Kitabı oku: «Der Weg des Psychonauten – Band 2», sayfa 6
Bevor ich diese Geschichte erzähle, muss ich etwas Wichtiges erwähnen. 1978 gründeten meine Frau x und ich die ITA. Wir verbrachten einige Zeit damit, das beste Logo für diese Organisation auszuwählen, und entschieden uns schließlich für eine stilisierte Darstellung des Gemeinen Perlbootes (Nautilus pompilius), eines perfekten Beispiels für die heilige Geometrie. Wir verwendeten dieses Logo über Jahrzehnte hinweg auf den Broschüren aller unserer Konferenzen (bis heute waren es zwanzig), in den Werbematerialien und auf unserem Briefpapier.
Das Perlboot-Logo der International Transpersonal Association.
Unser erster holotroper Atemworkshop fand in Jinan statt, der Geburtsstätte des chinesischen spirituellen Lehrers und Philosophen Konfuzius. Während der Dinnerpause kam eine der Teilnehmerinnen, Frau Meng (was »Traum« bedeutet), mit einer kleinen schönen blauen Samttasche in der Hand zu mir. Sie erzählte mir, dass ihr ihre Urgroßmutter im Traum erschienen sei und ihr gesagt habe, dass sie seit mehreren Generationen einen ganz besonderen Stein in ihrer Familie aufbewahrt hätten und dass sie ihn zu »Dr. Grof« bringen solle. Dann übergab sie mir den Gegenstand. Es handelte sich um ein Fossil eines Perlbootes, einer Meeresweichtierart; aber sie war auf dem Gipfel des Mount Everest gefunden und gesammelt worden. Ich hatte noch nie davon gehört, dass auf dem Gipfel des Mount Everest fossile marine Lebensformen gefunden wurden. Ich beschloss, die geologische Geschichte des Himalayas zu studieren, und fand heraus, dass man das Alter dieser berühmten Gebirgskette auf etwa fünfzig Millionen Jahre schätzte, als die großen tektonischen Platten kollidierten, eine Reihe von Vulkanexplosionen auslösten und den Meeresboden anhoben. Der Gipfel des Mount Everest enthält daher Schichten von unterschiedlicher Herkunft, darunter auch solche, die vom Meeresboden stammen. Das versteinerte Perlboot musste also vor der Entstehung des Himalajas auf dem Meeresboden gelegen haben und war daher mindestens fünfzig Millionen Jahre alt.
Ein versteinertes Perlboot (Ammonit), das auf dem Gipfel des Mount Everest gefunden wurde.
Das Ziel unserer Expedition war es, die transpersonale Psychologie nach China zu bringen. Dass Frau Mengs Urgroßmutter ihr im Traum erschien und sie bat, mir das Symbol der ITA zu bringen, ein Perlboot, das versteinert und vor zig Millionen Jahren vom Grund des Ozeans auf den höchsten Berg der Welt gehoben worden war, war wirklich eine wundersame Synchronizität. Ich erwähnte sie kurz in meinem Vortrag an der Universität Peking, und in der chinesischen Presse fand sie mehr Beachtung als alles andere in meinem Vortrag. Dies war jedoch nicht die einzige bemerkenswerte Synchronizität, die uns auf dieser Reise begegnete; es schien, als wären wir in eine magische Welt eingetreten, in der es keine lineare Kausalität mehr gab.
Jack Kornfield (*1945), Lehrer des Vipassana-Buddhismus, transpersonaler Psychologe und Gründer des Spirit Rock Insight Meditation Center in Woodacre, Kalifornien, mit Stanislav Grof in der Verbotenen Stadt in Peking, China.
