bei dir.“ Wolfgang sagte das ganz ruhig, - kalt und ruhig.
VORMITTAG
Red Warhol war nicht mehr. Er hatte aufgehört, große Veranstaltungen zu steuern, ob politisch oder nicht politisch. Da musste es jemanden geben, dem es wichtig war, dass Red Warhol nicht mehr am Steuer saß. Warum? Wer? Und dann noch mit einem Pfeil. Das war so falsch…
Ezra versuchte, sich zur Ordnung zu rufen: Er musste bei jedem seiner Gäste einzeln vorsprechen wegen des Todesfalles. Er fühlte sich fiebrig, unruhig und natürlich überfordert. Er wartete.
Nach einiger Zeit kam die Rettung. Es war schließlich eine einsame Gegend.
Dann kam die Polizei.
Dann kam Wolfgang.
Die Polizei hatte den Schlüssel übernommen. Wolfgang musste ein Gespräch führen, dann hatte er den Schlüssel. Ezra ging mit ihm.
Wolfgang beugte sich über den Toten und betrachtete den Pfeil genau. „Du hast recht - ist Metall, eine ungewöhnlichen Legierung - besondere Anfertigung, sehr leicht – und sehr teuer. Nein, das war kein Spiel, das war absolut ernst.“
Ezra war verwirrt: „Bitte wer würde einen Pfeil verwenden, außer dem grünen Bogenschützen?“
„Einfach jemand, der keinen Lärm machen wollte und gut damit umgehen kann. Das gehört nicht ins Reich der Fantasie, da ist Planung am Werk.
Überleg einmal, wenn du jemanden an einem belebten Ort aus dieser Welt entfernen möchtest. Wie würdest du das machen? Mitten unter Menschen erstechen? Natürlich gibt es extrem feine Klingen, die gehen in den Körper rein wie in Butter, aber trotzdem musst du Kraft aufwenden, du musst eine wuchtige Handbewegung machen. Die ist zu sehen. Manchmal geht der mit der Klinge im Körper dann noch eine Strecke, aber verlassen kannst du dich nicht darauf. Er kann dir auch gleich vor die Füße kippen. Und was sagst du dann? Habe mich nur gekratzt?
Ein Präzessionsgewehr ist eine gute Sache. Da bist du so weit weg, dass du nach dem Schuss in Ruhe einpacken kannst und gehen, während alle zusammenlaufen, weil es gekracht hat. Bis die dich gefunden haben, bist du über alle Berge. Ist aber hier unmöglich. Wo sollte ein Scharfschütze Aufstellung nehmen? Wie sollte er jemanden bestimmten treffen mitten im Wald – ich sehe keinen Jagdstand und keine Möglichkeit. Bleibt vergiften – ist auch nicht so einfach…“
Ezra sah seinen Freund unsicher an. Der Arbeitsplatz hatte ihn verdorben – der war mit organisiertem Mord inzwischen auf Du und Du.
Da setzte Wolfgang seine Überlegungen fort: „Und jetzt denke einmal, die Person hat einen kleinen Spezialbogen – die brauchen zwar viel Kraft, sind aber nur 70 cm lang, und diese besonderen Pfeile – extrem dünn, extrem scharf. Der kann gut damit umgehen, weiß genau, was zu tun ist... Aus einer Deckung heraus auf einige Meter in den Rücken – kein Laut. Das Opfer erkennt den Mörder nicht einmal, wenn es überlebt.
