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Der Nutzen des Enneagramms

Die Arbeit mit dem Enneagramm im Business steigert die emotionale Intelligenz, verbessert die zwischenmenschliche Kompetenz und beschleunigt den Austausch zwischen Mitarbeitern und Führungskräften, so das Ergebnis einer internationalen Befragung namhafter Unternehmen wie Daimler, Roche und Toyota, die im Enneagramm Benchmark Report 2011 dokumentiert worden ist.

Welches andere Persönlichkeits-Modell kann dies leisten? Ich sehe daher das Enneagramm als einen grundlegenden Baustein zur Personalentwicklung in Unternehmen, das dem Einzelnen in seiner persönlichen Entwickung und zugleich dem ganzen Unternehmen in punkto Unternehmenskultur enorm weiterhelfen kann.

Die Tatsache, dass das Enneagramm heuristisch begründet ist, macht das Modell alltagstauglich und schnell und nachhaltig nutzbar. Gerade weil es zunächst nur neun Persönlichkeitstypen sind, die es im Denken, Fühlen, Handeln motivorientiert zu unterscheiden gilt, ist das Modell leichter zugänglich als andere. Auf den ersten Blick scheint das Enneagramm einfacher als andere motivorientierte Persönlichkeitsmodelle, wie beispielsweise der weit verbreitete Myers Briggs Typen Indikator (MBTI-Modell), mit dem das Enneagramm korreliert (wie schon vor Jahren die Enneagramm-Pionierin Helen Palmer nachgewiesen hat) und der 16 Typen differenziert, oder das Reiss-Profil, das Menschen anhand von Polaritätenprofilen aus 16 gegensätzlichen Motivpaaren darstellt. Ein Neuling mag das Enneagramm vielleicht als zu stark vereinfachend und damit zu grob zu einer feinen Unterscheidung von Menschen empfinden. Doch der erste Eindruck täuscht: Gerade die Vielschichtigkeit, Tiefgründigkeit und Komplexität des Enneagramms bringt jene, die über das erste grobe Raster der neun Typen den Einstieg zum Modell gefunden haben, zum Staunen. In meinem maypaula-Ansatz, der das Enneagramm im Business anhand von typischen Arbeitssituationen veranschautlicht, erschließt sich Ihnen als Leser(in) intuitiv und nachhaltig Schritt für Schritt und Schicht für Schicht die Tiefenstruktur des Modells – bis die Typen zu neun eindeutig unterscheidbaren Gesamtbildern abgrenzbar werden.

In diesem Buch lernen Sie als Einsteiger in das Enneagramm im Business die neun Haupttypen kennen, zu denen jeweils die beiden Flügel-Ausprägungen (der Einfluss des Nachbartyps auf den Haupttyp) beschrieben werden.

Zusätzlich gehören zu jedem Typ noch die drei Subtypen „selbsterhaltend“, „beziehungsorientiert“ und „sozial“. Diese werde ich im Folgewerk näher erläutern. Das Modell differenziert also genau genommen nicht neun, sondern 54 verschiedene Typen! So viele Differenzierungen im Alltag auseinanderzuhalten, erfordert schon sehr tiefes Wissen und viel Erfahrung. Die neun Haupttypen jedoch lassen sich mit diesem Buch recht schnell lernen und die Erkenntnisse anwenden.

Enneagramm und Ethik

Jeder Mensch trägt alle menschlichen Grundthemen in sich. Alle in den neun Typenmustern differenzierten Eigenschaften kommen also in jedem Menschen vor, denn es sind die grundlegenden menschlichen Motive, die uns als Menschen auszeichnen, trennen oder verbinden.

  Die Gewichtung dieser Themen ist bei jedem Menschen individuell ausgeprägt. Zugleich ist jeder Mensch auf einen der skizzierten Motiv-Komplexe „spezialisiert“. Diese neun Arten der „Spezialisierung“ sind im Enneagramm die neun Persönlichkeitstypen.

  Das Erkennen und Durchleuchten der Persönlichkeitstypen als ein Muster hilft, die Wahrnehmung, das Denken, Fühlen und Verhalten von einem selbst und anderen in der Tiefe zu verstehen und anzunehmen.

  Jeder Mensch hat seine Lebensaufgabe und niemand ist perfekt oder makellos.

