Kitabı oku: «Rot und Schwarz», sayfa 7
13. Kapitel
Als Julian das verfallene Gemäuer der alten Kirche von Vergy wieder vor sich sah, fiel ihm ein, dass er seit vorgestern kein einziges Mal an Frau von Rênal gedacht hatte. »Am Tage, da ich fortging«, sagte er sich, »hat mich diese Frau den ungeheuren Abstand fühlen lassen, der uns trennt. Sie hat mich als den Arbeitersohn behandelt. Ohne Zweifel hat sie mir zeigen wollen, dass es sie gereut, mir an jenem Abend ihre Hand überlassen zu haben … Sie ist so schön, diese Hand! Und der Blick dieser Frau: welcher Zauber, welche Vornehmheit lebt darin!«
Die Möglichkeit, durch Fouqué zu Vermögen zu kommen, verlieh Julian eine gewisse Unbefangenheit in seinen Grübeleien. Sie waren nicht mehr so häufig verbittert und bedrückt, weil er arm und von niederer Herkunft war. Er beurteilte alles von einer höheren Warte aus und sah gleichsam über die Schranke zwischen Armut und Reichtum hinweg. Wenngleich bei weitem nicht imstande, seine Stellung zur Welt philosophisch zu beurteilen, war er doch hellsichtig genug, um zu erkennen, dass ihn sein Ausflug ins Gebirge gewandelt hatte.
Unverständlich war ihm Frau von Rênals starke Unruhe, als er auf ihren Wunsch von seiner kleinen Reise berichtete.
Fouqué hatte Heiratsabsichten und eine unglückliche Liebschaft gehabt. Seine Herzensergießungen über Liebe und Ehe waren der Angelpunkt in den Gesprächen der beiden Freunde. Allzu rasch glücklich, hatte Fouqué bald erfahren, dass er nicht allein geliebt ward. Diese Erlebnisse hatten Julian verwundert. Er lernte manch Neues daraus. In sein eigenes einsames Leben voll Träumerei und Misstrauen war noch keinerlei Aufklärung gedrungen.
Während seiner Abwesenheit hatte Frau von Rênal nichts als Qualen durchgemacht, die untereinander verschieden waren, aber eine immer unerträglicher als die andre. Sie war richtig krank. Als Frau Derville Julian ankommen sah, warnte sie die Freundin: »Auf keinen Fall darfst du dich heute Abend in den Garten setzen. Dir ist nicht wohl, und die feuchte Luft wäre deinem Zustand geradezu schädlich!«
Zu ihrem Erstaunen bemerkte Frau Derville, dass ihre Freundin, die sich sonst immerfort von ihrem Manne wegen ihrer übereinfachen Kleidung tadeln ließ, durchbrochene Strümpfe und allerliebste aus Paris bezogene Halbschuhe anzog. In den letzten drei Tagen war es Frau von Rênals einzige Zerstreuung gewesen, ein Sommerkleid aus hübschem, neumodischem Stoff zuzuschneiden und in aller Eile von Elise nähen zu lassen. Dieses Kleid war gerade fertig geworden. Ein paar Augenblicke nach Julians Rückkehr zog Frau von Rênal es auch schon an. Nun zweifelte die Freundin nicht mehr. »Sie ist verliebt, die Unglückselige!« sagte sie sich. Und mit einem Mal wurden ihr alle die sonderbaren Merkmale ihrer Krankheit klar.
