Kitabı oku: «Joli - Eine lustige Affengeschichte»
Joli
Josephine Siebe
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Erstes Kapitel. Auf dem Feldburger Jahrmarkt.
Zweites Kapitel. Im Gärtnerhaus.
Drittes Kapitel. Ein gestörtes Weihnachtsfest.
Viertes Kapitel. Es geht übers Weltmeer.
Fünftes Kapitel. Im Urwald.
Sechstes Kapitel. In der neuen Heimat.
Siebentes Kapitel. Fabian baut Möbel, und ein Gast kommt.
Achtes Kapitel. Schelm Bimbos Abenteuer.
Neuntes Kapitel. Bimbo sieht und erlebt allerlei im Menschenhaus
Zehntes Kapitel. Was Joli seinem neuen Freund erzählt.
Elftes Kapitel. Bubele und Babele kommen zur Affengroßmutter.
Zwölftes Kapitel. Joli erhält seine Freiheit wieder.
Dreizehntes Kapitel. Wieder im Urwald.
Vierzehntes Kapitel. In die Heimat zurück.
Erstes Kapitel.
Auf dem Feldburger Jahrmarkt.
In Feldburg war Jahrmarkt. Das war ein Leben! In den Straßen der kleinen Stadt herrschte ein solches Gedränge, daß der Kaufmann Schulz an der Ecke, der weit gereist war, sagte: »In Berlin in der Friedrichstraße ist es still dagegen!« Aus der Umgegend waren viele Landleute gekommen mit Wagen und Pferden oder zu Fuß, große Körbe tragend; alle wollten sie auf dem Jahrmarkt einkaufen und sehen, was es da zu sehen gab.
»Potztausend ja, man möchte dort hinten und vorn, oben und unten vier Augen haben,« sagte der dicke Schulze aus Oberheudorf, als er erst einen Stoß in den Rücken bekam und nachher beinahe in einen Kinderwagen fiel. Es war aber auch wirklich viel zu sehen auf der Festwiese; Stadtleute und Landleute staunten, so einen wundervollen Jahrmarkt hatten sie alle noch nicht gesehen. Es gab Schaubuden aller Art, ein Zaubertheater, eine Taucherbude, eine, in der ein Mann Feuer und zerschlagene Gläser verspeiste, als wäre es Schlagsahne mit Kuchen. Eine kleine Menagerie war auch da, dazu Karusselle und Würstelbuden, und für zehn Pfennig konnte sich jemand dick und voll an Pfefferkuchen essen oder drei Blechlöffel kaufen, wozu er gerade Lust hatte. Ein Ausrufer verkündete die spaßigsten Sachen, eine dicke Frau hatte Berge von Pfannkuchen, und ein Mann mit roten Luftballons schrie jeden Menschen an: »Ein Jahrmarkt ohne Ballon ist kein Jahrmarkt! Aufgepaßt, meine Herrschaften, so schöne Ballons finden Sie nicht wieder!«
Leierkasten dudelten, vor der Menagerie kreischten zwei Papageien, die Händler priesen laut ihre Waren an, Buben und Mädel lachten und schrieen, – es war ein ohrenzerreißender Lärm. »Es ist zum Davonlaufen!« sagte eine dicke Obstfrau, die so eingekeilt zwischen zwei Buden saß und so von Menschen umdrängt wurde, daß sie sich nicht mehr rühren konnte.
Zwei Kinder, die vor ihr standen, lachten darüber. »Aber Mutter Wicherten,« sagte das Mädchen, ein feines kleines Ding mit lichtblondem Haar und veilchenblauen Augen, »es ist doch schön hier, so lustig geht es zu!«
»Schön? Papperlapapp! Schön ist es draußen in eurem Garten, Lieselinchen,« sagte die Obstfrau. »Aber freilich, in eurem Alter bin ich auch bis auf die Kirchturmspitze gesprungen, wenn ich auf einen Jahrmarkt durfte, das ist nun mal so.«
Bruder und Schwester lachten laut auf, denn der Gedanke, die dicke Mutter Wicherten könnte auf einen Kirchturm springen, kam ihnen sehr komisch vor. Diese lachte selbst herzhaft mit. Dann ermahnte sie die Kinder: »Nun geht nur, schaut euch alles gut an und kauft ein. Habt ihr denn Geld?«
»Na ob,« riefen beide strahlend, und der Bube, blondlockig wie die Schwester, aber mit braunen Augen, erzählte wichtig: »Lieselinchen hat von der Frau Pate zu ihrem Geburtstag einen Taler für den Jahrmarkt geschenkt bekommen, sie soll sich dafür kaufen, was sie will.« »Nun, und was willst du, ein Königreich oder einen Pfefferkuchenberg?« neckte Mutter Wicherten.
