Kitabı oku: «Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels», sayfa 3

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Kapitel 7

Eine Stunde später war der Trank fertig und Olivera wieder auf dem Weg zu Martin Groß. Als sie am Rathaus vorbeikam, sah sie Götz aus dem Gebäude treten, zusammen mit einigen anderen Mitgliedern des Größeren Rates.

Er winkte ihr zu, löste sich von der Gruppe und kam zu ihr. »Was ist los?«, fragte er nach einem Blick in ihr Gesicht.

»Ein krankes Mädchen«, erklärte sie. »Kennst du Martin Groß?«

Götz’ Augen weiteten sich. »Jeder kennt Martin Groß. Wieso?«

»Seiner Tochter geht es sehr schlecht.«

»Du bist auf dem Weg zu seiner Tochter?«

Olivera nickte.

»Wie schlimm ist es?«

»Schlimm.«

»Was fehlt ihr?«

Olivera zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Vermutlich leidet sie an der Fallsucht.«

»Fallsucht?«

Olivera erklärte ihm, worum es sich bei dieser Krankheit handelte.

Götz stöhnte. »Der arme Kerl! Erst seine Frau, jetzt seine Tochter …«

»Was ist mit seiner Frau?«

»Sie ist letzten Winter an einem Fieber gestorben«, erwiderte Götz. »Nach ihrem Tod hat er den Posten als Bürgermeister aufgegeben und sich fast vollständig aus dem Rat zurückgezogen. Er ist bei Sitzungen kaum mehr zu sehen. Manche sagen, er ist mehr in der Kirche als in seinem Kontor.«

»Ich hoffe, Matthäus und ich können dem Kind helfen«, sagte Olivera, verabschiedete sich von Götz und setzte ihren Weg fort. Vor dem Haus des Patriziers zögerte sie einen Augenblick und überlegte, ob sie auf den Medicus warten sollte, entschied sich jedoch dagegen. Je schneller das Mädchen die Arznei bekam, desto besser waren die Aussichten.

Es dauerte nicht lange, bis auf ihr Klopfen hin die Tür geöffnet wurde. Nachdem sie dem Bediensteten erklärt hatte, wer sie war, führte er sie durch die Eingangshalle in einen Raum, in dem sich ein großes Kruzifix und ein Altar befanden.

Martin Groß kniete vor dem Altar und betete.

»Herr?«

Der Patrizier schien ihn nicht zu hören.

»Herr? Die Salbenmacherin ist hier.«

Martin Groß hob den Kopf, bekreuzigte sich und kam mühsam auf die Beine. Sein Gesicht war bleich, die Hände zitterten.

»Wie geht es Eurer Tochter?«, fragte Olivera.

»Der Herr straft die Sündigen«, erwiderte Groß. »Warum muss Clara so furchtbar leiden? Sie ist doch nur ein unschuldiges Kind!«

»Wie geht es ihr?«, wiederholte Olivera ihre Frage.

»Ich habe ihr von Eurer Arznei gegeben«, war die Antwort. »Seitdem schläft sie.« Sein Blick wanderte zu ihrem Korb. »Habt Ihr mehr davon mitgebracht?«

»Ich glaube, Eure Tochter leidet an der Fallsucht«, erklärte Olivera.

Martin Groß sah sie verständnislos an.

»Man nennt sie auch die Heilige Krankheit.«

»Wollt Ihr damit sagen, es sei keine Strafe Gottes?«

»Es ist eine Krankheit, die durch das Stocken des Blutes verursacht wird«, gab sie zurück. »Ich habe im Auftrag des Medicus einen Trank zubereitet, der Linderung bringen sollte. Matthäus wird auch bald hier sein, um Eure Tochter zu schröpfen.«

»Warum hat er das nicht längst getan, wenn es ihr hilft?«, erboste sich Groß.

Olivera schwieg. Sie wusste, wie schwer es war, zu erklären, warum nicht jedes Heilmittel anschlug. Da sie Matthäus nicht in den Rücken fallen wollte, hielt sie es für klüger, nichts zu sagen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

»Der Priester meinte, Clara könnte von einem bösen Geist besessen sein«, murmelte der Patrizier.