Sie sah, wie Frau von Rênal mit Julian sprach. Blässe und dunkle Röte wechselten auf ihrem Gesicht ab. In ihren Augen, die an denen des jungen Hauslehrers hingen, spiegelte sich ihre heimliche Angst. Jeden Augenblick erwartete sie nämlich seine Erklärung, ob er bliebe oder das Haus verließe. Aber Julian sagte über diesen Punkt kein Wort. Daran dachte er überhaupt nicht. Nach einem grässlichen inneren Kampfe fasste sie sich schließlich ein Herz und fragte ihn mit zitternder Stimme, die ihre ganze Leidenschaft verriet: »Werden Sie Ihre Zöglinge verlassen und anderswo eine Stellung annehmen?«
Frau von Rênals unsichere Sprache und ihr wirrer Blick machten Julian stutzig. »Dieses Weib liebt mich!« sagte er sich. »Aber ihre augenblickliche Schwäche wird vorübergehen. Ihr Stolz wird ihr Vorwürfe machen, und wenn ihre Furcht, ich könne gehen, weg ist, ist ihr voller Hochmut wieder da.« Die Erkenntnis der beiderseitigen Lage durchfuhr Julian jäh wie ein Blitz. Überlegend antwortete er ihr: »Es würde mir schwerfallen, so liebe Kinder aus so guter Familie verlassen zu sollen. Aber unter Umständen muss es sein. Man hat auch Pflichten gegen sich selber.«
Den Ausdruck aus guter Familie hatte er in dem aristokratischen Hause oft gehört. Als er ihn jetzt selbst anwandte, überkam ihn das Gefühl tiefer Erbitterung. In den Augen dieser Dame, dachte er bei sich, bin ich nicht aus guter Familie.
Während ihm Frau von Rênal zuhörte, bewunderte sie seine geistige Überlegenheit und seine Schönheit. Die Möglichkeit seines Wegganges verursachte ihr Herzeleid. Alle die Bekannten, die während seiner Abwesenheit zu Tisch nach Vergy gekommen waren, hatten ihr um die Wette Komplimente über den Wundermann gemacht, den ihr Gatte in seinem Glücke aufgegabelt hatte. Nicht, dass man von den Fortschritten der Kinder etwas wusste; die Tatsache, dass er die Bibel auswendig hersagen konnte, noch dazu lateinisch, hatte die Spießer von Verrières auf immerdar für ihn eingenommen.
Julian, der mit keinem Menschen sprach, ahnte von allem nichts. Wäre Frau von Rênal nur halbwegs im Besitze ihres klaren Verstandes gewesen, so hätte sie ihm über seine Berühmtheit eine kleine Schmeichelei gesagt. Das hätte ihn eitel gemacht, und er wäre gütig und liebenswürdig gegen sie gewesen, zumal er ihr neues Kleid reizend fand.
Dies Kleid gefiel Frau von Rênal selbst, und so war sie mit dem wenigen zufrieden, was Julian ihr darüber sagte. Sie schlug einen Rundgang durch den Garten vor. Nach einer Weile machte sie das Geständnis, es sei ihr unmöglich, weiterzugehen. Sie hatte den Arm des Wiedergekehrten genommen, aber die Berührung mit Julian war ihr keine Stütze. Im Gegenteil: sie nahm ihr die letzte Kraft.
Es ward Nacht. Kaum saß man, als Julian von seinem alten Rechte Gebrauch zu machen wagte: Er drückte seine Lippen auf den Arm seiner schönen Nachbarin und nahm ihre Hand. Dabei dachte er an die Libertinage, die sich Fouqué bei seiner Liebsten erlaubt hatte. An Frau von Rênal dachte er nicht. Die Worte aus guter Familie lasteten noch auf seinem Gemüt.
Der Händedruck ward erwidert, aber dies bereitete ihm kein Vergnügen. Anstatt stolz auf die Zuneigung zu sein, die Frau von Rênal an diesem Abend kaum verhehlte, oder wenigstens dafür dankbar, blieb er beinahe unempfindlich gegen ihre Schönheit, ihre Eleganz, ihre Frische. Ohne Zweifel verlängern Seelenadel und Unberührtheit von jedwedem Bösen die Jugendlichkeit. Bei den meisten hübschen Frauen altert das Gesicht zuerst. Frau von Rênal war jung geblieben.
