Kitabı oku: «Stoner McTavish - Grauer Zauber», sayfa 5
»Es würde mir das größte Vergnügen bereiten«, sagte die Adlerin.
Siyamtiwa scheuchte sie weg. »Dann gib mir Frieden in dieser Welt, Mäusefresserin. Da sind Dinge, über die ich nachdenken muss.«
***
Sie ließ die Tür hinter sich zuknallen. »Stell!«
Stell zuckte zusammen und sah von ihrem Rechnungsbuch auf. »Jesses, ich hatte ganz vergessen, was das Getrappel kleiner Füße mit deinen Nerven machen kann.«
»Ich habe draußen in der Wüste eine alte Indianerin getroffen. Sie braucht Wasser.«
Stell schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Stirbt sie?«
»Nein, aber ich weiß nicht, warum nicht. Sie ist ungefähr hundertfünfzig Jahre alt. Siyamtiwa. Kennst du sie?«
»Kann ich nicht behaupten. Kann aber sein, dass ich ihr schon mal begegnet bin. Sie verraten ihre Namen nicht so schnell.« Sie nahm ein Glas aus dem Schrank, stellte es als zu klein wieder zurück und fand ein Ein-Liter-Einmachglas unter der Spüle.
»Sie wusste von dem Kojoten«, sagte Stoner, »findest du das nicht seltsam?«
»Diese Leute wissen Dinge, die wir nicht wissen. Nehme an, das liegt daran, dass sie das Leben anders betrachten als wir.« Sie ließ kaltes Wasser ins Waschbecken laufen. »In den ersten paar Wochen hier habe ich mir die Füße wundgerannt bei dem Versuch, rauszukriegen, was irgendwas bedeutet. Hör auf meinen Rat, schwimm mit dem Strom, wie mein Sohn sagen würde.«
Stoner hielt ihr die Puppe hin. »Sie hat mir das hier gegeben.«
Stell drehte sie in ihren Händen hin und her. »Sieht aus wie du.«
»Das fand ich auch.« Sie nahm die Puppe zurück und lehnte sich gegen das Waschbecken. »Wir hatten eine sehr merkwürdige Unterhaltung. Über Hexenmeister – powaqa nannte sie sie. Sie sagte, der Kojote wäre halb Mensch und dass er mein Herz kennen würde.«
Stell schüttelte den Kopf. »Die Reservation summt dieser Tage vor lauter Aberglauben. Muss wohl der Einfluss der Missionare sein.«
»Glaubst du daran?«
»Ich würde darauf nicht mit ja oder nein antworten«, sagte Stell. »Aber es würde vor einem Anglo-Gerichtshof nicht durchkommen.« Sie lachte. »Du nimmst solchen Dingen gegenüber eine überlegene Haltung ein, und bei der nächsten Gelegenheit wachst du mitten in der Nacht auf und siehst, dass dein Bett zwei Meter über dem Boden schwebt.«
Stoner nahm das Wasserglas. »Ist es in Ordnung, wenn wir nach Beale fahren?«
»Ihr braucht dafür doch nicht meine Erlaubnis.«
»Wir brauchen dein Auto.«
»Nehmt es.« Stell scheuchte sie weg. »Wir müssen nirgendwohin, wofür wir nicht die Pferde nehmen können. Wenn es euch nichts ausmacht, ein paar Besorgungen zu erledigen, auf dem Tisch liegt eine Liste von Sachen, die ich noch vergessen hatte.« Sie nahm eine Dose Tomaten herunter. »Nimm die der alten Frau mit. Aber mach keine große Sache draus. Das ist ihnen peinlich. Stell sie einfach auf den Boden und lass sie zurück, als ob du sie übersehen hättest. Sie wird deine Absichten verstehen.«
»Danke. Wo ist Gwen?«
»Das letzte Mal, als ich sie sah, war sie unten bei der Scheune, zusammen mit Ted. Er sagte, er würde ihr beibringen, Holzscheite zu spalten. Du schreitest besser ein, bevor er sie zu einer solchen Arbeitssüchtigen macht, wie er selbst einer ist. Sie sind praktisch, aber es macht nicht viel Spaß, mit ihnen zu leben.«
Sie folgte den hämmernden Geräuschen.
Mit dem Rücken zu ihr stand Gwen vor einem großen Holzblock. Sie hob einen unbehauenen Klotz auf, stellte ihn hochkant, trat zurück und ließ krachend die Axt niedersausen. Die gespaltenen Hälften flogen zur Seite. Tom Drooley entknotete seine Beine, sammelte würdevoll die Stücke auf und ließ sie vor Gwens Füßen fallen. Sie griff nach einem weiteren Klotz.
