Kitabı oku: «Israel», sayfa 3
WIE VERLIEF DER PROZESS GEGEN JESUS?
Die Antwort finden Sie auf Seite 172.
Moischeles Laitmotiv war: Alles mit der Ruhe. Jetzt, wo ihn der Hexenschuss so plagte, wollte er sich von seinen beiden Baustellen, eine an der Autobahn, die andere in einem Kindergarten, ausruhen. Diesmal aber hatte er die Schlafstunde in seinem Zimer zu sehr ausgedehnt – das brachte ihn unter Tzugzwang. Dazu hatte er es sich auch nicht nehmen lassen, noch einen Schluck Kaffee und einen Biss von seinem Jausenbrot zu nehmen. Zu allem Überfluss kam auch noch, dass bei dem starken Regen der Winker und auch der Wischer seines Autos nicht richtig funktionierten. Weil er so wenig sah, fuhr er über einen Randstein und hatte nun einen Platfus. Als er ausstieg, um diesen zu beheben, verstand er, dass dieser Tag wahrlich schwierig war. Denn der Ritsh-Ratsh an seiner Jacke klemmte auch noch und er war völlig durchnässt, bis er den Reifen gewechselt hatte. Seine Tsaitnot war mittlerweile ziemlich groß. Als er endlich an der Baustelle ankam, war der Aisenbeton schon längst geliefert – sein Chef hatte ihn übernommen. Der schrie verärgert: „Sie haben kein Talent, etwas zu organisieren. Das Beste, was sie machen können, sind Luftgeschäfte.“ Diese Worte trafen Moischele sehr. Um den Tag wenigstens irgendwie gut zu beenden, ging der Fainschmecker am Abend in ein Restaurant und bestellte seine Lieblingsspeise: gefilten Fisch. Zum Abschluss nahm er noch einen Leck vom Eis.
Ich hoffe, Sie sind jetzt davon überzeugt, dass auch Sie ein wenig „jiddeln“ und Hebräisch und Arabisch sprechen. Israel ist mit seinen Einwanderern aus über 100 Staaten ein polyglottes Land. Dort wird von vielen Menschen auch Deutsch gesprochen. Es ist gefährlich zu glauben, man werde in Israel nicht verstanden, wenn man Deutsch spricht. Die folgende Begebenheit soll Ihnen dies verdeutlichen.
Zwei österreichische Studenten fuhren in Jerusalem mit dem öffentlichen Bus. Sie hatten keinen Sitzplatz, als dem einen eine ziemlich dicke Dame auffiel. Er sagte zu seinem Freund: „Wenn die dicke Kuh aufsteht, können wir uns beide niedersetzen. “An der nächsten Station stieg die Frau aus. Beim Verlassen des Busses wandte sie sich den beiden zu und sagte: „Muh!“
WAS MACHT JERUSALEM SO HEILIG, SO SCHWIERIG, SO EINZIGARTIG?
DREI JAHRE war Yoram bei der Armee, zuletzt diente er als Panzerkommandant. Danach hatte er das Bedürfnis nach Distanz und Veränderung. Er zog nach Südamerika. Ein Jahr lang fuhr er als Rucksacktourist von einem Land ins nächste. In Bolivien konnte er schließlich seinen während eines Panzereinsatzes geborenen Traum umsetzen. Er wollte möglichst tief in möglichst unberührte Regionen des Dschungels vordringen. Drei Tage lang war er mit einem Bootsführer unterwegs, ehe er in das allerletzte an einem Seitenfluss des Rio Grande gelegene Dorf kam. Dort gab es keinen zivilisatorischen Druck, die Tage wurden einzig vom Aufgang und Untergang der Sonne bestimmt. Kinder spielten mit ihm, vertrauensvoll näherten sich auch die Erwachsenen. Yoram fand hier jene Ruhe, nach der er sich im engen, lauten, überhitzten Panzer oft gesehnt hatte.
Die Ureinwohner waren neugierig, woher der Fremde wohl stamme. Mit seiner Antwort „aus Israel“ konnten sie nichts anfangen. Nicht mit der Namensnennung, nicht mit der geografischen Lagebeschreibung. Als die Zeit des Abschieds näherkam, bedankte sich Yoram bei seinen neu gewonnen Freunden mit einigen nur wenige Zentimeter großen Kreuzen aus Olivenholz, auf deren Querbalken „Jerusalem“ aufgedruckt war. Es folgte, zu seiner großen Überraschung, eine Explosion der Gefühle. Männer wie Frauen umarmten ihn, sie küssten ihn, sie luden ihn ein – nein, sie zwangen ihn – noch ein paar Tage zu bleiben. Einen Mann aus Jerusalem lässt man eben nicht so leicht ziehen.
