Kitabı oku: «Und die Tage lächeln wieder», sayfa 3

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Kapitel 9

„Wir leiten nun den Sinkflug ein. Bitte schnallen Sie sich an und stellen Sie Ihre Rückenlehne senkrecht.“

Die Stimme der Flugbegleiterin holt mich aus meinen Erinnerungen.

Einen kurzen Moment lang habe ich keine Orientierung, ich bin zu weit weg gewesen.

Mein Sitznachbar schenkt mir ein Lächeln.

„Haben Sie auch noch ein wenig schlafen können?“

Ich schüttle verneinend den Kopf.

„Das tut mir leid.“

„Ist nicht so schlimm“, erkläre ich und lächle zurück.

Er greift in seine Tasche und bietet mir einen Kaugummi an, den ich dankbar annehme. Landungen sind nicht so mein Ding, vor allem den Druck auf den Ohren kann ich nicht leiden.

Ich blicke aus dem Fenster. Der Tag bricht langsam an. Unter mir sind bereits in der Ferne die Lichter der Stadt zu sehen. Mein Herz klopft. Nun wird es ernst.

„Machen Sie Urlaub in Lima?“

Mein Sitznachbar strebt offenbar eine Unterhaltung an, worauf ich mich jetzt gerne einlasse, denn es lenkt vom Landeprozess ab.

„Ich suche meine Mutter.“ Ach, das will ich eigentlich gar nicht zum Thema machen, aber jetzt ist es schon geschehen. Ich habe es ausgesprochen. Vielleicht ist das gut so, denn schließlich bin ich bald in Lima und muss mich dem stellen. „Ich suche meine Mutter“, wiederhole ich und räuspere mich, denn meine Stimme fühlt sich mit einem Mal an, als hätte ich einen Fremdkörper im Hals.

„Lebt sie in Lima?“, fragt er mich.

„Ich weiß es nicht. Ich habe nur die Adresse des Verlages, der ihren Roman veröffentlicht hat.“

„Und ihren Namen?“

„Nein, sie schreibt unter einem Pseudonym.“

„Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Sie werden sie sicher finden“, meint er zuversichtlich.

Ich finde es angenehm, mich mit ihm zu unterhalten. Keine überflüssigen Kommentare und kein neugieriges Nachbohren. Er scheint tatsächlich ein Mensch zu sein, der gut zuhören kann.

Er kramt in seiner Tasche. Ein kleines Etui kommt zum Vorschein, dem er eine Visitenkarte entnimmt.

„Ich bin für zwei Wochen geschäftlich in Lima. Wenn Sie Hilfe brauchen, dann können Sie sich jederzeit an mich wenden. Hier steht meine Handynummer, unter der ich zu erreichen bin. Man weiß ja nie und ich kenne mich in Lima recht gut aus.“ Er schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.

„Danke, das ist sehr nett von Ihnen.“ Ich bin ein wenig verdutzt. Strahle ich solch eine Hilflosigkeit aus? Doch ich nehme die Karte gerne an und stecke sie in meinen Geldbeutel. Ein kleiner Rettungsanker in einer fremden Stadt.

„Hier ist meine Handynummer. Vielleicht können wir uns auf einen Kaffee treffen“, sage ich freundlichkeitshalber.

Er strahlt. „Gerne. Ich heiße übrigens Martin.“

„Alexandra.“

Er reicht mir die Hand. Eine sympathische Hand mit festem Druck.

Ich blicke aus dem Fenster. Der Flughafen kommt näher. Die Positionslichter blinken.

Kurz darauf setzt die Maschine mit einem Ruck auf der Landebahn auf.

Kapitel 10

Ich bin in Lima.

Die übliche Geschäftigkeit breitet sich aus. Taschen und Jacken werden zusammengerafft, Gepäckklappen geöffnet und im Gang gedrängelt. Jeder möchte möglichst als erster das Flugzeug verlassen.

Martin reicht mir mein Handgepäck. Ich stopfe meine Jacke in den Rucksack und hänge ihn mir über die Schulter. Wir warten, bis der größte Andrang vorbei ist. Dann verlassen auch wir die Maschine.

