Kitabı oku: «Warrior & Peace», sayfa 4
Wagemutig bog ich ab, knallte den speckigen Mülltonnendeckel nach oben und kroch hinein. Der allumfassende Geruch ließ mich würgen. Knietief versank ich in dem Zeug, das ich gar nicht näher identifizieren wollte. Es war ekelhaft, jedoch meine einzige Chance, nicht als Sushi zu enden. Davonlaufen konnte ich jedenfalls nicht. Bei den Göttern, was war das nur für ein Tag? Ich spitzte die Ohren. Dennoch hörte ich die schnellen Schritte des Vampirs. Sie kamen näher. Direkt vor meinem Versteck verklangen sie plötzlich. Geräuschvoll konnte ich ihn durch seine Nase einatmen hören. Angestrengt hielt ich die Luft an. Seine Füße scharrten unentschlossen. Mein Herz flatterte. Kalter Schweiß brach mir am Rücken aus. Der Vampir schnüffelte und stieß ein lautes Würgen aus.
»Verdammt«, hörte ich ihn murmeln, bevor sich seine Schritte wieder entfernten, schneller wurden und schließlich gänzlich verschwanden. Dunkle Flecken tanzten vor meinen Augen, als ich zischend die angehaltene Luft ausstieß. Eine Weile blieb ich noch im Müll sitzen und lauschte, ob der Blutsauger zurückkam. Als alles still blieb, kroch ich mühsam aus der Tonne und starrte auf die Straße vor mir. Sie war leer. Alles weiterhin still, von dem Flügelflattern der Gargoyles über mir einmal abgesehen. Neben mir stapelten sich ein paar muffige Kartons, in denen das Quieken von mutierten Ratten zu hören war. Aber kein Vampir. Erleichtert sog ich die frische Luft in meine Lunge und pflückte mir … na ja, etwas aus den Haaren. Himmel! Nur eine Stunde auf dieser Ebene und ich hätte beinahe meinen Kopf verloren und war mit Scheiße und der kleinen Schwester von Scheiße beschmiert. Ich würde nie, nie, nie wieder in die Hölle zurückgehen! Oder mich mit Gladis anlegen. Meine Ohren zuckten, als ich plötzlich Schritte hinter mir hörte. Weiche, ja, geschmeidige Schritte, die sich schnell näherten. Ohne zu überlegen, sprang ich auf und rannte wieder los. Stolperte nach vorne. Orientierungslos bog ich ab und kollidierte mit einer granitharten Wand. »Uff!« Meine Nase knackste, als ich ruckartig am Boden aufschlug. Erstaunlicherweise fiel die Wand mit mir um. Ich kreischte auf und fuchtelte mit den Armen. Meine Hand klatschte dabei auf nackte Haut.
»Aua! Verdammt noch mal. Was soll das?«, blaffte mich eine Stimme an. Ahh! Panik! Monster, Vergewaltiger! Ich wollte nicht als Sushi enden.
Kein Vampir würde an meiner Vene nuckeln. Wild entschlossen beugte ich meine Knie und rammte ihm die Füße in den Bauch.
»Heilige Scheiße!« Der Körper über mir krümmte sich und ich schaffte es tatsächlich, ihn so abzuschütteln. Blitzschnell sprang ich auf und wollte davonrennen. Leider packte mich eine Hand am rechten Bein und brachte mich erneut zum Stolpern. Hart landete ich wieder auf dem Boden und spürte, wie meine Zähne aufeinanderschlugen. Blut füllte meinen Mund. Meine Sonnenbrille zersplitterte.
»Lass mich los!« Panisch schüttelte ich mein Bein. Doch der Angreifer zog mich ungerührt zu sich heran. Zwei Arme packten meine eigenen und fixierten diese hinter mir. Danach platzierte er auch noch ein Knie auf meinem Rücken. Ächzend spuckte ich Blut auf den Boden und hustete.
»Teufel! Was bist du denn für ein Typ?«, brüllte jemand, was jetzt, wo ich keine Chance mehr hatte, noch davonzulaufen, ein wenig komisch klang. Der Vampir von vorhin war es jedenfalls nicht. Stockend hielt ich inne und versuchte, meinen Angreifer aus dem Augenwinkel zu sehen.
»Na also, geht doch!«, schnaufte die Stimme. Sie klang voll und weich, nicht alt, aber auch nicht jung. Sein Knie hielt mich weiterhin brutal am Boden. Ein leiser Schmerzensschrei entfuhr mir. Der Griff lockerte sich. »Sag mal, bist du ein Mädchen?«
»Lass mich los!«, spie ich aus.
