Kitabı oku: «Sturmzeit auf Island», sayfa 3
KAPITEL 5
Akureyri 1963
Der Sturm heult um das rote Holzhaus und rüttelt an den geschlossenen Fensterläden.
Kristin rekelt sich behaglich in ihrem Bett. Es ist dunkel in ihrem Kämmerchen wegen der geschlossenen Holzläden, aber auch wegen des Novembers, der das Tageslicht immer mehr verdrängt.
„Die Sonne scheint jetzt in Afrika und wärmt die Löwen“, so hat es ihr die alte Saga, ihre Oma, erklärt und die muss es ja schließlich wissen.
Kristin spitzt die Ohren. Unten in der Küche werkelt die Magd. Sie heizt sicher den großen Herd an und schiebt die Brötchen hinein. Die Treppe knarrt und ächzt. Sagas schwere Schritte kommen langsam nach oben. Sie öffnet die Tür zur Elternkammer und tritt ein. Die tiefe, rauchige Stimme der Oma mischt sich mit der hellen, jugendlichen von Kristins Mutter. Kristin lächelt in sich hinein, als sie an den dicken, runden Bauch der Mutter denkt. Da ist ihr Bruder Olaf drin und der kommt nun bald heraus und liegt dann wie das Jesuskind in der Krippe.
Sie freut sich auf das Brüderchen, auf Weihnachten und auf den neuen Pullover. Sie hat im Sommer gesehen, wie die Oma fleißig die Stricknadeln in ihren knochigen Händen bewegte, am Abend, als Kristin eigentlich schon hätte im Bett sein sollen. Sie musste aber noch einmal auf das Klohäuschen und da sah sie durch den Spalt der Stubentür, wie die Großmutter das Strickteil der Mutter zeigte und sagte, dass es für sie, Kristin, sei.
Schnell schlüpft Kristin in die bereitgelegten Kleider, bindet sich das Schürzchen um und geht zur Mutter.
Hekla blickt ihre Tochter zärtlich an, als diese sich bückt, um einen Wollschal aufzuheben. „Bald ist es soweit“, meint sie und ein Lächeln zieht sich über ihr bleiches, aufgequollenes Gesicht und nimmt ihren blauen Augen für einen kurzen Moment die Müdigkeit der letzten Wochen.
Sie sieht aus wie der große Walfisch, den die Fischer gestern an Land gezogen haben, denkt Kristin grinsend und schmiegt sich an den dicken Bauch der Mutter. „Woher weißt du, dass es ein Junge wird? Vielleicht kommt auch ein Mädchen.“ In ihrer Stimme schwingt Hoffnung mit.
Die Mutter lacht. „Die Elfenkönigin vom großen Lavahügel hat es der Saga verraten. Aber ich vertraue dir ein Geheimnis an. Über so ein liebes, kleines Mädchen, wie du es bist, würde ich mich auch sehr freuen.“ Sie streicht ihrer Tochter zärtlich über den Kopf und flicht mit raschen Fingern deren aschblonde Haare zu einem Zopf.
„Jetzt lass uns runtergehen. Das Frühstück ist sicher schon fertig.“
Leicht hüpft Kristin die Treppe hinunter. Hekla folgt ihr langsam und bedächtig.
In der Küche haben sich bereits alle um den schweren Holztisch versammelt. Der Bauer, die zwei Knechte, die Oma und die Magd. Schnell nimmt Kristin neben ihrer Großmutter Platz, während sich Hekla schwer auf den Stuhl neben ihrem Mann Magnus gleiten lässt. Kristin entgeht der kurze, liebevolle Blick nicht, den die Eheleute miteinander tauschen. Ein kurzes Gebet, dann nehmen sie schweigend das Morgenessen ein.
