Kitabı oku: «ich», sayfa 2

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Schwester sein

Ich hab noch einmal nachgedacht.

Fakt #1 Was da in Mamas Bauch schwimmt, ist mein Bruder oder meine Schwester.

Fakt #2 Wir werden so ziemlich das gleiche Leben haben. Wir werden gemeinsam warten, zwei Wochen lang, dass Papa endlich wieder nach Hause kommt. Dann werden wir zwei Wochen lang genießen, dass wir eine richtige Familie sind. Und dann geht das Spiel von vorne los. Nur, dass ich irgendwann ausziehe (= so bald wie möglich). Und dann ist das Baby allein mit Mama (= wie ich jetzt = wenig wünschenswert).

Es kann ja gut sein, dass Mama das Baby lieber hat als mich. Dass die beiden einen besonderen Draht zueinander haben werden. So wie ich und Papa, oder zumindest so, dass man sich nicht beim Frühstück schon auf den Zeiger geht, nur weil man unterschiedliche Auffassungen darüber hat, ob Butter unter die Nutella ein Verbrechen am Gesundheitssystem ist oder ob Nutella ohne Butter drunter Kalorien ohne Geschmack sind. Kann sein, dass Mama endlich das Kind kriegt, das sie sich immer gewünscht hat. Ein Spross, der mit ihr die Buchhaltung durchgeht und den perfekten Soundtrack für den Urlaub zusammenstellt und einen Plan macht, was aus dem Hochbeet in welcher Form in welches Einmachglas kommt. Trotzdem: Wir müssen zusammenhalten, das Baby und ich. Von wem soll der/die/das Kleine sonst etwas über die Welt lernen?

Denn, Fakt #3 Eltern haben doch in Wirklichkeit keinen blassen Schimmer vom richtigen Leben.


Okay. Heute Morgen dachte ich noch, das mit dem Baby war die Bombe. Alter Schwede, da hat sich jemand gründlich getäuscht.

Unser Urlaub, drei Wochen Norwegen, mit dem Wohnwagen? – Gestrichen.

Der Grund? – Mama.

Und das sagen sie mir noch so locker, beim Frühstück, als wäre nichts dabei, als hätte ich mich nicht schon wochenlang, monatelang, ein Leben lang darauf gefreut.

Offizielle Begründung: Risikoschwangerschaft. Weil sie schon 35 ist. Als würden wir nicht in einer Zeit leben, in der sechzigjährige Amerikanerinnen in aller Ruhe Achtlinge zur Welt bringen. Ich bin aufgestanden und gegangen. Sonst hätte es Verletzte gegeben. Oder kaputtes Geschirr. Oder beides in Kombination. In der Garderobe bin ich über Papas gepackten Koffer gestolpert. Das hat mich noch wütender gemacht. Papa ist mir hinterher (war einkalkuliert), hat mir die Hand auf die Schulter gelegt, mich massiert, so mit zwei Fingern – da bin ich explodiert. Nein, implodiert. Es hat mich innerlich zerrissen. Zwei Wochen war ich sauer auf Papa, war hart, habe nur das Notwendigste mit ihm geredet, seinen treuherzigen Dackel-, nein, Cockerspaniel-, nein, haha, Cockpitspanielblick ausgehalten, Mamas Bauchgetätschle, den Getreidekaffeegeruch. War im Recht. Wurde belächelt wie ein bockiges Kleinkind. Und ganz plötzlich erzählt Papas Hand, dass es ihm leidtut, und binnen einer Sekunde läuft das Fass über und schwemmt mich weg und ein Tsunami verschluckt mich, ausgerechnet eine Stunde, bevor Papa sich wieder auf den Weg macht. Und ich treibe ganz alleine zwischen den Trümmern meines Sommers.

Mitbringsel

Auf dem Regalbrett über meinem Bett steht mein Weltenbummlerschatz. Da ist zum Beispiel Boris, der kleine hölzerne Bär mit dem grün-weiß gestreiften Pulli und der Anstecknadel am Rücken (Moskau). Daneben hockt der Stoffelefant im wilden Batik-Look (Kuala Lumpur). Da ist der hölzerne Füller, für den man ein richtiges Tintenfass braucht (Barcelona), die Mini-Kaffeetasse mit dem Lorbeerkranz drauf (Rom) und natürlich der funkelnde Eiffelturm, der im Dunkeln leuchtet (guess where from).

