Kitabı oku: «Charlotte Löwensköld», sayfa 2

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Wenn sich jemand etwas gegen die Frau Oberst von Ekenstedt hatte zuschulden kommen lassen, so erwartete diese stets, daß der Missetäter kommen und sie um Verzeihung bitten werde. Wenn diese Zeremonie überstanden war, dann vergab sie alles von ganzem Herzen und war nachher ebenso freundlich und zutraulich wie zuvor.

Während der ganzen Weihnachtsfeiertage hoffte sie, Karl Artur werde sie um Verzeihung bitten, weil er an jenem Festabend, an dem er von Upsala gekommen war, so hart mit ihr geredet hatte. Sie fand es ja verständlich, daß er sich in der ersten Hitze hatte hinreißen lassen; aber sie konnte nicht begreifen, daß er sein Unrecht gar nicht einzusehen schien, obwohl er inzwischen Zeit genug zum Nachdenken gehabt hatte.

Aber Karl Artur ließ die Weihnachtsfeiertage vorübergehen, ohne ein Wort des Bedauerns oder der Reue zu äußern. Er unterhielt sich wie gewöhnlich mit Einladungen und Schlittenpartien und war daheim liebenswürdig und aufmerksam. Aber er sagte die paar Worte nicht, auf die Frau Beate wartete. Unbemerkt von den andern richtete sich eine unsichtbare Mauer zwischen Mutter und Sohn auf, und so kamen sie einander nicht mehr richtig nahe. Mangel an Liebe oder zärtlichen Reden war auf keiner Seite zu bemerken, aber das trennende Etwas war dennoch vorhanden.

Als Karl Artur wieder nach Upsala zurückgekehrt war, hatte er nur noch den einen Gedanken, seine Niederlage wieder gutzumachen. Wenn die Frau Oberst eine schriftliche Abbitte erwartet hatte, so sah sie sich getäuscht. Karl Artur schrieb nur noch über seine lateinischen Studien. Jetzt hatte er bei zwei Dozenten lateinische Vorlesungen belegt, ging auch Tag für Tag in die Hörsäle und war außerdem noch Mitglied eines Vereins, in dem man sich in lateinischen Disputationen und im Reden übte.

Er schrieb die hoffnungsvollsten Briefe heim, und die Frau Oberst antwortete in dem gleichen Geist. Aber dennoch war sie seinetwegen ängstlich. Er war unartig gegen seine eigene Mutter gewesen und hatte sie nicht um Verzeihung gebeten. Dafür blieb doch am Ende die Strafe nicht aus.

Nicht, daß sie ihrem Sohne diese Strafe gewünscht hätte. O nein, sie flehte zu Gott, er möchte ihm dieses kleine Vergehen nicht zurechnen, sondern alles vergessen sein lassen. Auch versuchte sie ihrem Herrgott zu erklären, daß alles ihre Schuld gewesen sei. »Ich allein bin dumm und eitel gewesen und wollte mit seinen Fortschritten prahlen,« sagte sie. »Nicht er verdient Strafe, sondern ich allein.«

Trotzdem fuhr sie fort, in jedem Briefe nach den Worten zu suchen, nach denen sie sich so sehr sehnte. Da aber diese Worte nie kamen, wurde sie immer unruhiger. Sie hatte das Gefühl, daß Karl Artur niemals Glück in seinen Arbeiten haben könne, solange er ihre Verzeihung nicht erhalten hatte.

Eines schönen Tages gegen Semesterschluß erklärte die Frau Oberst, sie wolle nach Upsala reisen und ihre gute Freundin Malla Silfverstolpe besuchen. Die beiden hatten einander im letzten Sommer bei den Gyllenhaals auf Kavlås getroffen und sich da so eng befreundet, daß die gute Malla Frau Beate gebeten hatte, im Winter nach Upsala zu kommen, damit sie die Bekanntschaft ihrer literarischen Freunde mache.

Ganz Karlstadt stand auf dem Kopfe, weil die Frau Oberst eine solche Reise gerade während des Tauwetters unternehmen wollte. Hier hätte der Oberst die Erlaubnis verweigern müssen, das war die allgemeine Ansicht. Aber der Herr Oberst war ans Jasagen gewöhnt, und so reiste die Frau Oberst ab.

