Kitabı oku: «Gemeinsam einsam durch die Welt», sayfa 2

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„Oh, Kili. Mein Junge. Womit hast du das nur verdient?“

Mit schnellen Schritten gehe ich weiter und lasse Neyla mit ihrem Sohn allein. Kilian hat oft von seiner Mutter erzählt. Sie kommt ursprünglich aus Eritrea, einem Land im Osten von Afrika. Als junge Frau ist sie nach Frankreich gezogen, wo Kilian geboren wurde. Als er noch klein war, sind sie nach Deutschland gekommen. Seinen Vater hat er nie erwähnt. Ich weiß bis heute nicht, was mit ihm ist. Ich habe zweimal nachgefragt, doch Kilian ist der Frage immer ausgewichen. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen. Ich bin mir sicher, dass Neyla schon einiges durchmachen musste. Ihr Leben war bestimmt nicht immer einfach. Sie ist nicht ohne Grund plötzlich nach Frankreich und dann weiter nach Deutschland gezogen. Kilian hat oft gesagt, wie sehr seine Mutter ihr Heimatland Eritrea liebt. Vielleicht wollte sie einfach nur weg von ihrem Mann. Schließlich gibt es nicht nur gute Menschen auf der Welt.

Neyla tut mir unfassbar leid. Ich glaube, das Schlimmste, was einem im Leben passieren kann, ist, sein Kind zu verlieren. Das ist schlimmer als der eigene Tod und alle Schmerzen dieser Welt. Niemand sollte so etwas erleben müssen. Sie hat Kilian zwar nicht verloren, aber es muss schon schlimm genug sein, ihn so zu sehen. Auch sie hat keine Gewissheit, dass er das hier überleben wird. Wir hoffen es zwar alle, jedoch können wir es nicht wissen. Ich bewundere Neyla. Diese Frau hat nicht nur ein großes Herz, sie ist auch unfassbar stark. Sie wusste, dass in diesem Zimmer ihr eigener Sohn liegt und trotzdem hat sie sich erst mir zugewandt, bevor sie sich um ihr eigenes Kind gekümmert hat. Sie ist nicht in Tränen ausgebrochen und war auch nicht knapp am Verzweifeln, so wie ich es war. Das ist stark sein. Genau das.

* * *

Die nackten Äste der zwei großen Bäume wiegen sich im Wind. Man sieht deutlich, dass die Bäume schon sehr alt sind. Die Wurzeln gehen meterweit von den Stämmen der Bäume weg. Blätter sind absolut nicht mehr zu sehen. Der Wintereinbruch ist im vollen Gange. Ich mag den Winter nicht besonders. Viel zu große Pullis anziehen und heißer Kaffee ist das Einzige, was ich an dieser Jahreszeit leiden kann. Oft ist es zu kalt und dann der ganze Matsch draußen. Das braucht doch niemand. Wenn wenigstens ordentlich Schnee liegen würde, wäre meine Meinung wahrscheinlich wieder anders. Aber mit dem Auto durch den Matsch und über die glatten Straßen zu fahren, ist absolut nicht meins. Ich brauche dringend wieder Frühling. Die Zeit, in der sich die Temperaturen langsam in die Höhe verfrachten und die Sonne schön warm scheint. Wenn die Blätter wieder grün werden, die schönen Blumen wachsen und die Welt wieder bunt wird. Nicht so eintönig grau wie jetzt gerade. Wenn man früh aufwacht und das Zwitschern der Vögel hört. Genau diese Zeit brauche ich.

