Kitabı oku: «Scarlett Taylor», sayfa 3

Yazı tipi:

„Wir gehen, Scarlett. Ruf mich an, wenn das Ding weg ist. Egal wie lange es dauert, oder was es auch kosten mag, mach es weg!“, ruft sie mir entschlossen über den Donner, den prasselnden Regen und das Peitschen des Windes zu.

Dann rennt sie selbst zur Garage, den Koffer hinter sich herschleifend, durch die herabfallenden Wassermassen und lässt mich allein zurück.

Kapitel 6

Ein weiterer Blitz durchzuckt den Himmel, als auch ich fluchtartig das Haus verlasse. Auf keinen Fall bleibe ich mit diesem Schattenwesen alleine zurück!

Ich werfe die Tür hinter mir zu und haste in mein Auto, während Zoe mit ihrem silbernen SUV an mir vorbeirast. Mit durchdrehenden Reifen manövriert sie diesen riesigen Wagen zwischen den Bäumen hindurch hinaus auf die Straße. Ich blicke ihr nach, bis sie hinter Regengüssen aus meiner Sicht verschwindet.

Mein keuchender Atem lässt rasch die Scheiben von innen beschlagen, meine Hände beben und mein Herz rast. Ich stelle den Scheibenwischer an, verriegle den Wagen von innen und blicke durch den Regen am Haus empor, als ich den Motor anlasse. Oben, an einem der Fenster, das wie ein finsteres Auge auf mich herabstarrt, huscht ein schwarzer Schatten entlang und die Gardine beginnt zu zittern.

Ich lege panisch den ersten Gang ein, schlage das Lenkrad herum und gebe Vollgas. Holpernd komme ich auf die Auffahrt und blicke in den Rückspiegel. Das Haus lacht. Es lacht mich eigenartigerweise aus und für den Bruchteil einer Sekunde höre ich das gurgelnde, knurrende Fauchen in meinem Nacken. Ich schreie und fahre ruckelnd vom Grundstück.

Auf der Straße zwinge ich mich dazu, die Panik zu vertreiben und konzentriere mich mehr auf das Schalten und angemessene Gas geben, während ich angestrengt durch den Regen blinzle. Erst, als ich das Haus nicht mehr im Rückspiegel sehen kann, fahre ich rechts ran. Meine Hände umklammern das Lenkrad, sodass meine Knöchel weiß hervortreten. Die Wassertropfen trommeln unaufhörlich auf das Dach und übertönen fast gänzlich meine Gedanken. Ich atme tief ein und reibe mir die Stirn.

Was habe ich dort im Haus gesehen, frage ich mich und schüttle mit dem Kopf. Es kann kein Geist gewesen sein, denn so etwas gibt es nicht.

Oder doch?

Mein Blick fällt auf den Stapel Sachen auf dem Beifahrersitz. Mit den Fingerspitzen fahre ich über das in Leder gebundene Buch. Was würde Elvira jetzt tun? Ich soll mich um ihre Kunden kümmern, und alles, was ich dazu wissen muss, hat sie in diesem Buch niedergeschrieben, hieß es in ihrer Nachricht.

Kopflos drücke ich die Stirn gegen das Lenkrad und seufze laut. Ich darf meine Tante nicht enttäuschen. Sie hat sich immer um mich gekümmert, vor allem nachdem meine Mutter es nicht mehr konnte. Elvira ist immer für mich da gewesen.

Andererseits wehrt sich alles in mir dagegen, wieder zu diesem Haus zu fahren. Was ich auch immer dort gesehen habe, es hat mir mächtig Angst eingejagt. Ich brauche erst mal ein bisschen Abstand, eine kurze Pause, um mir darüber klar zu werden, was ich nun als nächstes tun soll.

Also starte ich erneut den Motor und fahre zu meiner Mutter in die Klinik.

Ich stelle meinen schwarzen Panther auf meinem Stamm-Parkplatz ab, nehme das Buch und meine Handtasche und gehe am Pförtner vorbei durch den Klinikeingang.

„Hallo Scarlett!“, begrüßt mich Henry, der Pförtner, freundlich und lächelt breit, während er seinen prallen Weihnachtsmannbauch vorstreckt. „Herrliches Wetter heute, oder?“

Ich blicke zum Himmel, an dem nur ein paar vereinzelte Wattebauschwolken zu sehen sind. „Hallo Henry, ja, es ist wirklich ein schöner, sonniger Tag“, antworte ich und blinzle ein bisschen konfus in die Sonne.

