Kitabı oku: «Greta und Jannis», sayfa 2

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Winter der Apfelernte

Auf den Hügel fällt am Morgen spät die Sonne. Es wird schon gleich, es weicht endlich die längste Nacht des Jahres, sie weicht aus dem Garten, dem Haus, hält sich so lange grau im Zimmer, bis überm Bett eine goldene Lampe brennt. Greta, komm auf, Tante Severine steht in der Tür. Irgendwoher, hörst du das, Geschrei, sind das wieder die Katzen. Tante Severine schüttelt den Kopf, komm auf, ich brauche dich, hebt die oberste Decke, die Daunendecke, zum offenen Fenster. Hinter Tante Severine läuft Greta durch den Gang voller Mehlsäcke in die Küche voll süßem Geruch. Durch den kalten Melkraum mit seinen Fliesen an den Wänden bis über den Boden kommen sie barfuß in den warmen Stall, Heu zwischen ihren Zehen. Tante Severines Lippen nah am Ohr, es ist wie vor Jahren, flüstert sie, als Melina, oder früher, als ich Flora fand.

Im Flechtkorb für Heu am Rücken, wo sich Haare von Steinkitzen verfangen, sitzt ein kleiner, ein kleiner Bub ist es, seufzt Tante Severine, wohl kaum ein halbes Jahr alt. Nach Flora und Melina ist es jetzt schon das dritte Kind. Greta kniet sich wie Tante Severine neben den Korb hin, legt eine Hand auf die zarte Brust. Sein Herz klopft, als wollte das Kind die ausgestreckten Ärmchen einholen, sie heimbringen. Seinen Hinterkopf gegen den Korb gedrückt, das Heu, lässt nach und nach sein Schreien nach.

Obwohl das Kind nicht mehr weint, bleibt sein Gesicht verzerrt, verzieht sich um Mund und Augen in Schüben immer wieder, seine Augenlider zucken. Auf der Ofenbank, auf Gretas Schoß schläft es beim Geruch von Lebkuchen ein. Was träumst du jetzt wohl, flüstert sie, oder träumst du gar nicht, bist du noch zu klein. Während Greta den Buben an ihrem Ringfinger nuckeln, schlafen lässt, bestreicht Tante Severine Lebkuchen mit einer dicken Schicht Butter, für einen Namen ist das Kind schon groß genug. Ein Zeichen fehle. Flora trug getrocknete Blumenköpfe in den Taschen, als sie klein und mutterseelenallein am Hof läutete, groß schaute, als wollte sie mir sagen, schau auf mich. Eingewickelt in ein Bärenfell, völlig unbeweglich lag Melina eines Tages vor der Tür, ihre Hände von Honig verklebt. Es war früher Morgen, bei beiden, bei allen dreien. So ein Name könne viel erzählen, wie das Kind zu uns kam, könne er sagen, daran anknüpfen, als wäre es sein Geburtstag, der Anfang. Ich weiß nicht, hält Greta dagegen, ist die Geburt oder ein Anfang wirklich so wichtig, sie schluckt, ich gehe jetzt die Mädchen wecken.

Auf, auf, ihr zwei Murmeltiere. Flora vergräbt sich unter ihrer Decke. Melina kriecht hervor, schaut hinab zum Reifen vor ihrem Bett. Draußen lässt sie ihn gern um ihre Hüften schwingen, bei Windwetter bleibt er in der Luft ewig lang. Habt ihr gut geschlafen, Greta schüttelt die zwei Daunendecken über den offenen Fenstern aus, heute schneit es wieder. Melina ruft, so stark wie sonst nirgends. Flora lächelt ein bisschen, wird später mehr erzählen, draußen, unterm freien Himmel. Ein Schritt vor die Tür und sie sagt alles, was sie drinnen nicht sagt oder bloß aufschreibt. Sachte greift Greta der kleinen Melina unter die Beine und Schultern. Nein, lieber huckepack heute, bitte wie im Heukorb am Rücken, bettelt das Mädchen.