»Hey!«, rief Stoner. »Wenn du dich jemals entschließt, die Schule sein zu lassen und dir einen richtigen Job zu suchen, dann könntet ihr beide in einem Holzfäller-Camp arbeiten.«
Gwen drehte sich um. »Mist«, sagte sie und wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß vom Gesicht. »Wo wir gerade so gut in Schwung waren.«
Stoner hob einen frisch gespaltenen Scheit auf und schnüffelte daran. Der scharfe, harzige Geruch brannte in ihrer Nase. »Riecht toll. Was ist das?«
»Mesquite. Hart wie Nägel. Wenn du es nicht genau richtig triffst, kann es dir jeden Knochen in deinen Armen zerschmettern.« Sie schwang die Axt auf den Hackklotz hinunter und versenkte die Schneide tief im Holz. »Hast du eine Vorstellung davon, was die Yuppies zu Hause für diesen Stapel bezahlen würden?«
»Könnt ihr eine Pause einlegen? Da ist jemand, den ich dir vorstellen möchte, und ich dachte, wir könnten mal nach Beale fahren.«
»Sehe ich anständig aus?«
In ihren Haaren hingen kleine Holzspäne. Ihre Ärmel waren hochgekrempelt. Staub bedeckte ihre Stiefel und den unteren Teil ihrer Jeans. »Du siehst hinreißend aus.«
»Schmeichlerin. Wie sehe ich wirklich aus?«
»Deine Haare könnten einen Kamm vertragen.«
Während sie auf die Baracke zugingen, entdeckte Gwen die Dose Tomaten und das Glas Wasser. »Ich hoffe nicht, dass das unser Mittagessen ist.«
»Es ist ein Geschenk für Siyamtiwa.«
»Siyamtiwer?«
»Siyamtiwa. Eine alte Hopi-Frau. Es bedeutet ›Etwas-das-sich-über-Blumen-hinweg-entfernt‹«.
Gwen fuhr sich mit einem Kamm durch die Haare und nahm ihre Schultertasche. »Hast du das Gefühl, du bist mitten in einem John Ford-Epos?«
»Nein. In einem Stephen King-Epos. Komplett mit Werwölfen.«
»Dieser Ort ist sonderbar«, sagte Gwen. Sie pfiff nach Tom Drooley. Der große Hund kroch, ein Bein nach dem anderen, auf die Ladefläche des Lieferwagens und rollte sich auf einer alten Decke zusammen.
»Meinst du, es ist in Ordnung, ihn mitzunehmen?«
»Ted sagt, er fährt dauernd mit in die Stadt. Er wird einfach da hinten rumliegen. Er stellt schon nichts an.«
»Das glaube ich ohne weiteres«, sagte Stoner. Sie schwang sich hinter das Lenkrad und drehte den Zündschlüssel herum. »Also, los geht’s.«
***
»Ich weiß, dass sie hier war, als ich wegging.« Die Wüste war leer. Der Boden war uneben und zertreten.
»Genug Durcheinander habt ihr ja angerichtet«, sagte Gwen.
»Sie muss hier irgendwo sein.«
»Vielleicht wurde ihr das Warten zu lang.«
»Selbst dann könnte sie nicht weit gekommen sein.« Sie wandte sich in alle Richtungen. »Ich hoffe, es ist nichts passiert.«
»Vielleicht hat sie Schatten gesucht oder sich von jemandem mitnehmen lassen.«
»Du verstehst nicht. Diese Frau ist uralt.«.
»Na ja, sie hat es fertiggebracht, bis hierher zu kommen, oder? Ich wette, sie findet sich in der Wüste besser zurecht als du.«
Stoner beschloss, darauf nicht einzugehen. Ihre morgendlichen Erfahrungen waren nichts zum Angeben.
Sie rutschte zum Fuß des Hügels hinunter und schaute sich um. Nichts. Kein Körper, keine Spuren, kein Abfall. Nur eine kleine graue Spinne, die nicht ganz richtig im Kopf sein konnte, sponn ein Netz zwischen zwei Felsen.
»Willst du warten?«, fragte Gwen.
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte so ein Gefühl, dass Siyamtiwa nicht kommen würde.
»Ich sag dir was«, sagte Gwen. »Wir stecken das Wasser und die Tomaten in irgendeine Ritze, und vielleicht wird sie sie finden.« Sie gab Stoner die Dose und das Glas. »Vorsicht damit. Wenn du es verschüttest, könnten wir die ganze Ökologie verändern.«
Stoner lachte.
