Kitabı oku: «ich», sayfa 3

Yazı tipi:

Krise

Jetzt mal ehrlich.

Wenn ich nicht weiß, wer ich bin,

wie soll ich denn dann dem Baby IRGENDETWAS über die Welt beibringen?

ICH MUSS DAS AUF DIE REIHE KRIEGEN!

Bitte, kann jemand eine Schublade für mich erfinden? Eine Kategorie? Ein Kapitel in einem pseudowissenschaftlichen Bestseller, das die Menschheit in vier verschiedene Persönlichkeitstypen einteilt? Ehrlich, das würde mir helfen. So als ersten Schritt …

NONOTIZ, von Nono an Nono:

Du hast (fast noch) 200 Seiten.

Also, Mädchen: Brauch, so lang du willst.

Aber wenn die 200 Seiten aus sind, weißt du, wer du bist.

Und jetzt hör auf zu heulen und fang an zu schreiben.

Hart aber herzlich,

Nono.


Möglichkeiten

Vor den Ferien hatten wir Projekttage. Das sind drei Tage, in denen die Schüler und die Lehrer innerlich schon Ferien haben, aber äußerlich noch so tun müssen, als hätte es irgendeinen Sinn, nach Notenschluss in der Schule zu sitzen. Unser Projekt hieß „Blick in die Zukunft“. Jarik hat sich erst noch recht gefreut, weil er dachte, da kommt eine Frau mit Hakennase und Kristallkugel und er schaut sich alles ab von der und liest dann als Ferialjob den Leuten am See den Wetterbericht aus der Hand. Das war natürlich Blödsinn.

Das richtige Projekt war aber auch Blödsinn: Wir mussten so einen Fragebogen ausfüllen und eine Zeichnung machen von uns in zehn Jahren und währenddessen hat der Projekt-Heini die Fragebögen ausgewertet und am Ende hat dann jeder von uns eine Liste mit drei Berufen gekriegt, die zu ihm passen.

Nonos Zukunft

1) Zuckerbäckerin

2) Grafikerin

3) Lehrerin

HÄ?

Nummer eins ist grober Unfug, weil ich sicher nicht mitten in der Nacht aufstehe, um Hochzeitstorten-Bausätze aus Tortenböden, Zuckerguss und Marzipanmännchen zusammenzubasteln. Nur weil ein 08/15-nervtöt-Fragebogen ergibt, dass ich nachtaktiv und kreativ bin.

Nummer drei ist unverantwortlich. Einerseits fällt mir kein Unterrichtsfach ein, das mich genug interessiert, um es mein ganzes Leben lang gelangweilten Gesichtern zu predigen, und andererseits würde ich mir die Kugel geben, wenn ich meine Pausen mit all den Langweilern im Konferenzzimmer verbringen müsste. SICHER NICHT!

Und Grafikerin? Mama war ganz begeistert, dass das auf meiner Liste steht. Wo ich doch zum Geburtstag so teure Graphitstifte und Pastellkreiden, wasserverschmierbar, und einen knetbaren Radiergummi und einen riesigen Skizzenblock bekommen habe, die dann ja nicht umsonst gewesen wären, sondern quasi eine Investition in meine Zukunft. HALLO? UMSONST? Ich TRÄUME doch ständig damit!

Nur

sicher

nicht

beruflich.


Wirklichkeiten

Mama kapiert das nicht mit meinen Zeichnungen. Ich will kein Geld verdienen und keinen Wettbewerb gewinnen und ich will sicher keine Ausstellung mit meinen Bildern. Für mich ist Zeichnen keine Arbeit und es ist nicht Kunst.

Zeichnen ist, etwas WIRKLICHKEIT werden zu lassen. Mit jedem Scribble gebe ich einem Gedanken die Chance, real zu werden.