»Nein, einen neuen blauen Wagen,« sagte Lieselinchen. »Wir haben von den Eltern noch eine Mark bekommen, und zwanzig Pfennig habe ich noch, und da wollen wir uns einen Wagen kaufen.«
»So ist's recht,« meinte die Obstfrau, »immer zusammen die Freude genießen!«
Die Geschwister sahen sich ganz erstaunt an; es war doch selbstverständlich, daß sie alles zusammen taten und sich über alles zusammen freuten. Sie hielten es stets so, da kam es ihnen gar nicht als etwas Besonderes vor.
»Na, dann lauft nur und kauft ein, aber seht euch vor, daß aus eurem Wagen nicht etwas anderes wird und ihr nicht vielleicht mit einem Kaffeegeschirr, einem Löwen oder einem Affen nach Hause kommt,« ermahnte Mutter Wicherten. »Ich habe mal einen Mann gekannt, der wollte sich eine Pfeife kaufen, und dann kam er mit einer Wanduhr heim, und das nächste Mal sollte er seiner Frau eine Teekanne mitbringen und kam mit einem Stiefelknecht an; ja, so geht es manchmal!«
Die Kinder kicherten fröhlich, und Dietrich sagte: »So etwas tun wir nicht, wir fahren nachher mit dem Wagen an dir vorbei, Mutter Wicherten, da kannst du ihn gleich bewundern.« Damit liefen Bruder und Schwester davon, denn sie wollten ihren Wagen bald haben. Die Mutter wollte mit den beiden Kleinen, mit Max und Barbara, nachkommen, und die sollten schon im neuen Wagen gefahren werden.
Aber so schnell kam es nicht zum Kauf. Zu vieles war zu sehen, zu groß war oft das Gedränge. Vor der Menagerie lud ein Hanswurst zum Eintritt ein, und Lieselinchen und Dietrich hörten eine Weile seinen lustigen Reden zu. Auf einmal aber bemerkte Lieselinchen ein kleines braun-schwarzes Tier, das unter einem der grünen Wagen, die neben der Menagerie standen, kauerte. »Sieh doch, Dietrich,« rief sie und zeigte auf das Tierchen. Doch schon hatten es zwei größere Buben erblickt. »Ein Affe, ein Affe!« brüllten sie, und »Ein Affe, ein Affe!« schrieen ein paar andere nach. »Wo kommt er her? Er ist entsprungen!« – »Fangt ihn, fangt ihn!« riefen drei, vier Stimmen. Aus der Menagerie stürzte plötzlich eine sehr bunt und seltsam aufgeputzte Frau, ihr folgte der Hanswurst, und beide schrieen aufgeregt: »Unser Affe, unser Affe! Joli, Joli, du abscheuliches Tier, wo bist du denn?«
Dem Äffchen wurde himmelangst. Die vielen schreienden Menschen schüchterten es ein, und eilig entfloh es und kletterte pfeilschnell an der Leinwand der Bude hinauf.
»Haltet ihn, haltet ihn!« jammerten die Menageriedame und der Hanswurst, und sämtliche Buben brüllten ihnen nach: »Haltet ihn, haltet ihn!«
Aber so leicht war der kleine Ausreißer nicht zu halten, er war ein gar gewandter Kletterer. Etliche Buben versuchten, an den luftigen Wänden der Bude hinaufzuklettern, doch diese geriet so ins Schwanken, daß entsetzt ein paar verständige Männer die Buben packten und zurückhielten, sonst wäre vielleicht die ganze Menagerie zusammengefallen.
»Joli, Joli, süßer Joli!« flehte die Menageriedame. »Komm doch wieder, mein Liebling, du bekommst auch Zucker!« »Haue bekommst du, du Biest!« schrie der Hanswurst, der auf einmal gar nicht mehr lustig, sondern wütend und böse aussah.
»Vor dem Hanswurst kann man sich fürchten,« flüsterte Lieselinchen ihrem Bruder ängstlich zu.
»Der arme kleine Affe,« murmelte der, »wenn sie ihn fangen, bekommt er Schläge.«
»Man muß die Feuerwehr holen und den Ausreißer tüchtig naß spritzen lassen, dann kommt er schon zurück,« riet ein Mann.