„Grüß‘ deine Mutter von mir“, ruft er mir nach, als ich durch die Glastür husche, schlägt die Hacken zusammen und tippt sich an die Mütze.

„Werde ich machen!“

Ich gehe den langen Gang entlang, vorbei am Schwesternzimmer, wo ich das Gemurmel und Gelächter der Schwestern höre, die sich dort zur Mittagspause versammelt haben. Normalerweise würde ich sie begrüßen, aber ich möchte sie in ihrer kurzen Pause nicht stören.

Die Tür zum Zimmer meiner Mutter steht wie immer einen Spalt offen. Ich klopfe an und trete sofort darauf ein. Mutter sitzt an einem kleinen Klapptisch vorm Fenster. Auf dem Tisch steht das Mittagessen, unangetastet. Die Sonne strahlt durch das Blätterdach eines Baumes und hinterlässt wild tanzende Tupfen von Sonnenlicht im ganzen Raum.

„Hallo Mama“, sage ich, lege meine Sachen auf ihr Bett und hänge meinen nassen Mantel an den Haken hinter der Zimmertür. „Jetzt, wo ich zu dir komme, scheint die Sonne, dabei hat es den halben Vormittag geregnet.“

Ich gehe zu ihr, lege meine Hand auf ihre Schulter und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. Ihr langes, graues Haar wirkt struppig, obwohl die Schwestern es gebürstet haben, soweit ich erkennen kann. Ich nehme eine Strähne und streiche sie über ihre Schulter.

„Elvira ist weg“, sage ich. „Sie ist einfach verschwunden und ich weiß nicht, wo sie ist“, beginne ich zu erzählen und gehe um meine Mutter herum. Ihre fliederfarbene Strickjacke ist ihr von der Schulter gerutscht. Ich ziehe sie wieder hoch und schließe die obersten Knöpfe. „Aber sie hat mir eine Nachricht hinterlassen. Sie schreibt, ich soll mir keine Sorgen machen, aber natürlich mache ich mir Sorgen.“

Ich seufze, nehme ihre unbenutzte Gabel und stochere im noch heißen Kartoffelbrei herum. Eine kleine Menge nehme ich auf, gerade so viel, dass es für einen Spatz reichen würde, und halte ihr die Gabel vor den Mund. Mechanisch öffnet sie ihn ein kleines Stück. Ihre trockenen Lippen umschließen die Gabel und ich ziehe sie sanft wieder heraus, während die Augen meiner Mutter weiter ins Nichts starren. Ich hole einen Hocker herbei und setze mich.

„Ich soll mich um ihre Kunden kümmern, hat sie geschrieben.“ Umständlich pikse ich ein paar Erbsen auf, ziehe sie durch die braune Soße und führe die Gabel wieder vor ihren Mund. „Aber, weißt du was?“, frage ich leise und verschwörerisch, wobei ich mich umsehe, um sicher zu gehen, dass uns keiner belauscht. „Elvira hat gar kein Reisebüro.“

Mit dem Messer schneide ich ein kleines bisschen von der dünnen Scheibe Schweinebraten ab und ziehe es durch Kartoffelbrei und Soße. „Das Reisebüro war nur eine Tarnung. In Wirklichkeit arbeitet sie als Parapsychologin“, flüstere ich und sehe Mutter lange in die Augen.

Sie blinzelt. Ihre Augen sind feucht, aber nicht so, als ob sie weinen müsste. Wieder blinzelt sie und starrt auf einen Punkt am Fenster, den nur sie sehen kann.

Während ich ihr das restliche Essen anreiche, rede ich weiter. Ich erzähle ihr alles, von dem geheimen Büro, dem handgeschriebenen Buch, den Pulvern und Tinkturen in den ominösen Fläschchen und den Amuletten. Von meinem neuen Auto, von Zoe und Julie, ihrem Haus und dem Schatten darin. Von Blitz, Donner, heißem Fauchen, Knurren und gruseligem Lachen.

„Was erzählst du deiner Mutter denn für Gruselgeschichten?“, fragt eine heitere Stimme, als die Tür aufschwingt. Es ist Schwester Tanya, sie lächelt und läuft auf mich und Mutter zu.

„Ach, ich habe ihr nur erzählt, was ich gestern im Fernsehen gesehen habe“, lüge ich und lächle zurück.