Wo immer Papa hinfliegt, das erste, was er macht, ist, mir ein Mitbringsel zu besorgen. Okay – das zweite, falls er dringend aufs Klo muss. Aber mein Mitbringsel ist auf jeden Fall wichtiger als Papas heiliger Cappuccino, selbst wenn er nur eine Stunde Zeit hat.

Alle vier Wochen ein Mitbringsel. Wenn Papa mitten in der Nacht heimkommt, schleicht er sich immer noch in mein Zimmer, egal zu welcher Uhrzeit. Ich bin noch kein einziges Mal davon aufgewacht. Ich weiß nur, dass er da war, weil ein kleines Päckchen auf meinem Nachtkästchen steht. Und da bleibt es dann, bis er wieder fährt. Ich packe es erst aus, wenn die Haustür hinter ihm ins Schloss gefallen ist. Denn dann brauche ich ein Stück von ihm, das bei mir bleibt. Damit ich die nächsten zwei Wochen aushalte. Auch wenn ich im Moment so wütend auf ihn bin, dass ich schreien könnte, 24/7.

In Wirklichkeit sind Papas Geschenke gar keine Mitbringsel.

Es sind Dableibsel.

Dieses Mal ist es ein Paket in DIN A4. Mein Herz hat richtig geflattert beim Aufmachen. Es ist ein Schatz aus wunderschönem, griffigem Papier. Zu dünn für ein Buch, zu Natur für eine Illustrierte. Zu unförmig für irgendetwas, das ich kenne.

Es ist ein Ferienbuch.

Seite für Seite gefüllt mit schönen Dingen zum Durchlesen, Auffalten, Anschauen, Raustrennen, Nachmachen. Do It Yourself vom Allerfeinsten. Schöne Dinge von kreativen Leuten und Artikel über kreative Leute, die schöne Dinge machen. Die davon LEBEN, sich ihre Gedanken und Gefühle von der Seele zu zeichnen. Sie verbringen ihre Tage damit. Sie haben eigene ATELIERS dafür. Sie verdienen ihr GELD damit. Wie sich das wohl ausgeht? Haben die so viele Gefühle, dass sie am laufenden Band Bücher und Stoffe und Postkarten damit gestalten können? Oder gibt es Menschen, bei denen der Stift auch ohne Emotion tanzt?

Ich versinke in die magische Welt zwischen den naturfarben bedruckten Seiten. See you later, alligator. (In a while crocodile. – Das werde ich dem Baby als Allererstes beibringen. Es wird das coolste Kind im Kindergarten sein, mit Rie-sen-ab-stand. Ein bisschen retro, aber cool.)


Sieht so aus, als wäre ich wieder aufgetaucht. Aus der Versenkung. Aus dem Versunkensein. Was rede ich – aus dem Paradies! Gerade beginnt das Nachmittagsprogramm im Radio. Rock Classics. Mit Peter Kurz. DIE Idee des Radio-Kreativ-Teams. (Peter – Petrus – der Fels? ROCK Classics? Na ja. Es gibt Leute, die behaupten, ich neige zur Überinterpretation. Trotzdem: Ein Mitarbeitsplus in Religion würde mir zustehen, falls jemanden meine ganz persönliche Meinung interessiert.)

Bis Peter Kurz’ rockige Stimme den Nachmittag eingeläutet hat, habe ich nicht einmal bemerkt, dass das Radio überhaupt eingeschaltet ist. (Gut so. Highway to Hell ist wohl kaum der richtige Soundtrack fürs Paradies …)

Mama hat mich nicht zum Mittagessen gerufen. Entweder sie schläft oder sie zelebriert ihren Abschiedsschmerz. Als wäre sie die Einzige, der Papa fehlt. Als hätte sie das „Ich-vermisse-ihn-Monopol“.

Oder sie hat einfach auf mich vergessen.

Ganz egal. Alles egal, Leute.

Ich bin plötzlich glasklar im Kopf. Ich weiß, wie ich diesen Sommer überlebe. Steht alles auf Seite 23:

Staycation heißt das Zauberwort.

STAYCATION.