Der Mann fluchte laut. »Ein Mädchen! Das hat mir gerade noch gefehlt.« Es klang wie das Knurren eines Raubtiers. Tief und gefährlich, ein Tonfall, bei dem sich mir alle Nackenhaare aufstellten. Der Mann löste abrupt seinen Griff um meine Handgelenke, packte stattdessen meine Hüfte und stellte mich mit erstaunlicher Kraft auf die Füße. Ein wenig desorientiert von so viel Herumgewirbel stolperte ich nach vorne und wurde ziemlich grob an seine breite Brust gerissen. Aha, die Wand von vorhin.
»Schön! Dann müssen wir uns eben beide verstecken. Du machst keinen Mucks, hast du verstanden, Mädchen? Ein Pieps und ich schlitz dir die Kehle auf.« Entsetzt klappte mir der Kiefer runter. Mein Blick wanderte von besagter Wandbrust aus nach oben. Bevor ich jedoch die Chance bekam, etwas Dummes zu tun, nämlich seine Warnung auf die Probe zu stellen und mein Knie genüsslich in seine Weichteile zu stoßen, hob er auch schon eine Hand und drückte mir diese gegen den Mund. Lautlos verschwanden wir in der Gasse, aus der ich ursprünglich gekommen war. Viel zu grob presste er uns gegen eine kalte Wand. Mein Hirn schien von all dem Adrenalin einen Kurzschluss zu haben. Was war denn das jetzt? Gleich zwei Angreifer in nicht mal zwanzig Minuten? Die Hölle war wirklich durchgeknallt.
Ein kleines Wimmern entfuhr meinen Lippen, das sofort von seiner großen Hand verschluckt wurde. Mein Körper kribbelte, als hätte er überempfindliche Nerven entwickelt, die jede Bewegung des fremden Mannes registrierten. Sein breiter Brustkorb hob sich genauso schnell wie meiner. Seine Hände waren lang und schmal. Sie sahen verstörend jung aus, obwohl sich Dutzende von feinen Narben über die helle Haut spannten. Ein herber Geruch nach Ozon und Kupfer stieg mir in die Nase. Der Fremde musste irgendwo bluten. Vielleicht war es aber auch mein eigenes Blut, weil ich mir bei dem Sturz die Wange aufgebissen hatte. Minuten vergingen, in denen wir einfach nur bekloppt aneinandergepresst an der Wand standen und warteten. Worauf? Ich hatte verflucht noch mal keine Ahnung! Mein Körper sträubte sich mit jedem Atemzug gegen die erzwungene Umarmung. Ich wurde so gut wie nie berührt! Niemand bei klarem Verstand berührte mich freiwillig. Und als Geisel gehalten zu werden, das war nun wirklich nicht gerade der Knüller. Warum musste ich auf dieser Ebene auch ausgerechnet den zwei beklopptesten Typen ganz Abaddons über den Weg laufen? Warum?
Als würde der Fremde meinen inneren Zwist mitbekommen, blickte er auf mich herab. Beinahe glaubte ich, ihn mitleidig lächeln zu sehen.
»Tut mir leid, Mädchen«, flüsterte er mir ins Ohr. Meine Kapuze verdeckte zum Glück immer noch mein Gesicht, also konnte er mich nicht erkennen. Dennoch spürte ich seinen forschenden Blick auf mir ruhen. Ängstlich schielte ich in seine Richtung und stockte. Bei genauerem Hinsehen war der Mann wunderschön. Ein anderes Wort fiel mir dazu nicht ein. Seine Gestalt war, wie bereits vermutet, groß und schlank. Die Haut glich blassem Alabaster, allein unterbrochen von einer feinen Narbe, die sich quer über seine rechte Augenbraue zog. Die Wangenknochen hoben sich messerscharf hervor. Wie in Stein gemeißelt. Die Augen groß und dermaßen hellgrau, dass sie wie silberne Spiegel wirkten. Perfektioniert wurde das Ganze von einer geraden und eleganten Nase. Die vollen Lippen, öffneten sich unter jedem angestrengten Atemzug. Sein Haar war halblang und fiel ihm in sanften Locken über den Nacken und in die Stirn. Das einzig Seltsame daran war die Farbe. Sie glänzten blau! In der Dunkelheit wäre es mir beinahe nicht aufgefallen, doch die weichen Locken schimmerten ohne jeden Zweifel in einem dunklen Mitternachtsblau. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Die Mundwinkel des Fremden zuckten amüsiert, als könnte er meinen Blick auf seinem Gesicht spüren. Doch sein Ausdruck blieb so kühl wie die Schneide eines Messers. Seine Augen strahlten Eiseskälte aus und beinahe glaubte ich, so etwas wie kleine elektrische Blitze durch seine Haare hindurchhuschen zu sehen.
