Kitabı oku: «Das Naturforscherschiff», sayfa 6
»Woher werden wir die nehmen, da wir doch auf offener See sind?« fragte Franz.
»Wir fischen ein treibendes Stückchen Seegras auf,« sagte Holm, »und werden an demselben herrliche Formen finden. Fast überall, wo Feuchtigkeit ist, kommen Diatomeen vor, sowohl im süßen Wasser wie im Meere. Wenn wir einen Fisch fangen, so wollen wir seinen Mageninhalt untersuchen; namentlich sind die Schellfische große Liebhaber von Diatomeen, und ihr Magen ist in dieser Beziehung ein wahres Museum für den Forscher.«
»Da wird er viele Diatomeen zu sich nehmen müssen, ehe er satt wird,« meinte Franz lachend.
»Allerdings,« bestätigte Holm, »denn diese Geschöpfe sind außerordentlich klein. So z.B. besteht der Polierschiefer bei Bilin in Böhmen aus lauter abgestorbenen Diatomeen, deren unverwesliche Schalen feste Kieselsäure sind. Um einen Raum von einem Kubikmillimeter einzunehmen, müssen ihrer fünfzig Millionen zusammen sein.«
»Dann hat ein Fisch viel zu tun, um Jagd auf sie zu machen,« bemerkte Hans lachend.
»Wenn er jede einzelne Diatomee fangen sollte, würde er sich schwerlich bei Kräften erhalten,« erwiderte Holm lächelnd, »aber da dieselben meistens in dichten Kolonieen bei einander leben und auch an den Seepflanzen haften, die von manchen Fischen gefressen werden, so hat die Natur es ihm ermöglicht, sich bequem von diesen Geschöpfen nähren zu können. Die ungeheure Anzahl der Einzelwesen ersetzt die Größe und ebenso verhält es sich mit ihrer Vermehrung. Während das Elefantenweib alle drei Jahre nur ein Junges zur Welt bringt, hat eine Diatomee, wenn keine Störungen eintreten, in vierzig Stunden schon eine Nachkommenschaft von einer halben Million Urenkeln.«
»Wenn die Elefanten und Walfische ihnen dies Kunststück nachmachten,« warf Franz ein, »dann wäre in einem Jahr kein Platz mehr auf der Erde für andere Geschöpfe. Die Elefanten würden uns ins Wasser drängen und die Walfische aufs Land. Es ist doch gut, daß in der Natur nicht alle Geschöpfe mit gleichen Eigenschaften begabt sind.«
»Indem wir die Gesetzmäßigkeit in der Natur erkennen,« sagte Doktor Bolten, »sehen wir, daß ein weiser Schöpfer über uns und aller Kreatur wacht. Je tiefer der Menschengeist in die Natur eindringt, um so mehr erkennt er das Walten einer höheren Macht. Ob wir die Bahnen der Himmelskörper, der fernen Welten im weiten Himmelsraum verfolgen, ob wir die Diatomee im Wassertropfen in ihrer zierlichen Kleinheit bewundern, oder ob die Majestät der tropischen Urwälder uns mit geheimen Schauern erfüllt, überall fühlen wir die Größe des Schöpfers.«
Man wünschte sich gute Nacht, nachdem Holm den Knaben versprochen hatte, sobald die Gelegenheit sich darbieten werde, ihnen neue Wunder mit dem Mikroskop zu erschließen.
Während der Schlaf die Forscher zu neuer Tätigkeit stärkte, setzte das Schiff unverändert seinen Kurs fort, der Steuermann am Rade wachte für sie, bald nach den Sternen, bald nach dem Kompaß blickend, und so glich das auf dem Ozean dahingleitende Schiff der Erde selbst, die ihre Bahnen zieht, wie sie ihr ein höherer Lenker vorschreibt.
Drittes Kapitel
Vor der Nigermündung. Im Lande der Bonnyleute. Der Affenberg. Der Löwe. Getrennt von den Genossen. Die Nacht im Baume. Der Mandril. Die Rhinozerosse. Besiegt von den Moskitos. Die Büffeljagd. Wieder vereinigt. Heim zur »Hammonia«.