Julian war den ganzen Abend mürrisch. Bisher hatte er nur dem Schicksal und der Gesellschaft gegrollt, aber seit ihm Fouqué eine ordinäre Gelegenheit, zu Wohlstand zu kommen, gewiesen hatte, war er auch gegen sich selbst verstimmt. Wenngleich er hin und wieder ein paar Worte zu den Damen sagte, widmete er sich ganz seinen Grübeleien, und ohne dass er es merkte, ließ er schließlich Frau von Rênals Hand los. Als er dies tat, krampfte sich das Herz der armen Frau zusammen. Sie sah eine Verkündigung darin, ein Symbol ihres Schicksals.
Wäre sie der Liebe Julians sicher gewesen, so hätte ihr die Tugend vielleicht die nötige Kraft zur Überwindung verliehen. So aber zitterte sie davor, ihn auf immerdar zu verlieren. In ihrer Leidenschaft vergaß sie sich so weit, dass sie seine Hand ergriff, die er in der Versonnenheit auf der Stuhllehne gelassen hatte. Diese Tat reizte die Ehrsucht des jungen Mannes. Am liebsten hätte er alle die eingebildeten adligen Herren und Damen, die bei Tisch, wo er mit den Kindern am untern Ende saß, mit wohlwollender Herablassung auf ihn blickten, zu Zeugen hergerufen.
»Unmöglich kann mich diese Frau verachten!« jubelte er sich zu. »Somit muss ich mich für ihre Schönheit empfänglich zeigen. Ich bin es mir schuldig, ihr Liebhaber zu werden.«
Ohne die naiven Bekenntnisse seines Freundes Fouqué wäre er auf eine solche Idee nicht gekommen.
Der so plötzlich gefasste neue Entschluss bereitete ihm eine angenehme Beschäftigung. »Eine dieser beiden Frauen muss ich haben«, sagte er sich, wobei er zu der Erkenntnis kam, dass er viel lieber Frau Derville den Hof gemacht hätte, nicht, weil sie ihm besser gefiel, sondern weil sie ihn nie anders als den ob seiner Kenntnisse angestaunten Hauslehrer kannte und nicht, wie Frau von Rênal, als den Müllerburschen in wollener Weste und bloßen Hemdsärmeln. Allerdings ahnte er nicht, dass sich Frau von Rênal zu ihrem Entzücken just immer wieder vergegenwärtigte, wie der Bauernbursche, rot bis hinter die Ohren, vor der Haustür gestanden und nicht an der Klingel zu ziehen gewagt hatte.
Bei weiterer Betrachtung seiner Stellung ward sich Julian klar, dass er an die Eroberung von Frau Derville gar nicht denken durfte, da sie die Neigung ihrer Freundin zu ihm aller Wahrscheinlichkeit nach bereits gemerkt hatte. Er sah sich also gezwungen, auf Frau von Rênal zurückzukommen. Nun fragte er sich: »Was weiß ich eigentlich vom Wesen dieser Frau? Doch nur das eine: vor meinem Urlaub habe ich ihre Hand erfasst; sie zog sie zurück. Heute ziehe ich sie zurück; sie ergreift sie wieder und drückt sie. Eine vorzügliche Gelegenheit, ihr all die Verachtung heimzuzahlen, die sie ehedem mir gegenüber gehegt! Gott weiß, wie viele Liebhaber sie schon gehabt haben mag! Vielleicht hat sie es nur deshalb auf mich abgesehen, weil ein heimlicher Verkehr zwischen ihr und mir das bequemste ist.«
Himmelweit entfernt von der Ungebundenheit des Naturmenschen, gehörte Julian bereits zu den Sklaven der Überkultur, denen die Liebe nichts ist als eine langweilige, konventionelle Sache. Eitel und kleinlich sagte er sich: »Ich bin es mir unbedingt schuldig, bei dieser Frau zum Ziele zu kommen. Sollte ich je berühmt werden, und es würfe mir jemand diesen armseligen Hauslehrerposten vor, so kann ich andeuten, die Liebe hätte mich in diese Stellung geführt.«
Von neuem entwand sich Julian seiner schönen Nachbarin, und abermals griff diese nach seiner Hand und drückte sie. Als man gegen Mitternacht in den Salon hineinging, fragte Frau von Rênal ihn leise: »Wollen Sie uns wirklich verlassen? Wollen Sie wirklich fort von hier?«
Seufzend gab Julian die Antwort: »Ich muss wohl … weil ich Sie von ganzem Herzen liebe … und weil dies Sünde ist … eine große Sünde für einen jungen Geistlichen!«
Frau von Rênal, die an Julians Arm dahinschritt, schmiegte sich so dicht an ihn, dass sie die Wärme seiner Wange an der ihren spürte.
