Kitabı oku: «Warrior & Peace», sayfa 6
Unschuldig riss Madox die Augen auf. »Auf den Schwarzmarkt ist heutzutage auch kein Verlass mehr. Da denkt man, man kauft einen blutrünstigen Basilisken für seine geliebten Brüder und bekommt stattdessen ein zerrupftes Hühnchen serviert. Aber keine Sorge, das wird einen saftigen Beschwerdebrief geben.«
Ich prustete los.
»Die Scheiße kannst du sonst wem erzählen, Madox, du hast uns verarscht! Wir wollen unser Geld zurück!« Rade sah aus, als würde er seinem kleinen Bruder jeden Augenblick die Nase einschlagen, als die Türen sich öffneten und der letzte meiner Brüder, Spade, den Raum mit dreckverschmierter Kleidung betrat. Eine lange Narbe zog sich quer über seine rechte Wange. Seine Gesichtszüge waren hart und kantig, das blonde Haar ein wenig zu lang, sodass es ihm in ungebändigten Wellen über die Schultern fiel. Als er eintrat, richteten sich alle Blicke auf den jungen Abaddoner, der sich grinsend die schmutzigen Stiefel am teuren Perserteppich vor der Tür abwischte. Hades warf ihm einen finsteren Blick zu, blieb jedoch stumm, als sich Spade lachend neben mich fallen ließ. »Na, sieh mal einer an. Die Missgeburt ist wieder da. Hab gehört, du steckst bis zum Hals in der Scheiße!«
Gelangweilt stützte ich das Kinn in meiner Hand ab und warf ihm einen schalen Blick zu. »Hey, Spade, siehst schmutzig aus. Hast dich wieder in den Syphilis-Hurenhäusern auf Ebene 60 rumgetrieben?«, fragte ich zuckersüß.
Er lächelte wölfisch. »Nein, stell dir vor! Diesmal wollte ich die Huren auf Ebene 144 ausprobieren. Vampire können da ein paar abgefahrene Dinge. Du scheinst dich ja ebenfalls auf Ebene 144 amüsiert zu haben. Ich hatte vorhin ein recht interessantes Gespräch mit einem ortsansässigen Vampir. Sein Name ist Roven. Angeblich sollst du mit ihm eine Zeit lang Fangen gespielt haben, bevor die Höllenhunde dich erwischt haben. Die gesamte Unterwelt redet davon.« Sein raues Lachen erfüllte den Raum und ließ Hades ruckartig aufsehen. Dunkler Nebel tropfte zu Boden, was Persephone angewidert die Nase rümpfen ließ.
»Warrior, was redet er da? Welcher Vampir?«, donnerte der Totengott augenblicklich los, was mich erschrocken zusammenzucken ließ.
»Arschloch!«, zischte ich Spade wütend zu. Er kicherte nur leise. Zähneknirschend sah ich Hades an und antwortete ihm kleinlaut: »Es war nichts, Daddy. Ein Vampir hat für kurze Zeit meine Fährte aufgenommen. Ich hatte aber kein Problem, ihn abzuschütteln.«
»Mit einem wagemutigen Kopfsprung in den Müll«, ergänzte Spade amüsiert, was meine restlichen Brüder polternd auflachen ließ. Wütend trat ich ihm gegen das Schienbein, was er mit einem noch festeren Tritt kommentierte. Woher wusste Spade davon? Lautlos fluchend zuckte ich zusammen. Im gleichen Augenblick landete Madox’ Faust auf Spades Wange. Dessen blonder Kopf schleuderte zurück. »Lass sie in Ruhe!«
Spade wischte sich zähnefletschend das Blut von der Unterlippe. »Bist du lebensmüde, Madox?«, grollte er. Seine Augen leuchteten glutrot. Das vampirische Erbe seiner Mutter schien heute stärker aus ihm hervorzubrechen als üblicherweise. Zudem glaubte ich, den schwachen Duft von Blut in seinem Atem wahrnehmen zu können.
»Schluss mit dem Gezanke, meine Süßen«, unterbrach Persephone Spade und Madox, bevor die beiden sich prügelnd über den Esstisch wälzen konnten. »Ihr könnt euch später noch prügeln, jetzt wird gegessen. Und Warrior, ich habe mit deinem Vater gesprochen. Wir sind uns einig, dass du für dein schlechtes Benehmen keinen Nachtisch verdient hast«, säuselte die Göttin.
