Kitabı oku: «Kartellrechtliche Innovationstheorie für digitale Plattformen», sayfa 6

Yazı tipi:

9. Suchmaschinen und Vergleichsplattformen

Die meisten Informationen im Internet sind aufgrund der enormen Masse an weltweit verfügbaren Inhalten nicht ohne weiteres durch Nutzer auffindbar, wenn sie nicht bereits aus anderen Gründen wunschgemäß eine bestimmte Webseite anwählen. Eine Erfassung sämtlicher verfügbarer Inhalte auf ihre Relevanz zu einem konkret geäußerten Informationsinteresse ist nur noch automatisch durch den Einsatz von Webcrawlern möglich.126 Die automatisch erfassten Inhalte werden dabei von Suchmaschinen-Anbietern indexiert und ausgewertet.127 Stellt ein Nutzer eine Suchanfrage auf der Suchmaschinen-Webseite, werden die bereits indexierten Inhalte nach ihrer Relevanz für die jeweilige Suchanfrage sortiert aufgelistet. Der Nutzer hat hierdurch die Möglichkeit, die aufgelisteten Internet-Inhalte über die dargestellten Links sofort anzuwählen und die dort enthaltenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen.128 Eine Vermittlung erfolgt hier durch die Zuleitung von Besuchern an den jeweiligen Webseiten-Betreiber. Für die Inanspruchnahme der Suchmaschine durch den Internetnutzer wie für die Indexierung der Webseiten in den Suchergebnissen erheben die meisten Anbieter kein unmittelbares Entgelt. Sie ermöglichen stattdessen die entgeltliche Schaltung von Werbung auf ihrer Internetseite. Die bei der Auswertung der indexierten Webseiten sowie der Suchanfragen erlangten Informationen können dabei gegenüber dem Werbekunden zur Preisfestsetzung verwendet werden. So wäre es möglich, bei Suchanfragen zu bestimmten Begriffen dazu passende Werbeinhalte einzublenden und an die Nutzer der Suchmaschine zu vermitteln.129

Vergleichsplattformen ermöglichen es ihren Nutzern, die Angebote und Preise verschiedener Unternehmen nebeneinander zu stellen und nach ihren Kriterien zu vergleichen. Dies erfolgt ebenso wie bei Suchmaschinen durch eine Listung der Unternehmen, die ihre Produkte oder Leistungen über das Internet anbieten. Auch hier kann der Nutzer eine Suche durch Eingabe eines Begriffes und Vorgabe relevanter Vergleichsparameter in einem Suchfeld auf der Internetseite der Vergleichsplattform starten und anschließend die dargestellten Seiten direkt anwählen. Die Aufnahme der Unternehmen erfolgt dabei häufig wie bei einer Suchmaschine, gelegentlich auch gegen Entgelt. Bei Bewertungsplattformen erfolgt eine Auflistung des jeweiligen Unternehmens durch den Nutzer selbst.

10. Vernetzte Systeme, Cloud und Smart Home

Schließlich gibt es zunehmend Technologien, die sich immer mehr in den Alltag integrieren lassen und eine noch tiefere Vernetzung ermöglichen. Dies kann durch eine Vernetzung verschiedener Computer-Kapazitäten oder Plattformen untereinander erfolgen. Auf ähnliche Weise funktionieren smarte Assistenzsysteme oder Smart-Home-Lösungen, die zusätzlich eine Vernetzung mit Alltagsgegenständen ermöglichen.130