Lagos und der Golf von Benin lagen hinter der »Hammonia«, die Nigermündung war in Sicht. In dieses sumpfige, fast unbekannte Land, dessen Fieberklima bei längerem Aufenthalt für den Weißen tödlich ist und selbst von den eingebornen Negern kaum vertragen wird, sollte ein Vorstoß gemacht werden. Man wußte, daß das Land von einer Menge kleiner Stämme bewohnt wird, die zu den wildesten, niedrigst entwickelten der Neger gehören. Bei einigen geht sogar noch die Menschenfresserei im Schwange. Ein portugiesisches Handelsfahrzeug, welches Tauschverkehr mit diesen scheuen, wenig zugänglichen Stämmen trieb, fand man an der Sumpfküste vor Anker. Von seinen Matrosen wurden einige, welche bereits ins Innere gekommen und der Landessprache einigermaßen kundig waren, als Führer angeworben und mit ihrer Hilfe einige zwanzig Küstenneger als Träger und Leibwache gemietet.
Zunächst der Küste saß der Stamm der Bonny, oder wie sie sich selbst nannten, der Bonnyleute. Sie befanden sich augenblicklich wieder einmal in einem jener kleinen, niemals aufhörenden blutigen Kriege mit dem Stamme der Benin. Wie ein Fluch hängen diese Raub- und Mordfehden über dem schwarzen Erdteile, ein Stamm mordet den andern, die schwarze Rasse zerfleischt sich unter einander, teils aus Blutrache, aus Haß oder aus Gewinnsucht, der Besitztümer oder der Sklaven wegen.
Man nahm einerseits Herden und anderseits Sklaven weg, lieferte Schlachten und verbrannte ganze Dörfer; jedoch hatte sich der Krieg weit landeinwärts gezogen, es ließ sich also annehmen, daß die Gegend, welche dem Kriegsschauplatz fern lag, im Augenblick ungefährdet zu durchziehen sei.
Die wohlversehene Handapotheke, Waffen jeder Art, Lebensmittel und Decken, auch ein Dolmetscher, der die Bonnysprache redete, wurden mitgenommen, und so ausgerüstet machten sich die Weißen auf die Reise nach dem unteren Niger, um den berühmten Affenberg, wo wenigstens fünf- bis sechstausend dieser Tiere ihren Wohnsitz haben sollten, aus der Nähe zu sehen. Das Unternehmen hatte bedeutend größere Gefahr als die früheren, aber es versprach auch reicheren Lohn, namentlich was die Kenntnis von Natur und Bewohnern dieses fast unbekannten, nur selten von einem portugiesischen Händler betretenen Landes betraf.
Man erreichte das erste Bonnydorf. Die Eingebornen gewährten den Fremdlingen bereitwilligst Unterkunft, und so blieben zwei der weißen Führer zur Beaufsichtigung des Gepäcks im Dorfe zurück, während die übrige Reisegesellschaft weiterzog. Obgleich die Küstengegend viel mehr den Charakter eines unwegsamen Sumpfes als den eines festen Landes trug, so zeigte sich das wenig erforschte Binnenland doch an Pflanzen- und Tierformen ebenso reich, in der Wildheit seiner Bewohner ebenso gefährlich wie jenes früher gesehene Stück Afrika, in allen Beziehungen aber großartiger.
Ganze Trupps von gefesselten Sklaven und Kriegsbeute der Bonnys begegneten den Weißen, sowohl Männer als Frauen und Kinder, sogar Säuglinge, die, auf den Hüften der Mütter sitzend, von dem einzigen Bekleidungsgegenstand derselben, einem großen Wollentuch, gehalten wurden. An einer langen Stange, die sie auf den Schultern trugen, gingen mit zusammengeschnürten Händen die unglücklichen, total nackten Geschöpfe zwischen den triumphierenden Gestalten ihrer Besieger, den weißgekleideten, mit langen Wurfwaffen versehenen Bonnyleuten; sie kannten ihr Schicksal und hatten sich offenbar vollständig in dasselbe ergeben, wie denn überhaupt zwei Dritteile aller Bewohner Afrikas ihr lebelang Sklaven bleiben, ganz einerlei ob unter der menschlicheren und zuweilen sogar guten Behandlung der Weißen oder der schlechten ihrer eigenen Landsleute. Sie kennen nichts anderes und haben sich in ihre Lage von jeher gefunden.
Im Gebiet der räuberischen, aller Kultur entfremdeten Benins, wo noch Menschenopfer und sogar noch Menschenfresser angetroffen werden, machte man nach einigen Tagen mühseligen Marsches Halt. Weiße Leute waren hier nie gesehen, die Dorfbewohner drängten sich zusammen, und eine Frau flüsterte halb ängstlich, halb erwartungsvoll ihrer Nachbarin zu: »Ob man diese Tiere essen kann?«
Die Führer übersetzten das Gehörte und erregten dadurch begreiflicherweise die ausgelassenste Heiterkeit. Das ganze kleine, ärmliche Dorf wurde für mehrere Stunden in Beschlag genommen und Land und Leute aus der Nähe besehen.