  Ebenso ist niemand wegen des Persönlichkeitstyps besser oder schlechter als ein anderer. Jeder Mensch, ganz gleich welches Persönlichkeitsprofil er hat, ist gleich wertvoll und einzigartig.

  Das Enneagramm ist ein hochkomplexes System. Es liefert keine Schubladen, sondern erleichtert, Fenster zu öffnen: Es gibt Orientierung und ermöglicht neue Perspektiven.

  Jeder Mensch hat das Potenzial, sich zu entwickeln, also seine Sicht der „40-Grad-Spezialisierung“ zu erweitern auf eine umfassendere, „360-Grad-Perspektive“, mit der er sich und der Umgebung begegnet.

  Das Enneagramm zeigt Begrenzungen und begrenzte Sichtweisen auf, damit Grenzen überwunden und neue Berührungen stattfinden können.

  Das Modell offenbart das Muster, in das wir uns aus verschiedenen Gründen hineinbegeben haben – und den Weg heraus.

  Indem das eigene Verhalten als „Muster“ erkennbar und nachvollziehbar wird, findet bereits der erste Schritt zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit statt.

Anwendung des Enneagramms im Business

Zunächst: Die Zahlen und Typenbenennungen stellen keine Gewichtung dar. Mit der Benennung der Typen nach Zahlen wird lediglich vermieden, dass positive oder negative Konnotationen ausgelöst oder Charakter- und Verhaltenszuschreibungen auf der Basis bestehender Erfahrung mit einer Typenbezeichnung geschehen. Menschen assoziieren nun einmal individuell und der eine hat dieses, ein anderer jenes Bild vor Augen, wenn er zum Beispiel an einen „Boss“, Typ 8, denkt. Von „Acht“ zu sprechen, ist da viel neutraler.

Das Enneagramm ist auch nicht als Diagnostik-Instrument gedacht. Ein bestimmtes Persönlichkeitsmuster nach dem Enneagramm-Ansatz zu haben, ist weder Güte- noch Ausschlusskriterium für die berufliche Eignung. Es ist einerlei, ob Sie Typ 1, 4 oder 7 haben. Typ 1 ist nicht besser oder weiter als Typ 9 oder andersherum. Ein Typ 1-Mitarbeiter, -Chef oder -Kollege wird seine Arbeit allerdings Einser-spezifisch ausführen, ein Typ 4 entsprechend der beschriebenen Vierer-Merkmale handeln und ein Typ 7-Kollege ist erkennbar an den Eigenschaften von Typ 7. Der Mehrwert der Erkenntnis, welchem Typenmuster ein Kollege (oder ggf. Bewerber) zugehörig ist, verhilft dazu, dessen Arbeitshaltung, typspezifische Motivation und Arbeitsweise mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit vorherzusagen und zu verstehen. Das ermöglicht zum Beispiel, Wechselwirkungen zwischen Kollegen und Mitarbeitern und Führungskräften als Ausdruck von Typenmustern zu beleuchten und Orientierung zu geben, wie die Kommunikation zwischen den beiden Persönlichkeitstypen einfacher und wirkungsvoller wird. Mehr hierzu finden Sie im Interaktionen-Kapitel ab Seite 249.

Wie kommt es zu einem Persönlichkeitstyp?

Charakterbildung ist etwas Hochkomplexes, das über „Prägung“ deutlich hinausgeht. Eine Mischung aus fünf Aspekten fließt in die Bildung des Persönlichkeitstyps, schwerpunktmäßig in der Kindheit bis zum Auszug aus dem familiären Umfeld, ein:

Zunächst wirkt tatsächlich die Kombination der mütterlichen und väterlichen Gene. Das Erbgut schafft das Fundament, auf dem ein Mensch heranwächst. Das soziale Umfeld, in dem er dies tut, ist der zweite Aspekt, der persönlichkeitsbildend wirkt. Welche Hauptbezugspersonen jemand gehabt hat und unter welchen sozialen Bedingungen jemand herangewachsen ist, führt zu Unterschieden. Weiterhin tragen die Lebenserfahrungen zur Festigung von Persönlichkeitsmerkmalen bei. Hierzu gehört zum Beispiel, welche Verhaltensweisen belohnt oder bestraft wurden. Schließlich prägen auch die Lebensspitzen (positive wie negative sogenannte „life events“) den Charakter. Wann und wie jemand beispielsweise mit Krankheit, Gewalt oder Verlust konfrontiert wurde, führt zu Differenzierungen.

