Kitabı oku: «Syltwind», sayfa 2
Kapitel 3
»Moin«, brummte Steen, als er die Küche betrat und sich auf einen der Stühle am Küchentisch fallen ließ. Er wirkte unausgeschlafen, sein Haar war vom Duschen noch feucht.
»Moin, mein Junge! Du bist früh dran heute.« Onno Larsen schraubte den Deckel der Thermoskanne auf und ließ Kaffee in die bereitgestellte Tasse laufen. »Trink erst mal einen ordentlichen Schluck, der weckt die müden Lebensgeister. Und dann iss!«
»Mir bleibt nicht viel Zeit zum Frühstücken, ich muss zum Training«, gab der junge Mann zurück und setzte den dampfenden Becher vorsichtig an die Lippen, während er mit der anderen Hand in den Brotkorb griff.
»Hier wird ordentlich gegessen. Schließlich brauchst du Kraft und Energie, wenn du den feinen Pinkeln vom Festland Paroli bieten willst!«
»Lass gut sein, Opa! Ich verhungere schon nicht. Außerdem nehme ich an einem Wettbewerb teil und ziehe nicht in den Krieg«, erwiderte Steen und legte eine Scheibe Käse zwischen die beiden Hälften des Brötchens, bevor er es zuklappte und hineinbiss.
»Wie du meinst. Ich will nur dein Bestes.«
Eine Weile saßen sich die beiden Männer über ihre Teller gebeugt gegenüber, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.
»Was ist denn mit dir passiert?« Steen hatte den Kopf gehoben und seinen Großvater zum ersten Mal an diesem Morgen richtig ins Antlitz gesehen. Nun ruhte sein Blick auf dessen Gesicht, in dem eine erhebliche Schramme zu erkennen war. Schorf hatte sich an der Stelle gebildet, umgeben von einer blauvioletten Verfärbung.
Doch Onno Larsen winkte ab. »Keine große Sache, ich habe mich unglücklich gestoßen.«
»Wobei?«, hakte Steen nach.
»Wie gesagt, kein Drama«, wich sein Großvater der Frage aus.
»Verdammt!« Steen schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, sodass das Geschirr klapperte und sein Großvater erschrak. »Hör endlich auf damit! Du machst alles nur schlimmer. Oma wird nicht wieder lebendig, sieh das doch endlich ein!« Mit diesen Worten sprang er abrupt auf, schnappte sich den letzten Bissen Brötchen und verließ hastig die Küche.
»Steen! Junge! Warte!«, versuchte Onno Larsen, seinen Enkel aufzuhalten, aber der junge Mann hatte das Haus bereits verlassen, was durch die lautstark ins Schloss krachende Haustür bestätigt wurde. Onno Larsen stieß einen lang gezogenen Seufzer aus und begann, den Frühstückstisch abzuräumen. Wenn sich nicht bald etwas änderte, würde er auch noch seinen Enkel verlieren, das war ihm bewusst. Das zu verhindern, lag allein in seiner Hand.
Auf der Westerländer Promenade knatterten bunte Fahnen im Wind und zerrten an ihrer Befestigung, als wollten sie sich mit aller Macht von ihren Fesseln befreien. Musik dröhnte vielerorts aus den aufgestellten Lautsprechern. Überall entlang der Eventmeile waren Zelte und Buden aufgestellt, in denen neben Speisen und Getränken auch Bekleidung und Surfzubehör angeboten wurden – eine abwechslungsreiche Mischung mit Festivalcharakter und Urlaubsfeeling. Neugierig drängten sich Besucherströme durch die enge Gasse. Der diesjährige Kitesurf-Cup stand unmittelbar vor der Eröffnung. Hier und dort wurde noch bis zur letzten Minute Hand angelegt, damit alles passte. Außerdem wurde für ausreichend Lebensmittel und Getränke für den starken Besucheransturm der nächsten Zeit gesorgt. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite, vom strahlend blauen Himmel schien die Sonne, und der Wind wehte kräftig aus Westen. Wenn man den Meteorologen Glauben schenken durfte, sollte diese Wetterlage auch in den nächsten Tagen Bestand haben. Somit konnten sich sowohl Teilnehmer als auch Zuschauer auf optimale Voraussetzungen für einen spannenden und erstklassigen Wettkampf freuen.
»Moin, Steen!«
»Moin, Leonie! Hey, Emma! Was ist passiert? Warum ist die Polizei hier?«
»Hast du es nicht gehört? In den Container von Kilian wurde eingebrochen. Jemand hat das Schloss geknackt«, erklärte die junge Frau aufgeregt.