Die Nacht verbrachten die beiden sehr verschieden. Frau von Rênal schwelgte in den Verzückungen der höchsten seelischen Wollust. Sie war keins der koketten jungen Mädchen gewesen, die frühzeitig Liebeleien haben und später, in dem Alter, wo die große Leidenschaft kommen könnte, schon abgestumpft sind. Sie hatte keine Romane gelesen, und auch die geringste, leiseste Glückseligkeit war ihr etwas Neues. Nichts kühlte und schreckte sie ab, weder das Traurige der Wirklichkeit noch das Gespenst der Zukunft. Sie sah sich in zehn Jahren ebenso beglückt wie jetzt. Selbst der Gedanke an die Moral und an die ihrem Manne geschworene eheliche Treue – Dinge, die sie noch in den letzten Tagen beunruhigt hatten –, alles das mahnte sie jetzt vergeblich. Das waren ungebetene Eindringlinge in ihr Glück, die sie verscheuchte. Eines jedoch gelobte sie sich: »Niemals werde ich Julian etwas zugestehen. Wir werden so weiterleben, wie wir es seit vier Wochen tun. Er soll mir ein Freund sein.«
14. Kapitel
Fouqués Anerbieten hatte Julian aller Zufriedenheit beraubt, aber er kam zu keinem Entschluss.
»Ach, am Ende fehlt es mir an innerer Kraft!« klagte er sich an. »Ich hätte nicht das Zeug zu einem napoleonischen Soldaten gehabt … Meinetwegen!« fügte er hinzu. »So soll mich meine Liebelei mit der Quartierwirtin ein wenig entschädigen!«
Zu seinem Glücke stand seine Seele keineswegs im Einklang mit dieser Landsknechtssprache, selbst in dieser nebensächlichen Episode nicht. Er empfand Scheu vor Frau von Rênal: vor ihrem hübschen Kleide. Das war ihm der Vorgeschmack des Pariser Lebens.
Hochmütig, wie er war, wollte er dem blinden Zufall und der Eingebung des Augenblicks nichts überlassen. Auf Grund der Geständnisse Fouqués und etlicher Aphorismen aus seinem Lieblingsbuche, die ihm einfielen, entwarf er sich einen bis ins einzelne gehenden Feldzugsplan. Und da er, ohne es sich einzugestehen, nicht klar und sicher war, so schrieb er diesen Plan nieder.
Am nächsten Morgen fand er sich einen Augenblick im großen Zimmer allein mit Frau von Rênal.
»Haben Sie eigentlich noch einen andern Namen als Julian?« scherzte sie.