Aus diesen fünf Aspekten wächst in einem Menschen ein Mix aus Ansichten, Antreibern, Kompetenzen und Ressourcen heran, der seinen Höhepunkt etwa rundum um das 25. Lebensjahr findet. In dieser Lebensphase haben die meisten Menschen ihre Berufsqualifizierung abgeschlossen, erste Berufserfahrungen und die erste große Lebenspartnerschaft erlebt. In den Folgejahren, bis etwa zur Lebensmitte mit Anfang 40, nutzt ein Mensch die gewonnenen Erfahrungen und baut je nach eingeschlagenem Berufs- bzw. Lebensweg seine Kompetenzen aus. Durch berufsbegleitende Aus- und Weiterbildungen wird das inzwischen deutlich erkennbare Kompetenzenprofil entsprechend dem Typenmuster 1 bis 9 trainiert, geschliffen und im Hinblick auf die berufliche Laufbahn begünstigt.

Dreien kommen beispielsweise wegen ihrer Zielorientierung und ihres Ehrgeizes oder Sechsen gerade wegen ihrer Sicherheitsorientierung und ihrer Fähigkeit, andere Menschen vor folgenschweren Entscheidungen zu bewahren, in ihrem Job weiter, sofern sie das möchten.

Mit Mitte 40 haben die meisten Menschen schon einige Erfahrungen gemacht und Karriereleitern getestet. Sie beginnen sich zu fragen, ob das schon alles war. Der Blick wird umgelenkt vom Außen, dem Verhalten, nach Innen, zum Wesen. Die Frage nach dem WESENtlichen beginnt zu interessieren. Eine Sehnsucht nach den ungelebten Persönlichkeitsanteilen, nach ENT-Spannung und Ausbruch aus dem So-Sein kann aufkommen. An dieser Stelle keimt der Wunsch nach dem Lösen der gewohnten Mechanismen, den immer gleichen Verhaltensmustern und Verstrickungen. Menschen spüren den Drang, sich von dem als Automatismus ablaufenden Typenmuster und damit aus der bekannten Schublade, in der sie es sich ihr halbes Leben kuschelig eingerichtet und wohnlich gemacht haben, zu lösen. Etwas mal ganz anders zu machen als bisher, sich aus den selbst auferlegten Ansprüchen zu befreien. Zu ENT-wickeln, was in den vier Jahrzehnten zuvor – aufgespult und zu einem Mantel gewoben, unter dem die erworbene Persönlichkeit gut umhüllt, geschützt und sicher war – bedeckt gehalten wurde.

Persönlichkeitsentwicklung mit dem Enneagramm

Training und Coaching mit maypaula®, dem Enneagramm im Business, ist ressourcen- und entwicklungsorientiert. Diese Arbeit mit dem Enneagramm dient nicht dazu, die Ego-Muster zu verfestigen, sondern diese im Hinblick auf die Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit zu lüften. Ziel und Anspruch der Persönlichkeitsentwicklung mit dem Enneagramm ist, zu erkennen, dass die Fokussierung auf den eigenen Typ heißt, sich auf einen Ausschnitt aller Möglichkeiten zu begrenzen. Wer unreflektiert im Typ verstrickt ist, nutzt nur einen Teil seiner vorhandenen Ressourcen, er schaut mit einem 40-Grad-Blickwinkel, statt mit einer 360-Grad-Perspektive auf sich und die Welt. Unbewusste Automatismen aufzudecken und in das Bewusstsein zu transportieren, macht Zusammenhänge sichtbar und gibt Anhaltspunkte, wie es gelingt, den Typen aus seinen unbewussten und stressfördernden Mustern zu erlösen. Zu erkennen, welche Einschränkungen das „Im-Typ-Sein“ beinhaltet, hilft, sich selbst den Impuls für die Entwicklung der Persönlichkeit zu geben.

Das Enneagramm hilft dabei, öfter mal „aus dem Typ zu kommen“. Es lädt ein, dem authentischen Selbst mehr Raum zu geben als der erworbenen Identität. Viele Menschen fürchten zu Beginn der Arbeit mit dem Enneagramm die enthaltenen Anregungen zur Persönlichkeitsentwicklung. Sie glauben, sie müssten dann auf etwas von sich verzichten, was sie bisher doch so weit gebracht hat; sie wollen sich nicht verändern. Doch es geht gar nicht um Veränderung, es geht um Entwicklung. Und Persönlichkeitsentwicklung heißt nicht, erworbene, nützliche Kompetenzen aufzugeben, sondern die Bandbreite des Verhaltens zu erweitern.