Tanya beugt sich zu meiner Mutter vor und streicht ihr über den Unterarm. „Na, Hauptsache, Sie können gleich noch gut schlafen, Frau Schneider“, sagt sie und zwinkert mir zu. Als sie den leeren Teller auf dem Tisch sieht, nickt sie anerkennend. „Sie haben ja alles aufgegessen! Sehr gut!“ Sie nimmt das Tablett hoch und macht sich zum Gehen auf. Bevor sie durch die Tür in den Flur tritt, wendet sie sich an mich. „Du klingelst, wie immer, wenn du gehst, ja? Dann legen wir sie zum Mittagsschlaf hin.“

Ich nicke und bedanke mich. Mutter blinzelt.

Nach ein paar stillen Minuten, in denen ich sie dabei beobachtet habe wie sie ins Nichts blickt, nehme ich ihre Hand und streiche über ihre pergamentartige Haut.

Sie anzuflehen, damit sie zurückkommt, zu jammern und zu weinen, damit sie auch nur eine kleine Regung von sich gibt, habe ich vor Jahren aufgegeben. Ich weiß, sie würde wieder zurückkommen, wenn sie könnte. Aber sie kann nicht. Aus irgendeinem Grund ist sie seit über neun Jahren in dieser Situation gefangen.

Ziemlich oft denke ich an den Tag zurück, an dem es passiert ist, an dem sie zwar wach wurde, aber nicht mehr aufwachte. In meinen Gedanken habe ich diesen Tag Millionen Male Revue passieren lassen. Es war der Tag vor meinem achtzehnten Geburtstag. Mutter, Elvira, ein paar Freundinnen und ich hatten die Tage zuvor mit der Planung der Feier verbracht. Da mein Vater uns noch vor meiner Geburt verlassen hatte, waren unsere finanziellen Mittel begrenzt, aber das hat Mama mich nie spüren lassen. Sie machte alles möglich, und dieser Geburtstag sollte etwas ganz Besonderes werden.

An dem besagten Tag war ich schon früh wach. Mama hatte die halbe Nacht damit verbracht, aus einem zerbrochenen Spiegel, einem alten Ball und einer Heißklebepistole eine Discokugel für die Party zu basteln. Das Ding lag fertig auf dem Küchentisch, glitzernd, rund und perfekt. Ich konnte nicht glauben, dass sie es noch in der Nacht fertiggestellt hatte und hüpfte aufgeregt in ihr Zimmer, um mich zu bedanken. Sie schlief noch, also sprang ich auf ihr Bett. Ich sang ein dämliches Lied, um sie zu ärgern und wach zu kriegen, während ich auf und ab sprang. Aber sie reagierte nicht.

Selbst wenn ich heute daran denke, wird mir noch flau im Magen.

Der Moment, als ich dachte, sie sei tot.

Als ich mich herunterbeugte, ihr Gesicht in beide Hände nahm, ihren wirren Blick sah.

Die Minuten, in denen ich vergeblich versuchte einen Puls zu fühlen, ich aber nicht wusste wie es richtig geht und schließlich mein Ohr auf ihre Brust presste.

Die Verwirrung, als ich zwar ein Herz schlagen hörte, meine Mutter aber trotzdem wie tot dalag...

Ich hatte ihr schon kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt, geschrien, ihr eine Ohrfeige verpasst und verzweifelt auf dem Boden vor ihrem Bett geweint, bis ich endlich auf die Idee kam, Elvira anzurufen.

Danach verblasst meine Erinnerung. Alles ist in grauen Nebel gehüllt.

Ich musste unsere Wohnung verlassen und kam im Wohnheim unter. Mehrmals pro Woche war ich bei Elvira, und genauso oft ging ich meine Mutter in der Klinik besuchen.

In den ersten Jahren habe ich sie angefleht zu mir zurückzukommen, etwas zu sagen, wieder zu reagieren. Doch irgendwann hörte ich damit auf. Was, wenn sie zurückkommen will, aber es nicht kann? Wie muss sie sich fühlen, wenn ihre Tochter sie um etwas anfleht, das sie ihr nicht geben kann? Also hörte ich auf zu betteln und arrangierte mich mit allem.

Aber in Momenten wie diesen, könnte ich wirklich ihren Rat gebrauchen. Ich wünschte, sie würde plötzlich wieder erwachen und mir sagen, was ich zu tun habe. Aber das tut sie nicht. Stattdessen schaut sie aus dem Fenster.