»Wurde etwas geklaut?«, wollte Steen wissen und reckte seinen Kopf in die Richtung der Menschenansammlung. Neben der Polizei hatten sich Schaulustige um den Tatort herum versammelt.
»Das weiß ich nicht. Ich habe Kilian bislang nicht gesprochen. Da hinten ist er!«
Steen war gerade im Begriff, sein Fahrrad abzuschließen, als ein junger Mann wütend auf ihn zustürmte.
»Hey, Larsen! Was hast du dir dabei gedacht?«, schleuderte er ihm aufgebracht entgegen.
»Beruhig dich! Wovon genau sprichst du?«, gab Steen unbeeindruckt zurück.
»Tu nicht so scheinheilig! Wenn du glaubst, mich mit der Nummer ausbremsen zu können, um dir einen Vorteil zu verschaffen, hast du dich gewaltig geschnitten. Da musst du schon andere Geschütze auffahren, Larsen!« Am liebsten hätte er seinen Kontrahenten am Kragen gepackt, doch in Anbetracht der Polizeipräsenz in der Nähe gab er seinem Impuls nicht nach.
»Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Und jetzt lass mich in Ruhe.« Mit diesen Worten drehte Steen ihm den Rücken und verschwand im Inneren des Surfclubs.
Kilian wollte zu einer Antwort ansetzen, entschied sich jedoch im letzten Moment dagegen und begab sich zurück zum Strand.
»Glaubt Kilian ernsthaft, du hättest mit dem Einbruch zu tun?«, fragte Leonie, die Steen wie ein Schatten gefolgt war. »Warum solltest du so etwas machen? Ihr seid zwar Konkurrenten beim Kiten, aber keine Feinde.«
Steen zuckte lediglich die Schultern. »Frag ihn!«
»Außerdem bekommt er sowieso eine neue Ausrüstung von seinem Sponsor zur Verfügung gestellt für den Fall, dass tatsächlich etwas gestohlen sein sollte. Wozu dann eben dieses Theater?«, überlegte sie weiter, wobei sich auf ihrer Stirn mehrere Falten bildeten. »Emma und ich finden es ohnehin eine Frechheit, dass die Firma ›Kitetex‹ ihn unterstützt und nicht dich. Schließlich stammst du von der Insel, und Sylter Unternehmen sollten in erster Linie ihre eigenen Talente fördern und nicht irgendwelche fremden Sportler. Findest du nicht auch? Das ist total ungerecht! Ich an deiner Stelle würde mir das von diesem aufgeblasenen Schröder nicht bieten lassen. Emma sieht das genauso und einige andere auch«, ereiferte sie sich. Ihre Freundin nickte zustimmend.
»Ach ja? Und was sollte ich eurer Meinung nach bitteschön tun?«
Leonie wartete kurz, bevor sie antwortete. »Na ja. So genau weiß ich das auch nicht, aber wenigstens würde ich …«
»Lass gut sein, Leonie! Das ist nett gemeint, dass du mir helfen willst, aber du brauchst dir wirklich nicht meinen Kopf zerbrechen. Ich komme gut allein klar«, gab Steen der jungen Frau deutlich zu verstehen, dass er nicht gewillt war, das Thema weiter zu vertiefen. Stattdessen schnappte er sich seinen Neoprenanzug und ging sich umziehen.
Die Tür öffnete sich derart schwungvoll, dass sich Uwe vor Schreck gehörig an seinem Salamibaguette verschluckte und augenblicklich einen Hustenanfall bekam.
»Guten Morgen, Herr Wilmsen! Habe ich Sie etwa erschreckt? Dann tut es mir leid. Das war ganz und gar nicht meine Absicht«, entschuldigte sich Staatsanwalt Matthias Achtermann.
Ein kurzes Anklopfen wäre nett gewesen, dachte Uwe, behielt den Gedanken jedoch für sich. »Geht schon wieder«, presste er stattdessen hervor. Mit dem Handrücken wischte er sich die letzten Tränen aus den Augen und erhob sich anschließend, um seinem Besucher zur Begrüßung die Hand zu reichen.
»Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Ihnen meinetwegen etwas zustoßen würde. Sie sind einer meiner wichtigsten Mitarbeiter«, säuselte er.
Uwe rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten, Herr Achtermann?« Seine Stimme klang noch eine Spur rau.
