Kitabı oku: «Der rote Elvis», sayfa 5
Die neue Welt
Dean Reed lernte neue Freunde kennen und begriff, daß die Eroberung der neuen Welt nichts mit tapferem Pioniergeist zu tun hatte und Amerika eine Lüge lebte. Er traf auf chilenische Intellektuelle, die vom Erbe der Inkas und von Zeiten berichteten, die in den amerikanischen Geschichtsbüchern als »präkolumbianisch« oder »Vorgeschichte« bezeichnet wurden. Mit ein paar Sätzen wurde die Zeit vor 1492 an US-High-Schools als ein unbeschriebenes Blatt geschildert. Der Genozid an der Urbevölkerung wurde ausgeblendet. Ständig berief sich die amerikanische Geschichtsschreibung auf tapfere Pioniere und Grenzreiter, die sich gegen ein paar »Wilde« zur Wehr setzen mußten.
In einem Interview vom 7. Oktober 1982 im Berliner Rundfunk erinnerte sich Dean Reed an den Wandel, der in dieser Zeit in ihm vorging: »Wir glauben in Amerika, die ganze Welt liebt uns, und dann plötzlich fährt man nach Südamerika, wo man in jedem Land ›Yankee, go home‹ sieht, und man sagt zuerst einmal: warum? Ich bin sympathisch. Auf einer Seite sind meine Konzerte voll, aber irgendwie schreiben sie: ›Yankee, go home‹. Es ist ganz klar, sie meinen nicht die Künstler, die aus den USA kommen. Wieder war zu versuchen, diesen großen Kontrast zu verstehen. Warum haben sie die Amerikaner gehaßt? Und es gibt einen Grund. Es ist ganz klar, daß diese privilegierten Gruppen nur an der Macht bleiben können, solange sie die Militär-, ökonomische und politische Hilfe aus den USA haben, gegen den Willen des Volkes. Und das mußte ich verstehen. Das ist nicht einfach für einen Amerikaner.«
The First Nations
Die Geschichte der Ausbeutung und Kolonisation Südamerikas geht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Die Indianer bzw. die First Nations des Kontinents wurden von europäischen Plünderern überfallen, die es vor allem auf Gold abgesehen hatten. Im Zeitraum von fünfzig Jahren verwandelte sich Südamerika in eine Landschaft von Gold- und Silberminen. Innerhalb von hundert Jahren sank die Bevölkerungszahl der Ureinwohner von 70 bis 100 Millionen auf 12 Millionen, aber bis 1650 hatten sich die Europäer dafür bereits 180 bis 200 Tonnen Gold angeeignet. Nach der Hinrichtung des letzten »Rädelsführers« Tupac Amaru im Jahre 1572 war das uralte Volk der Inkas nur noch eine Randnotiz der Geschichte.
Die eigentliche Wende begann erst mit Kolumbiens Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1810. Ein Jahr später gründete sich Venezuela, und 1816 folgte Argentinien. Der neue Imperialismus war in vollem Gange, und die USA machten deutlich, daß man sich gegenüber den Europäern zu behaupten gedachte. 1893 besetzten sie Hawaii, 1898 kamen Kuba und Puerto Rico dazu. Im Anschluß daran besetzte die amerikanische Armee die Philippinen und richtete dort fürchterliche Massaker an. 1912 wurde Nicaragua besetzt. Erst 1934 übergab man dort das Zepter an den Somoza-Clan, der bis 1979 weiter jede Opposition brutal unterdrückte.
Die Entdeckung der Vulkanisation führte zu einer neuen Eroberungswelle. Diesmal ging es um die Gummibäume in Südamerika. Bis 1920 hatte man bereits ungefähr 95 Prozent des Bestandes gerodet. Nebenbei starben wieder Zehntausende von Ureinwohnern. Für die Nachkommen der Urbevölkerung änderte sich nichts. Sie wurden von den Besatzern weiter als Menschen zweiter Klasse betrachtet, begannen aber, sich zu organisieren und für ihre Rechte als Arbeiter zu kämpfen. 1912 wurde in Chile die Sozialistische Arbeiterpartei gegründet, die einen regen Zulauf fand.