Ich möchte nur noch zwei dieser denkwürdigen Zufälle erwähnen. Wir fanden heraus, dass die Organisatoren der China-Reise einen Auftritt an der Peking-Universität für meinen engen und lieben Freund Jack Kornfield, einen Vipassana-Buddhismus-Lehrer, für denselben Abend vorgesehen hatten, an dem auch die Organisatoren unserer Reise ganz unabhängig davon versucht hatten, mich einzuplanen. Als dies entdeckt wurde, beschlossen die Organisatoren, einen gemeinsamen Abend mit dem Titel »Grof im Gespräch mit Kornfield« für uns zu veranstalten. Jack und ich hatten in den letzten vierzig Jahren gemeinsam viele Veranstaltungen geleitet, aber wir hatten uns noch nie irgendwo getroffen, es sei denn, wir hatten es gemeinsam geplant. Die zweite dieser Synchronizitäten betraf eine unserer Übersetzerinnen und einen Atempädagogen, die uns im Zug von Jinan nach Peking begleiten sollten. Obwohl sie ihre Fahrkarten unabhängig voneinander kauften, eine in Nordchina und die andere im Süden, saßen sie am Ende nicht nur im gleichen Waggon und Abteil wie unsere Gruppe, sondern sogar auf benachbarten Sitzplätzen.
Als ich miterlebte, wie diese Serie von Synchronizitäten ein magisches Element in unsere Gruppe brachte, musste ich an die Worte des tschechisch-französischen Schriftstellers Milan Kundera denken, des Verfassers von Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins: »Es ist falsch, den Roman dafür zu tadeln, dass er von mysteriösen Zufällen fasziniert ist … Aber es ist richtig, den Menschen dafür zu tadeln, dass er für solche Zufälle in seinem täglichen Leben blind ist. Denn dadurch beraubt er sein Leben einer Dimension der Schönheit«.
Die Kenntnis des Synchronizitäts-Phänomens ist nicht nur für Psychonauten und archetypische Astrologen von grundlegender Bedeutung, sondern auch für Wissenschaftler, die noch immer dem materialistischen Weltbild anhängen. Es ist eine der offensichtlichsten und schwierigsten Herausforderungen für die monistisch-materialistische Philosophie. Eine Bemerkung, die Jung 1955 in einem Brief an Richard F. C. Hull machte, zeigt, dass er sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst war: »Die neueste Äußerung zur ‚Synchronizität‘ ist die, dass sie nicht akzeptiert werden kann, weil sie die Sicherheit unserer wissenschaftlichen Grundlagen erschüttert, als ob dies nicht genau das Ziel wäre, das ich anstrebe.« Am selben Tag schrieb er an Michael Fordham über »die Auswirkungen der Synchronizität auf die fanatische Einseitigkeit der wissenschaftlichen Philosophie«.
Marie-Louise von Franz, die sich des paradigmendurchbrechenden Potenzials der Synchronizität bewusst war, sagte in einem Interview gegen Ende ihres Lebens: »Die Arbeit, die jetzt getan werden muss, besteht darin, das Konzept der Synchronizität auszuarbeiten. Ich kenne die Leute nicht, die diese Arbeit fortführen werden. Es muss sie geben, aber ich weiß nicht, wo sie sind.« Glücklicherweise ist die Literatur über Synchronizität und ihre zentrale Bedeutung für eine Reihe von Disziplinen seither exponentiell gewachsen, und dieses Konzept ist zu einem integralen Bestandteil des entstehenden neuen Paradigmas in der Wissenschaft geworden.
Literatur
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Campbell, J. 1984. The Way of the Animal Powers: The Historical Atlas of World Mythology. New York: Harper and Row.
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Driesch, H. 1914. The History and Theory of Vitalism (translated by C. K. Ogden). London: Macmillan.
Franz, M. von. 2015. On Divination and Synchronicity: The Psychology of Meaningful Chance. Toronto, Ontario: Inner City Books.
Grof, S. 1975. Realms of the Human Unconscious: Observations from LSD Research. New York: Viking Press. Dt. Grof, S. 1987. Topographie des Unbewussten: LSD im Dienst der tiefenpsychologischen Forschung. Stuttgart: Klett-Cotta.