Ich lege ihre Hand in ihren Schoß, löse die Handbremse vom Rollstuhl und schiebe sie hinaus auf die Terrasse in die Sonne. Ich fahre sie in den Halbschatten, wo die warme Sonne auf ihre Beine strahlt, sie aber nicht blendet. Dann hole ich eine kleine Decke und mein Buch von Elvira, setze mich neben meine Mutter und lese dort weiter. Irgendwo, zwischen all diesen wirren Notizen muss stehen, wie ich Zoe und Julie helfen kann. Ich blättere vor und zurück, suche nach Schlagworten wie „Schattenwesen“, „Geist“ oder etwas in der Art, als ich schließlich über eine nachträglich hineingeklebte Zeichnung stolpere. Meine Finger zittern leicht, als sie über das grausige Bild fahren. Darauf ist eine Gestalt aus Schatten zu sehen, mit breiten Schultern, schmalem Kopf, krummen Beinen und langen Armen. Das Schlimmste aber ist das Grinsen. Diese Zeichnung grinst genauso, wie das Ding in Zoes Haus. Sein Kopf wirkt wie horizontal zu einem fiesen Lachen gespalten.

Ich bedecke die Zeichnung mit der flachen Hand, weil ich es nicht länger ertragen kann sie zu betrachten. Auch wenn es nur eine Zeichnung ist, so sitzt der Schock noch zu tief. Ich frage mich, ob diese Zeichnung der Beweis dafür ist, dass das, was ich gesehen habe, echt war.

Neben dem eingeklebten Bild steht etwas vertikal geschrieben. Ich drehe das Buch und lese es.

Dämon!!! Nichts auf eigene Faust unternehmen! Chris anrufen! Nummer im Handy!!!“

Kapitel 7

Nachdem ich mich von meiner Mutter verabschiedet habe, fahre ich nach Hause. Die Nummer von diesem Chris steht tatsächlich in dem Handy, welches Elvira mir hinterlegt hat. Darunter der Vermerk „Dämonologe“.

Ich habe keine Ahnung was ich sagen soll, wenn ich ihn anrufe. Wird er mich für verrückt halten, oder hat er schon Schlimmeres gehört?

Ich steige aus meinem schwarzen Panther und höre hinter mir ein anerkennendes Pfeifen. Als ich mich umdrehe, steht dort mein arroganter, namenloser Nachbar. Ich stöhne genervt und krame meine Sachen zusammen.

„Neues Auto, Schneider? Hast du im Lotto gewonnen, oder was?“, fragt er, die Arme vor der Brust verschränkt, als er langsam auf mich zuläuft. „Nicht schlecht, Sommersprosse!“

Ich kann gar nicht so viel seufzen und mit den Augen rollen, wie ich gerne würde. „Danke“, murmle ich und laufe mit meinen Sachen im Arm an ihm vorbei.

„Ganz in Schwarz heute? Gibt es was zu betrauern? Soll ich dir Trost spenden?“, säuselt er und setzt einen lächerlichen Hundeblick auf, mit gesenkten Lidern und gespitzten Lippen, während er neben mir hertrottet.

Ich lehne dankend ab und krame den Haustürschlüssel aus meiner Manteltasche. Mein Nachbar lehnt sich an die Hauswand, dicht neben mir, kratzt sich den Hinterkopf und lugt auf die Sachen in meinem Arm. Ich presse sie noch dichter an mich, um sie vor seinen neugierigen Blicken zu schützen.

„Was hast du da?“, will er wissen, beugt sich vor und deutet mit dem Finger auf mein Buch. Seine Augen weiten sich und er saugt die Luft ein. „Hat das Moppelchen etwa endlich wieder einen Job?“ rät er und grinst mich an.

„So in etwa“, antworte ich knapp und husche durch die Tür. „Und nenn mich nicht Moppelchen!“

Er bleibt mir dicht auf den Versen, hüpft leichtfüßig die Treppen neben mir hoch und lächelt mich dabei an. „Erzähl doch mal, Schneider. Es scheint ein guter Job zu sein, wenn ich mir so deinen neuen Wagen anschaue“, bohrt er auf seine lästige Art weiter, während er um mich herumtänzelt.

Vor meiner Wohnungstür bleibe ich stehen, wende mich ihm zu und zwinge mich, ihm fest in die stahlblauen Augen zu sehen. „Das geht dich nichts an!“, sage ich bestimmt und straffe die Schultern.

Er weicht keinen Zentimeter zurück und begegnet meinem Blick. Offenbar denkt er nach, wobei er immer noch dieses schiefe Grinsen auf den Lippen trägt.

„Ich hab’s!“, sagt er schließlich. „Du bist Edelnutte für Kunden mit speziellen Wünschen!“, sagt er und zeichnet mit den Händen die Figur einer übergroßen Sanduhr in die Luft.