Spade prustete. Ich schürzte die Lippen. Schon wieder keinen Nachtisch? Persephone schien neben gelegentlicher Folter auch den Entzug von Süßigkeiten als einheitliche Erziehungsmethode zu sehen. Leider schaffte sie es damit tatsächlich, mir jedes Mal eins auszuwischen. Ich liebte Süßes und das wusste die Göttin ganz genau.
Lächelnd klatschte sie in ihre Hände und ließ damit die Bediensteten ein. Der Butler, in diesem Fall ein Geist aus dem 18. Jahrhundert, der meinem Vater schon als Mensch gedient hatte und nach seinem Tod einfach nicht entlassen worden war, servierte das Essen auf großen silbernen Tabletts. Die Teller von Hades und Persephone blieben leer. Stattdessen servierte er ihnen langstielige Gläser mit einer rot schimmernden Flüssigkeit. Ein ungeübter Blick könnte den Inhalt mit Rotwein verwechseln, tatsächlich jedoch befand sich in den Gläsern reine Ambrosia. Das einzig Stoffliche, das Götter zu sich nehmen konnten. Zumindest, soweit ich wusste. Keiner von ihnen aß oder trank regulär. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie in der Nacht schliefen. Oder aufs Klo mussten. Madox und ich hatten diesbezüglich noch eine Wette offen.
»Bitte, fangt an«, lud Persephone lächelnd ein, was sich meine Brüder nicht zweimal sagen ließen. Wie Wölfe fielen sie über das Essen her. Kopfschüttelnd nahm ich mir ein paar Bratkartoffeln und etwas von dem spärlich zubereiteten Gemüse. Als Vegetarier war man in dieser Familie ziemlich aufgeschmissen. Die Jungs verdrückten ganze Spanferkel mit Stumpf und Stiel, ohne mit der Wimper zu zucken. Ein Stückchen Brokkoli hingegen jagte ihnen mehr Angst ein als eine Armee von Ghulen. Lustlos stocherte ich in meinem Essen und schielte zu Madox hinüber, der sein Steak hinunterschlang. Es war very rare, sodass bei jedem Biss ein wenig Blut aus seinem rechten Mundwinkel tropfte. Der Geruch nach Verfall und totem Fleisch stieg mir in die Nase. Augenblicklich wurde mir schlecht und ich schob mir eine Kartoffel in den Mund, um nicht lauthals würgen zu müssen. Hektisch begann ich zu kauen, hörte Sekunden später damit auf und verzog das Gesicht. Das Gemüse schmeckte wie Asche. Stirnrunzelnd starrte ich auf meinen Teller und schnupperte. Es roch vollkommen normal.
»Ist alles in Ordnung, meine Liebe?«, fragte Persephone leise. Lächelnd sah ich auf. »Äh … ja, danke! Alles in Ordnung. Es schmeckt ausgezeichnet!« Jetzt stopfte ich mir eine gebratene Karotte in den Mund, die mir beinahe wieder hochkam. Der Geschmack war einfach widerlich. Krampfhaft versuchte ich, den Bissen zu schlucken. Ich blinzelte ein paar angestrengte Tränen weg und grinste mit dicken Hamsterbacken, was mir ein angewidertes Kopfschütteln von Persephone einbrachte. Aber immerhin hörte sie auf, mich anzustarren. Schaudernd würgte ich das Zeug herunter und musterte misstrauisch den Teller. Was war nur los? Angeekelt stocherte ich in dem ungenießbaren Essen und beobachtete Hades, der genüsslich von seiner Ambrosia trank. Die Konsistenz war dickflüssig, der Geruch äußerst kräftig. Um ehrlich zu sein, stank es immer ein wenig vergoren. Doch nun fand ich den Geruch angenehm süßlich. Ein wenig wie Honig. Fasziniert sah ich den beiden Göttern beim Trinken zu, während Hades versonnen seine Frau anlächelte und tief einatmete. »Übrigens, meine Liebe, du duftest heute wundervoll nach Rosen, das gesamte Haus riecht danach. Es ist einfach berauschend.«
Die Göttin lächelte, verzog jedoch ein wenig verwirrt das Gesicht. Das Glas erstarrte auf dem Weg zu ihrem Mund. »Wie bitte?«
»Dein Geruch!«, erklärte ihr Hades geduldig. »Berauschend. So intensiv wie seit Jahrhunderten nicht mehr.«
Persephone lächelte sichtlich irritiert. »Ich danke dir für das Kompliment, mein Lieber, aber ich trage heute gar keinen Rosenduft.«
Hades runzelte verwirrt die Stirn. »Aber was …?«
Spade neben mir grunzte entnervt und wischte sich die fettigen Finger an der Hose ab. »Es ist die kleine Missgeburt neben mir. Sie stinkt schon die ganze Zeit wie ein Blumengarten. Man riecht es in der gesamten Unterwelt. Es wurde bereits ein Preisgeld auf den Inhaber des Dufts ausgesetzt. Die Vampire spielen verrückt.«
Erschrocken verschluckte ich mich am Brokkoli und hustete.