Grof, S. 2006. When the Impossible Happens: Adventures in Non-Ordinary Realities. Louisville, CO: Sounds True. Dt.: Impossible – Wenn Unglaubliches passiert. München: Kösel, 2008.
Harner, M. 1980. The Way of the Shaman: A Guide to Power and Healing. New York: Harper & Row.
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Jung, C. G. 1959. The Archetypes and the Collective Unconscious. Collected Works, Vol. 9,1. Bollingen Series XX, Princeton, NJ: Princeton University Press.
Jung, C. G. 1960. Synchronicity: An Acausal Connecting Principle. Collected Works, Vol. 8, Bollingen Series XX. Princeton, NJ: Princeton University Press.
Kammerer, P. 1919. Das Gesetz der Serie (Law of the Series). Stuttgart/Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt.
Koestler, A. 1971. The Case of the Midwife Toad. New York: Random House.
Main, R. 1998. Jung on Synchronicity and the Paranormal. Princeton, NJ: Princeton University Press.
Miller, A. 2009. Deciphering the Cosmic Number: The Strange Friendship of Wolfgang Pauli and Carl Jung. New York: W. W. Norton & Co.
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Plotinus. 1950. The Philosophy of Plotinus: Representative Books from the Enneads. Appelton, WI: Century-Crofts.
9.
Holotrope Bewusstseinszustände und das Verständnis von Kunst
Die Arbeit mit und Erforschung von Psychedelika und anderen Formen holotroper Bewusstseinszustände brachte revolutionäre Einsichten in das Verständnis von Kunst und Künstlern. Sigmund Freud leistete in dieser Hinsicht Pionierarbeit und seine Anhänger versuchten, die Beobachtungen aus ihrer klinischen Arbeit auf den kreativen Prozess anzuwenden.
Allerdings sind den Ansätzen, die Modelle der Psyche verwenden, die sich auf die postnatale Biographie und Freuds individuelles Unbewusstes beschränken, Grenzen gesetzt. Die Aussagekraft der Tiefenpsychologie erhöht sich erst, wenn die Kartographie der Psyche um den perinatalen und transpersonalen Bereich erweitert wird.
In unseren Kursen am California Institute of Integral Studies (CIIS) in San Francisco, in Seminaren in Esalen und in Europa sowie in unseren gemeinsamen Fernkursen haben Rick Tarnas und ich versucht zu zeigen, dass die Kombination des erweiterten Modells der Psyche mit archetypischer Astrologie das Verständnis von Kunst auf eine völlig neue Ebene führt. Dies bringt eine Tiefe und Klarheit, die zuvor unvorstellbar war. Leider fehlt mir im Rahmen dieser Enzyklopädie die Zeit, diesen faszinierenden Weg der Forschung zu ergründen. Interessierte Leser finden weitere Informationen in unseren Schriften zu diesem Thema (TARNAS 2006, GROF 2009, 2012). Eine umfassendere Behandlung dieses Themas bedarf einer späteren Veröffentlichung.
Sigmund Freud
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Unbewusste entdeckt und die Tiefenpsychologie geboren. Dieses neue Gebiet wurde von Sigmund Freud inspiriert und vorangetrieben, der praktisch im Alleingang die Grundlagen dafür schuf. Ursprünglich war Freuds Interesse an der menschlichen Psyche vor allem klinischer Natur – er wollte die Ätiologie der Neurosen erklären und einen Weg finden, sie zu behandeln. Im Laufe seiner Forschungen erweiterte sich jedoch sein Horizont enorm und berücksichtigte viele kulturelle Phänomene, darunter auch die Kunst.
Freuds Werk eröffnete einen neuen, innovativen Zugang zum Verständnis von Kunst und Künstlern und hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf künstlerische Kreise. Er versuchte, die Beobachtungen aus den Analysen der Patienten auf das Verständnis der Künstlerpersönlichkeit, der Motive für das künstlerische Schaffen und des Wesens der Kunst anzuwenden. Nach seiner Auffassung ist ein Künstler ein Mensch, der sich aus der Realität in seine Phantasien zurückgezogen hat. Die primären Quellen dieser Phantasien sind ödipale Wünsche, verbunden mit starken Schuldgefühlen. Der Künstler findet seinen Weg zurück in die Welt und die Gesellschaft, indem er diese verbotenen Wünsche in seinem Werk darstellt.