In den letzten Jahren hat die Diskussion über die Einordnung der sogenannten Distributed Ledger Technology zunehmende Bedeutung gewonnen. Dabei handelt es sich um vernetzte Systeme oder Datenbanken, die nicht mehr nur zentral, sondern über eine Infrastruktur kollaborativ zu einem gemeinsamen Zweck miteinander verbunden werden und bei denen Einträge nicht mehr nachträglich verändert werden können.131 Ein Anwendungsfall dieser Technologie ist die sogenannte Blockchain, die ein verifizierbares Buchführungssystem für digitale Transaktionen ermöglicht.132 Als Besonderheit gilt hierbei, dass diese Technologie den Einsatz von Intermediärunternehmen technisch überflüssig machen kann. Es muss also nicht mehr zwingend für den zu vermittelnden Schritt eine eigene Vermittlungsplattform betrieben werden. Stattdessen wird dieser Schritt in den Ablauf der jeweiligen Blockchain integriert. Die Abläufe bestimmen dabei die Teilnehmer oder Nutzer der jeweiligen Blockchain. Das bedeutet, dass nicht mehr ein einzelnes Unternehmen über die Vermittlung entscheidet, sondern je nach systematischer Ausgestaltung das teilnehmende Nutzerkollektiv.133 Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich hierbei um einen nächsten Entwicklungsschritt über die Plattformen hinaus handelt. Vielmehr wird in den meisten Fällen lediglich die Art der Zusammenarbeit anders geregelt, sodass es nicht mehr den einen Plattform-Betreiber gibt. Stattdessen sind die Anwender der Technologie selbst mit mehr Möglichkeiten der Einflussnahme ausgestattet. Es handelt sich weiterhin um kooperative Zusammenschlüsse mehrerer Anwender, bei denen dieselben wettbewerblichen Phänomene wie bei Plattformen auftreten können, nur dass häufig kein einzelnes Unternehmen als Vermittler auftritt. Dies gilt erst recht, wenn es sich um eine proprietäre Blockchain handelt, die von einem Unternehmen bereitgestellt wird.

11. Virtualisierung konventioneller Angebote

Eine weitere Besonderheit digitaler Plattformen ist ihr Verhältnis zu nicht-digitalen konventionellen Angeboten. So bieten einige Plattformen Leistungen an, die aus Nutzersicht als funktional äquivalent oder substitutiv zu herkömmlichen Angeboten angesehen werden kann. Zu beobachten ist dies derzeit in der Telekommunikationsbranche am Beispiel der weit verbreiteten Messenger WhatsApp oder Threema.134 Beide werden aus Nutzersicht überwiegend für das Versenden und Empfangen von Kurznachrichten genutzt und können deshalb als funktional äquivalent zu konventionellen SMS-Diensten angesehen werden.

Allerdings beschränken sich viele Angebote nicht darauf, lediglich bereits bestehende Angebote über die Internet-Technologie „virtualisiert“ nachzubilden. Vielmehr werden viele Angebote um weitere Funktionen ergänzt, sodass sie im Verhältnis zu herkömmlichen Angeboten komplementär sind, wie zum Beispiel der Videotelefonie-Dienst Skype, Online-Datingplattformen oder neue Finanzdienstleister. Hinzu kommt, dass die Angebote selbst durch ihre Virtualisierung von einem materiellen Verschleiß unabhängiger werden können, indem ihre Kapazitäten und Ressourcen untereinander beliebig austauschbar gemacht werden.135 Gleichzeitig steigen die qualitativen Erwartungen der Nachfrager. Mit dieser Virtualisierung werden die Angebote einerseits auf eine bestimmte Technologie festgelegt, was wiederum mit Pfadabhängigkeiten einhergeht, wodurch Handlungsmöglichkeiten verschlossen werden.136 Andererseits werden dadurch vorherige Pfade durchbrochen, indem neue Handlungsmöglichkeiten bereitgestellt werden.137 Digitale Plattformen stellen damit eine starke Bedeutung für die gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Veränderungen dar.

