Kitabı oku: «Greta und Jannis», sayfa 3

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Vor acht Jahren

Außer Atem lässt Greta sich auf die Bank neben dem Grenzstein fallen, komm, mach die Packung auf, Jannis. Den weiten Weg über den Berg geschmuggelt scheint jede der Zigaretten zu lang, kein Zug so kurz, dass sie nicht husten müssten, sie husten nach jedem Zug, jetzt du. Nein du, Greta. Nach der Hälfte zerstampfen sie die Zigarette. Verschnaufen kurz, es ist noch weit bis ganz zurück zu ihren Ziegen, zu seinen Schafen, ein weiter Weg, aber ich bekomme so schlecht Luft. Gretas aufgeraute Stimme, selbst schuld, wir sind selbst schuld. Wir haben zu viel auf einmal geraucht.

Unter einem großen Schwarm schwarzgrauer Vögel steigt sie mit Jannis durch den lichten Wald hinab zu den Weiden. Das sind Bergdohlen da oben, sie ziehen die Konturen der Felsen nach, erklärt er, schau. Schreiend stürzen die Vögel in die Tiefe und fangen sich gleich wieder für eine Zeichnung des hohen Gipfels, wir brauchen eine Stunde, die Bergdohlen keine Minute. Greta nickt, sie fliegen mit dem Wind, wir gehen, wo es geht, vom Wind geschützt. Ob er das auch höre, sie packt Jannis am Arm, sind das deine Schafe, Jannis, hörst du das Blöken. Er zeigt hinunter, ich glaube, es ist ein Mutterschaf, es muss ein Lamm verloren haben. Kreuz und quer laufen Greta und Jannis den Berg hinab, ohne Pfad, mit dem Wind, jetzt spüre ich ihn auch, Jannis. Als wären sie federleicht, erreichen sie scheinbar mühelos die Weiden mit ihren Herden. Sie sehen, wie das Mutterschaf blökend von Wiesenkuppe zu Wiesenkuppe hastet. Bei jeder Rast hängen drei Lämmer an ihren Zitzen, aber sie sucht das vierte, es ist die Mutter mit den vier Jungen.

Zur rechten Zeit am rechten Ort gefehlt, schließen sich Greta und Jannis der Suche an, beschließen nach der ersten die zweite Weide, die vor allem Gretas Ziegen versorgt, von oben bis unten abzulaufen. Murmeltierpfiffe machen Jannis nervös, vielleicht sei das Lamm abgestürzt, und der Adler. Greta will beschwichtigen, wir finden es, stolpert tapfer einen Steilhang hinab, stolpert wieder, verliert ihr Gleichgewicht. Wütend strampelt sie am Waldboden mit ihren Beinen, ihre Knie aufgeschlagen an ein paar Kieselsteinen, obwohl ganz rund, glatt, es wären eigentlich Steine für Jannis’ Sammlung.

Voll mit Dreck, feuchter Erde, zerrissenem Gras klammert sich Greta an Jannis, der sie hinter sich hinaufzieht, ich bin so ein Rindvieh, es tut mir leid. Zurück auf der Weide kein Blöken mehr, vor ihnen das Schaf mit ein zwei drei vier Jungen, es sind vier, zum Glück, Jannis lacht, Greta, ich bin auch ein Rindvieh, zum Glück ist nichts passiert. Von ihrer zerkratzten Haut, den verfilzten Haaren löst sich die Schmutzkruste wie von selbst vom Kleid im kalten Bach in den Bergsee auf. Hinter ihr reibt Jannis die Grasflecken von den Kieselsteinen. Auf einmal spürt sie seine Hand an ihren Schulterblättern, wie seine Finger ein Blatt von ihrem Nacken zupfen, lass das, Jannis. Hängst du mein Kleid in den Wind, dann trockne es mit dem Wind, spiele wie die Vögel, dann ist es früher als morgen staubtrocken.

Am Abend beim Feuer bringt sie keinen Ton aus ihrer Blockflöte, mir geht die Luft aus. Die Lehrerin wird mich fortschicken, schon letztes Mal sagte sie „Greta, mach doch bitte Platz für Kinder, die fleißiger üben als du“. Mir ist es gleich, ich brauche die Luft sowieso für anderes, das ist mein Trost, sie gibt Jannis die halbe Zigarette, umspielt sie nach ihm wieder selbst mit ihrer Zunge. Sie schmeckt anders danach.


