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Kitabı oku: «Die Äbtissin von Castro», sayfa 19

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DER CHEVALIER VON SAINT-ISMIER
ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI

Man schrieb das Jahr 1640. Richelieu war, schlimmer als je, Herr Frankreichs. Sein eiserner Wille und seine Launen eines großen Mannes suchten jene turbulenten Geister zu beugen, die Krieg und Liebe mit der gleichen Leidenschaft trieben. Die Galanterie war noch nicht auf die Welt gekommen. Die Religionskriege und die um das Gold des düstern Philipp II. erkauften Fraktionen hatten in den Herzen ein Feuer entzündet, das der Anblick der auf Befehl Richelieus vom Rumpfe getrennten Köpfe noch nicht zum Erlöschen gebracht hatte. Reim Bauern, beim Edelmann, beim Bürger traf man auf eine Energie, die man in dem Frankreich nach den 72 Jahren Herrschaft Ludwig XIV. nicht mehr kannte. Im Jahr 1640 war der französische Charakter noch imstande, Energisches zu verlangen, aber die Tapfersten fürchteten den Kardinal; sie wußten ganz genau, daß man ihm nicht entginge, besäße man die Unbesonnenheit, im Lande zu bleiben, nachdem man ihn beleidigt hatte.

Solchem gab der Chevalier von Saint-Ismier seine Gedanken, ein junger Offizier aus einer der reichsten Adelsfamilien des Languedoc. An einem der schönsten Juniabende ritt er nachdenklich am rechten Dordogneufer hin, Moulons gegenüber. Er hatte nur einen Domestiken zur Begleitung. Er wußte, wagte er nach Bordeaux zu gehen, daß er es hier mit dem Kapitän Rochegude zu tun habe. Dieser Stadtgewaltige war eine Kreatur des Kardinals, und Saint-Ismier kannte die schreckliche Eminenz. Trotz seiner fünfundzwanzig Jahre hatte sich der junge Edelmann im deutschen Kriege rühmlichst ausgezeichnet. Aber da hatte er zuletzt auf dem Schloß einer Tante, die er beerben sollte, auf einem Balle Streit mit dem Grafen de Chaix bekommen, dem Verwandten eines Parlamentspräsidenten der Normandie und treu ergebenen Dieners des Kardinals, für dessen Rechnung er in seiner Körperschaft intrigierte. Alle Welt in Rouen wußte das, und so war der Präsident mächtiger als der Gouverneur selber. Darum beeilte sich Saint-Ismier auch, nachdem er den Grafen elf Uhr des Nachts unter einer Straßenlaterne getötet hatte, aus der Stadt hinauszukommen; er nahm nicht einmal Abschied von seiner Tante.

Auf der Höhe des Berges Sainte-Catherine versteckte er sich in dem Walde, der die Spitze damals noch krönte. Seinem Diener ließ er durch einen Bauern, dem er auf der Landstraße begegnet war, Nachricht zugehen. Der Diener nahm sich nur so viel Zeit, die Tante zu verständigen, daß der Chevalier sich sofort zu seinem Schutz auf das Schloß einer befreundeten Familie in die Nähe von Orleans begebe, und traf mit zwei Pferden im Walde ein. Kaum war er zwei Tage auf jenem Schlosse, als ein Kapuziner, ein Protegé des berühmten Pater Joseph und Freund des Schloßherrn, diesem einen Diener zuschickte, der in höchster Eile aus Paris gekommen war, auf zu Tode gehetzten Postpferden. Der Diener überbrachte einen Brief, der nichts als diese Worte enthielt:

„Ich kann nicht glauben, was man von Ihnen spricht. Ihre Feinde behaupten, Sie gäben einem Rebellen gegen Seine Eminenz Unterschlupf.“

Der arme Saint-Ismier mußte aus dem Schlosse bei Orléans flüchten, wie er aus Rouen geflohen war. Der Schloßherr, sein Freund, suchte ihn auf der Jagd auf am andern Ufer der Loire, um ihm den schlimmen Brief zu übergeben. Der Chevalier nahm dankbaren Abschied und ging an den Fluß hinunter in der Hoffnung, da ein Boot zu finden; zu seinem Glück traf er auch einen Fischer, der in einem winzigen Kahn gerade sein Netz einzog. Er rief den Mann an.