Danke, Papa. Ich hab dich lieb.

Staycation

Staycation, die.

Ein großartiges Wort. Simply the best. Es steht nicht im Wörterbuch und es ist trotzdem richtiges Englisch. (Perfekt, um es im ersten Englisch-Aufsatz nach den Ferien zu verwenden. Damit sich unser rotschopfiger Lieblingsprof gleich wieder daran erinnert, was er an mir hat.)

Definition Bleibe-Urlaub | Ferien zu Hause | Daheim-Sein mit Ferienprogramm

Procedere Alle Regeln ignorieren, so wenig Vertrautes wie möglich machen, so wenig Zeit wie möglich im eigenen Zimmer verbringen. Spaß haben. Wege gehen, die man im Alltag nicht geht. Dinge tun, die man als Tourist sofort machen würde, die man aber trotzdem noch nie ausprobiert hat, einfach weil man hier WOHNT.

Das ist der Plan. Erstens wegen des nicht verleugenbaren … nicht leugbaren … wegen des nicht zu verleugnenden … Also wegen des Witz-Faktors, des zweifelsfrei vorhandenen. Zweitens mangels Alternativen. Alle anderen sind auf Wegcation. (Vacation – WEGcation – check? My English is really the yellow from the egg!)

Ich stopfe Wasserflasche, Schirmkappe, Sonnenbrille, den winzigen Rest Taschengeld und das Ferienbuch in meinen Rucksack. Schreibe Mama eine kurze Nachricht, schwinge mich aufs Rad und sause los.

Bis zur Kreuzung.

Dort drehe ich um und bringe das Rad zurück in die Garage.

Ich bin auf Staycation. Kein Mensch macht Sightseeing mit Fahrrad, hier, in einer hügeligen Mini-Stadt mit Kopfsteinpflaster.

I’m a tourist, baby, so why don’t you kill me

Wohin führt der erste Weg jeder anständigen Touristin? – Richtig: Zum Gratis-Klo im nächsten Fastfood-Schuppen. Fastfood haben wir keines und die 50 Cent für die öffentliche Toilette spar ich mir lieber (Rechenbeispiel: 2 Mal nicht aufs Klo gegangen = 1 Kugel Pistazie beim Esistsommerundplötzlichstehichhierherum-Eiswagerl). Also fange ich bei Station Numero zwei jeder anständigen Touristin an: Der Touristeninformation. Die haben wir zwar auch nicht, aber wozu gibt’s denn das Bürger-Service-Center im Gemeindeamt? – Eben.

Ich hole meine Sonnenbrille aus dem Rucksack und schiebe sie mir in die Frisur. Touristinnen haben immer Sonnenbrillen auf. Quasi ungeschriebenes Gesetz des Sommerurlaubs.

Im Gemeindeamt ist es angenehm kühl. Gleich über der trockengelben Stechpalme beim Eingang hängt ein riesiger Schaukasten. Fahrpläne für Bus, Zug und Müllabfuhr, Grünschnitt-Ablieferungszeiten, Öffnungszeiten des Altstoffsammelzentrums … Nichts von Interesse für eine Touristin, die gerade all ihre Sorgen für eine Woche in ihr verlassenes Schlafzimmer gesperrt hat.

Schräg gegenüber ist das Glasfenster für den Parteienverkehr. Zwei Schreibtische sind zu sehen. Einer hinten an der Wand, wo die mittelalterliche Sekretärin des Bürgermeisters mit lackierten Fingernägeln in die Tastatur hämmert. Als ich sehe, wer am zweiten Schreibtisch sitzt, eingedeckt mit Ordnern, Trennblättern und Klarsichtfolien, würde ich am liebsten den Rückwärtsgang einlegen, bevor mich irgendjemand außer der Überwachungskamera an der Decke entdeckt hat. Aber da hebt Theresa schon den Kopf. WIE VIEL Glück kann EIN Mensch haben? Da will man Urlaub spielen – und wer spielt Touristen-Info? Aus-gerech-net die stilbewussteste Dame der Schule (um das Wort „Obertussi“ elegant zu umschiffen).

„Hi!“, zwitschert Theresa. „Wie kann ich dir helfen?“

Das frage ich mich auch.