Verärgert forme ich die Augen zu Schlitzen und mahle mit meinem Kiefer. „Nein“, zische ich und funkle ihn an. „Ich habe einen Job als Auftragskillerin bekommen, und mein Boss sagte, es wäre nicht schlimm, wenn ich mal danebenziele. Er würde sich dann um die Beseitigung der Leiche kümmern.“

Mein dämlicher Nachbar lacht, legt mir die Hand auf die Schulter und sagt, dass es doch nur ein Scherz gewesen sei und ich nicht böse sein soll.

Ich sehe ihn nicht mehr an und verschwinde in meiner Wohnung, wo ich die Tür hinter mir zuknalle. Dieser Dreckskerl, denke ich. Er schafft es immer wieder mich auf die Palme zu bringen, und dabei kenne ich noch nicht einmal seinen Namen! Er hat sich mir nie vorgestellt, und auf seinem Briefkasten klebt nur ein unbeschriftetes Namensfeld. Nach einer Weile mochte ich ihn nicht mehr fragen, weil er das bestimmt als Flirtversuch aufgefasst hätte. Somit ist dort das süffisante Lachen meines namenlosen Nachbarn, welches sich im Hausflur langsam entfernt, leiser wird und mit dem Schließen seiner Wohnungstür endlich verstummt.

Ich lasse meine Sachen auf den Boden plumpsen, werfe meinen Mantel daneben und gehe in die Küche. Noch immer leicht aufgebracht, werfe ich meine Kaffeemaschine an und bereite mir einen Vanilla-Latte zu. Wahrscheinlich würden mich die dummen Sprüche meines Nachbarn nicht so aufregen, wenn er nicht so oft ins Schwarze treffen würde. Er nennt mich Sommersprosse oder Moppelchen, er weiß, dass ich Single und arbeitslos bin, er spielt vor meinen Augen mit seinen Muskeln, blinzelt mich mit seinen stahlblauen Augen an und weiß genau, wie er sich in Szene setzen muss. Es ärgert mich, dass mein Gesichtsausdruck mich offensichtlich verrät, denn er sieht wirklich verdammt gut aus, wie ein Model aus einem Hochglanzmagazin. Und natürlich bin ich in gewisser Weise neidisch auf seinen Lebensstil. Ich weiß zwar nicht, was er genau macht, aber er scheint gut zu verdienen und bei Frauen hat er natürlich die freie Auswahl. Und das nutzt er aus, denn er nimmt sich, wen er kriegen kann, manchmal auch mehrere an einem Abend. Er ist das, was ich nicht bin: Erfolgreich, gutaussehend und immer in bester Gesellschaft.

Ich schlage mit der Faust auf die Arbeitsplatte und strafe mich für meine Gedanken und dafür, dass so ein arroganter Dreckskerl es überhaupt schafft, in meinen Kopf zu gelangen.

Als mein Vanilla-Latte fertig ist, nehme ich ihn und setze mich ins Wohnzimmer an den Schreibtisch. Mein Ex hatte diesen Schreibtisch gekauft, weil er auch nach der Arbeit meistens noch etwas am Computer zu tun hatte. Mir hatten ein Laptop und ein Sofa gereicht, aber nun, da ich diesen Schreibtisch nach der Trennung behalten habe, kann ich ihn auch nutzen. Vielleicht werde ich mir vorübergehend auch so ein kleines, geheimes Büro einrichten, wie Elvira es in ihrem Reisebüro hat.

Als ich an Elvira denke, wird mir seltsam flau im Magen. Habe ich etwas vergessen? Hätte ich noch etwas tun sollen? Ohne erkennbaren Grund, verspüre ich ein schlechtes Gewissen meiner Tante gegenüber. So habe ich mich noch nie gefühlt und ich weiß nicht, woran es liegt. Doch so schnell dieses flaue Unbehagen gekommen ist, so schnell ist es auch wieder verflogen.

Ich hole meine Sachen aus dem Flur und setze mich wieder. Das große Buch mit dem eingebrannten Stern auf dem Deckel lege ich neben meinen Laptop. Ein paar der Dinge aus der schwarzen Kulturtasche lege ich in die kleinen Fächer, die eigentlich für Notizzettel und ähnliches gedacht sind. Eine Handvoll Edelsteine packe ich in eine Kristallschale, in der zuvor Pralinen waren. Sie glitzern und schillern im Sonnenlicht. Die bronzene Figur eines Kobolds stelle ich neben meinem Laptop. Er hockt auf einer kleinen Kugel, hat die Hände gefaltet und die spitzen, fledermausartigen Flügel auf seinem Rücken angelegt. Seine Nase ist dick und rund, die Augen hält er geschlossen. Ich frage mich, warum Elvira wollte, dass ich diese hässliche Figur eines Trolls, Zwerges, Kobolds, oder was auch immer, besitze.