„Meine Gläubiger sind hinter mir her. Du bekommst einen halben Louis, wenn du die ganze Nacht ruderst. Du mußt mich nah meinem Haus ans Ufer setzen, eine halbe Meile vor Blois.“

Saint-Ismier fuhr die Loire hinunter bis ***; kamen sie an Städte, stieg er aus und ging zu Fuß durch; die Flucht währte Tag und Nacht. Seinen Diener mit den Pferden erreichte er erst bei ***, einem kleinen Dorf in der Nähe von **. Dann ritt er die Küste entlang südwärts. Auf drängende Fragen ließ er verstehen, daß er ein protestantischer Edelmann und mit den Daubigné verwandt sei und darum ein bißchen verfolgt werde. So erreichte er ohne Abenteuer die Mündung der Dordogne. Wichtige Interessen riefen ihn nach Bordeaux, aber er fürchtete, wie gesagt, der Kapitän Rochegude habe bereits einen Verhaftsbefehl gegen ihn erhalten.

‚Der Kardinal‘, sagte er sich, ‚holt viel Geld aus der Normandie, die unter unsern Wirren am wenigsten gelitten hat. Der Präsident Lepoitevin ist das Hauptwerkzeug in seiner Hand, alle die Steuern einzutreiben, er wird sich recht wenig aus dem Leben eines Edelmanns wie mir machen, um des Preises der Staatsräson willen, die ihm zuruft: Vor allem Geld! Mein Unglück ist gerade darum größer, daß der Kardinal mich kennt; ich habe nicht die Chance, vergessen zu werden.‘

Aber die Gründe, die ihn nach Bordeaux zu gehen zwangen, waren zu mächtig. Er setzte seinen Weg die Dordogne entlang fort und traf in dunkler Nacht hinter der Vereinigung mit der Garonne bei *** ein. Ein Fährmann setzte ihn, seine Pferde und den Diener aufs linke Ufer über. Hier hatte er das Glück, auf Weinhändler zu stoßen, die sich gerade vom Kapitän Rochegude einen Permiß zur nächtlichen Einfahrt nach Bordeaux gekauft hatten, da die Tageshitze ihrem Weine nicht bekomme. Der Chevalier warf seinen Degen auf einen ihrer Karren und fuhr um Mitternacht in Bordeaux ein, eine Peitsche in der Hand und im Gespräch mit einem der Fuhrleute. Einen Augenblick später ließ er einen Taler in die Tasche des Mannes gleiten, nahm ruhig seinen Degen und verschwand, ohne ein Wort zu sagen um eine Straßenecke.

Der Chevalier kam bis ans Kirchentor von Saint-Michel; hier ließ er sich auf den Stufen nieder.

‚Da bin ich also in Bordeaux‘, sagte er sich. ‚Was gebe ich für eine Antwort, wenn die Wachrunde mich fragt? Wenn diese Leute nicht gerade betrunkener sind als gewöhnlich, hat es wenig Aussicht auf Glauben, wenn ich ihnen sage, ich sei ein Weinhändler; die Antwort wäre neben den Fuhrwerken und den Fässern möglich gewesen. Ich hätte mir, bevor ich meine Pferde wegschickte, Bedientenkleider anziehen sollen, aber so angezogen wie ich bin, kann ich nichts andres sein als ein Edelmann; und als Edelmann errege ich die Aufmerksamkeit dieses Rochegude, der mich in die Feste Trompette steckt, und in zwei Monaten fällt mein Kopf auf dem Marktplatz, hier oder in Rouen. Wird mich mein Kusin, der Marquis von Miossens, der so vorsichtig ist, aufnehmen? Wenn er von meinem Zweikampf in Rouen nichts weiß, so wird er meine Ankunft mit Festen begehen wollen; er wird allen diesen Gaskognern sagen, ich sei ein Günstling des Kardinals. Weiß er aber, daß ich der Eminenz mißfallen könnte, so wird er erst seinen Frieden finden, wenn er seinen Sekretär mit der Anzeige zu Rochegude geschickt hat. Es wäre nötig, zuerst zur guten Marquise zu gelangen, ohne daß ihr Mann von mir weiß. Aber sie hat Liebhaber, und der Marquis ist so eifersüchtig, daß er, wie man sagt, Duennen aus Spanien nach Paris kommen ließ zu ihrer ständigen Überwachung. Wir machten uns lustig über ihn, daß sein Bordeauleser Haus bewacht sei wie eine Festung. Und dann, wie zu dem Haus gelangen, das sehr prächtig sein soll? Ich war nie in Bordeaux gewesen. Wie soll ich einem Passanten sagen: Zeigen Sie mir das Haus Miossens und wie ich ohne Wissen des Marquis hineinkomme? Das wäre verrückt. Sicher aber ist, bleibe ich hier bei den armseligen Häusern um die Kirche herum, besteht keine Aussicht, dem prächtigen Hause meines Kusins zu begegnen.‘

Die Turmuhr der Kirche schlug ein Uhr.