Für einen einzigen Brotlaib, einen ganzen Laib Brot, Cornelio streicht mit Zeige- und Mittelfinger über seinen aufgeklebten Bart, drückt ihn fest. Sein Vater, so liest er wieder und wieder liest er es nach, vererbt ihm das große Grundstück mit allem, was dazugehört, es gehöre jetzt ihm. Gekauft um einen einzigen Brotlaib, vor mehr als einem halben Jahrhundert, bedeutet es viele Schlüssel in allen Größen in seinen Händen. Cornelio schaut aus dem Fenster hinaus, wo unter dicken Lagen Schnee allerlei Wildes wurzelt und wuchert. Durch feuchte Mauern wächst es ins Zimmer herein, über den Boden wuseln Ameisen, rot und wild auf seiner Haut. Er spürt den Wind und Winter durch Glas und Knochen ziehen. Wie um gute Miene zu machen, malt Cornelio mehr und mehr Rouge auf seine Wangen auf, lässt die Wangenknochen unter Farbe und Falten eines gespielten Lächelns versinken. Das Spiel im Spiegel mit Rouge, viel Rouge, viel Farbe, sah er bei der Frau seines Vaters, sie sagte immer, ein schönes Gesicht macht einen guten Tag, meinte damit, ein fröhliches Gesicht, glaubte, die Tage fielen leichter so, die Farben tragen uns, nicht andersrum, vor allem im Winter. Im Gebirge, wo der Frühling spät kommt, erzählte sie ihm einmal, lernte ich den Maler in deinem Vater kennen. Fröhliche Bilder von Zirkusfiguren, mit bemalten Gesichtern, gemaltem Lächeln.

Bald im Morgenlicht, bald im hügeligen Schatten von Bergen an der Morgenseite des Flusses nähert er sich auf Umwegen dem Hof, wo die Frau vom Bahnsteig, die Frau mit dem versteckten Bänkchen am Waldrand wohnt, Greta, einfach Greta, heiße sie. Ob sie nach gestern heute schon wieder mit ihm rechnet, ja sich erwartet, dass er als neuer Nachbar sich allen vorstellt, ich bin Cornelio, einfach Cornelio. Auf einmal laufen zwei drei vier große Hunde auf ihn zu und umstellen ihn. Er flucht, fuchtelt mit einer Krücke, kauert sich dann im Schnee zusammen, als wäre sein Körper so klein, als könnte er unter einem Hut Platz genug finden.

Ruhe, hört er Greta laut sagen. Sie bückt sich unter seinen Hut, küsst ihn auf die Stirn. Bilde dir nichts darauf ein, so grüßen viele Menschen im Gebirge. Ob er denn Angst vor Hunden habe. Vor nichts anderem habe ich so große Angst. Und ob er denn ihren Kuss, ist es höflich, einen Kuss zurückzugeben. Greta nickt, unbedingt, aber bloß ganz kurz, zwischen Händen an Schläfen und Wangen, wie hinter Scheuklappen, wird es für einen Moment ganz warm. Als er wieder um sich blickt, sind die Hunde fortgelaufen. Im Gesicht spürt Cornelio warme Abdrücke, Gretas Hände längst schon wieder in den Manteltaschen, ihre Lippen hinterm grauen Schal.

Je näher Cornelio und Greta dem Hof kommen, umso mehr dringt ein süßer Geruch in seine Nase. Er könnte ihn, stellt er sich vor, auf der Stirn schmecken. Über gefrorene Stufen erreichen sie eine Veranda mit einem Tisch angezuckert, einer Schaukel in leichter Bewegung, als spürte sie den Wind oder die Hand eines Kindes vor ein paar Augenblicken. In einer stillen Ecke neben der Haustür steht eine Milchkanne als Vase. An den Früchten aufgeplatzt, die an Zweigen in eine graue Lache reichen, entdeckt er ein Nest gefiederter Sporen. Sie riechen gut, wie, irgendwie wie Nelken riechen sie oder wie Kakao, eine Mischung, murmelt er, seinen Kopf tief über Zweige und Früchte gebeugt. Auf einmal flattern ihm alle Sporen weiß ins Gesicht, aus dem Augenwinkel sieht er eine fliegende Katze, sieht dahinter einen Besen in hohem Bogen in die Luft schwingen.