Eine Drei, z. B. Michael aus Typenkapitel 3, wird seine erworbenen Fähigkeiten – wie schnelle Auffassungsgabe, bedarfsorientiertes Handeln oder Überzeugungsvermögen – nicht verlieren, ganz im Gegenteil. Wenn er sich selbst „ent-wickelt“, also den engen „Strickmantel“ aus Mechanismen und Automatismen öffnet, wird er viel beweglicher. Er wird lockerer, für andere zugänglicher, erreichbarer. Das macht es anderen Menschen leichter, auf ihn zuzugehen und ihm das entgegenzubringen, wonach er sich eigentlich sehnt: dass er gemocht wird, einfach so, ohne sich dafür zu verausgaben. Und seine Kompetenzen, die ihm erhalten bleiben, kann er dann viel entspannter nutzen, vielleicht auch einmal für etwas ganz anderes als das bisher Gewohnte einsetzen.

Enneagrammtyp und Arbeitsverhalten

Wie wirkt sich das Wissen über den Enneagrammtypen auf die Zusammenarbeit aus?

Im Typenkapitel zur Drei lesen Sie das Praxisbeispiel zu Michael, einem Coachee, der mit dem Anliegen, seinem Leben neuen Sinn zu geben, zu mir kam. Michael war ein erfolgreicher Verkäufer im Außendienst, geschätzt von den Kunden, bewundert von den Kollegen, protegiert von seinen Vorgesetzten. Doch die Wirtschaftskrise hatte das Geschäft zum Stillstand gebracht. Michael machte keine Abschlüsse mehr, der gewohnte Erfolg und die übliche Bestätigung blieben aus und Michael stürzte in eine Identitätskrise.

Michael mag oberflächlich betrachtet wie ein ganz normaler Verkäufer wirken, dessen Los es nun auch mal ist, trotz Anstrengungen und guter Angebote Absagen und nicht jeden Auftrag zu bekommen. Doch das hier beim Typ 3 zu erkennende Erfolgsstreben ist nur die „Spitze des Eisbergs“. Tauchen wir, wie im Eisberg-Modell dargestellt (Abb. 1), unter die Wasseroberfläche in die Tiefenstruktur des Menschen Michael ein, können wir mithilfe des Enneagramms verstehen, unter welchem enormen, selbst auferlegten Druck unser Typ 3-Michael steht, er ist kurz vor dem Burnout.

Der Grund für diese Lebenskrise ist, dass er als Typ 3, imageorientierter Macher, seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Frage „Wie werde ich hier erfolgreich?“ gerichtet hat. Dreien wirken oft wie Workaholics: Sie sind sehr ehrgeizig und immer damit beschäftigt, ein Ziel zu erreichen. Sie scheinen unermüdlich und als Sieger-Typ alles zu schaffen. Sie wissen genau, was zu tun ist und worauf es ankommt, um in einer bestimmten Situation zu punkten. Sie orientieren sich an dem, was ihrer Meinung nach von ihnen erwartet wird. Wegen ihrer herausragenden Ergebnisse ernten sie viel Lob und Anerkennung, das nährt ihre Eitelkeit.

Bleiben jedoch der Erfolg und folglich das, was sie gewohnt sind – die Bestätigung –, aus, fällt der Typ 3 in ein tiefes Loch. Für Menschen eines anderen Persönlichkeitstyps ist es zu Beginn der Arbeit mit dem Enneagramm schwer vorstellbar, was mitunter schon ein kleiner Misserfolg für eine Drei bedeutet, nämlich das Gefühl, als ob ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Da eine tief verankerte (Ego-) Überzeugung der Drei ist, dass nur der Gewinner gemocht und gewollt wird, hat sie eine geradezu existenzielle Furcht vor Niederlagen und davor, mit einem Projekt zu scheitern.