In seinem Interview im Berliner Rundfunk vom 7. Oktober 1982 schilderte Dean Reed seinen persönlichen Eindruck: »Wenn man nach Südamerika fährt, muß man blind sein, nicht die Ungerechtigkeit sehen zu können. Es gibt nur zwei Klassen. Eine, die, vielleicht 20 Prozent, die total privilegiert ist, und die anderen 80 Prozent, die wirklich in Armut und Elend leben mit Hunger. Und ich habe immer diesen Widerspruch gesehen. Ich hatte immer zwei Arten von Verträgen. Meine Verträge waren, abends zu singen in den größten Nightclubs (…) nur für die reichsten Leute. Aber dann am Sonnabend oder Sonntag ist man in die Fußballstadien gegangen und da waren z. B. 20.000 von den Ärmsten. Weil dann, wenn es 20.000 sind, können sie weniger bezahlen und immer noch den Künstler bezahlen. Und es war so ein Kontrast und Widerspruch zwischen diesen zwei Klassen. Ich als Amerikaner habe das zum ersten Mal gesehen, und ich war geschockt. Danach sucht man die Wahrheit Schritt für Schritt und sagt, warum ist das, wie kann das sein, daß es so viel Elend gibt und zur selben Zeit so viel Reichtum auf der anderen Seite. Und dort bin ich ein Revolutionär geworden. Aber sehr langsam, ist klar. Die Wahrheit kommt sehr langsam zu einem.«
Das neue Lied
Anfang der Sechziger entstand in Chile die Tradition des Nueva Canción, des neuen Liedes. Damit verband man neben Violeta Parra und Gruppen wie Inti-Illimani und Quilapayun vor allem den populären Volkshelden Victor Jara, den Dean Reed sehr bewunderte und der neben Elvis Presley und Paton Price den größten Einfluß auf ihn hatte. 1970 lernte Reed, vermittelt durch Salvador Allende, Jara auch persönlich kennen. »Victor war ein sehr lebensfroher Mensch«, erinnerte sich Dean Reed in der »Neuen Berliner Illustrierten« Nr. 42 von 1977. »Und dabei sehr bescheiden. Meist saß er etwas abseits und spielte für sich auf der Gitarre. Erst wenn er auf der Bühne stand, lebte er richtig auf.«
Victor Jara, geboren in Loquen, wuchs mit vielen Geschwistern und einem gewalttätigen Alkoholiker als Vater auf. Nachdem er zunächst Priester werden wollte, wandte er sich später dem Theater zu. Nebenbei sang er zur Gitarre in einem Café in Santiago. Jara, der als begeisterter Kommunist galt, war ein Mann des Theaters, als er mit der Musik begann. Sein Sinn für Theatralik verlieh der Darbietung seiner Songs eine spezielle Qualität. Er sang gegen die herrschende Elite seines Landes an und verfaßte nebenbei poetische Manifeste.
In seinem manifestartigen Artikel »Das Lied für das Volk«, der in Wolfgang Sternecks »Kampf um die Träume« (Hanau, 1995) dokumentiert ist, schrieb Victor Jara: »Wenn ein Volk beginnt, seinen Kampf um seine kulturelle Identität zu führen, bedeutet das, daß es sich seine eigene Musik schafft. Darum hat das Lied folkloristischen Ursprungs einen solchen Aufschwung bekommen, es hat die offiziell geförderte Folklore der Postkartenklischees, der idyllischen Weltsicht als Pseudofolklore entlarvt, als eine Ware.«
Jara mochte sich nicht als Protestsänger bezeichnen lassen, und bevorzugte statt dessen die Bezeichnung »revolutionäre Lieder« für seine Songs. Der Protestsong war bereits in dieser Zeit kommerzialisiert worden, und Amerika bot in seinen Supermärkten die neuesten Idole zum »Dagegensein« an.
1967 hatte Victor Jara seinen Song »El Aparecido« mit der Widmung »Für E. (CH.) G.« versehen, eine Referenz an den im gleichen Jahr verstorbenen Ernesto Che Guevara. Die Single war bei Odeon, der chilenischen Dependance von EMI Records, erschienen. Diese Art von versteckten Hinweisen wurde vom Volk honoriert, das sich gegen den Einfluß der amerikanischen Konzerne wehrte.