Das Publikum, das selbst ödipale Wünsche hat, bewundert die Künstler für den Mut, das Verdrängte zum Ausdruck zu bringen und es von seiner Schuld zu befreien. Für den Künstler bedeutet die Anerkennung seines Werkes, dass die Öffentlichkeit seine Schuld teilt, was ihn von seinen eigenen Schuldgefühlen befreit. Laut Freud bietet die Kunst eine Ersatzbefriedigung für den frühesten und immer noch zutiefst empfundenen kulturbedingten Verzicht auf grundlegende biologische Triebe und dient deshalb zur Aussöhnung der Menschen mit dem Opfer, das sie zugunsten der Zivilisation gebracht haben (FREUD 1911).
Freud entdeckte auch, dass es möglich ist, mit Hilfe der Psychoanalyse den Inhalt von Kunstwerken auf dieselbe Weise zu begreifen, wie man Träume verstehen kann. Der berühmteste Versuch Freuds, Kunstwerke zu interpretieren, ist seine Analyse der altgriechischen Ödipus-Tragödie des Athener Dramatikers Sophokles, Ödipus Rex. In diesem Stück tötet der Protagonist Ödipus unwissentlich seinen Vater Laios, heiratet seine Mutter Iokaste und erfüllt so die Prophezeiung des Orakels von Delphi.
Freuds Einblicke in dieses Werk waren die Hauptquelle für seinen berühmten Ödipus-Komplex. In Freuds eigenen Worten: Ödipus’ Schicksal »ergreift uns nur darum, weil es auch das unsrige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch über uns verhängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten Hass und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume überzeugen uns davon« (FREUD 1953).
Freud unternahm außerdem einen interessanten Versuch, Shakespeares Hamlet zu verstehen. Er wollte als der psychologische Detektiv in Erinnerung bleiben, der die Lösung für das »Problem« fand – den Grund für Hamlets Hinauszögern des Mordes an Claudius. Dieses Rätsel wurde die »Sphinx der modernen Literatur« genannt. Gemäß einer allgemein anerkannten Erklärung Goethes repräsentiert Hamlet denjenigen Menschentypus, dessen unmittelbare Handlungsfähigkeit durch eine übermäßige Entfaltung seines Intellekts gelähmt wird. Freud lieferte eine radikal andere Interpretation: Claudius lebt Hamlets eigenen unterdrückten ödipalen Phantasien aus; ihn zu töten, wäre gleichbedeutend mit einem Mord an einem Teil seiner selbst (FREUD 1953).
Sigmund Freud (1856–1939), österreichischer Neurologe, Begründer der Tiefenpsychologie und Schöpfer der Psychoanalyse.
Ein weiterer berühmter Versuch Freuds, Künstler zu verstehen, ist seine Analyse von Leonardo da Vinci anhand von Leonardos frühester Kindheitserinnerung, die er in einem seiner Notizbücher im Codex Atlanticus in Spiegelschrift beschrieb. Zur Erläuterung seiner Leidenschaft für die Entwicklung einer Flugmaschine schrieb Leonardo, dass, als er ein Baby war, ein Drache (nibbio, eine kleine Falkenart) auf ihm gelandet sei und seinen Schwanz in seinen Mund gesteckt habe, wobei er wiederholt mit den Federn auf seine Lippen schlug.
Freud kam zu dem Schluss, dass es sich dabei um eine Phantasie handelte, die sowohl mit Fellatio durch eine phallische Mutter zu tun hatte als auch damit, von ihr gestillt zu werden. Die Vorstellung, dass die Mutter einen Penis hat, ist nach Freud eine verbreitete Phantasie kleiner Kinder. Für Freud deutete diese Phantasie darauf hin, dass Leonardo seine frühe Kindheit nicht, wie gemeinhin angenommen wurde, beim Vater, sondern bei der Mutter verbracht hatte (FREUD 1957b).
