Kitabı oku: «Der Aktionskreis Halle», sayfa 12
1.3Partielle Nichtrezeption von Konzilsaussagen
Die Rezeption des Konzils und ihre Erforschung haben bislang verschiedene Phasen durchlaufen.861 An eine erste Rezeptionsphase des „Aufbruchs und des Überschwangs“862 trat ab 1968, spätestens aber seit 1973 die Zeit der „enttäuschten Hoffnung“863 und der Resignation. Zu jener Zeit war unklar, welchen Weg die nachkonziliare Kirche einschlagen würde und ob er nicht (wieder) ins Ghetto führen würde.864 Die postkonziliaren Synoden konnten bei ihrem Versuch, das Konzil durch die Ortskirchen zu rezipieren, zwar eine beachtliche Breitenwirkung entfalten, diese jedoch nicht langfristig konsolidieren.865 Die außerordentliche Bischofssynode zum 20jährigen Konzilsjubiläum 1985 schien als Beginn einer dritten Phase dazu beigetragen zu haben, dass sich die Kirche neu auf das Konzil orientiert und besinnt.866 Die Kölner Erklärung867 von 1989 und die Veröffentlichung eines Memorandums von Theologen und Theologinnen im Jahr 2011868 scheinen deutliche Anzeichen zu sein, dass auch diese Phase erodiert. Ob sich anlässlich der großen Konzilsjubiläen 2012 und 2015 eine neue Phase der schöpferischen Relecture des Konzils anschließt, bleibt abzuwarten.
Eine umfassende Analyse der ostdeutschen Konzilsbeteiligung und der anschließenden Konzilsrezeption in der katholischen Kirche in der DDR steht bislang noch aus, wenngleich erste wichtige Zugänge eröffnet sind.869 Im Gegensatz zu anderen Ostblockstaaten konnten die ostdeutschen Bischöfe mit ihren periti privati relativ ungehindert zum Konzil reisen und von dort berichten.870 Bereits 1967/1968 wurde eine vollständige Textedition des Konzils in der DDR publiziert.871 In der Folgezeit wurden Priester- und Diözesanräte etabliert und bis 1975 hatte man mit unterschiedlichem Erfolg zwei Synoden auf dem Gebiet der DDR abgehalten, die sich der Umsetzung der konziliaren Aussagen verschrieben hatten.872 Im Hinblick auf überprüfbare Ergebnisse zur Umsetzung des Konzils in der DDR wird, wie in Westdeutschland auch, bislang fast ausschließlich auf die Liturgiereform verwiesen.873 Während Rolf Schumacher noch 1998 davon sprach, dass es durch die Dresdner Pastoralsynode eine „überzeugende Rezeption von ‚Gaudium et spes‘ unter den gegebenen Bedingungen der DDR“874 gegeben habe, darf es inzwischen als Forschungskonsens angesehen werden, dass zumindest bis Anfang der 80er Jahre „wesentliche Inhalte der Pastoralkonstitution ‚Gaudium et spes‘ […] ausgeblendet“875 blieben.876 Die Beschreibung dieser Entwicklung als „partielle Nichtrezeption“877 von Konzilsaussagen hat sich als heuristisch angemessen herausgestellt, da nicht das Konzil insgesamt abgelehnt wurde. Allerdings ist festzuhalten, dass die Frage nach der Rezeption des Konzils bislang weitgehend isoliert auf die Rezeption der Pastoralkonstitution verengt wurde. Weder die Kontextualität von Gaudium et spes zur Kirchenkonstitution und zum Dekret über das Laienapostolat wurden dabei gebührend beachtet, noch wurden weitere Konzilsaussagen einer kritischen Rezeptionsanalyse unterzogen.878
Bezogen auf die vier zu analysierenden Themenkomplexe lassen sich verschiedene Konfliktfelder und -potentiale ausmachen, die ihre Rezeption erschwerten. Für die Hermeneutik der Konzilsrezeption in der DDR ist es unerlässlich, neben den innerkirchlichen und theologischen Diskussionen auch das gesellschaftlich-politische Umfeld eines atheistischen Regimes zu beachten.879 Wenngleich die Situation der katholischen Kirche in der DDR im Vergleich zu anderen Ostblockstaaten als freier und unabhängiger beschrieben werden kann, so ist sie dennoch nicht mit der Freiheit in demokratischen Rechtsstaaten