Die Reise war schrecklich, ganz wie die Karlstädter vorausgesagt hatten. Mehrere Male blieb der Wagen im Schmutze stecken, so daß er mit Stangen wieder herausgehoben werden mußte. Einmal brach eine Feder und ein andermal die Wagendeichsel. Doch die Frau Oberst kämpfte sich durch. Klein und schwach war sie, aber tapfer und lustig, und Gastwirte und Roßknechte, Schmiede und Bauern, mit denen sie zu tun hatte, wären durchs Feuer für sie gegangen. Es war, als wüßten sie alle, wie notwendig es war, daß sie nach Upsala kam.

Natürlich hatte die Frau Oberst zwar Frau Malla Silfverstolpe ihre Ankunft angekündigt, nicht aber Karl Artur, ja, sie hatte Frau Silfverstolpe gebeten, ihn nichts davon wissen zu lassen. Sie fände es so nett, ihn zu überraschen, schrieb sie.

Als Frau Beate bis nach Enköping gelangt war, gab es einen neuen Aufenthalt. Es waren nur noch ein paar Meilen bis Upsala, aber ein Rad war losgegangen, und ehe dieses wieder befestigt war, konnte man nicht weiterfahren. Frau Beate war in schrecklicher Unruhe. Sie war ungewöhnlich lange unterwegs gewesen, und die lateinische Prüfung konnte jeden Tag stattfinden. Und sie fuhr doch nur nach Upsala, um Karl Artur Gelegenheit zu geben, sie zuvor noch um Verzeihung bitten zu können. Sie war überzeugt, daß ihm keinerlei Studien und keine Vorlesungen helfen könnten, ehe dies geschehen war. Er würde unfehlbar wieder durchfallen – ganz unfehlbar.

Sie hatte keine Ruhe in dem Zimmer, das der Gastwirt ihr angewiesen. Unaufhörlich lief sie die Treppe hinunter und über den Hof, um nachzusehen, ob der Schmied das Rad noch nicht gebracht habe.

Auf einem dieser Gänge sah sie ein Gefährt mit einem Studenten auf der Bank neben dem Kutscher in den Hof einfahren, und der Student, der nun heruntersprang, das war ja – nein, sie konnte ihren Augen nicht trauen – das war ja Karl Artur!

Er trat auf seine Mutter zu, schloß sie aber nicht in seine Arme, sondern ergriff ihre Hand, drückte sie an seine Brust und schaute mit seinen schönen, träumerischen Kinderaugen tief in die ihrigen.

»Mama,« sagte er, »vergib mir, daß ich an jenem Winterabend so häßlich zu dir war, als du das große Fest gegeben hast, um meine lateinische Prüfung zu feiern.«

Ach, das war fast ein zu großes Glück, um Wirklichkeit zu sein!

Frau Beate machte ihre Hand frei, schlang die Arme um Karl Artur und küßte ihn, wieder und immer wieder. Sie verstand nichts, sie wußte nur, daß sie ihren Sohn wiederhatte, und fühlte, daß dieser der glücklichste Augenblick ihres Lebens war.

Dann zog sie ihn mit sich ins Haus, und nun kam die Erklärung.

Nein, er hatte seine Arbeit noch nicht gemacht, die Prüfung sollte am nächsten Tage stattfinden. Aber trotzdem war er auf dem Wege nach Karlstadt zu ihr.

»Du Närrchen,« sagte sie, »wolltest du in vierundzwanzig Stunden nach Karlstadt und wieder zurück reisen?«

»Nein,« versetzte er, »ich hatte alles aufgegeben; aber ich wußte, dies müßte durchaus geschehen. Ohne deine Verzeihung wäre mir doch nichts geglückt.«

»Aber, mein Junge, dazu hätte es doch nur des allerkleinsten Wörtchens in einem Briefe bedurft.«

»Das habe ich dunkel und unklar während des ganzen Semesters gefühlt,« fuhr Karl Artur fort. »Ich war ängstlich; alle Zuversicht hatte mich verlassen, ohne daß ich merkte, weshalb. Erst heute nacht ist mir ein Licht darüber aufgegangen. Ich hatte das Herz verwundet, das mit so viel Liebe für mich schlägt. Es war mir klar, daß ich nicht mit Erfolg arbeiten könnte, bevor ich nicht meine Mutter um Verzeihung gebeten hätte.«

Die Frau Oberst saß am Tische. Die eine Hand legte sie über ihre Augen, die voll Tränen standen, die andere streckte sie ihrem Sohn entgegen.