Kommt jemand zufällig ums Eck, womit man an einem belebten Ort ja rechnen muss, so ist das kein Malheur. Der oder die sieht den Mann zusammenbrechen - allein. Niemand in der Nähe. Bis er oder sie erkennt, was da abgegangen ist, ist der Schütze im Gebüsch leise verschwunden, - wahrscheinlich ins Haus und bestellt unschuldig sein Bier. Er spannt den Bogen ab. Das Gerät ist so dünn und leicht, dass du es überall völlig unsichtbar im Gewand tragen kannst und unschuldig unter Menschen gehen, im Sommergewand, Minuten nach dem Mord. Es macht keinen Lärm, es schwirrt nur, kein Mensch nimmt im Haus solch ein Geräusch wahr – das hört nur vielleicht das Opfer.“
Wolfgang kniete sich hin und hob den Toten ein wenig an. Der schien inzwischen ziemlich steif. Er schaute unter den Körper. „Ja, habe ich mir gedacht. Wurde bald nach der Tat hier abgelegt. Erschossen dürfte er im Hof worden sein. Ich hatte schon das Gefühl, dass hier Schleifspuren sind, und das Blut ist verwischt. – Und das versteh ich nun überhaupt nicht.“ Wolfgang runzelte die Stirne und hockte neben dem Toten. „Warum das? Warum wurde er denn weggebracht? Das ist doch genau das Risiko, das vermieden werden sollte mit dem Pfeil. Zuerst wird alles genau geplant, sodass keine Nähe, keine Berührung mit dem Opfer stattfindet, alles auf Entfernung. Jemand will nicht in der Nähe des Opfers gesehen werden, was ja logisch ist. Und dann schleift er den Toten weg? Warum?“
VORMITTAG
Ezra überließ es Wolfgang, mit den Behörden umzugehen, und begab sich zum Zimmer von Frau Dr. Dilmon. Er klopfte, bekam keine Antwort, klopfte energischer. Er konnte ihr in dieser Situation nicht gestatten, sich zu verkriechen. Schließlich öffnete sie sehr abweisend.
Ezra fühlte sich zur Mitteilung verpflichtet, war aber auch neugierig auf ihre Reaktion. Wolfgang pflegte immer zu sagen: „Er ist neugierig wie ein Affe.“ „Ich muss Ihnen etwas Unangenehmes mitteilen: Red Warhol wurde heute Nacht ermordet“, stammelte er – es war doch nicht so leicht, solch extrem schwierige Dinge zu sagen - zu einer so unwilligen Person.
Hortense Dilmon stand ganz starr, zuckte mit keiner Wimper. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Ganz ruhig, eine Hand auf der Türschnalle, hörte sie die Nachricht. Schließlich, nach einer langen, stummen Zeit ging sie zur Seite und bedeutete ihm, einzutreten. Das Zimmer wirkte unbewohnt. Nichts zeigte einen Mieter, kein Kleidungsstück, keine Taschen, keine Gegenstände irgendwelcher Art. Das Bett gemacht, die Tagesdecke glatt. Sie zeigte auf einen Sessel. „Was ist passiert?“, fragte sie still.
„Er wurde erschossen, die Polizei ist im Haus. Die Rettung konnte nichts mehr ausrichten…“ Diese Mitteilung war sehr ungenau, oberflächlich, mit wenig Aussage. Das fand Ezra richtig. Er wusste aus anderen Erfahrungen, dass die Polizei Wert darauf legte, möglichst wenig Information nach draußen zu lassen. Wolfgangs „Firma“ hatte sicher die gleichen Regeln wie die Polizei. Ezra fühlte sich als Teil von Wolfgangs System. Es war schließlich sein Dienstgeber, somit seine Verpflichtung.
Er beobachtete Hortense Dilmon genau, konnte aber noch immer keine Regung in ihrem Gesicht sehen. Ihre großen Augen blickten ins Leere. Kein Zittern, kein Ansatz von Tränen… „Wie erschossen?“, fragte sie nur.
Jetzt musste er ein wenig Information ausgeben – das ging der Polizei sicher auch so, auch wenn sie nicht wollten: „Ein Pfeil. Muss ein Bogenschütze gewesen sein…“ Fast trotzig gab er das zu.
Es war wieder eine Weile ganz still. „Seit wann wissen Sie das?“, fragte sie.
„Ich habe ihn in der Früh gefunden, war nicht sicher, ob er tot ist, und habe die Rettung verständigt. Dann haben die Dinge ihren Lauf genommen…“
„Die Rettung konnte nichts mehr ausrichten“, stellte sie ruhig fest.
Eine Weile war es wieder still und Ezra wollte sich gerade erheben, als die Frau sich entschlossen aufrichtete. Als ob sie sich aus einer Erstarrung befreien wollte, sich losreißen und neu beginnen… Dr. Dilmon holte frische Luft und sagte mit gepresster Stimme: „Haben Sie auch das seltsame Flugobjekt gestern gesehen?“
Ezra war aus dem Gleichgewicht, mit der Frage hatte er nicht gerechnet. Was sollte er für Erklärungen dazu geben? Was konnte er sagen? War das seine Verantwortung? Andrerseits, lügen war auch sinnlos. Wenn sie das Flugobjekt gesehen hatte, konnte das auch besprochen werden. „Ja, machte ein seltsames Geräusch“, antwortete er. Nach einer Weile fiel ihm ein zu fragen: „Wieso haben Sie das UFO getroffen?“
„Ich war rauchen und habe es gesehen und habe auch Sie gesehen - im Hof.“ Noch immer zeigte sich ihr Gesicht glatt und leer. Ezra wusste nicht, ob das eine Anschuldigung war, ob sie ihn herausfordern wollte? Oder war es ein Ausweichen, um aus Gefühlen zu fliehen, die der Tod von Red Warhol bei ihr aufgerufen hatte … Weg aus dem Trümmerhaufen?
