Kitabı oku: «Dantes Theologie: Beatrice», sayfa 2

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1.3 Aufriss der Interpretationsmöglichkeiten der Bedeutung Beatricens

E. Gilson spricht von der »philosophischen Eigenständigkeit«8 Dantes, was in gleichem Maß für sein theologisches Verständnis gilt. Daher verbietet sich eine voreilige Vereinnahmung (auch eine theologische) der Göttlichen Komödie, welche das Werk und seine Intention womöglich entstellt bzw. es absichtlich verfälschend interpretiert. Gilson verweist kritisch auf Pierre Mandonnet, der eine theologische Deutungshoheit für Beatrice einfordert und sie als Symbol der christlichen Offenbarung ansieht.9 Gegenüber Mandonnet hebt Gilson hervor, dass Beatrice zunächst die Frau ist, der Dante in Florenz begegnete und nicht von vornherein als Symbol für Philosophie (als irdische Beatrice) und Theologie (als himmlische Beatrice) angesehen werden kann.10 Die irdisch-zwischenmenschliche Erfahrung motiviert Dante, der darin zum Ausbruch kommenden Sehnsucht auch philosophisch nachzugehen, dabei aber stets an Ersterer festzuhalten. Daher ist es nach Gilson »nicht richtig, daß Dante seine Liebe zur Philosophie so geschildert hat, als ob sie den Tod seiner Liebe für Beatrice verursacht hätte. Im Gegenteil : er stellt fest, daß die Fortdauer seiner Liebe für Beatrice ihn zur Lektüre und zum Studium geführt hat, woraus dann seine Liebe zur Philosophie entsprang.«11 Gilson verdeutlicht dies im Verweis auf die Vita Nuova und das Convivio, für die Divina Commedia ist dabei auch eine Liebe zur Theologie bemerkbar.12 Dabei tritt die historische Bice Portinari ganz zurück und ist deshalb in der Poesie Dantes nicht mehr rekonstruierbar.13 Dennoch ist Dantes Werk an irdisch-zwischenmenschliche Erfahrungen gebunden und nur von dort her zu verstehen. Der Sitz im Leben Dantes ist seine Erfahrung der Liebe zu Beatrice derart, »daß die Liebe zu Beatrice in Dantes Leben eine in sich vollständige Ordnung der Gefühle darstellt, die sich selbst genügt und alle notwendigen Elemente nicht nur für ihre Existenz, sondern auch zu ihrer Rechtfertigung in sich enthält.«14 Um die Rolle Beatricens in der DC zu verstehen, muss ihre Existenz als irdische Frau, welcher Dante begegnete, vorausgesetzt werden und bleibt Konstitutiv für alles, was über sie und von ihr im Werk selbst ausgesagt ist.15 Beatrice ist nach Gilson »die Schöpfung eines Künstlers, über die wir nichts wissen und auch nichts wissen können, außer was wir von diesem Künstler wissen, und die wir unmöglich in ihrer Wahrheit erfassen können, es sei denn in ihrem Wesen als Kunstwerk […]. Man täuscht sich dagegen unweigerlich, wenn man die Erklärung eines Kunstwerkes anderswo als in ihm selbst sucht und bestrebt ist, es im Licht einer Ordnung zu beleuchten, der es gar nicht angehört.«16 Die Bedeutung Beatricens nur innerhalb ihres poetischen Auftritts zu suchen – wie Gilson fordert – verweist aber umso mehr auf die Notwendigkeit ihrer Interpretation.

