Kitabı oku: «Scarlett Taylor», sayfa 2

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Kapitel 3

Nachdem ich die halbe Nacht in dem verrückten Buch gelesen habe, für das Elvira Jahre gebraucht haben muss, um es zu verfassen, fahre ich am nächsten Morgen zur Polizei. Ich möchte Elvira als vermisst melden. Nun, da ich gelesen habe, womit Elvira sich wirklich beruflich beschäftigt hat -nämlich mit übernatürlichen Dingen wie Geister, Dämonen, Hexenpriester und Teufelsaustreiber- mache ich mir noch mehr Sorgen um meine Tante. Entweder ist sie geistesgestört, oder sie glaubt all das wirklich und ist vielleicht irgendeinem Satanskult in die Falle gegangen. Egal was es ist, Elvira braucht Hilfe!

Ich sage dem Beamten vorne am Schalter, dass ich eine Vermisstenmeldung aufgeben möchte. Ohne den Blick auch nur einmal von seinem Computerbildschirm zu heben, schickt er mich in das Büro seines Kollegen.

„Den Gang runter, dritte Tür rechts“, nuschelt er und steckt sich die stumpfe Seite eines Bleistiftes zwischen die Lippen.

Ich folge seiner Wegbeschreibung und klopfe an die Tür. Von innen höre ich eine gelangweilte Stimme. „Ja, bitte.“

Eine billige Parfumwolke kommt mir entgegen, als ich die Tür öffne. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein breitschultriger Mann, Mitte dreißig, mit kurzen, braunen Haaren. Ein Dreitagebart sprießt auf seinem Kinn und er trägt eine schwarze Hornbrille auf der Nase, über die hinweg er mich fragend ansieht. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

Ich schlucke hörbar, schließe die Tür hinter mir und trete vor seinen Schreibtisch.

„Bitte, setzten Sie sich doch“, sagt er und deutet mit der Hand auf einen Stuhl.

Ich nehme Platz und lege meine Handtasche auf den Schoß. „Ich möchte meine Tante Elvira Schneider als vermisst melden, bitte“, sage ich und merke plötzlich, wie nervös ich bin.

Der Polizist wird es auch bemerkt haben, so wie meine Stimme gezittert hat. Er lächelt mich mitfühlend an, öffnet ein Programm an seinem Computer und lässt sich meine Personalien zeigen. Dann stellt er mir ein Dutzend Fragen, tippt auf der Tastatur herum und bittet mich um ein aktuelles Foto meiner Tante. Ich gebe mir Mühe, alles so korrekt wie möglich zu beantworten. Von dem geheimen Büro und dem Buch sage ich natürlich nichts.

„Elvira Schneider, S-C-H-N-E-I-D-E und R, richtig?“, fragt er nun schon zum zweiten Mal.

„Ja, das sagte ich doch bereits.“

Der Polizist schüttelt sanft mit dem Kopf, seine Augen huschen wild über den Bildschirm. In seinem Blick meine ich Verwirrung und Ratlosigkeit zu sehen.

„Was ist denn?“, hake ich ungeduldig nach und versenke angespannt meine Fingernägel im Leder meiner Tasche.

Er räuspert sich. „Es tut mir leid, aber eine Elvira Schneider habe ich hier nicht im System“, sagt er schließlich und kratzt sich am Kinn.

„Wie bitte?“, hake ich verdutzt nach und lehne mich vor. Ich versuche auf seinen Bildschirm zu sehen, doch er dreht ihn von mir weg und blickt mich über seine Brille hinweg tadelnd an.

„Ihre Tante ist nicht im System. Die Frau, die sie als vermisst melden möchten, ist nicht gemeldet“, versucht er sanft zu erklären.

Ich gebe seltsame, protestierende Laute von mir und fahre nervös durch meine Haare. „Aber... Das ist nicht möglich! Natürlich ist sie hier gemeldet. Sie hat das Reisebüro drei Straßen von hier entfernt!“, erkläre ich aufgebracht.

Er schüttelt sachte mit dem Kopf, blickt erneut auf den Bildschirm und wieder zu mir. Dann nimmt er die Brille ab, stützt sich auf seine Unterarme und sieht mich eindringlich an. „In unseren Daten ist keine Elvira Schneider gemeldet, auf die Ihre Beschreibung passt. Aber wenn Sie möchten, kann ich meine Leute auf den Fall ansetzen.“

„Natürlich möchte ich das! Deswegen bin ich ja hier!“, rufe ich ihm aufgebracht ins Gesicht, als die Tür hinter mir mit Schwung geöffnet wird.