Wie ein Feuerwerk schießen die Blicke der alten Frau im Türrahmen durch und über Brillengläser hinweg auf Cornelio. Tante Severine, schau, unser neuer Nachbar vom Mooshäuschen beim Schloss, wir lernten uns auf der Reise aus der Stadt kennen, Greta wischt die Sporen aus seinem Gesicht, er heißt Cornelio. Ihre Fingernägel in den Besenstiel gekrallt, fragt die alte Frau, sind Sie der Vater, alt genug wären Sie schon lange, wie eine Peitsche pfeift ihr grauer Zopf von einer Schulter auf die andere. Cornelio räuspert sich, ich habe keine Familie, auch keine Kinder. Donnern würde es, schlüge dieser Zopf wie ein Blitz gegen die Wand, die Wange eines Vaters, wie ihn die Frau im Sinn hat. Cornelio langt in seinen Rucksack, also ich habe etwas mitgebracht, ein Apfelbrot, hart wie ein Stein spürt er es ins Papier gewickelt wie eingefroren, die Nacht im Häuschen wurde ihm wohl kalt, seine Entschuldigung. Als Cornelio gestern den Kachelofen absperren wollte, war schon alle Wärme verflogen, aus den Fensterlöchern fortgepfiffen. In den Zimmern drinnen Winterwind. In Decken gewickelt, fror er, wachte auf im feuchten Nebel, die Gläser angelaufen. Komm rein, Greta gibt ihm einen kleinen Stoß, bei uns taut das Früchtebrot schon auf, leiser, und du auch.

Im Zickzack windet sich Cornelio im süßen Halbdunkel um die Hunde herum, an Waagen, Packungen mit Mehl oder Zucker vorbei bleibt er vor einer Regenbogenwand aus Glas stehen, dahinter alle Kugeln in allen Farben und viele Lichter. Nimm eine Farbe aus dem Regenbogen, flüstert Greta und löst dann selbst einen Farbstreifen von der Wand ab. Durch den Spalt sichtbar nichts als Glas und Kugeln, zerbrechlich und farblos. Dahinter noch mehr aus Glas, selbst der Weihnachtsbaum in der Stube, es ist ein Glasbaum. Greta drückt sein Kinn ein Stück höher, siehst du durchs viele Glas durch. Mit großen Augen schaut er auf den lebendigen Baum draußen hinter Glas, Gläsern und Fensterglas im Freien unterm Schnee, der Baum draußen hat goldene Äpfel. Greta nickt, alle acht Jahre, immer im Winter.

Warum so viel Rouge, Greta stellt die Frage zuerst, eine Tasse Tee auf dem Tisch beim Glasbaum. Ich weiß nicht, blasse Haut, wenig Blut, er fragt zurück, warum trägt Severine so viel Rouge, mehr als ich, er nimmt einen Schluck, das ist, glaube ich, zu viel für mich. Als er die heiße Tasse abstellen will, zieht Greta sie, noch in seinen Händen, zu ihren Lippen, rückt auf der Bank ein Stück näher. Tante Severine, sie heißt für alle und immer Tante. Sie trägt nie Farbe, schon gar nicht im Gesicht. Sie hat sich ein bisschen aufgeregt, eigentlich ist sie sonst sehr blass. Bei Greta wie bei ihm ziehen sich glitzernde Fäden vom Tassenrand zu den Lippen. Tante Severine putze jeden Morgen das ganze Haus, selten gehe sie mehr als hundert Schritte weit vom Ofen weg, von den Kindern. In meinem Fall ist sie wirklich die Tante, die Großtante. Tante Severine, knüpft Cornelio an, vergesse wohl nie, den Ofen abzusperren. Das erkläre ihre Verwunderung. Greta verneint, bei einem Mann erwartet sie eigentlich nicht viel, ob Vater oder nicht, im ersten Fall fast noch weniger.

Auf einem Apfelbaumzweig hockt eine graue Krähe, will sich festhalten, festwachsen wie eine Statuette in der Stadt thront sie doch bloß für Sekunden, bis sie der Luftzug wieder und wieder verweht es die Arme, arme Krähe, sagt Cornelio. Greta teilt den verglasten Ausblick, die Krähe spielt, sie spielt bloß, mit dem Wind mischt sich ein honigblondes Mädchen, keine zehn Jahre alt, ins Bild mit Baum und Vogel. Füße in der Luft, schwebt sie um den Baum, wie beflügelt von Cornelios Krücken. Das ist unsere Melina.