Nachdem sich der Diktator Augusto Pinochet 1973 gegen die 1970 demokratisch gewählte Regierung des Kommunisten Salvador Allende blutig an die Macht geputscht hatte, wurde Victor Jara mit Tausenden von Menschen im Nationalstadion von Santiago eingesperrt. Als man ihn erkannte, brach ihm einer der Folterknechte die Handgelenke, um zu demonstrieren, daß er nie wieder Gitarre spielen würde, besagte die Legendenbildung. Seine Frau Joan, die ihn in den Leichenkellern gefunden hatte, verneinte diese Geschichte. Victor Jara wurde vier Tage lang brutal gefoltert und anschließend erschossen. Seine Frau, die einen britischen Paß besaß, entkam mit Hilfe eines skandinavischen Fernsehteams in letzter Sekunde den Todesschwadronen. Es war der 11. September 1973, und die Welt trauerte.
Das Lied von der Freiheit
Reeds Perspektive hatte sich verändert. Gegen die politische Musikkultur, die die Vertreter der »Nueva Canción« boten, waren seine Songs nur kulturimperialistischer Versatz ohne Seele und Gefühl. Er beschloß also, »seinen Einfluß zu benutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen«, wie er selbst in seiner Autobiographie zu Protokoll gab. Amerika schien ihm nichts mehr zu bieten zu haben, während er in Argentinien, wo sich »The Search« auf Platz 1 der Charts festgesetzt hatte, von zahllosen Fans am Flughafen erwartet wurde. Nach einem halbjährigen Spanischkurs in den USA packte er 1962 endgültig seine Koffer. Reed hatte weitere Touren zugesagt und füllte 1962 die großen Hallen zwischen Kap Horn und Zuckerhut. Später bezeichnete er sich in dieser Phase als einen »Revolutionär im Embryonalzustand«.
Nach einem Auftritt in Brasilien war Dean Reed plötzlich spurlos verschwunden. Freunde und Verwandte waren entsetzt und schickten einen Suchtrupp los, aber nach einigen Wochen tauchte der Star von allein wieder auf. Er war einer Gruppe von Fans an den Amazonas gefolgt und hatte die Zeit im Dschungel verbracht.
»Es war das erste Mal, daß ich in Südamerika keine ›Yankee, Go home‹-Schilder gesehen habe«, schrieb er in seiner Autobiographie. »Für die Indios sind Amerikaner ganz normale Menschen. Sie haben mit ihnen noch keine schlechten Erfahrungen machen können – einfach deshalb, weil sie von uns noch keine kennengelernt haben.«
Der Löwe von Moskau
Im Mai 1962 gab es in Chile nur ein Thema: die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land, die Ende des Monats beginnen sollte. Alle anderen Probleme wurden von der euphorischen Begeisterung für dieses Ereignis beiseite gedrängt.
Dean Reed, der für eine Radiosendung in Chile weilte, lernte in seinem Hotel in Santiago Lew Jaschin kennen, den Torhüter des sowjetischen Fußball-Nationalteams. Jaschin war ein Titan in einer Sportart, die in Amerika so unpopulär war, wie es eine Sportart nur sein konnte. Man nannte ihn auch den »Löwen von Moskau«, und der begehrte Pokal für den weltbesten Torhüter des Jahres wurde später nach ihm benannt. Die beiden Männer verbrachten einen amüsanten Abend zusammen, und der eloquente Torwart hinterließ einen bleibenden Eindruck bei Dean Reed, der nun auch seine Vorurteile gegenüber den Russen hinterfragen mußte. In seiner Autobiographie erinnerte er sich später: »Jahre meines Lebens hatte ich Tag für Tag immer wieder hören und lesen müssen, daß die Russen die Welt erobern möchten, daß sie eine Gefahr für die Menschheit, daß sie seelenlose Roboter im Dienste einer menschenfeindlichen Gesellschaftsordnung seien. Gewiß, ich war damals schon zu anderen politischen Erkenntnissen gekommen, längst hatte ich Sowjetbürger kennengelernt, die mir durch ihre offene und ehrliche Art sympathisch geworden waren, doch jene Vorurteile waren tief verwurzelt.«
Lew Jaschin lud Reed zu einem Spiel ins Stadion ein. Dieser revanchierte sich, indem er die gesamte Mannschaft bei seinem Konzert auf die Gästeliste setzen ließ. Tags darauf erschienen Fotos von den Fußballern beim Umtrunk mit dem Popstar in der Presse. Dean Reed wurde vom amerikanischen Botschafter und zusätzlich im chilenischen Büro von Interpol befragt. Man warf ihm vor, mit dem »Löwen von Moskau« Bier getrunken zu haben. Vermutlich hatte die CIA beschlossen, daß ein Fußballspiel per se unamerikanisch ist und mit sowjetischer Teilnahme sowieso. Der Verdacht »unamerikanischer Umtriebe« lag also nahe. Man fand einen Kompromiß: Reed »durfte« das Fußballspiel besuchen, und der Radiosender, der seine Tour präsentierte, »durfte« die Mannschaft einladen. Als Person des öffentlichen Lebens schützte Dean Reed damit seine amerikanische Staatsangehörigkeit, und seine Popularität in Chile reichte offenbar, um die Affäre als Lappalie zu verbuchen.