Ich stehe am Ende des Gangs, in dem Kilian liegt, vor einem riesigen Fenster und schaue nach draußen in die weite Welt. Sie wirkt so traurig. Leichter Nebel schleicht sich durch die Bäume, sodass es da draußen noch düsterer aussieht. Der Anblick der Landschaft erinnert mich an einen Drehplatz für einen Horrorfilm. Es würde mich nicht wundern, wenn als Nächstes auch noch Horrorfiguren hinter den Bäumen auftauchen. Man kann nicht genau erkennen, ob graue Wolken über den ganzen Himmel verteilt sind oder der Himmel an sich so grau ist. Ich habe einen heißen Kaffeebecher in beiden Händen, der meine Finger wärmt. Ein weiterer Nachteil am Winter: Mir ist durchgehend kalt. Auch wenn ich immer mit mindestens zwei Paar Socken durch die Gegend laufe, eine Mütze auf dem Kopf habe, wenn ich rausgehe, und sogar beim Autofahren Handschuhe anziehe, da das Lenkrad immer so kalt ist.

Ab und zu nippe ich am Kaffee, aber zum Trinken ist er dann doch noch ein wenig heiß. Ich sehe meine Mutter schon von Weitem ankommen, da sie sich in der Glasscheibe spiegelt. Als sie knapp hinter mir steht, drehe ich mich langsam zu ihr um.

„Alicia, ich muss dann langsam. Willst du dich noch von ihm verabschieden?“

Natürlich möchte ich das. Eigentlich möchte ich auch gar nicht gehen. Ich glaube, ich bleibe noch ein wenig bei ihm. Er muss spüren, dass ich bei ihm bin. Ich beschließe, dass ich ihn jeden Tag besuchen gehe. Egal, wie viel Stress ich bei meiner Arbeit habe. Und egal, wie lange er hier noch liegen wird. Er braucht mich und ich brauche ihn.

Zusammen mit meiner Mutter gehe ich zu Kilians Zimmer. Neyla ist schon weg, aber ihre Blumen stehen in einer Vase neben seinem Bett. Es ist irgendwie erschreckend, dass er immer noch genauso daliegt wie vor einer Stunde. Er hat sich nicht gerührt. Er ist nicht aufgewacht. Keine Veränderung.

An meine Mutter gewandt, erkläre ich ihr, dass ich noch ein bisschen bei ihm bleiben möchte, sie aber ruhig schon gehen könne.

„Bist du sicher, dass ich dich hier allein lassen kann?“ Sie hat diesen besorgten Gesichtsausdruck, den alle Mütter aufziehen können, wenn es um ihre Kinder geht.

„Ich komme schon klar. Ganz sicher, Mum“, versichere ich ihr.

Es ist süß, wenn sie sich Sorgen um mich macht, auch wenn es manchmal nervt. Sie akzeptiert meine Antwort, gibt mir einen Kuss auf die Wange und schreitet dann mit großen Schritten aus dem Zimmer. Wahrscheinlich muss sie noch etwas für die Arbeit erledigen oder einkaufen gehen. Jetzt bin ich wieder allein mit Kilian. Es ist so unfassbar still in diesem Zimmer. Nur das schreckliche Piepen der ganzen Maschinen ist zu hören. Jetzt, wo ich darauf achte, fällt mir auf, dass die Zimmertür offen ist und sich sämtliche Ärzte auf dem Gang unterhalten. Es ist nicht still. Nur in mir drinnen, tief in mir drinnen ist es still. Totenstill. Mein einsames Herz, das schlägt, ist das Einzige, was man eventuell hören könnte. Ich setze mich auf die Bettkante und nehme Kilians Hand. Ich kann ihn nicht ansehen, ohne Tränen in meinen Augen zu spüren. Wie hat er es nur geschafft, mir innerhalb so kurzer Zeit so verdammt wichtig zu werden?

Ich habe das Gefühl, dass ich ohne ihn nicht mehr leben kann, dabei habe ich ihn erst vor sieben Monaten kennengelernt. Davor waren wir uns komplett fremd, haben uns kein einziges Mal gesehen. Zumindest haben wir uns nicht bewusst wahrgenommen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir uns vorher nicht doch irgendwann einmal über den Weg gelaufen sind.