Die Flaschen und Gläser mit Tinkturen, Weihwasser und Pülverchen lasse ich in der Tasche und stelle diese in eine der leeren Schubladen. Dann nehme ich das Handy in beide Hände. Als ich an das Schattenwesen, welches laut Elviras Buch ein Dämon ist, denke, läuft mir erneut ein Schauer über den Rücken. Am liebsten würde ich dieses Haus niemals wieder betreten und Zoe den Schlüssel zurückgeben. Aber das geht nicht. Elvira verlässt sich auf mich. Alleine schaffe ich das jedoch nicht. Also nehme ich all meinen Mut zusammen und tippe auf das Hörersymbol neben Chris´ Namen.

Es klingelt. Dreimal, viermal, fünfmal. Gerade als ich auflegen will, nimmt jemand ab.

„Hallo?“, sagt eine dunkle, raue Stimme.

Ich schlucke. Was soll ich jetzt sagen? Warum habe ich mir nicht vorab überlegt, wie ich mein Anliegen formulieren soll?

„Hallo? Wer ist da?“, hakt die Stimme am anderen Ende nach.

„Ähm... Hier ist Scarlett Taylor. Ich bin die Nichte von Elvira Taylor, von ihr habe ich auch Ihre Nummer.“

Kurz ist Stille, ich höre ihn atmen. „Ja?“

„Ja... ähm... Also, ich glaube, ich brauche Ihre Hilfe“, stammle ich.

„Wobei?“

Ich schlage das Buch auf und blättere zu der Seite mit der eingeklebten Zeichnung des Schattenwesens. „Nun ja, es geht um so eine Art Schattenmann.“

„Kann ich bitte mit Elvira sprechen? Ist sie da?“, fragt er und ich höre einen genervten Unterton in seiner Stimme.

„Nein, sie ist verschwunden. Ich soll ihre Fälle übernehmen, bis sie wieder da ist“, erkläre ich und bedecke derweil das schreckliche Bild des lachenden Wesens mit der Hand.

„Sie ist verschwunden? Seit wann?“

„Circa eine Woche“

Wieder Stille am anderen Ende. Ich höre Rascheln, dann ein Klimpern, wie von einem Schlüsselbund. „Ich bin in zehn Minuten bei Elviras Büro, wir treffen uns dort“, sagt er und legt auf.

Ein paar Sekunden lang lausche ich auf das Rauschen, dann blicke ich auf das Display. Er hat einfach aufgelegt. Nachdem ich mindestens zwei Minuten wie verdattert vor mich hingestarrt habe, hole ich die Kulturtasche wieder aus der Schublade, nehme das Buch und stopfe beides in einen schwarzen Rucksack. Das Buch ist zu schwer und zu groß, um in eine meiner Handtaschen zu passen. Wenigstens hat der Rucksack goldene Schnallen und Reißverschlüsse, ansonsten würde ich damit aussehen, als wäre ich unterwegs zum Zeltlager. Ich kippe den Vanilla-Latte hastig herunter, werfe mir meinen Mantel über und fahre zu Elviras Büro.

Ich parke hinter dem Reisebüro und stelle meinen wunderschönen schwarzen Panther auf seinen angestammten Platz. Als ich aussteige, öffnet sich auch die Autotür eines schwarzen Transporters in der Ecke des Parkplatzes. Ich schnalle mir meinen Rucksack um und schließe mein Auto ab, während ich beobachte, wie ein großer Mann in grauem Wollmantel mit hochgestelltem Kragen aus dem Transporter steigt. Mit großen Schritten kommt er auf mich zu. Sein Haar ist wie Salz und Pfeffer, schwarz mit vereinzelten weißen Strähnen an den Schläfen und im Nacken. Er trägt es halb lang und hat es lässig nach hinten gebürstet. Sein Teint weist eine leichte Bräune auf, aber nicht diese falsche Solariumbräune, sondern eine, die man bekommt, wenn man viel draußen arbeitet. Schwarze Bartstoppeln zieren seinen markant eckigen Kiefer. Er ist wahrscheinlich Mitte dreißig, wirkt gebildet und kultiviert. Einen Dämonologen hätte ich mir allerdings anders vorgestellt.