Die vorliegende Arbeit stellt sich dem Kriterium Gilsons : »Die einzige Beatrice, die für den Interpreten Dantes existiert, ist die, welche er in Dantes Werken findet, und dort müssen wir sie auch suchen.«17 Beatrice als Dantes persönlicher Zugang zu theologischer Einsichtnahme zu deuten, verlangt, ihre Rolle in Leben und Werk Dantes, ihre Bedeutung in der Jenseitswanderung daraufhin in den Blick zu nehmen. Die religiöse Dimension der Commedia kommt gerade durch den Auftritt Beatricens als Ermöglicherin des Aufstieges zu Gott zum Ausdruck : »Soweit sie ein Akt und ein Werk im Leben Dantes ist, erscheint die Göttliche Komödie sicherlich an die Geschichte seines eigenen religiösen Lebens gebunden […]. Es ist die gelebte Tragödie eines Christen zwischen Verdammnis und Heil, der erschütternd nach Rettung sich ausstreckende Arm eines Ertrinkenden […]. Allein Beatrice konnte diese Hand ausstrecken.«18 Beatrice muss auf Dante zugehen, da es diesem selbst nicht gelingt, den richtigen Lebensweg einzuschlagen (Inf. II). Gilson betont, dass sie bereits in der Vita Nuova mit einem religiösen Symbolismus19 bekleidet wird, der sich wiederum vielfach deuten und ausgestalten lässt.

So erstrahlt in Beatrice auch die Gnade Gottes, die es Dante ermöglicht, von Himmelssphäre zu Himmelssphäre zu steigen. Sie steht in erster Linie nicht für eine abstrakt-inhaltliche, theologische Vermittlung der Kirchenlehre, vielmehr leuchtet in der persönlichen Begegnung die Erfahrung der Wirkmächtigkeit Gottes auf.

Auch nach Gilson deuten verschiedene Kommentatoren Beatrice als Allegorie der Theologie.20 Eine Auseinandersetzung mit dieser Festlegung bietet u. a. Florian Mehltretter21. Er führt zunächst Antonio Mastrobuono22 an, der Beatrice Gnadenvermittlung zuschreibt, aber eine Allegorese ausschließt ; sie vermittelt demnach Gnade, ist aber selbst keine Gnade bzw. steht nicht für die Gnade. Ebenso verwische ihre Gleichsetzung mit der Theologie ihre historische Gestalt. So schreibt Mehltretter : »Sie ist nicht eine namenlose ›Dame Theologie‹, sondern Beatrice.«23 Nach ihm lässt sich Beatrice am ehesten der Kirche zuordnen, nicht der Theologie oder der Gnade. Kirche (ecclesia) versteht er dabei als einen »Begriff für ›Kirche‹«, der »nicht so sehr auf eine gesellschaftliche Organisationsform zu kultischen Zwecken als auf das Gottesvolk, die Gemeinschaft der Liebe und letztlich die Menschheit überhaupt zielt, soweit sie sich für Gott entscheidet.«24 Die Frage nach dem Kirchenverständnis Dantes in der DC wird dabei allerdings ebenso ausgeblendet wie die Begründung ausbleibt, weshalb dieser Kirchenbegriff alternativ und anspruchsvoller ist, als die Kirche womöglich sich selbst sieht und definiert. Da Beatrice im irdischen Paradies auf dem Wagen der Kirche steht (vom Greif als Christussymbol gezogen), kommt Mehltretter zu dem Schluss : »Das Beatrice-Erlebnis ist für Dante das Seligkeitserlebnis, es ist der Sinn der Ecclesia als einer Gemeinschaft der caritas. Das irdische Paradies ist ein symbolischer Ort dieses Liebesglücks […]. Die Ecclesia auf dem Wagen ist also der mystische Leib Christi, das Symbol des Greifen, der die Kirche zieht, steht in diesem Zusammenhang für die Hauptschaft Christi […]. Eine Auffassung Beatricens als pars pro toto der idealen Ecclesia ist mit dem Problem der Personenallegorie gar nicht konfrontiert, und ein Rückgriff auf die Konzeption der figura ist hier ebenfalls unnötig […]. Diese synekdochische Deutung Beatricens (und damit die Vermeidung der Personenallegorie) funktioniert im Rahmen der überkommenen Beatrice-Deutungen aber ganz offenbar nur für die Ecclesia, nicht für die Theologie, die Heilige Schrift, die Offenbarung oder die Gnade, denn wie sollte Beatrice ein Teil dieser Entitäten sein ? […] Beatrice ist ›historisch‹ die Jugendliebe ›Dantes‹, synekdochisch die Ecclesia (die selbst auch Weisheit ist und Theologie in sich begreift), als Ecclesia ist sie mystisch Leib Christi, figural Christus venturus, moralisch steht sie für die Gemeinschaft der caritas, um die sich ›Dante‹ und jeder Mensch im Leben bemühen muß, anagogisch verheißt sie die Aufnahme in die Gemeinschaft der Heiligen. Aber sie kann all dies nur sein, wenn sie ›Dantes‹ Beatrice bleibt.«25

