Kitabı oku: «Sprachwandel - Bedeutungswandel», sayfa 4

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2.2 Welche SprachauffassungSprachauffassung ist die richtige?
2.2.1 Ist Sprache ein Organismus?

Die Frage danach, ob die Sprache etwas Lebendiges wie ein Organismus sei, enthält eine populäre MetapherMetapher. Metaphern sind dazu da, komplexe Sachverhalte bildhaft darzustellen, damit man sie besser verstehen kann. Nur leider sind Metaphern selten präzise, denn sie verdinglichen (hypostasieren) zu sehr. Die Organismus-Metapher im Zusammenhang mit dem Wesen von Sprache ist uns bereits begegnet. Es handelt sich dabei um eine SprachauffassungSprachauffassung, die auf den Prinzipien der Naturwissenschaft beruht. Sie ist entstanden in dem Bemühen, auch abstrakte geisteswissenschaftliche Phänomene exakt beschreiben zu wollen. Bedeutender Vertreter einer solchen Sichtweise ist der Indogermanist AUGUST SCHLEICHER. Seine Vorstellung kann man als organizistisch einstufen: Unterstellt wird eine Eigendynamik der Sprache, die durch den Sprachgeist als einer jeder Sprache immanente natürliche Kraft erklärt wird:

Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstanden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und absterben; auch ihnen ist jene Reihe von Erscheinungen eigen, die man unter dem Namen „Leben“ zu verstehen pflegt. Die Glottik, die Wissenschaft der Sprache, ist demnach eine Naturwissenschaft; ihre Methode ist im ganzen und allgemeinen dieselbe wie die der übrigen Naturwissenschaften. (SCHLEICHER 1863: 6f)

Was diese vitalistische MetapherMetapher vom lebendigen Organismus auf den ersten Blick zunächst einmal sinnvoll und richtig erscheinen lässt, ist der beobachtbare Umstand, dass sich Sprache ständig wandelt. Aus der Dynamik von Sprachen könnte man schlussfolgern, dass in ihnen eine vitale Kraft steckt, dass Sprachen also leben. Die Entwicklung von Sprachen könnte man dieser Sichtweise folgend als eine Art EvolutionEvolution bezeichnen, als einen Prozess also, der zu einer steten Weiterentwicklung der Sprache beiträgt. Ein Blick auf die zuvor im ersten Kapitel umrissene historische Entwicklung des Deutschen aus einer indogermanischen Ursprache würde diese These greifbar machen: Wie anhand eines Familienstammbaums lässt sich die Entwicklung der deutschen Sprache zurückverfolgen. Mehr noch: Wir erkennen auch Verwandtschaften und können sogar abstufen, mit welcher Sprache das Deutsche enger und mit welcher es entfernter verwandt ist.

Nun hat diese Theorie einen entscheidenden Haken, weshalb eine organizistische Sprachbetrachtung in der Linguistik zwar in den letzten 150 Jahren intensiv diskutiert wurde und bis heute außerhalb der Sprachwissenschaften im Alltagsverständnis vom Werden und Wandel der Sprachen noch weit verbreitet ist, zur Erklärung des Sprachwandels aber nicht taugt. Der Haken liegt darin, dass eine solche Einschätzung dessen, was Sprache ist, den Sprecher mit seinen Handlungsmöglichkeiten außen vor lässt: „Der Wandel wurde [und wird in einer solchen Konzeption] als ein ausschließlich naturgesetzliches Phänomen angesehen“ (KELLER/KIRSCHBAUM 2003: 126). Vernachlässigt man nun aber die Sprachbenutzer, müssten Sprachen auch aus sich selbst heraus lebensfähig sein; schließlich ist ein Organismus ein in sich geschlossenes System. Dies trifft auf Sprachen jedoch nicht zu.

[bad img format]AUGUST SCHLEICHER (1821—1868)

war ein deutscher Sprachwissenschaftler. Er gilt als Begründer der Stammbaumtheorie in der vergleichenden Sprachforschung und als Mitbegründer der Indogermanistik.