»Sport, Kunst und Wissenschaft sollten dem Frieden und der Völkerverständigung dienen«, kommentierte Dean Reed im Dokumentarfilm American Rebel von Will Roberts.
Am 22. Mai 1962 berichtete die »Los Angeles Times« von einem internationalen Zwischenfall besonderer Art, und Dean Reed machte in den Medien erneut auf sich aufmerksam: »Der Auftritt eines Hollywoodsängers außerhalb der Rock ’n’ Roll-Szene, eine Einmischung in Fragen der Nuklearpolitik, bewirkte vergangenen Montag große Aufregung, wie in Hollywood und Washington, aus Santiago de Chile und der peruanischen Hauptstadt Lima bekannt wurde. Der Sänger heißt Dean Reed, 24, und ist ein bei Capitol Records unter Vertrag stehender Künstler, bei dessen Auftritten die Teenager in Lateinamerika vor Begeisterung fast in Ohnmacht fallen.«
Dean Reed hatte Anzeigen in südamerikanischen Zeitungen geschaltet und dazu aufgefordert, Protestbriefe an Kennedy und Chruschtschow zu schreiben, um weitere Atomtests zu verhindern, mit denen die USA drei Wochen zuvor in der Nähe der Weihnachtsinseln im Pazifik begonnen hatten. Politische Äußerungen von Popstars waren in der Öffentlichkeit zwar nicht erwünscht, aber Dean Reed erhielt trotzdem Beifall von verschiedenen Seiten. Kein amerikanischer Popstar vor ihm hatte so etwas gewagt bzw. seine Karriere in den USA so leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Kennedy war not amused. Not amused at all! Überdies hatte er anderes zu tun, denn Kennedys Geheimdienste beschäftigten sich gerade mit der Gefahr sowjetischer Waffenlieferungen an Kuba, ein Szenario, das die Welt wenig später an den Rand eines Atomkrieges bringen sollte.
Im April des Vorjahres hatte Kennedy sich zudem auf die Invasion der Schweinebucht eingelassen, um Fidel Castro durch einen provozierten Volksaufstand zu entmachten. Die Operation wurde zu einem Fiasko für die USA. Nach zehn Tagen hatte sich auf Kuba weder Volk noch Militär zur Unterstützung erhoben, und das Kommando endete kläglich mit dem Tod oder der Gefangenschaft der Angreifer. Kennedy stand wie ein gescheiterter Aggressor da und mußte sich beweisen. Da kam ihm einer wie Dean Reed wohl gerade recht, um quasi nebenbei ein wenig Stärke zu demonstrieren.
James Loeb, der US-Botschafter in Peru, sorgte sofort dafür, daß eine angekündigte Dean-Reed-Tour in Peru abgesagt werden mußte. Ein Mitglied der US-Botschaft in Chile drohte, seinen Ausweis zu konfiszieren, wenn er seine Agitation nicht beenden würde, aber Dean Reed kümmerte sich nicht darum und machte die Drohung öffentlich.
Aus der Affäre wurde ein Skandal. Prominente wie Paton Price und Marion McKnight, die Miss America 1957, forderten ein Ende der Sanktionen. Sie schickten Telegramme an den US-Botschafter in Peru und US-Außenminister Dean Rusk. Washington war gezwungen zu reagieren. Lincoln White, Sprecher des Außenministeriums, dementierte alle Vorwürfe, warnte Reed aber, er möge »nichts tun, was den Interessen seines Landes schade«.
Als hätte das Weiße Haus zu dieser Zeit keine anderen Sorgen gehabt, galt Dean Reed fortan als jemand, der zu gefährlich für amerikanische Interessen war, um an ein Mikrofon gelassen zu werden.
Seine Karriere schien in Gefahr. Er mußte fortan der Arbeit folgen, wenn er es zu etwas bringen wollte. So lautete jedenfalls Dean Reeds Version, die suggerierte, er hätte in den USA eine Art Arbeitsverbot gehabt. Tatsächlich war er aber 1963 zunächst wieder in die USA zurückgekehrt und hatte erneut versucht, in Hollywood Fuß zu fassen.