»Von einem Geist?« Olivera verkniff sich ein Stöhnen. Das hatte gerade noch gefehlt.

»Er sagt, ihr Schreien und diese furchtbaren Krämpfe wären ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Dämon ihr die Seele rauben will.« Er umklammerte ein großes juwelenbesetztes Kreuz, das an seinem Hals hing.

»Ich glaube nicht, dass ein Dämon etwas mit ihrem Zustand zu tun hat«, versuchte Olivera ihn zu beschwichtigen. Allerdings war in seinen Augen zu lesen, dass die Worte des Gottesmannes auf fruchtbaren Boden gefallen waren.

»Und wenn Ihr Euch irrt?«

Darauf wusste Olivera keine Antwort. Zu oft war sie Zeugin geworden, wie abergläubisch die Nürnberger waren. Sobald ein solches Gerücht anfing, die Runde zu machen, war mit gesundem Menschenverstand kaum mehr etwas auszurichten. War es nicht auch damals so gewesen, als alle davon überzeugt waren, ein Werwolf würde sein Unwesen in der Stadt treiben? Ganz zu schweigen von dem angeblichen Stein der Weisen, den der Adept Alphonsius zu besitzen behauptet hatte. Es blieb nur zu hoffen, dass Matthäus’ Behandlung anschlug und das Mädchen schnell wieder genas. Ansonsten stand das Schlimmste zu befürchten, da Angst ein Einfallstor für Eiferer und Scharlatane war.

»Ich lasse nach dem Priester schicken«, beschied Groß. »Er soll dabei sein, wenn Ihr Clara behandelt.«

Olivera verkniff sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, und folgte den Männern ins Obergeschoss zum Zimmer des kranken Mädchens.

Es schlief, warf sich jedoch unruhig in den Kissen hin und her. Claras Gesicht war grau, das Haar klebte nass in der Stirn. Immer wieder zuckten ihre Beine, aber die furchtbaren Krämpfe hatten sich allem Anschein nach gelegt.

Die Magd, die schon bei Oliveras letztem Besuch in der Kammer gewesen war, saß neben dem Bett und tupfte der Kranken die Stirn ab. »Heiliger Antonius, ich bitte dich, erbarme dich der armen Seele«, hörte Olivera sie murmeln. Offensichtlich war sie immer noch der Meinung, dass es sich bei Claras Leiden um das Antoniusfeuer handelte.

»Wie lange schläft sie schon?«, erkundigte sich Olivera.

»Seit einer Stunde«, erwiderte die Magd.

Olivera beugte sich über die Kranke, um ihr die Hand auf die Stirn zu legen. Sie war immer noch viel zu heiß. Während Martin Groß sich mit vor der Brust verschränkten Armen neben der Tür aufbaute, füllte Olivera etwas von dem Helleborus und der Wolfsmilch in einen Becher ab, mischte alles mit Wein und Honig und hob den Kopf des Mädchens an, dessen Augenlider flatterten. Vorsichtig setzte sie ihm den Becher an die Lippen und flößte ihm den Trank ein.

Clara stöhnte.

Mühsam gelang es Olivera, sie zum Schlucken zu bewegen, da sie nur halb bei Bewusstsein war.

Plötzlich, Olivera hatte den Becher gerade erneut an ihre Lippen gesetzt, öffnete sie den Mund zu einem Schrei und machte eine Bewegung, mit der sie Olivera den Becher aus der Hand schlug. Auch ihre Beine fingen an, sich stärker unter der Decke zu bewegen, die zu Boden glitt.

»Tut doch etwas!« Martin Groß trat neben das Bett und sah hilflos auf seine Tochter hinab.

In diesem Moment erschien eine Magd in der Tür, gefolgt von zwei Männern: dem Medicus Matthäus und einem Mann in Priestertracht.

»Dem Herrn sei Dank! Da seid Ihr, Pater!«, begrüßte Groß den Gottesmann. Matthäus schenkte er kaum Aufmerksamkeit.

»Zieht Ihr immer noch weltliche Hilfe vor?«, fragte der Priester mit einem Blick auf Olivera und den Medicus.

»Sie sagen, sie wüssten, woran Clara erkrankt ist«, gab der Patrizier zurück.