Laut Freud hatte dies weitreichende Folgen für Leonardos Persönlichkeit, seine wissenschaftlichen Interessen und seine künstlerische Tätigkeit. Leonardos ungeheure Wissbegierde, die ihn zur eifrigen Erforschung so vieler Fachgebiete trieb, von der menschlichen und tierischen Anatomie, Botanik und Paläontologie bis hin zu den Gesetzen der Mechanik und Hydraulik, war die Sublimierung eines tiefen Interesses an der Sexualität, die diese Situation in ihm als Kind wachgerufen hatte. Laut Freud beeinträchtigte diese unersättliche Neugierde auch Leonardos künstlerische Tätigkeit und Kreativität.
Er malte langsam und es dauerte lange, bis er seine Werke vollendet hatte; für das Malen der Mona Lisa zum Beispiel brauchte er vier Jahre. Diese Schwierigkeit war die Ursache für die enormen Schäden, die sein berühmtes Gemälde Das Abendmahl, das sich im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie in Mailand befindet, im Laufe der Jahrhunderte erlitten hat. Leonardo entschied sich für den langsamen Prozess des Malens mit Ölfarben und nicht für die haltbarere Fresko-Technik, die eine viel raschere Arbeitsweise erforderte.
Nach Freud hemmte die übersteigerte Sublimierung des Sexualtriebs auch Leonardos Sexualleben. Leonardo war sehr schüchtern, sexuell verklemmt und blockiert. Der Sexualakt stieß ihn ab, und bis auf wenige Ausnahmen – einige Zeichnungen zur Anatomie der Schwangerschaft und eine merkwürdige Skizze zum Geschlechtsakt – vermied er sexuelle Themen. Er hatte offenbar keine Beziehung zu einer Frau und bevorzugte schöne junge Männer als Modelle und Schüler. Während seiner Lehrjahre bei Andrea del Verocchio wurde er wegen homosexueller Beziehungen (damals »Sodomie« genannt) angeklagt. Freud führte Leonardos homosexuelle Neigungen auf die Enttäuschung zurück, die er als Kind erlebte, als er entdeckte, dass seine Mutter keinen Penis besaß.
Freud verwies auch auf die Konflikte Leonardos im Zusammenhang mit Aggression. Er war Vegetarier und war dafür bekannt, dass er gefangene Vögel auf dem Markt kaufte und wieder freiließ. Als Konstrukteur/Ingenieur für Lodovico Sforza entwarf er jedoch eine große Anzahl von Kriegsmaschinen, von denen einige wirklich teuflisch waren. Freud legte in seiner Untersuchung großen Wert auf die Tatsache, dass der Vogel in Leonardos Kindheitserfahrung ein Geier war. Er wies darauf hin, dass die alten Ägypter daran geglaubt hatten, dass es nur weibliche Geier gäbe und dass sie vom Wind im Flug befruchtet würden. Diese Vorstellung wurde von den christlichen Kirchenvätern als Argument für die Möglichkeit einer unbefleckten Empfängnis verwendet.
Freud fand eine überraschende Bestätigung für seine These im Werk von Oskar Pfister, einem lutheranischen Geistlichen und Laienanalytiker, der behauptete, dass Leonardos Gemälde Anna selbdritt die verborgene Gestalt eines Geiers enthalte, dessen Schweif sich in der Nähe des Kindermunds befindet (PFISTER 1913). Diese Entdeckung ist äußerst verwirrend, da Freuds Verweise auf einen Geier auf einem sprachlichen Fehler beruhten. Das Wort nibbio, das Leonardo in der Beschreibung seiner Kindheitserinnerung verwendet, bezeichnet in Wirklichkeit einen Milan (Milvus milvus) und nicht einen Geier (Gyps fulvus). Als Freud diesen Fehler entdeckte, war er zutiefst enttäuscht, denn er hielt, wie er Lou Andreas-Salomé in einem Brief vom 9. Februar 1919 gestand, den Leonardo-Essay für »das einzig Schöne«, das er je geschrieben habe.