SCHLEICHER ging davon aus, dass sich die Prinzipien der Evolutionsbiologie, die im 19. Jahrhundert populär wurden, auch auf die Entstehung und die Entwicklung von Sprachen übertragen ließen. In Form eines Stammbaums rekonstruierte SCHLEICHER die Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie aus einer indogermanischen Ursprache.

Seine Sprachphilosophie gründet auf der Annahme, die Methodik der Sprachwissenschaft müsse derselben Methodik folgen, welche auch die Naturwissenschaften anwenden.

Die Stammbaumtheorie gilt als richtungsweisende Leistung SCHLEICHERs für die Indogermanistik und ist noch heute von sprachhistorischem Wert.

Die Vorstellung, dass Sprache ein lebendiger Organismus sei, wurde insbesondere im 19. Jahrhundert von der Mehrzahl der Sprachwissenschaftler vertreten. Erst WILLIAM DWIGHT WHITNEY lehnte ein solches Konzept ab und vertrat die wesentlich plausiblere These, dass Sprache kein NaturphänomenPhänomeneNatur-, sondern ein sozial bestimmtes Konstrukt sei. Nicht verborgene vitalistische Konzepte im Sinne naturwissenschaftlicher Festlegungen bestimmen das Wesen der Sprache. Sprachen werden vielmehr geprägt durch die Sprecher, die Sprachen zu ihren Zwecken verwenden.

Diese neue und bis heute akzeptierte Sichtweise wirft allerdings dann ein Problem auf, wenn man die Rolle des Sprechers überbewertet. Sie könnte nämlich dazu verleiten, den Sprecher gewissermaßen zum Konstrukteur oder Schöpfer der Sprache und aller sprachlichen Veränderungen zu überhöhen. Dieser Eindruck ist falsch, weil man in einer Dichotomie gefangen ist, die nur NaturphänomenePhänomeneNatur- auf der einen und ArtefakteArtefakt auf der anderen Seite kennt: Entweder ist etwas ein natürliches Phänomen oder es ist vom Menschen gemacht. Was ist daran falsch? Nun, Sprache ist vom Menschen ‚gemacht‘, aber auf eine andere Art und Weise als beispielsweise ein Uhrwerk vom Menschen gemacht ist. Während das Uhrwerk das Ergebnis menschlicher Planung ist, ist die Sprache ungeplantes Ergebnis menschlicher Handlungen. Ich komme weiter unten auf diesen zentralen Gedanken noch einmal zurück.

Halten wir zunächst fest:

[bad img format]Sprache ist weder ein natürlicher Organismus noch das Resultat menschlicher Planung. Sprache ist das Ergebnis menschlicher Sprachverwendung. Dasselbe gilt auch für den Sprachwandel.

Folglich ist eine SprachauffassungSprachauffassung, die den Sprecher nicht berücksichtigt und stattdessen von Naturgesetzen ausgeht, für die Erklärung des Wesens und der Veränderungen von Sprache nicht nützlich. Stattdessen lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie eine Sprache beschaffen ist, damit wir sie für unsere Zwecke nutzen können. Sehen wir uns also im Folgenden an, welche Eigenschaften es sind, die Wörter und Sätze zu geeigneten Mitteilungsmitteln für uns machen.

2.2.2 Ist Sprache ein Zeichensystem?

Mit der Frage, aus welchen Elementen Sprachen bestehen, werfen wir einen strukturalistischen Blick auf unseren Gegenstandsbereich. Zugleich ist die Überlegung, wie etwas beschaffen ist, untrennbar verknüpft mit dem Nachdenken darüber, wozu etwas da ist. Wenn wir beispielsweise wissen, wie die Anatomie des Herz-Kreislauf-Systems aussieht, können wir leicht beantworten, wozu wir dieses System haben und was es in unserem Körper macht.

Grob gesagt dient uns Sprache dazu, uns in der Gesamtgesellschaft, in der wir leben, untereinander möglichst ohne Missverständnisse verständigen können. Dazu verfügen alle Sprecher in dieser Sprachgemeinschaft über dieselben Wörter und Zeichen, also über dasselbe Lexikon und dieselbe Grammatik. Als Sprachforscher würde man sagen: Alle Sprachbenutzer können auf denselben gemeinsamen Zeichenvorrat zurückgreifen und kennen die Regeln, nach denen diese Zeichen miteinander verbunden werden. Man nennt die gemeinsam gesprochene Sprache einer Sprachgemeinschaft GemeinspracheGemeinsprache und grenzt sie von SondersprachenSondersprache ab, die nur von einigen Sprechern gesprochen und verstanden werden (z.B. Fachsprachen).