Back in the USA
Dies schien zunächst auch zu gelingen, wenn auch in kleinem Rahmen: 1963 drehte Dean Reed eine Zigarettenwerbung unter der Regie von Garry Marshall in New York. In dieser Zeit lernte er Patricia »Patty« Hobbs kennen, eine junge Schauspielerin, die bereits romantische Verabredungen mit Ricky Nelson und Elvis Presley hinter sich hatte.
Patty Hobbs hatte am selben Abend eine Verabredung mit Les Brown jr., der gerade im Jerry Lewis Club am Sunset Boulevard auftrat, aber sie kam zu spät zu ihrem Rendezvous. Sie versetzte für den Mann aus Colorado dabei auch den Hausherren Jerry Lewis, der ein guter Freund von Les Brown jr. war und mit an dessen Tisch saß. Am nächsten Tag tauchte das frischgebackene Paar bei einer Party von Roger Smith auf. 48 Stunden später zog Patty Hobbs mit Dean Reed in dessen neue Wohnung in Los Angeles.
»Ich nannte die Wohnung das ›Baumhaus‹, weil vor dem Haus ein riesiger Baum stand«, erinnert sich Patty Hobbs in einer Nachricht im Forum von randomwalks.com. »Diese drei bis vier Monate im ›Baumhaus‹ waren ein unglaublicher Lernprozeß. Wir waren keine Hippies, aber wir waren in die Ereignisse dieser Zeit involviert. Martin Luther King, Jane Fonda, die Rechte der Indianer etc. […] Es war wie die Geburt einer Nation, ein Vogel, der seine neuen Flügel ausprobiert.«
Patricia Hobbs, geboren am 29. April 1939 in Alabama und ebenso blond wie blauäugig, hatte Dutzende von Schönheitswettbewerben gewonnen und nebenbei am Colorado Woman's College und im Actor's Studio New York City einige Jahre Kunst und Theater studiert. Sie hatte in San Diego eine Weile als Wetterfrau gearbeitet und war danach in einer Reihe von Werbespots aufgetreten. Gelegentlich bekam sie auch kleine Rollen in TV-Serien wie The Adventures of Ozzie and Harriet oder Saints and Sinners, aber der große Durchbruch blieb aus. 1964 hatte sie ihren größten Kurzauftritt in der mexikanischen Produktion Love has many faces mit Lana Turner.
An der Seite von Dean Reed tauchte Patricia Hobbs auch in mexikanischen Foto-Comics auf, die in Südamerika sehr erfolgreich waren.
Es war einmal in Mexiko
1964 zog Dean Reed gemeinsam mit Patty Hobbs, die er später auch heiraten sollte, nach Mexiko, und drehte unter der Regie von Julio Bracho seinen ersten Film: Guadalajara im Sommer (Guadalajara En Verano), in dem er Robert Douglas, einen amerikanischen Studenten, spielte, der mit seiner Clique Guadalajara besucht, um zur Sommerschule zu gehen und sich in ein mexikanisches Mädchen namens Lourdes (Alicia Bonet) verliebt. Den Höhepunkt bildete der Song »Don’t Tell Him No« zur Melodie von »When The Saints Go Marchin’ In«, der eine recht alberne Twist-Szene am Strand untermalte.
Der Film war eine seltsame Mischung aus Teenager-Musikfilm und Werbung für Mexiko mit amüsantem Blick auf die Nachbarn im Norden. Ein mexikanischer Professor klärte auf, Mexiko hätte die Sklaverei schon im frühen 19. Jahrhundert abgeschafft, woraufhin einer der Studentinnen entfuhr: »Fünfzig Jahre vor Lincoln?«
Ansonsten war viel malerische Landschaft zu betrachten, und die Sehenswürdigkeiten von Guadalajara wurden in allen erdenklichen Weisen ins Bild gerückt, um den Übergang zwischen zwei Szenen zu füllen. Die Teenager verhielten sich dabei durchgehend züchtig. Guadalajara En Verano wurde 1964 beim Acapulco-Filmfestival mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Produzent José Luis Bueno drehte mit Cuernavaca en Primavera (Cuernavaca in Springtime) und Los Angeles De Puebla (The Angels of Puebla) später zwei sehr ähnliche Filme. Die weibliche Hauptrolle in Guadalajara En Verano spielte die geheimnisvolle Elizabeth Campbell, eine der großen Legenden gediegener Schund-Unterhaltung. Sie tauchte 1961 erstmals in Los Pistoleros auf und wurde mit den Luchadoras- bzw. Wrestling Women-Filmen von Alfredo Salazar zur Kultfigur. Vor allem The Wrestling Women vs. the Mummy wurde in Insiderkreisen als Garant für gute Laune gehandelt. Besagter Film hatte leider ein sehr geringes Budget, weshalb man auf die Mumie weitestgehend verzichten mußte. Dazu kam, daß die Schauspielerinnen ihre Stunts nicht selbst machten und in dem Action-Streifen deshalb nur selten zu sehen waren.