Es klopft sachte an der Tür und ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Ein junger Arzt mit langem weißem Kittel und einer Brille auf der Nase steht an der Tür. Ich habe keine Ahnung, wie lange er dort schon steht und mich mit Kilian beobachtet. Vielleicht wollte er mich nur nicht stören. Ich sehe zu ihm hoch, sage aber nichts.

Er sieht nett aus und bringt ein zögerliches Lächeln hervor.

„Er packt das schon.“

*

Planänderung

April 1998

Übertrieben langsam schlurfe ich den Flur entlang und biege ins Badezimmer ab. Ich taste die Wand suchend nach einem Lichtschalter ab. Ich finde ihn, drücke darauf und bereue meine Handlung sofort. Ich schlage meine Hände vor die Augen. Verflucht, ist das hell! Ich glaube, meine Augen verbrennen gleich. Jeden Morgen das gleiche Drama. Ich dachte ja eigentlich immer, dass sich meine Augen irgendwann mal schneller an das Licht im Bad gewöhnen würden. War wohl nur ein Traum, der so schnell zerplatzte wie ein Luftballon. Ich kneife meine Augen ein paarmal zusammen und öffne sie wieder, um sie an das Licht zu gewöhnen. Wahrscheinlich sehe ich dabei aus, als hätte ich eine Störung. Was bin ich froh, dass ich hier in meiner kleinen Wohnung allein lebe und mich niemand sehen kann. Ich gehe vor zum Waschbecken und lasse Wasser über meine Hände laufen. Danach schaue ich hoch in den Spiegel. Und wer schaut zurück? Ein menschlicher Panda. Wow. Na super.

* * *

Kaffee am Morgen ist einfach Pflicht. Ich verstehe nicht, wie Leute in der Früh aus dem Haus gehen können, ohne Kaffee getrunken zu haben. Ich glaube, niemand will mich vor dem ersten Kaffee erleben. Okay, drücken wir es anders aus. Ich weiß, dass mich niemand vor dem ersten Kaffee erleben will. Ist wohl wirklich gut, dass ich hier allein lebe. Ich bin einfach kein Morgenmensch.

Ich sitze in meiner kleinen Küche. Wobei ich nicht einmal weiß, ob man den Raum Küche nennen kann. Hier steht nicht einmal ein Tisch. Ich besitze genau zwei Barhocker, die an der Arbeitsfläche der kleinen Küchenzeile stehen. Zusätzlich habe ich einen Kühlschrank, ein Waschbecken, Backofen und Mikrowelle. Das Wichtigste halt.

Betonen möchte ich, dass mein Wasserkocher und mein Toaster pink sind! Ich habe sie beim Einzug von meinem Bruder eigentlich nur als Scherz geschenkt bekommen, aber ich mag sie trotzdem. Mein Kühlschrank ist von oben bis unten mit Postkarten beklebt. Die meisten kommen von meinen Eltern. Seit ich vor zwei Jahren ausgezogen bin, haben sie, so oft es ging, Urlaub an den verschiedensten Orten gemacht. Sie sind zwar beide berufstätig, nutzen aber wahrscheinlich jeden Urlaub, den sie bekommen können.

Ich liebe meine Eltern über alles. Sie sind zwei wunderbare Personen. Meine Mama – Marilyn Louanne Aveline – hat vor ein paar Jahren die Leitung einer Veranstaltungsfirma übernommen und sie macht ihren Job unglaublich gut, denn die Firma läuft besser als je zuvor. Wie das möglich ist, obwohl sie so oft Urlaub hat, verstehe ich nicht so ganz. Wahrscheinlich hat sie ihre Leute einfach nur total im Griff. Meine Mama ist zudem eine unglaublich hübsche Person. Ich bin schon immer der festen Überzeugung gewesen, dass sie auch als Model total erfolgreich wäre, doch dafür ist sie viel zu vernünftig. Die elegant angezogene Geschäftsfrau passt dann doch eher zu ihr.