Diese Episode beweist: Jerusalem ist mehr als nur eine Adresse – es ist eine Chiffre. Eine Chiffre für das Göttliche in dieser Welt, für Reinheit, Schönheit und für den „wahren Glauben“. Aber auch für Aberglauben, für Bigotterie, für zerstörerischen Fundamentalismus. Jerusalem ist eine beliebte Adresse für alle Sehnsüchte, die Menschen bewegen, und für die Beschwernisse des Lebens, die sie hier hoffen, abladen zu können. Pilger aller drei monotheistischen Religionen kommen, um an ihren jeweiligen heiligen Stätten zu beten. Nicht selten haben sie auch noch die Bitten und Gebetswünsche jener im Gepäck, die zu Hause geblieben sind: „Zünde für mich am Heiligen Grab eine Kerze an!“, „Steck einen Zettel in die Ritzen der Westmauer!“ Flehentliche Bitten, die davon ausgehen, dass ein Gebet in Jerusalem von Gott eher erhört werde als anderswo. Säkulare Israelis witzeln: „Jedes Gebet in Jerusalem ist ein Ortsgespräch mit Gott.“
Als Beobachter kann man sich freilich nie ganz sicher sein, ob der Enthusiasmus der irdischen Stadt oder nicht doch dem himmlischen Jerusalem gilt. Diese Frage stellt sich bei Christen und auch bei Juden. Christen, vor allem jene, deren Glaubenswelt stark von Emotionen bestimmt ist, meinen, Jesus in den verwinkelten Gassen der Stadt auch heute noch spüren zu können. Sie fühlen sich ihm im Leiden verbunden, wenn sie mit einem Holzkreuz, das sie sich bei den Franziskanern an der Geißelungskapelle ausleihen, die 14 Stationen der Via Dolorosa durchbeten. Dass sie sich dabei ununterbrochen die Aufdringlichkeit der arabischen Händler – „See my shop – half price!“ – gefallen lassen müssen, kann ihre Besinnung nicht stören. Religion ist eben auch in Jerusalem ein Geschäft – eines bis zur Unerträglichkeit, wenn am Straßenrand etwa Dornenkronen feilgeboten werden. Pilger, die ihren Kreuzweg zu einem wahrhaft religiösen Erlebnis machen wollen, meditieren deshalb in den frühen Morgenstunden den Leidensweg Jesu. Da haben die Geschäfte noch geschlossen.
Die Frage „Irdisches oder himmlisches Jerusalem?“ ist auch bei Juden nicht klar zu unterscheiden. Oft genug suchen sie in ihren letzten Lebenstagen die Stadt auf, um dort begraben zu sein, wo die Ankunft des Messias prophezeit wird. Das war vor 2000 Jahren schon so und so ist es auch heute noch. Jene Juden, die sich diese letzte Reise nicht mehr organisieren konnten, sei es, dass sie zu früh gestorben sind, sei es, dass sie nicht das nötige Geld aufbringen konnten, setzte man in manchen Gegenden Europas mit einem Ast in der Hand bei. Sie sollten sich unterirdisch ihren Weg nach Jerusalem graben können, um dabei zu sein, wenn der Messias in sein Horn stößt. Jerusalem, Endstation Sehnsucht.
Eine der großen Ideen, die mit dieser Stadt verbunden ist, ist die Vorstellung von der Ankunft des Messias. Mehrere Propheten sprechen davon, dass er am Tag des Jüngsten Gerichts mit der Morgensonne erscheinen werde. Ob es der jüdische Messias sein wird oder der wiederkommende Christus, wer weiß? Wir werden es erwarten müssen. Auf jeden Fall wird sein Auftritt gewaltig sein, wie der Prophet Sacharja (14,3) schreibt: „Doch dann wird der Herr hinausziehen und gegen diese Völker kämpfen wie am Tag seines Kämpfens, am Tag der Schlacht. Seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der im Osten gegenüber von Jerusalem liegt. Der Ölberg wird sich von seiner Mitte her spalten nach Osten und Westen zu einem großen Tal.“ Zu diesem Ereignis des letzten irdischen Tages, dieser apokalyptischen Schlacht des Guten gegen das Böse, werde nach Auffassung mancher Muslime die Kaaba aus Mekka nach Jerusalem kommen und auch die Gebeine Mohammeds würden auf wundersame Weise erscheinen.