»Das ist wunderbar, Karl Artur,« sagte sie. »Sprich weiter!«

»Nun ja,« begann er. »Neben mir wohnt ein anderer Värmländer, namens Pontus Friman. Er ist ein Pietist und verkehrt nicht mit andern Studenten, deshalb war ich noch nie mit ihm in Berührung gekommen. Aber heute in aller Frühe ging ich zu ihm auf sein Zimmer und sagte ihm, wie es um mich stehe.

›Ich habe die liebevollste Mutter, die man haben kann,‹ sagte ich. ›Aber ich habe sie verletzt und nicht um Verzeihung dafür gebeten. Was soll ich nun tun?‹«

»Und was antwortete er?«

»Er sagte nur: ›Fahr schleunigst zu ihr!‹ Ich erklärte ihm, dies wäre mein heißester Wunsch, aber morgen müsse ich pro exercitio schreiben, und meine Eltern würden ein solches Versäumnis gewiß nicht billigen. Friman wollte aber nichts davon hören.

›Reise schleunigst!‹ sagte er. ›Denk an nichts als an eine Versöhnung mit deiner Mutter! Gott wird dir helfen.‹«

»Und dann bist du abgereist?«

»Ja, Mama; ich reiste, um mich dir zu Füßen zu werfen. Aber kaum saß ich im Wagen, da kam ich mir auch schon unglaublich albern vor. Ich hatte die größte Lust, wieder umzukehren; und das wußte ich ja wohl, deine Liebe würde mir verzeihen, auch wenn ich noch ein paar Tage in Upsala bliebe. Aber ich fuhr dennoch weiter. Und Gott half mir. Ich fand dich hier; zwar weiß ich nicht, wie du hierhergekommen bist, aber seine Hand muß dich geführt haben.«

Tränen benetzten das Antlitz von Mutter und Sohn. War es denn nicht ein Wunder, das ihretwillen geschehen war?

Sie fühlten, daß eine liebende Vorsehung über ihnen waltete; und auch die Größe der Liebe, die sie verband, empfanden sie stärker als je zuvor.

So saßen sie eine Zeitlang beisammen in dem Wirtszimmer. Dann schickte die Frau Oberst Karl Artur nach Upsala zurück und trug ihm auf, die gute Malla Silfverstolpe zu grüßen und ihr zu sagen, daß aus dem Besuch der Mutter für dieses Mal nichts würde.

Denn der Frau Oberst lag rein gar nichts daran, nach Upsala zu kommen. Das Ziel ihrer Reise war nun erreicht. Sie wußte jetzt, daß Karl Artur die Prüfung bestehen werde. So konnte sie ruhig heimkehren.

3

Ganz Karlstadt wußte, daß die Frau Oberst religiös war. Sie ging in den Gottesdienst genau so regelmäßig wie der Pfarrer, und an den Werktagen hielt sie morgens und abends eine kleine Andacht mit ihrer ganzen Hausgenossenschaft.

Sie hatte auch ihre Armen, die sie nicht nur an Weihnachten mit Gaben bedachte, sondern auch während des ganzen Jahres. Verschiedenen bedürftigen Schuljungen gab sie Mittagessen, und die alten Weiber im Armenhause pflegte sie am Beatentage mit einer großen Kaffeevisite zu erfreuen.

Aber keiner Seele in Karlstadt und am allerwenigsten der Frau Oberst selbst kam der Gedanke, daß es Gott unangenehm sein könne, wenn sie mit dem Dompropst und dem Ratsherrn und der ältesten ihrer Basen Stake an den Familiensonntagnachmittagen ein freundliches Spielchen Boston machte. Und niemandem fiel es auch nur im Traum ein, es könnte eine Sünde sein, wenn die jungen Damen und Herren, die sich bei Obersts einzustellen pflegten, in dem geräumigen Salon ein kleines Tänzchen machten.

Weder die Frau Oberst noch irgendein anderer Karlstadter hatte jemals ein Wörtchen davon gehört, es sei verdammenswert, an einem festlichen Mittagessen ein Glas guten Wein zu reichen oder, ehe es geleert wurde, einen Tischgesang anzustimmen, den meistens die Wirtin selber gedichtet hatte. Auch war keinem bekannt, daß der liebe Gott Romanlesen und Theaterbesuch übelnehme. Die Frau Oberst liebte es auch, Liebhabertheater ins Werk zu setzen und selbst dabei mitzuwirken. Es wäre ihr eine große Entbehrung gewesen, auf dieses Vergnügen verzichten zu müssen. Sie war ja wie für die Bühne geschaffen, und die Karlstadter pflegten zu sagen, wenn Frau Torslöw nur halb so gut spiele wie Frau Beate Ekenstedt, so könne man sich nicht wundern, daß alle Stockholmer in sie vernarrt seien.