zu vergleichen. In der Ursachenbeschreibung der „partiellen Nichtrezeption“ wird bislang auf die dominierende Haltung eines Mannes rekurriert. In der als „Ära Bengsch“ bezeichneten Amtszeit des Berliner Erzbischofs Alfred Kardinal Bengsch880 von 1961 bis 1979 formte und leitete er die katholische Kirche in der DDR und die Konferenz ihrer Ordinarien unter den Prämissen von unbedingter Einheit und Geschlossenheit.881 Der von Kardinal Bengsch aus pastoralen Motiven heraus etablierte kirchenpolitische modus vivendi mit dem SED-Staat, der seelsorgliche Freiräume wirkungsvoll dadurch zu sichern vermochte, dass sich die Kirche im Rahmen einer „politischen Abstinenz“ von der Kommentierung der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR weitestgehend dispensierte, konsolidierte den Status quo, die Trennung zwischen Staat und Kirche zu beiderseitigem Vorteil. Das Modell einer regulierten Gesprächsführung zwischen Kirche und Staat, das Gesprächskontakte nur auf Priester beschränkt wissen wollte, hatte vor allem unter den Bischöfen Wilhelm Weskamm und Julius Döpfner eine bistumsweite und immer neu erklärte Verbindlichkeit erreicht.882 Mit dem von der Pastoralkonstitution empfohlenen Dialog und Weltdienst der Christen schien dieses an den kirchenpolitischen Realitäten eines totalitären Staates abgelesene Modell allerdings kaum kompatibel zu sein. Als entscheidender Grund, weshalb es bis in die achtziger Jahre hinein zu einem „Ausfall der Rezeption von Gaudium et spes“883 gekommen ist, wird die Verknüpfung aus Alfred Bengsch’ dominierender theologischer Prägekraft mit seiner Stellung als Vorsitzendem der Berliner Ordinarien- und späteren Bischofskonferenz (BOK/BBK) und seinem Widerstand gegen das vormalige Schema XIII des Konzils angenommen.884 Unter Rückgriff auf seine eigenen Aussagen885 werden dabei sowohl theologische Motive als auch kirchenpolitische Erwägungen angeführt, weshalb es ihm unter den Bedingungen der DDR inopportun erschien, die Umsetzung und Interpretation von Gaudium et spes zu fördern.886 Theologische Defizite des Textes hinsichtlich einer unterrepräsentierten Kreuzestheologie, aber mehr noch die Sorge vor einer Instrumentalisierung der Konzilstexte für propagandistische Zwecke und damit verbunden einer Aufweichung der kirchlichen Einheit und Geschlossenheit - was für Bengsch gleichbedeutend mit der Gefährdung von Seelsorge verknüpft war - dürften für die verordnete Nichtrezeption letztendlich ausschlaggebend gewesen sein. Mit dieser Einstellung eng verbunden waren Vorstellungen zur Rezeption des Konzils. Kardinal Bengsch erschien es mehrfach geboten, mahnend darauf hinzuweisen, dass allein dem kirchlichen Lehramt die „legitime Interpretation der Konzilsdekrete“887 zustehe. Der bischöflicherseits befürchtete Missbrauch der Konzilstexte ließ die BOK gegenüber einer forcierten Konzilsrezeption zögerlicher werden.888 Zugleich sah er 1966 im innerkirchlichen Umgang mit den Konzilstexten die Tendenz zur „Missachtung der kirchlichen Lehrautorität“889: „Konzilsbeschlüsse werden weithin nur als Diskussionsgrundlage und nicht als zum Gehorsam verpflichtende Lehräußerungen angesehen. In diesem Mangel an Einsicht in das Wesen des kirchlichen Lehramts sei die häufig zu beobachtende Verbreitung privater theologischer Auffassungen begründet.