Man blieb hier zur Nacht, um am folgenden Morgen den Affenberg zu besichtigen. Hunde, Schweine, Enten und Gänse durchzogen herdenweise die Straßen zwischen den Hütten, Affen kletterten auf allen Zweigen, und von Krokodilen wimmelte die ganze Gegend. In den sumpfigen Niederungen des Flusses lagen sie halben Leibes am Ufer, grauen, verwitterten Baumstämmen gleich, zuweilen die ungestalteten Rachen mit den gräßlichen Zahnreihen lauernd geöffnet, in unzählbarer Menge. Der Führer erzählte, daß ihm im Dorfe die jährlichen Opfer dieser Bestien auf Hunderte angegeben worden.
»Dort die graue Wand ist der Affenberg!« setzte ein anderer hinzu. »Wir können uns aber nicht ganz in die Nähe wagen, da uns sonst ein Hagel von Steinen auf die Köpfe fallen würde.«
Man durchzog also den Wald, dessen Stämme an Umfang alles übertrafen, was unsere Deutschen in Heimat und Fremde jemals gesehen. Hier wuchsen reichlich und üppig fast alle Pflanzengattungen des tropischen Klimas, besonders verschiedene Baumarten, die eben nur an dieser Stelle zuhause sind. Der Affenbrotbaum erschien wie ein kleines Wäldchen für sich. Die unabsehbare Krone wurde von einem im Durchmesser bis zu zehn Metern haltenden Stamm getragen, während viele Äste weit über vierundzwanzig Meter hinausragten, bedeckt mit weißen, zarten Blüten und Fruchtschoten an einem und demselben Stengel. Die Knaben ließen es sich natürlich nicht nehmen, den breiigen Teig, in welchem der Same liegt, sogleich zu kosten und fanden auch diese Näscherei von sehr angenehmem Geschmack. Soviel als möglich wurde in die Botanisierkapseln gebracht, und dann ging es weiter, bis ein unerwarteter Anblick die Schritte fesselte.
Von dem Blättergewirre der kleineren Bäume, aus Ranken und Blumen waren kreisrunde, hutförmige Dächer geflochten, die genau wie ein großer, aufgespannter Regenschirm zur Seite des Stammes je ein daruntersitzendes Affenpärchen bedeckten, zuweilen sogar ihrer drei, wenn das Weibchen ein Junges auf dem Arme trug.
Diese seltsamen Wohnungen bauen sich die Affen zum Schutz gegen Sonne und Überfälle aller Art, sie hausen darin aber nur so lange wie das Dach grün und frisch bleibt, sind dagegen die Blätter verwelkt, so wird eine neue Heimat aufgesucht. Die Eingebornen nannten das große, dunkelgefärbte Tier den »Nschiego nebure,« behaupteten aber, daß es nicht zu zähmen sei und außerhalb seines Vaterlandes in der Gefangenschaft auch nicht leben könne. Es zu schießen, wäre daher unnötige Grausamkeit gewesen, mindestens jetzt, wo an ein Mitnehmen des getöteten Körpers, der weiten Entfernung wegen, nicht gedacht werden konnte.
Immer deutlicher traten an lichten Stellen die Umrisse des Affenberges hervor, der Strom mit seiner blauen Breite schimmerte durch das Gezweig, und endlich gegen Mittag war die beträchtliche, in ihrer Weise einzig dastehende Anhöhe zur Seite des Wassers erreicht. Der massige Fels, welcher sich in gewaltigem Umfange terrassenförmig bis in den Fluß hinab erstreckt, birgt mehrere tausend Höhlen und Zugänge, die sämtlich von Affen bewohnt werden. Die Tiere machen während der Nacht ihre Streifzüge in den Wald, aber die eigentliche Heimstätte ist doch der Berg, und Tausende von ihnen bevölkern die Stufen bis zur höchsten Höhe hinauf. Viele Affenmütter mit den kleinen Säuglingen saßen wie Frauen vor der Haustür auf einer vorspringenden Zacke, andere kauten Nüsse oder Früchte, und halberwachsene Junge spielten mit einander gleich Kindern. Immer aber hielten sich die verschiedenen Gattungen gegenseitig getrennt. Familienweise sah man graue und braune, gelbliche oder schwarze, kleine und große bis hinauf zu dem Schimpansen und dem Pavian, welche beide Arten aber weniger zahlreich vertreten waren. Es schien zwischen der einen und anderen Gruppe keine Freundschaft zu bestehen, ja sogar an manchen Stellen ein offener Krieg.