»Wenn die Wachen an uns vorbei sind, werde ich dich gehen lassen. Du wirst laufen und dich kein einziges Mal nach mir umdrehen«, befahl er mir leise. Die Arroganz in seiner Stimme ging mir sofort auf die Nerven. Seine Hände krampften sich noch eine Spur fester um meinen Mund. Wenn er weiter so zudrückte, würde mir langsam die Luft ausgehen. »Wenn du ein schlaues Mädchen bist, wirst du niemandem von unserer Begegnung erzählen. Verstanden?« Er schüttelte mich wie ein unartiges Hündchen. Im Augenblick hatte ich nicht übel Lust, ihm auf die Schuhe zu pinkeln. Natürlich nur im übertragenen Sinne. Trotzdem nickte ich, bevor lautes Hundegebell und das Brüllen von Männerstimmen die Dunkelheit unseres Verstecks durchbrachen. Der junge Mann presste mich an sich.
»Showtime«, flüsterte er mir leise ins Ohr, als auch schon die bulligen Körper der Höllenhunde an uns vorbeihetzten. Geifer und scharfe Zähne glänzten im Licht der Straßenlaternen. Ihre großen Leiber verschmolzen beinahe nahtlos mit der schmutzigen Straße. Ich starrte die Hunde an, die knurrend stehen blieben und lauschten. Ihre großen Ohren zuckten nervös, während die Flanken schweißnass vor Anstrengung bebten.
»Ich rieche ihn! Er ist weitergelaufen«, knurrte schließlich einer. Ich kannte ihn. Sein Name war Bloodclaw. Er war der Sicherheitsmann meines Vaters. Die Hunde grollten unentschlossen. »Ich sagte, hier entlang!«, befahl Bloodclaw und schnappte nach den Hinterläufen eines anderen Hundes. Dieser zog augenblicklich den Schwanz zwischen die Beine und senkte den bulligen Kopf. »Der Gefangene darf uns nicht entwischen, er ist seit zwei Tagen auf freiem Fuß!«, bellte Bloodclaw und rannte staubaufwirbelnd weiter. Die Meute der Bluthunde schoss hinter ihm her, während ihr lautes Gebell gewaltsam die Nacht zerschnitt. Mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen den Brustkorb. Der Geschmack nach Blut wurde intensiver, während ich meinem Geiselnehmer einen schnellen Blick zuwarf. Es bestand kein Zweifel. Die Hunde suchten nach ihm! War er etwa der Grund dafür, dass die Stromversorgung und sämtliche Ausgänge in der Unterwelt gekappt worden waren? Wütend biss ich die Zähne zusammen. Wenn ja, war ich nur wegen diesem Arschloch hier unten und hatte mich in einer dreckigen Mülltonne vor einem durchgeknallten Vampir verstecken müssen. Und wegen ihm musste ich mich nun auch noch vor den Hunden meines eigenen Vaters verstecken.
Mein zuvor erloschener Kampfgeist kehrte mit aller Macht zurück. Er wollte mir die Kehle durchschneiden? Dann musste er vorher meinen Arschtritt überleben. So schnell ich konnte, holte ich aus und stieß meinen Ellbogen in seinen Magen. Der Fremde schien von dem plötzlichen Angriff dermaßen überrumpelt, dass er mich keuchend losließ.
»Was?«, verblüfft griff er erneut nach mir, doch ich riss mich von ihm los und trat ihm, so fest ich konnte, gegen das Schienbein. Was ihn, zu meinem maßlosen Ärger, nicht einmal fluchen ließ. Er starrte mich nur ziemlich, ziemlich wütend an. Seine lächerlich perfekten Nasenflügel blähten sich und er warf mir einen solch kalten Blick zu, dass ich eine Gänsehaut bekam. Giftig funkelte ich zurück.