Ihrer Familie geht es gut. Sie besitzen eigenes Land, Schafe, Pferde und ein paar Milchkühe. Käse, Milch, Haferbrei und frisch gebackene Brötchen kommen jeden Tag auf den Tisch und im Vorratsraum hängt Trockenfisch für den langen Winter. Sogar ein paar Säcke Weizen lagern dort. Sie sind nicht so arm wie die Fischer, die mit ihren kleinen Booten auf dem rauen Meer ihr Brot verdienen müssen. Oft ein gefährliches Unterfangen. Kristin kennt einige Familien, in denen der Vater, Bruder oder Onkel nicht mehr zurückgekommen ist. Sie hat Angst vor der grauen, tobenden See, die sich mit hohen, schäumenden Wellen an die Klippen wirft und diejenigen in die Tiefe reißt, die ihr nicht den nötigen Respekt zollen. Kristin weiß, dass sie nicht allein am Strand oder gar auf den Klippen spielen darf. Saga hat ihr vom großen Wassergeist erzählt, der nur darauf warte, ungehorsame Kinder in sein grünes Muschelschloss auf dem tiefen Grund des Meeres zu verschleppen.
Als der große Küchentisch abgeräumt ist, Magnus und die Knechte wieder ihrer Arbeit nachgehen, rücken die Frauen ihre Stühle näher an das Herdfeuer und beginnen mit ihren Handarbeiten. Socken und Hemden müssen geflickt und schwere, dicke Pullover für die Männer bis Weihnachten fertiggestrickt werden.
Kristins Mutter arbeitet emsig an einem Babyjäckchen, während ihre Tochter an einer wollenen Überdecke strickt, die ein Geschenk für das Geschwisterchen werden soll.
Draußen tobt der Sturm ums Haus und treibt Schneewolken vor sich her. So kalt, dunkel und unwirtlich es draußen ist, so heimelig und hell ist es in der Küche. Kristin fühlt sich geborgen und sicher. Erwartungsvoll schaut sie zu Saga hinüber.
„Oma, bitte erzähl uns etwas von den Trollen oder noch besser von der Elfenkönigin, die in der Alfaborg lebt. Sag, gibt es wirklich gute und böse Elfen?“
Saga scheint sie nicht gehört zu haben. Sie sitzt zusammengesunken auf ihrem Stuhl, die Wolldecke über die Beine gebreitet und starrt in das lodernde Herdfeuer. Ihre sonst so emsigen Hände liegen gefaltet in ihrem Schoß. Zerfurcht und verrunzelt erinnern sie Kristin an braune Lavasteine. Sie weiß nicht, was ihr mehr Unbehagen bereitet, der starre Blick oder die untätigen Hände. Sie schaut hilfesuchend zu ihrer Mutter. „Was ist mit Oma?“, flüstert sie.
„Sie wird müde sein. Lass sie in Ruhe.“ Ihre Mutter scheint die Schwere, die plötzlich über dem niedrigen Raum schwebt, nicht zu spüren. Sie stemmt sich mit beiden Händen am Tisch ab und erhebt sich schwerfällig. „Ich lege mich eine Weile aufs Bett. Ich bin so müde“, entschuldigt sie sich, hüllt ihre Strickarbeit feinsäuberlich in ein Stofftuch, legt sie ins Regal und stapft mit schweren Schritten die Treppe hinauf.
„Saga, was siehst du?“, fragt nun die Magd und blickt bang zu der alten Frau, auf deren faltigem Gesicht die Flammen unruhige Schatten zeichnen.
„Nichts Gutes. Es kommt Unglück über uns! In der Nacht sind Elfen an unserem Haus vorbeigezogen. Sie haben ein trauriges Lied gesungen.“ Saga spricht leise und hält ihren Blick weiter auf die Flammen gerichtet. „Sie haben mit ihren langen Armen auf unser Haus gezeigt.“ Jetzt zittert sie am ganzen Körper. Kristin springt auf und greift nach ihren Händen. Wie kalt sie sind! Wie aus der Trance erwacht, schaut die Alte ihre Enkelin an. Ihre Augen scheinen das Kind jedoch nicht wahrzunehmen, ihr Blick geht durch sie hindurch. Tief und dunkel.
„Unglück kommt“, murmelt sie vor sich hin. „Ein schweres Unglück.“
„Was wird passieren?“, fragt die Magd ängstlich.
