Kitabı oku: «Mord-Art», sayfa 2

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2. Preisträgerinnen

– Föhr, Wyk; Mittwoch –

Violetta und Lena saßen bei Fietis in der Mittelstraße und bestellten Lachs. Sie liebten dieses Restaurant. Es war für sie in Wyk das beste. Sie stießen mit einem Glas Prosecco auf ihren Erfolg an. Allerdings war die Freude bei Violetta etwas getrübt.

„Mensch, Violetta, jetzt freu dich doch endlich mal über unseren Erfolg. Immerhin hast du den 1. Kunstpreis im ­Märkischen Museum Witten gewonnen.“ Lena knuffte Violetta, um sie aufzumuntern. Violetta stützte ihren Kopf in ihre Hände und schaute Lena traurig an.

„Wenn diese Neider nicht wären, die uns den Erfolg nicht gönnen und uns alles mies machen würden, dann könnte ich mich wirklich freuen. Und diese schreckliche Hetze im Netz. Ich darf gar nicht daran denken …“

Jetzt wurde Lena energisch, klemmte ihre blonden Locken hinter die Ohren und drückte die Hand ihrer Freundin.

„Dann lass es doch. Was störst du dich daran? Wir sind mit einer Ausstellung im Dörpshus in Nieblum und vor allen Dingen im Föhrer Kunstmuseum gemeinsam mit namhaften Künstlern vertreten. Du weißt, dass das ein Privileg ist?“

Violetta nickte und nippte an ihrem Glas. „Genau, und sie werden es uns noch mehr neiden.“

Lena setzte sofort noch einen drauf: „Und, meine Liebe, erinnerst du dich? Die Galerie Luzia Sassen hat uns aufgenommen, will uns in ihrer Galerie in Köln ausstellen und unsere Arbeiten auf allen nationalen und internationalen Messen zeigen. Ist das etwa nichts? Wenn das keine Anerkennung ist, dann weiß ich es auch nicht. Ob die anderen neidisch sind oder nicht, was stört uns das. Wir sind hier, um unseren Erfolg zu feiern. Das haben wir verdient. Schließlich haben wir dafür hart gearbeitet.“

„Ja sicher, wir haben hart gearbeitet … Aber der Museumsfunk hat geflüstert, dass wir den 1. und 2. Kunstpreis nur abgesahnt haben,weil wir dem Stifter auf dem Schoß gesessen haben.“

„Jetzt hör auf! Sonst werde ich richtig sauer!“, wies Lena sie zurecht.

„Vielleicht bin ich naiv. Ich begreife nicht, dass man sich so untereinander zerfleischen muss. Okay, Kunst ist ein hartes Geschäft, die Konkurrenz ist groß. Jeder will sein Schäfchen ins Trockene bringen, vor allen Dingen, wenn es dein Broterwerb ist. Die reichen Künstler mit ihren Mäzenen, die können sich viele Sperenzkes9 leisten, wir nicht. Wir müssen dafür richtig was tun. Aber die Kunst ist nicht nur Broterwerb, sondern auch Leben und Leidenschaft.“

„Besser hätte ich es nicht sagen können.“ Lena schaute Violetta nachdenklich an. Beide versprachen, zumal sie sich schon seit der Kindheit kannten, sich aus diesem Machtgehabe rauszuhalten, ihre Leidenschaft vor die bösartige Konkurrenz zu stellen und weiterhin zielsicher ihren Weg zu gehen.

Der nette Chefkoch vom Fietis kam an den Tisch und wollte den leckeren Lachs servieren.

„Meine Damen, was ist los? Jetzt gibt es was für den Gaumen. In meinem Lokal wird kein Trübsal geblasen. Lassen Sie es sich schmecken!“

Lena und Violetta erschraken, schauten den Chefkoch verdattert an und konnten endlich wieder lächeln.

„Du hast ja recht, wir genießen jetzt das Essen und versuchen, die Geschehnisse zu vergessen und auf unsere Erfolge zu schauen.“

„Das hört sich schon besser an. Guten Appetit. Mhm, das riecht schon so lecker.“ Lena prostete ihrer Freundin zu und Violetta erhob ebenfalls ihr Glas.

In aller Ruhe genossen sie das Menü, während draußen der Wind kräftig durch die Straßen fegte. Sie schmiedeten Pläne, plauderten über die gelungene Vernissage im Föhrer Kunstmuseum und freuten sich auf die Eröffnung der Ausstellung am Donnerstag im Dörpshus.