»Ich meine es ernst«, sagte Gwen. »Hier draußen gibt es Samen, die Hunderte von Jahren hindurch im Sand liegen und auf eine ganz bestimmte Kombination von Regen und Temperatur warten, um schlagartig zum Leben zu erwachen. Vielleicht würdest du gerne die Wüste zum Blühen bringen, aber ich will diese Verantwortung nicht.«
***
Was jetzt?
Adlerin schnellte von ihrem Aussichtspunkt hoch auf dem Tewa Mountain hinunter, als der Lieferwagen der Handelsstation aus der Einfahrt herauskam.
Verrückte Weiße, nörgelte sie. Immer in Bewegung. Haben Angst, dass Masau sie holt, wenn sie stillsitzen. Sie kreiste hoch oben und beobachtete, wie der Lieferwagen nach Süden auf die Asphaltstraße abbog.
Mittag, und die Sonne heiß wie glühende Kohlen.
Verrückt, verrückt, verrückt.
GEHT NACH HAUSE!, kreischte sie. Setzt euch in den Schatten. Zählt euer Geld. Glotzt in eure Geisterkästen. Denkt euch neue Arten aus, euch gegenseitig umzubringen. Aber lasst mich in Frieden, um taiowas willen.
Kein Zweifel, sie hatte die Zweibeine immer gehasst, vor allem die weißen. Ihr Alter hatte sie deshalb eine Rassistin genannt, aber seht doch, wohin ihn all seine Aufgeschlossenheit gebracht hat. Ein toleranter toter Adler ist genauso tot wie ein intoleranter.
Sie konnte es noch sehen, im schwindenden, überlieferten Gedächtnis ihrer Ahnen, wie es damals war in der alten Zeit. Die ununterbrochenen Weiten des Landes, die sich vom Ort der Morgendämmerung zum Ort des Abends ausdehnten. Das Büffelgras und die Pinienwälder, Fichte und Mesquite und Kreosotbusch und Kaktus. Stille Schluchten und schnelle Flüsse. Die spätnachmittägliche Parade des Wolkenvolks, das Regen brachte. Lange, kalte, schweigende Winter unter dem weichen Schnee. Die leichte Jagd, das schnelle Töten. Und die Dineh, ihre Dineh, die die Weißen Navajo nannten, mit ihren Schafen und Hunden, ihre Sommerunterkünfte in den kühlen, grünen Canyons, der würzige Rauch der Winterfeuer, der von ihren hogans aufstieg. Und überall Harmonie, überall hozro.
Im Rückblick konnte sie sogar einen freundlichen Gedanken für die Hopi aufbringen, diese breitnasigen Fanatiker.
Sie hatte sie genossen, die vieltägigen Zeremonien, die Mysterienspiele, die die Schöpfungsgeschichten erzählten, die kachina-Tänzer mit ihren grell bemalten Masken, die Glöckchen und Rasseln, die Opfer der Mais-Mutter. Mehr als einmal hatte sie ein köstliches Mahl eingenommen, wenn das Nagetier-Volk kam, um die Körner- und Samenlinien aufzufressen, die den Weg markierten, dem die kachinas folgen würden. Ja, selbst die Hopi hatten ihre guten Seiten.
Aber die Weißen …
Weiße standen für Gewehre und Zäune und Pony-Soldaten und Kämpfe. Weiße standen für Stoßen und Schreien, Menschen hierhin und dorthin gestoßen, ein paar starben immer. Weiße standen für die eisernen Gleise mit ihren rauchatmenden Wagen, die harten, schwarzen Straßen und die Blechpferde, die Viel-Räder, die Tag und Nacht über das Land dröhnten und das Rehvolk überfuhren und niemals anhielten. Weiße standen für die Riesenpilze, die giftigen Regen brachten, die großen hogans, die schwarzen Qualm ausspien. Weiße standen für Maschinen, die mit Zähnen und Klauen die Berge zerrissen und weiterzogen, während das Land hinter ihnen starb.
Das Leben war gut gewesen in der alten Zeit, solange man sich von der Schwarzen Mesa fernhielt, wo die Zweibeiner Adlerfedern für ihre Gebetsstäbe sammeln. Man konnte die Nachmittage auf einer felsigen Klippe verbringen und ein Schwätzchen mit dem Wind halten. Das Adlervolk war zahlreich, und auch wenn sie sich nicht besonders viel aus Nachbarn machte – nicht wie die Hopi, die einer im Schatten des anderen lebten –, war es doch beruhigend zu wissen, dass es sie gab. Nun war auch das Adlervolk beinahe verschwunden, ihre Nistplätze zerstört, die Futtertiere vergiftet. In ihrem letzten Gelege waren die Eier steril gewesen, die Schalen zerbrechlich wie feines Gewebe. Danach, obwohl die Paarung gut gewesen war, gab es keine Eier mehr, und sie hatte über dem leeren Nest geweint.