Schau, ich bringe dir Tee, mit einem Löffel Windbienenhonig. Greta streckt die Tasse durch die Zaunlatten, dahinter Flora mit den Schafen und Ziegen, ein breites Stirnband über ihren verdrückten roten Locken. Gleich wie kalt, wie nass, wie nass und kalt, Flora hütet die Tiere. In allen Winternächten kommt das Vieh in den Stall, bei unter zehn Grad bleibt es den ganzen Tag dort. Nicht seinetwegen, das zottelige Fell hält auch draußen warm genug. Wegen Flora, die kein Wetter davon abhält, selbst nachts Wache zu stehen. Melinas Spieluhr geht wieder nicht. Es ärgert sie grün und blau und blau und grün, Greta atmet die kalte Luft ein, du weißt ja, Flora, sie steigt über den Zaun, für ein paar Minuten läuft die Musik, dann bricht sie wieder ab. Der neue Nachbar vom Mooshäuschen, Cornelio heißt er, versucht die Spieluhr zurechtzudrehen, im Gegenzug kriegt er seine Krücken zurück. Langsam schmelzen in Gretas Händen Schneeflocken in der weißen Wolle der Schafe an ihrer Haut. Floras Stimme hüpft, immer ein bisschen, als würde sie eigentlich singen, es gefiel mir, als Melina mit den Krücken tanzte, im Schnee versunken, die Füße in der Luft, als würde sie eigentlich, eigentlich schwebt sie dann. Greta stimmt zu, das stimmt, aber besser kein Wort zu Melina, der Lauser würde dem armen Nachbarn die Krücken wieder und wieder wegnehmen, und er braucht sie ja wirklich.

Ihre Spieluhr unterm Arm eingeklemmt, geht Melina mit den zwei schwarzgrauen Eseln rechts und links, Cornelio führt trotz Krücken den weißen Esel Gian an einem Strick auf die Weide. Gib Acht, ruft Flora dem neuen Nachbarn zu, streich ihm nicht über die Ohren, sie sind wund, er reibt sich an den Ohren immer auf. Der weiße Esel sei sehr alt schon, vor Jahren erblindet, sagt Flora, ohne sich selbst vorzustellen, seitdem geht Gian mit den Ziegen und Schafen, sie zeigen ihm die besten Flecken zum Grasen, die Krippe, wo wir sie mit Heu versorgen. Die zwei Eselinnen, seine eigenen Kinder sind es, lassen ihn nicht mehr zu sich. Aber unsere Ziegen, sie schauen gut auf ihn.

Von Greta mit einem Schneeball eiskalt erwischt, stellt Melina die Spieluhr endlich ab, zieht die Mütze über ihre Ohren wie einen Schutzschirm. Über ein paar Schafsköpfe trifft es einmal noch Flora, zweimal Cornelio, dann den alten Gian zwischen den Ziegen. Verzeih mir, alter Gian, Melina klopft dem Esel auf den Rücken, mit frischem Schnee entlang der Wirbelsäule wieder fast so weiß wie früher.

Den kleinen Buben im rechten Arm, öffnet Tante Severine mit der linken Hand das Gatter, lässt zwei Kitze auf die Weide springen. In ein paar Jahren lassen sie sie zwischen Felsen frei, höher als das Dorf, hoch oben im Gebirge. Sie hüpfen jetzt zu ihrer Amme, ihrer Ziehmutter, und zerren an den Zitzen mit Milch. Die fremden Kitze nahm die Ziege an, als wären sie die eigenen. Wären sie Hausziegen wie sie, wären sie schon ganz richtig, am rechten Ort. Das Apfelbrot, das Sie uns gebracht haben. Es ist jetzt weich, Tante Severine mustert Cornelios Gesicht, fast schon zu weich für meinen Geschmack, als er, Schnee im Nacken, neben ihr steht. Ich frage mich, was wir Ihnen schulden. Verwundert schüttelt er den Kopf, natürlich nichts, Schnee rieselt ihm den Rücken hinab, ein kalter Schauer, das war ein Gastgeschenk. Beschämt mischt sich Greta ein, weißt du, Cornelio, wir kriegen eigentlich nie solche Geschenke. Also Brot oder Kuchen, wir backen das alles selbst und verkaufen es im Dorf. Bis jetzt hatten wir niemanden als Nachbarn, sehr selten komme jemand vorbei. Gott sei Dank selten, murmelt Tante Severine so leise, dass es Gott sei Dank bloß Greta hört.