„Ich weiß es nicht“, antwortet Saga, schüttelt sich und richtet sich auf. „Lasst uns mit der Arbeit fortfahren, sonst werden wir bis Weihnachten nicht fertig.“
Der Dezember bringt viel Schnee. Der Sturm tobt und heult weiterhin mit unverminderter Kraft ums Haus. Die Tage vergehen langsam in der nicht enden wollenden Dunkelheit.
Kristin zählt voll angstvoller Ungeduld die Tage bis Weihnachten. Wenn erst das Christkind da ist, dann kann ihnen das Unheil nichts mehr anhaben.
Der Tag vor dem zweiten Advent beginnt mit einer schicksalsträchtigen Unruhe. Während Kristin sich in ihrer Kammer ankleidet, hört sie aufgeregte Schritte auf der Treppe. Hinauf und hinunter. Vertraute und fremde Stimmen, immer wieder werden Türen geöffnet und geschlossen. Alles mündet im Zimmer ihrer Mutter, wie große Wellen, die auf das Land zulaufen. Kristin öffnet vorsichtig die Tür, linst durch den Spalt auf den schmalen Flur und spitzt die Ohren. Seufzen und Stöhnen, ab und zu kleine, spitze Schreie. Ihr Herz schlägt unruhig. Was hat das alles zu bedeuten? Plötzlich eilt eine fremde Frau in das Zimmer ihrer Mutter. Kristin erstarrt. So rote Haare hat sie noch nie gesehen. Das kann nur eine Elfe sein. Mit einem Schrei rennt sie die Treppe hinunter und landet direkt in den Armen der Großmutter.
„Eine Elfenfrau ist in Mutters Kammer verschwunden“, weint sie, steckt ihren Kopf in Sagas Rock und umschlingt mit beiden Armen ihre rundliche Taille.
„Kind, ich habe jetzt keine Zeit für dich. Die Hebamme ist gerade gekommen. Ich muss zu deiner Mutter. In der Küche steht Haferbrei für dich.“ Ungeduldig schüttelt sie das Kind ab und stürzt die Treppe hinauf.
Kristin bleibt vor der offenen Küchentür stehen. Die Puppe an sich gepresst, die Augen vor Schreck weit geöffnet und am ganzen Leib zitternd. So findet sie die Magd.
„Kindchen, musst keine Angst haben. Wird schon alles gut. Das Brüderchen kommt heute auf die Welt und das tut der Mama halt Schmerzen machen.“ Mit diesen Worten, die aber nicht zu ihrem aufgeregten, ängstlichen Gehabe passen, schiebt sie Kristin in die Küche, drückt sie auf den Stuhl und stellt eine Schüssel Brei vor sie auf den Tisch. Lustlos stochert Kristin darin herum. Irgendetwas Ungutes liegt in der Luft. Sie spürt es genau. Ängstlich faltet sie ihre Hände. „Lieber Gott. Bitte hilf der Mama.“
Zum Mittagessen treffen sie sich in der Küche. Auf dem großen Holztisch steht ein dampfender Topf mit Suppe. Leise betreten nach und nach die Knechte die Küche. Mit ernstem Gesicht kommt der Vater an den Tisch. Mechanisch streicht er Kristin über die Haare.
„Wir müssen beten“, murmelt er, „wir müssen beten!“
Nach einer Weile betritt Saga die Küche, im Schlepptau die rothaarige Frau. Kristin greift nach der Hand des Vaters. Ihr kleines Herz pocht ängstlich. Verstohlen mustert sie die Elfenfrau, die sich schwer auf den Stuhl fallen lässt. Leuchtend rote Haare und grüne Augen, die ihr gütig zublinzeln. Kristin schaut schnell weg. Was hat Saga vor kurzem gesagt? „Du darfst einer Elfe nie in die Augen schauen, sonst gibt es ein Unglück.“ Und jetzt sitzt eine Elfe sogar an ihrem Tisch und lächelt ihr zu. Kristin versteht das alles nicht. Hilfesuchend schaut sie zu ihrer Oma, doch diese flüstert mit der Magd und schenkt Kristin keine Beachtung.