90 Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 199ff. 91 Ebenda, S. 129ff.; ähnlich Engert, AcP 2018, S. 304 (305f.). 92 Podszun, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, Kapitel 1, Rn. 5; Podszun/Franz, NZKart 2015, S. 121 (124). 93 Louven, Verbraucherrechte im Verbrauchsgüterkauf in Deutschland und Spanien, 2018 94 Blaschczok, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 51f. 95 Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart 2014, S. 387 (389). 96 Ebenda, S. 387 (388). 97 Ebenda, S. 387 (388). 98 Blaschczok, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 52. 99 Ebenda, S. 51f. 100 Ebenda, S. 52. 101 Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 48. 102 Schmalensee, JIE 2002, S. 103; Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (1013); Rochet/Tirole, RJE 2006, S. 645 (646f.); zu kartellrechtlichen und sektorspezifischen Besonderheiten Louven, NZ-Kart 2020, S. 426. 103 Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (990); Budszinski/Lindstädt, WiST 2010, S. 436 (437). 104 Rochet/Tirole, RJE 2006, S. 645 (647); Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 32. 105 Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 39ff. 106 Ewald, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 7, Rn. 71; Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 136. 107 Busche, in: Busche/Röhling, Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 18 GWB 108 Hass, MedienWirtschaft Sonderheft 2007, S. 70 (70); Blaschczok, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 45. 109 Hass, MedienWirtschaft Sonderheft 2007, S. 70 (72f.). 110 BKartA, Beschl. v. 22.2.2002 – B7-168/01 (Liberty/KDG), BeckRS 2002, 10429 = WuW 2002, 632. 111 Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (1017). 112 Rochet/Tirole, RJE 2006, S. 645 (646). 113 Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 47. 114 Ebenda, S. 35. 115 Rochet/Tirole, JEEA 2003, S. 990 (1016). 116 Blaschczok, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 49. 117 Marly, Praxishandbuch Softwarerecht, 2018, S. 473, 489f.; Haucap, Wirtschaftsdienst 2015, S. 91 (94). 118 Marly, Praxishandbuch Softwarerecht, 2018, S. 489. 119 Vgl. Übersicht bei ebenda, S. 489f. 120 Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016, S. 44. 121 BKartA, Beschl. v. 6.2.2019 – B6-22/16 (Facebook), BeckRS 2019, 4895, Rn. 249. 122 OTT-Kommunikationsdienste erbringen ihre Leistung „Over the Top“, was deren Erbringung über das offene Internet bei gleichzeitiger weitgehender Unabhängigkeit von herkömmlicher Telekommunikationsinfrastruktur beschreiben soll. Die Nutzung dieser Kommunikationsdienste setzt einen bestehenden Internetzugang für den jeweiligen Nutzer über einen Telekommunikationsdienst voraus und stellt die Schaffung dieser Voraussetzung in das alleinige Risiko des Nutzers; Telle, in: Taeger/Telle, Aktuelle Rechtsfragen im Informationsrecht in Rumänien und Deutschland, 2017, S. 39 (40). 123 BKartA, Beschl. v. 22.10.2015 – B6-57/15 (Online-Datingplattformen), BeckRS 2016, 1137, Rn. 17, 19, 72. 124 BKartA, Beschl. v. 22.10.2015 – B6-57/15 (Online-Datingplattformen), BeckRS 2016, 1137, Rn. 17; das BKartA unterscheidet in dem konkreten Verfahren zwischen den Kategorien Partnervermittlungsplattformen (Rn. 26), Singlebörsen (Rn. 29) und Casual-/Adult-Dating-Plattformen (Rn. 31). 125 Haucap, Wirtschaftsdienst 2015, S. 91 (92). 126 Lewandowksi, in: Kuhlen/Semar/Strauch, Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, 2013, S. 495 (499). 127 Glöggler, Suchmaschinen im Internet, 2003, S. 39f. 128 Vgl. Höppner/Grabenschröer, NZKart 2015, S. 162 (165), die von einem „effizientesten Zugang zu den relevantesten Informationen“ sprechen. 129 Ebenda, S. 162 (164). 130 Henseler-Unger, in: Sassenberg/Faber, Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things, § 1, Rn. 15; Scheer, IS 2016, S. 275 (278); Andelfinger/Hänisch, Internet der Dinge, 2015, S. 32. 131 Sürmeli et al., IS 2017, S. 595 (596); Drescher, Blockchain Basics, 2017, S. 11ff. 132 Einführend zur Blockchain-Technologie aus juristischer Perspektive: Pesch/Sillaber, CRi 2017, S. 166 (167); Saive, CR 2018, S. 186 (186f.). 133 Vgl. dazu die Übersicht bei Drescher, Blockchain Basics, 2017, S. 216. 134 Telle, in: Taeger/Telle, Aktuelle Rechtsfragen im Informationsrecht in Rumänien und Deutschland, 2017, S. 39 (41). 135 Dreher, ZWeR 2009, S. 149 (151). 136 Hoffmann-Riem, Innovation und Recht, Recht und Innovation, 2016, S. 213; Simonis, in: Sauer/Lang, Paradoxien der Innovation, 1999, S. 149 (152). 137 Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014, S. 124.