„Ist das dein Ferialjob?“ – Ein lahmer Versuch, Zeit zu gewinnen. „Korrekt“, strahlt Theresa. „Und was führt dich hierher?“

Okay. Ich brauche eine neue Strategie. ‚Ich bin auf Urlaub hier und möchte mich gerne über Ihre Angebote informieren‘ scheint mir ir-gend-wie nicht mehr der richtige Einstieg zu sein, angesichts der Personallage hier.

„Ich wollte mich gerne informieren“, zäume ich das Pferd vorsichtig von hinten auf. „Haben wir Angebote für Touristen?“

„Aber selbstverständlich“, nickt Theresa.

Aha. Der muss man aber auch wirklich alles aus der Nase ziehen. Wahrscheinlich kriegt sie pro Satz im Ich-helfe-einer-Kundin-Dialog bezahlt.

„Gibt es dazu vielleicht auch Unterlagen, die man jemandem geben könnte, der hierher auf Urlaub fahren möchte?“

„Natürlich“, lächelt Theresa.

Meine Fresse.

„Dann würde ich diese Unterlagen liebend gerne mitnehmen, wenn es dir keine zu großen Umstände macht.“ Hinter meinem liebenswürdigsten Zahnpastalächeln knirschen die Zähne, dass es meinem Zahnarzt im Herzen wehtun würde.

„Das dürfte dir schwerfallen“, grinst Theresa schadenfroh. „Dann müsstest du nämlich die gesamte Vitrine dort in deinen Rucksack packen.“

Ich drehe mich um und schaue in die Richtung, in die ihr perfekt manikürter falscher Fingernagel zeigt. Tatsächlich. Gleich neben dem Schalter hängt eine weitere Vitrine. Gemeindewappen, Übersicht der Wanderwege, Fotos lachender Kinder und kauender Kühe. „Touristeninformation“ steht in großen grünen Buchstaben darüber.

„Vielen Dank“, murmle ich und drehe mich schnell um, während ich schon spüre, wie mir die Farbe ins Gesicht schießt.

„Jederzeit gerne“, sagt Theresa liebenswürdig. „Dafür sind wir schließlich da.“

HERZLICH WILLKOMMEN!

Lassen Sie die Seele baumeln in einer der schönsten

Gemeinden der Region.

UNSERE ATTRAKTIONEN

Heimatmuseum (Mi 10.00 – 12.30 Uhr)

Kirchturm-Besteigung (Mi u. Fr 9.00 – 12.00 Uhr)

FÜR NATURLIEBHABER

Nutzen Sie unser großzügiges Netz an Waldwegen und

entspannen Sie am nahe gelegenen Baggersee.

Aha. Ich meine: A-HAAA. Und ich hab mich immer gefragt, warum bei uns nie Touristen sind. Aber: Zeit zum Trübsalblasen ist immer noch genug, wenn das Baby da ist und ich abgeschrieben bin. Jetzt wird erst mal Urlaub gemacht. Offensichtlich gibt es keinen besseren Tag dafür als Mittwoch Vormittag … Lucky me! Auf geht’s.


#habefertig

Fünfzehn Uhr zwölf – und ich bin fertig. Mit dem GESAMTEN Programm. Ich gehe ein zweites Mal NICHT aufs Klo und kaufe mir stattdessen eine Kugel Pistazieneis. Diese kleine grüne Insel der Glückseligkeit finde ich in Wirklichkeit die wahre Attraktion hier im Ort. Aber mich fragt ja niemand.

Noch einmal ein Blick auf meine Karte: Tatsächlich. Das war alles, was diese Stadt an Staycation zu bieten hat. Bleibt nur noch der See. Den hebe ich mir aber für morgen auf. Dort muss ich dann irgendein Plätzchen finden, wo ich sonst nie bin. Sonst ist es ja wieder wie immer. Ganz hinten bei den großen Kastanien zum Beispiel, bei den dunkelbraunen Raucher-Pensionisten, die sich von April bis September rund um ihre Kühltaschen scharen. (Memo von Nono an Nono: Vor dem Handtuchausbreiten unbedingt die Windrichtung prüfen, um eine Mitraucherlunge zu vermeiden.)

Ganz schön kompliziert, so eine Staycation, wenn man in der Provinz wohnt und es kein Kino gibt und man kein Auto hat (und man per Gesetz noch nicht einmal ein Auto ausborgen darf).