»Das ist alles deine Schuld!«, fuhr ich ihn an und schlug zu. Leider fing der Junge mühelos meine Finger auf und drückte mich erneut mit brutaler Gewalt gegen die Wand. Es rumste heftig. Sterne kreisten um meinen Kopf, während Steinbröckchen auf uns rieselten.
»Was immer du gerade vorhast, tu es nicht!« Seine Augen waren kalt und hart und dabei so wunderschön, dass sich mein Magen zusammenzog. Das fahle Licht beleuchtete die Kanten seines Kiefers und schnitt seine engelsgleichen Züge hart entzwei.
»Verdammter Bastard, lass mich los! Du bist derjenige, den sie suchen! Wegen dir musste ich zu Fuß gehen. Ich werde allen sagen, wo du bist.«
»Das wirst du nicht!«, fauchte er. Seine Stimme klang wie das warnende Grollen eines Raubtiers und diesmal sah ich eindeutig Blitze durch seine Haare zucken. Was war das? Sein Griff wurde von Sekunde zu Sekunde schmerzhafter. »Wie willst du es verhindern? Indem du mich tötest?«, höhnte ich mit mehr Mut als Verstand. Innerlich verdrehte ich über meine eigene Dummheit die Augen.
Toll, Warrior! Genau so was sagt man zu durchgeknallten Typen, die gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen sind.
»Ganz genau!«, spie mir der Mann eiskalt ins Gesicht.
Innerlich begann ich zu wimmern. Nach außen hin funkelte ich ihn weiterhin nur wütend an. Wow, meine eigene Blödheit überraschte mich manchmal selbst. »Ich werde dich töten und ich werde es grausam machen, wenn du nicht sofort still bist.«
»Zur Hölle mit dir«, zischte ich und spuckte ihm direkt ins Gesicht. Was machte ich denn da für einen Blödsinn? Mir mein eigenes Grab schaufeln? So hirnverbrannt war ich doch sonst nicht!
Der Fremde hob ungerührt die Augenbraue. Allein sein Unterkiefer spannte sich bedrohlich an. Seine Finger zuckten, als müsste er sich davon abhalten, mir sofort den Kopf abzureißen.
»Du hast keine Ahnung, wer ich bin«, sagte er schließlich. Seine Worte waren eiskalt und emotionslos. Der kaltblütige Ausdruck in seinen Augen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Es war, als würde sich hinter seinen Pupillen eiskalte Leere befinden. Dunkel und absolut leblos.
»Du bist ein Frauen-als-Geisel-nehmender-Bastard-ohne-Eier«, erwiderte ich bissig.
Ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Man hat mir schon schlimmere Namen gegeben. Warum riechst du eigentlich nach Rosen, die in eine Jauchegrube gefallen sind?«
Wütend öffnete ich meinen Mund, wurde jedoch von einem tiefen, lang gezogenen Knurren unterbrochen. Der Fremde erstarrte, bevor sein Kopf alarmiert zur Seite schnellte. In der Gasse, direkt hinter uns, lauerte ein riesiger Höllenhund. Seine roten Augen leuchteten triumphierend. Geifer tropfte von seinen Lefzen, als er pirschenden Schrittes auf uns zuschlich. Seine Krallen schabten lange Rillen in den Boden.
»Hab ich dich doch gerochen, Missgeburt. Der Herr wird mich für diesen Fund fürstlich belohnen. Da kannst du dich noch so lange hinter deinem Frauchen verstecken.«
Der Fremde fluchte aufgebracht. »Das wollte ich nicht, Mädchen«, raunte er mir beinahe entschuldigend ins Ohr, während er sich langsam hinter mich schob.
»Trotzdem, lieber du als ich.«
»Was?« Verwundert öffnete ich den Mund. Im gleichen Augenblick sprang der Höllenhund unter ohrenbetäubendem Gebell nach vorne. Sein schwerer Körper schnellte vorwärts, seine Krallen waren in voller Länge ausgefahren. Vollkommen überrumpelt spürte ich einen heftigen Schubs im Rücken und stolperte nach vorne. Der Höllenhund landete auf mir und verbiss sich in meine Kehle. Ich sah Sternchen. Scheiße, tat das weh! Mein gesamter Körper fiel in Schockstarre, als die scharfen Zähne mein Fleisch zerrissen und der Fremde auf den Fersen umdrehte und davonrannte.
Drei

Ich bin nicht im Himmel? Ich will mein Geld zuruck!