‚Keine Zeit mehr zu verlieren‘, sagte sich der Chevalier. ‚Warte ich hier den Tag ab, um dann in irgendein Haus zu treten, so hat Rochegude davon sofort Nachricht. In diesen Provinzstädten kennt einer den andern, besonders unter den Leuten gleichen Standes.‘

Der arme Chevalier machte sich also auf die Suche, sehr behindert von seiner Person und nicht wissend, wohin sich eigentlich wenden. Eine tiefe Stille lag in allen Gassen, die er durchschritt, und nicht minder tief war die Dunkelheit.

‚Ich zieh mich aus dieser Geschichte nicht heraus. Morgen abend sitze ich im Fort Trompette; daraus entweicht keiner mehr.‘

Da erblickte er in einiger Entfernung ein Haus, in dem Licht war.

‚Und wenn's der Teufel selber wäre,‘ sagte sich der Chevalier, ‚ich muß mit den Leuten da drin sprechen.‘

Als er näher kam, vernahm er Lärm. Er lauschte und suchte zu erraten, um was es sich handle. Da flog eine kleine Pforte auf, und ein breiter Lichtstrom fiel über die Gasse und noch das gegenüberliegende Haus hinauf. In dem Licht stand ein prächtig gekleideter, junger, sehr schöner Mensch, den Degen in der Faust; er sah verärgert aus, aber nicht wütend, oder es war die hinter Verärgertheit maskierte Wut eines Gecken. Die Leute seiner Umgebung hatten das Wesen von Untergebenen und schienen ihn beschwichtigen zu wollen, wobei sie ihn Herr Graf nannten.

Saint-Ismier war noch etwa zwanzig Schritte von der hellen Pforte entfernt, als der junge schöne Mann, der etwa eine halbe Minute in der Türschwelle wie zögernd gestanden hatte, plötzlich und immer wie einer, der, um dafür bewundert zu werden, Wut zeigt, schreiend und fluchend und immerzu mit dem Degen fuchtelnd in die Gasse hinausging, gefolgt von einem, prächtig gekleidet wie er. Saint-Ismier sah auf die beiden, als er von dem ersten bemerkt wurde, den man Herr Graf nannte. Alsbald stürzte der Graf auf Saint-Ismier los und wollte ihm mit einem Fluche den Degen durch das Gesicht ziehen. Saint-Ismier, auf solchen Angriff nicht im mindesten gefaßt, hatte gerade eine Höflichkeit überlegt, die er dem jungen Manne sagen wollte mit der Frage, wo das Haus Miossens läge. Heiteren Wesens hatte er seinem Körper schon jenes liebenswürdige Balancieren eines Chevaliers gegeben, der den Weinen des Landes herzhaft zugesprochen, denn er fand es so lustiger wie sicherer, den Edelmann anzusprechen wie ein leicht Trunkener. Er gab seinen Lippen schon das Lächeln der Liebenswürdigkeit, mit der er beeindrucken wollte, als er den ihm bestimmten Hieb des Grafen vor seinen Augen sah. Und er fühlte dessen ganze Schwere auf den rechten Arm niedersausen, mit dem er sein Gesicht deckte.

Er tat einen Sprung nach rückwärts.

‚Ich habe einen Schlag bekommen‘, sagte er sich und Wut stieg ihm rot ins Gesicht. Er ging heftig den frechen Burschen an.

„Also du willst mehr davon,“ rief der Graf, „nur zu, das ist's ja, was ich wollte. Du sollst deine Schläge haben.“ Und er warf sich mit toller Kühnheit auf Saint-Ismier.

‚Gott verzeih mir, er will mir ans Leben,‘ sagte sich der Chevalier, ‚ich muß kaltes Blut bewahren.‘

Saint-Ismier bekam mehrere Stiche ab, denn nun hatte auch der Edelmann aus des Grafen Begleitung den Degen gezogen, sich an seines Freundes Seite gestellt.

‚Sie wollen mich umbringen‘, sagte sich Saint-Ismier, und machte einen Ausfall. Dabei zog er aus einer Unvorsichtigkeit des Grafen Vorteil, der sich ungedeckt auf ihn gestürzt hatte, um ihm den Degen durch den Leib zu rennen. Der Graf parierte den Stich, indem er ihn nach oben abdrängte; da aber sprang der Degen dem Grafen sechs Daumen tief ins rechte Auge; der Chevalier spürte, wie das Eisen auf etwas Hartes stieß; es war der innere Schädelknochen. Der Graf stürzte tot.