Fast gleichzeitig legten sie anschließend ihr Besteck auf den Teller und rieben sich die Bäuche.

„War das gut“, ließ Violetta verlauten. Dabei schüttelte sie ihre langen schwarzen Haare und ihre grüngrauen Augen schimmerten im Sonnenlicht. Schon griff sie wieder zur Speisekarte.

„Lena, ein Dessert? Was Süßes geht doch immer? Oder?“

„Na klar. Und ein Prosecco ebenfalls“, grinste Lena.

Der Chef vom Fietis verstand sofort und nahm die Bestellung auf.

„Und eins sage ich dir. Nach dem Essen machen wir eine Strandwanderung, sonst werde ich noch dick und fett.“

„Ist schon gut“, besänftigte Lena ihre Freundin. „Ich bin dabei.“

Scherze, Albernheiten

3. Urlaub

– Föhr, Utersum; Mittwoch –

Mit Blick nach draußen, eingewickelt in eine dicke Decke, lag Karla müde auf dem Sofa in ihrer Ferienwohnung. Die Terrassentür hatte sie geöffnet. Eine kühle Brise wehte herein, die ihr guttat. Von der Couch aus konnte sie das Meer sehen. Links schaute sie auf Amrum, rechts lag Sylt mit dem blinkenden Leuchtturm vor ihr. Der Himmel zeichnete mit verschiedenen Rottönen ein grandioses Naturereignis direkt vor ihren Augen.

Sie rief Dirk an.

„Na, bist du fertig mit baden?“

„Oh ja, jetzt liege ich auf der Couch vor dem Fernseher und lasse mich berieseln.“

„Ich kann es mir vorstellen. Dem Anschein nach geht es dir ohne mich gut.“

„Wie man es nimmt, im Augenblick sieht es danach aus.“

„Na dann, ich kann ja mal über eine Urlaubsverlängerung nachdenken“, frotzelte Karla.

„Och nee, so war das nicht gemeint.“

„Also vermisst du mich?“

„Na klar, mein Täubchen. Bist du gut in deiner Ferienwohnung angekommen?“

„Ja, alles prima. In Wyk habe ich übrigens Inge Bergheim getroffen.“

„Ach, Inge? Von ihr hast du ja ewig nichts gehört.“

Karla erzählte ihm die Geschichte von Inge, berichtete ihm auch, dass sie Piet schon gesehen hatte und dass die Wittener Kunstpreisträgerinnen in Nieblum und Alkersum ausstellten.

„Du meine Güte, da hast du ja in den paar Stunden auf der Insel echt was erlebt.“

„Das kannst du laut sagen. Wenn das so weitergeht, schreibe ich darüber einen Roman, oder einen Krimi, wenn es der Stoff hergibt.“

„Gegen einen Roman habe ich nichts, aber das mit dem Krimi lass mal, den schreibst du jeden Tag im Dienst.“

„Übrigens, Inge hat zusammen mit einem Kollegen den Verband für Resozialisation von entlassenen Straftätern Witten gegründet.“

„Ach, das ist ja interessant. Ich weiß, dass die Sozialarbeiter mit einem Verband Kontakt haben.“

„Jetzt muss ich unbedingt was essen, mein Magen hängt mir auf den Schuhsohlen. Ich laufe gleich zur Sehliebe, aber vorher rufe ich noch Rolf an.“

„Lass das, Karla, wer weiß, was er dir erzählt. Schon ist es mit der Ruhe vorbei und du fährst womöglich noch zurück nach Bochum, falls es einen Fall zu lösen gibt. Dafür kenne ich dich zu gut, Miss Marple!“

„Wieso? Hast du was gehört? Steht was in der Zeitung?“

„Nee, aber bei euch im Präsidium ist doch immer was los, vor allen Dingen, wenn du Urlaub hast.“

„Ich rufe ihn trotzdem an.“

„Tu, was du nicht lassen kannst. Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, kann man dich nicht davon abbringen. Bis dann, schlafe gut.“

„Du auch.“

Gleichzeitig schmatzten sie einen Kuss durchs Telefon.

Karla hielt ihr Handy in der Hand und starrte es an.

„Scheiß was drauf“, sagte sie und wählte Rolfs Nummer.

