Kitabı oku: «Stoner McTavish - Grauer Zauber», sayfa 2
»Großmutter«, sagte Gwen leise.
Mrs. Burton wandte den Kopf ab.
Tante Hermiones Augen trafen Stoners, und sie zuckte mit den Schultern. »Da werd eine schlau draus.«
Gwen stand vor ihrer Großmutter, die Fäuste geballt, ihr Gesicht kurz davor, sich aufzulösen. »Bitte«, sagte sie, »ich liebe sie, und ich liebe dich. Bitte versuch doch zu …«
Mrs. Burtons Augen waren wie glühende Kohlen. »Liebe? Du nennst das Liebe? Diese abstoßende … widerwärtige … Besessenheit?«
Stoner fühlte, wie etwas in ihr zerbrach. »Gott verdammt noch mal«, bellte sie. »Das reicht!«
Mrs. Burton drehte ihr den Rücken zu. »Ich bin an nichts interessiert, was Sie zu sagen haben.«
»Das ist mir scheißegal!« Die Worte platzten aus ihr heraus. »Sie sind eine ignorante, selbstgefällige Frau. Haben Sie irgendeine Ahnung, was es heißt, lesbisch zu sein?«
»Das habe ich nicht«, sagte Mrs. Burton. »Und ich will es auch gar nicht.«
Stoner ging mit großen Schritten quer durchs Zimmer. »Wir machen die Drecksarbeit in dieser Welt. Wir gründen Frauenhäuser, um euch rechtschaffene, verklemmte ›normale‹ Frauen vor euren prügelnden Ehemännern zu schützen. Wir kämpfen für eure Krankenversicherung und Sozialhilfe. Wir schieben eure Rollstühle und wischen euren Urin auf, wenn ihr zu alt und zu schwach seid, um es selbst zu tun. Wir machen all die Arbeit, für die ihr zu ›damenhaft‹ seid. Und dafür werden wir beschimpft und aus Jobs gefeuert, die keiner will. Wenn wir in öffentliche Toiletten gehen, sehen wir Hass auf den Wänden, hingeschmiert von Leuten, die zu ungebildet sind, um unsere Namen richtig zu schreiben, die sich aber das Recht herausnehmen, über uns zu urteilen. Wenn wir eine Zeitung aufschlagen, sehen wir Briefe von bibelzitierenden Schwachköpfen, die uns sagen, dass unsere schwulen Brüder an AIDS sterben, weil Gott uns verabscheut für das, was wir sind. Aber wir leben weiter, Mrs. Burton, weil wir uns das Recht dazu verdienen. Wir leben in einer Welt des Hasses, und doch schaffen wir es zu lieben. Sie leben in einer Welt der Liebe, aber Sie hassen. Ich verstehe das nicht. Ich versteh es einfach nicht.«
Mrs. Burton funkelte sie an. »Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?«
»Ich liebe Gwen. Ich würde mein Leben für sie geben. Wenn sie mich verlassen würde für einen dieser ›reizenden jungen Männer‹, auf die Sie so große Stücke halten, würde ich sie immer noch lieben. Wenn er grausam zu ihr wäre, würde ich sie aufnehmen und sie trösten und mein Möglichstes versuchen, um sie zu beschützen. Wenn sie zu ihm zurückgehen würde, würde ich sie weiterlieben. Und ich würde niemals, niemals so etwas zu ihr sagen wie Sie heute Abend. Wenn das Ihre Vorstellung von Liebe ist, dann will ich nichts damit zu tun haben.«
Sie zwang sich, abzubrechen, und ging zum Fenster. Die Straße war grau und leer. Alte Zeitungen lagen schlaff im Rinnstein. Die Luft über der Stadt war von öligem Gelb. Ihr war schlecht.
Die Stille hinter ihr wog schwer. Sie versuchte sich vorzustellen, was sie dachten, aber schaffte es nicht.
Ich hoffe, Gwen versteht es. Ich hoffe, ich habe ihr nicht alles kaputtgemacht.
Sie fühlte eine Hand an ihrem Gesicht.
»He«, sagte Gwen.
»Tut mir leid, Gwen. Ich konnte mich nicht mehr …«
»Ist schon gut. Ich liebe dich.«
»Nun gut«, sagte Tante Hermione, während sie ihr Garn aufrollte. »Ich denke, wir haben so ungefähr alles abgehandelt. Es war ein unterhaltsamer und erhellender Abend, aber ich habe eine frühe Sitzung mit einer Jungfrau, und ihr wisst ja, wie die sind. Kommst du, Stoner?«
»Ich lasse Gwen nicht allein«, sagte sie.