Dass es in WirklichkeitWirklichkeit gar nicht so etwas wie die eine Sprache gibt, die wir alle gemeinsam sprechen, wissen Sie sicher aus Ihrer eigenen Lebenserfahrung. Sie werden mit Ihrem Automechaniker anders sprechen müssen, als Sie das möglicherweise an der Universität mit Professoren für nötig halten: Das Variieren mit den Mitteln aus Ihrem sprachlichen Repertoire dient situationsbezogen der einfacheren und besseren Verständigung oder es dient sozialen Zwecken (z.B. dem Imponieren oder dem Vermitteln eines bestimmten Eindrucks von Ihrer Person). Insofern gibt es Schnittmengen, aber es gibt kaum den Fall, dass zwei Sprecher über exakt denselben Zeichenvorrat verfügen. Das gilt auch für die Regeln, nach denen diese Zeichen zusammengesetzt werden. Auch hier sind die Kenntnis und die Beherrschung von grammatischen Regeln ungleich ausgeprägt.

Das Sprachvermögen und insbesondere der Wortschatz der Menschen unterscheiden sich dabei je nach sozialer oder regionaler Herkunft und Bildung. Schätzungen zufolge umfasst die deutsche Sprache zwischen 300000 und 500000 Wörter – und sie wandelt sich ständig. Fast täglich gelangen neue Wörter in unsere Sprache und genauso schnell und häufig verschwinden Wörter, weil wir sie nicht mehr verwenden. Modewörter oder moderne Wortneuschöpfungen wie z.B. das im Jahr 2014 gewählte „Unwort“ des Jahres Lügenpresse sind solche transitorischen, also vorübergehenden Erscheinungen. Unmöglich ist es, den gesamten Wortschatz der GemeinspracheGemeinsprache zu beherrschen. Auch wenn Sie noch so gebildet sind, werden Sie vermutlich nicht mehr als 100000 Wörter kennen, wobei Sie noch lange nicht alle diese Wörter tatsächlich benutzen. Die Sprachwissenschaft geht davon aus, dass ein durchschnittlicher Erwachsener zwischen 8000 und 16000 Wörter aktiv gebraucht; die große Mehrheit der Sprachbenutzer kommt wohl mit rund 5000 Wörtern aus.

[bad img format]Menschliche Sprache ist ein komplexes System sprachlicher Zeichen, die zueinander in syntagmatischen und/oder paradigmatischen Beziehungen stehen und durch konventionelle grammatische Regeln syntaktisch miteinander verbunden sind.1

Unser Zeichensystem besteht in erster Linie aus Wörtern, die bestimmte Bedeutungen tragen. So hat das Wort Regenschirm in unserem Wortschatz eine Bedeutung, die sich in etwa so ausdrücken lässt: Verwende das Wort „Regenschirm“, wenn Du von einem Gegenstand sprechen willst, den wir in unserem Kulturkreis verwenden, um draußen im Regen nicht nass zu werden.2 Viele Begriffe haben ähnliche Bedeutungen, doch kann man den Begriff Regenschirm z.B. von den Wörtern Sonnenschirm oder Cocktailschirm abgrenzen. In aller Regel ist das für jeden Sprecher des Deutschen mühelos möglich, weil es sich um konventionelle BegriffeBegriffkonventionell handelt, die jeder kennt. Oder ein wenig technischer ausgedrückt: Jeder Sprachbenutzer kennt die Regeln, die für den Gebrauch des Wortes Regenschirm in unserer Sprachgesellschaft gelten – und er kennt damit die Bedeutung des Wortes.

[bad img format]Menschliche Sprache ist ein Netz aus sich überlagernden KonventionenKonvention. Sie ist dadurch dynamisch und trägt auf diese Weise das Potenzial zum Wandel in sich.