„Karla? Sorry, ich bin etwas im Stress! Frauenleiche im Muttental. Heute gefunden. Ich bilde gerade eine Mordkommission. Wie geht es dir? Bist du gut angekommen?“, spulte Rolf im Telegrammstil ab.

„Ich habe es geahnt, kaum bin ich weg, passiert wieder was. Weißt du Näheres über die Frau?“

„Nee, wir sind mit unseren Ermittlungen erst am Anfang.“

„Gibt es schon Fotos? Wenn ja, schick sie per E-Mail.“

„Spinnst du, Karla, geht’s noch? Selbst wenn ich schon welche hätte, schicke ich dir nix. Du hast Urlaub, schon vergessen?“, wies Rolf sie zurecht. „Wir bekommen das hier schon hin, auch ohne dich.“

„Das glaube ich dir. Aber wenn ich euch helfen kann, lass es mich wissen.“

„Meine liebe Karla“, antwortete Rolf pathetisch, „du genießt jetzt deinen Urlaub. Wir erledigen hier unsere Arbeit. Wenn du ausgeruht zurückkommst, zählen wir auf dich, dann kannst du auch wieder Morde aufklären.“

„Okay, mach’s gut und viel Erfolg bei den Ermittlungen.“

„Na klar. Dir viel Spaß, tschüss.“

4. Polizeipräsidium

– Bochum; Mittwoch –

„Chef? Gibt es schon etwas Neues?“

„Jau, komm rein, Klaus.“

Klaus Pfeffer setzte sich vor Rolfs Schreibtisch und schlug die Beine übereinander. Dabei zupfte er seinen Schal zurecht, den er über einer grauen Lederjacke trug.

Rolf hatte gerade den Telefonhörer aufgelegt.

„Lass mich wetten“, sagte Klaus. „Das war Karla, ne?“

„Du kennst unser aller Lieblingskollegin ja haargenau“, scherzte Rolf.

„Na klar, wie geht es ihr?“

„Sie ist gut angekommen. Ich Dussel habe ihr von der Leiche im Muttental erzählt. Stell dir vor, sie wollte ein Foto von dem Opfer und vom Fundort.“

„Nee, ne, du hast ihr doch hoffentlich nichts geschickt?“

„Sehe ich so aus, Klaus?“

„Natürlich nicht. Aber Karla kann manchmal hartnäckig sein. Uns beide wickelt sie doch um den Finger, wenn sie will“, grinste Pfeffer.

Rolf schob die grau melierten Haare verlegen mit der schwarzen Hornbrille aus dem Gesicht. Eine typische Handbewegung, die zeigte, dass er nachdachte oder ihm etwas unangenehm war.

„Jetzt an die Arbeit, Klaus, es gibt viel zu tun.“

„Kein Problem, Chef. Franzi und die Kollegen haben den Fundort im Muttental schon gesichert. Der Zeuge Walter Weiß ist auch schon befragt. Adresse und Telefonnummer haben wir. Falls wir noch was wissen wollen, können wir ihn jederzeit kontaktieren.“

„Gute Arbeit, Klaus.“

„Ich fahre jetzt zum Fundort Muttental, Flöz Finefrau.“

„Alles klar.“

„Chef!“ Lotter stürzte herein und unterbrach das Gespräch.

„Wat is?“, entgegnete Rolf ungehalten.

Frank Lotter stand schwitzend, völlig aufgelöst, mitten im Raum.

„Chef, eine weitere Frauenleiche!“

„Was? Machst du Scherze, Frank?“

„Ne, Rolf, mach ich nicht. Die Tote wurde in der Nähe vom kleinen Haarmannstempel auf dem Hohenstein gefunden. Sie wurde genau wie die Tote im Muttental in einem Baum drapiert und an Armen und Beinen festgebunden.“

„Wer hat sie gefunden?“

„Mutter mit Kind, eine Andrea Denk.“

Rolf wandte sich zu Klaus: „Gibt es schon Hinweise zur Todesursache der ersten Toten?“

„Wenn ich vor Ort bin, berichte ich dir, sobald ich Näheres weiß, okay?“

„Okay. Lotter, du fährst jetzt mit Elke zum Hohenstein. Hurtig! Und befragt die Zeugin.“

„Das haben die Wittener Kollegen bereits erledigt! Bin schon weg“, rief Lotter.