Das ist nicht so einfach mit den Wirklichkeiten. Sprache formt die Realität, sagt Papa. Wer immer nur negativ redet, wird im Alltag auch mehr Negatives erleben. Und mit Gedanken funktioniert das genauso. Schließlich war jedes Wort irgendwann einmal ein Gedanke – zumindest die Wörter, die nicht so schnell aus dem Mund geschossen kommen, dass sie einen selbst überraschen. Wenn ich meine Wirklichkeit aber schon selbst gestalten kann und wenn ich dann in dieser Wirklichkeit auch leben muss, dann muss ich vorsichtig damit sein.

In meinem Kopf schaut das nämlich so aus:

Da sind so unglaublich viele Gedanken, die

ALLE

STÄNDIG

WILD

durcheinanderwirbeln.

Es gäbe mindestens fünf Parallelwirklichkeiten, wenn alle diese Gedanken meine Welt gestalten würden. Das heißt, ich muss auswählen. Und das ist echt schwer.

Welche Version soll real werden? Really really real? Was, wenn ich mich falsch entscheide?

Aber ich bin ja nicht blöd. (Niemand, der laut Fragebogen das Zeug zum Lehrer hat, ist blöd. Was würde denn das bitte für unser Schulsystem bedeuten.) Ich sortiere die Gedanken im Kopf, wenn sie kurz stillhalten. Und dann hilft es, wenn ich die Gedanken auf den vorderen Plätzen zuerst einmal auf dem Papier Wirklichkeit werden lasse. Ich materialisiere meine Gedanken quasi. Ich erschaffe eine Art Vor-Welt. Um zu sehen, wie sie mir so tut. Ob sie das Zeug hat, Wirklichkeit zu werden. Ob sie es wert ist.

Genau das ist es wohl, dieses Heft hier, meine Gedanken und Notizen, Nonos gesammelte Werke, auf meiner externen Festplatte: Eine Vorwirklichkeit. Eine mögliche Spielart meiner Zukunft. Eine Chance, es doch noch anders machen zu können, bevor es zu spät ist.

Urlaubsfotos

Im Ferienbuch sind ganze Seiten voller Fotos. Von Leuten, die ihren Urlaub im Internet dokumentieren. Manche tun das direkt am Urlaubsort, sofort, an Ort und Stelle (damit alle wissen, WIE gut sie es haben). Andere machen das im Nachhinein, von zu Hause aus (damit die Einbrecher nicht wissen, dass sie auf Urlaub sind und ihnen zu Hause die Bude ausräumen). Die Fotos sind nicht einmal besonders spektakulär. Sie sind einfach da, im Internet, und warten darauf, dass sich jemand für sie interessiert.

Für meine Staycation würden sich vielleicht auch einige Leute interessieren. Die halbe Schule wahrscheinlich. Weil sie all die Orte kennen, an denen ich gerade urlaube. Aber ich habe keine Lust, mir beim Alleinsein zusehen zu lassen, weder live noch im Nachhinein. Das ist doch der Witz am Alleinsein: Dass NIEMAND zusieht.

Ausnahme

Okay. Manchmal hätte ich vielleicht doch lieber, dass jemand da wäre. Jemand, der mich lieb hat.

Kontraste

Mama frönt der Schwangerschaftsdemenz. Sie bewegt sich zielsicher in Richtung Gehirntod. Seit ihrer zweiten Tasse Bio-Getreidekaffee in der Früh schaut sie schon die dritte romantische Liebesschnulze im Internet. Die, bei denen man schon beim Vorspann weiß, wie das Ding ausgeht. Junge Frau mit gebrochenem Herzen dreht ihrem Leben den Rücken zu und besucht ihre Tante in den Bergen. Zwei junge Männer machen ihr schöne Augen. Jeder, der selber Augen im Kopf hat, sieht von Anfang an, dass sie den Einsamen nehmen wird (den mit dem Hirtenhund und der Schafherde). Nach einem kurzen Techtelmechtel mit selbigem hüpft sie aber doch mit dem Sonnenbrillen-Haargel-Model ins Cabrio und kurvt drei Viertel vom Film mit ihm herum (während man hauptsächlich Landschaftsaufnahmen sieht und Earl Grey trinkende Hauptdarsteller, die ihre eigenen englischen Vornamen nicht richtig aussprechen können). Alles wäre perfekt – würde ihr nicht die ganze Zeit der Hund so fehlen, der von dem Schafhirten. Und da fällt es ihr wie Schuppen von den Augen: In den Cabrio-Typen ist sie zwar verliebt, aber das mit dem einsamen Schafhirten ist die WAHRE und EINZIGE Liebe (und sein Hund ist echt süß). Kuss, Sonnenuntergang, Trallala. Während der Hochzeitsfeier kommt dann auf, dass die Schöne und der CabrioTyp in Wirklichkeit Halbgeschwister sind, weil die Tante mit dem Schwager …