Jerusalem wird damit auch im Islam zu jenem Ort, an dem sich die Weltgeschichte vollendet. Sie endet, wo sie begonnen hat. Denn der Felsen, der im Zentrum des Felsendoms liegt, ist nach islamischer Auffassung der Grundstein der Welt. In fernen oder auch nahen Tagen wird er zu deren Schlussstein werden.
An diesem letzten Tag wird Gott die Menschen von den Toten auferstehen lassen, wie Ezechiel (37,12) schreibt: „Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf.“ Um als Erste dabei zu sein, wenn der letzte Tag des Gerichts anbricht, lassen sich Juden seit Jahrhunderten am Westabhang des Ölbergs bestatten. Das ist die allererste Adresse für einen Grabplatz in der Heiligen Stadt. Man hat einen Blick auf die Altstadt und die goldene Kuppel des Felsendoms und man hat die Verheißung, in der ersten Reihe zu stehen, wenn der herbeigesehnte Erlöser endlich erscheint. So eine prominente Adresse kostet freilich viel Geld: 50.000 Dollar und mehr zahlt man für ein Grab. Viele Plätze sind nicht mehr frei. Es gilt sich zu beeilen, denn die Preise werden noch steigen.
Eine Dame der feinen Londoner Gesellschaft wollte in den 1920er-Jahren auf den Messias nicht länger warten. Täglich zog sie am Nachmittag mit einem Esel und dessen Besitzer – feinstes Geschirr aus Silber und dünnwandiges Porzellan in den Satteltaschen – auf den Ölberg. Sie wollte der erste Mensch sein, mit dem der Messias seinen Fünfuhrtee schlürft. Gekommen ist er trotz der vornehm-gastlichen Einladung nicht, wie wir wissen.
Manche Menschen werden unter dem Eindruck der Heiligkeit Jerusalems „meschugge“, verrückt. Psychologen sprechen vom „Jerusalem-Syndrom“, einer Erkrankung, bei deren Verlauf die Betroffenen oft neue Identitäten annehmen. Christen sehen sich plötzlich als Jesus oder Maria, Juden als König David oder als Mutter Lea oder Rachel. Gefährlich sind diese Menschen im Allgemeinen nicht, denn sie heilen nicht, errichten auch das davidische Großreich nicht wieder, sondern sie genügen sich selbst. „I am Jesus, praise the Lord, five Dollar, please“, rief ein US-Amerikaner am Jaffa-Tor, während er sich entkleidete. Noch trug er seine Unterwäsche, als eine Polizeistreife vorfuhr, ihn in eine Decke hüllte und ihn abführte. Wir Zuseher waren alle befremdet, zugleich aber auch amüsiert.
In ihrer Ichbezogenheit lassen sich diese Menschen ganz gerne fotografieren und nehmen auch ganz gerne ein paar Dollar dafür. Meist findet der Spuk ein rasches Ende, denn sie werden in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, dort medikamentös ruhiggestellt und am Tag darauf wieder nach Hause geschickt. Zu Hause in Oregon oder in Nancy sind sie plötzlich nicht mehr Jesus oder David, sondern diejenigen, die sie schon zuvor waren: Mr Smith oder Monsieur Lafontaine. Die Idee des Messias ist hochkonzentrierte Heiligkeit, die toxisch wird, sobald man zu viel von ihr bekommt. All diese Sehnsüchte und Projektionen sind der Heiligkeit der Stadt geschuldet. Juden, Christen und Muslime sind hier mit ihren Traditionen auf engstem Raum beheimatet. In der Altstadt, die kaum einen Quadratkilometer groß ist, sind Westmauer, Felsendom, Al-Aqsa-Moschee, Via Dolorosa und Grabeskirche räumlich dicht gedrängt. Damit ist die Stadt die spirituelle Heimat der beinahe halben Menschheit. Mit solch einem Superlativ kann keine andere Stadt dieser Welt aufwarten.