Aber Karl Artur Ekenstedt war noch einen ganzen Monat in Upsala zurückgeblieben, nachdem er die schwierige lateinische Arbeit glücklich vollendet hatte, und während dieser Zeit war Pontus Friman sein hauptsächlichster Umgang gewesen. Friman aber war ein aufrichtiger, strenger und beredter Anhänger der pietistischen Richtung, und Karl Artur konnte sich seinem starken Eindruck nicht entziehen.

Von einer tatsächlichen Erweckung oder Bekehrung war zwar keineswegs die Rede; aber jedenfalls genügte es, ihn über die weltlichen Freuden und Vergnügungen, die er daheim fand, zu beunruhigen.

Es ist leicht zu verstehen, daß gerade damals ein unbeschreiblich warmes, vertrauliches Verhältnis zwischen Mutter und Sohn bestand, und so sprach Karl Artur auch freimütig mit Frau Beate über alles, was ihm Anstoß erregte. Und seine Mutter kam ihm auf alle mögliche Weise entgegen. Da es ihn betrübte, sie Karten spielen zu sehen, schützte sie am nächsten Familienmittag Kopfschmerzen vor und ließ den Herrn Oberst ihren Platz am Bostontisch einnehmen. Denn daß der Dompropst und der Ratsherr um ihre Partie gebracht werden sollten, das war ganz undenkbar.

Und da Karl Artur das Tanzen nicht mehr leiden konnte, so unterließ sie auch dies. Als wie gewöhnlich am Sonntagabend die Jugend sich einfand, erklärte sie, sie sei nun fünfzig Jahr alt und fühle sich wirklich zu betagt, um noch zu tanzen. Als sie dann aber die enttäuschten Gesichter sah, wurde sie gerührt und setzte sich an den Flügel, um ihnen selbst bis nach Mitternacht zum Tanze aufzuspielen.

Karl Artur brachte ihr Bücher, die sie lesen sollte, und sie nahm sie dankbar entgegen und fand sie schön und erbaulich.

Aber immer nur so feierliche pietistische Bücher zu lesen, das brachte die Frau Oberst doch nicht fertig. Sie war eine gebildete Frau und in Fühlung mit der Weltliteratur, und so begab es sich eines Tages, daß Karl Artur Byrons Don Juan zwischen den Andachtsbüchern fand, in denen Frau Beate las. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich ab, und seine Mutter fühlte sich besonders gerührt, weil er keinen Vorwurf äußerte. Am folgenden Tage packte sie alle ihre Bücher in eine Kiste und stellte sie auf den Speicher.

Nein, es war ganz deutlich, die Frau Oberst versuchte so entgegenkommend zu sein, als es in ihrer Macht stand. Sie war ja klug und einsichtsvoll und wußte, daß es nur eine vorübergehende Schwärmerei bei Karl Artur sei, die mit der Zeit schon wieder verschwinden würde, und zwar um so sicherer, je weniger Widerstand er fände. Auch war es glücklicherweise Sommer; alle vermöglichen Karlstadter waren verreist, große Gesellschaften waren daher ganz von selbst ausgeschlossen. Man belustigte sich mit unschuldigen Wanderungen durch Gottes freie Natur, oder mit weiten Ruderpartien auf dem schönen Klarelf, mit Beerenpflücken und Gesellschaftsspielen im Freien.

Gegen Ende des Sommers sollte nun auch Eva Ekenstedt mit ihrem Leutnant Hochzeit machen, und die Frau Oberst war wirklich etwas bange, wie das ablaufen würde. Sie fühlte sich gezwungen, eine großartige, prächtige Hochzeit auszurichten.

Denn das war ganz klar, wenn Evas Hochzeit nicht mit allem Pomp und Staat gefeiert wurde, dann hieß es wieder, die Frau Oberst habe eben kein Herz für ihre Töchter.