Ich zucke zusammen, als sie gegen die Wand prallt und drehe mich um. Zwei Männer in grauen Anzügen kommen auf mich zu, beide mit Glatze und rahmenlosen Brillen auf der Nase. Ich sehe verdutzt zu dem Polizisten, der jedoch nur gelangweilt auf seinen Bildschirm starrt. Einer der Männer umfasst meinen Oberarm und zieht mich hoch, nicht gewaltsam, aber doch energisch und fordernd.

„Wir werden uns um die Angelegenheit kümmern, Sie hören dann von uns“, sagt er monoton und führt mich aus dem Büro.

Ich will mich zu ihm umdrehen, doch hinter mir steht der andere Glatzkopf und blockiert die Sicht.

„Hallo? Was soll das? Hey!“, protestiere ich lautstark und versuche mich aus dem Griff des Anzugträgers zu befreien, schaffe es aber nicht.

Sie führen mich den Flur entlang, vorbei an dem bleistiftkauenden Beamten, der so tut, als würde er uns nicht bemerken, und hinaus auf den Parkplatz. Ich zapple und wehre mich heftig. Ich schreie sogar, doch niemand reagiert. Vor meinem Auto bleiben wir stehen. Der schmalere der beiden Glatzköpfe stellt sich vor mich, während der andere immer noch mühelos meinen Oberarm in seinen riesigen Händen hält. Ich ziehe und zerre, doch er kommt noch nicht einmal ins Wanken. Der schmale Glatzkopf sieht mich an, blickt mir direkt in die Augen, und ich beginne mich augenblicklich zu entspannen. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich lasse ich meine Abwehrhaltung fallen und konzentriere mich ganz auf ihn.

„Es ist alles in Ordnung. Wir werden Ihre Tante suchen, Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Machen Sie sich keine Sorgen mehr. Sie fahren jetzt nach Hause und vergessen, dass Sie hier waren. Die Sache ist für Sie abgeschlossen. Verlassen Sie jetzt das Gelände“, säuselt er und ein Gefühl von Frieden überkommt mich.

Ich nicke und lächle ihn an. Der Griff um meinen Oberarm löst sich. Ich steige in mein Auto und fahre davon.

Zuhause sitze ich wenig später wie benommen auf meinem Sofa und starre vor mich hin. Ich habe keine Ahnung, was ich vorhatte. Es ist wie dieses Gefühl, wenn man einen Raum betritt und vergessen hat, was man eigentlich wollte, bloß zehnmal stärker. Innerlich bin ich leer. Ich weiß nicht, wo ich war, ich weiß nur, dass ich plötzlich auf meinen Parkplatz fuhr, ausstieg und hoch in meine Wohnung ging. Der restliche Morgen ist wie ausradiert. Immer wieder reibe ich mir die Augen, bis mein ganzer Lidstrich verschmiert ist. Ich habe Kopfschmerzen und spüre einen unangenehmen Druck hinter der Stirn. Als ich ins Badezimmer gehe, um mein Gesicht mit kaltem Wasser zu bespritzen, sehe ich mich im Spiegel an. Meine Augen wirken matt und ein wenig milchig. Verwirrt schüttle ich mit dem Kopf. Was ist bloß los mit mir?

Ich stelle mich unter die Dusche und lasse das warme Wasser über mein Gesicht laufen, in der Hoffnung, dass es auch meine Gedanken wieder klarer werden lässt. Immer wieder denke ich, dass ich etwas vergessen habe. Etwas Wichtiges. Einen Termin?

Als ich wieder aus der Dusche steige, binde ich mir ein Handtuch um die nassen Haare und ziehe meinen Bademantel über. Anschließend gehe ich schlurfend und noch immer wie benommen ins Wohnzimmer, um in meinen Kalender zu schauen. Auf dem Tisch liegt er, neben dem dicken, in Leder gebundenem Buch von Elvira.

Elvira!

Wie ein Film im Zeitraffer laufen vor meinem inneren Auge die Geschehnisse des gestrigen Tages ab. Elviras Mail, ihr Reisebüro, das geheime, versteckte Büro. Das Buch, die seltsamen Utensilien und Amulette, mein neuer Name. Und der Auftrag!

Ich schnappe nach Luft, falle vor dem Wohnzimmertisch auf die Knie und öffne meinen Kalender. Darin klebt ein Zettel mit der Anschrift der Frau, die gestern auf Elviras Anrufbeantworter gesprochen hat. Hektisch gucke ich auf die Uhr. Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit bis ich da sein muss.