Die Gesichtszüge der Götter entgleisten. Meine Brüder hörten auf zu essen und starrten mich an.
Scheiße.
Fünf

Sie waren mächtig, unsterblich, gelangweilt und hatten eindeutig zu viel freie Zeit
»Du wirst zurück in die Menschenwelt gehen! Deine Mutter wurde bereits benachrichtigt. Sie wird wissen, was zu tun ist. Hier unten kannst du zumindest nicht bleiben!« Aufgebracht lief Hades im Salon auf und ab. Sein Gesicht war eine kalte Maske des Grauens. Bei jedem wütenden Schritt waberten dunkle Wolken um seine Füße. Persephone hatte sich derweil auf einem rotgoldenen Diwan niedergelassen und trank genüsslich Ambrosia. Es war bereits ihr fünftes Glas.
»Nun übertreib aber nicht, mein Lieber! So berauschend ist dieser Geruch nicht. Er stinkt beinahe …«
»Mach dich nicht lächerlich, Persephone! So etwas habe ich seit Jahrtausenden nicht mehr gerochen und wenn die Vampire Interesse an ihr bekommen, ist es nicht mehr sicher genug für sie hier unten!« Hades schüttelte heftig den Kopf. »Nein! Aphrodite weiß, was zu tun ist. Bis dahin wirst du die Unterwelt nicht mehr betreten, hast du mich verstanden, Warrior?«
»Ja, Daddy«, murmelte ich kleinlaut. Ich durfte die Unterwelt zu meiner eigenen Sicherheit nicht mehr betreten? Kein Problem! Leider würde mich das von Madox trennen.
Er hatte sich nach Spades Enthüllung – Die Vampire der Unterwelt sind hinter Warriors blumig duftendem Hintern her! – und Hades’ zwangsläufig folgendem Ausraster hinter mir aufgebaut und funkelte jeden finster an, der mir zu nahe kam.
»Na und?«, schnaubte er soeben und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Flügel raschelten aufgeregt. »Was hat es schon zu bedeuten, dass sie nach Blumen riecht? Es schadet doch niemandem. Mutter hat auch einen lebenden Blumengarten auf ihrem Kopf.«
Hades warf seinem Sohn einen vernichtenden Blick zu.
»Stell dich nicht dümmer, als du bist, Sohn. Wenn selbst ihr Geruch anziehend wirkt, müssen wir sie von der Umwelt isolieren. Sie könnte alles ins Chaos stürzen. In ihr schlummert viel mehr Zerstörungskraft, als diese Idioten vom Olymp anerkennen wollen. Aphrodite sollte es ebenfalls besser wissen. Sie konnte es noch nie leiden, von einem ihrer Kinder in den Schatten gestellt zu werden.«
Schnaubend riss Persephone die grünen Augen auf. »Nun übertreib nicht schon wieder so maßlos, Hades. Die Kleine ist doch nur ein Mensch!« Sie sah unendlich genervt aus und schien es nicht lassen zu können, ständig die Nase zu rümpfen, als würde etwas schlecht riechen.
Hades starrte mich aus intensiv lila leuchtenden Augen an. Unruhig rutschte ich auf meinem Hintern herum. »Vielleicht ist sie ein Mensch …«, sagte er gefährlich leise. »Vielleicht aber auch … nein! Ich werde im Olymp einen neuen Arzttermin beantragen.«
»Glaubst du … bin ich krank?«, fragte ich besorgt, während Hades sich schwerfällig in seinen Ohrensessel fallen ließ. Seine Flügel hingen kraftlos herab.
»Ich weiß es nicht, Kind. Wir werden sehen. Bis dahin halte dich zurück. Ein weiteres Missgeschick werde ich dir nicht durchgehen lassen. Jetzt geh! Ich will dich nicht mehr sehen!«
Mir schnürte sich die Kehle zu. »In Ordnung. Auf Wiedersehen, Daddy. Gute Nacht, Persephone.« Schnell verließ ich den Raum und strebte zum Ausgang. Eine warme Hand hielt mich kurz vor den großen Flügeltüren auf.