“890 In diesen Äußerungen drückt sich ein Rezeptionsverständnis aus, das eine eigenständige Aneignung und Interpretation von Geist und Buchstabe des Konzils durch das Volk Gottes aus theologischen sowie kirchenpolitischen Motiven heraus nicht unterstützte. Es waren aber vor allem katholische Studentengemeinden und Akademiker in der DDR, die im Konzil den Impuls für eine neue Standortbestimmung der Kirche zur sozialistischen Gesellschaft sahen.891 Gerade sie forderten unter den Schlagwörtern „Dialog“ und „Engagement“ eine kritische Auseinandersetzung der Kirche mit dem Sozialismus und der DDR-Gesellschaft.892 Aus Angst vor staatlichen Differenzierungsversuchen und Instrumentalisierungen ging die BOK auf Distanz zu den zugleich politisch vereinnahmten Begriffen.893 Die Frage, welche Formen der „Weltdienst der Christen“894, so der bischöflich gebrauchte Terminus, in der DDR annehmen dürfte, ließ nicht selten erhebliche Kontroversen mit bischöflichen Positionen zu Tage treten.895 Während die Bischöfe vor allem bei der jüngeren Generation das Bestreben feststellten, dass „die Tendenz zum Engagement im gesellschaftlichen und politischen Leben der DDR stärker geworden ist“896, stand für den Berliner Kardinal hingegen eindeutig fest: „Das primäre Ziel postkonziliarer Arbeit muss die gläubige Selbstbesinnung sein.“897 Der drohende Verlust der bis dahin aufrechterhaltenen kirchlichen Einheit schien aufgrund der postkonziliaren Impulse latent. Ob die katholischen Christen in der DDR die „Zeichen der Zeit“ (GS 4) wahrnehmen und im Licht des Evangeliums für die Menschen deuten sollten, blieb angesichts einer deutlichen Zurückhaltung einiger ostdeutscher Bischöfe gegenüber dem „Dialog mit der Welt“898 mehr als unklar.899 Gleichwohl darf durchaus ein etwas heterogeneres Meinungsbild innerhalb der Berliner Ordinarienkonferenz unterstellt werden - wie Hirtenbriefe aus den Schweriner und Erfurter Jurisdiktionsgebieten aus den Jahren während und besonders nach dem Konzil nahelegen900 - als es die einstimmigen Beschlüsse der Ordinarienkonferenz vermuten lassen.
Auch das vom Konzil erneuerte Kirchenbild schien mit der kirchenpolitischen Linie Bengschs nur bedingt harmonisierbar zu sein.901 Die Brüderlichkeit des pilgernden Gottesvolkes sowie die Beteiligung von Laien an innerkirchlichen Diskussions- und Entscheidungsprozessen als Ausdruck des gemeinsamen Priestertums - wie im Anschluss an Lumen gentium ausdrücklich im Schema I der umstrittenen Meißner Synode von Wolfgang Trilling entscheidend formuliert - stießen bei Kardinal Bengsch auf deutliche theologische und kirchenpolitische Vorbehalte.902 Die Frage, ob eine theologisch begründete Abkehr von der auf Gehorsam ausgerichteten strengen hierarchischen Ekklesiologie der vorkonziliaren Epoche, welche die Laien als pastoral zu betreuende Objekte, nicht aber als selbstständige Subjekte betrachtete, eine existentielle Gefährdung für die kirchenpolitisch notwendige Abwehr staatlicher „Zersetzungsversuche“ bedeuten würde, wurde kirchenintern nicht selten positiv beantwortet.903 Dass die Mitwirkung von Priestern und Laien in Diskussions- und Entscheidungsprozessen der Ordinarienkonferenz daher wenig Aussicht auf Erfolg hatte, belegt das Schicksal der beiden 1968 errichteten Beratergremien der BOK. Das Provisorium ihrer Errichtung wurde nach einem dreijährigen bischöflich herbeigeführten Leerlauf nicht mehr verlängert.904
Die konziliaren Impulse zur Sendung der Laien in Kirche und Welt sahen sich ebenfalls kritischen Anfragen durch die ostdeutschen Bischöfe ausgesetzt. Nach der kriegsbedingten Eingliederung des kirchlichen Vereinswesens in den durch das Konkordat abgesicherten Schutzraum der Pfarrgemeinden seit 1936 hatte sich nach 1945 in der SBZ/DDR angesichts staatlicher Koalitionsverbote kein kirchliches Vereinswesen etablieren können. Fast alle Aktivitäten mussten sich, staatlich bedingt und kirchlich nicht anders favorisiert, unter dem Dach der Pfarrgemeinden und unter der Leitung der Priester vollziehen. Politische Rahmenbedingungen hatten insofern dazu beigetragen, dass