„Du solltest den Arzt rufen. Da genügt die Hebamme allein nicht mehr“, sagt die Frau leise zu Magnus. Dem Kind wirft sie einen mitleidigen Blick zu.
Am Abend, als Kristin zu Bett geht, darf sie ihrer Mutter einen kurzen Besuch abstatten.
„Mama?“ Kristin blickt scheu in das wachsweiße, aufgedunsene Gesicht einer Fremden.
„Komm zu mir, mein Schatz“, flüstert Hekla und streckt ihrem Kind die Hand hin. „Jetzt kommt bald das Brüderchen und dann geht es mir bald wieder besser.“ Ihre Stimme klingt kraftlos, wie die Hand, mit der sie ihrer Tochter über den Arm streichelt. Der Hauch eines Schmetterlings. Kristin erschaudert und eine undefinierbare Angst erfüllt sie.
„Geh nun ins Bett, mein Liebling, und Gott segne und behüte dich.“
Kristin erwacht von einem markerschütternden Schrei. Danach Stille. Mit einem Ruck setzt sie sich im Bett auf und knipst das Nachttischlämpchen an. Ihr Herz pocht und das Blut rauscht in ihren Ohren. Angstvoll presst sie ihre Puppe an sich. Schritte eilen die Treppe hinauf und hinunter. Laute, aufgeregte Stimmen, dazwischen Schluchzen und Weinen.
Kristin springt aus dem Bett, öffnet ihre Tür und linst vorsichtig um die Ecke. Niemand zu sehen. Leise schleicht sie über den Flur. Gleich ist sie bei der Mama.
„Kristin, nicht!“ Ihr Vater eilt mit großen Schritten auf sie zu und zieht sie von der Tür weg. „Du kannst jetzt nicht hinein. Geh auf dein Zimmer und sei ein braves Mädchen.“
Kristin greift nach seiner Hand, doch er stößt sie unsanft weg. „Verschwinde! Sofort!“ Kristin zuckt zusammen. So böse hat der Vater noch nie mit ihr gesprochen. Ängstlich drückt sie sich an die Wand. Ihr Vater und der Hausarzt verschwinden im Zimmer der Mutter und ziehen die Tür fest hinter sich ins Schloss.
Kristin lässt sich weinend mit der Puppe im Arm vor ihrer Tür auf den Boden sinken. Etwas Schreckliches geht vor sich, das spürt sie tief in ihrem kleinen, wild pochenden Herz.
Noch einmal ertönt ein lauter, durchdringender Schrei, dem kurz darauf ein heller Schrei folgt, wie der eines neugeborenen Lämmchens. Danach ist es unheimlich still. Plötzlich das laute Weinen der Großmutter. Die Tür wird aufgestoßen. Der Arzt tritt heraus, seinen Arm um den Vater gelegt. Der sonst so aufrechte, große Mann wankt. Kraftlos und gebeugt.
„Eklampsie, ihr war nicht mehr zu helfen, aber wenigstens lebt der Junge. Es tut mir leid, Olafson.“ Der Arzt klopft ihm auf die Schulter und eilt die Treppe hinunter.
„Muss mich beeilen, im Nachbarort ist die Grippe ausgebrochen. Da liegen einige im hohen Fieber.“
KAPITEL 6
Kristin
Das Zuschlagen der Haustür lässt Kristin aus ihrem Tagtraum erwachen. Verwirrt schlägt sie die Augen auf. Sie braucht einen Moment, um sich zu orientieren. Sie streicht sich die nassgeschwitzten Haare aus der Stirn, dann steht sie auf. Ihre Hände zittern, als sie sich neue Kleider aus dem Schrank nimmt.
Verwirrt blickt sie in den Schrankspiegel. Sie kann das eben Erlebte noch nicht richtig einordnen. Eine lange Reise zurück in ihre Kindheit. Wie real sie alles erlebt hat. Wie lebendig die einzelnen Szenen waren. Wie unendlich schmerzhaft!
Auf dem Ablagetisch im Flur liegt ein Zettel. Carls Handschrift.