Ich muss raus hier. Schnell.

Ich brauche ein Kontrastprogramm.

Kunstprojekt

Das Ferienbuch schlägt vor:

„Bastle schöne Dinge aus Urlaubsfundstücken. So nimmst du dir ein Stück Urlaub mit nach Hause.“

Das kann man durchaus auch als Staycation-Projekt in Angriff nehmen, würde ich sagen. Muss ja nicht unbedingt ein Vorher-Nachher-Ding sein. Also: Rein in die Schuhe, ab zum Fluss. Der Baggersee scheint mir irgendwie nicht die richtige Location. Leichen fallen definitiv nicht in die Kategorie „dekoratives Schwemmgut“.

O.M.G.!!! Hab ICH das grad geschrieben?? SORRY! Das muss der Schock sein. Im Ernst: Ich hab das noch nicht richtig verdaut. Mir graut vor dem Baggersee. Ich will da nicht mehr hin, zumindest nicht in nächster Zeit. Nicht, wenn es sich vermeiden lässt.

Eine halbe Stunde Waten, Schauen, Bücken, Suchen. Und was ist das Ergebnis?

• 1 Stück Schwemmholz

• 1 Feder

• 2 Blumen

Eine extremst dünne Staycation-stay-with-me-Urlaubsfreude als Zimmerdeko. Bei DEM Stillleben wäre sogar den Malern aus dem Biedermeier das Gähnen gekommen. (#inkunstgeschichteaufgepasst)

Fürs Protokoll: Es ist nicht meine Schuld. Das hier ist einfach nicht das Meer. Das ist unser Fluss. Hier wird nicht angeschwemmt, hier wird durchgespült. So ist das nämlich.

Was allerdings wesentlich besser ginge, wären „Nimm-dir-ein-Stück-ätzenden-Alltag-in-den-Urlaub-mit“-Kunstwerke.


Dafür gibt es Material ohne Ende. Quasi Hüllen in Fülle. (HAHA! HÜLLEN! Gecheckt? Ich lach mich rostig …)

Und dann, auf einmal, einfach so, auf der kleinen Insel bei der Wehr: der Fund des Jahres. EIN STUHL! Kein Hundestuhl dieses Mal, nein, ein richtiger, wunderschöner, runder, ehrwürdiger alter Stuhl zum Sitzen. Und mit ihm kommt DIE Idee: Ich mache mein eigenes Urlaub-ist-für-Loser-Staycation-Kunst-projekt. Damit werde ich Trendsetterin.

Aufgepasst: Ich trage den Stuhl nach Hause (keine Sorge, das schaff ich schon) und streiche ihn. Am besten in Knallrot. Erstens, weil das Signalwirkung hat. Zweitens, weil wir in der Garage eine ganze Dose roten Holzlack haben, noch von Mamas Schwedisches-Gartenhaus-Projekt. Wir haben zwar mittlerweile ein Gartenhaus, aber das sieht genauso aus wie alle anderen, die es im Baumarkt im Abverkauf gegeben hat. Das einzig schwedische daran sind die Blumentöpfe von IKEA. Gut für mich. Ich verleihe dem alten Stuhl also neuen Glanz. Und warum Geld ausgeben, wenn es gratis geht? Man muss mit seinen Mitteln haushalten können. Die meisten Künstler waren bettelarm. Das gehört quasi zu einer richtigen Künstlerseele. Ich meine – Egon Schiele? Der hat seine eigenen Bilder übermalt, sagt der Vogelhuber. Weil er so arm war und sich nicht immer eine neue Leinwand leisten konnte, wenn er eine neue Idee hatte. Dass die guten Leute immer erst nach ihrem Tod Erfolg haben … Na ja. Außer Michael Jackson natürlich, und Robin Williams und Astrid Lindgren. Da sind die Leute früher draufgekommen, wie …