Mrs. Burtons Gesicht war weiß vor Wut.
Stoner wich nicht zurück.
»Ich gehe mit euch«, sagte Gwen. »Ich fühle mich hier nicht willkommen.«
»Wenn du dieses Haus heute Abend verlässt«, schnappte Mrs. Burton, »komm nicht zurück.«
Gwen wandte sich ihr zu. »Ich bin einunddreißig Jahre alt, Großmutter. Ich möchte gern, dass du verstehst, was Stoner mir bedeutet, aber ich habe nicht vor, darum zu betteln.«
Eleanor Burton war steif vor rechtschaffener Empörung. »Das wirst du bereuen, Gwyneth.«
»Wahrscheinlich werde ich das. Aber wenn ich bleibe, werde ich das auch bereuen. Also kann ich ebenso gut dorthin gehen, wo ich erwünscht bin. Es tut mir leid, dass es so sein muss, aber ich werde lieben, wen ich liebe, und ich beabsichtige nicht, mich deswegen schuldig zu fühlen.«
»Nun, erwarte aber nicht, dass ich –«
»Ich erwarte überhaupt nichts«, sagte Gwen. »Sobald ich eine Wohnung finde, lasse ich dich wissen, wo ich bin. Wenn du mich erreichen musst, kannst du das über Marylou im Reisebüro.«
»An deiner Stelle würde ich nicht darauf warten«, sagte Mrs. Burton.
Gwen verließ wortlos den Raum.
»Eleanor, Eleanor«, gluckste Tante Hermione, als sie sich ihre Tasche über die Schulter hängte, »an Ihrer Stelle würde ich mal ernsthaft in mich gehen und nachdenken.« Sie schüttelte liebevoll Mrs. Burtons Handgelenk. »Ich weiß ja, dass Sie Löwe sind, aber versuchen Sie doch mal, nicht auch noch ein Esel zu sein.«
Die Tür knallte hinter ihnen zu.
»Das Ärgerliche an bigotten Menschen«, murmelte Tante Hermione auf ihrem Weg durchs Treppenhaus, »ist, dass sie so unoriginell sind. Ich frage mich, ob Freud etwas zu dem Thema zu sagen hatte.«
Stoner konnte nicht antworten.
»Ich hatte schon immer den Verdacht«, fuhr Tante Hermione fort, »dass es klug von dir war, dich mitten in der Nacht von deiner Familie wegzuschleichen, anstatt das hier durchzumachen. Der heutige Abend hat mich davon überzeugt, dass ich richtig lag.«
Der Boden fühlte sich an, als wäre er übersät mit zerbrochenen Dingen. Zerbrochenem Vertrauen, zerbrochener Liebe, zerbrochenem …
Gwen saß zusammengesunken am Fuß der Treppe, die Arme um die Knie geschlungen. Eine weiße Linie umrahmte ihre Lippen. Ihre mahagonifarbenen Augen waren grau. Ihr Haar war von einer pudrigen Stumpfheit.
Sie sieht aus, dachte Stoner überflüssigerweise, als hätte man sie gebleicht. Sie kniete sich neben sie. »Alles in Ordnung mit dir?«
Gwen sah auf. »Oh Gott, Stoner. Was werde ich bloß machen?«
Kapitel 2
Nach abschließender Zählung waren auf dem Sky Harbor-Flughafen von Phoenix, Arizona Mitte August um zwölf Uhr mittags achthundertneunundfünfzig Reisende ohne Sonnenbrille aus einer Trans-Continental Airlines-Maschine gestiegen. Niemandem ist das je zweimal passiert.
Mitte August um zwölf Uhr mittags lässt die Wüstensonne einen Schauer silberner Nadeln herabregnen. Der Himmel brennt weiß. Die Gebirge, die die Stadt umgeben – Maricopas, White Tanks, Superstitions – werden zu flachen, staubigen, zweidimensionalen Hügeln. Wüstenpflanzen erbleichen. Alle kriechenden, krabbelnden und sich ringelnden Geschöpfe kapitulieren vor der Hitze, verbergen sich. Die Luft flimmert am Horizont und fließt in trägen Schwaden über den Asphalt des Flughafens. Reifen werden weich. Der Geruch von schmelzendem Teer liegt schwer über dem Boden. Glitzersterne aus Licht prallen von beweglichen Glas- und Chromoberflächen. Die Bewohner von Phoenix drängen sich in ihren Wohnungen um die Klimaanlage und warten auf die Zeit der langen Schatten.
Der Sky Harbor-Flughafen von Phoenix, Arizona ist Mitte August um zwölf Uhr mittags eine weißglühende Hölle.