Im Eiltempo föhne ich mir die Haare, ziehe den Lidstrich neu, tupfe etwas Rouge auf die Wangen und getönten Lippenbalsam auf die Lippen. Danach schlüpfe ich in eine schwarze Hose und wähle hastig eine schwarze Seidenbluse dazu aus. Schwarz scheint mir die angemessenste Farbe für diesen Job zu sein.

Ich raffe alles zusammen, was Elvira mir hinterlegt hat, und renne zum Auto.

Der schwarze Panther steht auf dem Parkplatz. Mein altes Auto wirkt neben ihm trist und matt. Es fällt mir leicht ihn stehen zu lassen und mich stattdessen in meinen neuen BMW zu setzen. Ich lege meine Sachen auf den Beifahrersitz und streiche über das weiche Lenkrad, während mir der herbe Neuwagengeruch angenehm in der Nase kitzelt.

„Ich bin jetzt Scarlett Taylor“, sage ich leise zu mir selbst. „Parapsychologin im Außendienst.“

Ich drehe den Schlüssel im Schloss und der Panther fängt an zu schnurren.

Kapitel 4

Ich fahre aus der Stadt heraus und folge einer langen, endlos wirkenden Landstraße. Rechts und links von mir sind Felder, die im aufkommenden Wind wellenartig hin- und herschwanken. Der Himmel verdunkelt sich, je näher ich meinem Ziel komme. Ich frage mich, ob das ein böses Omen ist. Andererseits glaube ich nicht an Omen. Am Horizont hängen dicke, beinahe schwarze Wolken, die die Sonne komplett verdrängen. Als ich durch ein Waldstück fahre, fängt es an zu regnen und ich höre nicht weit entfernt den Donner grollen.

Sie haben ihr Ziel erreicht“, sagt die weibliche Stimme des eingebauten Navis und ich sehe mich ungläubig um.

Der Scheibenwischer kämpft mit den herabfallenden Wassermassen und verliert kläglich. Zwischen seinen hektischen Bewegungen kann ich kaum die Straße vor mir erkennen. Ich rolle vorwärts und suche die Umgebung ab, als ich einen Briefkasten am Straßenrand entdecke, auf dem die Nummer Dreizehn in dicken, weißen Lettern prangt. Wie passend, denke ich. Wäre ich so abergläubisch wie Elvira, wäre dies wohl das zweite böse Omen heute: Erst der abrupte Wetterwechsel und nun schlägt´s Dreizehn.

Ich fahre die lange Auffahrt hoch, die sich zwischen den Bäumen auftut und sehe durch die Wassermassen hindurch verschwommen das Haus. Es ist riesig. Je näher ich komme, umso massiver und größer wirkt es. Dreistöckig, dunkelrote Backsteine, weiße Fensterrahmen und Fenster, die wie dunkle Augen jedem Ankömmling argwöhnisch entgegenstarren. In der Mitte führen graue Zementstufen zu einer dunkelgrünen Haustür empor, welche wie ein riesiger Schlund zwischen den Fensteraugen sitzt.

Ich lache kurz auf. Kein Wunder, dass die Bewohner meinen, hier würde es spuken. Das Haus sieht alles andere als einladend aus. Es kommt selbst mir so vor, als würde es mich böse ansehen.

Ich nehme meine Sachen, halte sie schützend unter meinem Mantel an mich gedrückt, steige aus und renne die Stufen zur Haustür hoch. Dieser kurze Weg reicht aus, um mich völlig zu durchnässen. Ich streiche mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht und drücke den Klingelknopf. Zu dem melodischen Ding-Dong gesellt sich ein markerschütternder Donner und ich zucke erschrocken zusammen.

Die Tür öffnet sich einen Spalt breit und die verweinten, rot unterlaufenen Augen einer Frau sehen mich an.

Ich räuspere mich. „Guten Tag, ich bin Scarlett Schn... Taylor. Wir waren verabredet.“

Die Frau wischt sich mit einem zerknüllten Taschentuch über die Nase und nickt, dann öffnet sie die Tür. „Kommen Sie rein“, sagt sie, und ich erkenne ihre weinerliche Stimme wieder. Sie ist die Frau, mit der ich telefoniert habe. Ihr langes, blondes Haar ist zerzaust und im Nacken zu einem lockeren Knoten gebunden. Sie trägt einen weiten Pullover, Leggings und Hausschuhe.