Sei bitte leise, Jannis, ich mag auf die Gerüche achten, es rieche immer so gut im Frühling. Auch keine Zeichen, bitte Jannis, das wäre ja das Gleiche, irgendwie sei das ja wie reden. Einmal werde sie inmitten von Lavendelfeldern für ihre Mutter einen Geruch erfinden, ein Parfüm, das ausdrücklich bloß zu ihr passt. Greta hebt ihr Kinn und forscht die Duftnoten der harzigen Zirben aus. Mit geschlossenen Augen hört sie in ihren Kopf und Körper hinein, in ihren Traum von letzter Nacht. Fröhliche Töne für ihre Ziegen aus der Blockflöte, Greta spielte sie ganz aufgeregt. Wie von selbst schloff ihr die Flöte aus den zittrigen Händen, glitt zwischen ihre Beine, schwang in einem Atemzug durch Bauch und Brust hoch über ihren Mund ins Freie, mit Tönen, die anders klangen. Sag, was summst du da, Greta, Jannis drückt seine Hände zu Fäusten gegen seine Stirn, das ist das Jahreszeitenlied, richtig, mein Locklied für die Schafe, Jannis seufzt, nicht dass uns diese Lauser jetzt ins Dorf nachlaufen, wo sie die Herden doch gerade erst auf die Weiden getrieben haben.

Statt Gemecker tönen tiefe Stimmen einer großen Rinderherde zu ihnen. Es sind viele Kühe mit Kälbern, das hättest du riechen müssen, Greta. Bleich wie ein Leintuch schlägt sie vor, das Vieh zu überholen, sich die Böschung über der Schotterstraße entlangzuhangeln. Sie sei die Ältere, ich gehe vor, Jannis kommt ihr nach. An den kahlen Ästen unterhalb der grünen Blätter der Büsche zwängen sie sich oberhalb der Straße mit den Rindern vorbei. Endlich haben sie wieder Schotter unter den Füßen, die Kühe hinter sich, die haben wir hinter uns, Jannis von den Wangen bis zu den Schläfen rot. Erleichtert biegen sie um die Ecke, erschrecken vor noch mehr Muttertieren, wir sind eingeschlossen, zwischen Rindern, Greta noch immer blass, Jannis rot, das sieht nicht gut aus. Wäre das Bachbett nicht voll, voller Schmelzwasser, ganz gleich, wir sind nicht aus Zucker, unterbricht sie ihn. Ihre Schuhe samt Socken an den Rucksackriemen befestigt, waten sie durch den Bach. Mit spitzem Kopf dringt das kalte Wasser in alle Felsritzen, zwischen ihren Zehen stichelt es wie Nadeln.

Gut seid ihr meinen Kühen ausgewichen. Obwohl nicht so gewandt wie ein Steinbock, bemerkt der junge Kuhhirte, ein paar Jahre älter als sie. Als Greta und Jannis auf seiner Höhe zur Schotterstraße zurückkommen, sind sie bis zu den Knien herauf nass. Das wirst du wissen, sagt Greta, in deinem ganzen Leben hast du noch keinen Steinbock in diesen Bergen gesehen. Da habe sie schon recht, wie denn auch, in unseren Bergen sind die Steinböcke ja ausgestorben. Über der Grenze, in einem königlichen Jagdgebiet habe aber eine Steinwildkolonie überlebt, geschützt von Wildhütern, die früher Wilderer waren. Dort war ich schon, da seid ihr noch in Windeln gelegen. Jagen darf dort bloß der König. Greta wundert sich, dass, also wo Jannis und ich Zigaretten kauften, im Grenzland, dort gibt es noch Steinwild, stimmt das, ist das wahr. Der Kuhhirte nickt, im Frühjahr kommen die Böcke tief herab ins Tal, hungrig vom Winter, ein paar Wochen später steigen sie wieder in die Höhe. Manchmal bleiben Hörner zurück, wie tote Äste im Geröll. Wirklich, ihr könnt mir glauben.

Als sich ihre Wege trennen, streicht er über Gretas Nacken, trippelt mit seinen Fingern ihre Wirbelsäule entlang, dein kleiner Bruder hat dir die Knöpfe nicht zugemacht. Greta stößt ihn weg, lass das, er ist nicht mein Bruder und mein Kleid hat keine Knöpfe. Komm, wir gehen, Jannis.