Zusammen mit Melina begleitet Greta den Nachbarn noch ein Stück des zugefrorenen Weges. Es sei eigentlich nicht gut so für ihn mit seinem Bein, ganz allein. Er winkt ab, das Alleinsein macht mir keine Angst, nicht einmal jetzt, nicht einmal so, aber, er zwinkert Melina zu, die Krücken müsst ihr mir schon lassen. Obwohl in jeder Stirnreihe die Kleinste, schafft es Melina auf Zehenspitzen, die Arme hochgestreckt, dem Nachbarn ihre Spieluhr ans Ohr zu halten. Cornelio lächelt, ist es ein Winterlied, singt ihr es auch manchmal. Melina nickt, draußen im Obstgarten, unterm Apfelbaum, damit Flora auch mitsingt, es ist ein Jahreszeitenlied, es sei vier Strophen lang, wie ein Jahr. Die Spieluhr habe Greta Melina an Weihnachten geschenkt, es war zugleich ihr Geburtstagsgeschenk. Ohne Rauschen kein Radio in den Bergen, Cornelio werde schon noch sehen, wie anders es ist als in der Stadt. Warum sie glauben, dass er, dass ich ein Städter bin. Greta hebt die Brauen, das sehen wir, du klebst dir einen Bart auf. Wieder Melina, im Dorf wachsen Bärte brustlang oder länger.

Wo der Schotter in löchrigen Asphalt übergeht, biegt Greta auf den Weg in den Wald ab, bittet Melina, richte bitte Tante Severine aus, dass ich im Dorf noch Zimt besorge. Verborgen ist das Bänkchen, die Zeit dort, außer für die Mädchen, den Nachbarn, Greta. Melina spaziert ein weiteres Stück weit mit Cornelio, umarmt ihn zum Abschied, wie Greta ein kurzer Blick über die Schulter verrät. Wie oft, wenn sie sich freut, wackelt das Mädchen mit den Ellbogen, die Unterarme an ihre Brust geklemmt. Es gibt wenige, so gut wie keine Männer in ihrem Leben, keinen Vater, Onkel. So hat es auch sein Gutes, ist Tante Severine überzeugt, bei dir war es doch ganz gleich. Anders war es, es gab Jannis.

An das Bänkchen gelehnt, merkt Greta, wie ihre Lider schwer werden. Natürlich kommt Jannis nicht. Warum wartet, erwarte sie, dass er dasitzt, verschneit, wenn sie kommt. Ihre Finger in den Schnee bis zu den Holzlatten getaucht, öffnet Greta ihre Augen. Rauch in der Luft wie von einer Dampflok, einer Reise von dort nach da, da wären sie, Greta und Jannis, Jannis und Greta. Vom Himmel auf den Grund segelt sie mit Blicken einer Feder nach, hebt sie hoch, ehe sie schwer landet. Ihre Zweige mehr um einen Mittelpunkt als um eine Achse angeordnet, erinnert die Feder an einen Blumenkopf. Die Blüten, stellt sich Greta vor, machten sich gut auf dem Hut des Nachbarn. Sorgfältig heftet sie sich die Feder hinters Ohr, an die Stelle, wo Jannis vor Jahren, Jannis, was machst du da. Er lege Küsse für sie für später bereit, erklärte er, wenn wir erwachsen sind, uns nicht mehr jeden Tag sehen. Ob er wisse, wie sich das anfühle. Wie Käfer, kleine Käfer überall, fühlt sich das an, oder.

Wenn es anfängt zu schneien, zum ersten Mal im Jahr, empfinden die Flocken die Formen der Gräser und Steine nach. Annähernd so gründlich wie der Reif, der vom Größten bis ins Kleinste alles nachzieht, von allen Seiten, Spitzen und Kanten verhärtet. Wenn viel, lange und länger Schnee fällt, sind Steine und Gräser irgendwann überformt, sammelt, zeichnet die Wiese alle Stapfen überdeutlich aus. Von Cornelios Haus, dem alten Mooshäuschen, wo es in den Zimmern dunkel ist, führt im Licht der letzten Straßenlaterne eine frische Spur zum Schloss. Zögerlich schlüpft Greta in die Abdrücke der Stiefel. Gesäumt von Löchern, wohl von Krücken, wandert sie den steilen Hügel hinauf. Niemals mit Schlüssel verschlossen steht das Tor in den Schlossgarten einen Spalt weit offen, ein Stück weiter als sonst.