Er wusste auf diese schmeichelhafte Neckerei keine Antwort. Dergleichen war in seinem Kriegsplan nicht vorgesehen. Ohne diesen dummen Plan hätte er bei der Beweglichkeit seines Geistes gewiss sofort eine Erwiderung gefunden, und das Überraschende der Frage hätte sein Impromptu umso reizvoller gemacht. So aber war er unbeholfen, und im Spiegel der Selbstbetrachtung vergrößerte sich diese Unbeholfenheit noch. Frau von Rênal freilich verzieh sie ihm im Moment. Sie hielt sie für ein Kennzeichen seiner Aufrichtigkeit und war entzückt darüber. Offenherzigkeit, das war es, was diesem jungen Menschen, den man allgemein als sehr klug rühmte, ihrer Meinung nach fehlte. Auch Frau Derville hatte mehrmals gesagt: »Deinem kleinen Hauslehrer traue ich nicht über den Weg. Ich finde, er hat immer etwas zu überlegen und handelt nur aus Berechnung. Er ist heimtückisch.«
Julian war unglücklich und tief gedemütigt, dass er Frau von Rênal nicht zu antworten vermocht hatte. »Ein Mann meines Schlages«, sagte er sich, »muss diese Scharte wieder auswetzen!« Und er befahl sich, Frau von Rênal einen Kuss zu geben.
Als sie zusammen das Zimmer verließen, benutzte er diesen Augenblick. Es war der unpassendste Moment. Keins von beiden hatte eine angenehme Empfindung. Obendrein handelte er im höchsten Grade unvorsichtig. Es fehlte nicht viel, so hätte man den Vorfall gesehen. Frau von Rênal hielt Julian für toll. Sie war erschrocken und vor allem gekränkt. Valenod und seine alberne Verliebtheit kam ihr in den Sinn.
»Was stünde mir bevor, wenn ich einmal allein mit ihm wäre?« fragte sie sich. Sie gewann ihre ganze Tugendsamkeit wieder. Ihre Liebe war verflogen. Fortan richtete sie es ein, dass immer eins der Kinder bei ihr blieb.
Der Tag kam Julian langweilig vor. Er verbrachte ihn damit, seinen Verführungsplan in ungeschickter Weise zu verfolgen. Jedes Mal, wenn er Frau von Rênal anblickte, hatte er eine Absicht dabei. Aber er war doch nicht Narr genug, um nicht einzusehen, dass es ihm nicht glückte, ein Herzenseroberer zu sein, geschweige denn ein Verführer.
Frau von Rênal staunte ein über das andre Mal, ihn so linkisch und dreist zugleich zu sehen. »Die täppische Verliebtheit des Gelehrten!« dachte sie zu guter Letzt und freute sich nun namenlos darüber. »Ich möchte beinahe glauben, dass meine Rivalin ihn nicht geliebt hat.«
Nach dem Frühstück ging Frau von Rênal in den Salon, um den Besuch des Herrn Charcot von Maugiron, des Landrats von Bray, zu empfangen. Sie arbeitete an einer Stickerei im Rahmen. Frau Derville saß neben ihr. Bei dieser Gruppierung, am helllichten Tage, fand es Julian für angebracht, seinen Fuß vorzurücken und Frau von Rênals hübschen Halbschuh zu berühren. Augenscheinlich hatten der niedliche Fuß und die durchbrochenen Strümpfe der Hausherrin auch den Blick des galanten Landrats auf sich gezogen.
Frau von Rênal bekam einen Todesschreck. Im Moment ließ sie Schere, Wollknäuel und Sticknadel fallen, so dass Julians Bewegung allenfalls für einen ungeschickten Versuch gelten konnte, die Schere, die er hatte fallen sehen, mit dem Fuß aufzufangen. Glücklicherweise brach die dünne kleine Schere aus englischem Stahl entzwei, und Frau von Rênal beklagte immer wieder, dass Julian ihr nicht rascher zur Hand gewesen sei.
»Sie haben doch vor mir gesehen, dass sie fiel!« warf sie ihm vor. »Statt mir im blinden Eifer den Fuß zu zertreten, hätten Sie die Schere aufhalten sollen!«
Der Landrat ließ sich täuschen. Nicht so Frau Derville. »Der hübsche Bursche hat recht törichte Manieren«, dachte sie bei sich. Der gute Ton der Provinz duldet dergleichen Vertraulichkeiten nicht.