Auch Klaus Pfeffer stand auf und sie verließen gemeinsam das Büro.

Rolf lehnte sich zurück, um seine Gedanken zu sortieren. Er nahm den Telefonhörer und wählte die Nummer von Tina Fritz in der Polizeiinspektion Witten.

„Rolf?“, hörte er die Kollegin sagen.

„Habt ihr schon Infos für mich?“

„Haben wir, wir laufen hier schon zur Hochform auf. Ich bin über beide Funde im Bilde.“

„Hätte ich mir denken können. Ihr seid immer so fix. Ich komme gleich zu euch rüber, um die Ergebnisse zu sichten. Die Mordkommissionen MK2 mit Klaus Pfeffer und MK3 mit Frank Lotter sind am Start. Ist die Gerichtsmedizin im Muttental angekommen?“

„Klar, Dr. Breming ist da, Dr. Windeisen haben wir angerufen. Sie ist auf dem Weg zum Hohenstein. Kann bei dem Verkehr über die A 40 dauern.“

„Mhm, das kennen wir ja. Bis gleich.“

„Bis gleich.“

Rolf legte auf und atmete tief ein. Er packte sein Brötchen aus. Er biss hinein, zäh wie Leder, schlürfte eilig den restlichen, kalten Kaffee und schüttelte sich. Sein Magen krampfte sich zusammen. Seit einiger Zeit verspürte er immer häufiger einen kurzen, stechenden Schmerz in der Magengegend. Er aß meistens zu schnell und trank viel zu viel Kaffee. Rolf ignorierte die Warnung seines Magens. Er zog das verknitterte Sakko an, darüber eine dicke, schwarze Lederjacke. Verzweifelt suchte er seine Brille auf dem übervollen Schreibtisch, beim Suchen fiel sie ihm vom Kopf.

„Mann, bin ich ein Schussel“, sagte er. Dabei dachte er an seine Exfrau, die ihm genau das immer wieder vorgeworfen hatte.

‚Jetzt nicht, Greta! Verschwinde aus meinem Kopf. Ich muss mich mit anderen Dingen beschäftigen.‘ Zügig verließ Rolf das Büro.

In Gedanken vertieft lief er in Richtung Aufzug. Dort begegnete ihm ein Kollege, der ihm gerade bis zu den Achseln reichte.

„Tachchen, auch noch im Dienst?“, ließ dieser zuckersüß verlauten.

„Ja sicher, sieht so aus, oder? Und Sie?“

Rolf wollte die Antwort gar nicht wissen. Vielmehr nervte ihn die Fragerei. Dummes Gequatsche brauchte er jetzt nicht. Er drückte auf den Knopf neben dem Aufzug.

In dem Augenblick schnellte der Arm des Kollegen hoch. Er hielt ihm sein Smartphone direkt unter die Nase.

„Hier, guck mal. Das ist mein Garten, hier mein Haus und das ist mein neues Auto.“

„Ja, schön, wer will das wissen? Kennen wir uns? Und seit wann duzen wir uns?“, erwiderte Rolf sichtlich gereizt und stieg in den Aufzug ein.

Der kleine, dicke Kollege gesellte sich zu ihm, grinste ihn an und redete ununterbrochen weiter auf ihn ein.

Rolf stellte seine Ohren auf Durchzug, verließ den Aufzug als sie das Erdgeschoss erreicht hatten und lief auf die Pforte zu, hinter der die diensthabende Kollegin saß. Im Hintergrund hörte er den Beamten immer noch brabbeln, der in seinem Redefluss vergaß, aus dem Aufzug auszusteigen.

„Na Rolf, durftest du mit unsem Kollegen Benno Aufzug fahren?“

„Wieso? Kennst du ihn?“

„Nicht wirklich, ich weiß nur von den anderen Kollegen, dass er nervtötend sein kann. Anscheinend hat er nicht genügend zu tun.“

„Jau, scheint so. Nervend ist er, da gebe ich dir recht. Egal, ich muss jetzt los.“

Sie winkte ihm zu und wünschte ihm einen schönen Feierabend.

„Daraus wird nix“, rief Rolf. „Das wird eine lange Nacht.“

„Oh je, aber für mich auch.“

„Halt die Ohren steif.“

Rolf hob seine Hand zum Gruß und öffnete die schwere Eingangstür. Ein kalter Wind pfiff ihm entgegen. Die Ausläufer des Sturmtiefs waren immer noch zu spüren. Fröstelnd rannte er zum Auto. Er schaute auf die Uhr: „Na prima, zehn nach sechs“, brummte er vor sich hin.