Ich schreite über die Türschwelle und putze meine nassen Schuhe an der Fußmatte ab. Der hölzerne Boden unter mir quietscht und ächzt. Ich frage mich, ob man dieses Quietschen eventuell als Stimmen fehlinterpretieren könnte und ich vielleicht in diesem Moment schon den Fall gelöst habe. Doch ich behalte meine Vermutung vorerst für mich und sehe mich um.

Der Innenraum des Hauses wirkt dunkel und düster. Obwohl mehrere kleine Lampen brennen, geben sie nicht wirklich viel Licht ab. In den Ecken sind tiefe Schatten, die Täfelung an den Wänden ist in dunklem Holz gehalten und auch von draußen kommt nicht viel Licht herein, da die hohen Bäume die Sicht auf den Himmel versperren.

„Ich bin Zoe, wir hatten telefoniert“, stellt sie sich vor und reicht mir die Hand.

Ich schüttle sie und bemerke, wie sehr sie zittert. Sie dreht sich ängstlich um, während sie ihr Taschentuch an die Lippen presst.

„Alles in Ordnung?“, frage ich und folge ihrem Blick in eine Ecke des Raumes, sehe aber nichts.

„Ja, ja... Alles in Ordnung“, stammelt sie und schließt die Arme um ihren Körper. „Kommen Sie, wir gehen in die Küche.“

Ich folge ihr, während ein weiterer Blitz, samt Donner am Himmel tobt. Für einen kurzen Moment ist der Innenraum des Hauses erleuchtet, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Zoe zuckt zusammen und keucht, geht dann aber weiter.

Die Küche ist groß und rustikal gemütlich eingerichtet, doch auch hier ist es auffallend dunkel. Trotz der zwei Fenster und den Leuchtröhren unter den Hängeschränken wirkt es unheimlich düster hier drin. Wir nehmen an der Kücheninsel mit der Marmorplatte Platz.

„Kann ich Ihnen einen Tee anbieten?“, fragt sie, während ich meine Sachen auf dem Hocker neben mir abstelle.

„Gerne,“ sage ich. „Wollen wir uns nicht duzen?“

Zoe nickt und füllt dampfend heißes Wasser von einem Teekessel in zwei Tassen, während ich ihr zusehe. Sie ist sehr dünn, wirkt abgemagert und ein wenig kränklich. Ihre spitzen Schulterblätter zeichnen sich durch den weiten Strickpullover ab. Mit zitternden Händen trägt sie die Tassen zur Kücheninsel. Ich lehne mich vor, komme ihr entgegen und nehme ihr eine Tasse ab.

„Danke“, haucht sie und schaut sich hektisch um, bevor sie sich setzt. Sie legt die Hände um die heiße Tasse und weicht meinem Blick aus. Ihre Lippen sind trocken und aufgesprungen, ihre Haut wirkt matt und fahl. Ich frage mich, ob Zoes eigentliches Problem vielleicht ganz woanders liegt, und gar nichts mit diesem Haus zu tun hat.

Was würde Elvira in dieser Situation tun? Was erwartet sie von mir?

„Geht es dir gut, Zoe?“, frage ich vorsichtig und lächle sie mitfühlend an. Sie wirkt so zerbrechlich, dass ich am liebsten nach ihrer zitternden Hand greifen würde.

Zoe seufzt, beißt sich auf die Unterlippe und schüttelt mit dem Kopf. „Nein“, flüstert sie und blickt in eine Ecke. Ich folge ihrem Blick ein weiteres Mal, sehe jedoch nichts Auffälliges. „Ich brauche dringend deine Hilfe, Scarlett“, sagt sie leise flehend und ich sehe eine Träne in ihrem Augenwinkel.

„Deswegen bin ich ja hier, Zoe. Wie kann ich helfen?“ Ich verberge, dass ich keine Ahnung habe, wie ich ihr helfen kann. Außer dem, was ich letzte Nacht in dem Buch von Elvira gelesen habe, weiß ich nichts über Geister, Poltergeister oder Dämonen. Auch sage ich ihr nicht, dass ich an Dergleichen gar nicht glaube, sondern davon ausgehe, dass es für die Phänomene hier im Haus eine einleuchtende, wissenschaftlich belegbare Erklärung gibt.

Wenn es die Aufgabe einer Parapsychologin ist, einen Spuk als natürliches Phänomen zu enttarnen, und somit die Kunden zu beruhigen, dann kann ich Elvira sicherlich eine Zeit lang vertreten. Mal ganz davon abgesehen, dass ich zurzeit eh keine Arbeit und sowieso nichts Besseres zu tun habe.