Er, Ezra - nachts im Hof mit Pfeil und Bogen? Was dachte die Frau von ihm? Was dachte sie überhaupt?
Er erhob sich langsam und ging vorsichtig.
VORMITTAG
Als seine nächste Pflicht betrachtete er George Köhler. Auch er musste es erfahren. Auch dort war die Frage: Wie würde er auf den Tod von Red Warhol reagieren?
Was hatte wohl in dem Brief gestanden, der Red Warhol so verärgert hatte? Der auf dem gelben, dicken Büttenpapier?
Köhler öffnete in einem goldenen Seiden-Hausanzug mit großen dunklen Blumen und einem Halstuch. Ezra war geschockt. Wer geht mit einem elegant geschlungenen Halstuch schlafen?
Köhler schaffte es dann wortlos, ihm eine Gnade zu erweisen, indem er die Türe freigab und ihn mit einer Handbewegung ins Zimmer einlud.
„Es gab ein Problem“, eröffnete Ezra tapfer.
Der Mann schenkte ihm einen kühlen, müden Blick.
„Wir hatten einen Todesfall hier in der Nacht.“ Ezra war keineswegs sicher, wie erfahrene Hoteldirektoren solche Mitteilungen verpackten. Aber vielleicht wollte er sie gar nicht allzu sorgfältig verpacken. Vielleicht war direkt, unkompliziert und hart das Richtige. Was für ein Gesicht würde er von Köhler zu sehen bekommen?
„Red Warhol ist erschossen worden“, sagte er daher, um die Reaktion zu sehen.
Zuerst zeigte sich nichts auf dem Gesicht – der Kopf ging ein kleines Stück zurück. Der Mann zog die Luft scharf durch die Zähne, dann plötzlich großes Erstaunen. „Wo denn?“, fragte der Mann in Gold mit künstlich aufgerissenen Augen.
Dass einer wissen wollte, wo, war erstaunlich, die meisten fragten eher, wie. Und was sollte Ezra antworten? Die Wahrheit war: wahrscheinlich im Hof und dann weggeräumt… Sollte er das sagen? War es richtig, so zu antworten?
Er dachte kurz und fasste das Problem dann fest am Schopf, und ließ es im Dunkel: „Die Polizei ist noch vor Ort und untersucht den Fall“, sagte er tonlos – neutral und verschlossen. Das war wohl am besten.
Der andere presste die Lippen zusammen, voll konzentriert – er hatte etwas zu klären. Ezra beobachtete nun ein hektisches Minenspiel. Schließlich stieß der Mann mit dem Halstuch Worte heraus: „Warhol und ich hatten früher unsere Probleme, aber bei diesem Projekt haben wir Frieden geschlossen, gemeinsam geht alles leichter“, tönte er.
Ezra war sehr daran interessiert, was das für Probleme waren. Auch hatte er nicht gewusst, dass das vor Ort ein gemeinsames „Projekt“ war… So konnte er aber nicht danach fragen. Nein, so plump waren keine Antworten zu bekommen…
Was für einen Kampf hatten die beiden wohl gefochten – sicher beruflich – zwei ganz verschiedene Männer waren aneinandergeraten. Worüber? Köhler war wohl auch Journalist? Denn Warhol hatte so gut wie nichts Anderes gemacht – Journalismus und große Aktionen, die oft weit in politische Systeme eingriffen. Eine Auseinandersetzung konnte wohl nur im Beruflichen abgegangen sein. Schauspieler und Journalist, war das möglich? Köhler sah mehr wie ein Schauspieler aus, aber Warhol hätte mit einem Schauspieler nur kurzfristig Berührung gehabt. Wenn die beiden mehr miteinander zu tun hatten, musste Köhler Journalist sein.