»Hey, Prinzessin, warte! Ist alles in Ordnung?«
Seufzend sah ich zu Madox auf, der mich besorgt musterte.
»Sicher, Mad. Ist nicht so schlimm, aus diesem Höllenloch geschmissen zu werden. Aber ich … ich werde dich vermissen. Dort oben ist es schrecklich langweilig und im Vergleich zu menschlichen Schulen sind Sokrates’ Daumenschrauben ein feuchter Pups«, witzelte ich schwach. Da mich weder die Schule im Olymp noch in Abaddon hatte aufnehmen wollen, war ich wahrscheinlich das einzige Kind von Göttern, das in eine normale Menschenschule gegangen war. Ich hatte im letzten Sommer meinen Abschluss gemacht, mehr schlecht als recht, und schwitzte gerade über den Aufnahmeprüfungen für die Uni, in die ich eigentlich gar nicht gehen wollte. Aber irgendetwas musste ich schließlich tun. Oder?
Zustimmend riss Madox die Augen auf und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Wow, Mädchen. Du bist wirklich die Einzige, die es schafft, sogar aus der Hölle geworfen zu werden.«
Ich boxte ihm gegen den Oberarm. Fest.
Er lachte. Tat so, als würde es ihm auch wehtun, bevor er mich wieder liebevoll anlächelte. »Jetzt ernsthaft. Ist es dort oben wirklich so langweilig? Ich dachte immer, in den menschlichen Schulen gibt es heiße Cheerleader mit kurzen Röckchen und wilden Partys.«
Ich rümpfte die Nase. »Die sind die Schlimmsten!«
Er grinste frech. »Mach dir nichts draus, Prinzessin. Ich überlege mir etwas, um dich aufzumuntern. Aber jetzt geh! Der alte Herr sieht aus, als würde er gleich an einem Herzinfarkt sterben.« Lächelnd drückte er mich an seine warme Brust und küsste mich auf den Kopf, bevor ich aus der Haustür trat und die kühle Nachtluft von Abaddon einatmete. Breite Stufen führten von dem Anwesen aus nach unten. Eine Limousine wartete in der Auffahrt auf mich. Charon, Fährmann der Unterwelt, hatte jahrhundertelang Seelen über den Styx in die Außenwelt begleitet. Zumindest so lange, bis Hades im Sinne des neuen Zeitalters den Seelenfluss umleiten ließ und stattdessen eine vierspurige Autobahn hatte bauen lassen. Charon, erstaunlich pragmatisch für einen Gott, hatte sich jobtechnisch angepasst und fuhr seitdem eine schnittige Limousine anstatt seiner löchrigen Galeere. Ich mochte ihn. Er war zwar ein wenig wortkarg, aber immer freundlich.
Charon lächelte, als er mich auf sich zukommen sah, und verbeugte sich höflich. Der göttliche Fährmann war extrem hochgewachsen und hager. Die gräuliche Haut, die niemals Sonne sah, spannte sich über seinen Schädel. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Er blinzelte nicht. Niemals. Auf seinem kahlen Schädel saß eine altmodische Chauffeursmütze. Ein dunkles Jackett mit passender Krawatte baumelte um seinen dürren Hals.
»Guten Abend, Charon«, begrüßte ich ihn abwesend und ließ mich seufzend in die weichen Lederkissen der Limousine sinken. Das Innere roch nach Leder, Zigaretten und süßer Ambrosia, welche mein Vater in einem kleinen Kühlschrank unter der Trennwand der Limousine aufbewahrte. Charon schloss die Tür hinter mir, stieg auf der Fahrerseite vor der heruntergelassenen Trennwand ein und ließ den Wagen anspringen. Langsam setzten wir uns in Bewegung und ließen das prunkvolle Anwesen meines Vaters hinter uns. Alte rostige Straßenlaternen beleuchteten eine lange, mit Schotter ausgelegte Einfahrt, während kränklich schwarze Bäume mit schneeweißen Blättern das Anwesen vom Rest der Unterwelt abschotteten. Zwischen den Stämmen waren schwach die rot schimmernden Augen von Höllenhunden auszumachen, die ihre Runden um das Haus zogen. Was sich neben den Höllenhunden noch für grauenhafte Wesen in den Wäldchen herumtrieben, wusste nur Hades allein. Hin und wieder konnte man aber Schreie hören, die meistens in einem nassen Gurgeln endeten. Gefolgt von lustvollem Schmatzen.