Zoe holt den Teebeutel aus ihrer Tasse und gibt zwei Löffel Zucker hinein. Wieder seufzt sie und legt mit zitternder Hand den Löffel zur Seite. „Heute Nacht war es besonders schlimm“, beginnt sie leise zu erzählen und hält den Blick auf ihre Hände gesenkt. „Mein Mann Peter ist auf Geschäftsreise. Wenn Julie und ich alleine sind, ist es immer besonders aktiv. Julie ist unsere Tochter.“

Ich nicke und rühre in meiner Teetasse. „Was ist heute Nacht passiert?“, hake ich nach.

Zoe reibt sich die Stirn und beginnt zu weinen. Ich lege tröstend meine Hand auf ihre, doch sie erschrickt und zuckt zurück. „Entschuldigung“, wimmert sie und hält die Hände vor ihr Gesicht. Nach ein paar Schluchzern fährt sie fort. „Julie und ich lagen im Bett, als wir wieder dieses Atmen und Stöhnen hörten. Es kam immer näher und näher, die Lichter flackerten und wir hörten Schritte im Flur. Dann fiel der Strom aus und wir sahen diesen riesigen Schatten am Fußende des Bettes.“

Während Zoe mit bibbernden Händen ihre Nase putzt, sehe ich mich um. Dieses Haus ist alt, sicherlich um die einhundert Jahre, wenn nicht noch älter. Auch jetzt pfeift der Wind durch die geschlossenen Fenster, und die Äste der riesigen Bäume rings um das Haus herum schlagen gegen Wände und Dächer. Mit ein wenig Fantasie könnte man das ziemlich leicht als Schritte, Atmen und Stöhnen interpretieren.

„Der Schatten war größer als je zuvor“, fährt Zoe nun fort. „Eine große, schwarze, undurchsichtige Masse in der Form eines Mannes, mit enormen Schultern und überlangen Armen. Julie und ich schrien, wir waren panisch! Dieses... Ding schlug mit den Fäusten aufs Bett, einmal, zweimal, dreimal. Wir hörten es fauchen und knurren. Und dann war es plötzlich weg und das Licht ging wieder an.“ Sie sieht mir zum ersten Mal seit meiner Ankunft direkt in die Augen. „Ich weiß, wie sich das anhört, Scarlett, aber wir sind nicht verrückt. Julie und ich haben es beide gesehen.“

Ich nicke. „Wurden die Leitungen im Haus in letzter Zeit mal von einem Elektriker überprüft?“, frage ich vorsichtig.

Zoe schüttelt leicht mit dem Kopf und blickt mit gekräuselter Stirn in ihre Teetasse. „Es ist nichts mit den Leitungen. Peter hat sie mehrfach überprüfen lassen, aber sie sind einwandfrei. Der Strom fällt nicht aus, weil die Leitungen defekt sind!“, versichert sie mir und blickt erneut in meine Augen. Diesmal sehe ich blanke Panik in ihrem Gesicht. Ehrliche, aufrichtige Panik. „Dieses Ding lässt den Strom ausfallen! Und die Schritte oder das laute Atmen kommen auch nicht vom Wind, oder davon, dass das Haus sich setzt, oder von irgendeinem Nager in den Zwischenwänden! Es ist dieses Ding! Es will uns aus dem Haus haben, tot oder lebendig!“

Ich schlucke. „In Ordnung, Zoe. Ich glaube dir“, versichere ich ihr und sie wirkt mit einem Mal deutlich entspannter. Sie versucht zu lächeln und wischt sich eine Träne von der Wange. „Wie wäre es, wenn du mich mal herumführst? Zeige mir die Stellen, an denen du den Schatten gesehen hast“, schlage ich vor.

Sie steht auf und nickt, dann wickelt sie den Pullover enger um ihren schmalen Körper und geht voraus.

Kapitel 5

Zoe führt mich durch das komplette Haus. Zuerst zeigt sie mir das Wohnzimmer, mit dem großen Kronleuchter in der Mitte und dem steinernen Kamin. Sie weist auf dunkle Ecken hin, in denen sie „das Ding“, den Schatten, gesehen hat, wobei ich bemerke, dass fast alle Ecken des Hauses äußerst dunkel sind. Trotz all der Fotos mit lachenden Gesichtern darauf, und all der schönen Dinge, die Zoe in das Haus gebracht hat, hängt ein dunkler Schleier über allem.