In diesem Augenblick sah Dietrich neben sich zwei boshaft funkelnde Augen, hörte ein hämisches Lachen, und schon sauste ein Stein über die Köpfe der Menge hinweg nach dem Dach der Bude. Ein vielstimmiger Schrei ertönte, einige Leute duckten sich, andere flohen unwillkürlich, von oben herab aber rollte ein kleiner brauner Körper in die Menge hinunter – das Äffchen.
»Aber John, o John, was hast du getan!« schrie die Menageriefrau. Sie stürzte auf das Tierchen zu und hob es schluchzend auf.
Der Hanswurst lachte: »Ach was, der Denkzettel schadet dem unnützen Kerl nichts, er hat mich genug geärgert!«
»Pfui, aber pfui, so ein schlechter Mensch!« rief Mutter Wicherten hinter ihren Obstkörben hervor. Andere Stimmen fielen ein, und alle schalten auf den Hanswurst. Die Frau aber klagte: »Er stirbt, unser Joli stirbt! Ach, woher bekomme ich nur gleich einen andern Affen!«
Dietrich und Lieselinchen waren aufgeregt bis dicht an die Bude getreten, und Lieselinchen streckte unwillkürlich dem verwundeten Tier eine goldgelbe Birne hin, die sie in der Tasche hatte. Einige Sekunden lang öffnete Joli, dem das Blut über das Körperchen rann, seine Augen und sah mit einem unbeschreiblich traurigen Blick die Kinder an, ohne die Birne anzurühren.
»Geben Sie ihn uns, wir wollen ihn gesund pflegen,« rief Dietrich mitleidig. Blitzschnell dachte er daran, daß er daheim schon einmal einen kranken Hund gesund gepflegt und daß niemand darüber gescholten hatte. Er und Lieselinchen hatten auch schon einmal einen halbtoten Raben heimgenommen, den sie auf dem Felde gefunden hatten, und der war auch gesund geworden. Ach, vielleicht würde es ihnen hier auch gelingen.
»Das nützt nichts mehr, Bube,« sagte der dicke Schulze aus Oberheudorf, der sich durchgedrängt hatte und nun breitbeinig vor der Bude stand.
»Vielleicht doch,« flüsterte Lieselinchen, der die hellen Tränen über die Backen liefen.
Dem Hanswurst war seine rasche Tat längst leid geworden; er bereute, was er im Zorn getan hatte, nicht aus Mitleid, sondern weil ihm das Geld leid tat, das ein neuer Affe kosten würde.
»Vielleicht kauft das kleine Fräulein unsern Joli, wir geben ihn billig ab,« sagte er etwas spöttisch.
»Haha, das ist ein Spaß!« lachte der Oberheudorfer Schulze. »Was soll er denn kosten? Ist 'ne Million genug?«
»Drei Mark,« rief der Hanswurst rasch und schaute sich um. Vielleicht war jemand so töricht und gab das Geld für das halbtote Tier.
Die Leute lachten. Ein kleiner, frecher Bube rief: »Einen Löwen kriegt man wohl zu und 'n Kamel auch, Herr Hanswurst?«
Dietrich und seine Schwester hatten sich angeblickt, und Lieselinchen nickte: »Ich will, wenn du es willst!«
»Es ist dein Taler,« sagte Dietrich zögernd. »Du hast dich so auf den Wagen gefreut. Willst du wirklich?«
»Ich will die drei Mark bezahlen,« rief auf einmal Lieselinchen; sie wurde dabei rot wie eine Feldmohnblume, weil alle Leute sie ansahen.
»So ein Unsinn!« schalt eine Frau, und Mutter Wieherten zeterte aus ihrer Ecke hervor: »Aber Kinder, seid ihr närrisch geworden? Ihr wolltet euch doch einen Wagen kaufen. Das Tier stirbt euch ja unter den Händen!«
Der Hanswurst aber hatte geschwind das Äffchen in einen alten Lappen gewickelt und es Lieselinchen auf den Arm gelegt. »Hier, mein kleines herzensgutes, zuckersüßes Fräulein,« sagte er schrecklich freundlich. »Es ist ein Glück, daß es noch gute, mitleidige Menschen gibt.«
»Das ist eine bodenlose Dummheit! Man sollte es nicht erlauben,« brummelte der Oberheudorfer Schulze. Andere Leute mischten sich auch ein, und es entstand ein großes Geschrei: man wollte es nicht zulassen, daß die Kinder das Tier kauften. Da wurde der Hanswurst wieder wütend und drohte, er werde das Äffchen auf der Stelle totschlagen. Wieder sahen sich die Geschwister an, und wieder nickten sie einander zu. Rasch zog Dietrich den blanken Geburtstagstaler aus der Tasche und reichte ihn dem Hanswurst. Der steckte das Geld, obgleich die Leute um ihn herum heftig schalten, vergnügt in die Tasche und schoß plötzlich einen Purzelbaum. Wie ein Rad kollerte er vor der Menagerie hin und her, schnitt Grimassen, stellte sich auf den Kopf und erreichte mit seinen Kunststücken, daß die Zuschauer für einige Augenblicke das Äffchen vergaßen.