»Das kann nur der Herr sicher wissen«, antwortete der Geistliche.

Matthäus blickte von einem zum anderen. »Soll ich Eurer Tochter helfen oder nicht?«

Der Hausherr zögerte, ehe er nickte. »Ein letztes Mal. Wenn Ihr sie wieder nicht heilen könnt, liegt ihr Schicksal in Gottes Hand.«

Kapitel 8

Jona fühlte sich immer noch ein wenig schwindelig von Fronis Nähe, doch allmählich kehrten andere Gedanken in seinen Kopf zurück. Nachdem er ihr geholfen hatte, das Feuerholz in die Küche zu schleppen, warf er aus der Ferne einen Blick in den Schuppen, in dem Cristin damit beschäftigt war, Schafgarbe auszulegen. Einen Augenblick lang verharrte er unschlüssig auf der Stelle, ehe er tief Luft holte und beschloss, sich Gewissheit zu verschaffen. Wenn er sich irrte, waren all die Vermutungen, war der Verdacht, der an ihm fraß, haltlos. Falls er jedoch recht hatte … Was dann? Er steckte die Hand in die Tasche und umklammerte den Stofffetzen, den er im Haus des Alten Endris entdeckt hatte. Es gab keine andere Möglichkeit. Er musste einfach in Erfahrung bringen, was dort vorgefallen war!

Selbst wenn ihm nicht wohl war bei der Vorstellung, sich durch Oliveras persönliche Dinge zu wühlen, blieb ihm keine andere Wahl. Ohne Gewissheit würde er keine Ruhe finden. Nachdem er sich im Hof umgesehen hatte, ging er zurück ins Haus und erklomm die Treppe ins Obergeschoss. Dort hielt er inne, lauschte kurz und huschte dann weiter zu der Tür, hinter der sich die Kammer befand, in der Olivera ihre Kleidertruhen aufbewahrte. Zu seiner Erleichterung war der Raum nicht abgeschlossen, weshalb es ihm ohne Schwierigkeiten gelang hineinzuschlüpfen. Mit hämmerndem Herzen lehnte er sich gegen die Tür und wartete, bis sich sein Puls etwas beruhigt hatte. Dann sah er sich in der kleinen Kammer um.

Durch ein Fensterchen am anderen Ende fiel etwas Licht auf den Dielenboden, der nach frischem Wachs roch. Links von ihm standen große Holztruhen mit schweren Deckeln, rechts befanden sich einige Körbe mit Tuch. Da er nicht wusste, wo er anfangen sollte, entschied er sich für die Truhe, die ihm am nächsten war, hob den Deckel an und blickte hinein.

»Männersachen«, murmelte er enttäuscht.

In der zweiten Truhe hatte er mehr Glück. Darin lagen, fein säuberlich zusammengelegt, Kleider in leuchtenden Farben, lange Gewänder und die dunklen Mäntel und Überwürfe, die Olivera im Herbst und Winter trug. Hastig zog Jona das Stück Stoff aus der Tasche und fing an, die Stapel zu durchwühlen. Mit jedem Kleid, das nicht zu dem Fetzen passte, wollte sich Erleichterung in ihm breitmachen, doch am Boden der Truhe wurde er schließlich fündig.

»Heiliger Johannes!«

Seine Hand zitterte, als er das Kleidungsstück hervorzog, um es mit dem Stofffetzen in seiner Hand zu vergleichen.

Das Muster war ein und dasselbe.

Obwohl er an einen Zufall glauben wollte, breitete er das Kleid aus und fand die Stelle, an der es beschädigt war. Es gab keinen Zweifel mehr: Olivera war auf dem Hof des Alten Endris gewesen. Irgendetwas musste dort vorgefallen sein, das zum Tod der vier Männer geführt hatte. Jona wurde flau im Magen, als er sich der Tragweite seiner Entdeckung bewusst wurde. Allem Anschein nach hatten Götz und Olivera etwas mit den Toten zu tun oder deckten jemanden – ihren Bruder Markos, der wie vom Erdboden verschluckt war.