Und die Zweibeiner hatten sich verändert. Der dunkle Wind wehte durch sie hindurch. Gezänk, Gemeinheit, Kämpfe zwischen der alten Art und der neuen, unter den Klans, innerhalb der Klans, jeder sah seinen Nachbarn schief an.
Und hier kam nun die alte Großmutter, die vielleicht die älteste Indianerin war, die sie je gesehen hatte, vielleicht älter als die älteste, vielleicht noch etwas ganz anderes. Die alte Großmutter, die von Schlachten sprach und sich an die grünäugige pahana ranmachte.
Es ermüdete sie, daran zu denken.
Der Lieferwagen bog nach Osten ab, in Richtung Beale. Nicht viel, was du dort durcheinanderbringen kannst, Grünauge.
Sie stieß tief hinab, kreischte eine Beleidigung und flog zurück zum Großen Tewa-Gipfel.
Kapitel 4
Niemand hat Beale in Arizona je ›das Juwel der Wüste‹ genannt. Gegründet von Lieutenant Ed Beale während seines Kameltrecks zur Erkundung des Südwestens im Jahre 1857, liegt es zu beiden Seiten der alten Bahnlinie zwischen Atchinson, Topeka und Santa Fe an der Route 66. Die Züge halten nicht mehr dort, und die alte R 66 zerfällt langsam zu Kies, während die Touristen auf der A 40 vorbeidröhnen. Aber Fetzen von gewachstem Einwickelpapier und alte Zeitungen und plattgedrückte Blechdosen türmen sich noch immer vor dem Kettenzaun, der die Gleise absperrt, und das macht Beale zu einer Bahnhofsstadt.
Außenstehende, die im Allgemeinen aus dem Osten kommen und keine Ahnung haben, behaupten, die A40 hätte Beale links liegen lassen. Die Wahrheit ist, dass Beale die A40 geflissentlich ignoriert. Die Hauptstraße kann sich noch immer der alten schwarz-weißen ›66‹-Schilder rühmen. Jedes andere Straßenschild in einem Umkreis von dreißig Kilometern mag von Kugeln durchlöchert sein bis zum Gehtnichtmehr, aber niemand – egal wie rastlos, gelangweilt, pubertierend oder abgefüllt – würde auf diese Wegmarken zielen. Der ursprüngliche Betonbelag wird jeden Frühling in einer Art kommunalem Fruchtbarkeitsritual liebevoll geflickt. Dabei lassen die Männer ihren Bart wachsen und die Frauen putzen sich in handgenähten Kleidern aus der Pionierzeit heraus, und alle essen Brathähnchen und Kartoffelsalat unter der sengenden Sonne und zwischen Schwärmen von Schmeißfliegen, und wenn der Tag vorüber ist, fragen sich alle insgeheim, warum die Einzigen, die es zu genießen scheinen, die Schmeißfliegen sind, aber niemand wagt das laut zu sagen.
Die Straße verläuft schnurgerade von Osten nach Westen. Am östlichen Ende stehen sich die Jesus-Christus-Kirche der Heiligen des Jüngsten Tages und die St. James-Episkopalkirche der Südwest-Mission gegenüber wie zwei Revolverhelden, von denen jeder darauf wartet, dass der andere sich als Erster rührt. Von da an geht es stetig bergab. Die Gebäude entlang der Hauptstraße sind aus staubigem Stuck und tragen die Namen der Erstbesitzer. Die Stockman Spar- und Darlehenskasse ist seit über hundert Jahren die Stockman Spar- und Darlehenskasse. Die goldene Schrift auf den Bleiglasscheiben des Waldorf-Cafés ist abgeblättert, aber lesbar. McMahons Haushalts- und Eisenwarenhandlung verkauft noch immer Zapfhähne und Stacheldraht und Stoffe am laufenden Meter. Niemand kann sich erinnern, wann der letzte Inhaber von ›Smiths Saatgut, Futtermittel und Landwirtschaftsbedarf‹ Smith hieß, aber es ist noch immer Smiths Saatgut, Futtermittel und Landwirtschaftsbedarf. Dem Schild über dem Roxy-Filmtheater zufolge läuft dort noch immer Zähl bis drei und bete, aber die Türen sind mit Brettern vernagelt und die von Sprüngen durchzogenen Fenster des Kartenschalters mit mumifiziertem Tesafilm verstärkt.