Mein Papa – Julien Aveline – arbeitet schon sein ganzes Leben lang in einem Kunstmuseum. Sein Herz hat schon immer für die Kunst geschlagen. Nebenbei malt er auch selber und ab und zu arbeitet er sogar an Skulpturen. Egal, was er auf die Beine stellt, mir gefällt es immer. Er verdient damit zwar auch Geld, allerdings ist er nicht so berühmt, dass er davon leben könnte. Deswegen arbeitet er in dem Kunstmuseum, wo er den ganzen Tag Leuten von verschiedenen Künstlern und Kunststilen erzählen kann. Es ist seine Leidenschaft, und ich liebe es, ihn bei der Arbeit zu beobachten, da er immer mit Herz dabei ist.

Auf den ersten Blick kann ich sofort Karten aus Neuseeland, Hawaii, New York, China und Madagaskar an meinem Kühlschrank erkennen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, genießen die Eltern eben ihr Leben. Mein vier Jahre älterer Bruder Adrian ist schon drei Jahre vor mir ausgezogen. Er wohnt zwar noch in Frankfurt, allerdings am anderen Ende der Stadt. Was genau er beruflich macht, habe ich ihn oft gefragt, und trotzdem merke ich mir den genauen Begriff einfach nicht. Es ist irgendein Bürojob und immer mal wieder muss er für ein oder zwei Monate vereisen. Somit sehen wir uns leider nicht mehr so häufig. Trotzdem haben wir eine relativ gute Beziehung zueinander. Früher haben wir uns oft in den Haaren gelegen, aber seit wir erwachsen sind, wissen wir beide, dass wir uns eigentlich lieben.

Der letzte Farbtupfer in meiner relativ weißen Küchenzeile ist ein Bild mit einem Spruch über der Arbeitsfläche.

Der frühe Vogel kann mich mal.

Könnte mein Lebensmotto sein.

Ich habe meinen Kaffeebecher in der Hand und ein halbes Marmeladenbrötchen vor mir, das ich versuche, in mich hineinzuzwängen. Ich kann morgens einfach nichts essen. Ich schaue auf meine Uhr. In genau sieben Minuten und vierundzwanzig Sekunden muss ich los. Meine Tage sind immer so durchgetaktet. Ich habe einen festen Zeitplan, der auf jeden Fall eingehalten werden muss. Ich beiße noch einmal in das Brötchen. Den Rest stelle ich in den Kühlschrank. Den Kaffeebecher spüle ich schnell ab. Eine Spülmaschine hätte was, aber die konnte ich mir damals, als ich in diese Wohnung zog, nicht leisten und jetzt weiß ich nicht mehr, wohin ich diese stellen sollte. Zum Glück überlebt man auch, ohne eine Spülmaschine zu besitzen.

Ich gehe in den Flur, ziehe mir meine Turnschuhe an und betrachte mich kurz im Spiegel. Meine langen Haare sind zur Hälfte nach oben gesteckt. Ich trage eine blaue Jeans und ein orangenes T-Shirt, das schon wirklich lange in meinem Sachenfundus liegt. Wirklich ordentlich angezogen bin ich nicht, aber das macht nichts. Ich gehe gleich eh in den Kindergarten und muss auf dem Boden herumkriechen. Zurzeit mache ich eine Ausbildung zur Erzieherin. Zwei Tage die Woche habe ich Schule. Die anderen drei Tage muss ich arbeiten. Eigentlich mache ich diese Ausbildung nur, weil ich nach der Schule keine Ahnung hatte, was ich machen sollte und ich Kinder über alles liebe. Also mache ich erst einmal eine Ausbildung zur Erzieherin. Kann nicht schaden. In ein paar Tagen bin aber zum Glück fertig. Die drei Jahre waren allerdings gar nicht so schlecht. Die Arbeit hat sogar relativ viel Spaß gemacht. Ich reiße meine Jeansjacke vom Kleiderbügel, der an einem Kleiderständer hängt. Stange auf Rollen. Ist ganz praktisch. Auch wenn wir April haben, ist es am Morgen doch noch ein wenig kalt, um ohne Jacke aus dem Haus zu gehen. Neben dem Kleiderständer ist eine kleine Kommode, auf dem mein Schlüssel liegt. Ich nehme ihn und gehe Punkt 07:40 Uhr aus der Wohnung.