Am beißenden Geruch verwesender Tiere weiß Greta, dass sie bald daheim ist. Bei mir, sagt Jannis, sind es die verbrannten Fliegen, die er mit Daheim verbinde, verschmolzen mit der Glühbirne der Stehlampe. Jeden Abend bleiben mehrere Fliegen dort kleben, vom Totengeruch lässt sich keine abschrecken, fährt Jannis fort. Ist es so weit, ist es zu spät, reiß das Fenster auf, ruft mein Vater dann, das Licht aus. Greta nickt, bei mir hilft bloß Fenster zu, damit der Gestank von den Bahngleisen draußen bleibt. Ist die Verwesung schon so weit, sei es für Mutter und sie längst zu spät, den überfahrenen Wieseln und Dachsen zu helfen. Manchmal zünden sie eine Kerze an, für das Lebewesen, das es war. Eure Lampe hätte Mutter schon längst entsorgt. Aber ich weiß, dein Vater ist da anders.

Jeder tote Vogel, Frosch oder Igel verlangt ein Gebet, aus Mitgefühl, glaubt Gretas Mutter, aus Respekt. Manchmal kauft sie am Freitag am Wochenmarkt alle Flusskrebse aus den Kübeln, lässt sie im wilden Gebirgsbach frei. An einer Engstelle ein paar Meter weiter wartet der Koch vom Dorfgasthaus, er weiß gut, Freitag ist ein guter Tag, ein Fangtag. Greta weiß es auch, schau, dass du wegkommst, aber es bringt nichts. Auch hat es keinen Wert, Mutter abzubringen. Siehst du, Greta, die Krebse freuen sich. Wie kann ich das sehen, erwiderte Greta, ich bin ja kein Flusskrebs und du auch nicht. Mutter spazierte ein paar Schritte am Ufer, ich weiß es, zitierte sie ihr Lieblingsbuch, aus der Freude, mit der ich am Bach entlangwandere.

Sorgfältig putzt Greta ihre Schuhe an der Fußmatte ab, ihren Traum, den sie Mutter nicht erzählen wird, er haftet noch am ganzen Körper. Auf der Schwelle steht ein Teller Essensreste, für Häuschenschnecken, sie schützen das Haus. Mutter nimmt sie an der Hand, ihr habt lange gebraucht, du und Jannis. Geht es unseren Ziegen gut und Jannis’ Schafen, und auch der Schafsmutter mit den vielen Lämmern. Greta nickt, weißt du, die leibliche Mutter ist ja gestorben, ein anderes Schaf hat die vier Lämmer angenommen. Welche sei jetzt eigentlich die richtige Mutter. Beide sind es. Es gibt Omelett mit Käse und Schnittlauch, nach dem Rezept einer Tante, deiner Großtante Severine, sie würde darauf bestehen, dass Greta sie „Tante“ nennt. Greta schaut auf, wie war sie damals, als ihr zu zweit am Hof gelebt habt, wart ihr wie wir zwei. Sehr streng zu mir als Kind, fängt Mutter an zu erzählen, offene, wilde Haare seien Tante Severine Dornen im Auge gewesen, „ich sehe, du hast wieder deinen Haarreifen verloren, Mädchen, oder gibt es so etwas heute nicht mehr“, sagte sie dann immer, undschau mir in die Augen, wenn du mit mir redest“. Da wären wir wieder bei den Haaren. Mutter schiebt Greta eine dünne Strähne hinters Ohr, erzähl, was gibt es bei dir. Greta kann ihrem Blick nicht mehr ausweichen, sie möchte, ich möchte mit der Schule aufhören. Sie möchte, ich möchte eine Lehre machen, ein Parfüm erfinden, ein Parfüm für Mutter, denkt sie bei sich. Sag nicht, Greta lässt die Strähne zurück ins Gesicht fallen, das hat keinen Nutzen, das ist bloß Gestrüpp in meinem Kopf. Ich wünsche mir das ganz fest, meine Nase ist so fein, ich rieche alles so gut, das weißt du.

Mit der Kerze leuchtet Mutter durchs offene Fenster hinaus in den Garten, du weißt, Greta, mir gefällt Gestrüpp. Schon Jahre habe der Rosenstrauch draußen kaum Blüten, keine Hagebutten mehr, vielleicht nächsten Herbst, rotes Leuchten, süße Marmelade mit Apfelmost. Und wenn nicht, nie mehr, sie zuckt mit den Schultern, braucht es uns auch nicht zu bekümmern. Seine Blätter sind jedenfalls eine Zierde.