Wenig später quälte sich der Hauptkommissar vom Präsidium durch die Bochumer Innenstadt. Feierabendverkehr. Auf der A 44 nahm er die Ausfahrt Witten-Zentrum, fuhr über den Crengeldanz in Richtung Rathaus. Die Fußgängerampel an der Bushaltestelle vor dem Rathaus zeigte rot, doch alle liefen kreuz und quer über die Straße. Rolf betätigte unablässig die Hupe und eines der Kiddies zeigte ihm den Mittelfinger. Rolf überlegte anzuhalten und auszusteigen, ließ es jedoch sein und fuhr zur Wache an der Casinostraße. Jetzt gab es Wichtigeres als den Mittelfinger eines kleinen, schlecht erzogenen Rotzlöffels.

Sein Magen knurrte. Wie gerne wäre er jetzt in Sebos Café eingekehrt, um was Leckeres zu essen. Aber: keine Zeit!

Da alle Dienstparkplätze in der Casinostraße belegt waren, parkte er direkt vor dem Eingang. Eine Betonfigur der Künstlerin Christel Lechner, ein Polizeibeamter in Uniform, stand direkt vor ihm. In der gesamten Stadt Witten begegnete man diesen Alltagsmenschen der Künstlerin. Rolf fand sie bemerkenswert. Dem Beamten aus Beton klopfte er im Vorbeigehen auf die Schulter, bevor er den Eingangsbereich betrat.

„Hallo Jungs“, rief er den Kollegen an der Anmeldung zu.

„Hallo Rolf, wartet mal wieder viel Arbeit auf dich?“

„Jau, das könnt ihr wohl sagen.“

„Dann mal tau“, rief ihm der junge Beamte zu.

„Ach übrigens, mein Auto steht direkt vor der Tür.“

„Ach nee, sag nur, deinen Wagen kennt hier jeder. Er ist nicht zu übersehen“, lachten die Diensthabenden. „Geht klar.“

Das hörte Rolf schon nicht mehr. Er nahm mehrere Treppenstufen auf einmal und lief zu Tinas Büro. Sie saß am Computer und hatte die ersten Fotos auf dem Bildschirm. Rolf trat an ihren Schreibtisch. Ihr frisches Parfum stieg ihm angenehm in die Nase.

‚Die kleine, quirlige Tina ist eine hervorragende Aktenfrau‘, dachte er. ‚Sie arbeitet sorgfältig und achtete auf jedes winzige Detail.‘

„Hallo, Rolf.“ Tina drehte sich nur kurz um und zeigte auf den Bildschirm. Was Rolf sah, war ein Bild des Grauens. „Das ist die Leiche vom Muttental. Sie wurde in der Nähe vom Flöz Finefrau oberhalb des Maximusstollens gefunden.“

Rolf sah, dass sie im unteren Teil eines hohlen, vom Sturm abgebrochenen Baumes hing.

„Ach du Scheiße!“ Der Kommissar hielt vor Entsetzen die Hand vor den Mund.

„Warte mal, da kommen auch die ersten Fotos vom Hohenstein.“

Tina öffnete sie und sagte: „Wie es Lotter geschildert hat: Die Tote wurde ebenfalls unten im Baum aufgehängt.“

„Tina, ich fahre auch raus. Das muss ich mir genauer ansehen. Wenn mich nicht alles täuscht, könnten wir es mit einem Serientäter zu tun haben.“

In Windeseile verließ er die Polizeiinspektion.

Die Kollegen hinter der Glasscheibe der Anmeldung staunten nicht schlecht, als er nach gerade mal zehn Minuten wieder in seinem Wagen saß.

„Na klar“, rief Rolf und schlug mit beiden Händen auf das Lenkrad.

Ein Taxifahrer stand mitten auf der Casinostraße. Er sammelte einen Betrunkenen ein, der wohl eine lange Nacht hatte. Rolf hupte. Endlich setzte sich das Taxi in Bewegung.

Rolf bog links ab und stand wieder. Die Ampel zeigte Rot. Sein Handy spielte die Musik von Metallicas Nothing Else Matters.