Als der Chevalier, stark erschrocken über dieses Ergebnis, ein bißchen zögerte, seinen Degen zurückzuziehen, gab ihm der Mensch, der hinter dem Grafen gestanden hatte, einen starken Hieb in den Arm, und im gleichen Augenblick fühlte der Chevalier mächtig das Blut fließen. Dazu rief dieser Gegner aus allen Lungenkräften um Hilfe. Acht oder zehn Leute stürzten aus der Herberge, denn eine solche und die erste von Bordeaux war das erleuchtete Haus. Saint-Ismier sah gut, daß die Hälfte der Leute bewaffnet war. Er nahm seine Beine unter die Arme und lief, was er konnte.

‚Ich habe einen Menschen getötet,‘ sagte er sich, ‚ich bin mehr als gerächt für einen Hieb in den Arm. Übrigens ist Gefängnis oder Tod für mich das gleiche. Nur wird mir, falle ich Rochegude in die Hände, der Kopf ganz gewiß auf dem Marktplatz abgeschlagen, und an einer Straßenecke sterbe ich als ein tapferer Mensch im Kampfe um mein Leben.‘

Doch aber lief unser Held, was er konnte, um sein Leben zu retten. Er kam wieder an der Kirche vorbei, kam dann in eine sehr breite und wie ihm schien, sehr lange Straße. Die Verfolger hielten an, als sie hier zwei- oder dreihundert Schritte hinter ihm hergelaufen waren. Es war höchste Zeit für den ganz atemlosen Chevalier. Auch er hielt inne, etwa hundert Schritte weiter als die Verfolger; er machte sich, indem er sich stark bückte, so klein als möglich; dann versteckte er sich hinter dem Pfosten einer Brustwehr, die sich in der Straße etwa sechs acht Fuß vor den Häusern befand. Die Verfolger tauchten wieder auf, und der Chevalier begann wieder so gut er konnte zu laufen, immer die breite lange Straße hinauf. Da hörte er vor sich Schritte im Takt; er hielt sofort im Laufen inne.

‚Die Scharwache!‘ dachte er.

Und warf sich laufend in eine sehr enge Seitengasse, lief durch viele Gäßchen, jede halbe Minute stillstehend, lauschend; zunächst stieß er nur auf Katzen, denen er Furcht einjagte; aber als er in eine Gasse einbog, hörte er vier fünf Männer kommen; deutlich vernahm er ihr schweres und wohlgesetztes Reden.

‚Wieder die Wache! Der Teufel hol mich!‘

Er stand gerade an einem mächtigen, derb holzgeschnitzten Tor; aber zehn Schritte davon bemerkte er eine ganz kleine Tür; er stürzte hin. Die Tür war offen. Er verschwand dahinter und verschnaufte. Er dachte, die Männer, die er reden gehört hatte, müßten ihn hier eintreten gesehen haben und hinter ihm hereinkommen; dann würde er sich hinter der Tür verstecken und sobald die Männer eingetreten und bis in den kleinen Hofgarten, den er bemerkte, gekommen wären, zu dem diese Tür führte, würde er wieder sehen, daß er hinaus und weiterkomme. Er stand schweratmend hinter der kleinen Tür und wartete. Die Männer blieben just davor stehen und schwatzten. Aber sie traten nicht ein und gingen weiter.

Angst in den Gliedern schlich Saint-Ismier in was ihm ein Garten schien der hohen Bäume wegen; er kam in einen großen Hof, dann in einen kleineren, der ihm mit kleinen marmornen Tafeln gepflastert schien. Er spähte vorsichtig, ob er niemanden sähe, mit dem er sprechen könnte.

‚Das ist ein reiches Haus. Besser konnte ich es nicht treffen. Finde ich da einen Domestiken, so wird er für meinen Taler empfänglich sein und mich zum Palais Miossens bringen. Vielleicht versteckt er mich für zwei Taler heute Nacht und morgen in seinem Zimmer. Ja, wer weiß, vielleicht wird er einmal noch mein eigener Diener? Glücklicher könnte ich es mir nicht wünschen.‘

Solches hoffend fand Saint-Ismier eine Treppe, die er hinaufstieg. Sie führte in das erste Stockwerk, wo sie aufhörte. Er trat auf einen Altan und sah sich um. Da war es ihm, als vernehme er ein Geräusch auf der Treppe. Er schwang sich sofort über das Geländer des Balkons und trat auf ein Gesims der Hauswand; mit den Händen hielt er sich an der Holzjalousie des nächsten Fensters fest. Vorsichtig tastete er sich auf dem Gesims weiter und kam auf einen zweiten Balkon, vom ersten ein paar Fuß entfernt. Durch ein offenes Fenster stieg er ein. Eine wie ihm schien marmorne und sehr prächtige Treppe führte in das zweite Stockwerk. Hier stand er nun vor einem mit goldenen Nägeln verzierten Türvorhang. Durch den Spalt zwischen Türvorhang und Boden kam ein schwacher Lichtschein. Er zog die Portiere ganz leise an sich und stand einer Tür gegenüber, deren silberne oder kupferne Ornamente im Dunkel glänzten. Aber wichtiger für den armen Chevalier war das bißchen Licht, das durch das Schlüsselloch drang. Er brachte sein Auge daran; doch sah er nichts; er glaubte einen Vorhang unterscheiden zu können, der im Raume nah vor der Tür hing.