Lange Zeit blickte er auf das Kleid hinab, ehe die Erstarrung von ihm abfiel. Er legte es wieder zusammen und verstaute es in der Kiste. Niemand durfte bemerken, dass er in der Kammer gewesen war. Was er mit seinem Wissen anfangen sollte, wusste er nicht. Er konnte Götz und Olivera nicht zur Rede stellen. Was sollte er auch sagen? Was, wenn er sich irrte und es für alles eine Erklärung gab? Er steckte den Stofffetzen ein und verwünschte sich für seine Neugier. Warum musste er seine Nase immer in Angelegenheiten stecken, die ihn nichts angingen? Hatte er nicht schon oft genug bewiesen, wie töricht er war?

Mit einem Seufzen ging er zur Tür, verließ die Kammer und wandte sich dem Korridor zu. Zu spät bemerkte er Mathes, der am anderen Ende des Ganges aus der Stube kam.

Die Augen des Knechtes weiteten sich. Dann trat eine steile Falte auf seine Stirn. »Was hast du hier oben zu suchen?«, knurrte er und kam mit geballten Fäusten auf ihn zu.

Jona wich einen Schritt zurück, obwohl er Mathes inzwischen um einen halben Kopf überragte.

»Was tust du hier?«, wiederholte der Knecht die Frage. Sein Blick wanderte zu der Tür der Kammer, aus der Jona gekommen war, und seine Miene wurde noch argwöhnischer. »Wolltest du lange Finger machen?«

Jona suchte verzweifelt nach einer Lüge, aber ihm fiel keine ein.

»Antworte, du kleine Kröte!« Mathes packte ihn beim Schlafittchen und holte aus, um ihm eine Ohrfeige zu versetzen.

Doch die Zeit, in der Jona sich vor ihm gefürchtet hatte, war vorbei. Er wich dem Schlag aus, befreite sich aus Mathes’ Griff und hob abwehrend die Hände. »Lass das!«, sagte er so ruhig wie möglich.

Mathes’ Gesicht färbte sich rot vor Wut. Er holte erneut aus, dieses Mal mit der Faust.

Auch dieser Schlag ging ins Leere.

»Hör auf damit!« Jona parierte einen weiteren Hieb, indem er Mathes’ Arm zur Seite schlug. »Du verprügelst mich nicht mehr!«

»Das werden wir ja sehen!« Schäumend vor Wut löste Mathes seinen Gürtel, legte ihn zusammen und ließ ihn durch die Luft sausen.

Jona fing ihn mühelos ab. Mit einer blitzschnellen Bewegung verdrehte er das Leder und entwand Mathes den Gürtel.

»Du verdammter kleiner Mistkerl!«, tobte der Knecht und fing an, blindlings auf Jona einzuschlagen.

Da ihm nichts anderes übrig blieb, setzte Jona sich zur Wehr. Zwar musste er ein paar Schläge einstecken, doch schließlich gelang es ihm, Mathes zu überwältigen und mit einem Hieb ans Kinn zu Boden zu strecken. Ehe der Knecht sich aufrappeln konnte, war er bei ihm, kniete sich auf seine Brust und hob drohend die Faust. »Ich habe gesagt, du sollst aufhören«, knurrte er. »Wenn du noch einmal versuchst, mich zu verprügeln, schlage ich dir den Schädel ein. Das schwöre ich bei Gott!«

Mathes erbleichte. Sein Atem kam abgehackt und stoßweise, aus seiner Nase floss Blut.

Auch Jona hatte einige Blessuren davongetragen, eine aufgeplatzte Lippe und ein blaues Auge, doch nichts im Vergleich zu dem, was Mathes ihm früher zugefügt hatte.

»Du dreckiger kleiner Dieb!«, zischte Mathes.

»Ich bin kein Dieb! Ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen muss!« Jona verstärkte den Druck seines Knies, als Mathes versuchte, sich aufzubäumen, um ihn abzuschütteln.

»Was ist denn hier los?«

Jona erstarrte.

Mathes’ Blick wanderte zum Treppenabsatz, auf dem Götz stand und mit grimmiger Miene auf das blickte, was sich seinen Augen bot.

»Was, bei allen Heiligen, soll das? Lass ihn sofort los, Jona!«

Widerwillig nahm Jona das Knie von Mathes’ Brust und ballte die Fäuste, um sich zu wehren, sollte der Knecht ihn erneut angreifen.