Der Blick des Staatsanwaltes richtete sich zu der Kaffeemaschine auf der Fensterbank, der man deutlich ansah, dass sie schon einige Dienstjahre auf dem Buckel hatte.
»Nein, haben Sie vielen Dank. Ich habe vorhin ausgiebig gefrühstückt. Von zu viel Kaffee bekomme ich Sodbrennen. Meines Erachtens ist es allerdings höchste Zeit, sich über die Anschaffung einer neuen Maschine Gedanken zu machen. Diese dürfte mittlerweile ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko darstellen.« Er deutete mit skeptischer Miene zu dem Haushaltsgerät.
»Ich kann Ihre Bedenken gern weitergeben«, bot Uwe an.
»Ich werde mich persönlich für eine Neuanschaffung einsetzen. Melden Sie sich, falls es diesbezüglich Schwierigkeiten geben sollte, ich werde das regeln«, versprach Achtermann und sah äußerst zufrieden aus.
»Hm«, brummte Uwe vor sich hin. Achtermann hätte den Raum kaum verlassen, da würde er sein großzügiges Versprechen längst vergessen haben, davon war er überzeugt.
»Wie mir mitgeteilt wurde, ist heute Morgen ein Toter gefunden worden? Wo war das noch mal genau?«
»In Hörnum im Hafenbecken.«
»Richtig, in der Nähe des Golfplatzes. Sie gehen mittlerweile von einem Gewaltverbrechen aus?«
»Wir können es jedenfalls nicht völlig ausschließen. Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig sagen. Die Leiche weist Verletzungen auf, die sowohl von dem Sturz ins Wasser als auch durch äußere Gewalteinwirkung durch Dritte herrühren können. Sobald Dr. Luhrmaier die Obduktion abgeschlossen hat, können wir sicher sagen, ob es sich um einen Unfall oder tatsächlich um Fremdverschulden handelt«, erklärte Uwe.
»Bitte halten Sie mich in jedem Fall auf dem Laufenden.«
»Selbstverständlich, Herr Achtermann. Wie immer.«
»Schön, ich hatte nichts anderes erwartet. Ursprünglich bin ich aus einem völlig anderen Grund hergekommen«, wechselte der Staatsanwalt das Thema.
»Das dachte ich mir, dass Sie nicht wegen des Toten gekommen sind. Wo ist sie denn nun?«, hakte Uwe neugierig nach. »Ich hatte angenommen, Sie brächten die junge Dame, von der Sie neulich am Telefon gesprochen haben, gleich mit.« Insgeheim keimte Hoffnung in Uwe auf, dass der Kelch vielleicht an ihm vorbeiging, obwohl er bereits ein Gästezimmer für die junge Frau organisiert hatte. Wenn er ehrlich war, hatte er weder Zeit noch Lust, den Babysitter für die Tochter eines Bekannten von Achtermann zu spielen. Tagsüber würde sie ihrem Praktikumsjob nachgehen, aber nach Feierabend oder abends würde er ein Auge auf sie haben müssen. Ausgerechnet jetzt war Tina nicht da. Seine Frau war derzeit zur Kur in Bad Salzuflen, sodass er für die nächsten vier Wochen auf sich allein gestellt war. In dieser Zeit hatte er sich viel vorgenommen und eigens eine Liste zusammengestellt mit Dingen, die er erledigen wollte, bevor Tina nach Hause kam. Und nun kam ihm dieser Todesfall dazwischen, dessen Ausmaß aus ermittlungstechnischer Sicht in keiner Weise abzusehen war. Er stöhnte innerlich.
»Doch, doch«, bekräftigte Achtermann und riss sein Gegenüber aus seinen Gedanken. »Ich habe sie im Hotel abgesetzt. Anschließend wollte Juna sich zunächst die Westerländer Innenstadt ansehen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen«, fuhr er mit seinen Ausführungen fort. »Sie war noch nie auf Sylt. Ich habe mir überlegt, sie beide heute bei einem gemeinsamen Abendessen miteinander bekannt zu machen. Was halten Sie von dem Vorschlag? Grandiose Idee, nicht wahr?«
»Hervorragend«, bestätigte Uwe. »Aber wieso wohnt sie im Hotel? Ich habe mich um ein Zimmer für sie gekümmert. Darum hatten Sie mich ausdrücklich gebeten«, erinnerte ihn Uwe, und leichter Ärger stieg in ihm auf.