Egal. Ich male den Stuhl also knallrot an. Dann bringe ich ihn in die Stadt und platziere ihn möglichst dekorativ an schönen Orten, wo normalerweise viele Leute vorbeikommen (= am Stadtplatz, im Stadtpark und evtl. am Friedhof).

Nächster Schritt: Ein Foto, möglichst cool, und das stelle ich dann ins Internet – in alle sozialen Medien und auf ein eigenes Blog. Das sehen dann logischerweise massenhaft Leute, die sich natürlich fragen, ob der Stuhl jetzt noch dort steht oder nicht, und die dann diesen Ort besuchen und den Stuhl dort finden und ihn woanders hintragen und selbst Fotos machen und ins Internet stellen.

Und diese Fotos sehen dann wiederum kreative/neugierige/vom Leben gelangweilte Menschen, die versuchen herauszufinden, wo genau der Stuhl zuletzt fotografiert wurde, und hingehen und den Stuhl woanders hintragen, um wiederum ein Foto zu machen, das sie dann ins Internet stellen …

Undsoweiterundsofort. Das Projekt verselbstständigt sich und wird immer größer – und DAS macht es erst zu Kunst.

Ich weiß, ich weiß: Das ist genial. Nur mit dem Namen bin ich noch unsicher. „Der rote Stuhl“ geht ja wohl nicht. Das ist besetzt und abgelutscht. Den Werbeslogan gibt es ungefähr schon mein ganzes Leben, oder? Auch wenn ich nicht wirklich verstehe, wie man auf so eine Idee kommt. Ich meine – „Der mit dem roten Stuhl“??! Man muss echt kein Mediziner sein, damit einem auf Anhieb drei Tropenkrankheiten einfallen, auf die diese Beschreibung passt … Aber bitte. Ist ja nicht mein Möbelhaus.

PROJEKTNAMEN

• Projekt mit Stuhl

• Sit and chill

• Setz dich ein für Kunst

• Kunst braucht keinen Namen

• Du kunst mich mal

• Kunst to go | Art to go | Stuhl to go

Postkarte von Verli

Oh du meine LIIIIEBE! Das Cornetto heißt JOSH. Also Joshua. Aber seine Freunde nennen ihn Josh. Und seine Familie. Und Leute, die mit ihm GEKNUTSCHT haben, im MONDSCHEIN, am STRAND!!! Und nicht, dass du jetzt glaubst, ich hätte mich danach kopfüber vom Balkon hängen lassen müssen, um den Sand wieder aus den Sachen zu kriegen. Neeeeein. Gentleman Josh hat mir seinen Rettungsturm gezeigt. Aber da war nichts mehr zu retten. Rettungslos verliebt, deine Verli

Sonnenklar

Was sag ich denn? Das war soooo klar! Hauptsache, er ist Amerikaner. Wenn sie durch sind mit stundenlang Knutschen und sich ihre Zungen wieder hinter den eigenen Zahnreihen einpendeln, unterhalten sie sich ja vielleicht. Dann besteht noch Hoffnung für Verena Mahringer, 5. Klasse, Englisch. Es leben die Sprachferien!

Schwangerschaftshormone

Die möglichen Namen für mein mögliches Projekt schwirren mir im Kopf herum. #concentration. Mama schwirrt durchs Haus. Vielleicht ist sie gar nicht schwanger, sondern manisch-depressiv. Nach der Ich-liege-den-ganzen-Tag-auf-der-Couch-herum-und-dröhne-mich-mit-Liebesschnulzen-zu-Phase ist sie jetzt plötzlich in der Ich-bin-schwanger-und-alles-ist-so-wunderbar-dassich-ständig-sagen-muss-wie-wunderbar-alles-ist-Phase.