Glücklicherweise schien jedoch ihr bisheriges Entgegenkommen einen beruhigenden Einfluß auf Karl Artur gehabt zu haben. Er setzte nicht nur den zwölf Gängen bei Tisch nebst Sandtorten und Konfekt keinen Widerstand entgegen – nein, er protestierte nicht einmal gegen den Wein und die andern Getränke, die von Göteborg bezogen wurden. Auch hatte er nichts gegen die Trauung im Dom einzuwenden, noch gegen die Girlanden, mit denen die Straßen, durch die der Brautzug kam, geschmückt wurden, und ebensowenig gegen die Pechfackeln am Flusse hin. Er nahm sogar selber an den Vorbereitungen teil und arbeitete gerade wie jeder andere Sterbliche im Schweiße seines Angesichts, Kränze zu binden und Fahnen aufzustecken. Nur an einer Sache hielt er unwandelbar fest, nämlich daß bei der Hochzeit nicht getanzt werden sollte. Und das hatte ihm Frau Beate auch versprochen. Sie glaubte, ihm dieses weitgehende Entgegenkommen schuldig zu sein, da er sich so geduldig in alle anderen Anordnungen gefügt hatte.

Der Oberst und die Töchter hatten es mit schwachen Einwendungen versucht. Sie meinten, man wisse ja gar nicht, was man dann mit allen den jungen Offizieren und den jungen Karlstadter Mädchen anfangen solle, die man eingeladen hatte und die natürlich erwarteten, die ganze Nacht hindurch tanzen zu dürfen. Aber die Frau Oberst entgegnete, mit Gottes Hilfe werde es doch ein schöner Abend werden, und die Leutnants und die jungen Mädchen sollten in dem Garten spazierengehen, die Regimentsmusik anhören, die Raketen gen Himmel steigen sehen und den Widerschein der Pechfackeln auf dem Wasser bewundern. Sie glaubte, all dieses werde so wunderschön sein, daß niemand andere Vergnügungen vermisse. Und sicherlich sei dies eine würdigere Einweihung des jungen Ehestandes, als in einem Ballsaal herumzuhüpfen.

Der Oberst und die Töchter fügten sich wie gewöhnlich, und so blieb der Familienfriede ungestört.

Am Hochzeitstage war alles bereit und in Ordnung. Nichts ging schief. Man hatte mit dem Wetter Glück, und die Trauung in der Kirche nebst den vielen Reden und den Trinksprüchen bei Tische wickelten sich glatt ab. Frau Beate hatte ein schönes Hochzeitskarmen gedichtet, das bei Tisch gesungen wurde; die Musikkapelle des Värmlandregiments war im Anrichtzimmer aufgestellt und blies bei jedem neuen Gang einen flotten Marsch. Die Gäste fanden, daß alles reichlich und festlich zuging, und waren in der muntersten und behaglichsten Stimmung, solange die Mahlzeit währte.

Nachdem man aber vom Tisch aufgestanden und der Kaffee getrunken war, überfiel die ganze Gesellschaft eine eigentümliche, unwiderstehliche Lust zum Tanzen.

Die Mahlzeit hatte nämlich um vier Uhr begonnen, und da alles so ausgezeichnet eingerichtet war und auch die Aufwärter und das Gesinde den Anordnungen genau nachgekommen waren, hatte sich das Festessen nicht länger als bis sieben Uhr hingezogen. Es war wirklich sonderbar, daß zwölf Gänge mit allen den Tischreden, Fanfaren und Festkarmen nur drei Stunden in Anspruch genommen hatten. Die Frau Oberst hatte gemeint, man würde bis acht bei Tische sitzen, aber diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt.

Also, es war erst sieben Uhr, und vor Mitternacht ging man nicht auseinander, davon konnte keine Rede sein. Die Gäste wurden bedenklich, wenn sie an die vielen öden Stunden dachten, die noch vor ihnen lagen.

»Wenn wir doch tanzen dürften!« seufzte alles im stillen; denn die Frau Oberst war so vorsichtig gewesen, ihre Gäste im voraus davon in Kenntnis zu setzen, daß nicht getanzt werden sollte. »Womit können wir uns denn unterhalten? Es ist ja entsetzlich, stundenlang sitzen und ohne sich zu rühren schwatzen zu müssen!«

Die jungen Mädchen betrachteten ihre leichten hellen Kleider und ihre weißseidenen Schuhe. Alles war aufs Tanzen eingerichtet. Und wenn man einmal so gekleidet war, dann kam die Tanzlust ganz von selbst. Man konnte einfach an nichts anderes mehr denken.