Bin mit Leifur unterwegs. Warte nicht auf mich, es kann spät werden. Carl
Kristin knüllt ärgerlich den Zettel zusammen und lässt ihn auf dem Tisch liegen. Was er wohl vorhat? Und warum nimmt er unseren Sohn mit, fragt sie sich leicht beunruhigt. Ob es etwas mit Elins Tochter zu tun hat? Sie bereut jetzt, dass sie ihm davon erzählt hat. Aber eigentlich kann nichts passieren, denn keiner weiß, in welchem Hotel sie untergebracht ist und wohin sie ihre Reise führt.
Julia
Als Julia den Speisesaal des Hotels betritt, hat sie die ungute Begegnung im Café bereits vergessen. Sie lässt sich vom Ober an ihren Tisch begleiten. Ein älteres Ehepaar und eine junge Frau sitzen bereits am Tisch.
„Machen Sie die ganze Rundreise mit?“, fragt die junge Frau, die sich als Lisa Maier vorstellt.
Julia nickt. „Im Anschluss habe ich noch eine Woche Reiten auf einem Hof in der Nähe von Akureyri gebucht.“
„Oh, Sie Glückliche. Sie können reiten?“ Lisa blickt sie bewundernd an. „Ich würde mich nie auf ein Pferd trauen. Na ja, passt vielleicht auch von meiner Figur nicht ganz“, meint sie lächelnd. „Das arme Pferd“, fügt sie grinsend hinzu und steckt sich einen vollgehäuften Löffel Kartoffelbrei in den Mund. „Also das Essen hier ist bis jetzt prima. Nur schade, dass der Kuchen so teuer ist. Ich glaube, jetzt wäre die beste Gelegenheit abzunehmen.“ Sie kichert gutgelaunt in sich hinein.
Julia findet sie sofort sympathisch und freut sich, mit der rundlichen Frohnatur Lisa die Mahlzeiten einzunehmen.
Julia ist gerade im Begriff, ihr Zimmer im ersten Stock aufzusuchen, als sie ihren Namen hört. Sie dreht sich um und sieht Lisa auf sich zukommen.
„Hätten Sie Lust, auf einen kleinen Spaziergang? Es ist so hell draußen, dass ich mir nicht vorstellen kann, jetzt schon ins Bett zu gehen. Wäre irgendwie schade.“
„Ja, gerne. Ich hole mir eine Jacke und komme runter. Treffen wir uns in der Lobby?“
Als Julia kurz darauf den Aufzug verlässt, tönt ihr Lisas fröhliches Lachen bereits entgegen.
„Wussten Sie, dass Hafnarfjördur eine Elfensiedlung ist?“ Lisa wedelt mit dem Reiseführer vor Julias Nase herum. „Habe ich gerade gelesen. Und es gibt sogar einen Elfengarten. Den müssen wir unbedingt besuchen und den kleinen Hafen müssen wir auch anschauen.“ Lisa hängt sich bei Julia ein und spult weiter ihr angelesenes Wissen ab. „Das Städtchen ist auf Lavafeldern gebaut. In den kleinen Hügeln und Steinansammlungen leben die Elfen. Hier gehen alle respektvoll miteinander um. So funktioniert das Zusammenleben ganz gut, habe ich gelesen. Die Elfen werden nur ungemütlich, wenn man sie bedrängt und ihre Burgen zerstört.“
Julia fühlt sich plötzlich unbehaglich. Den Elfengarten wird sie sicher nicht besuchen. Allein schon der Gedanke daran, vermittelt ihr Unbehagen. Sie hüllt sich fester in ihren breiten Wollschal und steckt die Hände in die Taschen. Irgendetwas ist da, das sie unangenehm berührt. Eine Kühle hüllt sie ein, die nicht nur von der feuchten Meeresbrise herrührt.
„Ich glaube, ich möchte langsam ins Hotel zurück. Ich bin ziemlich müde“, murmelt sie. Lisas ständiges Reden und Lachen gehen ihr mit einem Mal auf die Nerven.