»Warrior, wach auf!«
»Mhhpffff!«
»Warrior!«
»Mhpff … lass mich, ich bin tot.«
Ein Seufzen. »Nein, bist du nicht! Du liegst auf der Couch.«
»Ich … was?« Verblüfft blinzelte ich. Das Licht, das ich fälschlicherweise für das am Ende eines langen Tunnels mit den glücklichen Familienmitgliedern auf der anderen Seite gehalten hatte, entpuppte sich als ein … staubiger Kronleuchter? Mein Blick war noch ein wenig verschwommen, also blinzelte ich ein paarmal und ja … da! Kronleuchter, Spinnen, Staub in meiner Nase, also doch nicht der Himmel. Schleppend hob ich eine Hand und wischte mir über die salzig verklebte Wange. Ich musste geweint haben, denn meine Augen waren rot verquollen, genauso wie meine Nase, aus der supersexy der Rotz floss. Aber warum tat mein Hals so weh, da war … »Huuu… Huuuu… Huuuund!« Erschrocken setzte ich mich auf und griff mir reflexartig an die Kehle. O Gott! Der verdammte Höllenhund! Er hatte mir seine Zähne in die Kehle geschlagen. Ich hatte das Brechen meines Genicks gehört, als die Zähne meine Luftröhre zerfetzt und die Knochen zertrümmert hatten. Ich schmeckte immer noch mein eigenes Blut auf den Lippen, das mir schwallartig aus dem Mund geschossen war. Ich hatte bereits von meinem enttäuschend unerfüllten Leben Abschied genommen. Hatte meinen Vater und meine Mutter für die misslungene Erziehung verflucht, aber wo zum Teufel war ich denn jetzt?
»Ich bin nicht im Himmel? Ich will mein Geld zurück!«, blubberte es aus mir heraus. Mein Hirn fühlte sich wie Matsch an. Ein kleiner Teil von mir hatte sich an die Vorstellung von Wölkchen und Engelchen nach dem Tod geklammert.
Ein weiteres Seufzen drang an mein Ohr. »Tochter, du gehst mir auf die Nerven!«
»Was …?« So sprach nur einer mit mir.
»Daddy? Bist du auch im Himmel?« Der Gott der Unterwelt warf mir einen entnervten Blick zu. Er hatte es sich in einem großen Ohrensessel neben mir bequem gemacht. Die Beine hatte er übereinandergeschlagen, während er ein iPad auf dem rechten Knie abstützte. Sein dunkles Haar war halblang geschnitten und perfekt nach hinten frisiert und die violetten Augen sahen mich missbilligend über den Rand des Tablets hinweg an. Sein Körper steckte in einem dunklen Anzug mit passender roter Krawatte. Die Haut war ungewöhnlich blass. Der Tod war eine eindrucksvolle Erscheinung. Bei jeder Bewegung seines Körpers tropfte schwarzer Rauch zu Boden, der sich wie eine unheilvolle Gewitterwolke zu seinen Füßen sammelte. Dabei schmiegten sich lange samtschwarze Flügel an seinen Rücken. Der Totengott beziehungsweise seine Söhne waren die Einzigen in der Unterwelt, die solche Flügel besaßen. Jeder, der sie sah, wusste, dass man einem Mitglied des Hauses Hades gegenüberstand. Na ja, von mir einmal abgesehen.
»Warrior. Wenn du deine unpassenden Scherze beendet hast, würde ich gerne mit dir reden.«
Mühsam setzte ich mich auf und dehnte vorsichtig den Hals. Er schien noch heil zu sein. Wirklich eigenartig. Ich meine … Gott sei Dank! Aber ich verstand da grundsätzlich etwas nicht. Ich hatte meine Kehle eindeutig in den Fängen des Hundes hängen sehen. Von dem Gedanken wurde mir augenblicklich schlecht.
»Wie … wie … bin ich hier hochgekommen, Daddy? Eben war ich noch auf Ebene 144!« Ich sagte absichtlich Daddy zu ihm, weil ich wusste, dass es ihn maßlos ärgerte. Gleichzeitig gefiel es ihm aber auch. Nur würde er das niemals zugeben.
Der Herr der Unterwelt verzog missbilligend die Mundwinkel und legte das Tablet vorsichtig zur Seite.
»Was … ist das etwa eine Brille?«, fragte ich und war ein wenig perplex von dem unscheinbaren silbernen Gestell auf seiner Nase.