Stoner zuckte zurück. Die Muskeln rund um ihre Augen verkrampften sich. Ihre Pupillen schmerzten. Sie tastete sich stolpernd zu einem Sessel in der Wartehalle und setzte sich. Rings um sie ergoss sich ein stetiger Strom von beweglichen dunklen Umrissen. Ich bin blind, dachte sie. Geblendet. Blinded by the Light, hallelujah.
Na ja, auch wenn sie selbst nichts sehen konnte, Stell würde sie sehen. Aber niemand trat aus den Schatten hervor. Stoner kaute nervös auf ihrer Unterlippe.
Vielleicht will sie uns gar nicht hierhaben.
Vielleicht haben wir den falschen Tag erwischt.
Oder den falschen Flughafen.
Was ist, wenn sie sich gar nicht blicken lässt?
Oder wenn sie draußen wartet?
Nein, sie sagte drinnen. Drinnen, im TCA-Warteraum. Ich bin sicher, dass sie das gesagt hat.
Vielleicht hat TCA zwei Warteräume.
Blödsinn, Fluglinien haben keine zwei Warteräume.
Fluglinien haben Dutzende von Warteräumen. Habe ich ihr die richtige Flugnummer gegeben? Sei nicht albern, wenn sie mich verpasst, lässt sie mich eben ausrufen.
Vielleicht sollte ich sie ausrufen lassen.
Sie machte sich daran aufzustehen.
Aber ich müsste ein Telefon finden, um sie ausrufen zu lassen, und in der Zwischenzeit könnte sie auftauchen und denken, dass sie sich geirrt hat, und weggehen.
Sie setzte sich wieder hin.
Ich hätte alles selbst organisieren sollen. Ich hätte es nicht Marylou überlassen sollen. Ich hasse es, wenn andere Leute meine Reise organisieren. Ich meine, woher soll ich wissen, ob sie keinen Mist gebaut haben? Wenn ich Mist baue, habe ich wenigstens eine ungefähre Ahnung davon, an welchem Punkt Mist passiert ist. Ich bringe Daten und Zeiten durcheinander. Verbindungen und Zielorte bringe ich nicht durcheinander. Wenn ich alles selbst reserviert hätte und Stell sich nicht blicken ließe, würde ich wissen, dass ich den falschen Tag oder die falsche Zeit erwischt habe, aber am richtigen Ort bin. Was mehr ist, als ich jetzt weiß.
Marylou sagt, wenn Reiseveranstalterinnen ihre eigenen Reisen buchen, ist das, wie wenn Psychotherapeuten Familienmitglieder und enge Freunde behandeln. Oder wie wenn Rechtsanwälte sich in einem Prozess vor der Anwaltskammer selbst vertreten. Marylou sagt …
Marylou verreist nie. Marylou hasst reisen.
Offensichtlich verfügt Marylou über eine Erkenntnis, die ich nicht habe und die ich mir partout auf die harte Tour aneignen muss.
»Hol’s der Teufel«, sagte eine vertraute Stimme, »du hast besorgt ausgesehen, als ich dich das letzte Mal sah, und du siehst immer noch besorgt aus.«
Sie blinzelte in das gleißende Licht. »Stell?«
»Jedenfalls nicht Dale Evans.« Ein langer dünner Schatten pflanzte sich vor ihr auf, die Hände in den Hüften, und lachte. »Ich könnte wetten, du hast allen Ernstes geglaubt, ohne Sonnenbrille durchzukommen.«
»Ja«, sagte Stoner mit einem schiefen Grinsen, »hab ich.«
»Schön, lässt du dich jetzt endlich umarmen? Oder willst du da sitzen bleiben und mir das Herz brechen?«
Zu ihrer großen Verlegenheit fühlte sie, wie ihr die Tränen kamen. »Gott, ich hab dich so vermisst«, sagte sie und warf ihre Arme um die ältere Frau.