Mathes rappelte sich mit einer Verwünschung auf.

»Der kleine Mistkerl wollte euch bestehlen«, behauptete er. »Ich habe ihn erwischt, wie er aus der Kleiderkammer kam.«

Götz’ Gesicht verdunkelte sich. »Stimmt das?«, wandte er sich an Jona.

Einen Augenblick überlegte Jona, alles abzustreiten. Aber was würde das bringen? Götz würde ihm ohnehin nicht glauben, vor allem nicht, wenn er den Stofffetzen in seiner Tasche fand. Deshalb wischte er sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund und sagte: »Ich weiß, was ihr getan habt.«

Kapitel 9

»Nicht! Paul, lass das!« Gerlin löste sich mit einem Lachen von dem jungen Mann, der sie hinter eines der Wirtschaftsgebäude im Spital gezogen hatte, um sie zu küssen. Er war schlank, quirlig und so blond, dass sein Haar fast weiß wirkte. Seit einem halben Jahr war er der Gehilfe des Medicus Matthäus, kümmerte sich um Harngläser, Ohrenschalen und die Instrumente des Arztes und sorgte dafür, dass die Kranken sich an die Vorschriften der Schonkost hielten, die Matthäus ihnen verordnete.

»Wieso?« Seine grauen Augen blitzten schelmisch. »Gefällt es dir nicht?«

Gerlin spürte, wie sie bis an den Haaransatz errötete. Nach ihrer Befreiung aus dem Hurenhaus hatte sie sich geschworen, nie wieder zuzulassen, dass die Hände eines Mannes sie berührten. Aber Paul schien nicht zu sein wie die anderen Männer. Er war sanft, zärtlich und immer heiter. Gerlin hatte längst ihr Herz an ihn verloren. Da sie sich ihre Kammer im Spital mit einer anderen Magd teilte, hatten sie nicht oft Gelegenheit, sich unbeobachtet zu treffen. So war jeder Moment mit Paul wertvoll.

Sie fühlte das Prickeln und Brodeln in ihrer Brust, als Paul erneut ihre Lippen mit den seinen verschloss. Vorsichtig tastete er sich weiter vor, bis sich ihre Zungen in einem wilden Tanz liebkosten. Seine Berührung war so berauschend, dass Gerlin das Gefühl hatte, die Welt würde sich immer schneller um sie drehen. Obwohl sie wusste, dass ihr Verhalten sündig war, konnte sie sich nicht gegen Pauls Anziehungskraft wehren.

Seine Hände wanderten an ihrem Rücken entlang zu ihrem Gesäß.

»Nicht!« Sie wich vor ihm zurück und schüttelte den Kopf. »Wenn uns jemand sieht!«

Paul grinste. »Wer soll uns hier schon sehen? Außer den Spatzen auf den Dächern ist doch niemand in der Nähe.« Er machte Anstalten, sie erneut an sich zu ziehen.

»Ich … ich kann nicht«, stammelte Gerlin. Er wusste nichts von ihrer Vergangenheit, von dem, wozu man sie monatelang gezwungen hatte. Wenn er es herausfand …

»Ich dachte, du magst mich«, sagte er mit einem verletzten Unterton.

»Ich mag dich sogar sehr«, gab Gerlin zurück. »Aber …«

»Ich bin nicht nur auf ein Abenteuer mit dir aus«, unterbrach Paul sie. »Ich verdiene gutes Geld bei Matthäus. Genug, um eine Familie zu unterhalten.«

Gerlin sah ihn ungläubig an.

»Könntest du dir vorstellen …« Er zögerte einen Augenblick. »Würdest du …«

Gerlin hob die Hand und legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag nichts, was du bereuen könntest.«

»Ich will, dass du meine Frau wirst«, platzte es aus ihm heraus.

Gerlin glaubte, nicht richtig zu hören. »Du willst, dass wir heiraten?«

Er nickte. »Ich will dich nicht zu einer unehrlichen Frau machen«, beeilte er sich zu sagen. »Das wäre nicht recht.«

In Gerlin breitete sich eine bleierne Schwere aus. Sie war es nicht wert, dass er seine Liebe an sie vergeudete. »Ich …«, hob sie an, doch die Worte wollten nicht kommen.