Hades erstarrte kurz. Seine Nasenflügel bebten, bevor er die Brille blitzschnell zusammenklappte und in seine Jackentasche steckte. »Nein, ist es nicht, Tochter. Wir müssen reden. Ich bin äußerst verärgert über dich.«
»Oh!«, sagte ich schwach und wollte die Kapuze tiefer ins Gesicht ziehen. Doch … da war keine Kapuze. Panisch tastete ich weiter nach hinten und förderte ein paar vollkommen zerfetzte Stoffreste zutage. »O Scheiße!«
»Keine Sorge. Niemand hat dich gesehen. Abgesehen von dem Höllenhund. Er war es auch, der dich zu mir gebracht hat.«
»Hades, bitte, du …«
»Unterschätze mich nicht, Warrior! Ich bin ein Gott und dein Vater!«, unterbrach er mich scharf. Ruckartig stand er auf, sodass der Nebel zu seinen Füßen aufgewirbelt wurde. Seine Flügel zitterten. Eine lange Feder segelte zu Boden. »Sei nicht so arrogant, dich für mächtiger als die Götter selbst zu halten. Dein Aussehen hat keinerlei Einfluss auf mich, was ich jedoch nicht vom Rest meiner Leute behaupten kann. Also, was in aller Götter Namen hast du hier unten zu suchen?«, brüllte er mir immer lauter werdend ins Gesicht. Seine lilafarbenen Augen, die er an mich weitervererbt hatte, glühten vor Zorn. Ängstlich presste ich die Lippen aufeinander und senkte den Kopf, sodass ein Vorhang goldfarbenen Haares meine aufsteigenden Tränen verdeckte. Ich wurde nicht oft von Hades angeschrien. Vater hin oder her. In solchen Momenten hatte ich eine Heidenangst vor ihm. »Daddy, ich …«
»Du hast es deiner Mutter und mir versprochen!«, blaffte er weiter, ohne auf meinen zaghaften Einwurf einzugehen. »Was glaubst du, wer wir sind, Warrior? Wir sind Götter! Das solltest du für keinen Augenblick vergessen. Du hast uns versprochen, kein Aufsehen zu erregen. Du bist gefährlich und schädigst unseren Ruf im Olymp. Wir können dir nicht vorwerfen, mit welchem Makel du geboren wurdest, aber du kannst zumindest den Anstand zeigen, uns keine Schande zu machen!« Sein Brüllen erschütterte den Raum und brachte den Lüster an der Decke zum Klirren. Der Rauch zu seinen Füßen erfüllte inzwischen den gesamten Raum und dimmte das Licht, sodass es plötzlich unangenehm dunkel wurde. Dennoch war der Gott problemlos zu sehen. Als würde seine Haut von innen heraus leuchten.
»Du hattest für heute Nachmittag nur eine Aufgabe, Warrior! Du solltest zu deiner monatlichen Überprüfung in den Olymp gehen. Aber was muss ich erfahren? Ich bekomme einen Anruf, dass meine Tochter meine Angestellten beleidigt und in den Kerker geworfen wurde. Das ist kein Verhalten, das ich bei meinen Kindern billige.«
Ich könnte jetzt einwerfen, dass meine Brüder weit mehr Mist bauten als ich. Sich nur nicht so oft erwischen ließen. In weiser Voraussicht hielt ich aber den Mund und verkniff mir angestrengt die Tränen.
»Du magst vielleicht meine Tochter sein«, knurrte Hades. »Glaube jedoch nicht, ich würde dich weiterhin mit Samthandschuhen anfassen. Du bist die Tochter zweier Götter. Ich erwarte mehr von dir als das!« Abfällig zeigte er auf meine zusammengekauerte Gestalt. »Bei einer weiteren Verfehlung werde ich dich auspeitschen lassen! Glaubst du etwa, ich weiß nichts von deinem kleinen Versteck bei Sokrates? Dass du deine Zeit mit Fernsehen und dummen Videospielen verplemperst? Ich habe es dir durchgehen lassen, doch damit ist ab sofort Schluss. Du hast offensichtlich vergessen, was wir sind! Wegen deiner Dummheit musste heute einer meiner besten Hunde sterben.«
»Vater, ich … er ist tot?«, fragte ich erschrocken. O nein, nicht schon wieder.
»Ich musste ihn töten, sonst hätte er jeden in deiner Nähe in Stücke gerissen. Ein Blick in dein Gesicht und er war nicht mehr zu gebrauchen. Ich musste dich persönlich aus seinen Klauen reißen!«
Ich fuhr zusammen und spürte nun doch, wie die Tränen hochkamen. »Das … das wollte ich nicht«, flüsterte ich mit rauer Stimme und schluckte angestrengt den Kloß im Hals hinunter.