Abb. 1: Das Eisberg-Modell

Daher setzt das Ego von Typ 3 alles daran, dass es entweder erst gar nicht soweit kommt oder, sollte es doch einmal dazu gekommen sein, dass er (und andere) es nicht in dem Maße spürt. Dabei neigt er zur (Selbst-)Täuschung. Er sagt sich dann zum Beispiel, dass es ja nicht an ihm lag, das Ziel verfehlt zu haben, oder dass ihm ein anderes Ziel letztlich viel wichtiger war, oder er beschäftigt sich mit Nebenaktivitäten, die eigentlich gar nicht zielführend sind. Dies alles hält das Bild des Gewinners aufrecht und lenkt sehr gut von negativen Gefühlen ab, zum Beispiel von seiner Urangst, als „Versager“ nicht geliebt zu werden.

Mit dem Typ versöhnen

Wenn Sie Ihren Kollegen beispielsweise als Typ 3 erkennen, verstehen Sie besser, was ihn dazu bewegt, sich so zu verhalten. Sie können ihn mit seiner Art leichter annehmen, da Sie einen Einblick in das „Drama“ seiner Geschichte erhalten. In jedem Typenkapitel lesen Sie unter der Überschrift „Rucksack“, welche Last der jeweilige Typ mit sich trägt, die ihn zu dem gemacht hat, wie er sich heute zeigt.

So haben zum Beispiel Dreier-Kinder meist reichlich Lob und Anerkennung erhalten, allerdings immer bezogen auf Leistung oder Taten, nicht einfach dafür, dass sie da waren. Dadurch haben Dreien früh verinnerlicht, dass es nötig ist, etwas Vorzeigbares zu erschaffen, um wahrgenommen zu werden.

Was Dreien im Umkehrschluss meist nicht gelernt haben, ist, dass es auch in Ordnung ist, einfach nur zu sein und nichts zu tun. Ihnen fehlt die Erfahrung, dass sie auch dann noch „in Ordnung sind“, wenn sie nichts dafür getan und nichts vorzuweisen haben oder mit einem Projekt auf die Nase gefallen sind. Die Persönlichkeit des Typs 3 hat Erfolg als Antreiber verinnerlicht. Daran hält sie auf Biegen und Brechen fest, im Zweifel auch, indem sie sich selbst etwas vormacht – aus Angst, abgelehnt und nicht geliebt zu werden. Eigentlich wünscht sich eine Drei nichts sehnlicher, als einfach nur sein zu dürfen und geliebt zu werden, ohne etwas dafür tun zu müssen.

Die Typ 3-bedingte Persönlichkeitsentwicklung und ihre Versöhnung – der Weg der Drei zurück zum Ursprung – gehen wie bei allen Typen durch die Angst (Abb. 2). Zuallererst fühlt es sich bedrohlich an, an sich zu arbeiten. Es macht (dem Ego) Angst, die erste Schicht zur Persönlichkeit zu lüften, es fürchtet, durchschaut zu werden, und reagiert mit Abwehr. Typische Aussagen von Seminarteilnehmern sind an dieser Stelle „Ich will so bleiben, wie ich bin! Es gibt keinen Grund, an mir zu arbeiten!“. Die zweite Schicht, die es zu durchdringen gilt auf dem Weg zum Wesenskern, ist die Scham. Muster aufzudecken und für andere anders sichtbar zu werden, erfüllt mit Peinlichkeit. Wer dran bleibt, Angst überwindet und Scham zulässt, kommt alsbald an seine Wut. Es steigen Zorn und Wut auf, die auch jeweils typspezifisch sind. Zum Beispiel darüber, dass sich Muster nicht so schnell ändern lassen oder dass es überhaupt zu Mustern gekommen ist, oder Ärger über die eigenen Grenzen. Auf dem Weg zur persönlichen ENT-Wicklung und zur Essenz hat jeder Typ eine typspezifische Herausforderung zu meistern und immer gilt es, das zu lockern, was im Typmuster gefangen hält, das Ego zu überwinden und die selbst begrenzenden Anteile der Persönlichkeit aufzuweichen. Bei der Drei heißt das, sich von der anstrengenden, übertriebenen Erfolgsorientierung und der daraus folgenden (Selbst-)Täuschung zu verabschieden. Es bedeutet, zu lernen, loszulassen, zu entspannen und darauf zu vertrauen, dass die Dinge sich auch ohne ihr Zutun entwickeln. Zu spüren, dass sie auch dann noch gemocht wird, wenn sie einmal nicht so gut dasteht. Sollten Vorhaben einmal misslungen sein, ist es eine gute Alternative, dazu zu stehen, statt sich selbst und anderen etwas vorzumachen.