Postkarte von Verli

Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Ur-laubs-zeit … Ich bin im Paradies!

Wen ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde? – DICH, meine herzallerliebste Nono. Das steht ganz außer Frage.

Mit wem ich am liebsten meine aufblasbare Schwimminsel hier in Floridas Fluten teilen würde? – Mit dem namenlosen Rettungsschwimmer am Turm direkt neben mir! Ein knuspriges Cornetto, direkt zum Anbeißen. Werde mich morgen in Seenot begeben.

Hdgdl! Verli

Nachricht von Jarik

Auf in den urlaub!

Plusseite: 5 Wochen schweden. 5 wochen campingbus.

Minusseite: 5 wochen eltern. 5 wochen nudeln.

5 wochen no wlan – bis denne!

NONOs Sommerblues

Alle fahren weg – ich hab Langeweile.

Keiner hat mehr Bock auf Chillen, Baden, Grillen.

So ist das hier am Land tagein, tagaus.

Statt U-Bahn: Mopeds und Vergaser, es geht

Peng! Peng! Peng! Peng!

(Gönn dir: Beat von „Kids“, Materia. Lyrics: Staycation-Wonder-Woman)

Badeunfall

Ich muss den letzten Teil meines Staycation-Programms so richtig auskosten, Moment für Moment, so wie man den letzten Urlaubstag genießt, in dem Wissen, dass das nächste Mal Salz-auf-der-Haut mindestens elf Monate in der Zukunft liegt. (Außer man ist in der OBERstufe und fährt zur Meeresbiologischen Woche und nach Irland und … YEAH!)

Aber erst mal: Staycation auf meiner rauchfreien Handtuch-Insel inmitten der verrauchten Senioren-Massen am menschenüberschwemmten Baggersee. Endlich ein richtiger Sommertag mit flirrender Luft und flirtenden Bikinibräuten und flimmerndem Asphalt am Parkplatz. Musik im Ohr, Sonnenbrille auf den Augen, Buch auf dem Bauch. Ich kenne niemanden hier auf dem Alte-Leute-Badeplatz. Ein ganz neues Gefühl also, inmitten all der Leute, die einander zuwinken und sich Grüße zurufen, sobald jemand Neues dazukommt, der zielbewusst die zwei Quadratmeter unter dem einen Baum ansteuert, unter dem er wahrscheinlich schon liegt, seit der Zweite Weltkrieg aus ist.

Es ist fast ein bisschen gruselig hier. Ehepaare mit der exakt gleichen Oberweite. Männer, die einen Umhang aus geblümtem Stoff überziehen, um die nasse Badehose gegen eine trockene auszutauschen. Frauen, die offensichtlich Tag für Tag auf der Sonnenliege dahinbrutzeln. Obwohl dieses Jahr beileibe nicht der Jahrhundert-Badesommer ist, den sich alle erhofft haben, sind sie schon herbstbraun bis hellschwarz. Die weißbleiche Winterhaut aber flüchtet sich in jede einzelne Falte am Bauch und unter dem Busen und in den Kniekehlen und in den vielen Schichten der ausladenden Hinterteile (#zebrastreifenzuchtverband). Die Sonnenbrille ist kein Sonnenschutz, sondern ein Sichtschutz, damit das arme Gehirn nicht alles mitkriegt. Da kann man dann sicher drei Wochen lang nicht mehr schlafen, wenn das Gehirn das alles verarbeiten muss …

Ich habe mir umsonst Sorgen gemacht. Offensichtlich hat mein Körper einen Schutzmechanismus eingebaut: Ich dämmere einfach weg, bevor mein System überlastet wird. Da kreischt ein Folgetonhorn und plötzlich ist hier die Hölle los. Ein Rettungswagen kommt, ein Notarztwagen, die Feuerwehr, gleich dahinter noch ein Feuerwehrauto. Unter dem Baum am anderen Ufer bleiben alle stehen. Mir ist heiß und ein Sprung ins kühle Wasser wäre gut, aber da parkt noch ein Feuerwehrauto direkt hinter mir. Ins Wasser trau ich mich jetzt definitiv nicht mehr. Ich meine – was macht die Feuerwehr hier? Ist das Wasser verseucht?