Fernab aller Zuordnungen (Beatrice als Gnade, Kirche, Theologie etc.) wird die Vielschichtigkeit und notwendige plurale Sicht deutlich, die sich einer singularen Festlegung verschließt.26 Beatricens Stellung für das Ganze der DC als Aufstieg Dantes zu Gott ist daher aus diesem selbst heraus zu erschließen, denn der Vorgang »ist ganz mit der Person Beatricens verbunden. Alles ist auf sie bezogen […]. So bildet der Fortgang der Göttlichen Komödie zugleich die Entfaltung dessen, was Beatrice ist.«27 Nicht die Theologie diktiert dabei, wer Beatrice zu sein oder was sie zu sagen hat, sie selbst verleiht vielmehr der theologischen Lehre Verkörperung und damit für Dante Bedeutung, sodass sie theologische Wahrheit lebendig werden lässt. In der Göttlichen Komödie verbinden sich Theologie und Beatrice derart, dass sie sich für Dante gegenseitig erhellen. Dadurch gewinnt Theologie gerade in der personalen Begegnung ihre entscheidende Einsicht in das Geheimnis Gottes. So stellt Beatrice als Verstorbene für Dante die Möglichkeit dar, ihr weiterhin zu begegnen, sich an ihr zu inspirieren. Theologie wird so zum Fundament, Beatricens Dasein als Selige für Dante neu und persönlich zugänglich zu machen. Beatrice wiederum veranschaulicht in ihrer Person die Dynamik theologischer Wahrheitssuche. Dabei geht Theologie ebenso wenig in Beatrice auf, wie sie in der Theologie.28 Umgekehrt gewinnen beide voneinander, indem sie sich gegenseitig interpretieren. Beatrice wird zum Schlüssel eines auf interpersonale Begegnung aufbauenden, modernen Theologieverständnisses. Theologie wird zur Bedingung, die Begegnung mit Beatrice nicht nur weiterhin zu ermöglichen, sie vielmehr sogar bis zur visio Gottes29 zu steigern.

1.4 Die Divina Commedia im Horizont aktueller theologischer Fragestellungen 30

Ein zentrales Moment des eschatologischen Diskurses ist seine Rückgebundenheit an die Christologie. Weniger die Ekklesiologie ist damit Erklärungsgrundlage (und Bedingungsgrundlage) für das, was nach dem Tod im Jenseits auf den Einzelnen zukommt, vielmehr die Verheißungen Jesu und seine eigene Auferstehung. Während in früheren dogmatischen Lehrbüchern noch verschärft auf die Relevanz der Kirchenzugehörigkeit, Kirchenbindung und Kirchengefolgschaft (Gehorsam ihr gegenüber) für das Seelenheil hingewiesen wurde, lässt sich diese exklusive Sichtweise so nicht mehr aufrechterhalten. Die Christozentrik der Eschatologie wird auch in der Göttlichen Komödie in Dantes Schilderung der visio Dei deutlich. Obgleich kirchliche Vermittlung (etwa in den Sakramenten und deren Heilszusage) in seinem Werk eine Rolle spielt, so ist der Finalisationspunkt der Jenseitswanderung doch eindeutig Christus – als menschliches Antlitz in der Dreieinigkeit Gottes. Die Christofinalität und die damit erwartete Christusbegegnung des einzelnen Lebens markiert Dante als Inbegriff ewigen Heils.31 Die Kirche selbst lebt als Gemeinschaft fort, lässt aber (wie Beatrice) in der Seligkeit alle Vermittlungsfunktion hinter sich.