Beales modernere Attraktionen umfassen eine Westen-Autovertretung (ca. 1949), den Supermarkt (1953), Buds ›Ausgemusterte Armee- und Marinebestände‹ (1955) und den Texaco-Service, der noch immer das Motto trägt: ›Haben Sie Ihren Wagen gern, vertrauen Sie nur dem Mann mit Stern‹. Während des patriotischen Wahns von ’76 hatten die Einwohner mal flüchtig daran gedacht, Beale zum historischen Nationaldenkmal erklären zu lassen und es zu restaurieren. Aber, wie irgendwer erläuterte, warum sollte man die Regierung einladen, ihre Nase in alle möglichen Angelegenheiten zu stecken, wenn Beale schon in tadellosem Zustand war?
Beale steckt außerdem bis zum Gürtel in der amerikanischen Geschichte. Westlich der Stadt gibt es ein verfallendes Kavallerie-Fort, von dem ein gutes Dutzend Indianermassaker ausgingen und das nur im Winter zu sehen ist, wenn die Präriegräser verwelken. Zwei der einheimischen Jungs kämpften im Zweiten Weltkrieg im Südpazifik. Einer kehrte nach Hause zurück, der andere blieb in San Diego. Nach hitziger Auseinandersetzung einigte man sich darauf, dass jeder, der Kalifornien Beale vorzog, im Krieg verrückt geworden sein musste, und sein Name erscheint jetzt auf der Gedenktafel im Rathaus, das zugleich Postamt, Polizeirevier und Herrenfriseursalon ist.
Im Jahre ’47 erwischte der Bürgermeister seine Frau mit einem Vertreter (Badezimmerarmaturen) im Bett, erschoss beide und führte vom Bezirksgefängnis aus zwei erfolgreiche Wiederwahlkampagnen. Eine Familie mit dem Namen Clark besaß einmal eine Farm ganz in der Nähe, die unter mysteriösen Umständen niederbrannte. Die 1958er Basketballmannschaft der Oberschule erreichte das Viertelfinale der Landesmeisterschaften und schaffte es, gegen die Mannschaft aus Holbrook, ein paar Kilometer die Straße runter, 12 Punkte zu erzielen. Ethel Boyds rote Rhode-Island-Henne legte einmal ein Ei mit drei Dottern. In den späten Sechzigern kampierte eine Gruppe von Hippies eine Zeitlang am Rand der Stadt – aber es war einfach nichts los, Mann, und sie zogen weiter.
Heutzutage tut sich eine Menge in Beale. Man kann ein anständiges Essen im Waldorf-Café bekommen oder ein schnelles Sandwich an der Theke im Drugstore. Die Episkopalkirche veranstaltet von Zeit zu Zeit eine Bingo-Nacht, was die Mormonen veranlasst, sie der ›Hinwendung nach Rom‹ zu beschuldigen. Ein paar Immobilienmakler sind zugezogen, aber niemand weiß, warum. Man kann zum Bezirksgericht gehen und zusehen, wie die ortsansässigen Rechtsanwälte gegeneinander prozessieren, um nicht aus der Übung zu kommen.
Von Zeit zu Zeit behauptet jemand, er hätte von jemandem gehört, der draußen in der Prärie einen Nachfahren von Beales Kamelen entdeckt hätte. Da diese Geschichte für gewöhnlich weit nach elf Uhr abends in der Kneipe ›Zum Schäfer‹ erzählt wird, bleibt das ein unbestätigtes Gerücht.
Jeden Nachmittag gegen vier erhebt sich der trockene Wind und wirbelt die Wachspapierfetzen ein bisschen herum.
Stoner fuhr auf den Parkplatz vor dem Supermarkt und stellte den Motor aus. »Willst du direkt einladen, oder sollten wir uns die Sehenswürdigkeiten anschauen?«
»So wie’s aussieht«, sagte Gwen, »können wir uns die Sehenswürdigkeiten anschauen, ohne den Parkplatz zu verlassen. Ein entzückender kleiner Ort.«
»Eine weitere Station auf unserer endlosen Liste von Kleinstädten«, sagte Stoner, während sie ausstieg. »Es kann nicht schlimmer sein als Castleton in Maine, oder?«
»Wenn du mal sehen willst, wie es wirklich in einer Kleinstadt zugeht«, sagte Gwen, »werde ich eines Tages mit dir nach Jefferson fahren und dich dem Volk an der Eisbude vorführen. Alle Mädchen, mit denen ich aufgewachsen bin, werden vor Neid sterben.«
»Oder am Schock.« Stoner füllte Tom Drooleys Wassernapf aus der Reserve-Feldflasche und weckte ihn lang genug, um ihm zu sagen: »Bleib! Pass auf!«, was er wahrscheinlich nicht verstand. Er blieb mit von der Ladefläche hängenden Beinen liegen. Sie schloss die Fahrerkabine ab und steckte die Schlüssel in die Hosentasche.
