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§ 5 Die weitere Entwicklung des antiken römischen Rechts
Literatur:
Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Bd. I (4. Aufl. 1995), S. 270 ff, Bd. II (3. Aufl. 1994) S. 170 ff, 243 f; Bretone, Geschichte des römischen Rechts (2. Aufl. 1998), S. 234 ff; Härtel/Pólay, Römisches Recht und römische Rechtsgeschichte (1987), S. 64 ff, 115 ff; Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. II (1975); Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht (2. Aufl. 1996) S. 517 ff (§§ 77 ff); Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte (14. Aufl. 2005) S. 176 ff; Meder, Rechtsgeschichte (7. Aufl. 2020) S. 99 ff (Kapitel 4); Söllner, Einführung in die römische Rechtsgeschichte (5. Aufl. 1996) S. 125 ff; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte (11. Aufl. 2014) S. 237 ff, 263 ff; Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spätantike (1964); ders., Römische Rechtsgeschichte II (2006) S. 179 ff, 263 ff.
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Zeit | allgemeines historisches Geschehen | rechtshistorisch bedeutsam |
---|---|---|
235-284 | Reichskrise, Einfälle der Germanen; Soldatenkaiser | Beginn der nachklassischen Zeit (Paulussentenzen, epitome Ulpiani; „Vulgarrecht“) |
ab 284 | Herrschaft des Diokletian, Beginn des Dominats | Codex Gregorianus Codex Hermogenianus |
375 | Einfall der Hunnen in Europa, Beginn der Völkerwanderung | |
380/391 | Christentum wird Staatsreligion | |
395 | Reichsteilung | oströmische Rechtsschulen |
426 | Zitiergesetz Valentinians III. und Theodosius“ II. | |
438 | Codex Theodosianus | |
476 | Ende des weströmischen Reichs | |
527-565 | Justinian | „Corpus Iuris Civilis“ |
1453 | Eroberung Konstantinopels durch die Türken; Ende des byzantinischen Reiches |
I. Das Dominat
1. Staat und Stände
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Die letzten Jahrhunderte der Herrschaft der römischen Kaiser ab Diokletian (reg. 284-305 n. Chr.) werden üblicherweise als Dominat bezeichnet. Entgegen früheren Vorstellungen rechtfertigt sich die Periodisierung nicht daraus, dass die Regierung erst jetzt die Formen einer absolut-autokratischen Herrschaft annimmt. Soweit es die tatsächlichen Machtverhältnisse gestatteten, haben auch die Kaiser der Prinzipatszeit nicht gezögert, ihren Willen ohne Rücksicht auf konstitutionelle Beschränkungen durchzusetzen, und Herrscherpersönlichkeiten wie Domitian (81-96 n. Chr.), Commodus (180-192) oder Caracalla (211-217) standen in der ungezügelten Ausübung ihrer persönlichen Macht sicherlich den Kaisern der Spätzeit nicht nach. Die Periodenbildung lässt sich aber zum einen im Interesse der Orientierung rechtfertigen und zum anderen war die Reichskrise zur Zeit der Soldatenkaiser (Rn. 145) eine deutliche Zäsur.
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Während die principes noch die senatorische Toga trugen, kleideten sich die Kaiser des Dominats in Gewänder mit Gold und Edelsteinen. Sie trugen das Diadem orientalischer Könige. Das hellenistisch-orientalische Hofzeremoniell wurde schon im Prinzipat unter Commodus und den Serverern eingeführt. Abschließend wurde es von Diokletian festgelegt. Wer überhaupt zu einer Audienz beim Kaiser zugelassen war, musste sich vor ihm je nach Anlass auf die Knie oder sogar auf den Boden werfen und durfte den Blick erst erheben, wenn es der Kaiser gestattete.
Nachdem schon im Prinzipat zur Vorbereitung der Nachfolge einzelne Herrscher Mitregenten ernannt hatten, begründete Diokletian die Praxis der Tetrarchie (Vierkaiserherrschaft), d.h. es gab zwei Augusti, die jeweils zwei (rangniedere) Caesares zu Nachfolgern bestimmen sollten. Einer der Augusti regierte zunächst als faktisch höchster Herrscher, aber die Verdoppelung der Würde führte schließlich zur Teilung des Reiches (Rn. 198).