Also, in vier Wochen sind Heuferien, in acht Wochen ist mein letzter Schultag, Greta zwickt Jannis in den Arm, was sagst du, sag etwas, Jannis. Er bückt sich, liest vom erdigen Boden vor der Schule einen Stein auf, befühlt ihn, ob er an allen Seiten abgeschliffen, ist er auch wirklich rundum glatt. Dann sackt er ihn ein, in seinem Rucksack schon so viel, wie viel denn noch, Jannis. Es kann nie genug sein. Auf dem großen Küchentisch daheim werde er am Nachmittag die Steine, die gepflückten Frühlingsblumen in bunten Reihen auflegen. Einzig die Käfer, sie halten nicht still, einfrieren müsste ich sie, so behielten sie auch ihre Farbe, murmelt Jannis vor sich hin. Manchmal hat Greta das Gefühl, als sei er tief im Gespräch versunken, aber nicht mit mir, mit allem rundherum, Blättern, Steinen, mit allem, was nichts fragt. Es heißt, der erste Kuss tut eine neue Welt auf, ob ihm denn kein Mädchen in der Klasse gefalle, ich glaube, nein, ich weiß, es kitzelt beim ersten Mal ein bisschen. Jannis stutzt, gehst du dann weg, Greta, nach den acht Wochen, also weg aus dem Dorf. Sie schüttelt den Kopf, wir müssen zuerst sparen, es kostet viel, die Ausbildung, allein schon die Reise zu den Lavendelfeldern. Die nächsten paar Jahre arbeite ich bei Mutter in der Bäckerei, das ist auch eine Geruchslehre und viel mehr. Jannis stellt seinen Rucksack voller Steine auf den Boden, lächelt, ich freue mich auf den Lebkuchen von dir. Ein Hexenhäuschen im Schaufenster an Weihnachten stelle er sich vor, er würde alle Münzen vom Jahr zusammenkratzen, am Ladentisch jede einzelne aus seiner Geldbörse herauszählen. Als wären sie Gold wert, das wären sie ja wirklich. Alle Münzen zusammen und mehr, überlegt Greta, bedeuten endlich einen Geruch für Mutter.

Auf dem Weg zum Badeweiher erspähen Greta und Jannis den Kuhhirten, schon wieder der. Wo dem Weiher der Bach ins Dorf entwischt, baut der junge Mann einen Damm, aus Steinen viele Male so groß wie der wunderliche Haufen in Jannis’ Rucksack, und viel schwerer noch. Mit einem Anlauf bloß schafft es Greta nach zwei Sprüngen auf die höchste Stelle in der Mitte, wie eine Steingeiß, da sagt ihr nichts mehr, ihre Arme hat sie stolz in die Seiten gestützt. Seinen Ellbogen am Felsen vernarbt, den Kopf in seine Hand gelegt, nickt der Kuhhirte, ich bin beeindruckt.

Ein paar Ecken weiter, beziehen Greta und Jannis ihren Strandfleck, immer frei, manchmal unter Wasser. Ihnen beiden ist ein schmaler Streifen breit genug. Ob sie sich mitten da in der Sonne umziehen müsse, fragt Jannis, wir sind heute nicht allein, er zeigt zum Damm, versucht Greta an ihrem Arm hinter ein paar schattige Bäume zu ziehen. Mir ist das gleich, Jannis, sie zieht ihre weiße Unterhose aus, schlüpft dann in ihr grün getupftes Badekleid, er kann mir nichts wegschauen. Ich mag mich nicht verstecken, du ziehst dich ja auch überall um und ich mich früher auch. Eigentlich, sie streift die schmalen Träger über ihre Schultern, den ausgebleichten Stoff bis zu ihren Knöcheln ab, steigt hinaus ins Wasser, eigentlich mag ich auch nackt schwimmen, und wirft ihr Badekleid in den staubigen Kies.

Ist es so, weil es noch kalt ist im Frühlingswasser, sind Jannis’ Lippen deshalb so, ein Anstrich Brombeer auf Ober- und Unterlippe ein Schimmern, blau, violett, sie gefallen mir so, Jannis. Was er nicht gern hört, ich bin kein Mädchen, Greta, er taucht tief unter. Jannis, was soll das heißen. Er schwimmt ans Ufer. Was haben Brombeerlippen damit zu tun, ruft sie ihm nach.