‚Das ist jedenfalls ein vornehmer Wohnraum‘, sagte er sich. Sein nächster Gedanke war, keinerlei Geräusch zu machen. ‚Aber‘, dachte er, ‚schließlich muß ich ja doch einmal mit jemandem reden, und so allein, verloren in einem weitläufigen Hause und mitten in der Nacht, ist's besser, ich spreche mit einem Herrn statt mit einem Lakaien. Der Herr wird leicht begreifen, daß ich kein Dieb bin.‘

Er faßte mit der linken Hand die Portiere, diese beiseite haltend, und faßte mit der rechten an den Türknopf; er öffnete ganz leise und sagte mit seiner liebenswürdigen Stimme:

„Herr Graf, erlauben Sie, daß ich eintrete?“

Keine Antwort. Er blieb eine Weile in seiner Stellung, auf dem Boden zwischen seinen Füßen den Degen, damit er ihn, wenn nötig, rasch zur Hand hätte. Er wiederholte das Kompliment, so reizend als möglich von ihm ausgedacht:

„Herr Graf, wollen Sie mir erlauben, daß ich eintrete?“

Keine Antwort. Der Chevalier sah sich in dem mit der Großartigkeit neuesten Stiles gezierten Prunkgemach um. Die Wände deckten gebuckelte vergoldete Ledertapeten. Der Tür gegenüber stand ein mächtiger Schrank aus Ebenholz mit einer Menge kleiner Säulen, deren Kapitale aus Perlmutter waren. Zur Rechten breitete sich ein Bett, dessen Vorhänge aus rotem Damast zugezogen schienen. Er konnte nicht in das Bett sehen. Die eine Fußsäule, die er bemerken konnte, war vergoldet. Zwei Genien, wohl aus Goldbronce, stützten mit ihren hochgehaltenen Armen einen kleinen Tisch mit ockergoldner Platte; zwei vergoldete Leuchter standen darauf, in deren einem eine Kerze brannte; und was den Chevalier nicht wenig beunruhigte, war, daß er neben dem brennenden Leuchter ganz deutlich fünf, sechs edelsteinblitzende Ringe liegen sah.

Er machte einen kleinen Schritt ins Gemach, mit kleinen Verbeugungen und schüchtern-liebenswürdigen „Verzeihung, Herr Graf“.

Über einem Kamin hing ein strahlender Venetianer Spiegel. Da stand ein großer Toilettentisch, mit schwerer grüner Seide überzogen. Auch auf diesem Tisch lagen Ringe und eine steinverzierte Uhr; ihr leises Ticken war das einzige wahrnehmbare Geräusch im Raum.

‚Wie wird der Besitzer aller dieser Kostbarkeiten aufschreien, wenn er jetzt aus dem Bett springt und mich erblickt! Aber ich muß doch zu einem Ende kommen, so oder so. Eine Viertelstunde hab ich schon in Zwecklosigkeiten und in der verrückten Hoffnung verloren, nicht für einen Dieb gehalten zu werden.‘ Er ließ die Tür los, die sich mit einem kleinen Geräusch schloß. Sie war von innen nicht zu öffnen, wie sich der Chevalier gleich überzeugte. ‚Ich bin gefangen‘, sagte er sich und untersuchte genauer noch die Tür; es war unmöglich, sie zu öffnen. ‚Ich bin eingesperrt.‘ Von diesem Umstand beunruhigt, ging der Chevalier entschlossen auf das Bett zu. Dessen Vorhänge waren fest zugezogen. Er schlug sie auseinander, immer allerlei lächelnde Entschuldigungen für die im Bett vermutete Person stammelnd.