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Das Dominat ist in seiner Gesamtheit als Versuch zu sehen, die zerfallenden Strukturen des römischen Reiches durch äußeren Zwang zusammenzuhalten. Im weströmischen Reich scheiterte dieser Versuch bald. Um 375 n. Chr. kam es zu Einfällen der Hunnen, zentralasiatischer Nomaden, in das östliche Mitteleuropa, was zu einer Verdrängung der dort lebenden germanischen Stämme in das weströmische Reichsgebiet und damit zum Beginn der Völkerwanderung führte, die sich bis in das 6. Jahrhundert hineinzog.
Für den Zerfall und Untergang des Westreiches sind verschiedene Faktoren verantwortlich gemacht worden.[1] Eine monokausale Betrachtungsweise dürfte nicht angemessen sein. Mitursächlich war sicherlich die Überforderung der vorhandenen wirtschaftlichen Kräfte durch den wachsenden Militär- und Beamtenapparat, zumal es keine ins Gewicht fallende Fortentwicklung der Produktionstechnik gab. Der Staat reagierte – wie oft in der Geschichte – auf finanzielle Lücken mit Zwangsmaßnahmen (Rn. 144), konnte den Niedergang aber nicht aufhalten, da er keine neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten schuf, sondern die bestehenden sogar eher einengte.
Die ökonomische Entwicklung des Dominats ist gekennzeichnet durch Währungsverfall und Rückkehr zur Naturalwirtschaft. Beispielsweise der oströmische Kaiser Diokletian versuchte, dem Niedergang durch eine Reform der Besteuerung (z.T. in Naturalien!) und durch die Festsetzung von Höchstpreisen (das Höchstpreisedikt ist sehr aufschlussreich für das damalige Preisniveau) entgegenzuwirken, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Erst die von Konstantin (306-337) eingeführten neuen Goldmünzen erwiesen sich als stabil; andere Münzen verloren weiter an Wert.
Die erbliche berufsständische Zwangsorganisation in den corporationes und das System der von ihnen zu erbringenden munera (Zwangsleistungen) führte zu einer Art Kastenwesen mit halbfreien Staatsarbeitern. Auch der Soldatenstand wurde erblich.
Frei blieben nur noch Beamte, Militärpersonen, Kleriker und Grundeigentümer.
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Die Bindung der kleinen Pächter an die Scholle wurde zwecks Eindämmung der Landflucht wohl unter Konstantin allgemein. Sie erhielten den Status von Halbfreien, genannt glebae adscripti (an die Scholle Gebundene) oder servi terrae (Sklaven der Erde), die ihre Pächterstellen nicht verlassen durften. Da sich diese besondere Form der Abhängigkeit in der Spätantike weiter und nachhaltig ausbreitete, spricht man auch vom Kolonat (colonus = der Bauer, der Pächter).
Die Großgrundbesitzer erhoben sich – begünstigt von der inneren Unsicherheit – zu faktischen Schutzherren ganzer Ortschaften. Die Zentralgewalt bekämpfte diese konkurrierende Schutzherrschaft (patrocinium), konnte indessen die Entstehung einer neuen Art von Adel und Klientel nicht verhindern.
Die historische Forschung setzt sich unter dem Stichwort des Kontinuitätsproblems mit der Frage auseinander, ob solche spätantiken Zustände direkt zur feudalen Grundherrschaft des Mittelalters überleiteten (Rn. 234). In manchen Gebieten des Reiches, etwa in Gallien, spricht vieles für eine solche Kontinuität.
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Diokletian vertrat noch eine stark romanisierende Tendenz mit Betonung römisch-rechtlicher Prinzipien in seinen Reskripten und mit lateinischer Amtssprache auch im Osten. Dazu gehörte die Aufwertung der römischen Staatsreligion und als Kehrseite die noch einmal aufflammende Christenverfolgung (ab 303).