Wenn wir miteinander sprechen, dann bedienen wir uns einer sehr verzweigten Sprache, die aus einem mehr oder weniger großen Vorrat sprachlicher Zeichen besteht. Ein sprachliches ZeichenZeichensprachliches besteht – nach dem Schweizer Linguisten FERDINAND DE SAUSSURE – aus einer Ausdrucks- und einer Inhaltsseite. Bei sprachlichen Zeichen unterscheidet man also, ähnlich wie bei den zwei Seiten einer Medaille oder eines Geldstücks, zwischen zwei Ebenen: Auf der einen Seite steht die Lautäußerung, auf der anderen Seite befindet sich der Inhalt, der kommuniziert werden soll.

Abb. 1

Das sprachliche ZeichenZeichensprachliches (nach SAUSSURE)

Dabei liegt die Bedeutung eines Wortes nicht in dem sprachlichen ZeichenZeichensprachliches selbst, sondern wird ihm durch den Gebrauch zugewiesen – ähnlich wie der Wert eines Geldscheins nicht im Papier des Scheins steckt, sondern ihm durch eine KonventionKonvention zugeschrieben wurde. Der reine Materialwert dürfte bei einem 5-Euro-Schein derselbe sein wie bei einer 500-Euro-Banknote. Der 100-fach höhere Wert wird nicht über den Materialwert bestimmt. So besitzen sprachliche Zeichen aus sich selbst heraus auch keine Bedeutung, sie erlangen sie erst dadurch, dass man sie verwendet. Dieses Prinzip der Zuordnung sprachlicher Zeichen durch den Sprecher bezeichnet man als ArbitraritätArbitrarität. Doch bedeutet das nicht, dass jeder Sprecher jedes Wort willkürlich zur Benennung einer Sache verwenden kann. Das sprachliche Zeichensystem ist ein mehr oder weniger festes Regelwerk, das man beherrschen muss, um sich sprachlich verständigen zu können.

[bad img format]FERDINAND DE SAUSSURE (1857—1913)

war ein schweizerischer Sprachwissenschaftler. SAUSSURE gilt als der Begründer der modernen Linguistik und des Strukturalismus. Er entwickelte eine allgemeine Theorie der Sprache als Zeichensystem (Zeichentheorie) und zudem die Methode, solche Systeme strukturell analysieren zu können. Dabei ist die ihm zugeschriebene Zeichentheorie, die das sprachliche ZeichenZeichensprachliches mit seiner Ausdrucks- und Inhaltsseite bestimmt, eine Vorlesungsmitschrift, die seine Schüler CHARLES BALLY und ALBERT SECHEHAYE posthum 1916 unter dem Titel Cours de linguistique générale veröffentlich haben.

Zu Lebzeiten war SAUSSURE — wie es der Mode seiner Zeit entsprach — berühmt als Indogermanist. Als Strukturalist galt und gilt SAUSSURE erst nach seinem Tod.

Wie ein Zeichen im Allgemeinen interpretiert wird, hängt entscheidend von der Kultur ab, in der man lebt. Zeichen erlangen ihre Bedeutung nicht aus sich selbst heraus, sondern durch die Verwendungskonventionen, die für sie gelten. Damit Sie ein Verkehrsschild richtig deuten können, müssen Sie irgendwo gelernt haben, was das Zeichen im Straßenverkehr bedeutet. Ikonografische Zeichen, also Zeichen, die aufgrund einer direkten und sofort erkennbaren Abbildfunktion auf etwas verweisen, verstehen wir meist intuitiv. Eine durchgestrichene Zigarette etwa können wir rasch und in jedem Kulturkreis als Zeichen für ein Rauchverbot interpretieren. Dass aber bei uns Verbotszeichen immer rund sind und ein schwarzes Piktogramm auf weißem Hintergrund aufweisen sowie mit einem dicken roten Rand und einem roten Querbalken von links oben nach rechts unten versehen sind, ist konventionell bestimmt; die Bedeutung von Form und Farbgebung eines Schildes muss man lernen. Ansonsten könnte die durchgestrichene Zigarette beispielsweise auch bedeuten, dass Sie keine Zigaretten kaufen können. Sie benötigen also kulturelles Weltwissen, um Zeichen richtig deuten zu können – das gilt für außersprachliche Zeichen ebenso wie für Wörter. Und dieses Wissen unterscheidet sich oftmals ganz erheblich je nachdem, wo Sie sich gerade in der Welt befinden – und auch davon, zu welcher Zeit Sie leben.