»Bitte! Ich wollte mit einem der Taxis fahren. Aber die Ebenen waren gesperrt, sodass ich zu Fuß weitermusste. Da war …« Die Erinnerung an schneeblasse Haut und leuchtend blaues Haar schob sich in mein Blickfeld. Mit einem Mal stellten sich mir sämtliche Nackenhaare auf. Mein Kopf tat weh. »Da war dieser Junge … er … er hat mich den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Ich konnte nichts tun!«
Hades’ Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen, während seine Flügel unruhig zuckten. »Mir sind die Details dieses Unfalls bekannt. Du kannst dem Schicksal danken, dass deine Kapuze heruntergerutscht war, ansonsten hätte der Hund dich zerfetzt.« Seine Stimme wurde ein wenig milder. Der Rauch zog sich langsam an seine Füße zurück und ließ sanftes Licht in den Raum strahlen. »Dieser Junge, dieser Abschaum, an den du unglücklicherweise geraten bist, ist aus dem Tartaros geflüchtet. In den letzten Stunden seiner Flucht hat er drei Abaddoner getötet und dabei beinahe auch dich!«
Mit großen Augen sah ich zu meinem Vater auf. Der Junge war also aus dem Tartaros geflüchtet? Ich hatte nicht einmal gewusst, dass das überhaupt möglich war. Schaudernd griff ich mir an die Kehle. Viel zu deutlich spürte ich noch die Zähne des Hundes, wie sie mir die Haut zerrissen. Meine Kapuze war heruntergerutscht? Daran konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Dennoch saß ich hier. Unverletzt. Meine Stimme brach. »Es tut mir leid, Vater«, presste ich mühsam hervor. Was hätte ich auch anderes sagen sollen? Der Schaden war angerichtet. Hades starrte mich weiterhin wütend an, doch die Schatten zogen sich endgültig zurück. Erleichtert atmete ich auf, während er mit raschelnden Flügeln zur Tür ans andere Ende des Wohnzimmers ging.
»Also gut, Warrior. Vielleicht freut es dich, jetzt zu hören, dass wir den Abschaum einfangen konnten. Er sitzt im Tartaros und dort wird er auch bleiben.«
»Was? Wie?« Erstaunt sprang ich auf die Füße und wäre beinahe wieder nach hinten umgekippt. Aua! Mein ganzer Körper fühlte sich zerschlagen an. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb ich mir den Nacken. »Wie konntet ihr ihn fangen?«
Hades schnaubte. »Sei nicht naiv, Warrior, niemand entkommt seinem Schicksal. Schon gar nicht Monster wie er. Geh jetzt in dein Zimmer. Ich bringe dich morgen nach London zurück und vergiss nicht, etwas anzu…«
Die Tür schloss sich bereits hinter dem Gott, bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte. Mit wackeligen Knien setzte ich mich wieder hin und massierte mir meinen steifen Nacken. Die Kopfschmerzen hatten sich inzwischen in glühende Eisennägel verwandelt, die mir unaufhörlich in die Schädeldecke bohrten. Der Fremde war also festgenommen worden? Wie hatte er sich überhaupt ganze zwei Tage vor den Hunden und meinem Vater verstecken können? Beinahe bewunderte ich diese Gerissenheit und Kühnheit, die solch einer Tat vorausgegangen sein mussten. Dieser Junge … dieser Mann saß offensichtlich nicht ohne Grund im sichersten Gefängnis der unsterblichen Welt. Wer wusste schon, welchem irren Monster ich gerade noch entkommen war. Sofort kroch mir wieder die Gänsehaut über den Rücken. Seine eisgrauen Augen, waren so leer gewesen, als hätte jede Spur von Lebendigkeit in ihnen gefehlt. Ich war froh, dass die Hunde es geschafft hatten, ihn einzufangen. Er hatte mir einen Heidenschreck eingejagt. Das Bild seiner funkensprühenden Haare würde ich nie mehr aus dem Kopf bekommen. Jetzt konnte er zumindest niemanden mehr verletzten. Es war gut, dass er im Tartaros festsaß. Auch wenn ich fürchterliche Dinge über diesen Ort gehört hatte. Nicht viel. Mehr Gerüchte als Fakten. Aber das hatte gereicht, um mir ein Leben lang Albträume zu bescheren. Nur die gefährlichsten Monster, Riesen, Walküren und Götter, wie die ehemaligen Titanen, wurden in den Tartaros gesperrt. Es galt als das Hochsicherheitsgefängnis der übernatürlichen Welt. Niemand entkam von dort. Theoretisch. Offensichtlich gab es dann doch blauhaarige Ausnahmen.