Elizabeth Campbell drehte bis Ende der Sechziger diverse Filme in Mexiko und verschwand 1969 genauso spurlos, wie sie acht Jahre zuvor aufgetaucht war. Ebenso wie Dean Reed war sie dem Ruf nach Mexiko gefolgt, weil man dort zu dieser Zeit einen großen Bedarf an Schauspielern hatte, die nicht wie Latinos aussahen.
In jenen Jahren glaubte man, ein richtiger Film müsse amerikanisch aussehen. Mit mehr oder minder abgekupferten Western, Horror- und Musikfilmen hatte das Land eine rege Filmwirtschaft entwickelt, und während der sechziger Jahre importierte man amerikanische Stars wie Boris Karloff, John Carradine, Jeffrey Hunter, Glenn Ford oder Lana Turner, um Filme von internationalem Format zu drehen. In Italien gab es zur gleichen Zeit eine ähnliche Entwicklung mit dem Spaghettiwestern.
1964 reiste Reed für die Dreharbeiten von Love has many face mit Patty Hobbs nach Mexico City. In ihrer Beziehung hatte es mächtig gekriselt seit Patty schwanger geworden war und zunächst sah es nach einer Versöhnung aus. Man verbrachte einen Abend bei Kerzenlicht und genoss das Fest zum mexikanischen Tag der Toten. Aber aus heiterem Himmel bestand Dean Reed plötzlich darauf, dass seine Freundin das Kind in Mexiko abtreiben sollte. In den USA wäre dies illegal gewesen. Nach langer Auseinandersetzung gab die junge Frau unter Tränen nach. Reed brachte sie in eine schmuddelige Klinik am Rande der Stadt und ließ sie dort allein zurück. Am nächsten Morgen tat er so als wäre nichts passiert und eröffnete ihr dann, dass er sie verlassen würde. Patty Hobbs war am Boden zerstört, verliebte sich aber kurze Zeit später in den Schauspieler Hugh O’Brien, der von 1955 bis 1961 in den USA als Wyatt Earp im Fernsehen zu sehen gewesen war. Als Dean Reed davon erfuhr, war er außer sich vor Wut und macht seiner Ex kurz darauf einen Heiratsantrag. Während der Zeit von Dean Reeds erster Tour durch die Sowjetunion hatte Patty Hobbs Reed eine weitere Abtreibung in Moskau, für die sie ihren Mann per Telegramm um Erlaubnis bat. Bis 1968 hatte sie dazu sieben Fehlgeburten während ihrer Beziehung mit Dean Reed.
Das Paar blieb 1964 noch ein paar Monate in Mexiko, wo Reed für Musart die Mini-LP »Dean Reed« aufnahm, bevor ihn seine Karriere 1965 nach Argentinien führen sollte. Wieder folgte er der Arbeit und verbesserte sein Spanisch. Er bekam ein neues Engagement in der Telenovela Todo Es Amor (Alles ist Liebe), einer Serie, deren Sinn darin bestand, neue Künstler mit ihren Songs im Fernsehen auftreten zu lassen, eine Art Father Bachelor auf argentinisch. Star von Todo Es Amor war die beliebte Sängerin Violeta Rivas, die dem Publikum mit ihrem Kollegen Néstor Fabián im Rahmen der Serie eine Romanze vorspielte. Ähnliches hatte man in Deutschland mit Conny Froebess, Roy Black, Peter Kraus & Co veranstaltet.
Für Violeta Rivas und Néstor Fabián wurde die inszenierte Affäre jedoch im Laufe des Jahres zu einer echten Beziehung. Das Paar heiratete Jahre später und fütterte die Boulevardmedien mit immer neuen Details aus ihrem Leben. Néstor Fabián machte sich später auch als Tangosänger einen Namen.