»Ein Zimmer?« Nun war es Matthias Achtermann, der überrascht wirkte. »Ich glaube, da habe ich mich im Vorfeld missverständlich ausgedrückt. Bei der jungen Dame handelt es sich um die Tochter von Anders Skjellberg.« Uwe sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an. »Der Generalstaatsanwalt Skjellberg. Daher kann sie unmöglich in einem einfachen Zimmer untergebracht werden. Hatte ich das in unserem Gespräch unerwähnt gelassen?«
»Sieht ganz danach aus«, erwiderte Uwe mit zerknirschter Miene. In diesem Fall gab er sich keine Mühe, mit seiner Verärgerung hinter dem Berg zu halten. Offensichtlich war das von ihm ausgewählte Quartier nicht gut genug für die Dame. Uwe konnte sich glücklich schätzen, überhaupt eine Unterkunft über einen längeren Zeitraum ergattert zu haben, schließlich befanden sie sich mitten in der Hauptsaison und sämtliche Unterkünfte waren restlos ausgebucht.
»Oh, dann habe ich das wohl vergessen. Auf jeden Fall bewohnt Juna einige Tage ein Hotelzimmer, bis die Ferienwohnung frei ist, die ihr Vater für sie organisiert hat«, ließ Staatsanwalt Achtermann ihn wissen. »Für heute Abend habe ich einen Tisch für uns bestellt, dann können Sie sie kennenlernen. Ich dachte, das wäre mal wieder eine perfekte Gelegenheit, die hervorragende Sylter Küche zu genießen. Oder Herr Wilmsen?« Er bekam einen hochzufriedenen Gesichtsausdruck.
»Super«, knurrte Uwe, als sein Telefon klingelte und ihn somit vorerst vor weiteren phänomenalen Ideen des Staatsanwaltes bewahrte. »Da muss ich rangehen, das ist der Kollege Scarren«, setzte er eine entschuldigende Miene auf und griff dankbar nach dem Hörer, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Nur zu! Die Arbeit geht selbstverständlich vor«, wurde er von Achtermann in seinem Handeln bestärkt.
Nach dem Abendessen hatten wir auf der Terrasse Platz genommen und beobachteten die glutrote Sonne, die langsam am Horizont verschwand, und wie sich allmählich die Nacht über die Insel legte wie ein schützender Schild.
»Ob Christopher schon eingeschlafen ist?«, überlegte ich und sah zu Nick.
»Ganz bestimmt. Der Tag war aufregend für ihn, er wird schlafen wie ein Murmeltier«, beruhigte er mich und legte seinen Arm um mich. »Mach dir keine unnötigen Sorgen.« Er küsste mich auf die Schläfe.
»Vermutlich hast du recht. Es ist seltsam leer ohne ihn. Andererseits habe ich plötzlich Zeit für Dinge, zu denen ich sonst nicht komme, wenn er da ist. Bitte verstehe mich nicht falsch, aber …«, startete ich einen Erklärungsversuch.
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, Anna. Das ist doch normal, mir geht es nicht anders.« Er betrachtete mich eingehend. »Stimmt etwas nicht?«
»Alles in Ordnung, warum fragst du?«
»Du wirkst den ganzen Abend über sehr ernst und nachdenklich.« Er strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Der tote Mann vom Hafen geht mir nicht aus dem Kopf«, räumte ich ein. »Ich frage mich ständig, was ihm zugestoßen sein könnte.«
»Das wüssten wir auch gern. Dein Hinweis mit dem Auto war übrigens ein Volltreffer«, ließ Nick mich wissen.