»Bist du sicher, dass du das tun willst?«, fragte Gwen. »Die Einheimischen könnten beleidigt sein, wenn du abschließt.«
»Wenn ich ein Teenager wäre«, sagte Stoner, »und in dieser Stadt lebte, dann würde ich diesen Wagen stehlen.«
»Mit Tom Drooley?«
»Mit Tom Drooley.«
Sie trat auf den Bürgersteig und schaute die Straße rauf und runter. Auf der anderen Seite zog jemand in einer Wohnung im zweiten Stock ein dunkelgrünes Rollo hoch und spähte hinaus. Gwen winkte. Eine Gestalt in grauem Baumwollbademantel und rosa Schaumgummi-Lockenwicklern winkte zurück.
Stoner kniff die Augen in dem hellen Licht zusammen, fühlte, wie der leichte Wind durch ihre Haare strich, roch Staub und Teer. Ein Stück weiter die Straße hinunter stand eine Ansammlung von Männern in geflickten Levis vor dem ›Schäfer‹ und warf Kiesel an eine Parkuhr. Eine schwarzbraune, knochendürre Promenadenmischung durchsuchte den Müll im Rinnstein, bis einer der Männer ihm einen Stein nachwarf und er unter finsteren Blicken davonschlich.
Gwen blieb vor dem Schaufenster der Bank stehen, um sich die Auslage mit Quilts und Schürzen anzusehen, die die örtliche Landjugend angefertigt hatte.
»Schau dir diesen Himmel an«, sagte Stoner. »Ich frage mich, wie es wäre, sich unter diesem Himmel zu lieben.«
»Geräumig, nehme ich an«, sagte Gwen. »Und heiß.«
»Ich meinte nachts.« Sie fuhr mit der Hand an der sonnenwarmen Stuckmauer entlang. »Dieser Ort ist wie etwas aus einem Film, findest du nicht?«
»Du meinst den, wo der Junge nach New York gehen und Kunst studieren will, aber sein Vater will, dass er zu Hause bleibt und das Saatgut- und Futtermittelgeschäft übernimmt, und seine Mutter ist mit einem nichtsnutzigen Cowboy durchgebrannt und führt jetzt ein Leben voll Schwangerschaft und Unterdrückung in Mexiko, während der Cowboy sich zu Tode säuft. Dann taucht die brandneue, blonde, magersüchtige Lehrerin auf …«
»Nein«, sagte Stoner. »Den, wo fünf Mörder aus dem Gefängnis ausbrechen und die Stadt terrorisieren, bis diese Halbwüchsige – die eigentlich Physikerin werden will, es sich aber nicht leisten kann, zur Uni zu gehen – diese Laser-Spezialeffekte aus alten Telefondrähten und Strohhalmen aufbaut, und Knallkörper, die eigentlich alle Schnellkochtöpfe der Stadt sind, die sie so manipuliert hat, dass sie alle gleichzeitig trocken kochen und in die Luft gehen, so dass die Mörder denken, sie sind umzingelt.«
»Woran ich eigentlich dachte«, sagte Gwen, »war der über die Lehrerin, die sich wegen der Frau, die sie liebt, mit ihrer Familie überwirft und nach Arizona wegläuft …« Ihre Stimme versagte.
Stoner berührte sie. »Gwen, es … es wird schon …«
»In Ordnung kommen?« Gwen lachte bitter. »Wenn du voraussagen kannst, wie das hier ausgeht, kannst du ins Wahrsage-Geschäft überwechseln.« Sie lehnte ihren Kopf an Stoners Schulter. »Können wir eine Limo trinken gehen?«
Stoner küsste sie sanft aufs Haar. »Goodnights Drugstore ist auf Stells Einkaufsliste. Sollen wir uns den mal ansehen?«
Das Innere des Ladens war kühl und roch nach Marmor und Kirschsirup.
Ein Getränkeausschank zog sich an der einen Wand entlang, Regale voll rezeptfreier Arzneimittel und Zeitschriften an der anderen. Ein Ventilator drehte sich träge an der Decke. Im hinteren Teil markierte ein Paar riesiger brauner Gläser – eins mit rotem, eins mit gelbem Wasser gefüllt – die Reviergrenze des Apothekers. Ein dünner junger Mann in einer fleckigen weißen Uniform lümmelte sich gegen die Getränketheke und las in einem Comic. Er sah desinteressiert hoch, warf einen Blick auf Gwen und erwachte ruckartig zum Leben.
»Was darf ’s sein?«
»Eistee«, sagte Stoner, während sie sich auf dem Barhocker niederließ.
»Limonade«, sagte Gwen. »Nicht zu viel Zucker.«
»Sie sind nicht hier aus der Gegend«, sagte er, als er ihre Gläser hinstellte.