Gemäß Freud fand die Komplexität der Beziehung Leonardos zu seiner Mutter ihren Ausdruck in dem geheimnisvollen, ambivalenten »leonardesken Lächeln« von Leonardos Mona Lisa – gleichzeitig kalt und sinnlich, verführerisch und zurückhaltend. Leonardo brauchte äußerst lange, um sie zu malen; das Gemälde galt als unfertig, als er es nach vier Jahren Arbeit mit nach Frankreich nahm. Dieses Lächeln spielt auch in einigen anderen Gemälden von ihm eine wichtige Rolle, darunter Johannes der Täufer, Bacchus und andere.
Es ist wichtig, Freuds Eingeständnis zu erwähnen, dass die Psychoanalyse nur für das Verständnis des Inhalts von Kunstwerken von Bedeutung ist, aber nichts zum Phänomen des Genies beizutragen hat. Freuds Versuch, Künstler und Kunstwerke zu analysieren, war ein bahnbrechendes Unterfangen auf einem neuen Gebiet, aber im Wesentlichen ein bedeutender Misserfolg. Der Aufsatz des Jungianers Erich Neumann mit dem Titel Kunst und schöpferisches Unbewusstes: Leonardo da Vinci und der Mutterarchetyp enthielt eine scharfe Kritik an Freuds Interpretationen und wies auf einige wesentliche sachliche Fehler hin, die Freuds Argument und seinen Aufsatz irrelevant machten (NEUMANN 1974). Er zeigt auch, wie sich das Verständnis von Kunst verändert, wenn wir die transpersonale Perspektive des Jungschen kollektiven Unbewussten und die Dynamik der Archetypen einbeziehen.
Neumann präsentierte Beweise dafür, dass Leonardo mit seinem Vater und seiner Stiefmutter im Haus seines Großvaters gelebt hatte und nicht von seiner Mutter, sondern von seiner Großmutter erzogen worden war. Diese Fakten widerlegten Freuds Spekulationen über Leonardos Beziehung zu seiner Mutter und deren Auswirkungen auf seine Wissbegierde, seine sexuelle Orientierung und seine Kunst, die den Eckpfeiler des Essays bildeten. Neumann zeigte auch, dass die weitreichenden Spekulationen von Freud über den »Geier« in Leonardos Kindheitserinnerung mit Freuds schwerwiegendem sprachlichen Irrtum verbunden waren.
Allerdings war für Neumann der sprachliche Fehler Freuds von relativ geringer Bedeutung. Er korrigierte nicht nur die sachlichen Fehler in Freuds Studie, sondern verlagerte auch den Schwerpunkt von Leonardos Analyse auf die archetypische Ebene und brachte das Element der »höheren Kreativität« ein. Für Jungianer entspringt die Inspiration eines Genies dem archetypischen Bereich, nicht dem biographischen (siehe auch James Hillmans The Soul's Code, HILLMAN 1996).
Für Neumann war der Vogel Leonardos das uroborische Symbol der Großen Mutter, die sowohl männlich als auch weiblich ist. Er ist das archetypische Weibliche, die allgegenwärtige Kraft der Natur und die schöpferische Quelle des Unbewussten. Die stillende Mutter ist uroborisch; ihre Brüste werden oft als phallisch dargestellt; sie nährt und befruchtet sowohl das männliche als auch das weibliche Kind. Es war Leonardos Verbindung mit der archetypischen Großen Mutter, die laut Neumann die Quelle seiner immensen Kreativität war. Leonardos treibende Kraft war spiritueller, nicht sexueller Natur.