Die jungen Offiziere vom Värmlandregiment waren ja auch als Ballkavaliere sehr gesucht. Im Winter wurden sie zu so vielen Bällen eingeladen, daß sie deren beinahe überdrüssig wurden und man sie nur mit Mühe und Not zum Tanzen bringen konnte. Während des Sommers aber hatten keine großen Tanzfestlichkeiten stattgefunden, und so waren die Herren Leutnants ausgeruht und bereit, einen ganzen Tag durchzutanzen, wenn es sein mußte, und sie sagten auch, sie hätten noch selten so viele hübsche Mädchen beisammen gesehen. Und was war das auch für eine Einrichtung, junge Offiziere und junge Schönheiten einzuladen und sie nicht miteinander tanzen zu lassen?

Aber nicht nur die Jugend vermißte den Tanz. Auch die alten Damen und Herren fanden es schade, daß die Jugend sich nicht bewegen durfte und man nicht zusehen konnte. Die beste Musik von ganz Värmland stand zur Verfügung. Hier war der herrlichste Tanzsaal. Warum in aller Welt sollte man nicht ein Tänzchen machen?

Die gute Beate Ekenstedt war doch bei aller Liebenswürdigkeit immer ein wenig selbständig. Sie dachte wohl, mit ihren fünfzig Jahren könne sie nicht mehr mittanzen, und darum sollten nun auch ihre jungen Gäste nur herumsitzen und die Wände zieren.

Die Frau Oberst sah und hörte und merkte, daß alle Welt mißvergnügt war, und für eine so vorzügliche Wirtin wie sie, die allezeit gewöhnt war, jedermann vergnügt und zufrieden bei ihren Festen zu sehen, war dieser Zustand unsäglich bitter, ja unerträglich.

Sie wußte, daß am nächsten Tag und noch an vielen, vielen folgenden Tagen die Ekenstedtsche Hochzeit besprochen und als Beispiel der größten Langweiligkeit, die man jemals hatte mitmachen müssen, herangezogen werden würde.

Nun setzte sich Frau Beate zu den Alten. Sie entfaltete ihre ganze Liebenswürdigkeit, erzählte ihre besten Geschichten und hatte die glänzendsten Einfälle. Aber ach, sie zündeten nicht! Man hörte ihr kaum zu. Da war keine noch so alte und langweilige Frau unter den Gästen, die nicht dachte, wenn sie einmal das Glück haben sollte, eine Tochter zu verheiraten, so sollte ganz gewiß alt und jung tanzen dürfen.

Die Frau Oberst machte sich an die Jugend. Sie schlug Gesellschaftsspiele im Garten vor. Aber man starrte sie nur an. Spiele im Freien bei einer Hochzeit! Wäre sie nicht die Frau Oberst Ekenstedt gewesen, man hätte ihr ins Gesicht gelacht.

Als das Feuerwerk abgebrannt wurde, boten die Herren den Damen den Arm, und man spazierte hinunter ans Flußufer. Aber die jungen Paare schlichen nur so dahin und hoben kaum die Augen hoch genug, um die Raketen steigen zu sehen. Sie wollten nun eben für das Vergnügen, wonach sie sich sehnten, keinen Ersatz anerkennen.

Der Vollmond stieg empor, wie um das glanzvolle Schauspiel noch zu verschönen. An diesem Abend erschien er nicht wie eine Scheibe – nein, nein, er rollte am Himmel herauf rund wie ein Ball, und ein witziger Kopf behauptete, er sei aufgeschwollen vor lauter Verwunderung darüber, so viele stattliche Offiziere und so viele schöne junge Mädchen da unten mit düsteren Blicken in das Wasser hineinstarren zu sehen, gleich als gingen sie mit Selbstmordgedanken um. Halb Karlstadt stand draußen am Gartenzaun, um die Pracht mitanzusehen. Sie sahen die jungen Leute langweilig und mißvergnügt herumschleichen und meinten, dies sei doch die kümmerlichste Hochzeit, die sie jemals geschaut hätten.

Die Kapelle des Värmlandregiments tat ihr Bestes. Aber da die Frau Oberst verboten hatte, Tänze zu spielen, weil sie fürchtete, die Jugend sonst nicht mehr im Zaume halten zu können, waren nicht genügend Programmnummern da, und die einzelnen Stücke mußten immer wiederholt werden.

Es wäre nicht recht, wenn man behaupten wollte, die Stunden schlichen dahin. Nein, die Zeit stand einfach still. Die Minutenzeiger auf allen Uhren bewegten sich in demselben langsamen Tempo wie die Stundenzeiger.