Wir gehen weiter ins nobel eingerichtete Esszimmer, mit silbernen Kerzenleuchtern auf polierten Tischen, vorbei an der Kellertür zum Hauswirtschaftsraum, in dem Waschmaschine und Trockner stehen. Dann führt sie mich in den ersten Stock, wo die Schlafzimmer und Gästezimmer sind. Sie zeigt mir das große Badezimmer, in dem sie und Julie sich immer beobachtet fühlen. Ich gehe hinein, während Zoe im Türrahmen stehen bleibt und auf ihrer Unterlippe kaut. Das Fenster ist so weit oben, dass eigentlich niemand von außen hineinsehen kann, zumal wir im ersten Stock sind.

Sie führt mich weiter ins Elternschlafzimmer und zeigt mir die Stelle, an der sie in der vergangenen Nacht den mannshohen Schatten gesehen hat, als sie plötzlich erschrocken zurückweicht.

Ihr Blick ist auf das Bett geheftet. „Scarlett, sieh doch!“, schreit sie hysterisch, zeigt mit dem Finger auf das Bett und weicht zurück.

Ich schaue auf das gemachte Bett und es dauert etwas, bis ich erkenne, was sie so erschreckt. Am Fußende sind rechts und links faustdicke Abdrücke in der Decke.

„Genau dort hat das Ding heute Nacht auf die Matratze geschlagen“, kreischt Zoe und läuft rückwärts auf die Tür zu. „Ich bleibe hier nicht länger.“

„Zoe, nun warte doch“, versuche ich sie aufzuhalten, aber sie ist schon im Flur, steht am Treppengeländer und kaut nervös an dem Ärmel ihres Pullovers.

„Ich gehe da nicht wieder rein“ beschließt sie und ihre Stimme zittert. Sie schüttelt mit dem Kopf, wobei ihr zerzauster Haarknoten im Nacken hin und her schlägt.

Ich stelle mich neben sie und streiche über ihren knochigen Rücken. „Ist okay, Zoe“, beruhige ich sie. „Wie wäre es, wenn du unten in der Küche auf mich wartest, und ich sehe mich hier noch ein wenig um?“, schlage ich mit sanfter, aber fester Stimme vor.

Zoe nickt und schnieft. „Julie ist in ihrem Zimmer, falls du sie noch etwas fragen möchtest. Sie weiß, was du tust. Es war ihre Idee dich anzurufen“, sagt sie und flitzt eilig die Treppen hinunter.

Ich atme tief durch und gehe nochmal zurück in das Elternschlafzimmer, um mir die Abdrücke auf dem Bett genauer anzusehen. Sie sind noch da, rechts und links am Fußende des Bettes. Der Rest ist glatt und ebenmäßig mit einer weißen Tagesdecke bedeckt. Ich stelle mich vor das Bett, genau dorthin, wo Zoe meinte den Schatten gesehen zu haben. Dann beuge ich mich nach vorn und versuche beide eingedrückten Stellen zu berühren, schaffe es aber nicht, sie sind zu weit voneinander entfernt.

Ein Keuchen hinter mir lässt mich aufschrecken. Ich blicke mich um, aber ich niemand ist da, ich bin allein.

„Zoe? Julie?“, rufe ich leise, aber niemand antwortet.

Wieder dieses Keuchen, diesmal kommt es vom Bett. Als ich hinschaue, sehe ich plötzlich einen dritten Abdruck auf dem Bettlaken. Genauso groß, wie die zwei anderen, diesmal aber in der Mitte des Bettes. Ich beuge mich vor und versuche ihn zu berühren, komme aber nicht ran. Verwirrt schüttle ich den Kopf. Dieser Abdruck war mir vorher nicht aufgefallen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er vor einer Sekunde noch nicht da war! Und ich kann ihn nicht verursacht haben, da ich gar nicht rankomme.

Ich blicke zur Decke, wieder aufs Bett und sogar darunter. Aber dort ist nichts.

Der Regen peitscht gegen die Fensterscheiben und ein Blitz durchzuckt den Himmel, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Der Donner verebbt und ich höre ein gurgelndes Knurren, direkt hinter mir. Erschrocken drehe ich mich um und weiche zurück, doch da ist wieder nichts.

Dann erneut ein Knurren und ein grässliches Fauchen.

Ich könnte schwören, heißen Atem auf meinem Gesicht zu spüren.

Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter und ich gehe rasch in Richtung Tür.

„Zoe, bist du hier?“, rufe ich, jetzt etwas lauter, aber ein weiterer Donner übertönt meine Stimme komplett.