»Sieh nur diese beiden Paviane!« rief Hans, »ich glaube, da gibt es einen Kampf.«
Aller Blicke folgten der angedeuteten Richtung. Die beiden großen Affen standen in entschieden feindseliger Haltung einander gegenüber; bald streckten sie, auf den Hinterbeinen stehend, mit drohender Gebärde die Arme aus, bald umliefen sie sich wie wütende Hunde. Erst fielen einzelne schallende Ohrfeigen, dann packten sie sich und rangen liegend in festverschlungenem Knäuel, wobei einer den anderen nach Möglichkeit zu beißen suchte. Ihr Geschrei, so mißtönend und krächzend, erfüllte die Luft.
»Ich möchte dazwischen schießen,« gestand Holm. »Wie es aussehen müßte, wenn einmal alle diese behenden, lebhaften Tiere zugleich in Bewegung gerieten!« »Tun Sie das nicht, Herr,« warnten die Führer. »Wir könnten angegriffen werden.«
»Nun, und was hätte das zu bedeuten? Vierundzwanzig mit Feuerwaffen versehene Männer gegen eine Horde Affen!«
Die Jagdlust riß ihn gewaltsam mit sich fort, der Schuß krachte und widerhallte in zehnfachem Bergesecho. Die Wirkung war eine unbeschreibliche. Als sei jedes einzelne Tier getroffen worden, so stürzten und fielen, liefen und kugelten die Affen durch einander. Einige flohen in ihre Höhlen im Innern des Felsens, andere spähten aufrecht und mit gerecktem Hals nach der Ursache des plötzlichen Schreckes, alle aber waren aus ihren Spielen oder Streitigkeiten aufgestört. Nur zu bald sollte es sich zeigen, daß die Mahnung des Eingebornen eine wohlberechtigte gewesen; der Feind war entdeckt, und eine ganze Flut von Wurfgeschossen hagelte herab. Steine, Felsstücke und die Knochen ihrer von Raubtieren erwürgten Genossen, alles schleuderten die Affen in wahnsinniger Wut den Angreifern entgegen, dabei aber rückten sie selbst immer weiter vor, sammelten sich zu ganzen Haufen und schrieen in allen möglichen Tonarten.
»Wir müssen fliehen!« riefen die Führer. »Es ist die höchste Zeit! Schnell, schnell!«
Aber Holm und Franz hörten nicht. Sie schossen wieder und wieder in das lebende Gewirre hinein, rechts und links stürzten die Affen, und jetzt waren auch schon die vordersten bei den Weißen angelangt, – im nächsten Augenblicke hätte ein Handgemenge entstehen müssen.
Die mitgenommenen Führer drängten unsere Freunde bis unter die schützenden Bäume des Waldrandes, von wo es leichter wurde, den nachsetzenden Tieren zu entgehen. Trotzdem aber hätte bei der unübersehbaren Anzahl der Gegner die Sache immerhin noch eine schlimme Wendung nehmen können, wenn nicht in diesem drohenden Augenblick ein Ton, langgezogen und gewaltig wie ferner Donner, unverhofft als Ablenkungsmittel erklungen wäre. Die Affen mochten bei dem furchtbaren Gebrüll alles übrige vergessen und nur an ihre eigene Sicherheit denken, sie ließen plötzlich von der Verfolgung der Feinde ab, kehrte um und suchten mit eiligen Schritten, einander überstürzend, die geschützten Felshöhlen zu erreichen. Bis auf zwei getötete, die im Wege liegen blieben, waren in wenigen Augenblicken alle verschwunden.
»Ein Löwe!« ging es von Mund zu Mund. Er schien nahe. Alle Gewehre wurden geladen, die Reisegesellschaft bildete einen festgeschlossenen Trupp, und lautlos drang man vorwärts in das dichte Unterholz hinein. Noch eine Viertelstunde verfloß, aber nichts zeigte sich.
»Schade!« rief Franz, »eine Löwenhaut hätten wir erobern müssen.«
»Hier sind die Spuren,« bemerkte einer der Führer. »Das Tier ist vor uns diesen Weg gegangen, – jedenfalls hat es in der Nähe seine Lagerstatt.«
»Blut!« rief plötzlich Holm, »Blut auf dem Gras und an den Baumstämmen. Der Löwe hat ein Tier getötet, das er nun mit aller Muße verspeist.«
Wirklich führten rote Perlen auf dem grünen Boden wie ein schlangenartig gewundenes Band der nahen Lichtung zu. Am Ufer des Stromes bildeten Dubabelbäume mit ihren fünfzig und noch mehr aus einer Wurzel aufschießenden Stämmen eine Art von undurchdringlicher Laube, in deren Innerem es fast dunkel erschien. Dahin führten die Blutspuren.