Dietrich und Lieselinchen benutzten das allgemeine Erstaunen und liefen mit dem halbtoten Tier davon. Sie schämten sich beinahe, daß so viele Leute ihr gutes Werk mit angesehen hatten.
»Na, sagte ich's nicht, ein Wagen wird es doch nicht?« sagte Mutter Wicherten, als die Kinder an ihr vorüberkamen. »Nun ist's sogar ein Affe geworden. Ein Kaffeegeschirr wäre besser gewesen.« Sie nahm dann ein paar weiße und rote Zuckerstangen, die sie auch feilhielt, und steckte sie den beiden zu. »Was tut ihr denn jetzt mit dem armen Tier?«
»Wir gehen zum Herrn Tierarzt Lindner,« sagte Dietrich rasch, »nicht wahr, Lieselinchen? Vielleicht verbindet er uns Joli.« Lieselinchen nickte und sah den Bruder strahlend an. Wie klug der aber auch war! Gleich wußte er einen Ausweg.
»Das ist vernünftig,« lobte Mutter Wicherten und steckte Dietrich noch rasch die Taschen voll Johannisbrot. »Geht nur geschwind, vielleicht wird der arme Schelm noch gesund.«
Vorläufig lag Joli freilich ganz still auf Lieselinchens Arm, und die Kleine klagte auf dem Weg zum Tierarzt: »Er stirbt gewiß. Ach, hoffentlich ist Herr Lindner zu Hause!« Der war zu Hause; er hörte freundlich den Bericht der Kinder an, und als Dietrich schüchtern sagte, sie hätten aber nur noch eine Mark, sagte er lachend: »Ich will euch euren Joli schon ganz umsonst kurieren, hoffentlich gelingt es mir.«
Er nahm das Tierchen, legte es auf einen Tisch und untersuchte die Wunde. Dabei wurde sein Gesicht immer fröhlicher, und während er das Äffchen sorgsam verband, sagte er zu den Geschwistern, die sein Tun angstvoll beobachteten: »Er wird wohl gesund werden. Hoffentlich habt ihr auch recht viel Freude an ihm. Affen sind manchmal recht unnütze Hausgenossen, ich mag sie freilich trotzdem gut leiden.«
Es war, als hätte Joli dies verstanden; er öffnete seine dunklen Augen und sah wieder mit einem tieftraurigen Blick die Kinder an, just als wollte er sagen: »Habt mich nur lieb, ich will schon folgsam sein!«
Da streichelte ihn Lieselinchen sacht und flüsterte: »Armer, kleiner, lieber Joli, du wirst gewiß nicht böse sein.«
Inzwischen war Frau Hesse, die Mutter der beiden Kinder, mit Bubele und Babele, so wurden der vierjährige Max und die fünfjährige Barbara genannt, auch auf dem Jahrmarkt angelangt. Sie hielten alle drei Umschau nach Dietrich und Lieselinchen und wunderten sich, daß ihnen die nicht schon mit dem neuen Wagen entgegenkamen.
»Ich setz' mich in'n Wagen,« erklärte Bubele.
»Ich auch,« rief Babele, »und Mutti auch,« fügte sie rasch hinzu.
Die Mutter lachte: »Na, so groß wird der Wagen wohl nicht sein. Aber wo mögen nur die Kinder bleiben?«
»Frau Hesse, Frau Hesse!« rief da Mutter Wichertens wohlbekannte Stimme. Die dicke Obstfrau winkte und nickte, und als die Mutter mit den beiden Kleinen vor ihr stand, erzählte sie sehr eifrig von dem Affenkauf der beiden Kinder. »Sie haben beide ein sehr gutes Herz, das muß man sagen,« schloß sie.
Frau Hesse nickte, und ein liebes Lächeln ging über ihre Züge. »Ein gutes Herz,« wiederholte sie innig.