* * *

Noch zweimal rechts abbiegen, dann bin ich da. Von meiner Wohnung bis zum Krankenhaus ist es nicht weit. Vielleicht 1500 Meter. Die kurze Strecke fahre ich bestimmt nicht mit dem Auto. Sonst ist der Sprit ja noch schneller leer als ohnehin schon. Und Sprit ist teuer. Trotzdem ist die Strecke anstrengender als gedacht. Mittlerweile steht die Sonne hoch am Himmel und es ist nicht mehr so kühl wie heute Morgen. Ich fahre von der Straße auf den Bürgersteig, um zum Krankenhaus zu kommen.

Oh Shit.

Der Stein ist definitiv größer als die Pflastersteine der Straße.

Schlecht. Sehr schlecht.

Der Boden kommt verdammt schnell näher.

Ich glaube, mein Fahrrad dachte sich auch nur so: „Jooo, sie möchte bestimmt gerade mal mit dem Boden kuscheln.“

Und nun liege ich wie ein atmender Stein auf der Straße. Ähm. Aua. Ich setze mich auf. Meine Hose ist kaputt. Na toll. Und mein Knie und meine Hände sind leicht aufgeschürft. Der dumme Stein liegt auch mitten im Weg! So ein Mist! Ich rapple mich vom Boden auf und entferne den Schmutz grob von meinen Händen und dem Knie. Ich schiebe mein Fahrrad die restlichen fünf Meter zum Krankenhauseingang vor.

Ich betrete die Uniklinik Frankfurt und gehe meinen gewohnten Weg zum Aufzug und anschließend den Gang entlang. Diese weißen, langen Gänge sehen ja so langweilig aus. Hier würde ich auch krank werden! Ein bisschen Farbe würde den Wänden sicher nicht schaden. Ich gehe den Gang weiter und komme vor dem Zimmer 177 zum Stehen. Ich klopfe kurz an, bevor ich die Tür aufreiße und ins Zimmer spaziere. Philias sitzt in seinem Bett und grinst mich an, als er mich sieht. Ich umarme ihn stürmisch.

„Du kannst ja so froh sein, dass du im Moment hier liegen musst. Es war heute wieder so ätzend auf Arbeit. Da denkst du, Frau Krüger lässt dich einfach mal in Ruhe, wenn du ihr schon aus dem Weg geht. Aber nein! Träum weiter! Sie verfolgt die Auszubildenden und kritisiert sie bei allem, was sie machen. Ich glaube, sie mag junge Menschen einfach nicht. Die kleinen Kiddies mögen uns ja schon irgendwie mehr. Ich meine, sie ist ja auch schon steinalt. Zumindest sieht sie so aus“, erzähle ich ihm aufgebracht, als ich unterbrochen werde.

„Du hast da ein Loch in der Hose, falls es dir nicht aufgefallen sein sollte.“

Der Kommentar kommt nicht von Philias. Ich schaue mich um. Seit wann ist Philias in einem Doppelzimmer? Da steht noch ein Bett, in dem ein dunkelhäutiger Junge mit schwarzen Locken sitzt. Erst jetzt bemerke ich, dass er mich wahrscheinlich schon die ganze Zeit angeschaut hat. Ich habe ihn überhaupt nicht bemerkt. Jetzt grinst er mich an. Er ist etwa so alt wie ich. Ein bisschen älter vielleicht. Irgendwie hat er mich komplett aus dem Konzept gebracht.