„Scarlett Taylor?“, fragt er, die Hände in die Taschen seines Mantels gesteckt und sieht mich von der Seite an.

„Ja. Und du bist Chris?“

Er nickt und reicht mir die Hand. Ich strecke ihm meine entgegen und seine riesige Hand umschließt meine fast komplett. Sein Händedruck ist warm und fest, aber nicht zu fest. Ich bemerke weiche schwarze Härchen auf seinem Handrücken.

„Lass uns reingehen“, schlägt er vor und deutet mit dem Kopf auf das Gebäude.

Ich hole meinen Schlüssel hervor und er lässt mich vorangehen. Als ich die Glastür mit der Aufschrift „Reisebüro“ aufschließe, besehe ich mir rasch unser Spiegelbild darin. Chris ist so groß, dass ich gegen ihn klein und zierlich wirke, was ich nun wirklich nicht bin. Er überragt mich um mindestens dreißig Zentimeter und seine Schultern wirken wie breite Flügel hinter mir. Ich schließe auf und mache das Licht im Inneren an. Chris läuft vor in Richtung Kaffeeküche, und noch bevor ich hinter uns abschließen und ihm nachkommen kann, höre ich, wie er die Trennwand des geheimen Büros zur Seite schiebt. So geheim ist dieses Büro also scheinbar gar nicht! Ich frage mich, wer noch von seiner Existenz weiß und warum Elvira mich niemals eingeweiht hat.

Als ich ihm ins Büro folge, sitzt er schon auf dem Ledersessel und blättert durch einen Kalender. Ich setze mich ihm gegenüber hin und sehe ihm ein wenig unbeholfen zu. Seite für Seite überfliegt er Elviras Notizen, seine Stirn liegt dabei in Falten und seine moosgrünen Augen bekommen einen sorgenvollen Ausdruck. Es herrscht unangenehmes Schweigen zwischen uns und ich weiß nicht, wie ich es brechen soll, da ich ihn nicht in seinem Tun unterbrechen möchte. Wenn er Elvira kennt und von diesem Büro und ihrer Arbeit als Parapsychologin weiß, dann kann er vielleicht mehr über ihr Verschwinden herausfinden als ich. Ich beobachte, wie er sich einen Zettel und Stift nimmt und eine Adresse aus dem Kalender abschreibt.

„Vor einer Woche hast du sie zuletzt gesehen?“, bricht er endlich das erdrückende Schweigen und sieht mich kurz an.

„Ja. Also, nein“, stammle ich und er zieht eine Augenbraue hoch. „Gesehen habe ich sie zuletzt vor zehn Tagen. Aber sie hat mir eine Mail geschickt, in der stand, dass ihr vor sieben Tagen etwas zugestoßen ist“ erzähle ich. „Keine Ahnung, wie sie diese Mail dann verschicken konnte, aber so stand es dort.“

Chris hebt den Kopf und blickt mich nachdenklich an. „Sie wird ein Programm genutzt haben, mit dem sie täglich oder wöchentlich die Mail zurücksetzen konnte. Erst als sie es nicht mehr tat, wurde sie sieben Tage später abgeschickt. So etwas kann man heutzutage ganz leicht einrichten“, erklärt er und mustert mich eindringlich. „Viele in unserer Branche benutzen solche Programme, nur zur Sicherheit.“

Das macht Sinn, denke ich und verlagere unbehaglich unter Chris´ Blicken mein Gewicht auf dem Sessel. Er sieht mich an, als wolle er sich mein Gesicht genauestens einprägen, um später ein Phantombild von mir zeichnen zu können. Meine Wangen werden heiß und ich senke den Blick.

Chris wendet sich wieder dem Kalender zu, faltet den Zettel mit der Adresse und steckt ihn unter seinem Mantel in die Brusttasche seines karierten Hemdes. „Wann hast du die Mail von ihr bekommen?“

„Gestern“

Chris dreht den Kalender zu mir. Mit dem Finger deutet er auf eine Notiz von Elvira. „Vor acht Tagen hatte sie diesen Auftrag. Dieser waagerechte Strich hier oben bedeutet, dass sie dort hingefahren ist. Wäre es ein Plus, würde das bedeuteten, dass sie wieder zurückgekehrt ist. Ist sie aber nicht“, stellt er fest und zeigt mir die vielen Plus-Symbole neben anderen Notizen. Nur bei dem letzten Termin ist ein Minus zu sehen. Sie kam also nicht zurück um den kleinen Strich auszuführen, der das Minus in ein Plus verwandelt hätte.