Ezra wählte seine Worte sorgfältig. „Aufdeckungsjournalismus hat seine Klippen…“, keine Frage, eine Feststellung – einfach – leicht, ein Lächeln, intensives Betrachten des Schlüsselbundes. Ezra schlüpfte so in die Rolle des devoten Butlers, eines gefälligen aber sehr gut informierten Hotelportiers, des Dieners, der alle Hintergründe kennt, verständnisvoll und wissend… Das hoffte er, auszustrahlen, um etwas Neues zu erfahren, knapp hinter der Türe in George Köhlers Zimmer.
Der gereizte Blick des goldenen Mannes traf ihn jetzt voll, gerade und hart. Der musste darauf eine Antwort geben, konnte diese Situation nicht ohne Erklärung auslaufen lassen. - Er stolperte ein wenig in den nächsten Satz hinein: „Es ist ja ganz normal, dass Journalisten sich gegenseitig genau beobachten. Einer muss wissen, wie der andere arbeitet. Man muss herausfinden, wo die Schweinereien versteckt sind. Anders gibt es keinen griffigen Journalismus.“ Es klang hektisch, laut und wie Rechtfertigung.
Ezra hatte nicht wirklich eine Erleuchtung, aber er schien richtig geraten zu haben. Herr Köhler hatte Herrn Warhol bei irgendetwas erwischt. Irgendeine „Schweinerei“ war aufgedeckt worden. Oder hatte er ihn nicht erwischt und die Schweinerei erfunden? Welche? Hatte das einen Bezug zur augenblicklichen Situation, war diese „Schweinerei“ einen Mord wert?
Herr Köhler machte nun die Türe auf – er wollte Ezra los sein. Und der ging.
Er begab sich zu Zimmer 3, um seine Mitteilung anzubringen. Es dauerte ziemlich lange, bis die Türe aufging. Die Frau hatte perfekt geordnete Haare und eine Sonnenbrille auf. Ezra sagte seinen Satz und wartete auf Reaktion. Aber da kam nichts. Schließlich fragte er noch, ob er helfen könnte…
„Nein“, sagte sie, und ihm blieb nichts übrig, als zu gehen.
Dann kam er zu Zimmer 8. Sie machte auf. Hut hatte sie noch keinen auf. „Ich muss Ihnen sagen, wir haben einen Toten hier im Hotel“, das ging inzwischen ziemlich flüssig.
„Oh“, sagte sie nach einer Weile nachdenklich, „das Ganze ist doch sehr ernst.“ Sie schaute versonnen auf den Stöckelschuh, den sie in der Hand hielt. Dann sagte sie über die Schulter: „Ich dachte nicht, dass es so ernst ist.“ Es klang wie ein kleiner Vorwurf. Dann sah sie Ezra mit ihren grünen Augen Hilfe suchend an: „Und was tun wir jetzt?“
„Die Polizei ist inzwischen im Haus und wird irgendwann bei Ihnen hier vorsprechen. Alles andere geht seinen gewohnten Gang. Soll ich Ihnen in diesem besonderen Fall etwas aufs Zimmer bringen?“ Das sei nicht notwendig, nein.
Wieso ernst? Was war unerwartet ernst? Ezra versuchte, ein Muster zu erkennen. Ein Mord? Aber ja, der ist ernst. Wer erwartet schon einen Mord? Und wer findet ihn dann heiter?
Er begab sich zu Zimmer 7 gegenüber. Der dunkle Mann öffnete nur ungern. Das war zu sehen. Seine Haltung drückte Widerwillen, Ablehnung aus. Sein schwarzes Buch hatte er in der Hand. Ob er es wohl beim Schlafen weglegte? Sicher nicht, der hatte das mit im Bett – wohl unter dem Kopfpolster.
„Ich muss Ihnen sagen, dass wir Polizei im Haus haben“, eröffnete Ezra.
Der Mann zog seine Brauen zynisch hoch: „Das kann doch wohl nicht sein.“ Er sagte das mit einem kleinen, überlegenen Lächeln.
Was heißt, das kann nicht sein? Natürlich war das so nach einem Mord. „Wir haben einen Toten. Deshalb ist das notwendig.“
„Einen Toten?“ Der Mann war deutlich erschüttert und schwer erschrocken. „Das kann nicht sein.“ Für ihn war das unglaubwürdig bis unmöglich. „So etwas gab es hier noch nie – die sind nicht so.“
Während die anderen die Mitteilung eher stoisch aufgenommen hatten, gab es bei ihm echte Erschütterung.
„Ich kann mir vorstellen, dass so etwas in einer so kleinen Gemeinde eher nicht vorkommt.“ Ezra versuchte das Gespräch weiter zu spinnen.