„Ach wirklich?“, frage ich nur keck zurück und ziehe die Augenbrauen nach oben, „Ist mir noch gar nicht aufgefallen!“ Ich wende mich wieder Philias zu. „Ich gehe mir kurz einen Kaffee holen. Bis gleich.“

„Also süchtig nach Kaffee bist du auch gar nicht, oder?“ Er lacht und ich verschwinde aus dem Zimmer. Hinter der Tür bleibe ich aber kurz stehen. Die beiden Jungen unterhalten sich.

„Deine?“, fragt der Junge, den ich nicht kenne.

Philias lacht: „Nein, sie ist meine beste Freundin.“

„Sie ist zu haben?“, fragt der Junge hörbar erstaunt.

„Verkacke es nicht Kumpel. Sie lässt sich schwer für Jungs begeistern. Musst ihr schon was bieten.“

„Heiße Braut ist sie schon“, murmelt er.

Ich höre nichts mehr, doch ich sehe genau das Grinsen des Jungen vor mir. Ich verdrehe die Augen. Genau so stelle ich mir Jungsgespräche vor. Als ich Schritte im Zimmer wahrnehme, verschwinde ich schnell von der Tür.

Ich habe Philias während der Erzieherausbildung kennengelernt. Wir arbeiten nun im gleichen Kindergarten. Es ist vielleicht untypisch für einen Jungen, eine Ausbildung zum Erzieher zu machen, aber ich kenne keinen, zu dem der Beruf besser passen würde als zu Philias. Er kann so verdammt gut mit Kindern umgehen. Die Kleinen lieben ihn alle. Seine unschuldige, höfliche und lockere Art muss man einfach mögen. Er ist fast immer fröhlich und sieht dazu auch noch gut aus. Wobei ich aber nicht glaube, dass die Kinder auf sein Aussehen achten. Seine dunklen Haare sind meist noch oben gestylt, aber hier im Krankenhaus macht er sich nicht die Mühe. Jetzt stehen sie in alle Richtungen ab. Trotzdem sieht er total süß aus. Wir sind irgendwie unzertrennlich geworden. Nur leider liegt er im Moment im Krankenhaus, weil er sich sein Bein gebrochen hat und dieses operiert werden muss.

Ich habe die Cafeteria des Krankenhauses gefunden und will mir gerade einen Kaffee holen, als ich den dunkelhäutigen Jungen aus Philias’ Zimmer erkenne. Er betritt gerade die Cafeteria, hat mich allerdings noch nicht gefunden. Seine Augen schweifen über die Menschen hier. Ich wende den Blick schnell von ihm ab. Wieso stehen auch so viele Leute vor mir in der Schlange. Ich will mir doch nur schnell einen Kaffee holen. Ich habe eigentlich nicht vor, jetzt einen Small Talk mit dem Typen zu führen.

„Hey!“

Ich drehe mich schlagartig herum. Na super. Er hat mich gefunden. Okay. Krass. Sein Lächeln ist umwerfend. Wieso sehen seine Zähne so strahlend weiß aus? Hör auf, ihn anzustarren, Alicia! Was ist nur los mit mir? Zugegeben, er sieht schon gut aus. Aber nein! Nicht schwach werden.

Ich setze ein gespieltes Lächeln auf und grüße ihn zurück. Dann wende ich mich von ihm ab, doch er gibt nicht auf und versucht, sich einzuschleimen. „Kann ich dir deinen Kaffee bezahlen?“

Irritiert schaue ich ihn an. Macho, alter. Ich mag ihn doch nicht mehr.

„Danke, aber das bisschen Kleingeld habe ich gerade noch so“, sage ich trotzig. Ich drehe mich von ihm weg, da ich dran bin und bestelle meinen Kaffee. Als ich den Becher endlich in den Händen habe, gehe ich an ihm vorbei und eile an den Leuten vorbei. Als ich beim Aufzug angekommen bin, hat er mich eingeholt. Jetzt stehen wir beide schweigend im Aufzug nebeneinander. Er schaut mich an.