Der Gemeinschaftsaspekt der Heiligen (communio sanctorum) existiert nicht nur als theoretische Behauptung, er gewinnt im Paradies Anschaulichkeit, wird lebendig. Der Himmel lebt von der freundlichen Atmosphäre der geschilderten Begegnungen.32 Diese bilden das Grundgerüst der Jenseitsreise Dantes. Im Infernum hingegen kann von einer positiven Gemeinschaft keine Rede sein. Begegnung als Notwendigkeit und Möglichkeit, den Glauben neu zu erschließen, wird bei Dante zum Leitmotiv jenseitiger Erklärung für alles, was im Diesseits noch verwirrt und ungeklärt bleiben muss. In der Begegnung klären sich die Fragen, nicht in der theoretischen Definition, einem definierten Lehrsatz. Diese setzt Dante zwar voraus, interpretiert sie allerdings nun in der Sprache persönlicher Begegnung und eigener Betroffenheit. Dadurch gewinnt die Lehre in der Begegnung erst Verständnis, wird existentiell bedeutsam. Dantes ›Theologie der Begegnung‹ weist damit eine Nähe zu aktuellen theologischen Überlegungen auf, welche eine Rückbindung der Theorie an die Praxis und ihren interpersonalen Gehalt anzielen.33

Ein weiterer Aspekt gegenwärtiger Theologie ist die Sichtweise des Spannungsgefüges der jesuanischen Botschaft vom Reich Gottes im NT, welches bereits im Diesseits anhebt, dennoch darüber hinaus weist und auch dem Tod nicht das letzte Wort (und damit das mögliche Scheitern dieser Verheißung) zugestehen will. In dieser Spannung des ›Schon-und-noch-nicht‹ befindet sich Dante selbst. Als Lebender und dennoch im Jenseits sich Befindender personifiziert er geradezu diese Spannung. Er weiß, dass er nach seiner Jenseitsreise wieder auf die Erde zurückkehren muss, er erfährt hier, was ihn dort noch erwartet. Zugleich ist er ganz in der eschatologischen Wirklichkeit unterwegs, muss das Sühneleiden der Läuterung teilweise selbst ertragen und kann die empfundene Herrlichkeit im Paradies kaum mit den Worten und Vergleichen des irdischen Lebens wiedergeben. Dante verweist hierbei auf einen wesentlichen Aspekt des christlichen Lebens selbst : das Stehen im Diesseits mit allen Konsequenzen, bei gleichzeitiger Hoffnung auf eine Fortexistenz nach dem Tode, welche alle irdisch nicht erfüllbare Sehnsucht aufgreift und vor dem Hintergrund dieser christlichen Verheißung zu deuten sucht. Der Christ lebt daher in der Welt mit Erwartungen, die über diese hinausgehen. Andererseits kann er seine Lebenswirklichkeit aus diesen eschatologischen Erwartungen heraus deuten. Die jenseitige Verheißung hält die Sehnsucht wach und hindert daran, dass Enttäuschung und Ernüchterung in dieser Welt den Glauben an das Leben selbst und den Wert der eigenen Existenz letztlich untergraben. In dieser Perspektive der Ewigkeit ist dann alles aufgehoben, was im zeitlichen Leben fehlläuft oder an Gutem verhindert wird. So kommt Dante mit einer doppelten Botschaft von seiner Jenseitsreise zurück : dem klaren Hinweis, wie ernst dieses irdische Leben ist (mit seinen bleibenden Konsequenzen) und zugleich, dass die Menschen es nicht zu wichtig nehmen sollen im Vergleich zu dem, was sie erst noch erwartet bzw. was sie erwarten dürfen. Diese Spannung charakterisiert eine christliche Weltsicht, die deswegen im Diesseits aufgehen kann, weil sie weiß, dass dieses nur Vorletztes enthält. Ein vom Jenseits immer schon umgriffenes Diesseits verliert seine vermeintlich letztentscheidende Ernsthaftigkeit ; Leid und Tod ist der Stachel genommen.34