Abb. 2: Der Weg zurück zum Wesenskern führt durch die typspezifische Angst.

Der unterschied zu anderen Typologien: Lösung inklusive!

Das Enneagramm zeigt jedem Typen, wie er den Weg zurück zum Ursprung, zur reinen Identität, der Authentizität, findet und seine festgefahrenen Muster überwinden kann.

Bei der Überwindung der eigenen Typfixierung hilft der sogenannte Entwicklungspunkt. Arbeiten mit dem Entwicklungspunkt heißt, die positiven Aspekte jenes Typs als Ressource zu nutzen, um mit sich selbst einen Schritt weiterzukommen. Zurück zum Praxisbeispiel: Der Entwicklungspunkt von Typ 3 (Macher) ist Typ 6 (Skeptiker). Eine besondere Kompetenz von Sechsen ist das Hinterfragen von (verborgenen, tiefgründigen, bedrohlichen) Absichten und das Prüfen von Zusammenhängen im Hinblick auf mögliche Probleme. So kann zum Beispiel Typ 3 sich selbst folgende kritische Fragen stellen: „Was tue ich hier eigentlich? Welchen Zweck haben meine Aktivitäten? Welche Leere füllen meine (sinnlosen) Taten?“ oder „Warum tue ich das? Was erhoffe ich mir davon?“ und weiter „Was hindert mich, darauf zu vertrauen und zu glauben, dass ich geliebt würde, bedingungslos, ohne etwas dafür getan zu haben?“

Die Antworten auf diese Fragen unterstützen ihn, seine Erfolgsantreiber zu entlarven. Sie helfen ihm zu erkennen, wie viel leichter sein Leben wird, wenn er einigen Antreibern nicht nachgibt, seine Aktivitäten auf ein Normalmaß herunterfährt und damit zu echter Work-Life-Balance kommt. Wenn er lernt, darauf zu verzichten, ein bestimmtes Bild von sich aufrechtzuerhalten und sich dadurch selbst unter Druck zu setzen, wird er lockerer. Auch werden andere es dadurch leichter haben, auf ihn zuzugehen und ihre Wertschätzung und Zuneigung auf der persönlichen, nicht leistungsbezogenen Ebene zu zeigen.

Wir alle kennen Sprüche und Lebensweisheiten wie „Weniger ist mehr“ oder „Abwarten und Tee trinken“, für eine Drei ist das aber ganz schwer umzusetzen. Als Kollege oder Chef einer Drei können Sie die Drei in ihrem Entwicklungsprozess emotional unterstützen und entlasten, indem sie ihr auch in einer aus ihrer Sicht unbefriedigenden Situation Wertschätzung entgegenbringen, ihr bewusst erlauben, auch einmal kürzer zu treten, weniger zu tun und auf das, was kommt, nur zu reagieren.

Im Entwicklungspunkt liegt also das heilsame Potenzial, zur Befreiung aus dem festen Persönlichkeitsmuster. Das Potenzial, „ganz“ zu werden, die Möglichkeit, im Tiefschlaf schlummernde Ressourcen aufzuwecken und zu nutzen. Damit ist die Arbeit mit dem Enneagramm sehr effektiv – durch den Entwicklungspunkt kann die Ursache von Entwicklungshürden und einschränkenden Glaubenssätzen eingegrenzt und thematisiert werden.

Im Verständnis der Tiefenstruktur der Persönlichkeit liegt die Chance, Empathie zu empfinden und den Menschen zu nehmen, wie er ist – und zwar auch und gerade dann, wenn er in seinem Typ-Muster gefangen scheint.

Auch wenn jetzt Zweifler sagen mögen: „Na, aber so einfach ist es doch bestimmt nicht!?“ Doch. Es ist so einfach. Meine langjährige Arbeit mit dem Enneagramm bestätigt mir: Das System ist in sich schlüssig. Oft sagen mir meine Klienten: „Woher wissen Sie das von mir? Sind sie Hellseherin?“

Umso mehr freut es mich, dieses Modell kennengelernt zu haben, damit arbeiten zu dürfen und andere darin zu unterstützen, ihren persönlichen Entwicklungsprozess leichter und effizienter zu gestalten.

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