Ich nicke. „Das wusste ich nicht“, gebe ich zu.

Chris zuckt mit den Schultern. „Ich denke mal, du weißt so einiges nicht“, sagt er beiläufig und steckt den Stift zurück zu den anderen in die umfunktionierte Kaffeetasse. „Was hast du bislang unternommen um Elvira wiederzufinden?“ fragt er, lehnt sich im Sessel zurück und faltet die großen Hände vor seinem Bauch.

Ich sehe ihn an. Irgendetwas möchte ich sagen, kann es aber nicht. Mein Mund will sich öffnen, aber es klappt nicht. Ich bringe nur ein dumpfes „Hmpf“ heraus.

Er beobachtet mich und wiederholt seine Frage. „Was hast du unternommen, um Elvira zu finden?“, fragt er betont langsam und richtet sich im Sessel auf. Seine raue Stimme nimmt einen drohenden Unterton an.

Von mir kommt wieder nur ein geistloses, gemurmeltes Grunzen. So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann keinen klaren Gedanken fassen.

Chris steht auf und geht mit zwei großen Schritten um den Schreibtisch herum auf mich zu. Er geht vor mir in die Hocke und nimmt mein Gesicht in beide Hände.

„Was hast du unternommen um Elvira zu finden?“, fragt er nun ein drittes Mal, wobei er mir tief in die Augen sieht. Seine Hände umfassen meine jetzt glühenden Wangen.

Wieder möchte ich etwas sagen, kann es aber nicht. Ich weiß tief in meinem Inneren, dass irgendwas nicht stimmt, dass dort irgendetwas ist, das ich vergessen habe und nicht aussprechen kann.

Chris erhebt sich, legt meinen Kopf in den Nacken, zieht mein Augenlid hoch und besieht es sich im Licht der Deckenlampe genauer. Dann stößt er einen leisen, gemurmelten Fluch aus und lässt mich los. Er wirkt verärgert und besorgt zugleich, fährt sich rasch durch die Haare und presst die Lippen aufeinander. Dann greift er nach meinem Hals, fährt mit seinen Fingern fahrig daran herum, zieht mein Shirt nach vorn und blickt in meinen Ausschnitt. Ich will erschrocken protestieren, sitze aber wie von einem unsichtbaren Seil gefesselt und geknebelt da. Dann greift er nach meinen Handgelenken, zieht die Ärmel meiner Bluse hoch und sucht nach etwas. Als er mein Armband sieht, ein einfaches Silberarmband mit einem Herzanhänger, betrachtet er es genauer. Es scheint aber nicht das zu sein, wonach er gesucht hat, denn er lässt mein Handgelenk seufzend fallen. Langsam beugt er sich wieder zu mir herunter, sieht mir tief in die Augen, während er meine Schultern umfasst.

„Du bist verhext worden, Scarlett“, sagt er leise und langsam. „Elvira hat dir mit Sicherheit ein Amulett hinterlassen. du hättest es tragen sollen.“

Ich blicke ihn verdutzt an, immer noch unfähig zu sprechen.

Er zieht an einem Lederband an seinem Hals und holt ein Amulett hervor, welches er vor meinen Augen baumeln lässt. Ich erkenne es: Genauso eins hat Elvira mir mit dem Buch und den anderen Sachen hinterlegt. Ich bemühe all meine Kraft auf und schaffe es zu nicken.

„Wo ist deins?“, fragt er und steckt sein Amulett zurück unter seinen Hemdkragen. „Hast du es bei dir?“

Wieder benutze ich all meine Kraft und bringe ein weiteres kurzes Nicken zustande, wobei ich starr auf meinen Rucksack blicke.

Chris versteht den Hinweis und holt den Rucksack herbei. Er öffnet ihn und wühlt in seinem Inneren herum. Dann nimmt er die Kulturtasche, fischt mit seinen großen Händen darin und hält nach kurzer Zeit das Lederband mit meinem Amulett zwischen Zeigefinger und Daumen. Als er wieder zu mir kommt, kniet er sich vor mich hin und bindet mir das Lederband um den Hals. Seine Berührungen in meinem Nacken senden wohlige Schauer über meine Haut und ich kann meine Augen nicht von seinem markanten Gesicht lassen. Aus dieser Nähe erkenne ich feine Lachfältchen um seine Augen herum und sein herb frischer Geruch steigt mir in die Nase. Er riecht wie ein Wald direkt nach einem Regenschauer, nach Zedernholz und rauchigem Feuer.

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