Obgleich neuere theologische Fragestellungen wie die Theorie des Ganztodes oder der ›Auferstehung im Tode‹35 in der DC verständlicherweise kein Thema sind, so gibt Dante doch seinerseits indirekt Antwort auf deren Ausgangsproblem. Die eschatologische Leib-Seele-Problematik, die Annahme einer Auferstehung des Leibes am Ende aller Zeiten verbunden mit einem Zwischenzustand der Seele ohne ihren Leib, umgeht er, indem er einen quasi-leiblichen Zustand mit quasi-leiblichen Erfahrungsmöglichkeiten annimmt.36 Gerade in Infernum und Purgatorium, dort also, wo die Gottferne schmerzlich empfunden wird, rückt eine plastische Präsenz der jeweils Verstorbenen in den Vordergrund, welche die Begegnung untereinander und mit Dante (der ja als noch nicht Gestorbener seinen Schattenleib mit hineinbringt in diese Erfahrungswelt und dadurch als noch Lebender erkennbar für die bereits Verstorbenen wird) erst ermöglicht. Wenn auch eine Auferstehung des Leibes am Jüngsten Tag explizit vorausgesetzt wird, so ist doch das Problem einer leiblosen Seele gelöst, indem nicht nur eine formale Verwiesenheit im Raum steht, sondern von einer Erfahrungs- und Begegnungsmöglichkeit ausgegangen wird, welche auf der je eigenen, in den Tod mit hineingenommenen Personalität und Individualität aufbaut. Die anima separata als Seele ohne leibliches Moment interpretiert Dante als auf ihren Leib hingeordnete Person, die gerade aufgrund dieser bleibenden Verwiesenheit schon vor der Auferstehung des Leibes quasi-leiblich erscheinen muss, soll Begegnung und Erfahrung im Jenseits überhaupt möglich sein, womit gerade diese personale Hinordnung auf die leibliche Auferstehung sichtbar und deutlich wird. Der auf Seiten von Theologen kritisierten Abstraktheit einer leiblosen Seele, ihrer vermeintlichen Geschichtslosigkeit, begegnet Dante mit der Vorstellung Verstorbener, die ihre Lebensgeschichte mit hineinnehmen in den Tod, deren Leben schließlich ihren Tod ausmachen, deren Diesseits ihre Befindlichkeit und Konkretheit im Jenseits bedingen. Hierbei lässt sich die Frage stellen, ob das Ausgangsproblem37 der Überlegung einer ›Auferstehung im Tode‹ für den Christen historisch solange gar keines darstellte, als er von Vorstellungen geprägt war, die sich wie bei Dante an diesseitigen Erfahrungen bewusst festmachen, da nur in dieser Analogie überhaupt veranschaulicht werden kann, was letztlich niemals mit der diesseitigen Vorstellungswelt beschreibbar ist. Empirisch lässt sich die Jenseitswirklichkeit nicht festmachen ; die auf der Empirie und der physiologischbedingten Wahrnehmung beruhende Erlebniswelt des Menschen ist aber einziger Standpunkt, von dem her das Jenseits selbst vorstellbar werden kann.38 Die Vorstellung einer ›Auferstehung im Tode‹ lässt die Auferweckung mit Leib und Seele und die Geschehnisse des ›Jüngsten Tages‹ mit dem eigenen Tod zusammenfallen, womit sie dem individuellen Problem eines körperlosen Zwischenzustandes der Seele entgegentreten will. Es gibt dann keine Zeit zwischen Tod und Jüngstem Gericht, das Purgatorium als Zwischenzeit entfällt, Tod und Parusie koinzidieren.39 Letztlich geht es hierbei um den Aspekt der Zeit und die Annahme einer Gleichzeitigkeit aller Ereignisse in der Ewigkeit.40 Ewiges Leben ist allerdings nicht mit der diesseitigen Zeitlichkeit zu vergleichen. Insofern ist die Vorstellung einer eschatologischen Gleichzeitigkeit, in der jenseitige Erfahrung wie in einem einzigen Moment abläuft, der immer nur als aktueller zu verstehen ist, ein Anhaltspunkt, dieser sich verbietenden Übertragung des Diesseits auf das Jenseits zu begegnen.41 Allerdings wird auch hier der Rahmen eines analogen Zuganges nicht verlassen.42 Gleichzeitigkeit und momentane Aktualität heben ebenso in der Vorstellungswelt des irdischen Lebens an, wie die Überlegung eines Zwischenstandes oder einer Jenseitswanderung in der Ewigkeit.43