»Dann gehörte der Wagen tatsächlich dem Toten? Das hast du bislang mit keiner Silbe erwähnt.«
»Ich wollte dich damit nicht belasten. Ja, im Wagen haben wir Ausweispapiere gefunden. Und nachdem wir eine Halterabfrage durchgeführt haben, besteht an seiner Identität keinerlei Zweifel mehr.«
»Und? Wer ist der Mann? Stammt er von der Insel?«
»Bei dem Toten handelt es sich um Richard Münkel, wohnhaft in Westerland.«
Der Name sagte mir nichts. »Nie gehört. Glaubst du, er wurde ermordet?«
»Was ich glaube, Sweety, ist irrelevant. Die Fakten sind einzig ausschlaggebend. Ich persönlich gehe allerdings von einem Tötungsdelikt aus. Die Spurensicherung hat die Untersuchungen an dem Fahrzeug noch nicht vollständig abgeschlossen, solange bleibt es beschlagnahmt. Morgen wissen wir mehr. Allein die Obduktionsergebnisse von Dr. Luhrmaier werden Aufschluss bringen. Wie ich ihn einschätze, hat er sich umgehend in die Untersuchungen gestürzt und macht gern Überstunden, um uns sein Ergebnis zu präsentieren.«
»Ein Unfall mit Todesfolge wäre schon schlimm genug, aber ein Mord auf Sylt hätte weitreichende Folgen«, überlegte ich. »Das würde für eine Menge Unruhe sorgen, wenn die Presse darüber berichtet. Ausgerechnet jetzt, wo der Kitesurf-Cup in Kürze beginnt. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Besucher die Insel meiden werden, solange ein Mörder sein Unwesen treibt.«
»Ich glaube kaum, dass die Leute sich davon abschrecken lassen. In jeder Stadt kann ein Mord passieren, trotzdem verlassen nicht alle Menschen den Ort oder setzen keinen Fuß mehr dorthin. Mit Sylt ist es ähnlich, außerdem findet immer irgendein Event auf der Insel statt, das die Besucher anlockt. Zudem leben wir in einer sich schnell verändernden Zeit. In ein paar Tagen spricht kaum noch jemand darüber. Das ist doch beinahe mit allen Dingen so«, entgegnete Nick. Mit einem Blick auf mein leeres Glas fragte er: »Magst du noch einen Schluck Wein?«
»Für heute habe ich genug, danke. Morgen früh muss ich fit sein. Ich habe einen wichtigen Termin.« Nick hob fragend die Augenbrauen. »Bei der Werbeagentur ›A.K. Sea‹ in der Friedrichstraße«, half ich ihm auf die Sprünge.
»Wegen deines neuen Internetauftrittes, stimmt. Das hatte ich vollkommen verdrängt. Sagtest du nicht, dass die Agentur momentan keine Neuaufträge annimmt? Geht nicht außerdem morgen dein Segelkurs weiter?«
»Der ist auf nächste Woche verschoben worden. Was die Werbeagentur angeht, hast du recht. Ich habe ein bisschen meinen Charme spielen lassen, und nach anfänglichem Zögern hat der Inhaber, Arno Kelsterbach, sich doch bereit erklärt, mir einen Termin zu geben.«
»Interessant.« Nick verzog den Mund und trank einen Schluck Wein. »Übertreib es bloß nicht.«
»Womit?«
»Mit deiner Charmeoffensive. Kelsterbach gilt als äußerst aufgeschlossen, was das weibliche Geschlecht angeht, wenn du verstehst, was ich meine. Sei also besser auf der Hut!«
»Ach, Nick!« Ich stieß ihn spielerisch in die Seite und kuschelte mich dann an ihn. »Du kannst vollkommen entspannt bleiben. Kelsterbach interessiert mich nicht im Geringsten, mir geht es ausschließlich um meine neue Website. Das ist höchste Zeit, dass sie moderner wird. Solange ich dich habe, bin ich gegen jegliche Annäherungsversuche anderer Männer ohnehin immun.«
»Das will ich hoffen.« Ein jungenhaftes Grinsen erschien auf Nicks Gesicht.
Kapitel 4
»Liegt schon eine Rückmeldung von Dr. Luhrmaier im Fall Münkel vor?«, erkundigte sich Uwe, als er am nächsten Morgen das Büro betrat und sich auf seinem Bürostuhl niederließ. »Was ist denn mit meinem Stuhl passiert? Der ist total verstellt! Das war bestimmt wieder diese neue Reinigungskraft«, grummelte er vor sich hin und nahm die Einstellungen an seinem Stuhl vor.
»Hast du schlechte Laune?«, fragte Nick nach.
»Nein, ich habe nur noch nix gefrühstückt«, erwiderte er. »So, passt wieder alles.« Uwe wippte mit der Rückenlehne mehrmals hin und her. Dann raschelte er mit einer Papiertüte vom Bäcker, aus der er ein braun glänzendes Rosinenbrötchen hervorzauberte. »Also, weiter im Text. Gibt es Neuigkeiten?«
»Du kommst just in time. Der vorläufige Obduktionsbericht ist eben per Mail eingegangen«, erwiderte Nick, der konzentriert auf seiner Tastatur herumtippte.
»Das ging aber fix. Und was steht drin?«
»Ich hatte noch keine Zeit, ihn ausführlich zu lesen. Dr. Luhrmaier hat um sofortigen Rückruf gebeten, da er uns wie üblich zu seinem Bericht das ein oder andere erläutern möchte«, fügte Nick hinzu, während er zeitgleich die Nummer des Rechtsmediziners wählte und die Lautsprechertaste betätigte. Die Verbindung war kaum hergestellt, da ertönte bereits die resolute Stimme Dr. Josef Luhrmaiers.