sich traditionelle kirchliche Modelle, in diesem Fall Varianten der „Katholischen Aktion“, stärker hatten durchsetzen können. Die konziliare Stärkung des Laienapostolates war vor allem im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg, dem östlichen Teil des Erzbistums Paderborn, eine Bestätigung der pastoral weitblickenden Aktivitäten des früheren Magdeburger Seelsorgeamtsleiters und späteren Erfurter Bischofs Hugo Aufderbeck905.906 Er hatte bereits vor dem Konzil damit begonnen, die Laien stärker in den Gemeinden einzubinden und ihren Status als pastoral zu versorgende Objekte zu überwinden. Alfred Bengsch sah hingegen in den Konzilsaussagen zum „Weltauftrag der mündigen Laien“907 vorwiegend Missbrauchspotentiale. Vor allem die „kollaborierenden christlichen Gruppen“908, so die unmissverständlich militante Diktion des Kardinals, würden sich in ihren Bemühungen bestätigt sehen und eine Distanz zwischen den Aussagen des Konzils und der Päpste auf der einen und den politisch abstinenten ostdeutschen Bischöfen auf der anderen Seite herausstellen. Diese Vorgänge waren nach Meinung Bengschs dazu geeignet, den bisher verfolgten kirchenpolitischen Kurs der Bischöfe zu delegitimieren und so die Einheit der Kirche unter der Leitung der Bischöfe ernsthaft zu gefährden.909
Dass der Berliner Kardinal in der Konzilsaula gegen Gaudium et spes votiert hatte, skeptisch gegenüber einer Schwächung der hierarchischen Struktur der Kirche angesichts der staatlichen Anfeindungen war, in der Betonung des Apostolates der Laien überwiegend Missbrauchspotentiale für staatlich gelenkte Gruppierungen erblickte und ein im Gehorsam grundgelegtes neuscholastisches Rezeptionsverständnis für die Konzilsaussagen vertrat, das selbstständige Rezeptionsversuche des Konzils kaum begünstige, hat mit dazu beigetragen, dass sich seit 1965 ein innerkirchlicher Reformdruck aufbaute, der unweigerlich nach Ventilen suchen würde. 1968 erbat Alfred Bengsch in einem Brief an seinen Generalvikar Walter Adolph mit Blick auf die kommenden Jahre das „Charisma eines dicken Felles.“910 Ahnte der Berliner Kirchenfürst, was auf die Kirche in der DDR zukommen sollte und welche Dynamik aus der verhinderten Konzilsrezeption erwachsen würde?
2.Brennpunkte der Auseinandersetzung
Die thematische Arbeit des Hallenser Aktionskreises soll im nun folgenden Abschnitt an drei markanten Beispielen detailliert nachgezeichnet werden. Für diese Analyse wurden diejenigen Themengebiete ausgewählt, denen der AKH in seinen Rundbriefen und Vollversammlungen die größte Aufmerksamkeit widmete: der Dresdner Pastoralsynode, dem christlichen Friedenszeugnis und der Ökumene in der DDR.911 Die Bearbeitung dieser Themen durch den Aktionskreis ermöglicht einerseits eine Beurteilung hinsichtlich der darin vollzogenen Konzilsrezeption. Andererseits präsentieren sich diese Themen als Kristallisationspunkte der basiskirchlichen Auseinandersetzung mit theologischen, pastoralen und kirchenpolitischen Positionen der ostdeutschen Bischöfe. Um eine vergleichende Perspektive einnehmen zu können, werden daher auch die Entwicklungen im Umfeld dieser Problemfelder berücksichtigt. Die zentrale These dieses komparativen Zugangs lautet: Der Aktionskreis Halle hat, indem er die Aussagen des II. Vatikanums eigenständig rezipierte, eine theologischpastorale Orientierung der katholischen Kirche in der DDR vorangetrieben, die sich erst in den 1980er Jahren einer breiteren Anerkennung erfreute und die für Positionen einzelner katholischer Bischöfe anschlussfähig war. Die Wachheit des theolgischen Denkens und die Verantwortung für die Kirche und die Menschen in der DDR hatte zu kompatiblen Standpunkten geführt.