Die Bewegungen ihrer Beine scheinen Greta unter Wasser wunderlich abgerundet, fließend, kräftig, als hätte sie die Last des Winters auf ihren abgetauchten Schultern, auf Zehenspitzen, die gegengleich zwischen Luft und See pendeln. Ihre Arme kreisen neben und unter ihrer Brust. Mit offenen Augen mustert sie die langen Lichtstrahlen unter der Oberfläche wie riesige Seesterne, blickdurchlässig, selbst Licht. Greta verschließt die Augen, nimmt wahr, wie sich die Strahlen wie Fühler an ihre Haut heften, in ihren Haaren verhaken. Wie sie innen an den Beinen entlangfahren wie warme Schauer vom Grund an die Oberfläche, gegen die Schwerkraft.

Eine Hand zieht sie an die Stelle, wo sich See und kälteres Grundwasser vermischen, Nebel aufsteigt, kalkweiß, weiß wie ein Leintuch. Ich zeig dir etwas, er zieht sie weiter ins seichte Wasser, einen Winkel bloß, uneinsichtig. Sie hält ihn zurück, legt dann ihre Hände auf seine Hände, sie falten ihre Schamlippen auf, lassen ein zwei drei Finger eintauchen. Wirklich, noch ein Finger. Wieder nickt sie, hält sein Handgelenk, das sich mit ihren Hüften bewegt. Dann liegen beide, ihre vier Hände um ihren Bauch sag mir jetzt nicht, dass es weh tun könnte. Er sagt bloß, halt dich fest, später, spann deine Muskeln an.

Wie zwei Nadelfische stechen sie in See und durch warme und kalte Strömungen zum Ufer mit Gretas Kleidern. Keine Spur von Jannis. Dein Bruder ließ ein paar Steine übers Wasser hüpfen, mit ihren Wellen bin ich losgeschwommen, dann war er weg. Zum zweiten Mal knöpft Greta ihre Bluse zu, vertut sich wieder in der Knopfleiste, du weißt, dass er nicht mein Bruder ist. Der Kuhhirte räuspert sich, sagen wir es einmal so, es ist mir aufgefallen. So vernarrt wie er in dich ist. Ist er das, sind sie verliebt, meinst du wirklich, aber er hat nie etwas gesagt. Warum habe sie dann gerade mit ihm geschlafen, mit dir, das ist mein erstes Mal. Lust, und ich war, wie heißt es, vor ihm gerüstet. Glaub mir, es war kein Fehler, er öffnet einen Knopf, reibt mit seinem Daumenballen über ihre Brustwarze, erklär ihm, er soll dich zuerst streicheln, zeig ihm, wie er dir mit seinem ganzen Körper nahekommt. Greta geht in die Knie, zieht den Mann zu sich herab, die Lust macht etwas mit mir. Obwohl er glaube, dass du jetzt bloß den Buben mit den Locken im Sinn hast, legt er sich über sie, mit dem ganzen Gewicht, das nicht leichter sein könnte, legen sie sich ineinander. Ohne Deckung, keine Blicke, es wird schon dunkel, Abend und nächtlich. Hinter ihren Lidern schwarz bloß, das schöne All der Töne fehlt und Farben, bloß schwarz, Summen, keine Melodie. Sie erschrickt, war es das, ist das alles.

Es komme ihr nicht richtig vor, das zu sagen, setzt Greta an, aber danke, dass du mir gezeigt hast, wie, du weißt schon. Der Kuhhirte lässt sie auf dem Weg überholen, schon recht, einen Teil vom Sommer werde er wieder neben seinen Kühen ihre Ziegen und Jannis’ Schafe hüten, komm gerne vorbei, wenn du etwas lernen magst. Sie schüttelt den Kopf. Auf ihrem Heimweg allein tut es ein bisschen weh, unter ihren bloßen Sohlen die Kieselsteine, in ihren Händen der makellose Stein, den Jannis liegen ließ. Greta fragt sich, ob Jannis wirklich verliebt in sie ist. Ob sie sich die Küsse zwischen ihnen in der Luft nicht bloß einbildete wie Schneeflocken. An einem winterkalten Tag hatte ihr Jannis vor der Haustür zweimal gute Nacht gesagt, dazwischen eine stille Pause und danach. Bis sie die Stille auflöste, also bis morgen, Jannis. Als erlöste sie ihn, sich selbst, kam es ihr damals vor.