Eine Kette von Schützen umgab das Dickicht; es war unmöglich, daß irgend ein Tier herausschlüpfen konnte, ohne gesehen zu werden. Der aufregende, spannende Augenblick, in dem sich die Entscheidung vollziehen mußte, ließ aller Herzen höher schlagen. Wo auch der Löwe erscheinen würde, da begrüßten ihn zehn Büchsenkugeln zugleich, während niemand nahe genug stand, um von ihm im Sprunge erreicht werden zu können. Alles blieb vollkommen still.
»Wir müssen ihn herausjagen!« rieten die Führer. »Schade, daß uns ein paar tüchtige Hunde fehlen.«
Ein Steinwurf in das Gebüsch hinein begleitete den Satz, – der Löwe gab kein Zeichen seiner Anwesenheit.
Wieder vergingen Minuten. Sollte man sich völlig getäuscht haben?
Aber nein. Unter den Schlingpflanzen, welche von Stamm zu Stamm lebende Wände flochten, zeigten sich plötzlich ein Paar funkelnde, mit rotem Schimmer leuchtende Augen, das gewaltige Brüllen drang erschütternd in die Herzen der Hörer, und endlich kam der königliche, mähnenumwogte Kopf zum Vorschein.
Mit einem einzigen elastischen Sprung erreichte der Löwe das Freie. Noch troff Blut von seinem Maul, die Mähne hatte sich gesträubt und der Schweif peitschte wütend den Erdboden. Etwa zehn Schritt vor dem Platze des jüngeren Knaben blieb er brüllend stehen.
Fünf oder sechs Schüsse krachten, auch Hans selbst gab Feuer, das gewaltige Tier blutete aus mehreren Wunden, noch einmal setzte es an zum Sprunge, flog zusammenbrechend, taumelnd, eine kurze Strecke weit vorwärts und stürzte dann dumpf brüllend auf den Boden. Die eine Vordertatze riß im Fall den Knaben mit sich, – Hans lag unter dem Schenkel des verendenden, im Todeskampfe zuckenden Löwen. Schon nach wenigen Augenblicken erhielt sein Gesicht eine bläuliche Farbe, die Hände griffen krampfhaft in das Gras, und ein Gurgeln wie das des Erstickens verriet die furchtbare Gefahr, in welcher er schwebte. An den Löwen heranzutreten und ihm sein Opfer zu entreißen, war unmöglich; wer es gewagt hätte, der würde das eigene Leben dahingegeben haben, ohne dem armen Hans nützen zu können. Holm besann sich daher nicht lange, er kniete unmittelbar neben dem bedrohten Knaben ins Gras, sprach in fliegender Eile diesem Mut zu und ermahnte ihn, keine Bewegung zu machen, dann schoß er über seines Zöglings Körper hinweg dem Untier die tötende Kugel in den Kopf. Der Löwe streckte sich, atmete noch ein paarmal und hatte aufgehört zu leben.
Jetzt konnten vereinte Kräfte den Halberstickten hervorziehen; man rieb und schüttelte ihn, gab ihm Branntwein zu trinken und spritzte ihm Wasser in das Gesicht, bis er endlich wieder ganz zum Bewußtsein gebracht war. Auf der Brust fanden sich vom Druck des Löwenschenkels blaue Flecke, die Glieder schmerzten und der Kopf war schwer wie Blei. »Wir müssen einen kleinen Halt machen,« riet Holm, »Hans ist zu sehr angestrengt worden, und uns anderen tut es ebenfalls gut, namentlich nach der schmählichen Flucht vor den Affen.«
Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Die Führer warfen ihre Vorräte und Waffen ins Gras, ein Teil ging aus, um frisches Wasser zu suchen, ein anderer raffte trockenes Holz zusammen, und Franz und Doktor Bolten wanderten mit den Gewehren am Ufer hin, um womöglich irgend einen frischen Braten zu schießen; schon nach wenigen Minuten war es um die beiden Zurückgebliebenen still wie in einer Kirche.