Ach, Nono, es ist so wunderbar, schwanger zu sein. Ach, Nono, es gibt nichts Schöneres, als schwanger zu sein. Ach, Nono, wenn du wüsstest …

Ach, Mama, was willst du von mir? Soll ich mir jemanden suchen, der mich schwängert? Am besten jetzt gleich, auf der Stelle? Vielleicht schaffen wir ein paar Monate gemeinsamer Schwangerschaft, dann können wir uns gegenseitig erzählen, wie wun-der-bar nicht alles ist. Aber weißt du was? Lieber nicht. Ich glaube nämlich, schwanger zu werden, bevor man von zu Hause ausgezogen ist, bevor man studiert hat, bevor man weiß, was man will im Leben, bevor man geheiratet hat, ich glaube, das ist gar nicht so wunderprächtig.

Sonst hättest du vielleicht EIN MAL in meinem Leben erwähnt, wie wunderbar es war, mit der kleinen NONO schwanger zu sein. Wie schön es war, mich neun Monate lang gut verpackt durch die Welt zu tragen. Zu spüren, wie ich in deinem Bauch strample und Purzelbäume schlage. DAVON hast du nie etwas erzählt.


Online-Kunst

Tagsüber sitzen Rettungsschwimmer in ihrem Turm. Allein. In gewissem Sinne hat der Job halt doch auch mit Verantwortung zu tun. Zumindest wenn man’s genau nimmt. Josh also im Turm. Verli in der Farbenpracht des fliederfarbenen Blümchentapetengästezimmers bei ihrer All-American-Surfing-USA-Gastfamilie, Nono in der heimeligen Abgeschiedenheit ihres It-get’s-me-high-to-be-down-there-Kellerzimmers, dazwischen die Vorzüge der Internettelefonie. Ein Hoch auf die Technik, sagt die Kunst, und ein Hoch auf die Rettungsschwimmer. Ich hab Verli jetzt doch vom Gugugagageschwisterkind erzählt. Sie ist hellauf begeistert. Und hat geschworen, das gefälligst für sich zu behalten. Wir haben Wichtigeres zu besprechen, denn jetzt wird geplant und zwar im großen Stil: „Foto mit rotem Stuhl“.

Ein Kunstprojekt, von Nono real initiiert, von Verli im Netz inszeniert.

Ein Projekt, das sich selbstständig macht. Das DADURCH erst zur Kunst wird, findet Verli auch.

Man muss es den Leuten nur noch begreiflich machen. Ihnen helfen, mit diesem ersten Schritt in Richtung Avantgarde. A-vantgarde. Schönes Wort. Der Schlachtruf der Musketiere, wenn mich nicht alles täuscht? (Keine Angst, das ist nur ein Witz. Ein sehr schlechter, zugegebenermaßen. Aber ich bin ja auch keine Kabarettistin. Ich bin Internetkünstlerin.)

Verli liebt Kunst. Sie würde die verrücktesten Dinge mitmachen, Häuser in Watte packen, tote Tiere fotografieren, das ganze Programm. Der rote Stuhl ist ein Klacks für sie. Ich schicke meine besten Stuhlfotos über den Ozean und wenig später poppen sie an allen möglichen Stellen im Netz auf. Verli postet sie auf ihrem Blog und auf Snapchat und auf Instagram. Sie kreiert einen eigenen Facebook-Account. Zackzack, alles keine Hexerei für sie. Ich sitze in der ersten Reihe fußfrei, in der VIP-Lounge, im Dozentenzimmer und spende Szenenapplaus.

Zwei Freundinnen auf edler Mission: Gemeinsam versuchen wir, die Kleinstädter kunstaffin zu machen. Da können die Musketiere einpacken.