Vollkommen lautlos durchfuhr die schwarze Limousine ein breites schmiedeeisernes Tor, das den Wagen ungehindert passieren ließ. Schnittig rollte er auf die Straße und wurde stetig schneller, sodass unsere Umgebung zu formlosen Klecksen verschwamm. Hier und da konnte ich ein paar Wolkenkratzer erkennen, in denen sich die wirtschaftlichen Unternehmen der Unterwelt befanden. Hades verdiente viel Geld mit dem Vertrieb von Rohgütern wie Edelgasen sowie immer rarer werdenden fossilen Brennstoffen. Neben der Belieferung von Waffen an Nord- und Südamerika, Deutschland und Russland, dem Aktienhandel und illegalen Briefkastenunternehmen in Thailand verdiente er sein Geld zusätzlich mit dem Vertrieb von Fast-Food-Ketten in der Menschenwelt. Insbesondere die Vereinigten Staaten und die Vereinigten Arabischen Emirate waren in den letzten einhundert Jahren von Abaddon und dessen Rohstoffen abhängig geworden.
Müde lehnte ich meinen Kopf an die kalte Fensterscheibe und beobachtete, wie sich Charon gekonnt einen Weg durch den Höllenverkehr bahnte. Helle Lichter von Werbetafeln, die für Shampoo und McDonald’s – ebenfalls ein Unternehmen meines Vaters – warben, flackerten an mir vorbei. Wolkenkratzer aus Eisen, Stahl und Glas drängten sich dicht an dicht. Abaddoner verstopften die Straßen, sodass Ampeln den überquellenden Verkehr regeln mussten. Langsam näherten wir uns einem breiten Tunnel am anderen Ende der Stadt, über dessen grauen Steinwände ein grünes Zeichen mit dem Wort EXIT angebracht war. Die dumpfe Tunnelbeleuchtung durchdrang das Innere der Limousine, als Charon das Fahrtempo drosselte und vor einem der Zollhäuschen stehen blieb. Rot leuchtende Schranken verhinderten jedes Weiterkommen, sodass sich bereits eine Schlange von wartenden Autos und Taxis gebildet hatte. Entnervt trommelte Charon mit den knochigen Fingern auf das lederne Lenkrad, während wir nur langsam nach vorne krochen. Die Scheibe auf der Fahrerseite fuhr schnurrend herunter, als wir neben dem Zollhäuschen stehen blieben und sich eine kaugummikauende Furie aus dem kleinen Fenster zu uns beugte. »Das macht 8,50«, nuschelte sie und ließ eine rosarote Kaugummiblase platzen. Charon zog genervt einen Ausweis aus seiner Brusttasche und hielt ihn ihr unter die Nase. Gelangweilt musterte sie das Stückchen Papier. Eine schmale Augenbraue schoss in die Höhe.
»Aha, vom Boss persönlich. Wo solls denn hingehen? Und können Sie dem Boss mal verklickern, dass wir hier unten gerne eine Gehaltserhöhung hätten? Die Gewerkschaft droht schon mit Streik.«
Charon knirschte als Antwort nur mit den Zähnen. Wie gesagt, er war eher ein schweigsamer Typ.
»Ich sags ja nur!«, erwiderte die Furie augenrollend und blies noch eine Kaugummiblase auf.
»Einfach nach London, bitte!«, fuhr ich sie an.