[bad img format]Sprachwandel betrifft alle Elemente des sprachlichen und außersprachlichen Zeichensystems. Verwendungskonventionen sprachlicher Zeichen sind kulturelle Phänomene und unterliegen dabei immer auch dem Wandel: Was heute als konventionell korrekt gilt, kann morgen bereits falsch sein.

So ist in unserer heutigen Gesellschaft eine leichte Bräune ein Zeichen für Wohlstand. Vor 200 Jahren galt Blässe als so schick, dass man sogar mit Puder nachhalf. Sie sehen:

[bad img format]Zeichen sind aufgrund ihrer Interpretierbarkeit stets wandelbar. Das gilt für sprachliche und außersprachliche Zeichen gleichermaßen.

Wir Menschen haben unsere Sprache, um uns die Erfüllung unserer kommunikativen Ziele zu erleichtern. Dabei ist das Vorhandensein einer Sprache weder notwendig noch hinreichend für unsere menschliche Kommunikation: Wir können auch ohne Sprache kommunizieren und Sprache allein macht auch noch keine Kommunikation aus. Vielmehr ist es umgekehrt: Die Fähigkeit zur Kommunikation ist eine Grundbedingung für den Besitz einer menschlichen Sprache. Oder anders ausgedrückt: Wenn wir Menschen nicht die Fähigkeit und das Bestreben zur absichtsvollen BeeinflussungBeeinflussung unserer Mitmenschen besäßen, dann hätten wir auch keine Sprache. Diesen Umstand, der für unsere kommunikativen Handlungsmöglichkeiten sehr zentral ist, möchte ich im Weiteren näher erläutern.

Ich stelle dazu zunächst eine Behauptung auf und werde Ihnen dann zeigen, warum diese Sicht der Dinge angemessen ist:

[bad img format]Sprache ist nicht die Bedingung für Kommunikation, sie ist vielmehr eine evolutionäre Folge unserer kommunikativen Bemühungen.

Menschliche Sprache unterscheidet sich von tierischen Lauten dadurch, dass Lautäußerungen bei Tieren eher Ausdruck innerer Ereignisse sind und nicht der Kommunikation in unserem Sinn entsprechen dürften. Während unsere Sprache den Charakter der ZeichenhaftigkeitZeichen-haftigkeit trägt – wir also mit sprachlichen ZeichenZeichensprachliches absichtsvoll kommunizieren, um andere Menschen in der von uns gewünschten Weise zu etwas zu bringen –, sind tierische Laute eher als SymptomeSymptom zu deuten. Die Bedeutung sprachlicher Zeichen ist im Gegensatz zu Symptomen, die natürlich hervorgebracht werden, konventionell, also durch Übereinkunft definiert. Sprachliche Zeichen müssen daher bewusst oder unbewusst erlernt werden.

Auch bei uns Menschen gibt es zahlreiche SymptomeSymptom, wenn es darum geht, Krankheiten zu identifizieren. Eine laufende Nase etwa ist ein Symptom für einen Schnupfen. Symptome dienen aber nicht der Kommunikation. Sie werden weder absichtsvoll hervorgebracht noch sollen sie der BeeinflussungBeeinflussung dienen. „Symptome können ähnliche Effekte hervorrufen wie sprachliche ZeichenZeichensprachliches“ (KELLER 2003: 38), aber sie sind keine sprachlichen Zeichen.