Als sie an einem hellblauen Haus vorbeikommen, meint sie noch dazu, wieder die spitzen Blicke von heute Mittag im Rücken zu spüren. Als sie sich umdreht und zu den Fenstern hinaufblickt, werden hastig Gardinen zugezogen.
Julia beschleunigt ihre Schritte. Nichts wie weg! Die erstaunte Lisa folgt ihr mit kleinen Trippelschritten. Ein bisschen außer Atem erreicht sie nach Julia die Drehtür des Hotels.
„Habe ich Sie irgendwie verärgert?“, fragt sie verunsichert. „Ich weiß, manchmal rede ich zu viel. Das dürfen Sie mir ruhig sagen.“ Sie blickt Julia treuherzig an.
„Nein, das hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich bin einfach nur müde und möchte mich jetzt hinlegen. War doch alles ein wenig viel heute. Bis morgen dann.“ Julia hastet die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Mit zitternden Händen schiebt sie die Karte in den Schlitz. Ihr Herz klopft und sie spürt einen unangenehmen Druck im Magen. Sie knipst, trotz der Helligkeit der Mittsommernacht, die kleine Nachttischlampe an und zieht die Vorhänge fest zu. Die Elfen und die bösen Blicke sind jetzt erst einmal ausgesperrt.
Julia lässt sich aufs Bett fallen. Vielleicht hätte sie auf ihre Mutter hören und nicht hierherkommen sollen. Wer weiß, was hier noch alles geschehen wird?
Sie kuschelt sich unter die Bettdecke und löscht das Licht.
„Morgen ist ein neuer Tag und wir werden mit dem Bus unterwegs sein. Da bin ich in der Gruppe und in Sicherheit“, redet sie sich selbst gut zu. „Wahrscheinlich bin ich wirklich übermüdet. Schluss mit der blöden Angst.“ Langsam beruhigen sich ihre Gedanken, der Druck lässt nach und eine angenehme Müdigkeit hüllt sie ein.
Kristin
Ein paar Häuser weiter, lässt sich das Ungute nicht so einfach vertreiben.
Kristin steht am Fenster und genießt den Ausblick. Sie liebt das helle Sonnenlicht, das, obwohl es schon auf zehn Uhr abends zugeht, die Lupinen vor ihrem Haus mit einem warmen Schimmer überzieht und in ein violettes Meer verwandelt. Zwei Frauen spazieren an ihrem Haus vorbei. Wahrscheinlich Touristinnen aus dem nahen Hotel. Eine klein und rundlich, die andere zierlich mit leuchtend roten Haaren. Kristin lehnt sich weiter aus dem Fenster. Das kann doch nicht wahr sein! Tatsächlich! Elins Tochter!
Jetzt starrt sie auch noch zu ihr herauf! Kristin zieht mit einem Ruck die Gardinen zu und tritt schnell vom Fenster weg. Ihr Herz klopft zum Zerspringen. Sie wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
Was will sie hier? Möchte sie Kontakt zur Familie? Ist Elin auch auf Island? Fragen über Fragen.
Kristin läuft wie ein gefangener Tiger in ihrem Wohnzimmer hin und her. Sie spürt förmlich, wie das Schicksal näher und näherkommt. Bald wird es erneut zuschlagen. Und Carl ist auch noch nicht zurückgekommen, denkt sie ärgerlich. Was der wohl treibt?
Kristin kramt aus dem hintersten Eck ihrer Schreibtischschublade einen Flachmann hervor. Kurz zögert sie, dann setzt sie die Flasche an den Mund. Es ist lange her, seit sie das letzte Mal Wodka getrunken hat. Ach, heute hat sie ihn sich verdient. Eine Ausnahmesituation. Die Schärfe lässt sie husten. Sie setzt die Flasche noch einmal an. Der heutige Tag ist eine einzige Katastrophe. Eine Achterbahn der Gefühle. Auch mit Wodka lassen sich die Gedanken nicht einfach abschalten. In ihrem Inneren ist der Vulkan der Vergangenheit erwacht und brodelt heiß vor sich hin, steht kurz vor dem Ausbruch. Als sie endlich in einen unruhigen Schlaf fällt, kommt die kleine Kristin zurück und nimmt sie wieder mit auf die Reise in ihre Kindheit.