»Guten Morgen, meine Herren!«, begrüßte er die beiden Polizisten wie immer. »Haben Sie sich zwischenzeitlich meinen Bericht ansehen können?«
»Ich habe ihn kurz überflogen«, bestätigte Nick. »Wie ich Ihren Ausführungen entnehmen kann, gehen Sie weder von einer natürlichen Todesursache noch von einem Unfall aus.«
»Korrekt, beides können wir definitiv ausschließen, ebenso einen Suizid.«
»Da sind Sie absolut sicher?«, hakte Uwe vorsichtig nach, was er im selben Moment bereits bereute.
Am anderen Ende der Leitung konnte man hören, wie der Rechtsmediziner die Luft scharf einsog, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
»Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung, Herr Wilmsen, kann ich Ihnen mit an 100 Prozent grenzender Sicherheit sagen, dass im vorliegenden Fall von einem Fremdverschulden auszugehen ist.«
»Bitte, Herr Dr. Luhrmaier, ich wollte Ihre Expertise in keiner Weise infrage stellen«, versuchte Uwe, die Wogen zu glätten.
»Das Opfer ist nicht ertrunken, was man auf den ersten Blick hätte vermuten können, sondern war bereits tot, als er ins Wasser gelangte«, präzisierte Dr. Luhrmaier, ohne auf Uwes Einwand näher einzugehen. »An seinem Körper befinden sich zudem eindeutige Schleifspuren, was den Schluss zulässt, dass er eine erhebliche Strecke über harten Untergrund gezogen wurde, bevor er im Wasser gelandet ist. Druckstellen an den Handgelenken unterstreichen diese Annahme.«
»Hm. Als er gefunden wurde, trieb er bäuchlings im Hafenbecken«, resümierte Uwe vor sich hin, während er vergeblich an der Verpackung eines Schokoriegels zerrte. Das Rosinenbrötchen gehörte längst der Vergangenheit an.
»Natürlich tat er das. Eine Wasserleiche schwimmt niemals auf dem Rücken. Mir war nicht bewusst, dass Ihnen diese Tatsache neu ist, Herr Wilmsen.« Die Genugtuung in Dr. Luhrmaiers Stimme war unüberhörbar. »Sehen Sie«, fuhr er fort, »wäre der Mann beim Kontakt mit dem Wasser am Leben gewesen, hätte ich eine starke Überdehnung der Lungenbläschen feststellen müssen, die auf extreme Atembewegungen zurückzuführen sind. Dies ist aber definitiv nicht der Fall, da er – wie ich bereits erwähnte – schon tot war. Darüber hinaus waren keinerlei Überbleibsel des sogenannten Schaumpilzes in den Atemwegen festzustellen, der bei einer Wasserleiche üblich sind. Normalerweise …«
»Klingt nicht besonders appetitlich, daher verzichten wir gern auf nähere Details, wenn es nicht unbedingt notwendig ist«, unterbrach ihn Uwe, dem es endlich gelungen war, den Schokoriegel aus seiner widerspenstigen Ummantelung zu befreien.
»Ist es nicht.« Es entstand eine kurze Pause, wobei neuerlich unverkennbar war, dass nach Uwes Bemerkung eine leichte Verstimmung in Dr. Luhrmaiers Tonfall mitschwang. Nick schenkte seinem Kollegen umgehend einen strafenden Blick, den dieser jedoch lediglich mit einem müden Schulterzucken erwiderte.
»Wussten Sie übrigens, dass man in Salzwasser langsamer ertrinkt als in Süßwasser? Im Grunde unerheblich, das Ergebnis ist dasselbe«, meldete sich ihr Gesprächspartner zurück. Doch seine Worte klangen, als spräche er eher zu sich selbst als mit den Beamten.
»Nein, das wussten wir nicht. Klingt auf jeden Fall interessant. Doch was hat in unserem Fall zum Tode geführt?«, erkundigte sich Nick, um einen versöhnlichen Ton bemüht.
»Genickbruch«, erhielt er die prompte Antwort.
»Genickbruch? Daran bestehen keine Zweifel?«, wiederholte Nick überrascht.