Wenn individuelle und allgemeine Auferstehung zusammenfallen (was hinsichtlich der Zeitlosigkeit der Ewigkeit bzw. des lediglich analogen Verstehens jenseitiger Abläufe ausgehend von diesseitigem Zeitverständnis durchaus reflektiert werden kann), so bleibt doch die Frage nach der Gemeinschaft von Lebenden und Verstorbenen damit virulent. Die Verbundenheit von Lebenden und Toten beruht ja auf der Vorstellung einer aktuellen Möglichkeit der Gemeinschaft.44 Auf dieses Problem verweist Bertram Stubenrauch, indem er im Blick auf die Theorie der ›Auferstehung im Tode‹ schreibt : »Im Grunde genommen aber gäbe es – für den Toten – gar keine Hinterbliebenen mehr. Diese wären bereits wie er selbst in die große Versammlung vor Gottes Richterstuhl einbezogen ; in sie hinein auferstehend träfe jeder sofort wieder auf die Angehörigen und Freunde. Aber sie trauern nun einmal am Totenbett. Dort müssten sie allerdings davon ausgehen, dass der soeben Verstorbene im selben Augenblick mit ihnen zusammen vor Gott steht – die Sache wird spätestens jetzt unannehmbar kompliziert.«45 Da die Perspektive der Ewigkeit immer eine aus dem Diesseits (wenn auch analog) konstruierte ist, steht auch die Theorie einer ›Auferstehung im Tod‹ unter eschatologischem Vorbehalt.46

Dante setzt – im Gegensatz zur Ganztodtheorie47 – die Unsterblichkeit der Seele ebenso voraus wie die noch kommende, allgemeine Auferstehung. Diese Trennung von individueller und allgemeiner Auferstehung erweist sich als Grundlage des gläubigen Vollzugs der Verbundenheit von Lebenden und Toten (etwa im Gebet).48 Für ihn stellt die vorausgesetzte, bleibende Hingeordnetheit der ganzen Schöpfung wie jedes Einzelnen (Lebender und Verstorbener) auf eine universale Vollendung durch den wiederkehrenden Herrn am Ende der Zeit kein Problem dar.

Auch die Vorstellung einer Endentscheidungshypothese49, wonach der Verstorbene im Augenblick seines Todes einen Moment ausgezeichneter Freiheit erfährt und deshalb seine Entscheidung für (oder gegen) Gott allein in diesem Moment für seine jenseitige Fortexistenz ausschlaggebend trifft, findet in der Divina Commedia keine Anhaltspunkte. Im Gegensatz dazu wird die Einmaligkeit und bleibende Verantwortung für das irdische Leben betont.50 Das Leben im Jenseits ist Folge der Lebensführung im Diesseits. In der Endentscheidungshypothese hingegen findet eine Relativierung des individuellen Lebens statt : »Der Augenblick des Todes wird überfrachtet, die konkreten Bedingungen des Menschseins in Raum und Zeit unterbewertet.«51 Andererseits wird mit der Endentscheidungshypothese auch die Sichtweise relativiert, dass christliche Hoffnung eine Antwort auf die Ungerechtigkeit in der Welt ist. Gerade aus dieser Hoffnung heraus speist sich jedoch die Notwendigkeit, im Hier und Jetzt bereits umzudenken. Das Jenseits als Konsequenz diesseitiger Lebensführung impliziert eine moralische Handlungsaufforderung. Für alle, die trotz oder aufgrund ihres Glaubens und ihrer guten Lebensführung Benachteiligung und Unterdrückung erfahren, bietet der christliche Jenseitsglaube Trost und Zuversicht (ohne damit bereits ein Urteil über vermeintliche Böse zu fällen).52

Mit der Göttlichen Komödie bleibt die Theologie allerdings bewusst in der Analogie verhaftet. Dante nimmt die Analogie als Mittel zur Hand, um daraus seine Bilderwelt des Jenseits zu gestalten. Theologische Vorbehalte sind daher allerdings umso notwendiger an das Werk zu stellen.53 Das Selbstbewusstsein des Jenseitspilgers könnte ansonsten dazu verleiten, seine Fiktion als die richtige Glaubensposition anzusehen. Er sieht darin weniger Gefahr und Verzerrung als vielmehr Möglichkeit und Werkzeug.

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