III. Plattformspezifische Wettbewerbsphänomene

In der ökonomischen Literatur werden Plattformen häufig mehrseitige Märkte genannt.138 Das bedeutet zunächst, dass Plattformen üblicherweise nicht nur einen Markt bedienen, sondern mehrere. Das allein wäre dabei nicht ungewöhnlich, da auch andere Unternehmen, die keine Plattformen sind, auf einer für sie selbst unübersehbaren Anzahl an Märkten im Sinne des Kartellrechts als Anbieter wie auch Nachfrager von Produkten oder Leistungen auftreten können. Und auch Plattform-Unternehmen selbst werden in ähnlicher Weise als Anbieter und Nachfrager auf einer Vielzahl an anderen Märkten tätig, ohne dass dies im Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als Plattform zusammenhängt. Vielmehr zeichnen sich diese Unternehmen in besonderer Weise dadurch aus, dass sie von verschiedenen wirtschaftlichen Effekten profitieren und mit Besonderheiten konfrontiert sind, wie sie bei herkömmlichen beobachteten Marktkonstellationen regelmäßig nicht in diesen Formen auftreten.

Die bisherigen Beobachtungen für Plattformen haben bereits gezeigt, dass es bei ihnen besonders einerseits darauf ankommt, Nutzer „mit an Bord“ zu holen, und andererseits, dass die Entscheidungen der Nutzer weitere Einflüsse auf die Entscheidungen weiterer Nutzer oder anderer Individuen haben können. Plattformen vernetzen ihre Nutzer also untereinander, sodass sie auch als Netzwerk bezeichnet werden können.139 Sie erlangen ihre wirtschaftliche Bedeutung überhaupt erst durch die tatsächliche Wahrnehmung durch ihre Nutzer. Die Auswirkungen und Abhängigkeiten der Nutzerentscheidungen auf Nutzergruppen werden als Netzwerkeffekte beschrieben.140 Der Plattform-Betreiber kann von diesen Netzwerkeffekten profitieren, zum Beispiel indem er mit steigender Nutzerzahl die Kosten für den Aufbau und Betrieb der Plattform auf eine größere Nutzeranzahl verteilen kann und darüber hinaus Gewinne über zunehmende Umsätze erwirtschaftet.141

In der industriekökonomischen Literatur hat sich um den Beginn des neuen Jahrtausends herum das Konzept der „mehrseitigen Märkte“ ausgebildet.142 Hierunter lassen sich verschiedene vor allem wirtschaftswissenschaftliche Erklärungsversuche zusammenfassen, die die herkömmliche Betrachtung des Marktes unter Berücksichtigung von Netzwerkeffekten und sogenannten Externalitäten erweitern und insbesondere für die kartellrechtliche Bewertung von Plattform-Sachverhalten herangezogen werden.143 Maßgeblich sind hierfür unter anderem die Aufsätze von Evans144, Schmalensee145, Rochet/Tirole146 und Armstrong147, die sich zunächst noch ausschließlich mit wettbewerblichen Zusammenhängen in der Kreditkarten-Branche befassten, deren Erkenntnisse auf andere Plattform-Konstellationen übertragen werden.148 Zusammengefasst zeichnen sich hiernach bezeichnete mehrseitige Märkte durch verschiedene Besonderheiten aus. Zum einen besteht ihr maßgebliches Angebot in der Erbringung von Vermittlungsleistungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen, welche in dieser Form nicht oder noch nicht für beide Nutzergruppen ausreichend internalisiert sind.149 Zum anderen machen sich die Unternehmen dabei die zwischen den Nutzergruppen bestehenden indirekten Netzwerkeffekte zu eigen. Das bedeutet, dass die Transaktionskosten zwischen diesen Nutzergruppen bisher höher waren und aufgrund dessen die Nutzergruppen weniger optimal zusammenfanden. Diese Nutzergruppen werden je nach Ausrichtung der Vermittlung in verschiedene Kategorien unterteilt und können mit unterschiedlichen Preisen belegt werden. Der wesentliche Sinn und damit wettbewerbliche Vorteil digitaler Plattform besteht also in der Erbringung von nutzergruppenübergreifenden – und vermittelnden Dienstleistungen.