Dean Reed spielte eine Nebenrolle in Todo Es Amor. Es ist nicht bekannt, ob er ein festes Engagement oder nur einen einzigen Gastauftritt hatte. Kein Management kümmerte sich um seine Belange. Sein amerikanischer Vertrag muß 1964 in der Konkursmasse von Imperial Records aufgegangen sein, und Dean Reed konnte nicht mehr damit rechnen, einen neuen Vertrag in den USA zu bekommen. Der Auftritt in Todo Es Amor dürfte für ihn also ein Glücksfall gewesen sein. Immerhin konnte er sich an der Seite von Argentiniens Superstars als Schauspieler in Erinnerung rufen. Zeitweise war er auch jeden Freitag al Lehrer Novak in der Teenieserie Anos jóvenes (Die jungen Jahre) zu sehen.
Dean Reed verlieh den ausländischen Adaptionen amerikanischer Genres durch seine Staatsangehörigkeit einen Hauch Authentizität. Hier tat sich erstmals ein Widerspruch auf, der auch seine Karriere im Ostblock bestimmen sollte. Obwohl er mit marxistischen Ideen sympathisierte, bezog er sein Image aus dem zutiefst amerikanischen Way of life. Er wollte der politische Aktivist sein, aber seine Fans bewunderten ihn als Protagonisten der Wild-West-Cowboy-Kultur.
Der Western war Amerikas ursprünglicher Mythos und er funktionierte nicht ohne einen Helden. Es mußte immer einen namenlosen Fremden gehen, einen Vagabunden, einen unschuldigen Typen, der die Zivilisation im Rücken und einen Haufen Probleme vor sich hatte, die er mit untrüglichem Sinn für Gerechtigkeit und einem nötigen Maß an Gewalt aus dem Weg räumen mußte. Es war das Klischee des ungebundenen Herumtreibers ohne soziale Bindungen, der den Mythos trieb und eben dieses Image bediente Dean Reed perfekt.
Dean Reed entstammte selbst einem Western. Er war jenseits der Rocky Mountains aufgewachsen, nicht weit entfernt vom Grab von William »Buffalo Bill« Cody. Seine Selbstüberschätzung war nicht weit entfernt von der Codys, der einst vorgeschlagen hatte, sich selbst und 30.000 Indianer nach Kuba zu verschiffen um die Spanier zu bekämpfen. Auch Cody verwechselte die Bühne seiner Western Show mit dem richtigen Leben. Er war sehr früh mit seiner Rolle verschmolzen und konnte am Ende nur noch schwer zwischen Realität und Inszenierung unterscheiden. Für Dean Reed verschmolz diese Grenze während seiner Jahre in Südamerika immer mehr.
Es ist strittig, wie lange Reeds kommerzieller Erfolg in Südamerika tatsächlich angehalten hat. Er hüllte sich darüber in Schweigen und vermied genaue Angaben. Der in New York geborene Journalist Victor Grossman, der seit den fünfziger Jahren in Ost-Berlin zu Hause ist und für Dean Reed lange Zeit als Dolmetscher arbeitete, sagte der »Märkischen Allgemeinen Zeitung« am 8. Februar 2003: »Mir hat er auch viel Persönliches erzählt. Zum Beispiel, daß er in Buenos Aires mal in einem Bordell lebte, weil er nichts hatte.« Grossman sagte an anderer Stelle auch, Reed habe zeitweise als Callboy gearbeitet. Ganz so spektakulär war also Dean Reeds Erfolg in Argentinien möglicherweise nicht.
In den alten Ausgaben der Zeitschrift »Billboard«, die inzwischen im Internet archiviert wurden, finden sich noch immer die alten Hitparaden aus Südamerika und dort ist Reed insgesamt nur mit drei Singles in Peru und Argentinien vertreten. Mit »El Amor Es La Fuerza Mas Poderosa« kletterte er 1963 bis auf Platz 4 der peruanischen Charts. 1964 wurde in Argentinien ein Platz 17 für die Single »La Bamba« verzeichnet und 1965 schaffte es Reed mit seiner Version von Bert Kaempferts „Red Roses For A Blue Lady dort sogar auf Platz 4. Seine Popularität schien sich also nicht unbedingt gleichzeitig in Plattenverkäufe zu verwandeln.
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