Eine eingezäunte Unordnung, und sei es eine eingezäunte Ordnung, was hätten wir davon. Mutter habe noch keinen Zaun gesehen, der kein Einschnitt war, in Blick und Boden, in den Garten in ihren Augen, auch in deinen Augen, Greta. Wer sie besucht, kann von allen Seiten sich nähern, von den Sträuchern mit ihren kleinen Zaunkönigsnestern, vom Bach her, von überallher, quer durch die Margeritenwiese bis zur Terrassentür, ein Klopfen, guten Tag, ich dachte, ich komme vorbei, die Tür war offen. Meistens unangekündigter Besuch. Mutter, eigentlich brauchen wir keine Hausglocke. Aber sie schaue so schön aus, ihr Klang sei kräftig, sogar bei Nacht könnten wir sie läuten hören.

Fürs alljährliche Nachbarschaftsfest tragen sie die zwei langen Holztische zusammen vors Haus, überziehen sie mit einer Tischdecke weiß, wie aus einem Guss, einmal im Jahr, so werden die Nachbarn zusammensitzen, essen, lachen, danach langt es wieder für ein Jahr. Greta, sei so gut und bring noch die Teelichter und die Schachtel mit den langen Zündhölzern. Über dem Holzofen erwärmt sich die gusseiserne Reispfanne, außen golden lackiert, die Kerzen, obwohl es noch lange hell sein wird, ich zünde sie jetzt an. In der Zündholzschachtel entdeckt Greta ein paar Geldscheine und Münzen, ein verstecktes Geschenk von Tante Severine, schau, Mutter, schon an Weihnachten hätten sie nachschauen sollen.

Im Moment, da die erste Kerze brennt, gleich wieder verlischt, schlendert Jannis um den Ahornbaum herum zum Ofen. Sein Vater komme gleich, er bringe Schinken mit und Wein in einer Schubkarre Eiswürfel, weil er weiß, dass da kein Fleisch noch Fisch gekocht, kein Tropfen ausgeschenkt würde. Mutter schüttelt den Kopf, Greta spricht es aus, ein Nachtessen im Jahr ohne, ein Weltuntergang für deinen Vater. Jannis wendet sich ab, betrachtet wie die Nachbarskatzen die Zaunkönigseltern in den Sträuchern, ein großer Baum, drei solche Bäume, ein paar Flügelschläge weiter ein ganzer Wald, aber bloß auf einem Zweig nisten sie. Greta setzt den Satz fort, und der Maulwurf, ein ganzer Bach im Fluss, nimmt er doch bloß ein paar Schlucke. Mutter mischt sich ein, die Sätze habe ich euch früh schon vorgelesen. Ihr wolltet sie immer wieder hören, „und jetzt das Bild mit dem Paar auf dem Bänkchen“, habt ihr immer gesagt. Dann holte ich die alte Zeichnung, die heute in der Hütte hängt.

Alle Nachbarn eingetrudelt, finden sich Greta und Jannis auf den Hockern an den Tischenden wieder. Dem Anschein nach ist Jannis nach gestern sowieso nicht in Stimmung, mit ihr zu reden. Ob er, fragt sich Greta, gesehen hatte, wie der Kuhhirte vom Damm über den Weiher zu ihr schwamm. Hast du die Maikäfer und Junikäfer wirklich eingefroren, löcherte sie Jannis vorhin, er schwieg, und die Steine, der Stein blieb am Strand liegen, und überhaupt, du warst auf einmal nicht mehr hinter mir. Jannis spitzte seine Lippen, Brombeerlippen, auch jetzt im Trockenen, ahmte mit ihnen einen Fischmund, einen Fischkussmund nach. Du bist kindisch, Jannis, dann werfe ich den Stein halt fort. In hohem Bogen über den Zaun, den es nicht gibt, sie brauche den Stein nämlich auch, schon gar nicht. Dann sind wir schon zwei, zu zweit. Greta gefallen sowieso die Steine mit Ecken und Kanten mehr, mit Zacken und Mulden. Solche Steine sind dem Felsen näher, begründete sie. Abgerundet sind sie der Bewegung, dem Wasser, näher dem Wind, sagte Jannis, genau das sei es nämlich, was ihm an den runden Steinen gefalle. Aber, wendete Greta ein, rundum rund erzählen sie nichts mehr, nicht, was sie berührt, noch, woran sie sich in ihrem Flug und Fluss gestoßen haben.