„Klaus, wat gibbet?“, rief Rolf über die Freisprechanlage.

„Wo bist du?“

„Ich bin auf dem Weg zu euch. Lasst alles, wie es ist und sagt Lotter Bescheid. Ich will mir den Fundort am Hohenstein ebenfalls ansehen. Das Bild ist ja erschreckend.“

„Geht klar, Chef. Wir haben die Lage im Griff und Dr. Breming wartet, bis du alles gesehen hast.“

„Prima, bis gleich.“

Die Ampel zeigte Grün und Rolf gab Gas. Er konnte bis zum Haus Witten durchfahren. Erst an der Brücke stoppte ihn wieder eine Ampel, die aber kurz danach wieder umsprang.

‚Kaum zu glauben, mal kein Stau auf der Ruhrbrücke‘, dachte Rolf, fuhr Richtung Bommern und bog rechts in die Rauendahlstraße ein.

Am Parkplatz Finefrau war schon mächtig was los. Immer mehr Schaulustige und Pressevertreter versammelten sich am Fundort. Die Kollegen von der Schutzpolizei waren damit beschäftigt, die Lage im Griff zu behalten.

Rolf beschwichtigte die aufgeregten Reporter mit seiner lauten, kräftigen Stimme: „Wir werden so bald wie möglich eine Pressekonferenz geben, in der wir Sie ausführlich informieren. Bis dahin bitte ich Sie höflich, uns die notwendige Ermittlungsarbeit machen zu lassen.“

„Dürfen wir denn berichten, dass eine Leiche gefunden wurde?“

„Bitte seien Sie so freundlich und warten Sie ab, bis unser Pressesprecher sich bei Ihnen meldet, damit wir fundierte Aussagen an die Öffentlichkeit geben.“

„Okay“, ließ der junge Reporter verlauten und trat den Rückzug an.

Auch die anderen Medienvertreter und Fotografen entfernten sich. Rolfs natürliche Autorität zeigte immer wieder schnell Wirkung.

Rolf Sahner lief mit Entschlossenheit auf die Schaulustigen zu.

„Leute, Leute, Sie behindern die Polizeiarbeit. Bitte haben Sie Verständnis, dass es noch keine näheren Informationen gibt und räumen Sie unverzüglich das Feld.“ Ein Raunen ging durch die Menge. Aber damit war der Drops gelutscht und die neugierigen Bürger zogen allmählich von dannen.

Der Kommissar lief ein Stück den Fußweg hinunter und stapfte querfeldein durch das Dickicht, um an den Fundort zu gelangen.

Dr. Walter Breming, Klaus Pfeffer und Ulf Schmidt von der Spurensicherung warteten ungeduldig auf ihn.

„Da bist du ja endlich“, riefen sie ihm entgegen.

Walter Breming untersuchte das Opfer.

Rolf blieb wie paralysiert stehen und ließ das Gesamtbild auf sich wirken. Er hatte schon viele Mordopfer gesehen, aber dieser Anblick berührte ihn besonders. Lag es an der jungen Frau? Der Auffindsituation? Er wusste es nicht.

Die Leiche hing in einem ausgehöhlten Baum. Um ihren Hals und an den Händen und Füßen war ein Stahldrahtseil geschlungen. Rolf sah, dass sie mit dem Seil in der Baumhöhle fixiert worden war. Der leblose Körper hing im unteren Teil des Baumes. Er bildete somit optisch eine Einheit, so, als wäre sie schon immer mit dem Baum verwachsen gewesen.

Rolf flüsterte: „Das wirkt wie ein Kunstwerk. Eine Installation.“

Er betrachtete die junge Frau genau. Sie hatte rot gefärbte, lange, glatte Haare, die bis zur Hüfte reichten. Eine große, silberne Creole schmückte ihr rechtes Ohr. Das linke Ohrläppchen war eingerissen und blutig. Bekleidet war sie mit einem petrolfarbenen Spitzen-T-Shirt, das an einigen Stellen zerrissen war. Der kurze Minirock war zerknittert und verschoben. Die farblich auf das T-Shirt abgestimmte Strumpfhose löchrig. Ein in Silber gefasster Mondstein baumelte an einer langen Kette. Schwarze, hochhackige Stiefeletten zierten ihre Füße. Am rechten Zeigefinger trug sie einen auffälligen Silberring. Den Mittelfinger der linken Hand schmückte ein Mondsteinring. Hunderte von Fliegen flogen um das Opfer herum. Es stank bestialisch.