Bubele und Babele hatten mit weit aufgerissenen Augen der Erzählung gelauscht, und das Bubele, das noch um ein wenig dümmer als das Babele war, rief fragend: »Ischt 'n Affe was schu essen?«
»Nee, 'n Affe is was aus'm Bilderbuch,« belehrte Babele wichtig. Dann fragte sie Mutter Wicherten eindringlich: »Sitzt der Affe im Wagen drin?«
»Nein, nein, mein Babele,« erklärte diese, »'n Wagen, den gibt's nu nicht, aber ein Affe ist viel, viel schöner!«
Den Affen wollten sich Bubele und Babele schon gefallen lassen, daß es aber keinen Wagen geben sollte, das fanden sie sehr betrüblich. Sie brachen plötzlich beide in ein jämmerliches Geschrei aus, und vergeblich versuchte Mutter Wicherten sie mit einer Zuckerstange zu trösten, sie weinten immer kläglicher. Dietrich und Lieselinchen, die mit ihrem verbundenen Affen eilig zum Jahrmarkt zurückkehrten, um die Mutter mit den beiden Kleinen zu suchen, hörten schon von weitem das Geschrei und merkten auch bald, warum die Geschwister so jammerten. »Wir wollen 'n Wagen,« klagten beide. »In 'n Wagen sitzen,« heulte Babele, und Bubele fügte hinzu: »Ich will'n ziehen.«
Dietrich und Lieselinchen sahen sich erschrocken an: sie hatten den Kleinen die Freude verdorben. Denn daß es Lieselinchens Geburtstagstaler war, das kümmerte die Geschwister eben mitsammen wenig. »Unse Wagen, unse Wagen!« heulten die Kleinen.
Die Mutter wußte sie aber rasch zu beruhigen, und die beiden Großen, wie sie von Bubele und Babele genannt wurden, merkten bald, daß die Mutter nicht böse war, daß sie ihre Tat verstand. Da wurden ihnen die Herzen leicht, und eifrig erzählten sie der Mutter noch einmal alles, zeigten Joli, der ganz still mit geschlossenen Augen auf Lieselinchens Armen lag, und berichteten von dem Ausspruch des Tierarztes.
Von den Herrlichkeiten des Jahrmarktes sahen die Kinder an diesem Tage nicht viel. Joli mußte nach Hause gebracht werden, Joli brauchte Ruhe und Pflege. Selbst Bubele und Babele fanden sich darein. Vom übrig gebliebenen Geld kaufte Dietrich rasch ein paar Spielereien für die Kleinen und eine Tüte Pfefferkuchen als Wegzehrung, und dann ging es heimwärts. Joli lag in einem alten Obstkorb, den Mutter Wicherten geliehen hatte, und die Geschwister trugen ihn alle vier. Bubele und Babele hielten wenigstens die Händchen am Korb, sie wollten dem armen Joli doch auch etwas zuliebe tun.
Pläne wurden geschmiedet und lustige Luftschlösser aufgebaut, wie es werden würde, wenn Joli erst gesund war, wenn er wieder klettern und vielleicht Kunststückchen machen konnte. Immer flinker liefen die Kinderbeine. Die vier hatten es am Morgen gar nicht erwarten können, auf den Jahrmarkt zu kommen, nun eilten sie früher, als sie es gedacht hatten, seelenvergnügt heimwärts. An den Wagen dachten sie gar nicht mehr, nur an Joli und daran, was Vater zu dem neuen Hausgenossen sagen würde. O, Vater würde sich freuen, denn Vater liebte ja Tiere so, Tiere und Pflanzen.
»Wir kommen, wir kommen,« schrieen alle vier, als sie von weitem das liebe Heimathaus sahen, »wir kommen, wir kommen!«
»Und Joli kommt mit,« krähte Babele.
»Joli mit,« wiederholte Bubele vergnügt, als der Vater das Gartentor öffnete und ihnen entgegenkam.
Zweites Kapitel.
Im Gärtnerhaus.
Das Heimathaus der vier Geschwister lag vor der Stadt, vor dem Tore eigentlich, denn die kleine, altertümliche Stadt besaß noch zwei wohlerhaltene Tore mit Türmen. Die Stadtmauer aber war längst gefallen, und wo sonst ein breiter Wassergraben die Stadt umgürtet hatte, gab es jetzt eine schöne, breite Promenade.
Ein Stückchen weiter hinter den letzten Häusern der Stadt lag die Kunst- und Handelsgärtnerei von Rudolf Hesse, dem Vater der Kinder. Früher hatte das Haus einem etwas wunderlichen alten Herrn gehört, einem großen Gartenfreund und Blumenliebhaber. Der hatte Rudolf Hesse, der ein entfernter Verwandter seiner Frau war, als armes, verlassenes Waisenbüblein zu sich genommen, ihn erzogen und ihn Gärtner werden lassen. Das alte Haus mit dem Garten wurde zu einer großen Gärtnerei umgewandelt. Das hatte Onkel Dietrich noch erlebt, hatte auch noch den kleinen Dietrich aus der Taufe gehoben, dann aber war er sanft und friedlich gestorben. Er lebte aber fort in den Herzen der Seinen. Am Ende des Gartens lag sein Grab, so hatte er es selbst gewünscht, und die Blumen, die der alte Onkel so sehr geliebt hatte, blühten immer wohlgepflegt auf dem Grabe. Onkel Dietrichs Blumen zu begießen, war die liebste Beschäftigung der Kinder.