Also ich schaute mich bloß um, erklärt sich Cornelio, auf die Steinmauer gestützt, ein bisschen heiser. Seinen Arm, sein Bein streifend bückt sich Greta hinab, schaut, wo ein großer Stein fehlt, hinaus zum See, weißt du, der Schlossherr starb vor einer Weile, sowieso war er nie da. Früher verbrachte seine Frau mit ihrem Kind im Gebirge den Winter, und ein paar Tage im Frühling und Herbst war sie allein da. Die Fensterläden auf der Ostseite seien, einer nach dem anderen, aufgeflogen, am Abend, sagte mir Tante Severine, habe lange das Licht in vielen Zimmern gebrannt. Cornelio lächelt, hell bis spät in die Nacht, bis zum Morgen, das leuchtet ihm ein. Ob die Frau bei Licht geschlafen hat, wer weiß, vielleicht hatte ja ihr Kind Angst im Dunkeln oder sie selbst, fährt Greta fort, ohne sich zu Cornelio umzudrehen. Niemals sei es finster gewesen, als Tante Severine vom Hof wie zum vollen Mond hinaufschaute, nie, ganz gleich, wie spät oder wie früh, sei es hell im Schloss gewesen.

Dichter werdende Vorhänge aus Schneeflocken ziehen sich über ihren Köpfen zu. Greta löst ihre kalte Wange vom Stein, kommt mit weißen Schulterpolstern wieder in Augenhöhe, wir müssen unters Dach. Verfroren stimmt Cornelio zu, geht voraus. Sie hält ihn zurück, nicht bloß unters Vordach, dort findet uns der Wind, einmal in den Bergen, schaffe er es durch alle Spalten, in jeden Ritz, überallhin, wie Wasser, Schnee. An Orten, wo die Sonne Wochen, Monate lang nicht hinlangt, einen ganzen Winter lang nicht, rüttle der Wind im Gebirge.

Seine Locken wie wehende Wipfel in aller Herren Lüfte, sein Bart wie ein totes Blatt verweht, fragt er, sag, welches Dach meinst du. Mit den Krücken zeichnet Cornelio wie in einem weißen Meer Wellen im Wind von überallher. Ob er über seinem Kopf, schau, mit Vögeln bemalte Fensterläden sehe, unterhalb ein Spalierobstgerüst, es sei aus Metall, wohl zur Zierde, für uns ist es eine Leiter jetzt. Hinter den Läden gibt es keine Fenster, fast wie in deinem Mooshäuschen. Greta schüttelt den Schnee von ihren Kleidern, zerdrückt ihn auf ihrer Nasenspitze, jetzt bin ich, glaube ich, leicht genug, die Sprossen hochzuklettern fällt ihr gar nicht mehr schwer. Ihren Arm mit kalter Luft von oben zwängt sie unter die Fensterläden, da ist ein Haken, gleich habe ich ihn. Zwitschernd schwingen die Vogelläden auf.

Mit einer echten Feder, glanzvoll, winkt Greta zu ihm herab. Mir kommt vor, du bist geflogen, so schnell, wie du oben warst, er strahlt verwundert. Sie schickt die Feder zu ihm in die Tiefe, für deinen Hut, jetzt du. Ehe er sichs versieht, reißt ihm der Wind die Feder aus der Hand, wie soll ich das anstellen. Schau mich an, mein Bein ist steif. Greta zuckt mit den Schultern, du hast ja die Vogelfeder, und verschwindet hinter den zugeschlagenen Fensterläden. Sachte fischt er die Feder aus dem Schnee, als würde er aus fester Erde eine Blume mit Wurzel, ohne die Wurzel pflücken. Er steckt sie unter die Hutkrempe hinters Ohr und hat, während sich an seiner Haut der Stiel wärmt, Schnee schmilzt, gleich ein paar Töne im Kopf. Ohne Gretas Blicke zieht Cornelio aus seiner Tasche den großen Bund mit Schlüsseln, probiert bei der ersten Tür ein paar Schlüssel durch, bis der feinste mit unendlich vielen Zacken passt. Zwei vier acht Mal dreht er ihn im Schloss durch, dann knarzt es und die Tür ist offen. Mit einem Schneewirbel im Rücken stolpert er vom Vordach unters Dach, in ein Zimmer ohne Fenster. Mit Lampen unter Stoffschirmen ist es alles andere als dunkel.