Sobald sich die Gelegenheit bot, flüsterte Frau von Rênal Julian zu: »Seien Sie vernünftig! Ich befehle es Ihnen!«
Julian sah seine Ungeschicklichkeit ein und bekam schlechte Laune. Lange grübelte er darüber nach, ob er sich über die Worte: Ich befehle es Ihnen! ärgern müsse oder nicht. In seiner Torheit geriet er auf den Gedanken: »Wo es sich um eine pädagogische Frage hinsichtlich der Kinder handelt, dann kann sie mir ›Ich befehle ‹ sagen. In Dingen der Liebe jedoch muss sie uns beide für gleichgestellt erachten. Liebe ohne Gleichheit ist ein Unding!« Nun verlor er sich darin, Aussprüche hierüber auszudenken. Voll Bitternis wiederholte er sich einen Vers Corneilles, den ihm Frau von Rênal einmal hergesagt hatte:
»Die Liebe erzeugt die Gleichheit, doch sie sucht sie nicht.«
Julian war darauf versessen, den Don Juan zu spielen: er, der noch nie eine Geliebte gehabt hatte. Er war den ganzen Tag über halb wahnsinnig. Ein einziger Gedanke beherrschte ihn. Zerfallen mit sich selbst wie mit Frau von Rênal, graute es ihm vor dem Abend, wo er im Garten sitzen würde, ihr zur Seite, im nächtlichen Dunkel.
Er meldete Herrn von Rênal, er wolle nach Verrières gehen, zum Pfarrer. Gegen Abend, nach Tisch, brach er auf und kehrte erst spät in der Nacht zurück.
In Verrières fand er den Pfarrer Chélan im Umzuge begriffen. Man hatte ihn endlich in der Tat abgesetzt. Vikar Maslon trat an seine Stelle. Julian war dem guten alten Mann behilflich. Dabei fiel ihm ein, seinem Freunde Fouqué einen Brief zu schreiben. Der unbezwingliche Drang, Geistlicher werden zu wollen, hätte ihn im ersten Augenblick daran gehindert, seinen freundschaftlichen Vorschlag anzunehmen. Jetzt aber, wo er eben ein so überzeugendes Beispiel von Ungerechtigkeit vor Augen habe, jetzt sähe er ein, dass er im Leben weiterkommen werde, wenn er auf den geistlichen Stand verzichte.
Julian bildete sich ein, sehr schlau zu handeln, wenn er die Maßregelung des Pfarrers benutzte und sich die Hintertür, doch noch Kaufmann zu werden, offenhielt für den Fall, dass seine hochfliegenden Pläne am nebeligen Gestade des nüchternen Menschenverstandes scheitern sollten.
15. Kapitel
Wäre Julian nur einigermaßen so weltgewandt gewesen, wie er dies zu sein sich schmeichelte, so hätte er sich am nächsten Morgen zu der Wirkung seines Ganges nach Verrières gratulieren können. Seine Abwesenheit hatte sein ungeschicktes Benehmen vergessen gemacht.
Wiederum war er den ganzen Tag über misslaunig. Gegen Abend verfiel er auf eine komische Idee, die er Frau von Rênal in unglaublicher Verwegenheit kundgab. Kaum saß man, wie immer, im Garten und noch war es nicht genügend dunkel, da näherte sich Julian mit seinem Munde Frau von Rênals Ohr und raunte ihr, ungeachtet der Gefahr, sie heillos zu kompromittieren, zu: »Gnädige Frau, heute Nacht um zwei Uhr werde ich in Ihr Zimmer kommen. Ich muss Ihnen etwas sagen.«
Julian war voller Angst, sein Verlangen könne abgeschlagen werden. Seine Verführerrolle war ihm schauderhaft lästig, und es wäre seiner innersten Natur viel angenehmer gewesen, wenn er sich ein paar Tage lang in sein Zimmer hätte einschließen dürfen und die beiden Damen nicht zu sehen bekommen hätte. Es war ihm klar, dass er sich gestern durch sein dummes Betragen alle bis dahin errungenen Vorteile wieder verscherzt hatte.