„Okay, tut mir leid. War dumm von mir. Ich wollte nur lustig sein. Bin durch die langweilige Krankenhausatmosphäre irgendwie nicht mehr ganz so drauf wie früher einmal. Können wir noch einmal von vorne anfangen? Kilian James Settler. Freut mich.“ Er streckt mir seine Hand entgegen und lächelt leicht.

Ich starre ihn an. Kilian James Settler. Sein Name gefällt mir. Ich zögere erst. Ich muss ihn kurz zappeln lassen. Er kann ja nicht gleich das bekommen, was er will. Dann lächele ich zurück und gebe ihm meine Hand. „Alicia. Alicia Liane Aveline. Ob es mich freut, überlege ich mir noch.“

Jetzt grinst er wieder frech. Wir gehen zurück in das Zimmer 177 und Kilian setzt sich auf sein Bett. Als ich meine Augen vor Philias gespielt verdrehe, ohne dass es Kilian sieht, fängt er laut an zu lachen.

„Jetzt sag mir nicht, du hast es jetzt schon verkackt, Bruder. Respekt.“

Ich bleibe erst zwischen den beiden Betten stehen, doch Philias deutet mir an, sich neben ihn zu setzen. „Du, ich muss dir noch etwas sagen“, beginnt er zögerlich. Fragend schaue ich ihn an. Was kommt denn jetzt bitte? Ist was passiert? Geht es ihm gut?

„Du weißt, dass ich noch operiert werden muss, oder?“

Mein Kopf bewegt sich automatisch von oben nach unten.

„Du weißt auch, dass der erste Flug in ein paar Tagen geht, oder? Es tut mir so leid, Alicia. Aber ich werde nicht mit dir fliegen können. Bis dahin bin ich nicht fit und so kurz nach der OP darf ich auch nicht fliegen.“

„WAS? Nein, das geht nicht. Du musst mitkommen. Weißt du eigentlich, wie lange ich diese Reise schon plane? Oh Phili!“

Das sind die Momente, die ich hasse. Wenn meine Pläne zerstört werden. Ich plane alles bis ins kleinste Detail und dann ... dann funktioniert auf einmal nichts mehr so, wie ich es will. Was mache ich denn nun? Philias sitzt betrübt neben mir. Ich weiß genau, dass er sich auch auf diese Reise gefreut hatte. Vielleicht nicht ganz so sehr wie ich. Es ist immerhin mein Traum gewesen, diese Reise zu machen und nicht seiner. Aber er hat nur fünf Sekunden darüber nachgedacht, ob er mitkommen soll, dann hat er eingewilligt.

„Wen soll ich denn jetzt mitnehmen?“

Die Frage werfe ich eigentlich nur so in den Raum. Ich erwarte keine Antwort, doch Philias blickt erst zu Kilian, dann zu mir und wieder zu Kilian.

„Oh nein. Bestimmt nicht“, erwidere ich sofort.

„Was? Ich soll mit ihr reisen?“, fragt auch Kilian verwirrt.

Philias schaut uns an.

„Wieso denn nicht? Die Flüge sind gebucht. Kilian wird morgen entlassen und darf fliegen. Ich bin frühestens in zwei Wochen hier raus und darf dann im schlimmsten Fall immer noch nicht fliegen. Ist ja voll die Verschwendung, wenn du jetzt allein fliegst. Alicia, ich weiß genau, dass du eine Begleitung brauchst. Und ich glaube, ihr würdet euch ganz gut verstehen“ Philias grinst. „So schlimm ist er nicht. Er kann auch ganz nett sein.“

„Ach danke“, antwortet Kilian beleidigt.

„Ich soll also mit Kilian fliegen anstatt mit dir?“, fasse ich zusammen. Ich weiß noch nicht genau, was ich von Philias’ Idee halten soll.

„Ja genau. Was spricht denn dagegen?“, fragt Philias sehr überzeugt von sich.

Ich will eigentlich etwas erwidern, aber mir fällt keine Antwort ein.

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