Helle, goldene Sonnenstrahlen umspielten Blätter und Blumen, buntfarbige Vögel schossen überall singend und pfeifend durch das Gewirre, Käfer und Schmetterlinge bevölkerten die Luft, zuweilen zeigte sich am Rand der Lichtung eine scheue, flüchtige Kudu-Antilope, ein Papagei ließ sein mißtönendes Kreischen hören, oder eine kleine, schillernde Schlange kroch durch das Gras; aller Streit aber, aller Krieg und Kampf schien aus der Natur verbannt. Die hohen Farne, bei uns nur Gräser, in den Tropen aber Bäume, bogen im Wind die federartigen, hellgrünen Wipfel; Stechpalmen strebten kerzengerade empor; Blätter wie grüne, faltenreiche Mäntel hingen in ungeheurer Breite von Rankengewächsen herab; spitze dunkle, säbelförmige Pfeile bohrten sich dazwischen, und Hunderte von weißen, roten und violetten Orchideen umzogen und verflochten wie ebenso viele grüne Arme das Ganze. Dazu murmelte das Wasser und rauschte der Wind, kurz es war eine wundervolle Stille, welche auf die jungen Leute beinahe einschläfernd wirkte. Mitten in der freien Lichtung lag der tote Löwe, dessen Körper bereits anfing verschiedenen Tiergattungen zum Schmause zu dienen. Namentlich ein großer, brauner Käfer erschien in starker Anzahl und ebenso, verlockt von der tiefen, mittäglichen Stille, eine Rattenart mit spitzem Zahn und raublustigem Blick.
Holm stand auf. »Das verbitte ich mir,« rief er scherzend den ungeladenen Gästen zu. »Kommt wieder und laßt‘s euch wohlschmecken, wenn ich die Haut in Sicherheit gebracht habe!«
Noch waren seine Worte nicht verhallt, als plötzlich ein lauter mehrstimmiger Ruf die Einsamkeit durchdrang. Wie »hierher!« oder »Hilfe!« klang es, und noch einmal, aber kürzer, weniger laut, wiederholte sich der Ton, dann wurde alles still. Die beiden Zurückgebliebenen aber behielten keine Zeit, über das Gehörte ihre, Ansichten auszutauschen. Ein Schauspiel, das sie von allen am wenigsten erwartet haben mochten, fesselte plötzlich Augen und Ohren. Aus dem Walde her kamen im Laufschritt ganze Horden nackter, schwarzer Beninkrieger, zum Teil kämpfend, fliehend, mit einem Geheul, das Wut und Todesangst ausdrückte, verfolgt von ebenso vielen bewaffneten Bonnyleuten, die offenbar den Sieg behalten hatten und jetzt den letzten Überrest ihrer entspringenden Feinde in Sicherheit zu bringen suchten. Jeder Sklave ist dem Häuptling Tauschware, ganz so wie Elfenbein, Felle oder lebende wilde Tiere; je schlechter also die Jagdbeute gewesen, desto eifriger wird der Feldzug gegen einen benachbarten, schwächeren Stamm betrieben, nur um bei den reichen Häuptlingen im Inneren oder gar bei gewissenlosen weißen Unterhändlern an der Küste mit den lebenden Handelsgegenständen ein gutes Geschäft zu machen. Die Bonnyleute trugen sämtlich den hohen Federkopfputz, den Streifen Bastgeflecht oder Kattun um die Hüften, den hölzernen, reichgeschnitzten Schild und den Spieß oder Speer von Eichenholz mit Metallspitze. Sie stutzten zwar bei dem unerwarteten Erblicken der beiden Weißen, nahmen aber von denselben weiter keine Notiz, sondern setzten Kampf und Verfolgung ununterbrochen fort. Als das ganze Getümmel von schwarzen und braunen Gestalten gleich einer Windsbraut vorübergestürmt war, lagen Sträuche und Gräser zertreten am Boden, die Ranken hingen geknickt und zerrissen herab, und mitten im Wege krümmte sich sterbend ein von mehreren Lanzenstichen durchbohrter Neger. Holm, obgleich tödlich erschrocken und wegen der Reisegefährten in begreiflicher Unruhe, beugte sich dennoch zu dem armen Schelm herab und versuchte es, seine Schmerzen zu lindern, aber schon nach wenigen Minuten war alles vorüber, der Körper dehnte sich noch einmal lang aus, und die zuckenden Hände fielen matt ins Gras. Nur aus der Ferne schallten Stimmen und ein lebhaftes Krachen der brechenden Baumstämme herüber, hier am Flußufer herrschte wieder die frühere Stille.