Als ob er auf Moos wandern würde, wird jeder seiner Schritte im Schloss gedämpft, sind bloß von oben Klopfgeräusche zu hören, so regelmäßig wie das Pendeln einer Uhr. Über Teppiche steigt er langsam die Treppen hoch, vorbei an den Zirkusbildern. Rahmen an Rahmen verkleiden sie wie eine lebendig frohe Tapete die Wände bis zur Decke. Ein breites Fenster zeigt ihm sein Mooshäuschen am Ufer, den kleinen Bergsee, zu dem er bald laufen wird, ohne Verband rundherum, wird er im Frühling bis zur Kugel mitten im See schwimmen. Der Spiegel von Kugel und Wasser fängt alles ein, seine großen Augen, die spitze Nase wie rund, andere Gesichter, die gespiegelt mit seinem Lächeln spielen und mit seiner Nase, seinen Augen.

Ein Zimmer nach dem anderen durchstreift er, berührt mit den Fingerspitzen, Handflächen die samtigen Möbel, Stoffe in allen Farben, keiner so weich wie der Boden, den er durch seine Stiefel hindurch spürt. Kaum etwas sagt ihm etwas, nichts verraten die Figuren und Vasen, die jeden noch so großen Saal voll machen, im Licht vieler Lampen. So viele, dass es hell ist, es darf niemals dunkel sein und still, schon gar nicht still. Das leise Klopfen im Takt wird hinter seinem Rücken lauter. Auf einmal hört es auf. Cornelio dreht sich um und schaut Greta ins Gesicht, was machst du da. Eigentlich müsse sie ihn das fragen. Ob er also doch hochgeklettert sei, durch welche Türen er sie überholt habe. Ich streue Kieselsteine, erklärt sie dann, damit ich wieder zurückfinde. Sich in diesen bunten Zimmern zu verlieren, es geht schnell. Für ein Zimmer genügen die Steine in meiner Tasche noch. Cornelio schüttelt den Kopf, du gehst ja barfuß, ist dir nicht kalt. Ihre Zehen trippeln, natürlich. Aber denk daran, Cornelio, es ist nicht mein Schloss. Wenn es so wäre, dann wäre sie, dann würde ich erst recht barfuß gehen, nach einer Pause, komm, zieh deine Stiefel aus, stell sie neben dem Steinmännchen ab.

Auf bloßen Sohlen folgt er Greta in ein kleines Zimmer mit Schreibtisch, darauf Briefpapier, farbig bedruckt, die dicken Vorhänge offen. Zwischen seinen bloßen Fingern befühlt Cornelio das raue Papier, wo die Tinte, wie er weiß, wie ein Gewächs grünblau ausfranst, wenn er, pass auf, sagte sein Vater immer, Papier ist wertvoll, verschwende es nicht. In seinem ganzen Leben habe er noch keine zehn Briefe verfasst. Auch Greta sei keine Briefeschreiberin mehr, ich war es einmal, ein bisschen, sie runzelt die Stirn, inzwischen hat Flora fast alle Post übernommen. Makellos ahmt Flora meine schiefe Schrift nach. Cornelio lächelt, bring ihr ein paar Blätter mit, es wird bei dem Haufen sicher kein Blatt mehr vermisst. Es wäre ein ungeschriebener Brief weniger auf dem Tisch.

Auf Zehenspitzen zieht Greta einen Kreis um ihn herum im moosigen Teppich, tanzen wir, Jannis, sie räuspert sich, Cornelio, meine ich. Was meinst du, wie die Zirkusfiguren auf den Bildern. Er zieht den Hut. Sie nimmt ihm die Krücken ab, nimmt seine Hände, hält sie fest. Langsam drehen sie sich, um sich selbst, rundherum, schnell und schneller halten sie sich beide auf dem Boden liegend wieder, als würden sie noch tanzen. Alles in Ordnung bei dir, deinem Bein. Dann streicht sie ihm die Locken aus dem Gesicht, ohne Bart ist es besser, und küsst ihn wieder wie ein Kind auf die Stirn, gehen wir die kleinen Kieselsteine einsammeln, es seien, es sind genau einhundert. Die großen Steine, die Männchen bleiben. So weiß ich, wo ich schon war.