Sein Nachfolger Konstantin, ein Illyrer, trug hingegen schon viel zur Verlagerung des politisch-kulturellen Schwergewichts nach Osten bei, nicht zuletzt durch die Erhebung Konstantinopels (früher Byzanz, heute Istanbul) zur zweiten Hauptstadt des Reiches. Unter dem Einfluss seiner christlich-frommen Mutter Helena gewährte er den Christen Religionsfreiheit (Mailänder Edikt 313). Er selbst soll sich auf dem Sterbebett zum Christentum bekehrt haben. Mit seiner Haltung gegenüber den Christen war ein Gegensatz aus der Welt geschafft, der eine immer größer werdende Zahl von Menschen auf Distanz zur Idee des Reiches und des Kaisertums gehalten hatte.
Das Christentum war anfangs ein östlicher Kulturfaktor. Seine Latinisierung vor allem durch den Kirchenvater (Kirchenlehrer) Augustinus ließ es aber auch im Westen immer weiter vordringen. Iulian Apostata (361-363) versuchte vergeblich, eine Art heidnischer Reichskirche auf der Grundlage des aus Persien stammenden Mithraskultes einzurichten. Heidnische Widerstände gab es zudem aus Kreisen des westlichen Landadels (pagani = Heide-, Landbewohner = Heiden).
Als Theodosius der Große (379-395) das Christentum 380 (endgültig 391) zur Staatsreligion erklärte, bekämpfte er damit auch „reaktionäre“ Bestrebungen des römischen Adels.
In heidnischer Zeit erschien der Kaiser als dominus et deus (Herr und Gott, Rn. 138). Alles zu ihm Gehörende war göttlich. Nachdem die Kaiser Christen geworden waren, betrachteten sie sich als Herrscher aufgrund besonderer Gnade Gottes. Es begann die lange währende Symbiose zwischen Kaisertum und Christentum in Europa.
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Diokletian hatte das Reichsgebiet in 12 Diözesen eingeteilt. Konstantin schuf die vier Präfekturen Oriens, Illyrien, Italia und Gallia unter vier praefecti praetorio, darunter ordnete er 14 Diözesen (mit vicarii an der Spitze) und nunmehr kleinere Provinzen (unter praesides oder correctores). Auch Italien bestand jetzt aus 17 Provinzen. Insgesamt gab es im Dominat 98 bis 120 neuere, kleinere Provinzen, etwa das Doppelte der ursprünglichen Zahl.
Nach Konstantin wurde es üblich, dass je ein Augustus (Rn. 194) die West- und die Osthälfte des Reiches regierte. Das Reich wurde dennoch weiter als Einheit betrachtet. Die Gesetze galten für beide Reichshälften gemeinsam.
Unter Theodosius I. (dem Großen) stand das antike römische Reich zum letzten Mal unter einheitlicher Herrschaft. Er teilte sie unter seine Söhne Arcadius (für den Osten) und den unmündigen Honorius (für den Westen; als eine Art Reichsverweser amtierte der Vandale Stilicho).
Während der Hof des Ostreiches in Konstantinopel residierte, befand sich der des Westreiches bald nicht mehr in Rom, sondern in Mailand, Trier oder Ravenna.
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Nicht zuletzt im Interesse der Sicherung gegen Umstürze blieben Militär- und Zivilgewalt getrennt. Eine Geheimpolizei diente außerdem zum Schutz des Systems. Die höheren Beamten wurden von ihnen beigegebenen principes (Bürovorstehern) kontrolliert sowie normalerweise nach einem Jahr abgelöst und mit einem anderen Amt betraut oder in den Wartestand versetzt.
Zum Schutze ihrer Untertanen setzten die Kaiser defensores civitatis ein. Diese waren kaiserliche Kommissare, die auch die Steuererhebung überwachen sollten, aber oft zu willfährigen Werkzeugen der Beamten wurden, zu deren Kontrolle sie an sich gedacht waren.