Den ersten Tropfen spürt sie auf ihrer Wange ungefähr dort, wo sie alle paar Wochen ein schwarzes Haar aus ihrem großen Muttermal zupft. Vorm Nachbarschaftsfest hatte sie mit zwei Spangen ihre Haare hinterm Ohr befestigt, das wäre Tante Severine recht, und Jannis gefällt es, längst aufgefallen war ihm schon einmal, du hast immer Rouge auf deinen Wangen. Sie zwinkerte, vergewissere dich. Kurz berührte er ihr Muttermal, als Ausgangspunkt, strich mit seinem feuchten Daumen wie ein Regentropfen über ihr Gesicht, ihren Hals, er war für den Rest ihres Treffens rot, das war vor einem Jahr. Zwischen Roséwein und Himbeersaft fallen jetzt viele Tropfen mehr aus heiterem Himmel. Wie von selbst füllen sich die Gläser und die Tafel leert sich. Greta und Jannis flüchten auf die Veranda, viele laufen heim, bloß Mutter und Jannis’ Vater bleiben wie festgenagelt sitzen, unterhalten sich, essen, trinken, als ob nichts wäre. Merken sie nichts, wundert sich Greta. Jannis zuckt mit den Schultern, geht aus ihren Augen ums Eck. Je stärker, je mehr verschluckt der Regen die Stimmen der beiden Erwachsenen, ihre Gesichtszüge verschwimmen, der Himmel verdunkelt. Dann gedämpfte Schreie, jedes Wort gleich unverständlich, aber lauter als der Regen, sie reden nicht mehr.

Auf der anderen Seite des Hauses findet sie Jannis. Sie musste ihn nicht suchen, wo ein Zaun eine Tür mit Schnalle, zumindest ein Loch hätte, steht er, ganz rot im Gesicht. Was war das, mein Vater, deine Mutter, Greta, ich habe die beiden noch nie so erlebt. Mit der Fingerspitze fängt Greta an Jannis’ Schläfe auf, was sie für eine warme Träne hält. Komm mit, Jannis, wir laufen weg, heb deine Beine auf. Was das heißen soll. Mach schnell. Ob das heiße. Ja, jetzt mach endlich weiter, Jannis, wir laufen durch die Schlucht in den Wald. Weder ihre Sandalen brauchen sie noch Socken, vollgesaugt mit Wasser, zwei Paar nasse Füße sind genug, finde ich, findest du nicht. Komm schon, Jannis. Sie bückt sich, öffnet die Riemen ihrer, seiner Sandalen. Dann sind sie weg.

Der Regen hat aufgehört, sie hören es aber tropfen, überall rauschendes Wasser von den Bergen. An den steilen Hängen neben dem Fluss schlängeln sich lauter Bäche um die Stämme und Steine. Dicke Moospolster quellen über die Felsen springen laute Wasserfälle aus dem Regen der letzten Unwetter. Greta und Jannis folgen einem schwarzen Rinnsal durch einen Tunnel, in dem ihre Ziegen immer störrisch werden, und meine Schafe erst. So viel im Fluss ist, so wenig fließt ab oder versickert, es ist nie trocken in der Schlucht. Für einen Moment hält sie Jannis an seinem Ärmel fest, ich glaube, die Schlucht ist der regenreichste Fleck auf der Welt.

Nach ein paar Stunden erreichen sie endlich die Wiesen getauft mit wilder Minze, sie hebt sich hellgrün von den Gräsern ab, riecht so stark wie sonst nirgends. Es ist schade, dass du nicht mehr Flöte spielst, sagt Jannis, er habe gute Erinnerungen daran, wie Greta die Töne wie junge Blätter in die Bäume bläst. Als könnte er sie wachsen hören, kam es ihm vor. Greta sperrt die Holzhütte am Waldrand auf und legt den Schlüssel gleich wieder an seinen Platz zwischen den Holzscheiten. Sie holt ein Handtuch aus dem Kasten, reibt über ihre, über seine Haare. Zusammen beziehen sie das Bett und kriechen verfroren unter die Schafwolldecken.