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen stand ich auf und verließ das Wohnzimmer. Im Aufstehen schnappte ich mir noch ein Kissen von dem alten und vor allem klapprigen Sofa, auf dem ich gelegen hatte, und hielt es mir schützend vor das Gesicht. Von meiner Kapuze war schließlich nicht mehr als ein kläglicher Haufen zerfetzten Stoffs übrig geblieben. Zu wenig, um mein Gesicht anständig zu bedecken. Und das Risiko, heute noch jemanden in den Wahnsinn zu treiben, war damit definitiv zu groß.
Wenn mir jemand über den Weg lief, konnte ich ihn somit schnell genug vorwarnen, rechtzeitig wegzusehen. Oder es als Waffe benutzen. Je nachdem, wem ich über den Weg lief. Knarrend schwang die schwere Tür des Wohnzimmers auf und ich begann meinen Weg durch Hades’ monströses Anwesen, das das Zentrum von Ebene 146 bildete. Der Bau war beinahe vollkommen aus dunklem Stein und Marmor errichtet, wobei das Gebäude in all den vergangenen Jahrhunderten ein verwirrender Mix aus mittelalterlichen Gemäuern, barocken Dächern, Designermöbeln aus den Zwanziger- bis Vierzigerjahren und modernen Fensterfronten geworden war. Altgriechische Säulen stemmten sich meterweit in die Höhe und trugen eine kuppelartige Decke, die mit kunstvollen Malereien aus der Renaissance bedeckt war. Die Farbe war bereits verblichen und bröckelte stellenweise ab, sodass nur noch vereinzelte Fetzen von kämpfenden Männern, die sich gegenseitig zu Boden rangen, übrig blieben. Die einzige Figur, die noch annähernd gut zu erkennen war, stand ein wenig abseits des Kampfgeschehens und blickte mit blutigen Tränen auf das Schlachtfeld herab. Seine dunklen Haare sahen bläulich aus. Ich blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und starrte amüsiert nach oben. Einer meiner Brüder musste vor Kurzem seine kreative Ader gefunden haben. Zumindest hatte die Zeichnung das letzte Mal, als ich hier gewesen war, noch keine Harry Potter-Narbe und kein Hitler-Bärtchen unter der Nase gehabt.
Augenrollend ging ich weiter, wobei meine Schritte laut von den nackten Wänden hallten. Hier und dort kreuzte eine Fackel moderne Lampen oder eine rostige Ritterrüstung lehnte an einem verstaubten Picasso. Vor den Fenstern wogten ein paar rote Lavalampen. Der Boden wechselte von Beton zu marmoriert oder schwarz-weiß gefliest, bis ich die große Halle erreichte, deren Wände von großen, nach oben hin spitz zulaufenden Fenstern gesäumt waren, die einen herrlichen Blick auf die nächtliche Skyline von Uptown preisgaben. Da wir uns unter der Erde befanden, schien zwar kein Mond, doch der Strom war wohl in den letzten Stunden wieder eingeschaltet worden, sodass die Stadt in einem hellen Lichtermeer erstrahlte. Anders als auf Ebene 144, die hauptsächlich aus alten und stinkenden Baracken bestand, war Ebene 146 eine hochkultivierte Stadt. Abaddon war nicht nur als Hölle im klassischen Sinne anzusehen, in der die bösen Buben bestraft wurden, sondern es war eine vollkommen eigenständige Metropole. Eine dunkle Welt, die sich über viertausend Jahre lang entwickelt hatte. Zugegeben, die ethischen Ansichten waren hier unten ein wenig … gewöhnungsbedürftig und in manchen Ebenen schien die Zeit im Mittelalter festgefroren zu sein, dennoch war Abaddon eine blühende, sich stetig weiterentwickelnde Zivilisation. Ich war gerne ein Teil davon. Zumindest manchmal.
»Hey, Prinzessin, hab gehört, du hast unseren alten Herren ganz schön auf die Palme gebracht.«
Erschrocken zuckte ich zusammen und fuhr, das Kissen schützend vors Gesicht gepresst, um die eigene Achse.