»Ich dich auch, Kleines.« Stell drückte sie an sich. »Hab schon gedacht, ihr kommt nie an.«
Stoner legte den Kopf an ihre Schulter. »Du duftest immer noch nach frischem Brot.«
»Das sollte ich wohl. Ich backe es schließlich.« Sie hielt Stoner ein Stück von sich weg und besah sie sich von oben bis unten. »Du bist so ziemlich die Alte geblieben. Wo ist deine Liebste?«
»Sammelt die Koffer ein. Sie kommt dann nach draußen.«
Stell griff nach Stoners Handgepäck. »Dann können wir uns ja Zeit lassen. Was du an Reisezeit einsparst, verlierst du wieder, wenn du auf dein verstreutes Gepäck wartest.« Sie ging voran Richtung Ausgang. »Hoffe, du hattest dich nicht zu sehr auf Timberline gefreut. Diesen Sommer geht alles ein bisschen drunter und drüber.«
»Mir macht das nichts. Ich war noch nie in der Wüste.«
»Ich muss zugeben«, sagte Stell, während sie mit langen Schritten weiterging, »es gab in den letzten vier Wochen Augenblicke, in denen ich meinen rechten Arm für eine Lungenfüllung Wyoming-Luft gegeben hätte. Aber Familie ist Familie, und du tust, was du musst.« Sie trat zurück, um Stoner als Erste durch die Tür gehen zu lassen. »Vorsicht. Diese Sonne ist mörderisch.«
Ein Schwall sengender Luft warf sie fast um. »Himmel!«
»Heiß genug, um Farbe zum Kochen zu bringen«, sagte Stell. »Bleib dicht bei mir, bis ich den Wagen gefunden habe. Wenn du auf dem Parkplatz verloren gehst, bist du in zehn Minuten krankenhausreif.«
Die Hitze des Pflasters brannte sich durch die Sohlen ihrer Schuhe. Sie blinzelte in die Sonne und schnappte nach Luft. »Das ist ja unfassbar.«
»Man gewöhnt sich dran.« Stell schlängelte sich durch die parkenden Autos hindurch. »In Spirit Wells hilft die Höhe. Tagsüber lässt du dir das Gehirn backen, aber du hast wenigstens die Garantie, dir nachts den Hintern abzufrieren.«
»Spirit Wells? Ich dachte, die Handelsstation wäre in Beale.«
»Beale ist das nächste Postamt. Spirit Wells war vor rund hundert Jahren irgendeine Art von Siedlung, und niemand weiß, warum sie es Geisterbrunnen nannten. Vielleicht ist das auch nur ein Gerücht. Ich jedenfalls hab bisher keine Spur von Städten oder Geistern oder Brunnen gesehen.« Sie blieb neben einem hellbraunen, rostigen, staubüberzogenen Chevy-Lieferwagen stehen, der schon bessere Tage gesehen hatte, allerdings vor sehr langer Zeit.
Stoner fasste nach dem Türgriff.
»Moment!« Stell schob schnell ihre Hand weg. Sie nahm ein großes Taschentuch aus ihrer Hosentasche. »Nimm das. Metall wird verdammt heiß hier draußen.«
»Alles ist heiß hier draußen.« Sie zog mit einem Ruck die Tür auf und ließ die stehende Luft herausfallen.
Stell schwang sich hoch auf den Fahrersitz und kramte im Handschuhfach. »Nimm die«, sagte sie und drückte ihr eine zerkratzte, angeschlagene Sonnenbrille in die Hand. »Sie ist nicht gerade schick, aber sie wird dir die Netzhaut retten.«
Stoner setzte die Brille auf und seufzte vor Erleichterung. »Wie geht’s deiner Cousine?«
»Scheint etwas besser zu sein«, sagte Stell, während sie den Motor anließ. »Sie wissen immer noch nicht, was mit ihr los ist. Fürchterliche Sache, sie schien von einem Tag auf den anderen auszutrocknen. Wär ja auch kein Wunder, bei dem Klima. Bis auf den Umstand, dass Claudine und Gil die Handelsstation seit über dreißig Jahren haben, und Claudines Familie schon vorher. Die Sommer in Arizona sind nicht gerade was Neues für sie.«
Sie prügelte den Rückwärtsgang rein, setzte zurück, wobei sie nur knapp einen gelben Mercedes verfehlte, und fuhr langsam auf die Rampe zu.
»Es gibt Gerüchte, dass oben im Norden der Reservation die gleiche Sorte Krankheit umgeht, was irgendeine Art Strahlung vermuten lässt. Vor allem, weil Anaconda und Kerr-McGee die Uranschlacke aus den Minen unter freiem Himmel abladen. Aber sie haben Claudine daraufhin untersucht und nichts gefunden. Tatsache ist, sie haben von Leukämie bis Extrauterinschwangerschaft absolut alles getestet – wobei Letzteres in ihrem Alter ein mittleres Wunder wäre.«
»Vielleicht ist es das Wasser«, überlegte Stoner. »Oder sogar das frische Gemüse. Wenn in dem Boden hier draußen irgendwas fehlt …«
»Nicht sehr wahrscheinlich. Gil zeigt keine Symptome. Jedenfalls haben sie sie zur Beobachtung dabehalten. Eine ziemlich hochgestochene Art zu sagen, dass die Ärzte nicht weiterwissen und einen schon mal bezahlen lassen, während sie’s rausfinden.«
Sie schnitt einem Flughafentaxi den Weg ab und blieb im Parkverbot stehen.