Wenn sie seitlich liegt, hochrutscht, passt Jannis’ Kopf genau zwischen ihre Brust und ihre Hüfte. Vom Bett wären es bloß ein paar Schritte, bis sie beide in wilder Minze lägen, die Decke feucht, frei ihre Nacht. Von seinen Wangen mohnrot bis zu seinen Schläfen hinauf wüchse Minze um ihre Nasen, von der Hütte Licht, ihre Nacht nackt, unter ihren Händen warm. Schläfst du, Jannis. Seine Stimme verschlafen, nein, ich bin wach, Greta, er stützt sich auf seine Ellbogen, schaut ihr mit verzwickten Augen ins Gesicht, du hast Brösel in den Mundwinkeln. Greta lächelt, das ist nicht dein Ernst, der ganze Regen habe sicher alle Brotbrösel auf den Waldweg geschwemmt, in die Bäche gespült, aber stimmt, in beiden Mundwinkeln habe ich den Rest vom Fest gestern. Wenn er sie schon so mustere, so früh am Morgen, ob er dann auch sehen könne, wo ihre Verliebtheit sitzt. Nach kurzem Zögern, in den Fältchen um die Augen, sie seien nicht immer da, aber jetzt, da ist sie. Greta fragt, ob es einmal so bleibt, die Fältchen irgendwann immer so bleiben, sie kommt dann Jannis’ Antwort zuvor, aber dafür sind wir noch zu jung.

Sie schlüpfen in ihre kaum getrockneten Kleider, zum Glück muss ich in keine nassen Socken, Jannis spreizt seine Zehen, hast du durchgeschlafen, Greta. Sie war nicht wach und sei doch wach wie eine Eule gewesen, nein, wie ein Mauersegler, hast du nicht einmal gesagt, dass Mauersegler wie zum Schlaf gleichmäßige Kreise vorm Mond ziehen. Er habe das einmal beobachtet, ja, wie Mauersegler, ich auch. Wem gehört eigentlich der lustige Hut am Türhaken, mit Luchsohrpinseln, Schneckenhäusern, getrockneten Bienen und Federn wie aus Gold. Greta seufzt, ich weiß es nicht, Mutter überhört diese Frage jedes Mal. Sorgsam richtet sie den gezackten Kragen ihrer Bluse, von gestern feucht wie fast alles. Setz halt den Hut auf, Jannis, zumindest trocken ist er und, ein Handgriff, zwei Blicke in den Spiegel, er passt zu dir, wie ein feiner Herr siehst du aus. So fein, so gewandt, stelle er sich vor, beuge sich ein Herr zu seiner Dame hinab. Da kommt sie ihm zuvor, unterbricht Greta, küsst Jannis mitten auf den Mund. Diese Dame gefällt mir sehr, Jannis lacht. Ob sie denn wirklich eine Dame sei, wahrscheinlich sei sie viel zu forsch, ein wildes Kind. Also für mich bist du immer auch eine Dame.

Jannis räuspert sich, es tue ihm leid, dass er, dass ich gestern zu früh, es sei auf einmal zu viel Nähe gewesen für ihn, ich war so aufgeregt, dich so bei mir, Greta wie eine Passform an seinem Körper zu spüren, im Augenwinkel ihr schönes Muttermal. Dieses Muttermal ist bloß in deinen Augen schön, Jannis, nach einer Pause, ich war auch aufgeregt. Trauen wir uns später noch einmal, vielleicht mit dem Hut ins Gesicht gezogen. So bringe ihn kein Muttermal mehr durcheinander.

Tag- und Nachtgleiche sehen sie, wie der Nebel wie Schafswolle weiß an grüner Minze hängt, schleierhaft. Ein paar Meter vor der Hütte geht Greta in die Knie, schau, ruft sie aus, die große Kröte im Gras, ihre Augen, golden gesprenkelt. Jannis bückt sich dazu, stimmt, sieht speziell aus, zwei goldene Kugeln, wie an Weihnachten. Von der Wiese pflückt Greta einen Strauß Mohn und Minze, trägt auf ihrer Zunge eine Hand voll Blätter, ihr Versprechen, immer so gut nach Minze zu riechen, bis in den Herbst hinein. Und versprich mir, Jannis, dass du immer so rot wirst, mohnrot, im heißen Sommer, wenn du sie schmeckst, die Minze. Nach dem hundertsten Kuss noch, Greta, werde er Mohn auf seinen Wangen haben.

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