Am ehesten fanden die Bedrückten aber Zuflucht bei den (von den christlichen Gemeinden gewählten) Bischöfen, die auf Übergriffe mit Kirchenstrafen bis zur Exkommunikation reagieren konnten. Mit der bischöflichen Gerichtsbarkeit vor allem in Familiensachen, aber auch durch bischöfliche Intervention in Strafprozessen und in der Verwaltung entstand so ein neuer, zunächst volksnaher Ordnungsfaktor.
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Näheres über das spätantike Ämterwesen wissen wir aus der zeitgenössischen Schrift notitia dignitatum. Die oberen Beamten waren eingeteilt in die Rangklassen (absteigend) der illustres, spectabiles, clarissimi und perfectissimi. An der Spitze standen die vier praefecti praetorio (Rn. 202).
Im Hofstaat gehörten zur höchsten Klasse der illustres der magister officiorum (Kanzler), Vorgesetzter der Räte (referendarii) und Leiter kaiserlicher Kanzleien (Rn. 158, jetzt „scrinia“ memoriae, epistularum und libellorum). Hinzu kam der Kommandant der Palastgarde, die Konstantin an die Stelle der oft aufsässigen Prätorianer gesetzt hatte, sowie agentes in rebus, zunächst Beauftragte für allgemeine Angelegenheiten übernahmen sie sehr bald verschiedene Positionen, vom Beauftragten für die Post bis hin zur Geheimpolizei. Allgemein waren sie für die Versorgung des Kaisers mit Informationen verantwortlich. Das Justizwesen verwaltete der quaestor sacri palatii (illustris). Finanzminister war der comes sacrarum largitionum, während der comes rerum privatorum den kaiserlichen Domänen vorstand. Diese vier illustres saßen als comites consistoriani im Staatsrat (consistorium). Einziges öffentliches Vermögen blieb der fiscus. Als Leiter der Hofhaltung fungierte der praepositus sacri cubiculi (Vorsteher der heiligen Gemächer).
Die vicarii (Statthalter in den Diözesen) waren spectabiles, die praesides und correctores der Provinzen clarissimi.
In der Stadt Rom stand weiterhin der kaiserliche praefectus urbi an der Spitze der Verwaltung. Provinzstädte behielten ihre Selbstverwaltung unter einer Doppelspitze (duoviri) und dem Ratsherrenstand (ordo decurionum). Sie waren mit dem eigenen Vermögen für den Eingang der Steuern verantwortlich (Rn. 199) und mehr oder weniger effektiv beaufsichtigt durch die defensores civitatis (Rn. 203).
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Republikanische Institutionen gab es dem Namen nach immer noch. Prätoren und Quästoren blieben in der römischen Stadtverwaltung tätig. Die Bezeichnung Konsul vergab der Kaiser als Ehrentitel, für je einen Konsul des Westens und einen des Ostens. In manchen Jahren trugen die Kaiser den Titel selbst. Wie früher blieb der Name der Konsuln für die Benennung des Jahres maßgebend, in dem sie amtierten.
Der Senat fungierte als Gemeinderat der Stadt Rom und zuweilen als Akklamationsorgan beim Erlass von Gesetzen durch den Kaiser. Manche Mitglieder gehörten ihm kraft Geburt an, andere wurden vom Kaiser ernannt. Stimmberechtigt waren aber nur die Senatoren der höchsten Rangklasse, die illustres. Für die übrigen war die Zugehörigkeit zum Senat eine bloße Ehre. Alle Senatoren unterlagen einer Sondersteuer, und mancher Wohlhabende mag die Ernennung zum Senator daher eher gefürchtet haben. Konstantinopel erhielt als neue Hauptstadt einen eigenen Senat. Volksversammlungen wurden nicht mehr einberufen.
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Das weströmische Reich endete schließlich nach der Aushöhlung der kaiserlichen Zentralgewalt durch das germanische Militär. Im Zuge der Völkerwanderung kamen germanische Völker in den Bereich des römischen Imperiums und bildeten dort Reiche, nominell unter römischer Oberhoheit. So ließen sich die Westgoten, nachdem sie 410 unter ihrem König Alarich I. Rom eingenommen und geplündert hatten, in Südwestfrankreich und Spanien nieder, die Ostgoten in Pannonien (Ungarn), die Vandalen (auch: Wandalen) in Spanien und ab 428 in Nordafrika; 455 plünderten sie Rom.