Das Bett war leer. Aber in hinreichender Unordnung, die sagte, daß es eben noch besetzt war. Die Vorhänge trugen reiche Spitzen. Der Chevalier griff nach dem Leuchter, um besser zu sehen; er steckte eine Hand unter die Decke; es war noch warm da. Nun untersuchte eiligst der Gefangene mit dem Leuchter das Zimmer nach einem Ausgang; zu seinem großen Verdruß fand er keinen andern als die Tür, die sich von innen nicht öffnen ließ, und ein Fenster. Er wußte nichts andres als die Bettvorhänge zu zerreißen und daraus etwas wie ein Seil zu drehen, mit dessen Hilfe er den Abstieg durchs Fenster in ein dunkles Ungewisses wagen könnte, in etwa vierzig Fuß Tiefe, wie er schätzte; ob das da unten ein Dach oder ein Hof sei, dies zu unterscheiden machte er vergebliche Anstrengungen.

‚Und was, wenn ich da unten heil und ganz ankomme? Ich bin da vielleicht genau so gefangen wie hier.‘

Da blitzte ihm ein Gedanke auf:

‚Ich sehe keinen Degen hier im Zimmer. Die Kammerdiener der hier hausenden vornehmen Persönlichkeit haben deren Kleider ohne Zweifel mit fortgenommen. Aber seinen Degen hätten sie ihm doch dagelassen. Aber vielleicht drangen Diebe ins Haus und er hat für ihre Verfolgung das Bett verlassen, den Degen in der Faust? Seltsam ist es doch, daß keine Waffe hier im Zimmer ist.‘

Und mit äußerster Sorgfalt ging nun der Chevalier daran, das Zimmer zu durchforschen. Da stieß er ganz nah am Bett auf dem Teppich auf zwei kleine Schuhe aus weißer Seide und auf ein Paar außerordentlich dünne Seidenstrümpfe.

‚Ich bin doch ein großer Schafskopf! Ich bin hier bei einer Frau!‘

Gleich darauf fand er ein paar Strumpfbänder aus Silberspitze; auf einem Fauteuil einen kleinen Unterrock aus rosarotem Satin.

‚Es ist eine junge Frau‘, rief er hingerissen, und seine Neugierde war so mächtig erregt, daß er ganz seine Angst vor dem Gefängnis oder vielmehr vor dem Tode vergaß, die sein einziges Gefühl war seit der Minute, als er den jungen Menschen mitten auf der Straße niedergestochen hatte. In seiner Neugier vergaß der Chevalier auch gänzlich, für einen Dieb gehalten zu werden. Er öffnete, das Licht in der Hand, den Degen unterm Arm alle Schubfächer des Toilettentischs. Er fand eine große Menge kostbaren Schmucks und von erlesenem Geschmack; einige kleine Kassetten trugen gravierte Inschriften in italienischer Sprache. ‚Die Herrin dieses Raumes muß bei Hofe gewesen sein‘, sagte er sich. Er fand außerordentlich kleine Handschuhe, die getragen waren. ‚Entzückende Hände hat sie‘, sagte er. Da stieß er zu seiner größten Freude auf einen Brief.

‚Dieses Gemach ist also von einer offensichtlich jungen und schönen Frau bewohnt. Ein Mann macht ihr die Cour und ohne Glück.‘

Des Chevaliers Neugierde war zunächst befriedigt, und eine große Müdigkeit kam über ihn. Um sich eine Zeit zu geben, die wohl gleich eintretende Person sich anzusehen, setzte er sich in den Alkov zwischen Bett und Wand nieder. Er rechnete bestimmt darauf, wachend das Ende eines Abenteuers abzuwarten, das schlecht für ihn ausgehen konnte, aber er schlief sehr rasch ein.

Er wachte von dem kleinen Geräusch der Tür auf; die Kammerzofe hatte sie geöffnet.

„Geh zu Bett. Ich brauch dich nicht mehr. Aber weck mich sofort, wenn es meiner Mutter wieder schlechter geht.“

Saint-Ismier hatte, aus dem Schlaf geschreckt, kaum Zeit, diese gehörten Worte zu verstehen. Der Bettvorhang öffnete sich; ein junges Mädchen stand da, einen Armleuchter mit zwei brennenden Kerzen in der Hand, die volles Licht über das Zimmer warfen. Ein ungeheurer Schrecken drückte sich in ihren Zügen aus, als sie hinter ihrem Bette einen blutbedeckten Menschen liegen sah. Sie stieß einen kleinen Schrei aus, stützte sich auf das Bett. Und starrer Schrecken verzerrte das Gesicht, als Saint-Ismier sich aufrichtete, um sie zu stützen. Nun schrie sie laut auf und sank, wie der Chevalier aus der Folge erfuhr, in Ohnmacht, erst auf das Bett, dann auf den Boden. Der Leuchter fiel und erlosch. Saint-Ismier wußte erst nicht, was tun; er war ratlos. Den letzten Rest von Schlaftrunkenheit abzuschütteln, setzte er sich mit einem Ruck auf. Er griff nach seinem Degen und horchte; alles war tiefste Stille. Er tastete nach dem, was ihm über die Beine gefallen war; fand eine Frau, die er für tot glaubte; er griff eine Hand, deren Kleinheit und zarte Haut ihn denken ließ, es sei eine Frau, die irgendein Eifersüchtiger getötet habe.