Frau von Rênal gab ihrer Entrüstung über seinen kecken, schamlosen Antrag in natürlicher, keineswegs übertriebener Weise Ausdruck. Julian glaubte aus ihrer kurzen Antwort Verachtung herauszuhören. Es war ihm, als habe diese leise geflüsterte Abwehr das Wörtchen Pfui! enthalten.
Unter dem Verwände, den Kindern etwas mitzuteilen, ging Julian in die Kinderstube. Als er wiederkam, nahm er neben Frau Derville Platz, möglichst weit ab von Frau von Rênal. Auf diese Weise beseitigte er jede Möglichkeit, ihre Hand zu erfassen. Die Unterhaltung war ernst, und bis auf ein paar Augenblicke des allgemeinen Stillschweigens, während dem er sein Hirn zermarterte, spielte er seine Rolle recht gut. Einmal durchschoss ihn die Frage: »Warum bin ich unfähig, irgendeinen netten Trick zu erfinden, der Frau von Rênal zwingt, mir diesen unzweideutigen Beweis ihrer Zuneigung zu geben, damit ich wie vor drei Tagen die Überzeugung habe, dass sie mir verfallen ist?«
Julian war in Verzweiflung, dass er die ganze Sache offenbar verfahren hatte. Andrerseits wäre ihm nichts in der Welt peinlicher gewesen, als einem sicheren Siege entgegenzugehen.
Als man sich um Mitternacht trennte, reizte ihn sein Pessimismus zu der misstrauischen Vermutung, Frau Derville verachte ihn und wahrscheinlich nicht minder auch Frau von Rênal. In der übelsten Laune und arg gedemütigt, fand er keinen Schlaf. Unmöglich konnte er sich mit dem Gedanken vertraut machen, unter Verzicht auf seine planmäßige Komödie mit Frau von Rênal ins Blaue hineinzuleben und sich wie ein Kind mit dem Glücke des Zufalls zu begnügen. Er zerbrach sich den Kopf, um irgendeine raffinierte Kriegslist auszusinnen; aber was er auch ergrübeln mochte, immer dünkte es ihn im nächsten Augenblick albern und banal.
Er war der unglücklichste aller Menschen, als die Schlossuhr zwei schlug. Ihr Schlag rüttelte ihn auf wie den Petrus der Hahnenschrei. Jetzt sah er sich Auge in Auge mit dem allerunangenehmsten Ereignis. Seit dem Augenblick, wo er den unverschämten Antrag gestellt, hatte er nicht mehr daran gedacht. War er doch eigentlich abgeblitzt!
Er sprang von seinem Lager und sagte sich: »Ich habe ihr vermeldet, dass ich um zwei Uhr zu ihr käme. Ich bin möglicherweise ein unerfahrener Tölpel, wie man dies als Sohn eines Bauern eben ist. Frau Derville hat mir dies genug zu verstehen gegeben. Eins will ich aber keinesfalls sein: ein Schwächling!«
Julian hatte allen Grund, auf seinen Mut stolz zu sein. Nie in seinem Leben hatte er sich schlimmeren Zwang auferlegt. Als er seine Tür öffnete, zitterte er dermaßen, dass ihm die Knie wankten und er sich gegen die Wand lehnen musste.
Er hatte keine Schuhe an. Vor der Tür des Hausherrn horchte er und hörte, wie er drinnen schnarchte. Das brachte ihn in wahre Verzweiflung. So gab es also keine Ausrede mehr, nicht zu ihr zu gehen. Aber, großer Gott! Was wollte er eigentlich dort? Er hatte keinen Plan, und hätte er einen gehabt: in seiner Verwirrung hätte er ihn doch nicht ausführen können.
Tausendmal mehr leidend, als wenn er in den Tod schritte, gelangte er endlich in den Seitengang, der zu Frau von Rênals Schlafzimmer führte. Mit bebender Hand öffnete er die Tür, wobei er schrecklichen Lärm machte.