KAPITEL 7
Akureyri 1964
Der Morgen bringt mit seiner Dunkelheit auch noch eine unheimliche Stille mit. Eine traurige Stille, die allerdings bald durch das Kommen und Gehen der Nachbarn und Freunde durchbrochen wird. Alle statten der Verstorbenen einen letzten Besuch ab und versammeln sich anschließend in der großen Küche zu einem Umtrunk.
Kristin tritt aus ihrer Kammer. Die Puppe fest an sich gedrückt, schleicht sie über den Flur. Vorsichtig drückt sie die Türklinke hinunter und stößt die Tür ein klein wenig auf. Da liegt doch die Mutter immer noch im Bett! Ach, sie ist ja so froh. Schnell eilt Kristin zu ihr. Doch irgendetwas stimmt nicht. Diese fremde Frau mit den starren, wächsernen Gesichtszügen und den heruntergezogenen Mundwinkeln ist nicht ihre Mutter. Hat die Elfenfrau sie etwa verzaubert, sie gegen eine Puppe ausgetauscht? Zaghaft berührt sie die auf der Decke liegenden, gefalteten Hände. Eiskalt! Kristin weicht erschrocken zurück, dreht sich um, rennt aus dem Zimmer und versteckt sich unter ihrer Bettdecke.
Die Tage vergehen in dumpfer Traurigkeit, die auch dem Weihnachtsfest, auf das sich Kristin so sehr gefreut hat, den hellen, feierli-chen Glanz nimmt. Es gibt keinen Baum mit Strohsternen und Goldengeln und auch keinen flauschigen Wollpullover.
Katla, Sagas erstgeborene, unverheiratete Tochter, zieht ins Trauerhaus, um sich um das Baby zu kümmern. Sie löst die Hebamme ab, die endlich das Haus verlässt. Kristin atmet auf. Die rothaarige Frau ist ihr unheimlich, auch wenn die Oma gesagt hat, dass sie keine Elfenfrau sei. Trotzdem, irgendetwas hat sie mit dem Tod ihrer Mutter zu tun.
Die Tage werden allmählich wieder heller, der Winter mit seinen eisigen Winden zieht sich zurück und der Frühling flattert wie ein bunter Schmetterling über das Land. Menschen und Tiere atmen auf.
Auch Kristin fühlt sich leichter. Die Trauer verliert ihre Schwere, das Leben kehrt wie in die Natur, so auch in die Familie zurück.
Kristins siebter Geburtstag fällt auf einen sonnigen Julitag, der im Garten mit einer großen Geburtstagstorte gefeiert wird. Endlich liegt auch der Weihnachtspullover fertig gestrickt auf ihrem Gabentisch.
Eines Abends, als Kristin noch einmal das Klohäuschen aufsuchen muss, wird sie ungewollt Zeugin einer lautstarken Unterhaltung zwischen ihrer Oma und ihrem Vater. Sie bleibt vor der geschlossenen Küchentür stehen und spitzt die Ohren.
„Du solltest Katla zu deiner Frau nehmen. Du weißt, dass sie dich liebt, schon immer geliebt hat. Hekla würde sich freuen, wenn ihre Schwester an ihre Stelle treten würde. Sie wäre den Kindern eine gute Mutter“, hört sie Saga sprechen.
„Ich habe mich damals in deine jüngste Tochter verliebt und nicht in Katla. Ich bin ihr sehr dankbar, was sie für Olaf und Kristin tut, aber ich kann sie nicht heiraten, weil ich mich in eine andere verliebt habe“, erwidert Magnus mit kalter Stimme. „Sie wird im Herbst hier als neue Bäuerin einziehen und sie wird den Kindern eine gute Mutter werden.“
„Das kannst du Katla nicht antun!“
„Ich habe ihr nie was versprochen. Das weißt du ganz genau!“
„Wer ist sie?“
„Steinunn, die Hebamme“, antwortet Magnus ruhig.