Als Söldner engagierte, geschlossene germanische Militäreinheiten bildeten bald den entscheidenden Faktor des weströmischen Heeres, und so konnte es nicht ausbleiben, dass Germanen auch militärische und politische Führungspositionen übernahmen. Von dem Vandalen Stilicho war schon die Rede (Rn. 198).
476 riefen germanische Söldner, die Siedlungsland in Italien begehrten, den Kommandanten der kaiserlichen Leibwache Odoaker zu ihrem König aus. Odoaker setzte im selben Jahr den erst seit kurzem amtierenden minderjährigen Kaiser Romulus Augustus (auch Augustulus – das Kaiserlein – genannt) ab. Ein neuer Kaiser wurde für das Westreich nicht mehr ernannt. Das Jahr 476 gilt daher als das letzte des weströmischen Reiches. Viele Historiker ließen mit ihm auch das Mittelalter beginnen. Tatsächlich darf man die Zäsur allerdings nicht so scharf sehen. Einerseits war die römische Staatsgewalt schon vor 476 durch neue Ordnungsfaktoren bedrängt, nämlich die Germanenherrschaft, das Aufstreben der Grundherren (patrocinium, Rn. 200) und die Kirche. Andererseits haben römische Verwaltungsstrukturen sicherlich noch bis in das 6. Jahrhundert bestanden. Man kann dies aus Berichten schließen, wonach römische Beamte auch für die Zeit nach 476 erwähnt werden. So besiegte 486 bei Soissons der Frankenkönig Chlodewig den römischen Statthalter in Gallien Syagrius.
Teile Italiens, darunter die letzte weströmische Hauptstadt Ravenna, gerieten nach 476 unter die Herrschaft der Ostgoten, die zunächst für den oströmischen Kaiser Zeno gegen Odoaker (getötet 493 durch den Ostgotenkönig Theoderich den Großen) kämpften. Der Kaiser Justinian (527-565) vernichtete aber schließlich durch seine Feldherren Belisar und Narses das Ostgotenreich, und so kamen das Exarchat Ravenna, das Dukat Rom sowie Süditalien erneut unter (ost)römische Herrschaft. In Nord- und Teilen Mittelitaliens ließen sich die Langobarden nieder.
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Ostrom entging dem Schicksal der germanischen Unterwanderung u. a. durch eine klügere Militärpolitik, nämlich größerer Vorsicht bei der Anwerbung germanischer Hilfstruppen. Das Ende des oströmischen (byzantinischen) Reiches datiert man auf das Jahr 1453. Konstantinopels wurde durch die Türken unter Sultan Mehmed II. erstürmt; der letzte byzantinische Kaiser Konstantin XII. starb während der Kämpfe.
2. Nachklassisches Privatrecht
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Der schon in klassischer Zeit allmählich verdrängte Formularprozess wurde 342 n. Chr. endgültig abgeschafft (Rn. 154 ff).[2] Prozesse fanden also nur noch in der Beamtenkognition statt. Die niedere Gerichtsbarkeit verband sich wie früher mit der Selbstverwaltung der Gemeinden. Die kaiserliche Gerichtsbarkeit übten in erster Instanz die Provinzstatthalter aus. Berufungen gingen an den vicarius, an den praefectus praetorio oder an den Kaiser. Gegen Urteile des praefectus praetorio gab es keine Berufung.
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Nach dem Ende der Tätigkeit der klassischen Juristen um 230 n. Chr. wird das Privatrecht vor allem durch Kaiserkonstitutionen fortgebildet. Die juristischen Ratgeber der Kaiser bleiben, anders als in klassischer Zeit, anonym.