2 Stunden später

Nur ZWEIIII Stunden später! Two! Due! Dve!

Der erste kunstaffinierte Kleinstädter: ein Kleinkind. Grad, dass es auf den Stuhl raufkommt. Auf den Schuhsohlen Initialen, in Permanent Marker-Blau. Quasi als Signatur. Oder als Message für die Welt. F. E. Für euch. ForEver. Ich sag’s ja immer. Beim Nachwuchs muss man ansetzen.

Family Guy

Papa ist da. Das ist gut. Das tut uns gut. Allen dreien. Endlich fühlt es sich hier zu Hause nach FAMILIE an (nicht nach „Big Sister is watching you: Die Östrogen-WG“ oder nach „Zwei Frauen gegen den Rest der Welt. Ein berührendes Drama“ oder nach „Reality TV: Teenagermütter – 15 Jahre danach“).

Die Tage fließen so dahin, wir frühstücken gemeinsam, machen hier einmal einen Ausflug zum See (gewisser Gruselfaktor, aber okay), spielen dort einmal Minigolf, zaubern zu dritt deftige Daheim-Döner, feiern Familienalltag. Staycation hat Pause. Wir machen sogar ein Stuhl-Foto, barfuß, AUF dem Springbrunnen am Stadtplatz. Also quasi im Brunnen. Nur halt oben drauf. #wirsprudeln

Es ist echt gut, Mama so entspannt zu sehen. Sie legt die Buchhaltung beiseite und die Beine hoch und den Kopf in den Nacken und lacht während zwei Marmeladesemmeln mehr als sonst in vierzehn Tagen. Das ist eine Verwandlung wie von der Raupe zum Schmetterling. Vom Beutel zum Känguru. Vom Fleischabfall zum Dönertier.

Na ja. So irgendwie halt.

Folgendes Szenario: Mama und Papa turteln. Schon seit dem Frühstück. Nasenstupser, Fingerverschränken, Blinzelzwinker. Das ist dann doch etwas gruselig. Ständig hat Papa seine Hand auf Mamas Bauch und streichelt sie. Das Baby wird sich freuen. (Oder ihr Blinddarm. Oder die Leber.) Während Mama den Teig für die Kasnocken anrührt und Papa Zwiebeln schneidet, verdrücke ich mich in den Garten. Offiziell: Um im Hochbeet Salat zu pflücken. In Wirklichkeit: Um den Gutelaunebären zu entfliehen. Ich sitze auf den Stufen zur Terrasse, das Kinn auf die Knie gestützt und lasse mich vom fernen Rasenmäherbrummen der Schrebergärtner einlullen. Die Sonne brennt mich von der Seite an. Im Kellerfenster sehe ich, dass das linke Ohr drei Rotschattierungen vom rechten abweicht. Umdrehen geht nicht. Ich kann die Beine schlecht drei Stufen ÜBER meinem Allerwertesten verschränken und noch genauso adrett aussehen wie jetzt gerade. Zwei verschiedenfarbige Ohren sehen auch blöd aus, wenn man nicht gerade eine Glückskatze ist oder ein sympathischer Straßenköter. Also: Raus mit dem Grünzeug. Rein in die Küche.

„Da haben wir ja den Salat“, lacht Papa. „Machst du auch das Dressing? Ich bin extrem knapp an den perfektesten Zwiebeln der kulinarischen Weltgeschichte.“

Ich nicke nur und hole ein leeres Marmeladenglas von der Kellerstiege. Öl, Essig, Honig, Senf. Gut schütteln.

„Kann ich schon?“, frage ich Mama mit einem Blick auf das Rohr. („Den Salat erst kurz vor dem Essen anrichten“, das ist eisernes Familiengesetz bei uns. So wie „Nudeln nur al dente“ und „Knödel nur reißen, nicht schneiden“.)

„Ring frei“, lächelt Mama. „In drei Minuten können wir essen.“

In Zeitlupe gieße ich das Dressing über den Salat. Sieht ein bisschen aus wie eine Mure, die Grünland einsaut. Aber wir wissen alle, dass ich die Queen of Dressing bin.