Dietrich, Lieselinchen, Babele und Bubele lebten ein glückliches Kinderleben in dem alten Haus. Wohl kam mal eine Krankheit, oder dem Vater verdarb ein Unwetter seine Pflanzungen, aber das alles waren keine allzu schweren Sorgen, sie gingen vorüber wie flüchtige Wolken, die über die Sonne ziehen, und trübten nicht lange die fröhliche Heiterkeit des Familienlebens. Von den arbeitsamen, gütigen Eltern geleitet, zwischen Blumen und Bäumen wuchsen die vier Kinder heran und waren alle Tage lustig und guter Dinge. Sie freuten sich am Wechsel der Jahreszeiten, an Alltagen und Festtagen und aßen ihr tägliches Brot mit so gutem Appetit wie den Sonntagskuchen. Sie waren auch manchmal wild und unartig und bekamen Schelte, wie es so geht. Sie waren aber doch rechte, fröhliche, gesunde Kinder. Von Vater und Mutter hatten sie es gelernt, alle Tiere und Pflanzen zu lieben, auf sie zu achten und, was ihnen gehörte, sorgsam zu pflegen.
Sie hatten daher alle vier auch keine Sorge, der Vater könnte das Äffchen scheel ansehen, und als er sich jetzt im Gartentor zeigte, rasten Bubele und Babele strahlend auf ihn zu. »Wir haben 'n Affen, Vater.« – »Einen lebendigen,« jauchzte Babele. – »Mit'm Loch im Kopf,« erklärte Bubele stolz.
Der Vater sah etwas verdutzt drein. Wenn Kinder ausziehen, einen Wagen zu kaufen, und einen Affen heimbringen, dann ist das freilich auch eine sonderbare Geschichte.
Nun schrieen auch Dietrich und Lieselinchen vergnügt: »Wir haben einen Affen, Vati, einen richtigen Affen!«
Es dauerte ein Weilchen, bis der Vater die Geschichte des Affenkaufs genau zu hören bekam, denn die Kinder redeten so durcheinander, daß endlich die Mutter die Sache erklären mußte.
»Er wird gesund,« versicherte Lieselinchen glückstrahlend, »Herr Doktor Lindner hat es gesagt.«
Es war gerade, als wollte das Äffchen zeigen, daß es Lieselinchens Worte verstanden habe, es öffnete ein wenig die Augen und stieß dann ein klägliches, winselndes Schreien aus, es klang beinahe, als weinte ein Kind.
»Tragt das Tierchen hinein,« gebot der Vater, »Fabian mag euch ein Lager zurechtmachen. Vor allem muß der kleine Kerl Wärme haben. Er ist ein südlicheres Klima gewohnt.«
»Fabian, Fabian!« riefen Bubele und Babele wie aus einem Munde und jagten in den Garten, um den langen Fabian zu suchen und ihm von dem neuen Hausgenossen zu erzählen.
Im breiten Mittelweg des Gartens trafen die Kinder Fabian. Er kam gerade, zwei mächtige Gießkannen tragend, vom Brunnen her. »Na?« knurrte er, als er die Kinder erblickte, und die wußten schon, das war eine Aufforderung, ihr Abenteuer zu erzählen.
Fabian war der Obergärtner, – so nannten ihn wenigstens die Gartenarbeiter, – eigentlich war er aber noch vieles andere. Fabian wußte im Haus und Garten Bescheid wie kein Zweiter, und wo es etwas zu tun, zu raten und zu helfen gab, immer wurde Fabian herbeigeholt. Fabian war Gärtner, Maurer, Tischler, er konnte die schönsten Sträuße winden, schadhafte Sachen ausbessern, Puppenstuben neu tapezieren, Vokabeln überhören, Gemüse auf dem Markt verkaufen, dem schwarzen Karo Künste beibringen, ja sogar dichten konnte Fabian. An Geburtstagen und Weihnachten verfaßte er Verschen für die Kinder, die sehr schön waren, worüber aber die Erwachsenen manchmal herzhaft lachten.