Sprache, wie wir sie haben, ist ein System von Zeichen, das uns zur absichtsvollen Kommunikation dient, und es ist sehr plausibel anzunehmen, dass die Fähigkeit zur Kommunikation eine Bedingung dafür war, dass Sprache sich überhaupt entwickeln konnte. Tierischen Lauten hingegen fehlt das Zeichenhafte, das unsere menschliche Sprache ausmacht. Tierische Kommunikation basiert auf SymptomenSymptom und selbst Tierbesitzer, die oftmals behaupten, ihr Dackel oder ihre Katze „spreche“ mit ihnen, werden einräumen müssen, dass ein Schwanzwedeln oder ein Fauchen eher ein Symptom für einen inneren Vorgang in ihrem Tier als ein absichtsvoll ausgesendetes Zeichen zum Zweck der BeeinflussungBeeinflussung ist. Dass dies dennoch oft anders wahrgenommen wird, liegt daran, dass viele Herrchen menschliche Kommunikation in den symptomischen Handlungen ihres Tieres spiegeln. Der Linguist HEINZ VATER schreibt dazu: „[Ein Hund] kann – nach einem Ausspruch von Bertrand Russel – nicht mitteilen, dass seine Eltern arm, aber ehrlich waren“ (VATER 1999: 17).

Wenn wir also anerkennen, dass unsere menschliche Sprache a) ein komplexes Zeichensystem ist und b) dieses Zeichensystem auf absichtsvollem Gebrauch basiert, dann möchte man herausfinden, wie ein solches System, das zwischen SymptomenSymptom und SymbolenSymbol unterscheidet, entstanden ist. Wie ist aus einer tierischen Symptomsprache eine menschliche Symbolsprache, also ein komplexes System sprachlicher Zeichen geworden? Dazu gibt es in der Sprachphilosophie sehr viele kluge Ausführungen, die sich mit der Genese menschlicher Sprache beschäftigen. Viele davon sind lesenswert, aber sie sind oft sehr abstrakt. Die folgende Geschichte ist ein Märchen und soll auch als solches verstanden werden. Aber dieses Märchen enthält wichtige Gedanken darüber, welchen Nutzen die menschliche Sprache hat. Diese Aspekte sind zentral, wenn wir erklären möchten, auf welche Weise Sprachen entstanden sind und wie sie sich verändern können.3

Exkurs: Karlheinz, der Affenmensch — oder: Wie sind wir überhaupt zur Sprache gekommen? 4

Vor rund einer Million Jahren lebte in der Savanne Afrikas eine Horde Affenmenschen, also eine Gattung Lebewesen, die weder Mensch noch Affe war. Was diese Affenmenschen von den Menschen unterschied, war, dass sie keine Sprache hatten. Dennoch konnten sie sich untereinander verständigen, indem sie knurrten oder keiften, wenn sie verärgert waren oder wimmerten, wenn es ihnen schlecht ging. Diese Laute waren Ausdruck ihrer Gefühle. Wenn die Affenmenschen Angst hatten, dann schrien sie laut, auch um die anderen Familienmitglieder zu warnen.

In der Horde lebte ein Affenmensch mit Namen Karlheinz. Karlheinz war ein eher schmächtiger Bursche und sein Rang in der Gruppe war gering. Dafür war Karlheinz ziemlich clever — und eigentlich immer hungrig.

Jeden Abend, wenn die kleine Gruppe um ihr Feuer saß und die Beute des Tages verspeiste, war es Karlheinz, der stets als Letzter etwas zu fressen bekam. Die Lautesten und Stärksten in der Gruppe sicherten sich die leckersten Happen, so ging es tagein und tagaus. Karlheinz saß jedes Mal ein wenig abseits und wartete traurig darauf, die letzten Reste der Beute abzubekommen.

Eines Abends, die Gruppe saß wieder am Futterplatz zusammen und verzehrte ihre Beute, erblickte Karlheinz einen Tiger im Gebüsch unweit des Platzes. Sofort stieß er einen lauten Angstschrei aus, woraufhin die restlichen Affenmenschen sogleich von ihrem Fressen abließen und das Weite suchten. Der Schrei, den Karlheinz ausgestoßen hatte, war ein SymptomSymptom der bloßen Angst. Wie versteinert blieb er an seinem Platz sitzen, unfähig, sich zu rühren. Da erschien aus dem Gebüsch nicht etwa ein gefährlicher Tiger, sondern ein harmloses kleines Schweinchen, das mehr Angst vor Karlheinz hatte als er vor ihm. Karlheinz hatte sich geirrt.