Geschichtsfälschung gehört ebenfalls zu dieser Stadt. Ein Wächter am Felsendom, der streng darüber wachte, dass kein Mann seine Frau berührt, erklärte mir bei einem meiner Besuche auf dem Tempelplatz, dass der Prophet Mohammed hierhergekommen sei, weil hier die „kürzeste Verbindung zwischen Erde und Himmel“ bestehe. Zu Zeiten des Propheten sei an diesem Ort „nichts außer dem nackten Felsen“ gewesen. Die Tatsache, dass der Felsendom am Ort des jüdischen Tempels errichtet wurde, verschwieg er. Wissentlich oder unwissentlich?
Natürlich gehören zu den religiösen Wahrheiten, die keineswegs den historischen Wahrheiten entsprechen müssen, auch zahlreiche Legenden. Wie jene vom Nabel der Welt im griechisch-orthodoxen Katholikon der Grabeskirche. Dieser Nabel wird meist nicht als solcher erkannt, sieht er doch aus wie ein mit einem Kreuz versehener Laib Brot. Griechisch-orthodoxe Christen wissen allerdings um die Bedeutung dieses Steins: Ursprünglich sei dieser Nabel riesig gewesen. Durch die Berührung vieler Gläubiger greife er sich langsam ab und werde immer kleiner. Und wenn er einmal ganz verschwunden sein wird, erscheint der Messias. Dies erklärte mir eine Pilgerin aus Athen. Trotz der hohen Besucherfrequenz in der Grabeskirche sei tröstlich vermerkt: Das wird wohl noch einige Generationen dauern.
Die Vorstellung von Jerusalem als dem Nabel der Welt findet sich bis ins späte Mittelalter in einzelnen Weltkarten. Am oberen Rand der Karte sieht man Jesus, der vom Osten mit der aufgehenden Sonne als der verheißene Messias erscheint. Unten, im Westen, stehen die Säulen des Herkules, der über die Meerenge von Gibraltar den Schriftzug spannt: „Non plus ultra“, „Nicht darüber hinaus“. Das war als Warnung für die Seeleute gedacht, als man noch glaubte, die Welt sei eine Scheibe. Als Amerika 1492 entdeckt wurde, strich man die Verneinung weg und machte daraus den ermutigenden Aufruf: „Plus ultra“, „Darüber hinaus“. Dieser Schriftzug findet sich heute noch in der spanische Flagge. In der Mitte der Welt war Jerusalem.
Auch die Juden verorten den Nabel der Welt in Jerusalem. Eine rabbinische Überlieferung sagt: „So wie der Nabel in der Mitte des Menschen ist, so befindet sich das Land Israel in der Mitte der Welt. Und so ist auch Jerusalem in der Mitte des Landes Israel, und das Heiligtum befindet sich in der Mitte Jerusalems, und der Tempel in der Mitte des Heiligtums, und die Bundeslade mit den Gesetzestafeln in der Mitte des Tempels, und vom Grundstein vor dieser Lade ging die Gründung der ganzen Welt aus.“
Jerusalem ist eine Stadt, die kaum einen Besucher unberührt lässt. Viele sind völlig hingerissen, nur wenige lehnen sie kategorisch ab. Die wechselhafte Geschichte, die wetteifernden, aber zugleich reiche Traditionen bewahrenden Religionen, die großen Ideen und die nicht minder großen Trugschlüsse machen es allerdings schwer, die Stadt zu begreifen. Der Versuch von Reiseleitern, mit mehr Information Klarheit zu schaffen, schlägt oft fehl. Diese trägt eher zur Verwirrung der Besucher bei. Eine 3000-jährige Geschichte, die man auf engstem Raum sehen kann, sowie das Nebeneinander von drei Religionen, die in sich wiederum getrennt und oft genug zerstritten sind, kennt man in Europa nicht. Das fasziniert, aber es verunsichert auch. Viele Reisende kapitulieren beim Versuch, während eines kurzen Aufenthaltes diese Stadt zu verstehen, die 17-mal zerstört und noch viel öfter erobert wurde. Sie begeben sich deshalb lieber auf eine emotionale Ebene. Es berührt sie, wenn sie den Muezzin hören, dessen Stimme von den Glocken der Grabeskirche übertönt wird. Sie sind begeistert, wenn sie einen orthodoxen Juden sehen, der sich mit seinen Kindern am Weg zur Westmauer zwischen den am Boden sitzenden arabischen Frauen durchdrängt, die intensiv duftende Minze verkaufen. Es ekelt sie, wenn sie Schafsköpfe an Haken an der Straße baumeln sehen und sie sind betroffen, wenn sie am Damaskus-Tor Bettlern begegnen. Selbst die Verunsicherung nach jedem Einkauf im Bazar, ob sie für die Holzkrippe oder das Stoffkamel womöglich doch zu viel bezahlt haben, gehört zu den emotionalen Augenblicken. Es sind viele intensive Eindrücke, die in Erinnerung bleiben. Der nachhaltigste ist aber für beinahe jeden Reisenden der erste Blick vom Ölberg auf die Stadt. Sie liegt zu Füßen des Besuchers, die Sonne spiegelt sich in der Kuppel des Felsendoms. Sie sieht so friedlich aus, auch wenn man weiß, dass dieser Schein trügt.