»Nicht die geringsten. Es stehen zwar noch einige Laboruntersuchungen aus, aber die ändern nichts an der Todesursache. Tut mir leid, wenn ich Sie mit dieser schnöden Tatsache enttäuscht haben sollte. Womit haben Sie denn gerechnet?«
»Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht«, gab Nick zu und rieb sich den Nacken.
»Der Tote war übrigens Raucher, doch das ist in diesem Fall unerheblich. Genickbruch ist eindeutig die Todesursache. Jemand muss mit brachialer Gewalt gehandelt haben. Das Opfer muss sich gewehrt haben, denn ich habe erhebliche Abwehrmerkmale an dessen Oberkörper und außerdem Würgemale entdeckt sowie winzige Mengen von Fremd-DNA unter den Fingernägeln. Sie stammen vermutlich vom Täter. Der Tote hat nicht allzu lange im Wasser gelegen, denn die Nägel haben noch nicht begonnen, sich abzulösen.«
Uwe hielt mitten im Kauen inne, verzog angewidert das Gesicht und legte den angebissenen Schokoriegel beiseite. Angesichts dieser Vorstellung war ihm der Appetit gründlich vergangen.
»Dann könnte es im Vorfeld zu einem Streit gekommen sein, der anschließend in einer handgreiflichen Auseinandersetzung endete, in dessen Verlauf wiederum der tödliche Genickbruch erfolgte«, versuchte Nick, den Tathergang zu rekonstruieren.
»So könnte es gewesen sein, jedenfalls klingt es plausibel, wenn man die Verletzungen betrachtet«, stimmte Dr. Luhrmaier Nicks Theorie zu.
»Können Sie uns nähere Angaben zum Todeszeitpunkt geben?«, wollte Uwe wissen.
Dr. Luhrmaier antwortete nicht sofort, stattdessen konnte man im Hintergrund deutlich das Rascheln von Papier hören. »Meinen Untersuchungen zufolge ist der Tod in der Frühe eingetreten, ungefähr gegen fünf Uhr morgens. 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Ansonsten finden Sie alles ausführlich beschrieben in meinem Bericht, der Ihnen vorliegt. Wenn Sie für den Moment keine dringenden Fragen haben, würde ich unser Gespräch an dieser Stelle gern beenden. Ich muss gleich in die Klinik.«
»Oh, ich hoffe, Sie sind nicht erkrankt?«, bemerkte Uwe.
»Ich?« Dr. Luhrmaier gab einen kurzen Lacher von sich. »Nein. Ich muss ein Gutachten zu einem angeblichen Arbeitsunfall anfertigen.«
»Angeblich?«
»Richtig gehört, Herr Wilmsen. Die Verletzungen des Opfers stimmen nicht mit seiner Aussage überein.«
»Vermutlich will er die vereinbarte Versicherungssumme kassieren«, warf Nick ein.
»Möglich, in diesem Punkt sind die Leute erschreckend erfinderisch, daher ist an dieser Stelle meine Expertise gefragt. Im Übrigen habe ich nicht ausschließlich mit Toten zu tun, wenn Sie das bislang angenommen haben sollten. Zu meiner Klientel gehören sowohl die Lebenden als auch die Toten. Das bringt Abwechslung in den Alltag!« Ein erneuter Lacher entsprang seiner Kehle. »Nun dann. Viel Erfolg bei der Verbrecherjagd, die Herren!« Ehe die beiden Beamten etwas erwidern konnten, hatte Dr. Luhrmaier das Gespräch für beendet erklärt und aufgelegt.
»Was war denn mit unserem Doktor heute los?«, fragte Uwe verdutzt.
»Du kennst ihn doch, manchmal ist er eben etwas seltsam.«
»Etwas? Mir geht seine Besserwisserei auf die Nerven.« Uwe zog eine Grimasse und stopfte sich anschließend vor lauter Frust den Rest seines Schokoriegels in den Mund, den er mit einem Schluck Kaffee hinunterspülte.
»Wenden wir uns lieber unserem Fall zu.«
»Gute Idee. Was wissen wir bislang über das Opfer?«
»Der Mann heißt Richard Münkel, ist 47 Jahre alt, lebte in einer kleinen Wohnung zur Miete am Rande von Westerland. Vor ungefähr vier Monaten hat er sich arbeitslos gemeldet«, zählte Nick mit Blick auf seine Notizen die Fakten der Reihe nach auf.