Die alte Einteilung der Konstitutionen in klassischer Zeit (Rn. 159) hörte auf. Kaiserliche Rechtsetzung erfolgte nun durch Erlasse, die sich direkt an das Volk richteten, manchmal durch Zustimmung des Senats sanktioniert, oder durch sog. leges edictales, d.h. Anweisungen an Beamte, die diese zu verkünden hatten.
Inhaltlich sind dabei zu unterscheiden leges generales (generelle Regeln) und rescripta (Entscheidungen von Einzelfällen), wobei allerdings beide Arten manchmal miteinander verbunden wurden (sanctio pragmatica = Einzelfallentscheidung als bindendes Präjudiz). In Zivilprozessen entschied der Kaiser nicht mehr wie früher selbst (durch decreta), sondern wies den Richter an, in bestimmtem Sinne zu entscheiden.
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Reskripte kamen in der Praxis häufig vor. Allein von Diokletian stammen über 1300 solcher Erlasse. Entsprechend seiner allgemeinen Geisteshaltung (Rn. 197) sind seine Entscheidungen noch stark an der Grundlage des klassischen Rechts orientiert. Er scheute sich aber nicht, Neuerungen einzuführen, wo sie notwendig erschienen. So beginnt unter ihm die eigentliche Entwicklung des Rechts der Forderungsabtretung (Zession), die sich unter Justinian vollendet. Im klassischen Recht hingegen galt der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Obligationen, d.h. eine Forderung konnte nur unter Mitwirkung des Schuldners übertragen werden (Rn. 133).
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Vielleicht auf älteren Ansätzen aufbauend, festigt Diokletian die Praxis einer Art Anfechtung von Kaufverträgen wegen sog. laesio enormis (wörtlich: Verletzung über die Hälfte).
Cod. 4, 44, 2:
Impp. Diocletianus et Maximianus AA. Aurelio Lupo.
Rem maioris pretii si tu vel pater tuus minoris pretii distraxit, humanum est, ut vel pretium te restituente emptoribus fundum venditum recipias auctoritate intercedente iudicis, vel, si emptor elegerit, quod deest iusto pretio recipies. minus autem pretium esse videtur, si nec dimidia pars veri pretii soluta sit. PP.V.k.Nov. Diocletiano A.II et Aristobulo conss.
Übersetzung:
Die Kaiser Diokletian und Maximian an Aurelius Lupus.
Wenn du oder dein Vater eine Sache von höherem Preis für einen geringeren Preis verkauft ha(s)t, ist es human, dass du entweder unter Rückgabe des Kaufpreises das verkaufte Grundstück unter Autorität des entscheidenden Richters zurückerhältst, oder, wenn der Käufer dies wählt, du erhältst, was am gerechten Preis fehlt. Geringer (d.h. zu gering) aber erscheint der Preis zu sein, wenn nicht die Hälfte des wahren (gerechten) Preises gezahlt sein sollte. Gegeben am 5. Tag vor den Kalenden des November im Jahr des zweiten Konsulats des Kaisers Diokletian und des Aristobulus (d.h. 285).
In der Inskription wird Maximian als weiterer Kaiser (Rn. 194) genannt, dominierend war aber Diokletian. Der Entscheidung liegt der Sachverhalt zu Grunde, dass der Eigentümer eines landwirtschaftlichen Anwesens (Aurelius Lupus bzw. sein Vater) weit unter Wert verkauft hatte, aus wirtschaftlicher Not oder um den allgemein bedrückenden ländlichen Verhältnissen zu entkommen.
Letztlich geht es um das ausgewogene Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, welches allerdings nicht immer leicht zu bestimmen ist. Mit dem Problem eines gerechten Preises (iustum pretium) hatten sich schon die Klassiker befasst. Jedenfalls der Spätklassiker Paulus hielt das freie Aushandeln des Preises für ebenso erlaubt wie die Übervorteilung des Vertragspartners.[3] Die Behandlung der Frage in der Nachklassik entspricht der zunehmenden Orientierung des Rechts an sittlichen Maßstäben, zumindest in den Entscheidungsbegründungen. Diokletians Maßnahme diente wohl auch der Eindämmung der Landflucht und passt jedenfalls in die allgemeine Linie seiner Bemühungen um die Festlegung gerechter Preise, welcher auch sein Höchstpreisedikt (Rn. 195) dienen sollte.