‚Man muß ihr helfen‘, sagte er sich und hatte von diesem Augenblick wieder sein kaltes Blut. Der Kopf der Frau lag auf seinem Knie. Er zog es so vorsichtig als er nur konnte, zurück, hob das Köpfchen und bettete es auf einen Schemel. Er fand so viel Wärme unter den Achseln dieses Leibes, als er ihn hob, daß ihm der Gedanke kam, die Person dürfte nur infolge einer großen Verwundung ohnmächtig sein.

‚Ich muß um alles in der Welt von hier heraus‘, sagte er sich. ‚Da ist keine Hoffnung, mit dem eifersüchtigen Gatten oder dem wütenden Vater, dem diese Dame getötet wurde, vernünftig zu reden. Unmöglich, daß er nicht gleich zurückkomme, um zu sehen, ob seine Rache gelungen oder um den Leichnam wegzuschaffen; und findet er mich hier blutbedeckt und ich kann nicht sagen, wie hierhergekommen, so kann ihm leicht der Gedanke einfallen, sich auf meine Kosten unschuldig zu machen und mich als den Mörder dieser Dame zu bezeichnen; ich könnte nichts darauf antworten, das Verstand hätte.‘

Mit größter Vorsicht erhob sich Saint-Ismier, ganz bedacht nur, der Dame nicht weh zu tun, die in der engen Bettgasse auf ihm lag. Aber da stieß sein Fuß an den Armleuchter, der mit großem Geräusch ins Zimmer rollte. Der Chevalier blieb stehen, unbeweglich und die Hand am Degengriff. Aber alles blieb still. Schritt um Schritt ging nun Saint-Ismier das Gemach ab, mit dem Degen die Wände abtastend. Es war vergeblich; er fand nicht Öffnung noch Tür; die von außen nur zu öffnende war ohne Gewalt nicht aufzubrechen. Von neuem öffnete er das Fenster. Da war weder ein Balken noch ein Gesims, die einen Ausbruch erlaubt hätten.

‚Ich hab mir wahrhaftig nichts vorzuwerfen, wenn mich dieser Zwischenfall auf der Flucht vor dem Gefängnis aufs Schafott bringt: ich hab mich selber gefangen gesetzt.‘

Er horchte; es war ihm, als hätte er vom Bett her etwas sich bewegen gehört. Er tastete sich im Dunkel eilends hin. Es war die junge verwundet geglaubte Dame, die aus der Ohnmacht durch das Geräusch erwacht war, das er mit dem Fenster machte. Er nahm sie beim Arm und die Furcht brachte sie vollends zu sich. Da entriß sie ihm den Arm und gab dem Chevalier einen Stoß, so stark sie konnte.

„Sie sind ein Scheusal! Was Sie tun, ist grauenvoll! Sie wollen meine Ehre besudeln und mich dadurch zwingen, Ihre Frau zu werden. Aber ich weiß alle Ihre Absichten zu nichte zu machen. Gelingt es Ihnen, mich vor den Augen der Welt zu entehren, so geh ich eher ins Kloster, als daß ich eine Marquise von Buch werde.“

Der Chevalier trat einige Schritte zurück auf die andere Seite des Bettes.