Jerusalem ist für geistig eng geführte Gläubige aller Religionen eine leicht zu bereisende Adresse, denn sie wollen ohnehin nur sehen, was sie schon vor Beginn der Reise erwartet haben: die heiligen Stätten ihrer Religion. Für Reisende, die ein kulturelles Interesse über ihre Konfession hinaus haben, ist es wohl eine äußerst schwierige Destination. Sie werden bereichert und zugleich irritiert sein von der Glaubenstiefe, der Vielfalt aber auch der Widersprüchlichkeit der Stadt. Sie müssen sich entscheiden, ob sie es mit Aldous Huxley halten, der von Jerusalem als einem „Schlachthaus der Religionen“ sprach, oder ob sie Simon Sebag Montefiore zustimmen, dem Verfasser einer „Biografie“ über Jerusalem. Er kommt in seinem Buch zum Schluss, dass Jerusalem eine „tragende Säule der Weltgeschichte“ sei.
WER IST DAS ÜBERHAUPT: EIN JUDE?
DIE FRAGE ist ganz einfach zu beantworten: Das weiß niemand. Nicht einmal in Israel, das sich als der Staat der Juden definiert, ist man sich darüber im Klaren. Nur die Antisemiten haben es sich immer schon leicht gemacht. So meinte Wiens legendärer Bürgermeister Karl Lueger (von 1897 bis 1910): „Wer ein Jud is, das bestimm ich!“ Und andere Judenhasser glaubten, Juden am Geruch oder an der Nase erkennen zu können. Alle schienen es zu wissen, nur die Juden selbst nicht.
Die bis in die 1960er-Jahre gültige Definition lautete: Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren oder vor einem orthodoxen Rabbiner zum Judentum übergetreten ist. Die Konversionen fallen dabei kaum ins Gewicht und machen weltweit nur rund ein Prozent aus.
Der Umstand, dass die Mutter – und nicht wie in den meisten anderen Kulturen der Vater – für die religiöse Zugehörigkeit eines Kindes zuständig ist, zeigt die praktische Denkweise im Judentum. Denn „mater certus, pater semper incertus est“ sagt der Lateiner, der damit ausdrückt: Wer die Mutter eines Kindes ist, ist immer sicher; wer der Vater ist, hingegen nicht. Diese Definition nach der Mutter trägt aber auch noch die Komponente einer sozialen Verantwortung für die Frauen in sich. Wird eine Frau nach einer Vergewaltigung schwanger, dann wird diese häufig – und das nicht nur im Orient – aus der Gemeinschaft ausgestoßen und bleibt schutzlos zurück. Im Judentum hingegen verbleibt sie mit ihrem Kind im Schutzbereich der Familie und damit auch im Volk. Was der Ausschluss aus einer Gesellschaft bedeutet, in der die Familie – und nicht ein säkularer Staat – das soziale Netz bildet, kann man sich vorstellen.
Die Bedeutungslosigkeit des Mannes in dieser Frage verkehrt sich in den letzten Jahrzehnten allerdings gegen das Judentum: Viele Juden in den USA, die nur eine geringe Bindung an ihre Herkunft und Religion haben, ehelichen auch Nichtjüdinnen, deren gemeinsame Kinder dann freilich keine Juden mehr sind. Das bedeutet für ein kleines Volk einen erheblichen Aderlass. Deswegen gibt es auch immer wieder Vorstöße von Politikern, auch jene Kinder als Juden anzuerkennen, bei denen nur die Väter, nicht aber die Mütter jüdisch sind. Aber bislang war diesen Bemühungen kein Erfolg beschieden – zu restriktiv denken die religiösen Parteien und die wichtigen Rabbiner des Landes.