»Kein Stress, Mädel.« Die Zollschranken öffneten sich. Charon stieg sofort aufs Gas und ich wurde ruckartig in den Sitz gedrückt. Der Tunnel vergrößerte sich zu einer vierspurigen Autobahn, sodass wir zusammen mit Hunderten weiterer Fahrzeuge die Hölle in Richtung Großbritannien verließen. Immer wieder glaubte ich, Charons dunklen Murmelblick auf mich gerichtet zu fühlen. Aber jedes Mal, wenn ich aufsah, starrte er konzentriert auf die Straße. Er war noch schweigsamer als sonst, also wandte ich meinen Blick stattdessen nach draußen. Straßenschilder zeigten in die verschiedensten Abzweigungen des breiten Tunnels und deuteten die unterschiedlichen Kontinente und deren Städte an. Die Fahrt nach London dauerte zum Glück nicht lange. Nach nur wenigen Kilometern setzte Charon den Blinker und lenkte die Limousine durch die Verzweigungen des Tunnels. Ein Schauer jagte mir über den Rücken, als wir eine unsichtbare Barriere durchfuhren, die Abaddon von der Menschenwelt trennte. Der Tunnel wurde enger, die Lichter wurden gedimmt, bis wir die Hölle vollends hinter uns ließen und vor einer roten Ampel auf den verregneten Straßen Londons stehen blieben. Regentropfen klatschten gegen die Fensterscheibe. Draußen war es bereits stockdunkel. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es beinahe Mitternacht war. Wir kamen zügig voran und bogen schon nach wenigen Minuten in die Einfahrt eines großen Hauses am Rande des Hyde Parks ein. Kalter Wind schlug mir entgegen, als ich seufzend die Autotür öffnete. Ungehindert prasselte mir der Regen ins Gesicht, bevor Charon lautlos neben mir auftauchte und einen Regenschirm über uns aufspannte.
Zaghaft starrte ich auf das große Stadthaus, dessen Fenster trotz später Stunde noch hell erleuchtet waren. Mit einem flauen Gefühl im Magen schlug ich die Autotür zu und wurde von Charon bis zur Tür begleitet. Breite weiße Marmortreppen führten nach oben. Die Eingangstür war aus massiven Glas und antikem Holz. Ich scherzte gerne, dass der Eingang zum Tartaros nicht unfreundlicher aussehen konnte. Das ganze Haus verströmte kalte Abneigung. Vielleicht ein Grund, warum sich nie Menschen hierher verirrten. Obwohl es mitten in London stand.
Besagte Grusel-Tür schwang auf, noch bevor ich überhaupt die Gelegenheit bekam, auf die Klingel zu drücken. Oder die Kurve zu kratzen. Ich hatte mich noch nicht ganz entschieden. Offensichtlich wurde mir die Entscheidung abgenommen. Ein Schwall warmer Luft wehte nach draußen. Sofia, das olympische Hausmädchen meiner Mutter, stand im Türrahmen und bedachte mich mit einem herablassenden Blick. Für Charon hatte sie nur ein angewidertes Naserümpfen übrig. Ziemlich frech, wenn man bedachte, dass sie nur eine Muse und Charon ein Gott war. Diesen schien das nur wenig zu jucken. Er machte nicht viel Aufheben um seine Person, was ihn in meinen Augen nur noch sympathischer machte.
»Miss Pandemos, ihre Gottmutter erwartet sie bereits im Salon«, näselte Sofia und starrte angewidert auf die deutlich hervortretenden Knochen des Gottes. Dieser verzog die brüchigen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. In seinen dunklen Augenhöhlen glomm es gefährlich auf. Die Abneigung, die sich Olympier und Abaddoner entgegenbrachten, war in diesem Augenblick kaum zu übersehen.
»Danke, Charon, wir sehen uns nächste Woche«, fuhr ich schnell dazwischen und lächelte den Gott dankbar an. Ich neigte respektvoll den Kopf und folgte dem Dienstmädchen ins warme Innere. Charon blieb stumm vor der Tür stehen. Der Regen trommelte leise auf den Stoff seines Schirms.
»Richten Sie bitte meinem Vater aus, dass ich gut nach Hause gekommen bin und … und dass es mir leidtut«, bat ich ihn. Er nickte stumm. Ich war gerade dabei, die Tür zu schließen, als Charons dürre Finger meine berührten, mich zurückhielten. Verblüfft hielt ich inne. Blickte auf die tiefen Furchen, die sich in das Gesicht des Gottes eingegraben hatten. Beinahe sahen sie wie Falten aus.
»Bitte, schämen Sie sich nicht für das, was Sie sind«, raunte der Gott mir durch den Türspalt zu. Seine Stimme klang dunkel und rau, als hätte man seine Stimmbänder mit einem Reibeisen bearbeitet.
»Wie bitte?« Ich riss die Augen auf.
»Schämen Sie sich nicht. Mit Ihnen ist nichts falsch. Sie sind ein gutes Mädchen. Es war mir immer eine Freude, Sie begleiten zu dürfen.«
»Ich … d-danke, Charon. Ich fahre auch immer gerne mit Ihnen mit«, stotterte ich. Der Fährmann hatte gerade mehr mit mir gesprochen als … na ja, jemals. Er starrte mich an. Beinahe traurig. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die tiefere Bedeutung seiner Worte nicht verstanden zu haben.