Das war Fabian. Zu ihm liefen die Kinder mit ihrem kleinen Patienten, und Fabian sagte zweimal »Hm,« das war sehr viel, denn lange Reden hielt er nicht gern. Fabian, der, wie er selbst sagte, so lang wie der Johannistag war, nahm einfach den Korb mit dem Affen auf den Arm und schritt dem Gewächshause zu. Dort gab es eine kleine, immer wohlig warme Kammer, die ihm als Affenwohnung recht passend erschien. Soviel Dietrich und Lieselinchen unterwegs auch darüber nachgedacht hatten, wo Joli wohnen könnte, diese Kammer war ihnen natürlich nicht eingefallen. An diese dachte nur Fabian.
Der machte auch geschwind ein weiches, warmes Heulager zurecht. Die Mutter kam und brachte eine alte wollene Decke, in die Joli wie ein kleines Kind gewickelt wurde, und dann kauerte das Tierchen still auf seinem Lager. Es schien ihm ganz gut zu gefallen; wohl winselte und stöhnte es bei jeder Berührung, aber plötzlich streckte es Lieselinchen seine kleine Pfote hin, als wollte es sagen: »Danke schön!«
»Er ist süß!« schrie Lieselinchen begeistert.
»Süß!« wiederholten Bubele und Babele und stürmten etwas ungestüm auf Joli los. Doch der fletschte da auf einmal wütend die Zähne, sah mit bitterbösen Augen auf die beiden Kleinen und kreischte laut.
Bubele und Babele flüchteten schreiend, und weil Babele zu weinen anfing, schluchzte Bubele mit. Da wurde plötzlich das Gesicht des Affen wieder sanft und traurig, und er streckte noch einmal seine Pfote aus, als wollte er reumütig sagen: »Ich hab' es doch nicht so bös gemeint!«
So war der Friede wieder hergestellt. Von diesem Augenblick an aber gingen zur großen Beruhigung der Mutter Babele und Bubele doch immer in einem großen Bogen etwas ängstlich um den neuen Hausgenossen herum. Frau Hesse war nicht ganz zufrieden mit dem Gast, sie wußte, daß Affen manchmal recht boshaft und bissig sind, und in der ersten Zeit beobachtete sie Joli immer besorgt. Würde er den Kindern nichts tun? – Doch Joli zeigte sich anfangs sehr friedsam. Er ließ sich pflegen und verwöhnen, selbst als der Tierarzt kam und nach seiner Wunde sah, war er nicht ungebärdig. Die Wunde heilte überraschend schnell, und schon nach wenigen Tagen konnte Joli allerlei Kletterkünste ausüben. Da zeigte er denn bald, daß er eigentlich ein rechter Schelm war und auf allerlei Dummheiten ausging. Er nahm Lieselinchens geliebtem Puppenkind Ninette den allerbesten Sonntagshut weg, schmückte sich damit und zerknüllte und zerzauste das hübsche Hütchen so, daß es niemand Ninette verdenken konnte, wenn sie den Hut nicht mehr tragen wollte. Die Wahrheit des alten Wortes, daß der Affe sehr possierlich ist, zumal wenn er vom Apfel frißt, bewahrheitete auch Joli. Seine Mahlzeiten waren für die Kinder ein Hauptvergnügen, und der Schelm merkte ihre Freude; je mehr sie lachten, desto tollere Grimassen schnitt er, desto emsiger zerzupfte er mit seinen braunen Händen die Speisen. Er leckte und schleckte, drehte sich und wand sich, daß die Kinder allemal in ein helles Lachen ausbrachen.
»Er ist ordentlich eitel, der kleine Kerl,« sagte der Vater. »Seht nur, er will immer bewundert sein.« Und es war wirklich so. Joli wollte Beifall haben für seine Taten. Als Fabian einmal mit den Kindern einer Mahlzeit zusah und etwas grimmig sagte: »Macht's ihm nur nicht nach! Schön sieht's nicht aus, wie er frißt,« warf ihm Joli einen angebissenen Apfel an den Kopf.