2.1Dresdner Pastoralsynode
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil setzte sich der Impuls eines innerkirchlichen Aufbruchs weltweit fort und es kam zu verschiedenen Versammlungen und Synoden, die sich die Interpretation und Applikation der Konzilsbeschlüsse zur Aufgabe gemacht hatten.912 Die Kirchenversammlungen diskutierten auf unterschiedlichen Ebenen in je eigener Ausprägung die Anstöße und Veränderungen des Konzils für die jeweiligen Teilkirchen.913 Dabei konnten sich Forderungen nach einer größeren Beteiligung der kirchlichen Öffentlichkeit und einer Mitarbeit von Laien in den meisten Fällen durchsetzen. Auf dem Gebiet der DDR fanden zwei nachkonziliare Synoden statt - die Meißner Diözesansynode914 (1967-1970) sowie die Pastoralsynode für die ostdeutschen Jurisdiktionsgebiete in Dresden (1973 - 1975)915 – an denen jeweils auch Mitglieder des AKH aktiv teilnahmen.916 Die Pastoralsynode der Jurisdiktionsgebiete in der DDR tagte – teilweise parallel zur Würzburger Synode - in sieben Vollversammlungen von März 1973 bis November 1975 in Dresden.917
In insgesamt sechzehn Rundbriefen setzte sich der Aktionskreis Halle von 1970 bis 1978 konstruktiv und kritisch mit der ostdeutschen Synode auseinander.918 Sie avancierte nach der Magdeburger Bischofswahl zum zweiten öffentlichen Prüfstein seiner Ziele und Überzeugungen. Mehrfach insistierte der AKH darauf, dass die Synode das angespannte Verhältnis zwischen Kirche, Staat und Gesellschaftsordnung nicht „tabuisieren“919 dürfe, sondern „gerade auch dazu Stellung beziehen und Impulse für den konkreten Weltdienst geben“920 sollte. Damit stellte sich vor dem Hintergrund von Gaudium et spes für die ostdeutsche Synode die Frage, ob sie zu einer authentischen Standortbestimmung gegenüber der sozialistischen Gesellschaft gelangen würde.921 Da dies zugleich eine Kernfrage des AKH darstellte, durfte man mit einer aktiven Teilnahme an der Synode rechnen. Dass der Magdeburger Bischof den AKH jedoch gezielt von der Synode ausgeschlossen hatte, veränderte seine Beteiligungsmöglichkeiten bei diesem innerkirchlichen Dialogforum nicht unwesentlich.
2.1.1Verfrühte Pflichtveranstaltung
Von einer geradlinigen Entwicklung der Konzilsrezeption, die geradezu zwangsläufig in die Abhaltung nachkonziliarer Diözesan- und Partikularsynoden führte, kann mit Blick auf die Situation im geteilten Deutschland nicht gesprochen werden. Auch wenn für einzelne Bistümer im deutschsprachigen Raum kurz nach dem II. Vatikanum klar wurde, dass zur Applikation und Interpretation des Konzils der Weg über Diözesansynoden führen würde - so etwa in Wien, Hildesheim und Meißen - kann weder für die bundesdeutsche noch für die ostdeutsche Kirche von einer konkreten Agenda zur Konzilsrezeption gesprochen werden, die Regionalsynoden explizit vorsah.922 Für die bundesdeutsche Kirche sind die Unruhen des Essener Katholikentags von 1968 ein zentrales Moment auf dem Weg zu einer gemeinsamen Synode aller Diözesen in Würzburg gewesen.923 Nach dem Ende des Konzils kamen Planungen für eine „DDR-Synode“ zunächst nicht in den Blick.924 Dies änderte sich erst gegen Ende der 1960er Jahre. Dabei haben sich drei Erklärungsmuster herausbilden können, die den Kurswechsel der BOK hin zu einer eigenen Synode in der DDR verdeutlichen: Neben den kirchenpolitischen Motiven und dem Zugzwang durch die Würzburger Synode925 ist die theologische Einbindung der umstrittenen Meißner Synode926 (1969-1971) ebenso zu nennen, wie die Kanalisierung des weitverbreiteten Anspruchs, die Aufbrüche des Konzils spürbar in den Ortskirchen umzusetzen.927 Obwohl Kardinal Bengsch aufgrund der kirchenpolitischen Entwicklungen bereits im Mai 1969 eine Synode intern für unausweichlich hielt und seinen Entschluss hierzu Rom mitteilte, beauftragte er