»Stimmt«, Stoner nahm sich einen Strohhalm aus einem Edelstahlbehälter.
»Auf der Durchreise?«
»Wir sind bei den Perkins zu Besuch«, sagte Gwen. »In der Handelsstation in Spirit Wells.«
»Mrs. Perkins is’ ne Klassefrau«, sagte er und warf sich eine dunkelblonde Locke aus der Stirn. »Aber die Res ist echt tot. Sie sollten sich den Grand Canyon ansehen gehen.«
»Ich bin sicher, das werden wir noch«, sagte Gwen.
»Ich mein’s ernst. Die Res ist der toteste Ort, den ich je gesehen habe.«
Im Gegensatz zu Beale, dachte Stoner. Welches ein richtiger Rummelplatz ist.
»Es ist mal eine Abwechslung«, sagte Gwen. »Wir haben noch nie eine Reservation gesehen, ob tot oder lebendig.«
»Nichts als Wind und Staub und Indianer.«
»Ich finde es hübsch, auf eine merkwürdige Art. Ich wusste vorher gar nicht, dass Staub so viele verschiedene Farben haben kann.«
»Es ist so ziemlich das, was wir erwartet haben«, fügte Stoner hinzu. »Was macht ihr hier in der Stadt so, um euch zu amüsieren?«
»Nicht viel«, sagte der Junge. »Aber wenigstens haben wir Fernsehen.«
»Kabel?«
»Nee.« Er zog einen Flunsch. »Wir versuchen es immer wieder, aber niemand will die Kosten. Zu dünn besiedelt hier draußen.«
»Ja«, sagte Stoner, »ich sehe das Problem.«
»Fernsehen«, warf Gwen ein, »lässt dein Gehirn verfaulen und erstickt deine Phantasie.«
Der Junge warf ihr einen finsteren Blick zu. »Himmel, Sie hören sich an wie ’ne Lehrerin.«
»Ich bin eine.«
»Wo denn?«
»Boston.«
Sein Gesicht hellte sich auf. »Mensch, Boston. Die haben massenhaft Verbrechen dort, stimmt’s? Mafia und so?«
Das passiert also mit Kindern in Kleinstädten, dachte Stoner. Sie wachsen auf mit dem Wunsch, der Pate zu sein. Gut, dass ich von zu Hause weggelaufen bin. In Rhode Island hätte mich leicht etwas Ähnliches erwischen können.
»Hören Sie«, sagte der Junge, »wie ist der Ozean? Ich hab noch nie ’nen Ozean gesehen.«
»Er sieht der Wüste sehr ähnlich«, sagte Gwen. »Groß, Unmengen von Himmel, nur nasser.«
»Wette, Sie gehen dauernd schwimmen, hm?«
»Nicht so oft. Der Atlantik ist ziemlich kalt.«
»Die Wüste wird kälter als das Auge einer Hure«, sagte der Junge. »Aber man kann nicht drin schwimmen. Die haben ein Schwimmbecken drüben in Winslow. Und in einigen der Motels. Aber sie lassen einen nicht drin schwimmen, wenn man nicht von da ist. Manche von den Jungs arbeiten in den Motels, bloß damit sie schwimmen gehen können. Würd ich auch machen, wenn meine Leute mich hier nicht brauchten. Wetten, ich wäre gut. Im Schwimmen. Wenn ich wüsste, wie’s geht, wetten, ich wär echt gut.« Er schaufelte Eis in einen Pappbecher und zapfte sich ein Malzbier. »Sie müssen sich echt den Grand Canyon ansehen. Der ist echt groß.«
»Das habe ich auch gehört«, sagte Gwen.
»Nein, Sie haben bestimmt nicht gehört, wie groß er ist, weil er sogar zu groß ist, um es zu sagen. So groß, dass Sie nicht mal wissen, dass er groß ist. Sie gehen am Rand entlang, einfach so, und haben das Gefühl, Sie schlendern die Hauptstraße runter, und Sie denken nicht mal drüber nach, und wenn Sie ausrutschen oder so, fallen Sie fast zwei Kilometer tief. Zwei ganze Kilometer. Das ist nicht übertrieben. Sie haben es nachgemessen. Ich hab’s im National Geographic gelesen.«
»Siehst du?«, sagte Gwen. »Wenn Ihr Kabelfernsehen hättet, hättest du den Artikel nie gelesen.«
Er sah sie an, als sei sie verrückt. »Ich hab ihn in der Schule gelesen, Lady. Meine Güte.« Er verteilte einen Klecks Eiersalat auf einem Kräcker und verschlang ihn. »Kleine Kinder rennen bis direkt an die Kante ran und lassen sich runterhängen. Das ist, weil sie nicht verstehen, wie groß er ist.«
»Hört sich gefährlich an«, sagte Stoner.