Das Bundeskartellamt hat in einem Beschluss über eine Zusammenschlusskontrolle im Jahr 2008 erstmalig die Wirkung von indirekten Netzwerkeffekten in der Anzeigen- und Werbebranche untersucht.150 Kurz zuvor hatte die Behörde noch in einem anderen Fusionskontrollverfahren mit Bezug zur Werbebranche mangels monetären Preises auf der einen Seite lediglich einen sachlich relevanten Markt angenommen.151 Mittlerweile geht die Behörde davon aus, dass die untersuchten Unternehmen ihre Leistungen gegenüber „faktisch zwei verschiedene(n) Kundengruppen (Marktseiten)“ anbieten, zwischen denen Wechselwirkungen bestünden und die demzufolge beide als Märkte zu untersuchen seien.152 Auch die EU-Kommission hat bereits die wettbewerblichen Besonderheiten digitaler Plattformen untersucht.153

1. Netzwerkeffekte

Netzwerkeffekte beschreiben tatsächliche Interdependenzen zwischen verschiedenen Nutzern oder Nutzergruppen einer Plattform.154 Entscheiden sich mehr Nutzer für eine bestimmte Plattform, steigt dadurch der Nutzen der Plattform für weitere Nutzer.155 Dieser sogenannte positive Netzwerkeffekt bedeutet also, dass der Nutzen der Plattform für jedes Individuum zunimmt, je mehr weitere Individuen sich für diese Plattform entscheiden.156 Direkte Netzwerkeffekte betreffen dabei die Auswirkungen der Entscheidungen von Individuen einer Nutzergruppe auf andere Individuen derselben Nutzergruppe, soweit diese als solche abgrenzbar ist.157 Sie hängen eng mit den für die Individuen verfügbaren Informationen zusammen und welche sie durch ihre Entscheidungen zu erlangen hoffen. Daneben nutzen Plattformen durch die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen Netzwerkeffekte aus und können dadurch eine für sie günstig wirkende zeitlich asymmetrische Informationslage hervorrufen.158 Diese kann sich im Extremfall zu einer als Hold-up bezeichneten Situation steigern, bei der ein Unternehmen durch die ihm zur Verfügung stehenden Informationen Bedingungen vereinbaren kann, die es beim tatsächlichen Verlauf aus einer späteren Sicht nicht in dieser Form treffen könnte.159 Allerdings muss selbst den Plattformen, die über eine derart asymmetrische Informationslage verfügen, nicht zwingend ihr unmittelbarer Nutzen bewusst sein. Dieser kann sich erst zu einem späteren Zeitpunkt ergeben, sodass Aussagen über den hypothetischen Verlauf äußerst vage sind.

Auf Plattformen haben die individuellen Entscheidungen der Nutzer nicht nur Auswirkungen auf andere Individuen derselben Nutzergruppe. Vielmehr wirken sich ihre Entscheidungen auch auf andere Nutzergruppen aus, die mit der Plattform verbunden sind.160 Dies ist bei den dargestellten Medien-Plattformen oder sozialen Netzwerken der Fall, wenn sich die zunehmende Anzahl von Mediennutzern oder Abonnenten und damit verbundene Reichweite positiv auf die Entscheidung von Inhalte- oder Werbeanbietern zur Teilnahme auswirkt. Bei Betriebssystemen steigt ebenso der Anreiz für Anbieter von Dritt-Anwendersoftware, mit der Plattform kompatible Software zu programmieren, wenn sich mehr Nutzer für ein bestimmtes Betriebssystem entscheiden. Bei Sharing-Plattformen kann sich die Entscheidung von Inhabern einer Ressource, diese über eine Plattform zu vermitteln, positiv auf diejenige Nutzergruppe auswirken, die diese Ressource potenziell nutzen wird. Diese Interdependenzen von Entscheidungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen werden als indirekte Netzwerkeffekte bezeichnet.161 Sie können gegenseitig und in verschiedene Richtungen zwischen den unterschiedlichen Nutzergruppen bestehen. Zum Beispiel kann ein positiver indirekter Netzwerkeffekt bei einer Suchmaschine darin bestehen, dass sich die Zahl der indexierten Internetinhalte positiv auf die Nutzungserfahrung derjenigen Nutzer auswirkt, die auf der Suche nach bestimmten, zu ihrer Sucheingabe passenden Inhalten sind. Die durch positive Nutzungserfahrungen ansteigende Zahl der Suchmaschinennutzer könnte sich dann wiederum verstärkend auf die Entscheidung von Werbeanbietern auswirken, sodass dort wiederum ein positiver indirekter Netzwerkeffekt ausgemacht werden kann.