Der Gerichtsmediziner sprach ihn an. Rolf zuckte zusammen. „Solche Seile benutzen Künstler zum Aufhängen ihrer Arbeiten. Schauen Sie, Sahner, zum krönenden Abschluss bespritzte man das Opfer mit Farbe. Dieser Schleier bedeckte ihr Gesicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sie vor dem Aufhängen erstickt.“ Dr. Brehming öffnete die Augenlider der Toten.

„Sehen Sie, diese Punktblutungen im Augenweiß weisen darauf hin, dass ein dauerhafter Druck auf das Gesicht ausgeübt wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sie mit einem Kissen oder einer Decke erstickt. Fundort ist nicht gleich Tatort, das ist jetzt schon deutlich. Schauen Sie sich mal die Fingernägel an. Darunter klebt Blut, das Opfer muss sich beim Täter festgekrallt haben. Es hat ein Todeskampf stattgefunden. Möglicherweise finden wir Fremd-DNA. Warten wir es ab.“

„Das hat was ausgesprochen Künstlerisches“, warf jetzt auch Ulf ein.

„Oh Mann, Karla kennt sich in dem Metier bestens aus. Die könnten wir jetzt gut hier gebrauchen“, bemerkte Pfeffer.

„Wir schaffen das auch ohne sie“, beruhigte Rolf ihn. „Karla soll auf keinen Fall in ihrem Urlaub gestört werden.“

„Sicher, Chef“, antworteten Ulf und Klaus wie aus einem Munde.

„Herr Schmidt hat wahrscheinlich recht. Der Tod wurde zelebriert“, antwortete Walter Breming auf Ulfs Einwurf.

„Was steckt dahinter? Was hat sich der Täter dabei gedacht? Welches Motiv hatte er oder auch sie?“, sinnierte Pfeffer.

Rolf bemerkte: „Das Opfer ist auffällig chic gekleidet. Was meint ihr? Als wäre sie mitten aus einer Party herausgerissen worden.“

„Dann diese Inszenierung der Leichenschau. Und die Farbspritzer. Was hat das zu bedeuten?“, äußerte sich Pfeffer.

„Auf jeden Fall will uns der Täter damit etwas sagen. Zumal die Leiche am Hohenstein ähnlich drapiert wurde. Genaueres weiß ich aber erst nach der Obduktion. Vor allen Dingen dann, wenn wir auch das zweite Opfer auf dem Tisch liegen haben. Ich vermute, dass es sich um einen kräftigen Menschen handelt. Wie hier die Leiche aufgehängt wurde, war es für den Täter auf jeden Fall kein einfaches Unterfangen. Vermutlich waren es sogar zwei. Der Tod ist wahrscheinlich in der Nacht von Sonntag auf Montag eingetreten. Aufgehängt wurde die Frau erst nach ihrem Tod. An den Händen und Füßen sind keine Leichenflecken zu sehen.“

„Was meinen Sie Doktor? Haben sich der oder die Täter während des Unwetters in den Wald gewagt?“

„Kann ich noch nicht genau sagen, Herr Sahner. Vielleicht haben sie genau in dieser Zeit das Opfer aufgehängt, weil sie unbeobachtet handeln konnten.“

„Wie alt ist sie?“, wollte Klaus wissen.

„Ich schätze sie auf Mitte bis Ende zwanzig“, antwortete Walter Breming.

Rolf wandte sich an Ulf Schmidt. „Gibt es schon Spuren?“

„Bisher wenig, aber wir sind dabei! Reifenspuren, Schleif­spuren, zerbrochene Äste und so weiter, aber sonst noch nichts von Belang. Keine Papiere, kein Handy, keine Handtasche oder Stoffreste. Wir suchen weiter. Ich verspreche euch, wir nehmen jeden Baum, Strauch und alles, was der Laden hergibt, noch genauer unter die Lupe.“

„Okay, ich fahre jetzt rüber zum Hohenstein. Habt ihr von dort schon etwas gehört, was zum Abgleich wichtig ist?“

Klaus Pfeffer schüttelte den Kopf.

„Lotter hat noch keinen Laut gegeben.“

„Die lahme Ente“, schimpfte Rolf und machte sich auf den Weg.

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