»Daher ist die Große Mutter uroborisch: furchtbar und verschlingend, wohltätig und schöpferisch; eine Helferin, aber auch verführerisch und zerstörerisch; eine verrückt machende Zauberin und doch eine Trägerin der Weisheit; bestialisch und göttlich, wollüstige Hure und unantastbare Jungfrau, unermesslich alt und ewig jung«. (NEUMANN 1974)
Mona Lisa spiegelte mit ihrem enormen Reichtum, ihrer Vieldeutigkeit und Rätselhaftigkeit nicht die stark ambivalente Beziehung Leonardos zu seiner leiblichen Mutter wider. Stattdessen verkörpert sie eindeutig eine Anima-Figur, die Sophia. Das Bild vom Geier, das in Leonardos Gemälde versteckt ist, könnte ein Scherz gewesen sein. Leonardo war bekannt für seine Verspieltheit und für seine starke Opposition gegen jede weltliche und religiöse Autorität. Vielleicht wollte er damit den Versuch der Kirchenväter lächerlich machen, den angeblich geschlechtslosen Geier zu benutzen, um die Möglichkeit einer unbefleckten Empfängnis zu untermauern.
Freuds Versuch, die Psychoanalyse auf das Verständnis von Fjodor Michailowitsch Dostojewski in seinem Aufsatz Dostojewski und die Vatertötung anzuwenden, war ebenso erfolglos. In diesem Text kam Freud zu dem Schluss, dass Dostojewski nicht an Epilepsie litt, einer organischen neurologischen Erkrankung, sondern an Hysterie, einer durch ein emotionales Trauma verursachten Psychoneurose. Er maß dem Gerücht, dass Dostojewskis Vater von seinen Leibeigenen ermordet wurde, große Bedeutung bei und behauptete, dies sei die Ursache für Dostojewskis angebliche »Epilepsie« (FREUD 1957a).
Laut Freud spiegelte die Ekstase, die Dostojewski zu Beginn der Anfälle erlebte, dessen Freude über die Nachricht vom Tod seines verhassten Vaters und seine eigene anschließende Befreiung wider. Auf die Ekstase folgten ein Sturz, ein lauter Schrei, Krämpfe und Bewusstlosigkeit (typische Grand-mal-Anfälle). Die langsame und verwirrende Erholungsphase war mit Depressionen und einem tiefen Schuldgefühl verbunden, als ob er ein großes Verbrechen begangen hätte.
Freud interpretierte diese Symptome als eine Strafe, die Dostojewski von seinem Über-Ich auferlegt wurde – die Autorität des Vaters, die in sein Unterbewusstsein eindrang: »[…] das ganze Leben Dostojewskis«, schrieb Freud, »wird von der zweifachen Einstellung zur Vater-Zar-Autorität, der wollüstig masochistischen Unterwerfung und der empörerischen Auflehnung dagegen beherrscht.« Freuds Schlussfolgerungen wurden sowohl von Neurologen als auch von Historikern scharf kritisiert; Dostojewski litt an Epilepsie, nicht an Hysterie, und sein Vater wurde nicht ermordet.
Freuds Interpretationen von Goethes Dichtung und Wahrheit und Wilhelm Jensens Gradiva sowie Shakespeares Kaufmann von Venedig und König Learbrachten keine großen Enthüllungen. In Dichtung und Wahrheit führte Freud den Begriff der »Geschwisterrivalität« ein und benutzte ihn, um die Zerstörung eines Puppenhauses durch den kleinen Goethe zu erklären, indem er sie auf dessen Wut über die Geburt seiner Schwester zurückführte; allerdings konnte er keinen Beweis dafür erbringen, dass diese beiden Ereignisse tatsächlich zeitlich zusammenfielen (FREUD 1917). In Gradiva benutzte Freud das Bild des von Vulkanasche bedeckten Pompeji als dramatische Veranschaulichung einer im Unterbewussten vergrabenen Kindheitserinnerung (FREUD 2003). Auch seine Analysen der beiden Shakespeare-Stücke sind komplex, verworren und nicht überzeugend (FREUD 1913).