nachträglich verschiedene Kommissionen und Gruppen, die Frage nach der Opportunität einer Synode zu prüfen.928 Sollte dieser Schritt etwaige Bedenken gegen eine zu autoritäre Entscheidungsfindung kaschieren?929 In der Forschung zeichnet sich ein ambivalentes Bild hinsichtlich der Opportunitätsfrage und der verschiedenen Voten ab, die hierzu bei der BOK eingingen.930 Während Rolf Schumacher zu dem Ergebnis kommt, dass die ingsgesamt acht Expertisen das Vorhaben einer Pastoralsynode ausnahmslos befürwortet haben931, gelangt Josef Pilvousek zu einer differenzierteren Beurteilung.932 Im Gegensatz zu Schumacher führen ihn die Stellungnahmen zu der Feststellung, dass es eine relativ deutliche „skeptisch-negative(n) Einstellung gegenüber dem Projekt einer ‚großen Pastoralsynode‘ für die DDR“933 gegeben habe und dass „in einigen Gremien wohl angesichts mangelnder Kenntnisse über Sinn und Aufgabe einer Synode eher diffuse Vorstellungen über solche ‚Veranstaltungen‘ bestanden“934 haben. Er resümiert: „Eine Synode war nicht vorgesehen, die Forderungen das Zweiten Vatikanums sollten an der Basis, in den Gemeinden durch Pastoralkongresse, ein Pastoralkonzil oder ähnliche Konferenzen realisiert werden.“935
Der AKH ließ es sich nicht nehmen, frühzeitig zur Opportunität einer Synode Stellung zu beziehen. In der Vorbereitungsphase zur Pastoralsynode konnten Ansichten und Vorschläge geäußert werden, um eventuell Einfluss auf Entwicklungen zu nehmen bzw. für verschiedene Aspekte zu sensibilisieren.936 In mehreren Beiträgen und über einen längeren Zeitraum hinweg äußerte der AKH Überlegungen und Bedenken hinsichtlich der Anlaufphase der Kirchenversammlung in der DDR.937 Er zeichnete dabei ein kritisches Bild hinsichtlich der Synodenopportunität.938 Diese Ausführungen und Überlegungen dürften bei der Bischofskonferenz und den verschiedenen Gremien bekannt gewesen sein.939 Gleichwohl haben sie in die offizielle Liste von Stellungnahmen zur Opportunitätsfrage keinen Eingang gefunden.940
Die Mitglieder des Aktionskreises waren der Überzeugung, dass „eine Reihe von grundlegenden Voraussetzungen noch nicht gegeben“ waren, „um ein Pastoralkonzil oder eine Pastoralsynode abzuhalten.“941 Grundlegendstes Problem sei dabei das nicht vorhandene Bedürfnis nach einer solchen Kirchenversammlung gewesen.942 Als „von oben eingesetzte Idee“943 fehlten nach Ansicht des Hallenser Kreises der Pastoralsynode der Rückhalt und das Interesse bei den Priestern und in den Gemeinden.944 Signifikant für diese Situation sei die nicht vorhandene „Synodenbegeisterung“ oder „synodale Bewegung“ in der katholischen Kirche in der DDR.945 Stattdessen würden nur die „ ‚linken‘ und ‚rechten‘ Katholiken… und von Amts wegen natürlich auch das eher konservative ‚Establishment‘ “946 in der Vorbereitung der Synode aktiv werden. Den Kern des mangelnden Interesses an einer Synode sah der AKH darin begründet, dass in der katholischen Kirche in der DDR ein Nachholbedarf im Hinblick auf das Wissen und Verständnis der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils herrschte. Trotz Veröffentlichung der Dekrete und Konstitutionen des II. Vatikanums947 seien sie nach Ansicht der Hallenser „in keiner Weise schon Allgemeingut der Kirche der DDR weder im Denken noch im praktischen Umsätzen.