Nach dem Schock der Shoa war es für den 1948 gegründeten Staat Israel ein zentrales Anliegen, Juden aus der ganzen Welt die Einwanderung zu ermöglichen und ihnen die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Israel brauchte die Zuwanderer auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den arabischen Nachbarn und die heimatlosen Menschen aus dem Nachkriegseuropa nahmen die Einladung gerne an. In dieser Situation kümmerte man sich wenig um die Frage „Wer ist ein Jude?“, die es zwischen Religionszugehörigkeit und Nationalität zu beantworten galt.
Es war ausgerechnet der 1922 in Polen geborene Jude Oswald Rufeisen, der den jungen Staat mit seiner Einwanderung im Jahre 1959 in Verlegenheit brachte. Rufeisen war nämlich vom Judentum zum Christentum konvertiert und Karmelitermönch geworden. Dies veranlasste den Einwanderungsbeamten, ihn nicht mehr als Juden einzustufen. Und als solcher fiel Rufeisen nicht mehr unter das „Gesetz der Rückkehr“, das jedem Juden weltweit die Möglichkeit der Einwanderung gewährt und damit auch automatisch die israelische Staatsbürgerschaft zugesteht. Rufeisen widersprach dieser Sichtweise, denn als geborener Jude habe er das Recht zur Immigration. Zudem hatte er den moralischen Bonus auf seiner Seite, denn er, der perfekt Polnisch, Deutsch und Russisch sprach, war unter den Nazis Dolmetsch und konnte so 1942 mehr als 300 Glaubensgenossen im Ghetto von Mir (Weißrussland) das Leben retten. Rufeisen verklagte den Staat Israel, was das Land in eine tiefe Staatskrise stürzte. Am Ende verlor er zwar den Prozess, aber er bekam die Staatsbürgerschaft dennoch verliehen. Und Israel ergänzte die ursprüngliche Definition (Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde) um den Zusatz „und wer keiner anderen Religionsgemeinschaft angehört“.
War Rufeisen, dessen Biografie von der russischen Literatin Ljudmila Ulitzkaja unter dem Titel „Daniel Stein“ erschienen ist, noch ein Einzelfall, so sollte die Frage in den Jahren nach dem Zusammenbruch der UdSSR noch viel virulenter werden. Denn damals wanderten rund 1,4 Millionen Russen in Israel ein, von denen rund eine Million eine jüdische Mutter hatten. Etwa 350.000 Einwanderer hatten aber nur einen jüdischen Vater oder andere jüdische Vorfahren, was zur Einwanderung nach Israel zunächst ausreichte. Sie wurden, auch wenn sie keine Juden waren, Israelis, bekamen die Staatsbürgerschaft, zahlten Steuern und leisteten den Militärdienst ab. Sie waren Staatsbürger, denen nur eine Sache verwehrt blieb: zu heiraten. Das Standesregister liegt nämlich ausschließlich in den Händen der Rabbiner und diese können wiederum niemanden verheiraten, der nicht nach dem Religionsgesetz ein vollwertiger Jude ist. Und eine säkulare Eheschließung gibt es nicht. In Israel findet man aber aus jedem Schlamassel einen Ausweg: Man fährt nach Zypern oder auch nach Las Vegas, heiratet dort und lässt zu Hause seine Ehe anerkennen.
Die nicht geklärte Frage „Wer ist ein Jude?“ hat neben der privaten Dimension auch noch politische Aspekte. Wenn es ein demokratischer Staat nicht schafft, den einzelnen Bürger zu definieren, dann kann er auch die Summe seiner Bürger nicht umschreiben. Das hat dazu geführt, dass der Judenstaat bis heute noch immer keine Verfassung hat, in der auch die Landesgrenzen definiert würden. Das wiederum lässt viele Araber befürchten, dass sich der Judenstaat im gesamten Gebiet zwischen Euphrat und Nil ausbreiten könnte. Indiz dafür sei die Flagge, die ober- und unterhalb des Davidsterns zwei blaue Linien zeigt. Araber sehen in diesen Linien die beiden Flüsse symbolisiert. Tatsächlich ist die Flagge aber dem jüdischen Gebetsschal, dem Tallit, nachempfunden.