Das Gemach war matt erleuchtet; ein Nachtlicht brannte auf dem Kamin: ein neues Unglück, auf das er nicht gefasst war. Als Frau von Rênal ihn eintreten sah, sprang sie aus dem Bett.
»Unglücklicher!« rief sie.
Beide waren verwirrt. Julian vergaß seine vagen Pläne und fand sich in seine natürliche Rolle. Einem so entzückenden Weibe nicht zu gefallen, das wäre ihm jetzt das höchste Unglück gewesen. Er begegnete ihren Vorwürfen, indem er sich ihr zu Füßen warf und ihre Knie umschlang. Als sie ihm ein sehr hartes Wort sagte, brach er in Tränen aus…
Als Julian etliche Stunden später Frau von Rênals Schlafzimmer verließ, hatte er – wie es im Romanstil heißt – nichts mehr zu wünschen. Der Leidenschaft, die er erregt, und der ungeahnten Wirkung verführerischer Frauenreize verdankte er einen Sieg, zu dem ihm seine täppische Zudringlichkeit niemals verhelfen hätte. Trotzdem war er dermaßen vom Teufel des Hochmuts besessen, dass er sich in den Momenten der höchsten Wonne einbildete, die Rolle eines Mannes zu spielen, der es gewöhnt ist, Frauen zu verführen. Er tat das Unglaublichste, um alles, was er Liebenswürdiges an sich hatte, hässlich zu machen. Statt sich am Sinnentaumel zu weiden, den er entfachte, und an der Gewissensnot, die all die Liebesglut noch schürte, dachte er immerfort an die Pflicht. Er hegte Furcht vor der grässlichen Reue und der ewigen Lächerlichkeit, deren Beute er werden würde, wenn er dem Vorbild, das er sich in seinen Träumereien erschaffen, nicht die Treue hielt. Mit einem Worte: gerade das, was Julian zu einem höheren Wesen machte, das ließ ihn nicht zum Genusses des Glückes kommen, das sich ihm darbot. Er machte es wie jene Sechzehnjährigen, die prächtige rote Wangen haben, aber geschminkt zum Balle gehen.
Bei Julians Erscheinen war Frau von Rênal zu Tode erschrocken. Die qualvollste Angst packte sie, und sein Schluchzen und seine Verzweiflung brachten sie vollends außer Fassung. Sogar als sie ihm nichts mehr zu versagen hatte, stieß sie Julian von sich, um ihn im nächsten Augenblick von neuem zu umarmen. Ihr Verhalten hatte keinen Sinn und Verstand. Sie glaubte sich ohne Gnade verdammt und suchte die Hölle zu vergessen, indem sie den Geliebten auf das zärtlichste liebkoste. Mit einem Worte: es fehlte zu Julians Glück nichts. Er war der Verführer einer empfindsamen Frau, die sich ihm in lodernder Sinnlichkeit ergab. Nur war er unfähig zu genießen.
Frau von Rênal hingegen schwelgte in Wollust, auch als Julian längst wieder weg war, so sehr sie sich dagegen wehrte und trotz der Gewissensbisse, die sie wild bestürmten.
Als Julian sein Zimmer betrat, war sein erster Gedanke der: »Mein Gott, glücklich sein und geliebt werden! Das ist's und weiter nichts?« Er befand sich in jenem Zustand der Verwunderung und Nervosität, in den der Mensch verfällt, wenn er etwas lange Ersehntes erreicht hat. Die Sehnsucht ist einem zur Gewohnheit geworden; sie fehlt mit einem Mal, und die Erinnerung, die diese Leere ausfüllen könnte, ist noch nicht reif dazu.
Wie ein Soldat, der von der Parade nach Hause kommt, vergegenwärtigte sich Julian sein Verhalten bis in die Einzelheiten. »Habe ich nichts unterlassen, was ich zu tun mir schuldig war?« So fragte er sich.
»Habe ich meine Rolle gut gespielt? Die eines genialen Frauenverführers ?«