Als Karlheinz nun sehr erleichtert sah, dass er jetzt der einzige am Futterplatz war, musste er grinsen. Das ganze schöne Fressen hatte er für sich allein, weit und breit war niemand zu sehen, der es ihm streitig machen konnte. Nachdem er sich den Bauch vollgeschlagen hatte, kam ihm eine zündende Idee: Warum sollte er das, was ihm versehentlich passiert war, nicht künftig willentlich tun?

Als am nächsten Abend wieder einmal kein Platz für ihn an der Futterstelle frei war, packte ihn der Mut und er imitierte haargenau den Schrei des Vorabends und wieder flüchteten alle anderen Affenmenschen — Karlheinz konnte sich erneut in aller Seelenruhe vollfressen.

Karlheinz fand Gefallen an seinem Trick und übertrieb es. Eines Tages wurde einer der anderen Affenmenschen misstrauisch. Statt zu fliehen, blieb er sitzen und als er sah, dass keine Gefahr drohte, hatte er die Täuschung durchschaut. Immer mehr Affenmenschen kamen dem Trick mit dem Schrei auf die Schliche und so verbreitete er sich rasend schnell. Jeder, der ihn kannte, wollte es selbst einmal ausprobieren. Natürlich ging das nicht lange gut. Als die stärkeren Affenmenschen dahinter kamen, war das Spiel vorbei — und Karlheinz musste wieder hungern und um Almosen betteln.

Eines Tages geschah etwas, was man als den ersten tatsächlich kommunikativen Akt im menschlichen Sinne bezeichnen kann: Einer der Chefs der Truppe, der es nie nötig gehabt hatte, den Angstschrei zu imitieren, um an Nahrung zu kommen, verwendete den Schrei, als ihm einer der Habenichtse zu nahe kam — nicht aber, um ihn zu täuschen, sondern um ihm ganz direkt zu verstehen zu geben, er solle schleunigst verschwinden. Dabei musste er den Schrei nicht einmal sonderlich gut imitieren. Ganz im Gegenteil: Es sollte erkennbar sein, dass es sich nicht um einen Schrei der Angst handelt, sondern um ein willentlich und absichtsvoll hervorgebrachtes Imitat. Die Bedeutung dieses sehr rudimentären ersten menschlichen Wortes könnte man frei übersetzen mit: Hau bloß ab, sonst gibt es was mit der Keule auf die Mütze! Bei Fußballspielen u.ä. Veranstaltungen lässt sich diese sehr archaische menschliche Kommunikation noch heute bisweilen beobachten.

Der Schrei war zu einem sprachlichen ZeichenZeichensprachliches geworden und die naturhafte Kommunikation hatte ihre Unschuld verloren. Der Schrei war nicht mehr länger Ausdruck, also ein SymptomSymptom von Angst, sondern zum Ausdruck eines Willens und damit zum Mittel einer kommunikativen Handlung geworden. Und so war es Karlheinz, der den Menschen über Umwege und aus Hunger die Sprache gebracht hat.

Auch wenn es sich bei dieser Geschichte nur um ein Märchen handelt, das in einem wissenschaftlichen Sinn keinen Anspruch auf Korrektheit erhebt, können wir doch eines daraus lernen:

[bad img format]Menschliche Kommunikation durch Sprache bedeutet, ein System konventioneller sprachlicher Zeichen mit einer bestimmten Syntax zu haben, mit dessen Hilfe man einem anderen Menschen zu erkennen geben kann, wozu man ihn bringen möchte.

Ob nun Karlheinz tatsächlich der Erfinder des ersten sprachlichen ZeichensZeichensprachliches war oder nicht, spielt dabei keine Rolle – aber es ist eine schöne Vorstellung.

Die Tatsache, dass wir auch ohne Sprache kommunikativ handeln können (z.B. durch Gesten oder durch unsere Kleidung), zeigt, dass Sprache nicht die Voraussetzung für menschliche Kommunikation ist, sondern dass menschliche Kommunikationsfähigkeit eine Voraussetzung für menschliche Sprache (als kommunikatives Zeichensystem) darstellt: „Kommunizieren unter Zuhilfenahme konventioneller Mittel, wie z.B. sprachlicher Zeichen, ist ein spezieller Fall von Kommunikation; wenngleich es heutzutage für uns die normale und überwiegend praktizierte Art und Weise zu kommunizieren ist“ (KELLER 2003: 77).