Spätestens unter Justinian entwickelte sich der generelle Satz, ein Verkäufer könne Auflösung des Kaufvertrages und Rückgabe der Sache verlangen, wenn der Kaufpreis unter der Hälfte des gemeinen Wertes der Sache lag, es sei denn, der Käufer war bereit, die Differenz zum vollen, „gerechten“ Preis nachzuzahlen. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gab es entsprechende Diskussionen (Rn. 368).
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Mit der Regierung des Kaisers Konstantin (306-337) setzte auch eine andere Tendenz des nachklassischen Rechts ein, nämlich die der sog. Vulgarisierung. Sie zeigte sich nicht nur in den Kaiserkonstitutionen, sondern ebenso in der – spärlicher gewordenen – Rechtsliteratur. Die auf hohem intellektuellen Niveau stehenden Differenzierungen der Klassiker wurden mit der Zeit volkstümlich eingeebnet. So unterschied man nicht mehr immer scharf zwischen Kauf und Übereignung oder Eigentum und Besitz, wie man anhand von überlieferten Urkunden sehen kann.[4]
Ein weiterer vulgarrechtlicher Gesichtspunkt, auf den man noch heute oft bei juristischen Laien trifft, ist die Vorstellung, das Eigentum an einer Sache richte sich nach der Herkunft des Geldes, mit dem sie erworben wurde, d.h. die Sache gehöre dem, der sie bezahlt hat. Beim Kauf mit fremdem Geld würde also derjenige Eigentümer der gekauften Sache, dem das Geld gehörte. Diese Vorstellung ist offenbar aus dem griechischen Rechtskreis in das römische Recht eingedrungen. Eine Surrogation in dieser Weise findet sich im modernen Recht jedoch nur in einigen Ausnahmefällen.[5]
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Das Bestehen der Rechte lief mit ihrer Beweisbarkeit ineinander. Das wirkte sich u. a. aus bei der Degeneration der stipulatio (Rn. 72). Ursprünglich war sie ein Verbalvertrag, die rechtliche Bindung entstand also durch die Worte. Nach dem Ende der Klassik schob sich der Urkundenbeweis vor diese Form. Nicht Frage und Antwort, sondern die darüber errichtete Urkunde war vor Gericht entscheidend, wenn man auch noch lange den Gegenbeweis gestattete, dass trotz der Urkunde die Worte in Wahrheit nicht gewechselt worden waren. Kaiser Leo ließ dann 469 jegliche Worte genügen, also mündlichen Konsens ohne Übereinstimmung von Frage- und Antwortverb.[6] Später reichte als Antwort sogar adnuere (zunicken) aus. Stumme und Taube bleiben aber von der Stipulation noch ausgeschlossen, und beide Parteien mussten beim Abschluss präsent (anwesend) gewesen sein. Nach Justinian (Rn. 216) wurde gegenüber einer Stipulationsurkunde dann nur noch der Gegenbeweis zugelassen, dass eine der Parteien während des ganzen Tages an einem anderen Ort war.[7] Von daher war der Schritt zum abstrakten Schuldversprechen in Schriftform gem. § 780 BGB nicht mehr weit. Die Anerkennung der dem römischen Recht an sich fremden Schriftform[8] spiegelt auch das Eindringen hellenistischer Gedanken wider.
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Die Manzipation (Rn. 68, 126) kam endgültig außer Gebrauch und wurde von Justinian (Rn. 216) deshalb aus den Quellen getilgt – man spricht bei einer solchen Bearbeitung von Interpolation (Rn. 220).
Die nachklassische Erweiterungen auf den Gebieten der direkten Stellvertretung (Rn. 133, im BGB die §§ 164 ff) und der Vertragsfreiheit (vgl. § 311 Abs. 1 BGB), also die Auflösung des Typenschemas des klassischen Schuldrechts (Rn. 132, 181 ff) werden heute (ebenfalls) als Fortschritte angesehen.