„Dieses rothaarige Weib mit ihrem Trollenkind?“, kreischt Saga. Das verhasste Bild einer anderen Frau drängt sich in den Vordergrund. Sigrún, Steinunns Mutter. Die Frau, die ihr damals Gustav weggenommen hat. Saga spürt, wie ihr die Hitze in den Kopf schießt.
„Weib, pass auf, was du sagst! Sie ist eine ehrwürdige Frau und ich liebe sie.“ Magnus schlägt mit der Faust auf den Tisch.
„Das ging ja schnell, dass du meine Tochter vergessen hast. Meinen Segen bekommst du jedenfalls nicht für diese Heirat. Sie wird uns mit ihrem Balg nur Unglück bringen, wie ihre Mutter damals über mich Unglück gebracht hat“, kreischt Saga.
Magnus schüttelt ärgerlich den Kopf, dreht sich um und reißt so unvermittelt die Tür auf, dass es Kristin nicht mehr gelingt, sich unbemerkt davonzuschleichen. Sie landet direkt an seiner Brust.
„Solltest du nicht längst im Bett sein?“ Ihr Vater runzelt ärgerlich die Stirn. „Und gelauscht hast du auch?“
„Entschuldige, das wollte ich nicht“, stottert Kristin. „Du darfst die Elfenfrau nicht heiraten“, entschlüpft es ihr.
„Was redest du denn da! Geh sofort ins Bett, bevor ich mich vergesse“, droht er und hebt die große Hand.
Kristin rennt heulend die Treppe hinauf in ihre Kammer. Die Elfenfrau zieht hier ein und bringt ein Trollenkind mit, hat die Oma gesagt. Kristin weint sich verzweifelt in den Schlaf.
Als der November mit Nebel und Eisregen den nahen Winter ankündigt, bringt Magnus Steinunn und ihre kleine Tochter Elin ins Haus.
„Schau Kristin, das ist jetzt deine neue Mutter und das ist Elin, deine neue Schwester.“ Stolz und voller Freude stellt er die beiden seiner Tochter vor.
Kristin erstarrt. Der Alptraum ist also wahr geworden und gleich in zweifacher Ausführung, denn Elin sieht ihrer Mutter mit denselben roten Haaren und grünen Augen sehr ähnlich.
„Meine Mutter ist im Himmel. Ich brauche keine neue und ich brauche auch keine neue Schwester. Ich habe Olaf“, ruft sie aufgebracht. Zornige Tränen steigen ihr in die Augen. Nein, sie will keine neue Mutter! Mit wehendem Kleid reißt sie sich von seiner Hand los und stürzt die Treppe hinauf in ihre Kammer. Die Tür fällt mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss.
„Kristin, komm sofort herunter!“, schreit Magnus und stürmt mit puterrotem Kopf hinter ihr her.
„Magnus lass sie! Sie wird sich schon an uns gewöhnen“, ruft ihm Steinunn hinterher.
„Ich verlange von dir Respekt und gutes Benehmen. Haben wir uns verstanden?“ Er steht breitbeinig in der offenen Tür. Seine Stimme klingt drohend.
Kristin nickt ängstlich mit dem Kopf. So wütend hat sie ihren Vater noch nie erlebt. Er liebt sie nicht mehr!
„Ich höre nichts“, herrscht er sie an.
„Ja, ich hab’s verstanden“, antwortet sie leise.
Als ihr Vater die Kammer verlässt, sinkt sie verzweifelt auf ihr Bett. Er kann sie nicht zwingen, die neue Frau liebzuhaben. Sie wird ihre Mutter niemals verraten, das nimmt sie sich fest vor.
Als Steinunn kurz darauf mit Elin Kristins Kammer betritt, um sie in das leere Bett gegenüber zu legen, dreht sie den beiden den Rücken zu und gibt vor zu schlafen.
Mit dem Vorsatz, der Mutter treu zu bleiben und die Eindringlinge zu hassen, fällt sie in einen unruhigen Schlaf.