»Familienstand?«, unterbrach ihn Uwe. »Vielleicht stammt der Täter aus dem familiären Umfeld?«
»Ich war noch nicht fertig. Münkel ist ledig und hat keine Kinder, die Eltern sind beide vor Jahren verstorben. Eine Lebensgefährtin oder -gefährten konnte ich ebenfalls nicht ausfindig machen. Keine Vorstrafen. Das ist alles, was sich in der Kürze der Zeit zusammentragen ließ.«
»Gut, gut«, grummelte Uwe vor sich hin und spielte gedankenverloren mit einem Kugelschreiber in seiner Hand. »Wovon hat er zuletzt gelebt? Gibt es Informationen zu seinem Job oder letzten Beschäftigungsverhältnis?«
»Und ob! Da kommst du nie drauf!«
»Nun lass die Ratespielchen, Nick, und komm auf den Punkt!«
»Er hat eine Ausbildung zum Butler absolviert.«
»Wie bitte?«
»Du hast richtig gehört, Richard Münkel ist von Beruf Butler, beziehungsweise er war es.«
»Das hätte ich in der Tat nicht erwartet. Ist dieser Beruf nicht längst aus der Mode gekommen?«, fragte Uwe, dem die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand.
»Im Gegenteil. Butler sind momentan im Kommen, besonders in Nobelhotels und gut situierten Privathaushalten.«
»Echt? Ich weiß ja nicht«, erwiderte Uwe mit skeptischer Miene. »Ich mache mir meinen Kaffee lieber selbst.«
»Ich bezweifle, dass du dir von deinen Bezügen überhaupt einen Hausangestellten leisten könntest«, bemerkte Nick amüsiert. Dann wurde er ernster. »Zuletzt war Münkel bei einem Ehepaar in Kampen beschäftigt, sie heißen Insa und Gunnar Schröder.«
»Gunnar Schröder? Irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört. Ist gar nicht lange her. Das fällt mir sicherlich noch ein«, grübelte Uwe angestrengt.
»Im Zuge der Wohnungsdurchsuchung gestern Nachmittag haben wir einige der Nachbarn gesprochen. Allerdings ist dabei nichts Verwertbares herausgekommen. Niemand konnte nähere Angaben zu Münkel machen. Offenbar war er an einem nachbarlichen Austausch nicht sonderlich interessiert und hat sehr zurückgezogen gelebt. Besuch gab es nach Aussage einer aufmerksamen Nachbarin ebenfalls nicht, weder männlichen noch weiblichen«, setzte Nick nach und erntete ein Stirnrunzeln seines Kollegen.
»Klingt nach dem traurigen Leben eines Einsiedlerkrebses.«
»Die Fingerspuren, die die Kollegen gefunden haben, unterstreichen diese Annahme, denn außer seinen eigenen wurde keine Fremd-DNA gefunden. Allerdings waren die Kollegen überrascht, wie penibel aufgeräumt und sauber die Wohnung war. Der Mann hatte einen ausgeprägten Sinn für Sauberkeit und Ordnung.«
»Das ist vermutlich eine Grundvoraussetzung für seinen Job. Oder nimmst du an, jemand hat nach seinem Tod versucht, Spuren zu beseitigen, indem er Großreinemacht?«
Nick schüttelte den Kopf. »Nein. Irgendwelche Spuren hinterlässt jeder, da kann er noch so gründlich vorgehen, sei es bloß ein einzelnes Haar oder winzige Faserspuren der Kleidung. In solch einem Fall hätte die Spurensicherung etwas finden müssen. Zudem wurde nicht eingebrochen, da nichts entwendet oder durchwühlt wurde. Jedenfalls der Laptop und ein paar kleinere Wertgegenstände waren an ihrem Platz. Den Laptop haben die Kollegen übrigens mitgenommen. Mal sehen, ob sich darauf ein Hinweis auf den Täter finden lässt.« Nicks Telefon klingelte. Er sah kurz auf das Display und nahm das Gespräch an.
»Wer war das?«, drängelte Uwe, nachdem Nick aufgelegt hatte.
»Ich hatte die Kollegen gebeten, Münkels Vermögensverhältnisse zu durchleuchten. Dabei haben sie ein weiteres Mal seine Wohnung aufgesucht.«
»Und? Ist etwas Bahnbrechendes dabei herausgekommen?«, wollte Uwe wissen. »Hat unser reinliches Opfer eventuell doch ein Staubkorn übersehen?«
»Du wirkst irgendwie so gereizt heute. Was ist los mit dir? Hast du Hunger? Dann solltest du lieber was essen, bevor es mit deiner Laune weiter bergab geht«, schlug Nick vor.