„Sie sind einfach nicht so. Die Polizei ist auf dem Holzweg“, fast zornig wurde ihm das entgegengeschleudert. Dann krachte die Türe zu.
Am Weg zu seinem Empfangspult überlegte Ezra, was das eben zu bedeuten hatte. War der Mann aus der Region und verteidigte seine Gemeinde? Aber so hatte es nicht wirklich geklungen. Wer war „einfach nicht so“? Mit einem Mord hätte der nicht gerechnet. Womit hatte der dann gerechnet?
Ezra ging mit dieser Frage den langen Gang bei den Zimmern entlang und scannte im Vorbeilaufen kurz die Ecken – keine Spinnweben, keine Mäuse. Hatte er etwas übersehen? Eine große Vase mit Blumen überdeckte Risse in der Wand. Die hatte er erst am Vortag dort arrangiert – wegen der Risse. In seiner Hektik und dem Stress fragte er sich auch kurz, ob er gestern vielleicht einen Toten im Hof übersehen hatte. - Nein, sicher nicht. Der wäre sogar ihm aufgefallen. Wolfgang hatte vermutet, dass Warhol im Hof erschossen wurde. Er müsste also zuerst einmal im Hof gelegen haben.
Wann war das Ganze wohl passiert?
Er hatte jedenfalls gar nichts bemerkt. Wann hatte er denn im Hof zu tun gehabt? Ezra konnte sich einfach nicht erinnern, wann er dort war. Sein letztes Bild waren die Tische und Sesseln mit den Tischtüchern – die hatte er aber eigentlich nicht in den Hof gestellt. Er hatte sie zwar aus dem Haus geholt, wo er den Toten dann gefunden hatte, aber nicht in den Hof gebracht, sondern nur durchgetragen. Hatte da vielleicht etwas gelegen, was dort nicht hingehörte? Nein, sicher nicht.
Er hatte alles in den Durchgang zum Parkplatz gestellt, weil dort die Türe neben dem Speiseraum ins Freie führte. Man konnte von dieser Stelle nicht wirklich in den Hof hineinsehen, weil die Hausecke den Blick verstellte. Seine Gedanken kreisten um den Toten und gleichzeitig schuldbewusst um alles, was er übersehen haben konnte und im Hintergrund arbeitete sein Organisator-Hirn und plante die To-do-Liste für den nächsten Tag. Die Zahnräder knirschten im Kopf.
Er musste bei seinem Empfang vorbeischauen, ob inzwischen irgendwelche neuen Probleme auf seinem Pult lagen – natürlich unlösbar. Selbstverständlich - so war das in diesem Haus. Da kam ein Mädchen die Treppe hoch. Ein hübsches, blondes Ding. Eine von denen, die im ersten Morgengrauen draußen waren – warum auch immer – vielleicht Außerirdische betreuen oder Flugkörper parken…? Irgendwas in der Art.
Sie lächelte ihn fröhlich an. Er würde dann gleich auch dem Lehrer Mitteilung von dem Toten machen, aber wahrscheinlich wusste der es schon. Jetzt fand Ezra es gut, wenn er ohne lange Umwege fragte: „Wie seid ihr denn in der Früh wieder reingekommen?“
„Oh“, sagte sie. Sie hatte eine attraktive Stimme, wie eine Jazzsängerin, fand Ezra.
„Ich weiß, dass ihr draußen wart – und ihr hattet wohl keinen Schlüssel?“
„Mmmkrm.“ Sie war verlegen. Schließlich bekannte sie: „Das Fenster von der alten Speisekammer haben wir gestern aufgemacht, damit wir wieder rein konnten.“
Also Planung – hier war Logik am Werk. Himmel, die alte Speisekammer, die war einer von den Dunkelräumen, die noch keine Abklärung bekommen hatten – nur die Kühlkörper hatte er hineingestellt, - für Besucher absolut ungeeignet. Das Fenster war auch ziemlich schmal. Es war deutlich höher als breit. Das Bild tauchte vor Ezras Augen auf, er hätte große Mühe gehabt, dort durchzuklettern. Es ist erstaunlich, wie schlank sich so ein Jugendlicher machen kann, wenn er wo rein oder raus wollte. Wie eine Ratte.
Sie lächelte wieder und musste dann lachen.
Konnte er nach ihrem UFO fragen?
Das verlangte vielleicht zu viel Beichte auf einmal...
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