»Wer kümmert sich um Timberline?«, fragte Stoner.
»Ted junior und sein Schatz.« Stell lachte. »Ich bin sehr gespannt, wie gewisse Stammgäste damit klarkommen. Na ja, es dürfte die Spreu vom Weizen trennen.«
»Oh … magst du seinen Schatz?«
»Bis jetzt schon. Rick scheint ein netter junger Mann zu sein.« Sie warf Stoner einen wissenden Blick zu. »Hör auf, das Terrain zu sondieren. Du weißt genau, dass ich das völlig in Ordnung finde.«
»Tut mir leid. Wir hatten in letzter Zeit unsere Probleme.«
»Klar.« Stell tauchte auf dem Boden hinter dem Sitz nach einem Cowboyhut und setzte ihn auf. »Und, wie steht’s inzwischen?«
Stoner zuckte die Schultern. »Geht so. Gwen scheint nicht zu wissen, was ihr nächster Zug sein sollte. Ich glaube, sie hofft auf eine Versöhnung, aber bis jetzt hat sie noch nichts von ihrer Großmutter gehört. Es muss sie scheußlich bedrücken, aber das ist bei ihr manchmal schwer zu sagen. Sie ist besser im Verdrängen als ich.«
»Wahrscheinlich ganz gut, dass sie mal rauskommt. Hilft ihr vielleicht, die Dingen in neuem Licht zu sehen.« Sie trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. »Wie viel weiß ich offiziell? Ich will mich nicht gleich ins Fettnäpfchen setzen.«
»Sie weiß, dass ich’s dir erzählt hab. Das geht in Ordnung.«
»Ich könnte den unwiderstehlichen Drang haben, meine Meinung zu äußern.«
Stoner lächelte. »Deine Meinung ist immer willkommen.«
»Sag das mal meinem ewigliebenden Gatten. Er darf meine Meinung schon seit fünfunddreißig Jahren über sich ergehen lassen.«
Wenn Gwen nicht bald auftaucht, dachte sie, ist von uns nichts mehr übrig als Fett und Knochen. Das Führerhaus des Lastwagens fühlte sich an wie ein Hochofen.
»Macht es dir Spaß, hier den Laden zu schmeißen?«, fragte sie.
»Es ist eine Herausforderung.« Stell öffnete ihre Tür und streckte ein Bein auf dem Trittbrett aus. In dieser Pose sah sie ein bisschen wie eine in die Jahre gekommene Rodeo-Queen aus. »Die meisten Indianer vertrauen uns genug, um weiterhin dort zu kaufen, schließlich sind wir mit Gil und Claudine verwandt, und Verwandtschaft zählt viel bei ihnen. Aber es ist schwer zu vergessen, dass wir sichtbare Vertreter einer Rasse sind, die sie seit vierhundert Jahren fürchterlich bescheißt. Das macht einen wohl übervorsichtig und übersensibel.« Sie warf Stoner einen Blick zu. »Warum erklär ich Idiotin dir das eigentlich? Du weißt, wie es ist, gehasst zu werden, ohne dass du was dafür kannst.«
»Ach, Stell, ich bin froh, dass wir uns entschlossen haben zu kommen. Es wird Gwen guttun, mit dir zusammen zu sein.«
Stell johlte. »Das ist das erste Mal, dass mir jemand einen guten Einfluss auf die Jugend zutraut.« Sie lugte unter der Krempe ihres Hutes hervor und wedelte mit dem Daumen in Richtung des Schalters. »Dreh dich nicht um. Jetzt gehen die Ferien richtig los.«
Gwen kam rückwärts durch die Tür, schwankend unter dem Gewicht ihres Gepäcks.
Stoner hechtete aus dem Wagen.
»Himmel!«, rief Stell. »Muss wohl Liebe sein.«
Gwen ließ einen Koffer fallen und hielt sich die Hand über die Augen. »Die wollen uns umbringen!«, keuchte sie. »Hallo, Stell.«
»Selber hallo. Komm, quetsch dich neben mich. Eng, aber besser, als hinten in der Sonne zu sitzen.«
Stoner warf die Koffer auf die Ladefläche. »Soll ich die festbinden?«
»Allerdings. Wir haben noch ein ordentliches Geholper vor uns bis Spirit Wells.«
Stoner sicherte die Koffer und kletterte auf den Sitz neben Gwen. Gwen langte rüber und wackelte an ihrer Sonnenbrille. »Ganz schön kerlig.«
»Lass das«, sagte Stoner und gab ihr einen Klaps auf die Hand.