Als ich auf dem Flur stehe und die Schlafzimmertür hinter mir schließe, zwinge ich mich zur Ruhe und atme erst mal tief durch. Sicherlich gibt es eine logische Erklärung für das Keuchen, die Abdrücke auf dem Bett und dieses seltsame Knurren. Vielleicht sind es die Rohre, schließlich ist es ein altes Haus.

Als ich mich beruhigt habe, gehe ich zu Julies Zimmer. An ihrer Tür ist mit pinkfarbenen Holzbuchstaben ihr Name geschrieben, darunter hängt das Poster einer Boyband. Ich klopfe an und eine zarte Stimme bittet mich herein.

Als ich die Tür öffne, sehe ich ein wunderhübsches junges Mädchen, mit hellroten langen Haaren an einem Schreibtisch sitzen. Sie lächelt mich an, steht auf, kommt auf mich zu und reicht mir die Hand.

„Bist du Elvira Taylor?“, fragt sie mit einer butterzarten hohen Stimme.

„Nein, ich bin Scarlett Taylor. Ich vertrete meine Tante, bis sie wieder da ist.“

„Oh“, sagt Julie und ihr Lächeln verlässt abrupt ihr Gesicht. „Okay.“

Ich räuspere mich. „Julie, können wir uns über die Dinge unterhalten, weswegen deine Mutter mich angerufen hat?“, frage ich und setze mich auf ihr rosafarbenes Plüschbett.

„Okay“, antwortet sie knapp, setzt sich wieder an ihren Schreibtisch und legt ihre Hände mit den langen dünnen Fingern auf die Tastatur ihres Laptops. Mir fällt auf, dass der Bildschirm schwarz ist.

„Kannst du mir erzählen, was du gesehen hast? Mit deiner Mutter habe ich schon gesprochen.“

Julie dreht langsam den Kopf zu mir. Ihre Mundwinkel deuten ein Lächeln an, welches ihre Augen aber nicht erreicht.

„Ich habe Schatten gesehen“, sagt sie tonlos und schaut wieder zurück auf den schwarzen Bildschirm.

Dieses Kind ist mir irgendwie unheimlich, aber ich weiß nicht wieso. „Julie, haben diese Schatten dir Angst gemacht?“, hake ich nach.

„Ein wenig.“

Ich seufze und schlage die Beine übereinander. „Ist da vielleicht etwas, das du mir erzählen möchtest? Deine Mutter sagte, es sei deine Idee gewesen mich anzurufen.“

Wieder dreht sie den Kopf in meine Richtung und blickt mich aus matten Augen an. „Meine Idee war es, Elvira Taylor anzurufen.“

Genervt verdrehe ich die Augen. „Tja, aber Elvira ist zurzeit leider nicht da, deswegen bin ich als ihre Vertretung hier“, sage ich, vielleicht ein bisschen zu schnippisch. „Möchtest du vielleicht warten, bis Elvira wieder da ist?“, schlage ich vor, obwohl ich nicht glaube, dass Zoe damit einverstanden wäre.

„Darauf werden wir wohl nicht warten können.“ sagt sie und lächelt mich unheimlich an.

Ich stutze. „Was meinst du damit?“

Mechanisch dreht sie den Kopf zurück und blickt ganz vertieft auf den pechschwarzen Bildschirm. „Ach, nur so“, seufzt sie. „Meine Mutter hätte die Sache gern baldigst erledigt.“

Baldigst erledigt, wiederhole ich gedanklich. Welches vierzehnjährige Mädchen spricht denn so?

Ich stehe auf und gehe zur Tür, während Julie weiterhin auf den abgeschalteten Laptop starrt. Ich greife zur Türklinke und will mich verabschieden, als ich für den Bruchteil einer Sekunde eine verzerrte Fratze anstelle von Julies Spiegelbild im Bildschirm sehe. Doch sobald ich einmal blinzle, ist sie weg und ich sehe nur noch das hübsche Gesicht dieses rothaarigen Mädchens darin.

„Okay, Julie. Falls du mir noch etwas sagen möchtest, findest du mich unten bei deiner Mutter“, sage ich kurzatmig und verlasse hastig ihr Zimmer.

Ich gehe die knarrenden Treppen hinab und zurück zu Zoe in die Küche. Sie sitzt an der Kücheninsel und blickt müde in ihre Teetasse. Als ich auf sie zukomme, schreckt sie hoch und atmet erleichtert aus, als sie sieht, dass ich es bin. Ganz kurz kriege ich einen Eindruck davon, welch schöne Frau sie einmal gewesen sein muss, doch die Angst und die Panik, die sie tagtäglich mit sich herumträgt, haben ihr Gesicht verändert. Erwartungsvoll blickt sie mich an, als wäre ich ihre letzte Rettung.