Wenn also die Nachklassik im Allgemeinen durch eine Verflachung klassischer Prinzipien gekennzeichnet ist, so darf man doch nicht verkennen, dass die Juristen dieser Zeit ein an die Anforderungen der damaligen Praxis angepasstes Recht mit Einfluss auf die weitere Entwicklung geschaffen haben.
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In der Praxis der Rechtsanwendung zeigte sich bald das Bedürfnis, den umfangreichen, wenig übersichtlichen und oft kontroversen Rechtsstoff der Klassikerschriften und Kaiserkonstitutionen besser zugänglich zu machen. Dazu wurden systematische, aber auch verkürzende Sammlungen zusammengestellt (Rn. 212 f) und die Bedeutung der klassischen Juristen bzw. ihrer Meinungen gewichtet.
Um Papinians (Rn. 169) besonders geschätzte Autorität zu erhalten, erklärte der Kaiser Konstantin 321 n. Chr. im sog. Kassiergesetz[9] die Anmerkungen (notae) des Paulus und des Ulpian zu Papinians Gutachten für unverbindlich. Bald darauf, zwischen 322 und 328 n. Chr., erhielten indessen alle Schriften des Paulus einschließlich der unechten Pauli Sententiae (Rn. 213) gesetzesgleiche Kraft.[10]
Im Jahre 426 ordneten Valentinian III. und Theodosius II. durch ihr Zitiergesetz[11] an, dass nur die Schriften von Gaius, Papinian, Paulus, Ulpian und Modestin verbindlich sein sollten, einschließlich der Ansichten der von diesen Juristen Zitierten. Die Genannten wurden dadurch zu den „Zitierjuristen“. Auffällig dabei ist, dass alle diese Juristen Spätklassiker (Rn. 169 f) sind, bis auf den in hochklassischer Zeit lebenden Gaius, welcher jedoch von seinen Zeitgenossen gerade nicht zitiert wurde (Rn. 168). In Streitfragen sollte die Mehrheit entscheiden – reines Zählen ersetzte also die Überzeugungskraft der Argumentation. Bei Stimmengleichheit gab die Ansicht Papinians den Ausschlag. Hatte sich Papinian zu der Frage nicht geäußert, so durfte der Richter jeder der beiden gleich stark vertretenen Meinungen folgen.
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Die Sammlung von Kaiserkonstitutionen (Rn. 158 f, 217) in der Form des Codex (Rn. 17) wurde zuerst von Privaten veranstaltet. So kamen die (bruchstückhaft überlieferten) Codices Gregorianus und Hermogenianus zustande.
Der im Osten regierende Kaiser Theodosius II. setzte 429 eine Kommission für eine umfassende Sammlung ein. Sie wurde 438 publiziert und 439 von Valentinian III. für den Westen übernommen. Dieser Codex Theodosianus ist ebenfalls nur teilweise bekannt. Er hatte Bedeutung auch für die Rechtsaufzeichnungen und die Gesetzgebung der germanischen Reiche (Rn. 248 ff).
Diese Vorarbeiten konnte später Kaiser Justinian nutzen, als er den uns überlieferten Codex zusammen stellen ließ (Rn. 217).
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Von den nachklassischen Schriftstellern[12] werden in den Digesten Justinians (Rn. 218) Hermogenian und Arcadius Charisius erwähnt; beide lebten im 4. Jahrhundert. Außerdem sind einige, vermutlich praktischen Zwecken dienende, nachklassische Sammlungen teilweise erhalten, meist mit – nicht immer korrekt wiedergegebenen – Auszügen aus klassischen Juristenschriften und den im Folgenden zu erwähnenden Konstitutionencodices.
Die auf einem Palimpsest (Rn. 15) in der vatikanischen Bibliothek gefundenen sog. Fragmenta Vaticana stellten Zitate von Papinian, Paulus, Ulpian sowie Codex Gregorianus und Codex Hermogenianus zusammen. Die Epitome Ulpiani waren möglicherweise eine Bearbeitung der Institutionen Ulpians vom Anfang des 4. Jahrhunderts.