Stell knallte ihre Tür zu, drehte die Klimaanlage voll auf und brachte den Motor auf Touren. »Haltet euch an euren BH-Trägern fest, Mädels. Es geht los.«
»Wie weit ist es?«, fragte Gwen, als Stell über die Rampe hinausholperte.
»Ungefähr dreihundertfünfzig Kilometer Luftlinie. Wir sind am späten Nachmittag zu Hause.«
Stoner rechnete. »Dreihundertfünfzig Kilometer – das sind fast vier Stunden.«
»Mehr oder weniger. Wir haben hier draußen eine gesunde Respektlosigkeit gegenüber Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich muss in Beale noch schnell was einkaufen. Dauert nur ’ne Minute.«
»Toll«, sagte Gwen, »dann werd ich mir noch einen niveaulosen Schmöker besorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so was bei euch gibt.«
»Auf keinen Fall. Wir lesen hier draußen nur die Großen Werke der Westlichen Welt.«
Wolkenkratzer, Monolithe aus Beton und Glas, säumten die Straße in hässlicher Nüchternheit. Familienkutschen und Taxis wälzten sich zentimeterweise auf die Ampeln zu, die Motoren knurrten Drohungen, die Fahrer tauschten finstere, feindselige Blicke. Fußgänger liefen im Zickzack hindurch. Teenager jagten mit wilder und lebensgefährlicher Hingabe auf Skateboards vorbei. Busse verpesteten die Luft. Nur gelegentlich unterbrach ein Fleckchen Rasen, ein Stück Kolonial- oder viktorianische Architektur die Eintönigkeit und ließ einen Hauch von Atmosphäre aufblitzen.
»Was ist euer erster Eindruck?«, fragte Stell.
»Es ist sehr sauber«, sagte Stoner höflich.
Stell lachte. »Ich werd euch Phoenix erläutern: Fünf von den sechs höchsten Gebäuden der Stadt sind Banken. Das sechste ist das Hyatt Regency-Hotel.«
»Das ist alles, was du weißt?«, fragte Gwen.
»Das ist alles, was ich wissen muss.« Sie bremste vor einer roten Ampel und kurbelte rasch das Fenster herunter, um die sich trotz der Klimaanlage sofort stauende Hitze herauszulassen.
Das ist also Arizona. Puebloland. Viehland. Goldland. Indianerland. Kaktusland.
Die einzigen Pueblos, die sie sehen konnte, waren fünfzehnstöckige Wohnhäuser. Es gab kein Vieh, das zum Markt getrieben wurde, nur teure Autos mit angeberischen Spezialnummernschildern. Die einzigen Indianer waren zwei kleine Kinder in Faschingsmontur. Und anstelle von Kakteen gab es Palmen, die so künstlich aussahen wie Requisiten für ein Zwanziger-Jahre-Musical.
Sie beobachtete die Leute, die vor dem Lieferwagen die Straße überquerten. Beliebige Leute in einer beliebigen Stadt – ein bisschen abgestumpft, als wollten sie lieber nicht zu viel sehen oder hören oder denken. Als hätten sie es irgendwie geschafft, sich selbst zu löschen. Auf einer Typische-Großstadt-Skala von eins bis zehn würde sie Phoenix eine Sieben geben.
Das ist provinziell, wies sie sich zurecht. Es gibt Tausende, vielleicht Millionen von Menschen, die Großstädte wirklich mögen. Die es genießen, oder zumindest nichts dagegen haben, Schlange zu stehen. Die in Lärm und Hektik aufblühen. Deren Vorstellung von der Hölle ein kleines Kaff ohne 24-Stunden-Supermärkte ist.
»Stoner«, sagte Gwen, »du knirschst mit den Zähnen.«
»’tschuldigung.«
»Wird dir schlecht?«
»Ich hoffe nicht.«
»Willst du noch ein Dramamin?«
Sie schüttelte den Kopf. Zu wenig Schlaf, sie konnte kaum noch klar denken. Zum Teufel mit Marylou. Kein normaler Mensch würde freiwillig um vier aus dem Bett stolpern, sich um fünf mit dem Logan Airport anlegen, dann den halben Kontinent und drei Zeitzonen überfliegen, um sich von Flugzeugmahlzeiten und der Mittagsstunde in Phoenix drangsalieren zu lassen – und dabei noch versuchen, die Landschaft zu genießen. ›Nimm den Tag noch mit‹, also wirklich. Wenn mal wieder ein Tag mitzunehmen war, konnte Marylou Kesselbaum ihn gerne selbst aufsammeln.