»Na, nu schlägt's dreizehn,« brummte Fabian. »So'n Frechling!«
Die Kinder lachten lustig, ihr Lachen aber reizte Joli erst recht, und schwapp! flog dem armen Fabian eine Mohrrübe an den Kopf. Das war dem aber doch zu viel: er stellte sich breitbeinig vor Joli hin und hielt dem Affen mit seiner tiefen Stimme eine lange Strafpredigt. Es war gewiß die längste Rede, die Fabian jemals in seinem Leben gehalten hatte. Sie ließ sogar die Kinder verstummen, die waren einfach paff über Fabians Sprachleistung, und Bubele riß sein Mäulchen so weit auf, als wollte er mindestens ein Vierpfundbrot verschlingen. Anfangs wollte Joli noch etliche andere Reste seiner Mahlzeit folgen lassen, aber jedesmal erhob Fabian drohend seine Stimme, dann kauerte sich das Äffchen erschrocken zusammen. Zuletzt fing es an zu greinen und zu klagen wie ein kleines Kind, und Fabian sagte befriedigt: »Es hat geholfen!«
Und es hatte wirklich geholfen. Joli hatte fortan einen ausbündigen Respekt vor Fabian. Er folgte ihm aufs Wort, anfangs etwas ängstlich und verschüchtert, nach und nach wurde er aber zutraulicher, und bald liebte er den langen Burschen genau so wie die Eltern und die Kinder. Denn Joli liebte wirklich die Familie, die ihn aufgenommen hatte; er war zutraulich zu allen, am meisten aber zu Lieselinchen. Es war, als ahnte er, was die Kleine für ein Opfer für ihn gebracht hatte. Kam sie, dann verklärte sich sein braunes Affengesicht ordentlich, und er streichelte manchmal mit seinen kleinen Pfötchen liebkosend Lieselinchens zarte Wangen. Er saß auch still auf ihrem Schoß und legte liebkosend seine Arme um seiner kleinen Herrin Hals. Solange Joli noch krank war, blieb er in seiner warmen Kammer am Gewächshaus, nachher durften ihn die Kinder mit hinaus nehmen in den Garten. Herr Hesse hatte ein Halsband mit einer feinen, langen Kette besorgt, das bekam der kleine Schelm umgelegt, damit er nicht ausriß oder im Garten vielleicht Unheil anrichtete.
Es waren gar wundervolle Herbsttage. Der Sommer schien noch einmal zurückgekehrt zu sein, um sich an der Farbenpracht und Früchtefülle des Bruders Herbst zu freuen, so warm und sonnenhell war es. Auf den Beeten blühten die Herbstblumen in greller Buntheit. Die Rosen hatten sich noch einmal mit kostbaren, duftenden Blüten geschmückt, und die Obstbäume schienen die Menschen förmlich zu bitten, doch ihren Reichtum zu nehmen, so tief neigten sie ihre Äste. In der Hesseschen Gärtnerei gab es alle Hände voll zu tun. Das Obst mußte abgenommen und für den Verkauf eingepackt werden. Von besonders köstlichen Sorten, die an Spalieren gezogen wurden, bekam jede Frucht eine Umhüllung von Seidenpapier. »Ein Sonntagskleidchen,« nannte es Lieselinchen. Die Kinder mußten in ihren Freistunden alle helfen, selbst Bubele und Babele suchten eifrig unter den Bäumen nach vorwitzig herabgefallenen Früchten.
Das Haus durchzog ein süßer Obstgeruch, und wenn eine Hausfrau kam, Blumen oder Früchte zu kaufen, dann atmete sie wohl tief den köstlichen Duft ein, und manche sagte auch: »Hier möchte ich wohnen.« Das fanden die Kinder begreiflich genug, denn auch ihnen gefiel es gut daheim, und wenn sie aus der Stadt kamen, in die sie zur Schule gingen, waren sie allemal froh, wenn sie schon von ferne den heimatlichen Garten sahen. Und Joli gefiel es auch gut. In der Menagerie hatte er oft hungern müssen, da waren verkrüppelte, halbschlechte Äpfel schon Leckerbissen gewesen, und hier gab es täglich die prächtigsten Früchte. Der kleine Kerl schmauste nach Herzenslust, er wurde gesund und frisch dabei und immer übermütiger. »Laßt nur den Joli nicht hinaus, er hat so listige Augen,« mahnte der Vater oft, »er sieht aus, als möchte er gern viele dumme Streiche machen.«
Dietrich und Lieselinchen verteidigten dann immer lebhaft ihren Schützling; das Äffchen war in ihren Augen ein richtiger kleiner Tugendspiegel, ein Wunder an Klugheit und Gelehrsamkeit. Der Kinder Schulkameraden bekamen jeden Tag von Joli erzählt, und Joli war in Dietrichs und Lieselinchens Klasse eine sehr bekannte Persönlichkeit. Manch ein Bube, manch ein Mädel ging in diesen sonnigen Herbsttagen zur Gärtnerei hinaus, um Joli zu sehen. Manche Mutter wunderte sich auch wohl, wie flink jetzt ihre Kinder dabei waren, von Hesses allerlei Obst oder Gemüse zu holen.