Hans sah unruhig in das Auge seines älteren Freundes. »Wo doch Franz und die anderen bleiben?« sagte er zweifelnd.
Holm setzte eine kleine Pfeife an die Lippen. Der schrille Ton scheuchte die umherfliegenden Vögel, aber eine Antwort brachte er nicht. Auch ein Paar Schüsse, nach verschiedenen Richtungen abgefeuert, blieben ohne Erfolg. Eine Viertelstunde des peinlichsten Wartens verging den beiden jungen Leuten, mehr und mehr stieg die innere Furcht, welche einer dem andern zu verbergen strebte, dann aber kam der Augenblick, wo gegenseitiges Aussprechen nicht länger zu umgehen war. »Jetzt müssen wir eine kleine Robinsonade durchleben, Hänschen,« sagte in erkünstelt sorglosem Tone der Gelehrte. »Wahrscheinlich sind unsere Gefährten durch die Bonnyleute fürs erste gänzlich von uns abgeschnitten worden.«
»Wie wäre das möglich?« rief Hans. »Ich denke, daß man sie getötet hat wie diesen armen Schwarzen hier, und – du glaubst das auch, Karl.«
»O, fällt mir gar nicht ein,« beteuerte Holm. »Die Führer mögen gefangen genommen sein, und eben weil sie dadurch schutzlos wurden, haben sich der Doktor und Franz verirrt.«
»Wollen wir denn diesen Ort verlassen, Karl?«
»Noch nicht, mein Junge. Vielleicht gelingt es uns doch, durch irgend ein Zeichen die beiden Verlorenen zu uns zurückzuführen, und überdies – wie sollten wir uns am Tage in der pfadlosen, meilenweiten Waldwildnis bis zum nächsten Dorfe oder gar bis an die Küste durchbringen?«
Hans erschrak. »Aber Karl, wenn das am Tage unmöglich ist, so sehe ich wahrhaftig doch kein Mittel, es während der Nacht auszuführen?«
»Ich desto besser, Hänschen. Die Sterne müssen mir ebensowohl im Urwalde als Wegweiser dienen können wie auf dem Meer. Einen Kompaß führe ich auch bei mir, – um die Heimkehr zum Schiff – sei du also um diesen Punkt ganz außer Sorgen.«
Hans sprach nicht mehr. Er hatte den Nachdruck, welchen Holm vielleicht unbewußt auf das Wort »diesen« gelegt, deutlich herausgehört. Das hieß nichts anderes, als: wenn wir lebend hinkommen, an wilden Menschen und Tieren, an den Gefahren des Fiebers, des Verhungerns und der Vergiftung glücklich vorüber, dann wird wohl endlich die Küste wieder zu erreichen sein.
»Mach fort, mein Junge,« ermahnte Holm, mehr um die Gedanken seines Zöglings abzulenken, als der Sache wegen. »Die Herren Bonnys haben glücklicherweise weder unsere Lebensmittel noch unsere Waffen des Mitnehmens wert befunden, also können wir vor allen Dingen essen, damit Leib und Seele kräftig bleiben. Denke an das Unglück, wenn eins von uns krank würde – dann erst wären wir beide verloren.«
Der wohlgemeinte Zuspruch tat seine Wirkung; wenigstens äußerlich schien Hans ruhiger, obgleich in seinen Augen helle Tränen schimmerten, als er jetzt die Vorräte auspackte und einiges davon auf einen umgestürzten Baumstamm legte. Franz hatte ja vielleicht in diesem Augenblick nichts zu essen, lebte vielleicht nicht einmal mehr. —
Holm entzündete nun ein mächtiges Feuer, dessen aufwirbelnder Rauch möglicherweise den beiden Verirrten als Wahrzeichen dienen konnte, er trug dürres Holz, so viel sich in der Nähe zusammenraffen ließ, herbei, und erst als helle Flammen an den alten, von der Sonne ausgetrockneten Zweigen hinaufleckten setzte er sich zu dem Knaben, um etwas Zwieback und Rauchfleisch zu genießen, ebenso ein paar Tropfen Madeira. Das alles war in luftdichten Gefäßen von Hamburg mitgebracht, und namentlich der Wein mit seiner belebenden Wirkung stärkte fühlbar die gesunkenen Kräfte der jungen Reisenden, auch die Frucht des Affenbrotbaumes würzte das Mahl, und dann machten Lehrer und Zögling ihre Pläne für den Tag, oder besser gesagt, für die Nacht, denn bis dahin waren es jetzt nur noch wenige Stunden.