Netzwerkeffekte können sich gegenseitig selbst verstärken, sodass Konzentrierungstendenzen zugunsten weniger oder eines Anbieters auftreten können, denen als Begleiterscheinung die Gefahr eines „Umkippens der Märkte“, dem sogenannten Tipping zugeschrieben wird.162 Darunter werden starke Abwanderungsbewegungen einzelner Nutzer und Nutzergruppen zu der Plattform mit den am stärksten wirkenden indirekten Netzwerkeffekten verstanden, sodass negativ von dem Tipping betroffene Plattformen vom Markt verdrängt werden könnten.163 Die mit der 9. GWB-Novelle neu eingeführte Vorschrift in § 18 Abs. 3a Nr. 1 GWB ermöglicht die Feststellung von Netzwerkeffekten im Zusammenhang mit der Untersuchung einer Marktbeherrschung. Sie wird in der Regel gemeinsam mit weiteren wettbewerblichen Phänomenen betrachtet werden müssen, insbesondere wenn es um die Feststellung eines „umgekippten Marktes“ geht, also eines sogenannten Tippings.164 Hierzu lässt sich festhalten, dass ein Tipping bislang eher theoretisch erscheint und nur vereinzelt im Rahmen eines kartellrechtlich zu untersuchenden Sachverhalts als naheliegend untersucht wurde.165 Insofern gehen die meisten bisherigen Literaturansichten lediglich von einer „Gefahr des Tippings“ aus.166 Eine erste umfangreiche Bewertung dieser Umstände jedenfalls für einen Markt, auf der eine Plattform tätig war, hat das Bundeskartellamt mit seiner Facebook-Entscheidung vorgenommen und dabei die mit der 9. GWB-Novelle eingeführten plattformspezifischen Kriterien herangezogen.167 Allerdings nahm diese Behörde lediglich einen „Tipping-Prozess“ an, der das Unternehmen Facebook schließlich als Monopolisten herausbringe.168 Sofern diese marktbezogene Entwicklung feststellbar ist, können Netzwerkeffekte gleichzeitig eine Marktzutrittsschranke darstellen.169 Dies wäre der Fall, wenn die Netzwerkeffekte in die Marktstruktur internalisiert werden und sich als Erfordernis einer erheblichen Investition für den Markteintritt darstellen würden.170 Weitgehend wird bei Netzwerkeffekten von einem besonderen unternehmensbezogenen Umstand auszugehen sein, der noch keine Marktzutrittsschranke darstellt. Denn allein das Bestehen der Netzwerkeffekte hindert andere Unternehmen noch nicht an einem Marktzutritt. Sie wirken nicht abstrakt-generell gegenüber jedem Unternehmen, sondern konkret-individuell für das Unternehmen, das seine Wirkungen für sich nutzbar machen kann. Gleichzeitig kann es die Rechtsanwendung vor Herausforderungen stellen, aus dem Bestehen von Netzwerkeffekten auf bestehende Marktzutrittsschranken zu schließen.171 Dennoch kann es einem Unternehmen aufgrund der Konzentrationstendenzen möglich sein, sich unabhängig im Wettbewerb zu verhalten und Vorsprünge für sich auszunutzen. Andererseits können digitale Plattformen ebenso bisherige Marktzutrittsschranken überwinden und Nutzer an für sie neuen Handlungsformen teilhaben lassen, etwa indem sie bisherige Luxusangebote für einen größeren Nutzerkreis erlebbar machen. Damit können digitale Plattformen auch neue Teilhabemöglichkeiten schaffen.

Anders herum lässt sich allerdings bezweifeln, dass sich die Zunahme von Werbeanbietern, die aufgrund der Reichweite der Plattform ihre Inhalte schalten lassen, in jedem Fall positiv und damit marktmachtbestärkend auswirken wird.172 So erscheint es bei Medien- und Aufmerksamkeitsplattformen naheliegend, für Werbeinhalte auf der Seite der Plattformnutzer eine Toleranzschwelle anzunehmen, ab deren Überschreitung das Interesse der Nutzer aufgrund eines Übermaßes an Werbung abnimmt.173 Die indirekten Netzwerkeffekte sind bei derartigen Plattformen häufig nur einseitig oder asymmetrisch ausgeprägt.174 Es können sogar indirekte Netzwerkeffekte mit umgekehrten Vorzeichen bestehen. Das bedeutet, dass die Anzeige und Vermittlung zusätzlicher Werbeinhalte ab einem bestimmten Punkt sich entweder nicht oder sogar negativ auf die Entscheidungen der anderen Nutzergruppe auswirken kann.175