„Verzeihen Sie, Madame, die Angst, die ich Ihnen verursache. Zunächst kann ich Ihnen eine vortreffliche Neuigkeit berichten: ich bin nicht der Marquis von Buch, ich bin der Chevalier von Saint-Ismier, Kapitän im Regiment Royal-Cravatte, von dem Sie, wie ich glaube, nie reden gehört haben. Ich bin in Bordeaux heut abend um neu Uhr eingetroffen, und auf der Suche nach dem Hause der Miossens wurde ich von einem gutgekleideten Menschen mit dem Degen angefallen, auf der Straße. Wir haben uns geschlagen, und ich habe ihn getötet. Man hat mich verfolgt. Ich fand eine kleine Tür offen; sie führte in Ihren Garten. Ich stieg eine Treppe hinauf, und da ich mich noch immer verfolgt glaubte, stieg ich über einen Balkon in eine Antichambre. Ich sah Licht hier und trat ein, mit vielen Entschuldigungen für den Edelmann, den ich störte, und erzählte ihm, es war etwas lächerlich, laut meine ganze Geschichte, wie ich es eben jetzt tue. Ich starb vor Angst, für einen Dieb gehalten zu werden. Alle meine lächerlichen Höflichkeiten waren Grund, daß ich erst nach einer Viertelstunde merkte, daß das Bett leer war. Dann bin ich, scheint es, eingeschlafen. Ich wachte auf, als der Leib einer getöteten Dame über mich fiel. Ich griff eine entzückende kleine Hand; ich bin hier im Brautgemach eines sehr eifersüchtigen Edelmanns, dessen Geschmack und Reichtum zu bewundern ich alle Gelegenheit hatte. Ich sagte mir, der Eifersüchtige würde behaupten, ich hätte seine Frau umgebracht. Da legte ich Ihr Köpfchen, Madame, so zart ich vermochte, auf einen Schemel, und versuchte mein Letztes, aus diesem Gemach herauszukommen. Ich wiederhole, Madame, ich halte mich für einen sehr tapfern Menschen, und bin seit heute abend um neun zum erstenmal in Bordeaux. Ich habe Sie also noch nie gesehen, Madame, weiß nicht einmal Ihren Namen und bin in Verzweiflung über die Ungelegenheiten, die ich Ihnen mache. Aber Sie haben von mir wenigstens nichts zu fürchten.

„Ich tue mein Möglichstes, um mir Sicherheit zu geben“, sagte die Dame nach einer Weile. „Ich glaube alles, was Sie mir sagen, aber doch kann der grausame Zufall, dessen Umstände Sie mir erzählen, mich meine Ehre kosten. Ich bin allein mit Ihnen in diesem Gemach, ohne Licht, und es ist drei Uhr nachts; es gehört sich, daß ich gleich meine Kammerjungfer rufe.“

„Verzeihen Sie, Madame, daß ich nochmals von mir spreche. Der Kommandant Rochegude ist mein Feind, und ich flüchtete nach Bordeaux, eines andern Duells wegen verfolgt, das ich vor einiger Zeit schlagen zu müssen das Unglück hatte. Ein Wort von Ihnen, Madame, kann mich auf die Feste Trompette bringen, und da jener, den ich tötete, sich gewiß aller Protektion erfreut, verlasse ich dies Fort nur auf dem Wege zum Richtblock.“

„Ich werde vorsichtig sein,“ sagte die Dame, „aber lassen Sie mich nun gehen.“

Sie schritt zur Tür, die sie durch ein Geheimschloß öffnete. Nun fiel sie mit dem festen Geräusch wieder zu, und Saint-Ismier war aufs neue allein, ohne Licht, gefangen.

‚Ist die Frau häßlich und aus diesem Grunde böse,‘ dachte der Chevalier, ‚so bin ich verloren. Aber sie hatte eine zarte Stimme. Jedenfalls werden Domestiken auf mich losgelassen. Da wird's nichts zu markten geben; ich steche den ersten nieder, der sich zeigt. Das schafft dann einen Augenblick Verwirrung, die ich nütze, die Stiege hinunter und auf die Gasse zu kommen.‘

Er vernahm draußen Stimmen.

‚Gleich wird sich alles entscheiden‘, sagte er sich.

Er packte mit der Linken einen Schemel, den er seinem Angreifer zwischen die Augen werfen wollte, und stellte sich hinter den Bettvorhang.

Die Tür ging auf. Er sah ein leidlich hübsches Mädchen eintreten, in der Hand ein Licht, mit der andern die Portiere haltend. Sie sah den Raum mit den Blicken ab und fand den Fremden nicht. Da lachte sie.

‚Ich dachte mir's doch, daß es nur ein Scherz wäre. Sie wollten mich nur durch eine seltsame Geschichte am Schlafen hindern, gnädiges Fräulein.‘

Da trat eine Dame ein, achtzehn oder zwanzig Jahre alt und von blendender Schönheit; doch blickte sie ernst und sogar ein wenig unruhig. Sie ließ die Tür zufallen und ohne ein Wort zu der zuerst eingetretenen Jungfer zu sprechen, machte sie ihr ein Zeichen gegen den Alkoven hin.

Als der Chevalier bloß die beiden Frauen sah, trat er, den Degen in der Hand, hinter dem Vorhang hervor. Aber der nackte Stahl und das Blut, das ihn bedeckte, machten Wirkung auf die Zofe, die sich ganz blaß ans Fenster zurückzog. Der Chevalier dachte weder an Gefängnis mehr noch an seine Duelle; er bewunderte die außerordentliche Schönheit der jungen Person, die aufrecht vor ihm stand und ein wenig bestürzt. Nun fiel heftige Röte über ihr Gesicht, und ihre Augen wurden groß vor Neugierde.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
440 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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