»Du musst dich nicht sofort entscheiden«, sagte Paul. »Aber denk darüber nach. Bitte.«

Gerlin senkte den Blick. Du musst es ihm sagen! Der Gedanke ließ sie einen Schritt zurückweichen.

»Gerlin?« Er sah sie mit einer Mischung aus Bangigkeit und Enttäuschung an. »Gibt es einen anderen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein!«

»Dann bin ich nicht gut genug?«

Tränen stiegen in ihr auf. »Du bist mehr als gut genug«, flüsterte sie. »Ich …« Die Worte wollten nicht über ihre Lippen.

»Gerlin?« Er griff nach ihrer Hand.

Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Zu groß war die Scham, zu gewaltig die Angst, dass er die Schande in ihren Augen lesen könnte.

Ein Rascheln und das Geräusch von Schritten, die sich näherten, retteten sie. Wäre sie doch bloß nie auf Pauls Werben eingegangen! Wenn sie ihn von Anfang an zurückgewiesen hätte, müsste sie ihn jetzt nicht so verletzen.

Paul ließ ihre Hand los. Zwei Mägde näherten sich und rissen erstaunt die Augen auf, als sie die beiden sahen.

Hastig strich Gerlin sich die Röcke glatt, mied Pauls Blick und eilte an den Mägden vorbei zurück in Richtung Hanselhof. Wie hatte sie nur so töricht sein können? Wusste sie es nicht besser? Sie war eine Hure, und nichts, absolut nichts, konnte daran etwas ändern! Welcher anständige Mann würde eine wie sie zur Frau haben wollen? Sie musste ihr Herz verhärten. Paul hatte etwas Besseres verdient als sie. Mit einer heftigen Bewegung wischte sie sich über die Augen und floh in die Siechen­stube.

Kapitel 10

Götz starrte Jona fassungslos an. Was zum Henker meinte der Bengel? »Du weißt, was wir getan haben?«, fragte er gefährlich ruhig.

Jona brachte Abstand zwischen sich und Mathes, der inzwischen wieder auf die Beine gekommen war.

Der Knecht zog wütend ein Tuch aus der Tasche und drückte es auf seine blutende Nase. »Das zahle ich dir heim!«, knurrte er.

»Hier wird gar nichts heimgezahlt!« Götz verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hattest du hier oben zu suchen?« Er sah Jona scharf an.

»Ich war heute beim Hof des Alten Endris«, erwiderte der Junge.

Götz stockte der Atem. »Wieso …«

»Ich habe damals den Zettel gesehen, den ihr in den Kamin geworfen habt«, erklärte Jona. »Darauf war zwar nicht mehr viel zu erkennen, aber irgendwann habe ich eins und eins zusammengezählt.«

Götz erstarrte. Wie war es möglich, dass ihnen jemand auf die Schliche gekommen war? Hatten sie nicht alles getan, um jene unglückselige Nacht zu begraben wie die Leichen von Paumgartner und seinen Gehilfen? Seit dem Vorfall hatten Olivera und er kaum darüber gesprochen. Zwar hatte sie kurz nach Markos’ Verschwinden eine Weile befürchtet, er könnte wieder auftauchen, doch diese Furcht hatte sich im Lauf der Zeit gelegt. Ihr verdammter Bruder war über alle Berge und würde es mit Sicherheit nie wieder wagen, in ihre Nähe zu kommen. Falls doch, würde Götz ihn eigenhändig umbringen!

Jona zog etwas aus der Tasche und hielt es ihm hin: einen Ring und ein schmutziges Stück Stoff.

»Was soll das sein? Woher hast du das?«

»Das habe ich im Haus des Alten Endris gefunden.« Jona hielt den Stofffetzen hoch. »Und den Ring habe ich in dem Grab gefunden. Er gehört Paumgartner.«

Mathes sog hörbar die Luft ein. Er warf Götz einen fragenden Blick zu, während seine Hand zu dem Messer an seinem Gürtel wanderte, den er wieder angezogen hatte.

Götz schüttelte den Kopf.