»Teufel, und wie gefährlich das ist. Ich würd mich nie an die Kante von irgendwas hängen, das so groß ist.« Er nahm sich noch einen Kräcker und garnierte ihn mit Frischkäse und Oliven. »Damit Sie ’ne Vorstellung davon bekommen, wie groß er ist, Sie können vor dem El Tovar – dem Hotel – stehen und auf ein Gewitter runtergucken. Haben Sie schon mal auf ein Gewitter runtergeguckt?«
»Nein«, sagte Gwen, »das hab ich mir irgendwie entgehen lassen.«
Er bestrich einen weiteren Kräcker mit Fleischsalat. »Sie sollten’s mal versuchen. Wird Sie bewegen. Wie lange sind Sie noch hier?«
»Ungefähr zwei Wochen«, sagte Stoner.
»Mann, in der Zeit könnten Sie den Grand Canyon zwei, vielleicht sogar dreimal sehen. Obwohl, nicht ganz. Ich wette, niemand hat ihn jemals ganz gesehen, weil er so …«
»Groß ist?«, schlug Stoner vor.
»Ja, stimmt, groß.« Er lehnte sich über die Theke und senkte die Stimme. »Da gibt’s diesen Ort, unten im Canyon. Einen geheimen Ort, versteh’n Sie? Wo die Indianer glauben, dass sie aus diesem Loch im Boden rausgekommen sind. Darum ist es ein heiliger Ort, sozusagen, und sie gehen da hin und machen Zeremonien und so ’n Zeug und lassen Sachen da für ihre Geister. Geschenke und so ’n Zeug. Mr. Begay fährt da irgendwann mal mit mir raus.«
»Wenn es geheim ist«, fragte Stoner, »woher weiß Mr. Begay dann, wo es ist?«
»Mr. Begay weiß alles, besonders über die Indianer. Da ist diese andere Stelle, die wir finden werden, oben auf der Res, aber er will mir nicht sagen, wo. Vor langer Zeit haben die Indianer da einen Riesenhaufen Zeugs vergraben. Gold und so ’n Zeug. Wir werden es finden und dann hilft er mir, für immer aus Beale rauszukommen. Mein Dad sagt, das ist ’ne Ladung Bockmist, aber er kann Mr. Begay nicht leiden, und Mr. Begay sagt sowieso, hör nicht auf ihn, er versucht nämlich, mich hier festzuhalten, und dies ist ’n freies Land, ich hab ein Recht drauf, zu versuchen, mir das Leben aufzubauen, das ich für mich selbst will.« Er grinste schüchtern. »Obwohl, Mr. Begay sagt das ein bisschen anders. Wissen Sie, wie Mr. Begay es sagt?«
»Gib mir einen Tipp«, sagte Gwen.
»Scheiß auf die Ärsche. So sagt es Mr. Begay.«
»Na ja«, sagte Gwen. »Das ist zweifellos ausdrucksstark.«
»Und poetisch«, setzte Stoner hinzu. »Ist das der Begay, der die Texaco-Tankstelle draußen in Spirit Wells hat?«
Der Junge strahlte. »Genau der. Kennen Sie ihn?«
»Wir hatten noch nicht das Vergnügen«, sagte Gwen. »Aber ich frage mich, wenn er dich aus Beale rausholen kann, warum hat er sich selbst nicht rausgeholt?«
»Keine Ahnung«, sagte der Junge nachdenklich. »Vielleicht gefällt’s ihm hier. Wo er doch zum Teil Navajo ist und so.«
Gwen sah zu Stoner hinüber. »Klingt, als ob er seiner Rasse wirklich Ehre macht. Wir sollten Stells Bestellung mitnehmen.«
»Stimmt.« Stoner wandte sich an den Jungen. »Hat Mrs. Perkins eine Bestellung durchgegeben?«
»Klar hat sie das. Ich hab schon alles fertig gemacht.« Er griff unter die Theke und wuchtete einen Karton hoch. »Wenn Sie Mrs. Perkins sehen, sagen Sie ihr, Jimmy Goodnight lässt sie grüßen. Sie ist echt ’ne Klassefrau, stimmt’s?«
»Auf jeden Fall«, sagte Stoner.
Er musterte sie. »Sie sollten hier draußen ’ne Sonnenbrille tragen. Und sich eincremen. Seh’n Sie sich das an, Sie bekommen jetzt schon ’nen Sonnenbrand. Schätze, Sie haben nicht viel Sonne drüben im Osten.«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.