Charon öffnete den Mund, doch Sofias näselnde Stimme unterbrach ihn. »Bitte, schließen Sie die Türen, Miss Pandemos. Es zieht.«
Ich drehte den Kopf. Das Mädchen stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der Eingangshalle und lauschte schamlos.
»Ja, gleich«, erwiderte ich genervt, verdrehte die Augen und wandte mich wieder Charon zu, doch das Auto verschwand gerade brummend um die nächste Ecke. Ich starrte den roten Rücklichtern hinterher, bis mir selbst zu kalt wurde und ich schaudernd die Tür schloss.
»Sie müssen nicht immer so unfreundlich zu ihm sein, Sofia. Er ist ein Gott, kein Ungeziefer«, sagte ich zähneklappernd zu dem Hausmädchen.
»Er ist ein Abaddoner«, erwiderte Sofia schlicht.
»Ihr habt doch alle einen Vogel«, knurrte ich leise und stapfte an ihr vorbei. Die einvernehmliche Abneigung der Olympier gegen die Abaddoner war mir immer wieder ein Rätsel. Der Kalte Krieg zwischen den beiden Völkern existierte, seit Hades von seinem Bruder Zeus aus dem Olymp geworfen wurde und die Unterwelt übernommen hatte. Das böse Blut der beiden Brüder zog sich wie eine hässliche Wunde durch die letzten viertausend Jahre. Wenn man mich fragte, hatten die Götter mehr als nur einen Sprung in der Schüssel. Sie waren mächtig, unsterblich, gelangweilt und hatten eindeutig zu viel freie Zeit. Leider saß genau solch eine Göttin, mit elegant übereinandergeschlagenen Beinen und finsterem Gesichtsausdruck, im hell erleuchteten Wohnzimmer und wartete auf mich. Zaghaft blieb ich in der offenen Wohnzimmertür stehen. Suchte nach einer Fluchtmöglichkeit.
»Mutter! Warrior ist hier!«, petzte meine Schwester Opal sofort.
Abrupt fuhr Aphrodites Kopf in meine Richtung. Leuchtend blaue Augen taxierten mich. Der kaum verhohlene Ekel, der ihr dabei über die perfekten Gesichtszüge huschte, verriet, wie wenig sie ihre Emotionen derzeit im Griff hatte. Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich musste das ängstliche Wimmern angestrengt herunterschlucken.
»Willst du nicht hereinkommen, Kind?«, fragte mich die Göttin mit tödlich ruhiger Stimme. Ihre großen katzenhaften Augen folgten jeder meiner Bewegungen.
»Ja! Komm doch rein, Warrior, wir warten auf dich«, flötete Diamond freundlich und klopfte einladend auf den freien Platz des weißen Sofas neben sich. Wie immer sah sie einfach umwerfend aus. Diamond besaß strahlend hellblondes Haar, das ihr in silbrigen Kaskaden über den Rücken floss. Große eisblaue Augen musterten meine verhüllte Gestalt. Wie alle meine Schwestern, so war auch sie gertenschlank und geschmeidig. Das Gesicht ein Inbegriff von strahlender Schönheit, das jeden Mann schwach werden ließ. Der einzige Makel an ihr waren die etwas zu schmalen Lippen, die sie geschickt mit Make-up voller schminkte. Tatsächlich besaß jedes Kind der Aphrodite einen kleinen Makel, der ihrer übernatürlichen Schönheit ein wenig Menschlichkeit verlieh. Während Diamonds Lippen schmal und blass waren, hatte Ruby Probleme mit einer etwas zu langen Nase.
Opal, deren porzellangleiche Schönheit von ebenholzfarbenen Haaren umrandet wurde, war mit ihren vierundzwanzig Jahren immer noch flach wie ein Brett und hatte niemals die ein Meter fünfzig überschritten.