Die Zwiebeln duften, das Rohr verströmt perfektes herb-stinkiges Käsearoma und mein Magen schickt Glückshormone in den Rest meines Körpers.

Papa pfeift irgendwas von den Stones. Ich pfeife Bruno Mars dagegen, den Lazy Song, bis wir beide so einen Riesen-Grinser im Gesicht haben, dass wir keinen einzigen geraden Ton mehr über die Lippen bringen. Mama versucht auch einen Pfeifton, was natürlich schiefgeht, weil sie einfach nicht pfeifen kann, genetisch bedingt wahrscheinlich, denn einen anderen vernünftigen Grund gibt es nicht dafür. Sie holt Luft, spitzt die Lippen und – keine Ahnung, was sie dann macht, aber es pfeift nicht, es FURZT. Jetzt müssen wir alle drei lachen. Jeder in seiner Tonlage. Zum ersten Mal seit … also seit … Also mir geht es richtig gut gerade. Richtig, richtig gut. EINE Familie. ZWEI Eltern, eine Mama und einen Papa, die sich lieben und das auch noch zeigen. DREI Menschen, die sich einig sind, dass Kasnocken mit Röstzwiebeln und Salat das Nonplusultra der Gaumenfreuden sind. Und bald sind wir VIER. Das ist so – wow …

Der Tisch ist schon gedeckt. Papa läuft mit den Zwiebeln und dem Korkuntersetzer vor, Mama trägt die heiße Kasnocken-Form hinterher und ich platziere die Salatschüssel so, dass jeder ungefähr gleich weit hat. Mama sticht den Küchenfreund in die Nocken und säbelt drei Riesenstücke heraus, vierlagig, mit einer knusprigen Käseschicht darauf. Die Zwiebeln sind so perfekt braunknusprig, dass ich mir am liebsten einen ganzen Löffel voll solo in den Mund schieben würde. Aber, wie jeder weiß: Die Mischung macht’s. Also: Ein großes Stück Kasnocken, direkt vom Rand, wo es am meisten knuspert, mit fünf perfekten Zwiebelkringeln obendrauf, an der Nase vorbei (mmmmmh!), in den Mund hinein.

Und dann spucke ich. „Was zum …“, hustet Papa gleichzeitig.

Mama wird rot und führt langsam die Serviette zum Mund, extrem slow-mo, und legt sie dann zerknüllt neben ihren Teller, die Serviette dunkel dort, wo sich die Nocken feucht durchdrücken.

„Ist dir der Salzstreuer ausgekommen?“, fragt Papa vorsichtig.

„Nein“, stammelt Mama. „Nein, ich … DU hast doch gesagt, drei Löffel …“

„Drei EIER!“, ruft Papa entsetzt. „Drei Eier und EINE Messerspitze Salz!“

Mit großen Augen sehen sich Mama und Papa an.

Und dann lachen sie los, prusten, gackern, schnauben, wiehern und japsen, dass sie keine Luft mehr kriegen. Wie zwei zwölfjährige BFF auf Hormontrip. Ich kann dieses Mal nicht mitlachen. DREI Löffel Salz? Selbst wenn die eigenen Gedanken in einer fremden Zeitzone sind – so etwas passiert einem doch nicht!!!

„Entschuldigt bitte“, kichert Mama. „Die Schwangerschaftsdemenz …“

Klar. Die Entschuldigung für alles. Happy Schwangerschaftsdemenz! Gratuliere! So schnell können Glückshormone verpuffen. Mein Magen knurrt. Ich brauche kein Koch-Kabarett. Ich brauche Kohlenhydrate.

Wortlos stehe ich auf. Ich hole mir Knuspermüsli.

Mama und Papa sitzen da und schauen verliebt in der Gegend herum, die Lachtränen noch in den Augenwinkeln. Neben ihnen steht der Salat und ersäuft im eigenen Dressing.

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