Vor dem Ekenstedtschen Hause lagen auf dem Fluß ein paar große Kähne, und auf einem dieser Kähne saß ein musikliebender Schiffer und spielte eine Bauernpolka auf einer quietschenden selbstgemachten Fiedel.

Aber alle die armen Menschen, die sich in dem Ekenstedtschen Garten herumquälten, konnten diesen Tönen nicht widerstehen, denn es war doch jedenfalls Tanzmusik, und eiligst schlichen sie sich durch die Gartenpforte hinaus, und im nächsten Augenblick sah man, wie sie sich auf dem teerigen Deck einer Klarelfschute in der Bauernpolka schwenkten.

Die Frau Oberst bemerkte die Flucht und das Tanzen sehr bald, und es war ihr klar, daß man die feinsten Mädchen von Karlstadt nicht auf einem schmierigen Frachtboot tanzen lassen durfte. Sie ließ die jungen Leute sofort auffordern, wieder hereinzukommen. Aber sie hatte gut Frau Oberst sein, selbst der jüngste Leutnant dachte nicht daran, Order zu parieren.

Da gab Frau Beate Ekenstedt das Spiel verloren. Jetzt war sie Karl Artur so weit entgegengekommen, als man es verlangen konnte. Jetzt hieß es, das Ansehen des Hauses Ekenstedt zu retten. Sie befahl die Regimentsmusik herauf in den großen Saal und ließ eine Anglaise spielen.

Gleich darauf stürmten auch schon die Tanzlustigen die Treppe herauf, und nun wurde getanzt. Das wurde ein Ball, wie man noch keinen gesehen hatte. Alle die vielen, die vorher gewartet hatten und vor Sehnsucht fast vergangen waren, suchten jetzt die verlorene Zeit wieder einzuholen. Das war ein Drehen und Wenden und Stapfen und Pirouettieren! Da gab es keine Müden und Unwilligen. Selbst das häßlichste und langweiligste Mädchen blieb nicht sitzen.

Auch die Alten konnten nicht stille sitzen, und das schlimmste war, die Frau Oberst selber – ja, man stelle sich das vor! – die Frau Oberst, die nicht mehr tanzen und auch nicht mehr Karten spielen wollte, die ihre weltlichen Bücher auf den Speicher geschafft hatte – diese Frau Oberst konnte auch nicht mehr stille sitzen. Leicht und luftig schwebte sie im Tanze umher, und sie sah ebenso jung – nein, noch jünger aus als ihre Tochter, die Braut. Die Karlstadter waren ganz glücklich, daß sie ihre fröhliche, scharmante, geliebte Frau Oberst wiederhatten.

Und die Freude schlug immer höhere Wogen; die Nacht war schön und lebensvoll geworden, und der Fluß schimmerte im Mondenschein, und alles war, wie es sein sollte.

Aber der beste Beweis dafür, wie stark der Zauber der Fröhlichkeit das ganze Haus beherrschte, war wohl, daß sogar Karl Artur mitgerissen wurde. Plötzlich konnte er gar nicht mehr verstehen, was Böses und Sündhaftes daran sein sollte, wenn man sich mit andern jungen und sorglosen Menschen nach der Musik im Takte wiegte. Es war doch nur natürlich, daß Jugend, Gesundheit und Frohsinn einen solchen Ausdruck fanden. Wenn er es jetzt noch für eine Sünde gehalten hätte, würde er auch nicht getanzt haben. Aber an diesem Abend kam ihm alles kindlich, lustig und unschuldig vor.

Doch gerade, als Karl Artur mitten in der Anglaise mittanzte, blickte er zufällig nach der offenen Saaltür, und in der Türöffnung sah er ein bleiches, von schwarzem Haar und Bart umrahmtes Antlitz, sowie ein Paar große, sanfte Augen, die in schmerzlicher Verwunderung an ihm hingen.

Er hielt mitten im Tanze inne. Erst glaubte er ein Gespenst zu sehen; dann erkannte er jedoch seinen Freund Pontus Friman, der ihm versprochen hatte, ihn in Karlstadt zu besuchen, und nun gerade an diesem Abend angekommen war.

Karl Artur trat aus der Reihe der Tanzenden und eilte dem Angekommenen entgegen, und dieser zog ihn wortlos mit sich hinab ins Freie.

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