»Der Stoff gehört zu einem von Oliveras Kleidern«, fuhr Jona fort. »Ihr wart dort. Was ist passiert?«

»Das geht dich einen Scheißdreck an, du kleine Made!« Mathes machte Anstalten, sich erneut auf Jona zu stürzen.

»Lass ihn in Ruhe!«, befahl Götz. Es hatte keinen Zweck zu leugnen, dass sie auf dem Hof des Alten Endris gewesen waren. Er kannte Jona inzwischen gut genug, um zu wissen, dass der Bengel nicht locker lassen würde. Wäre er nicht gewesen, würde sein Sohn Lukas nicht mehr leben. Auch Olivera verdankte Jona ihr Leben, folglich gab es nur einen Ausweg. Er musste ihm die Wahrheit sagen. »Komm mit in die Stube«, seufzte er.

»Was?«, erboste sich Mathes. »Du willst ihm doch hoffentlich nicht …«

»Er weiß es ohnehin schon«, fiel Götz ihm ins Wort. An Jona gewandt sagte er: »Wir haben Paumgartner nicht getötet. Das war Markos.« Er kehrte den beiden Streithähnen den Rücken und ging in die Stube. Sie folgten ihm. Dort ließ er sich auf einen Stuhl fallen und erzählte Jona alles, was in der Nacht geschehen war.

»Er hat euch in den Keller eingesperrt?« Jona sah ihn fassungslos an. »Aber er muss doch gewusst haben, dass er damit Lukas zum Tod verurteilt!«

»Das war ihm gleichgültig«, seufzte Götz. »Er hatte es einzig und allein auf den Stein der Weisen abgesehen.« Er spürte die altbekannte Wut in sich aufsteigen.

»Ich habe das Grab wieder zugeschaufelt«, sagte Jona. »Aber wenn ich es entdeckt habe, findet es früher oder später ein anderer. Ich habe gehört, dort soll eine neue Straße gebaut werden.«

Götz stöhnte. »Dann müssen wir die Leichen dort wegschaffen.«

Mathes ließ das blutige Tuch sinken. »Wie stellst du dir das vor? Willst du einfach hinfahren, sie ausbuddeln und … was? In den Fluss werfen?«

»Ohne den Ring wird niemand wissen, dass es sich bei einem der Toten um Paumgartner handelt«, sagte Jona. Er legte das Schmuckstück auf den Tisch.

Götz griff danach und drehte es nachdenklich zwischen den Fingern. »Ich muss mit Olivera reden.« Er steckte den Ring ein. »Vielleicht hat sie einen besseren Einfall.«

»Und er?« Mathes zeigte mit dem Kinn auf Jona. »Du kannst doch nicht zulassen, dass er ohne Erlaubnis im Haus herumschnüffelt!«

Götz bedachte Jona mit einem Blick, den dieser furchtlos erwiderte. Aus dem unsicheren Bettelknaben, den er und Olivera in ihrem Haus aufgenommen hatten, war ein junger Mann geworden, der das Herz am rechten Fleck hatte. Götz verdankte ihm viel. »Ich hätte an deiner Stelle vermutlich genauso gehandelt«, gestand er.

»Soll das heißen, du lässt ihm das einfach durchgehen?«, empörte sich Mathes.

Götz zuckte mit den Schultern. »Jetzt haben wir wenigstens den Ring.«

Mathes war anzusehen, dass er nur mit Mühe eine Verwünschung schluckte.

Götz wusste, wie schlecht er auf Jona zu sprechen war, auch wenn der Junge ihm nach seiner Genesung fast alle Arbeit im Hof und in den Ställen abgenommen hatte. Die beiden teilten sich seit Jahren den Heuboden in einem der Schuppen. Vielleicht war es an der Zeit, Jona eine eigene Kammer zu geben. Er beschloss, auch das mit Olivera zu besprechen. Die Tragweite der Geschehnisse wurde ihm immer mehr bewusst.

»Was hast du mit dem Ring vor?«, fragte Jona.

»Auf keinen Fall werde ich ihn behalten.«

»Du hättest ihn in die Pegnitz werfen sollen«, brummte Mathes.

»Dafür ist es noch nicht zu spät.« Götz erhob sich. »Kein Wort darüber!«, warnte er. »Zu niemandem.«

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22 aralık 2023
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9783839269084
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