»Hallo, Mutter, alles in Ordnung?«, fragte ich die Göttin zaghaft und wurde mir dabei überdeutlich bewusst, wie jämmerlich unzulänglich ich neben meiner Familie aussah. Aphrodite schnalzte scharf mit der Zunge und deutete auf den Platz neben Diamond. Zögerlich setzte ich mich auf das weiche Polster, das sich beklemmend kalt anfühlte. Die Spannung im Raum war zum Schneiden dick. Elegant lehnte Aphrodite sich nach vorne und musterte mich mit kaltem, abweisendem Blick. Unruhig zog ich meine Kapuze tiefer in die Stirn. In Mutters Gesicht zu sehen war meistens ziemlich verwirrend. Alle paar Augenblicke veränderten sich ihre Züge. Saß soeben noch eine zierliche Asiatin mit schwarzen Haaren und exotisch dunklen Augen vor mir, so änderte sich im nächsten Augenblick ihre Erscheinung zu einer großen Schönheit mit hellen Haaren und stahlgrauen Augen. Ein Gesicht war schöner als das andere. Dutzende Frauengesichter mit grünen, blauen, grauen und braunen Augen starrten auf mich herab. Ihr Kinn wurde spitz, herzförmig, einmal schmal oder keck mit Grübchen in der Mitte. Ihre Wangenknochen formten sich von scharf hervorgehoben zu weichen Konturen, unterstrichen von Dutzend verschiedenen Hautfarben.
»Könntest du dich bitte für ein Gesicht entscheiden, Mutter? Ich bekomme von diesem Hin und Her Kopfschmerzen!«, unterbrach ich die angespannte Stille im Raum. Meine Schwestern schnaubten belustigt, während die Göttin herausfordernd eine Augenbraue nach oben zog. Niemand hatte das wahre Gesicht der Liebe jemals gesehen. Niemand wusste, wie sie unter all der schillernden Perfektion und geballten Magie wirklich aussah.
»Was soll ich nur mit dir machen, Warrior?«, fragte die Göttin schließlich, wobei die Kälte in ihrer Stimme einer Messerschneide gleich durch die stickige Luft schnitt. Ich wappnete mich gegen ihren Zorn, der wie eine Gewitterwolke über meinem Kopf hing.
»Kannst du dir vorstellen …«, fuhr die Göttin fort und grub ihre rot lackierten Fingernägel in das Leder ihres Sessels. »… wie demütigend es für mich gewesen ist, von Zeus persönlich aus dem Olymp geholt zu werden, weil meine eigene Tochter – meine Tochter! – erneut Missfallen erregt hat?«
»Ich … ich … es tut mir wirklich leid, das war nicht meine Absicht«, stotterte ich zaghaft und wünschte mich plötzlich zurück in die Hölle. Was hatte Hades ihr erzählt, dass sie so wütend auf mich war? Und wieso wusste Zeus davon?
Aphrodite zitterte. »O nein, Warrior, diesmal kommst du mir nicht so leicht davon. In den letzten Jahren hatte ich gehofft, dass du lernen würdest, Respekt vor den Göttern zu zeigen. Zweitausend Jahre zuvor hätte ich dich für solch eine Blamage von den Zentauren zerfetzen lassen. Du bist viel zu sehr ein Abaddoner, um noch als Olympierin durchgehen zu können. Dein Blut ist schmutzig! Ich hätte es wissen müssen. In dem Augenblick, als du zur Welt gekommen bist und diesen Gestank von Andersartigkeit verbreitet hast. Ich hätte dich aussetzten und von den Menschen großziehen lassen sollen, wie Zeus es mir geraten hatte. Aber nein! Ich behielt dich. Schenkte dir das Leben eines Gottkindes und wie dankst du es mir? Ich bin mittlerweile das Gespött des gesamten Olymps.« Das Gesicht der Liebe verzog sich zu einer wütenden Fratze. Dabei sah sie immer noch atemberaubend schön aus. Ein wütender, naseschnaubender Engel. »Willst du mir freiwillig erzählen, was du heute angestellt hast? Oder muss ich dich dazu zwingen?«
Zitternd öffnete ich meinen Mund. Ihre Worte schmerzten wie eine Ohrfeige. Ich schluckte schwer. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie meine Schwestern mit neugierigen Augen auf meinen Zusammenbruch warteten. Alleine Diamond formte mit besorgtem Gesichtsausdruck die Worte: Erzähle es ihr.
Erneut sah ich zu Aphrodite auf. »Ich habe nichts falsch gemacht«, hörte ich mich schließlich sagen. Ich klang bockig. Mein Mund sprach einfach ohne meine Zustimmung.
Heißer Trotz stieg in mir auf. Schön! Meine Mutter schämte sich für mich? Hielt mich für eine Missgeburt, wie es all die anderen auch taten? Dann würde ich ihr auch nicht den Gefallen tun und winselnd um Vergebung bitten. Ich hatte nichts Falsches gemacht … theoretisch.
Störrisch presste ich die Lippen zusammen.