Hinter mir geht die Fahrertür auf und ein Feuerwehrmann steigt aus, Funkgerät in der Hand, den behelmten Kopf in alle Richtungen drehend. Ich weiß, egal was es ist, ich sollte mich sicherer fühlen, jetzt, wo alle Einsatzkräfte da sind, die unsere Ministadt zu bieten hat. Aber der Typ hinter mir macht mich ganz nervös. Was sucht er denn? Was in aller Welt ist passiert?

Wie bei einer Choreo im Musical oder in einem Hip-Hop-Video oder wie bei so einem Flashmob-Heiratsantrag zu Bruno Mars’ „Marry Me“ teilen sich die Leute plötzlich in drei Gruppen: Manche haben es auf einmal furchtbar eilig. Sie rollen sich von ihren Sonnenliegen, wuchten ihre geschwollenen Füße in ihre Badeschlapfen und watscheln zum Ort des Geschehens. Ein ganzer Strom von Schwimmbegeisterten schwärmt aus, springt an unterschiedlichen Stellen ins Wasser – um dann doch gesammelt ans andere Ufer zu schwimmen, ins Zentrum des Geschehens. Die dritte Gruppe bleibt. Niemand lümmelt mehr auf seiner Sonnenliege herum. Alle haben brav die Füße ins Gras gestellt und sitzen da wie die Erstklässler vor der Stundenwiederholung.

Schließlich kommt auch in diese Gruppe rund um mich unvermutet Leben. Ein Mann steht auf, geht zu dem Funkgerät-Feuerwehrmann hinter uns, unterhält sich mit ihm. Kommt zurück. Erzählt seiner Frau, was er in Erfahrung gebracht hat. Zwei andere kommen, fragen nach. Langsam macht die Kunde die Runde: Da ist jemand im Wasser. Untergegangen. Noch nicht gefunden. Ein Krampf vielleicht, ein Junger wahrscheinlich, ein Unfall, ein tragischer. Jaja, der Kreislauf. Bei der Hitze, noch dazu wenn sie so plötzlich daherkommt wie in diesem Sommer – da braucht es kein altes Herz für einen Infarkt. Das kann jedem passieren. Selbst einem Spitzensportler.

Ich bekomme eine Gänsehaut. Da, in dem Wasser, das zwei Meter vor mir leise gegen die Holzbalken am Ufer schwappt, schwimmt, taucht, treibt ein Mensch. Kämpft ums Überleben. Oder, noch wahrscheinlicher: Er ist schon bewusstlos. Alle ANDEREN kämpfen um sein Überleben.

Und ich? Ich sitze da und werde eins mit dem Badetuch. Die Sonnenbrille beult aus und wächst und bedeckt mich schließlich ganz.

Es dauert über vierzig Minuten. Dann fahren die Rettungswägen und die Polizei und der Funk-Feuerwehrmann weg. Die Feuerwehr am anderen Ufer bleibt noch. Mir rinnen die Schweißperlen in dünnen Bahnen die Wirbelsäule entlang. Aber ich gehe nicht mehr ins Wasser. Ich dusche mich am Ufer ab, ziehe mir mein Kleid über und radle nach Hause.

In den Nachrichten sagen sie, sie konnten den jungen Mann im Krankenhaus noch einige Stunden am Leben erhalten. Aber nur, weil wir so tolle Ärzte haben. Er hatte nicht den Funken einer Chance. 16 Minuten unter Wasser, in acht Metern Tiefe – das war einfach zu viel.

Wir halten fest: Es gibt zwei Kategorien von Leuten – die Hinschauer und die Nachfrager. ICH gehöre NIRGENDS dazu. (Wieder einmal.) Natürlich gehe ich nicht nachschauen, ob unauffällig oder offensichtlich, weil ich ganz sicher keine Gafferin sein will. Ich traue mich aber auch nicht, einfach zu fragen, was passiert ist. Damit ja niemand auf die Idee kommt, dass ich möglicherweise eine Gafferin sein KÖNNTE.

Welche kranke Logik ist DAS denn?! Wenn’s nicht so tragisch wäre, würde ich glatt lachen.

Darf ich vorstellen: Nono. Weder Fisch noch Fleisch.

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