»Was gibt’s Neues in Boston?«, fragte Stell, als sie durch einen Vorort Richtung Norden fuhren. Spanische Adobeziegelhäuser mit roten Dächern, rasensprengergrünen Vorgärten, wartenden Grillstellen und Kühlschränken voll eiskaltem Weißwein.
»Tante Hermione ist in die Hexenrunde aufgenommen worden. Sie haben ihr den Nachweis in Kräuterheilkunde schließlich erlassen. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie schafft sie es nicht, die Kräuter auseinanderzuhalten.«
»Sie hat aber niemanden vergiftet, oder?«
»Noch nicht«, sagte Gwen.
»Na, das ist doch mal ’ne gute Nachricht.«
»Im Reisebüro herrscht Saure-Gurken-Zeit. Marylou ist jetzt in einer Selbsthilfegruppe gegen Diskriminierung von Dicken.«
»Marylou ist eine Inspiration für uns alle«, sagte Stell.
»Jetzt führen wir eine Liste von Unterkünften, in denen Dicke diskriminiert werden, und buchen dort prinzipiell nicht mehr.« Sie lachte. »Mit Marylous und meinen politischen Überzeugungen zusammengenommen katapultieren wir uns irgendwann einfach aus dem Geschäft.«
»Also«, sagte Stell, »solltest du feststellen, dass ich in Timberline irgendwas falsch mache, wäre ich dankbar für einen Hinweis.«
»Glaub mir«, sagte Stoner, »an deiner Küche ist nichts Unterdrückerisches.«
»Bis auf den Salat«, sagte Gwen, »du dürftest wohl den jämmerlichsten Salat der Welt servieren.«
Stell brummte. »Sag das unserem Lieferanten. Ich versuche seit Jahren, ihn zu fassen zu kriegen. Ich werde den Verdacht nicht los, dass sie das Zeug in Laramie auf ein Nebengleis schieben und ein, zwei Wochen rumliegen lassen. Hab schon überlegt, selbst welchen anzubauen, aber irgendwie liegt mir Gärtnern nicht.«
Sie überquerten ein trockenes Flussbett und waren plötzlich in der Wüste. Hier und da klammerte sich etwas Grünholz oder ein Kreosotbusch am steinigen Boden fest. Saguaro-Kakteen ragten hoch wie dornige Telefonmasten. Gelblich braune Felsblöcke, verwittert vom Wind und bar jeder Vegetation, reckten sich einem endlosen Himmel entgegen.
»Dies ist die Salt River-Indianerreservation«, sagte Stell. »Pima und Maricopa. Die Pima waren ein wilder Stamm. Jetzt leben sie Tür an Tür mit dem reichen weißen Gesindel, und es gibt kein bisschen Ärger. Das zeigt, wie man ihnen den Schneid abgekauft hat.« Sie wies auf das trockene Flussbett. »Dieser verdorrte Schutt hier war mal der Salt River, bevor die Anglos ihn gestaut haben. Wenn hier irgendwann doch mal ’ne Revolte losgeht, sollten sie als Erstes die Dämme in die Luft jagen. Das Wasser hier in der Gegend hat Befreiung echt nötig.«
Sie blickte zu ihnen rüber. »Hört euch das an, ich stänkere schon wieder rum. Jedes Mal, wenn ich nach Phoenix komme, gehe ich durch die Decke. Es macht mich so verdammt wütend, und ich schäme mich. Aber ich sollte nicht wütend werden, jetzt, wo ich meine Mädchen wieder bei mir habe.«
»Danke, Stell«, sagte Gwen ernsthaft, »mir wird rundherum warm, wenn du das sagst.«
»Das letzte Mal, als mir rundherum warm wurde«, sagte Stell, »war es eine Hitzewallung.« Sie schob sich mit dem Zeigefinger den Hut hoch. »Mist, ich weiß auch nicht, warum es mir so schwerfällt, zu sagen, was ich sagen will. Ihr zwei habt mir gefehlt, und das ist ’ne Tatsache. Auch wenn ihr mich letzten Sommer fast umgebracht habt vor Sorge.«
»Das tut mir wirklich leid«, sagte Gwen. »Ich –«
Stell unterbrach sie. »Ich will keine Entschuldigungen. Hoffe nur, dass ihr nicht vorhabt, mich dieses Jahr wieder solche Ängste ausstehen zu lassen.«
»Ich werd versuchen, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen«, sagte Gwen.
»Um dich bin ich gar nicht so besorgt.«
Stoner sah sie an. »Ich?«
»Ja, du.«
»In was für Schwierigkeiten könnte ich hier draußen schon kommen?«
Stell schüttelte den Kopf. »Du wirst schon was finden. Ich traue dir viel zu.«
Das Land stieg sanft an. In der Ferne schmiegte sich eine Bergkette dicht an die Erde. Kleine, graugrüne Büsche standen verstreut wie grasende Schafe. Der Himmel war von einem blassen, verwaschenen Blau.