“948 Anstatt eine „verbilligte Neuauflage des II. Vatikanums zu versuchen“949 optierte der AKH für die Kultivierung des nachkonziliaren Klärungsprozesses, in dessen Zusammenhang eine objektive Bestandsaufnahme der Situation der Kirche in der DDR erst noch erfolgen müsste. Er befürchtete, dass die dynamische Entwicklung der Konzilsrezeption durch frühzeitige Festlegungen einer Synode gestört werden könnte.950 Ebenso kritisch bewertete er den fehlenden innerkirchlichen und gesellschaftlichen Dialog.951 Nach einem längeren Beobachtungsprozess der katholischen Kirche in der DDR kam der AKH zu der Vermutung, dass der Wille zur wahrhaftigen Auseinandersetzung mit den Problemen der Kirche, ihrem Verhältnis zu Staat und Gesellschaft sowie die Bereitschaft, „heiße Eisen“ aufzugreifen und konstruktiv zu diskutieren, kaum vorhanden war.952 Er verlieh vielmehr seiner Befürchtung und Beobachtung Ausdruck, dass derartige Streitthemen - „das Verhältnis Kirche-Staat-Gesellschaft…; Wehrdienst, Mauer, Schießbefehl, mögliche Zusammenarbeit mit den Marxisten.“953 - bereits in der Vorbereitungsphase tabuisiert werden. Als entscheidenden Grund hierfür nannte der AKH eine „bestimmte Kirchenpolitik, die unsere Sicherheit über die Mission stellt.“954 Kritisch wurde auch die dominante Stellung von Kardinal Bengsch für die Kirche und Synode in der DDR bewertet.955 Schließlich nannte der Aktionskreis auch praktische Desiderate in der Synodenvorbereitung. Nicht nur eine sozial-historische Bestandsaufnahme der Situation der Gemeinden in der DDR, auch ein kontinuierlicher Informationsaustausch zwischen den verschiedenen kirchlichen Ebenen waren Leerstellen.956 Auf die Frage, wer eine synodale Kirchenversammlung wünsche, antwortete der AKH 1970 schlicht: „Die Basis-Kirche? Dort vernimmt man nicht den Hauch eines Echos. Die Spitze der Kirche? Ich befürchte, dass sie in einem Konzil ein Instrument sucht, die aufkommende Unruhe zu dämpfen, Eigenwege zu unterbinden. Die wenigen dynamischen Gruppen? Sie fürchten ‚reaktionäre‘ Festlegungen, die die eigentlichen Probleme kaschieren. Und das wird den Zunder nur vermehren.“957 Kurzum, der AKH fühlte sich durch seine Beobachtungen bestärkt, „vor einer Pflichtveranstaltung, die der Kirche in der DDR nicht helfen, sondern nur schaden kann, zu warnen.“958
Obgleich der AKH eine äußerst kritische Bewertung vornahm und die Opportunitätsfrage negativ beantwortete, stellt seine Beurteilung keine Singularität dar. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine bislang kaum beachtete Stellungnahme einer Gruppe innerhalb der Berliner Ordinarienkonferenz. Sowohl der Magdeburger Bischof Johannes Braun959 als auch der Erfurter Weihbischof Hugo Aufderbeck960 sekundierten unabhängig voneinander die skeptische Ansicht des AKH und bestätigten kurz vor der offiziellen Ankündigung einer Synode die Reserviertheit ihrer Gemeinden und des Klerus gegenüber einem derartigen Vorhaben: „Die abwartende und skeptische Haltung besonders in der Geistlichkeit empfiehlt es, die Frage nach der Opportunität der Pastoralsynode in der bisher erarbeiteten Form noch einmal zu stellen… Ein großer Teil des Klerus steht der Synode mit großer Reserve gegenüber.“961 In erstaunlicher Offenheit gab eine Gruppe um Weihbischof Aufderbeck die Fragilität der bisherigen Synodenplanung zu bedenken: „Wenn es nicht gelingt, den Klerus zum größeren Teil für die Synode zu gewinnen, wird sie ein Fehlschlag...“962 Diese Bewertung drängte die Gruppe dazu, nicht nur die Opportunitätsfrage erneut der Agenda der Synodenvorbereitung zu empfehlen, sondern zugleich den vorgesehenen Zeitplan.963 In Erfurt wollte man nur wenige Tage vor dem offiziellen Startschuß durch eine vorläufige Sistierung der Vorbereitungen964 und eine nochmalige Meinungsumfrage965 ein klareres Bild hinsichtlich eines Synodenbedürfnisses eruieren. Obschon man sich durchaus bewusst war, dass „diese Überlegungen nicht das Wohlgefallen aller Mitglieder unserer Ordinarienkonferenz und der bisherigen Vorbereitungskommission finden“966, hielt man es „der Sache wegen für ratsam, diese Fragen zur Überlegung vorzulegen.“967 Möglicherweise könne, so hoffte man zumindest in Erfurt, „der Zeitgewinn aus der ‚präsynodalen Sackgasse‘ “968 herausführen, in die man sich hineinmanövriert hatte.