„Ich müsste mal kurz auf die Toilette. Bin gleich wieder bei dir“, entschuldige ich mich und gehe ins Gästebad.

Ich muss einfach mal kurz allein sein, weg von dieser Frau, die all ihre Hoffnungen in mich gesetzt hat.

Die Rohre hinter den Wänden gluckern, als ich das kalte Wasser aufdrehe. Es hört sich an, als käme eine Horde Ratten mit metallenen Füßen über ein Blechdach gerannt. Ich lasse das Wasser über meine Hände laufen und benetze mein Gesicht damit. Die Kühle tut gut und wirkt beruhigend. Ich nehme das flauschige Gästehandtuch und halte es mir vors Gesicht, während ich über Zoe und Julie nachdenke. Gerne hätte ich mit Zoes Mann Peter gesprochen und seine Sicht der Dinge erfahren. Seine Frau sagte mir ja schon am Telefon, dass er dem Ganzen keinen Glauben schenkt. Vielleicht hätten wir zusammen eine natürliche und logische Erklärung für den Spuk finden können.

Seufzend besehe ich mir mein Gesicht im Spiegel, als ich hinter mir, in der Ecke des Badezimmers, einen ziemlich großen, mannshohen, schwarzen Schatten sehe.

Ich kreische und greife nach der Türklinke. Panisch ziehe und rüttle ich daran, doch sie geht nicht auf. Der Schatten ist immer noch da und zu meinem blanken Entsetzen, kann ich Kopf, Schultern, lange Arme und gebeugte Beine an ihm ausmachen. Sein Gesicht teilt sich gespenstisch, und da, wo ein Mund sein könnte, öffnet sich der Schatten und ein gurgelndes Lachen ertönt. Ein Lachen, das nicht menschlich ist. Es geht mir durch Mark und Bein.

Ich reiße immer noch am Türgriff, zerre daran und versuche zu entkommen. Der Schatten macht einen Schritt auf mich zu, sein Lachen kommt näher und ich spüre wieder diesen heißen Atem, als endlich die Tür aufgeht.

Fallend renne ich durch die Tür, komme auf den Knien auf, rapple mich wieder hoch und blicke hinter mich.

Der Schatten ist verschwunden.

„Du hast ihn auch gesehen, Scarlett, oder?“, kreischt Zoe und hält ängstlich ein paar Meter Abstand, während sie die Gegend hektisch mit ihren verweinten Augen sondiert. „Ist er noch hier?“

Mein Herz rast in meiner Brust, schlägt mir bis zum Hals. „Nein, er ist wieder weg“, keuche ich.

Zoe bricht in Tränen aus. „Es reicht! Es reicht wirklich!“, schreit sie zwischen lauten Schluchzern, dreht sich um und geht in die Küche.

Ich folge ihr, wobei ich keine Ahnung habe, wie ich sie beruhigen soll, wie ich ihr und mir selbst erklären kann, was gerade geschehen ist.

Hektisch zieht Zoe zwei schwere Koffer aus dem Abstellraum neben der Küche hervor und ruft lauthals nach ihrer Tochter.

„Wir gehen“, verkündet sie energisch, wobei Tränen unaufhörlich von ihren Wangen tropfen.

Julie kommt durch die Tür, sieht mit aufgerissenen Augen zwischen mir und ihrer Mutter hin und her.

„Nimm deinen Koffer, Julie. Wir gehen zu Tante Mira.“

Das Mädchen nimmt ihrer Mutter einen Koffer ab. Dann blickt sie mich fast entschuldigend an, doch Zoe drängt sie an mir vorbei in den Flur.

Schnell nehme ich meine Sachen und folge den beiden. Zoe läuft mit schnellen Schritten zur Haustür und mahnt ihre Tochter zur Eile. Ich haste hinterher.

Draußen tobt der Wind, der Regen peitscht durch die nun geöffnete Haustür hinein und ein weiterer Blitz erhellt kurzzeitig den Himmel. Zoe holt einen Schlüsselbund aus ihrer Hosentasche, fummelt daran herum und wirft mir einen einzelnen Schlüssel zu. Nur mit Mühe fange ich ihn. Sie befiehlt ihrer Tochter zum Auto zu gehen und diese rennt los.

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