Es ist schön, dachte Stoner.
Schön und grausam.
***
Großmutter Adlerin schwebte hoch über dem Colorado-Plateau und ließ sich vom Wind tragen. Ihre Zeit war nah. Seit Tagen schon hörte sie Masaus sanfte Stimme, die sie zu ihren Ahnen heimrief. Die Sonne tat ihren müden Knochen gut, diesen Knochen, in denen die Winterkälte saß und sie selbst an brüllend heißen Sommertagen nicht verließ. Sie hatte ihr letztes Niman Kachina erlebt, mit den Tänzen, den Zeremonien und der Heimkehr der Hopi-Geister zu den Heiligen Bergen. Bald würde auch sie sich zur Ruhe legen und wieder mit den Geistern ihrer abgeschlachteten Jungen vereint sein. Ihre Knochen würden zu Pfeifen werden, auf denen ein Dineh-Kind spielen würde. Ihre Federn, ihre langen, schönen Federn, die das Lied des Windes sangen, würde man sammeln für Gebetsstäbe, um die Bitten des Stammes über die Regenbogenbrücke zu den Ohren der Geister zu tragen. Der Gedanke gefiel ihr.
Nun nahm sie Abschied. Abschied von den weiten Schluchten und Hügeln und Mesas ihrer irdischen Heimat. Abschied von den tiefen Felseinschnitten, in denen während der Frühlingsregenfälle schokoladenbraune Wassermassen schäumten. Abschied von den hohen Sandsteingipfeln, den windumbrausten Bergen, in denen sie ihre Nester gebaut und ihre Jungen aufgezogen und sich mit ihrem faulen, übellaunigen Gefährten gezankt hatte.
Sie lächelte vor sich hin, als sie an den Alten Adler dachte, ihre Streitigkeiten und ihre Paarungen, ihre Jagdflüge, das Leuchten des Sonnenlichts zwischen seinen Flügelspitzen, seine starke Gegenwart in den Stunden der Dunkelheit. Aber sie erinnerte sich auch an das weißblaue Aufblitzen aus dem Gewehr des Wilderers, das den schönen Körper zerschmetterte, und daran, wie seine Federn durch die stille Luft zu Boden sanken, an das Echo des Schusses, der ihr Herz zerspringen ließ, an die langen, schweigenden Jahre, die folgten.
Sie würde ihn bald sehen, ihren Alten, und sie würden wieder zur Sonne aufsteigen, emporgehoben von den Geistern der Winde, um zwischen den Wolkenleuten zu spielen. Wieder würden sie sich paaren und streiten. Sie hatte die Paarungen vermisst, aber die Streitereien hatten ihr noch mehr gefehlt.
Der Wind-Fluss trug sie über Indianerland, über zusammengedrängte Lehmhütten und kleine, aus zwei Räumen bestehende Farmhäuser, über Wohnwagen-Abstellplätze und etwas abseits stehende hogans, über uralte Ruinen. Er trug sie über Pfirsichpflanzungen und dunkelgrüne Reihen von Hopimais. Über die misshandelten Windungen des San Juan River, die scharfen Biegungen und tief eingeschnittenen Schluchten des Colorado. Über die Abraumhalden der Uranminen, die die furchtbare Graue Krankheit brachten. Über die schwarzgefiederten Kernkraftwerke, die die heiligen Vier Ecken entweihten.
Ihr Herz fühlte ein Ziehen, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit nach Süden. Neugierig flog sie langsam über das Dorf-das-seinen-Namen-vergessen-hat, vorbei an dem rauen Schiefer der Long Mesa, vorbei an der Dineh-Rinne und am Big Tewa, über dem die Sonne aufgeht. Die Handelsstation von Spirit Weils lag noch in der Nachmittagshitze. Ihre empfindlichen Ohren nahmen den grölenden Fernseher aus Larch Begays Texaco-Tankstelle wahr.
Alles schien wie immer.
Sie zog einen Bogen nach Westen über die Farbige Wüste, auf der Suche nach … sie war nicht sicher, wonach. Ihre Augen nahmen eine schwache Bewegung im Schatten eines Felsens wahr. Klapperschlange. Eine Delikatesse, aber sie hatte nicht mehr oft Hunger. Glück gehabt, Bruder Schlange, wohl unvorsichtig geworden in der Hitze. Sie stieß einen Schrei aus, um ihn in seine Grenzen zu weisen, und zog einen noch größeren Kreis.