Als dränge der Winternebel vom Tal herauf zwischen die vier Wände in die Küche herein, hat sie noch immer kalt an den Füßen. Während Greta den Teig auswallt, fährt Flora wortlos die Falten ihrer Bluse entlang, zerknittert, als hätte sie eine Kuh im Maul gehabt. Greta hält inne, das hat sie bei Jannis auch gemacht, als er noch studierte, keiner seiner Kittel gebügelt, glatt war, viel zu viel Aufwand, wozu. Wozu überhaupt studieren. In den Hörsälen und Laboren, dort lerne ich nicht, was ich brauche, sagte Jannis. Die Tiere werden zuerst aus der Natur, dann durch Herz und Nieren geschnitten, in den Laboren, dort lerne ich nichts mehr, ich muss ins Freie, gehen wir hinaus, oder, den weißen Kittel um ihre Schultern gelegt, schlaf mit mir, Greta. Rund ein Jahr später, alle seine Kittel bei neunzig Grad gewaschen, gebügelt, gestärkt, beendete er das Studium, ohne viel vom Leben zu wissen. Oder von der Liebe, das meine ich ernst, Greta. Herbstnebel bis zum Hals, als er heiratete, waren ihre Füße fast unsichtbar.

Mit dunkler Schokolade kleben sie die Lebkuchenteile zusammen, mit einem Spritzsack trägt Flora die Ziermuster auf. Auf das Dach und neben das Hexenhäuschen steckt Melina lustlos ein paar Zimtsterne und Mandeln, mir ist so schlecht. Greta seufzt, es wundert mich nicht, Melina, vorm Backen habe sie fast alle Fensterläden aufgegessen, und den halben Schornstein. Auf die Fensterläden, die übrig sind, spritzt Flora Vögel auf, als wüsste sie, wo Greta war, schon wieder, als wäre es ihr Schloss, klettert sie dort ein und aus.

Sachte macht Greta zuerst eine Schublade auf, dann eine Zündholzschachtel, darin Figuren, die übrig sind, Schwester und Bruder, eine graue Katze. Sag, Tante Severine, wo ist die Hexe hin. Die alte Frau schüttelte den Kopf, eine Hexe, damit die Eltern aus dem Schneider sind. Da spiele ich nicht mit.

Auf Cornelios Fragen, woher Flora und Melina, ja, der kleine Bub, wie, warum auf den Hof, wusste Greta keine Antwort. Von den Kindern am Hof lässt sich nicht wirklich sagen, dass sie sich verlaufen haben. Die Eltern brachten sie her, aus dem Dorf den Hang zum Hof hinauf, stellt sich Greta vor. Weil sie zu spät oder nie laufen lernten, ohne Grund schrien, auf einmal keinen Ton mehr von sich gaben, meint Tante Severine, weil es ihnen an Kraft und Ausdruck fehlte. Auf eine Art und Weise haben sie sich doch verlaufen. Flora und Melina wissen nicht, wo ihr Daheim war, und finden nicht mehr zurück, sie sind jetzt am Hof daheim. Tante Severine glaubt, bei unserem Buben wird es ganz gleich, nicht viel anders sein. Nennen wir ihn Chaspar, das ist ein guter Name für das Kind. Im Steinwildkorb im Stroh habe sie einen goldenen Chaspar gefunden. Chaspar heißt Luchsstein, es heißt, so ein Stein entstehe, wenn Luchse ihren Urin mit Erde bedecken. Vielleicht haben ihm die Eltern den Stein zugesteckt, zum Abschied, wer weiß, oder ein Luchs war bei ihm auf der Reise. Ob Tante Severine denn, hakte Greta nach, glaubt, der Bub sei wie ein Steinkitz im Korb über die Berge getragen worden. Wer weiß, jedenfalls steht seitdem ein Korb mehr in unserem Stall oder täusche ich mich.

Über die Jahre durch viele warme Kinderhände gereicht, verhüllen die Gesichter der Figuren vom Lebkuchenhaus, wer der Bruder, wer die Schwester ist, ob sie verwundert, erschrocken sind, lachen oder weinen, wie sie da an den Zimtstern gelehnt stehen, ihre Füße abgebrochen, versteckt im Schneeeiweiß.

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