Diese unzweideutige Einschätzung speiste sich aus Kommentaren von Gemeinden und Klerusversammlungen der Erfurter und Magdeburger Jurisdiktionsgebiete und gibt einen Einblick in die mangelnde Synodenbegeisterung an der kirchlichen Basis zu jener Zeit. Schließlich kommt eine weitere Beobachtung hinzu, die die weit verbreitete Skepsis gegenüber einer großen Pastoralsynode in der DDR zu erläutern vermag. In den meisten ostdeutschen Bistümern und Jurisdiktionsgebieten findet sich der jeweils leicht modifizierte Appell, die „ ‚Forderungen des II. Vaticanums an der Basis, in den Gemeinden, zu realisieren‘.“969 Bereits unmittelbar nach dem Konzil wurden in den ostdeutschen Seelsorgeämtern Schwerpunkte der Pastoral aus den Aussagen des Konzils formuliert und als Jahresthemen in die Gemeindepastoral übermittelt. „1966/69 – Die neue Sicht der Kirche; 1966/67-1967/68 – Liturgie; 1967/68 – Verkündigung; 1968/69 – Erwachsenenseelsorge; 1969/1970 – Stärkung der Mitverantwortung.“970 Ein Vergleich dieser Jahresthemen mit den Schwerpunkten der Synode konnte zeigen, dass bereits einige Jahre vor der Synode und ihren Planungen „ein Programm entstand, das denkwürdigerweise in seinen Schwerpunkten in den späteren Synodenbeschlüssen wiederzufinden ist.“971 Bereits vor allen synodalen Prozessen auf überdiözesaner Ebene wurden die vom Konzil aufgeworfenen Fragen und Themen durch institutionalisierte Vorgaben der Seelsorgeämter in den Gemeinden und Gruppen diskutiert. Dass dies die Erwartungshaltung an eine erst noch abzuhaltende Pastoralsynode überschaubar machte, kann insofern nicht verwundern.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass in der Opportunitätsfrage offensichtlich eher kirchenpolitische als pastorale Motive dominiert haben. Jedenfalls war es nur eine kleine Fraktion innerhalb der Ordinarienkonferenz, die die Skepsis der Priester und Gemeinden hinsichtlich der Notwendigkeit einer Synode thematisierte und die Sinn und Erfolg der Synode vom Grad der synodalen Begeisterung bzw. der Mitarbeit der Priester und Gemeinden abhängig machen wollte. Die Nähe dieser bischöflichen Position zur Kritik des AKH ist erstaunlich. Die gering ausgeprägte Bereitschaft der Ordinarienkonferenz, auf Bedenken und Anfragen hinsichtlich der Opportunität einer kirchlich-synodalen Großveranstaltung einzugehen, erscheint als weiteres Indiz dafür, dass die erbetenen Voten ohnehin nur den bischöflichen Alleingang im Entscheidungsfindungsprozess verbergen sollten. Von einer Umsetzung der im Konzil geforderten innerkirchlichen Mitverantwortung der Laien kann hinsichtlich der Opportunitätsfrage daher nur partiell gesprochen werden. Die Kritik des AKH an einer bischöflich verordneten Kirchenversammlung stellte keine Fundamentalopposition dar, sondern hob öffentlich ins Wort, was andere Gruppen intern ebenfalls bemängelten. Zu Recht hatte der Aktionskreis schon damals öffentlich kritisiert, dass aufgrund der dominierenden Kirchenpolitik die Opportunitätsfrage nie wirklich zur Disposition stand und sich damit bereits im Vorfeld der Synodenplanung eine bischöfliche Dominanz abzeichnete.972
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