»Wir müssen uns zuerst nach einem einigermaßen geschützten Zufluchtsort umsehen,« meinte Holm, »der wilden Tiere wegen. Ich schlage vor, in einen Baum zu klettern.«
»Schlangen und Leoparden kommen uns dahin nach! – Aber wenn wir einen hohlen Stamm finden könnten, das wäre gut.«
Holm warf noch ein paar starke Äste in das Feuer, dann ergriff er sein Gewehr und forderte den Knaben auf, ihm zu folgen. »Mir deucht, ich habe auf dem Wege hierher einen ausgehöhlten Boabab gesehen, den wollen wir suchen.«
Die beiden machten sich auf und fanden wirklich in der Entfernung von etwa hundert Schritten den Baum, welchen Holm bemerkt hatte. Sein ungeheurer Umfang ließ die natürliche Hütte in seinem Innern als geräumig und hoch voraussetzen, nur fragte es sich, ob nicht etwa dieser laubumrauschte Palast bereits einen Bewohner gefunden hatte, der sich aus seinem Daheim keineswegs vertreiben zu lassen gedachte. Ein schwerer Stein, von Holms Hand geschleudert, flog hinein, aber nichts zeigte sich, – die Höhle schien leer.
»Bleib du zurück,« gebot er seinem jungen Begleiter, »ich will einmal hineinleuchten und Umschau halten.«
Hans brachte das Gewehr in Anschlag. Obwohl er noch sehr heftige Brustschmerzen empfand und auch mit geheimer Sorge ununterbrochen lauschte, ob nicht irgend ein Zeichen die Rückkehr der beiden Verschwundenen andeuten würde, so war es ja doch seine Pflicht, den Freund im gegebenen Falle zu beschützen, und anderseits mochte er auch nicht müßig zusehen. Die Kugelbüchse schußgerecht zur Hand, blieb er dicht hinter dem Vorangehenden.
Ein Zündhölzchen flammte auf, die mitgebrachte Wachskerze wurde in Brand gesetzt und das Innere des Baumes beleuchtet. Ein heiseres Gebell tönte den beiden entgegen.
»Hunde!« rief erstaunt der Knabe. »Karl, sind es Hunde?«
Die Antwort erschien in der Gestalt des Bellenden selbst. Ein Mandril oder hundsköpfiger Affe sprang über Holms Schulter hinweg aus seinem Versteck hervor und mit Windeseile auf den nächsten Baum. Ebenso rasch aber hatte er auch die Früchte desselben, halbreife Zitronen, geschäftig abgerissen und eröffnete nun auf die Störer seiner häuslichen Existenz ein so wohlgezieltes Bombardement, daß sofortige Deckung hinter irgend einem Schutzwall geboten schien. Hans erhielt zwei steinharte, grüne Zitronen dergestalt zwischen die Schultern, daß er um die Wette lachte und hustete, sich aber in einem mächtigen Tamarindenbaum einen Verbündeten suchte und nun, von dem Stamm desselben verborgen, den Affen so lange neckte, bis Holm die ganze innere Höhle beleuchtet und leer gefunden hatte. Der Mandril mit seinem Hundekopf saß auf dem Zitronenbaum und fletschte das greuliche Gesicht. Die ganze Erscheinung dieses selbst unter dem häßlichen Affengeschlecht als allerhäßlichstes Exemplar bekannten Tieres rechtfertigte den Namen »Waldteufel«, welcher ihm häufig beigelegt wird. Über einen Meter hoch, hatte er eine kurze, struppige, ganz schwarze Mähne, und dünne olivengrüne Schenkel, dazu eine grellrote Schnauze und blaue, gefurchte Backen, sowie große Ohren, plumpen, hundsartigen Körper und spitzen, gelben Bart. So angetan saß er mit einem schnell zusammengerafften Vorrat von Wurfgeschossen lauernd auf einem starken Ast, und so oft Hans nur die Hand vorstreckte oder gar ein wenig um den Stamm herumzulugen wagte, gleich flog eine Zitrone durch die Luft, meistens freilich ohne zu treffen, aber immer von einem gebellartigen Brüllen des Unholdes begleitet.
Holm hatte innerhalb des Affenbrotbaumes Posto gefaßt. »Ich will ihm den Garaus machen,« sagte er, »diese Gattung lebt meistens in ganzen Trupps, wenn uns daher die Genossen durch das wütende Bellen auf den Hals gelockt würden, so könnte es uns schlimm ergehen. Reize einmal die Bestie, sich nach dieser Seite zu drehen, damit ich sie aufs Korn nehmen kann.«