„Liegt Ihr Hotel auch in Miraflores?“

„Nein. Ich habe im Zentrum gebucht. In der Nähe vom Plaza Mayor“, antworte ich.

Mein Nachbar zieht kaum merklich die Augenbraue hoch und blickt mich leicht erstaunt an. „Dann haben Sie sicher nicht vor, lange zu bleiben.“ Sein Kommentar ist eher eine Feststellung als eine Frage.

„Ich muss ebenfalls in die Stadt. Sie können mit mir fahren. Mein Mitarbeiter holt mich ab.“

Ich möchte etwas entgegnen.

„Nein“, meint er, „es macht wirklich keine Umstände und ich würde Sie gerne vor Ihrem Hotel absetzen.“

Es sind circa fünfzehn Kilometer bis zum Stadtzentrum und ich habe noch nie so viele Autos gesehen. Es herrscht ein unheimlicher Verkehr. Lärmend, stockend, stinkend. Wir fahren durch Stadteile, wo die Armut förmlich aus den kleinen, schmuddeligen Häusern schreit.

Ich schlucke. Was ich bis jetzt zu sehen bekomme, ist furchtbar. So habe ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt. Diese Armut und dieser Schmutz.

Wie soll ich denn in dieser riesigen Metropole meine Mutter finden? Mein Mut und meine Hoffnung sinken in die Tiefe.

„Lima ist eine Stadt der Extreme. Hier kann man alles finden. Reichtum, große Armut, Hütten und Paläste. Es ist eine Stadt, die an ihren Auspuffgasen, ihrem Müll und an ihren sozialen Problemen im wahrsten Sinne zu ersticken droht“, erklärt Martin und zeigt aus dem Fenster.

Ich kann nur müde nicken, denn diese Stadt raubt mir meine Energie und der schwere, bedeckte Himmel scheint meinen Geist tief in den Körper zu drücken.

„Warum ist der Himmel so grau-gelb?“

„Das ist der Smog und der Wüstenstaub. Da es in den Sommermonaten kaum regnet, bleibt der ganze Schmutz in der Luft hängen. Erst in Miraflores und den anderen Stadtteilen, die direkt am Meer liegen, ist die Luft besser.

Ich schlucke. Vielleicht hätte ich mir doch besser ein Hotel außerhalb gesucht. Na ja, es wird schon nicht so schlimm werden.

Nach einer Stunde haben wir mein Hotel erreicht.

Ich bin froh, denn ich spüre zu einer wachsenden Frustration auch noch die Müdigkeit einer halb durchwachten Nacht.

Sie lassen mich direkt vor dem Eingang des Hotels aussteigen, was sehr schnell geschehen muss, denn es gibt keine freie Parknische, so dass das Auto auf der Straße halten muss. Sofort ist ärgerliches Hupen zu hören.

Ich verabschiede mich von dem Fahrer und nehme meinen Rucksack und meine Jacke. Martin hebt meinen Koffer aus dem Kofferraum.

„Auf Wiedersehen Alexandra und denken Sie daran, wenn Sie irgendwie Hilfe brauchen, dann rufen Sie einfach an. Noch schöner natürlich zu einem Kaffeetreff. Ach und noch etwas. Sie wissen natürlich, dass Sie nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr durch die Straßen laufen sollten. Zu gefährlich. Und bleiben Sie auf dieser Seite. Wenn Sie über den Rio Rimac nach Convento de los Descalzos oder zur Plaza de Acho gehen, kann das gefährlich werden, denn das sind die Armenviertel.“ Er blickt mich besorgt an.

Ich nicke und zwinge auf mein müdes Gesicht ein Lächeln.

„Danke für die Hinweise. Ich werde daran denken.“ Es ist rührend, wie er sich um mich sorgt. Ich winke noch einmal, öffne die Drehglastür des Hotels und betrete die Lobby. Der Verkehrslärm bleibt draußen.

Für ein Stadthotel der Mittelklasse wirkt es vornehm. Schwere Ledersessel, die sich um kleine Glastische gruppieren und in denen einige Gäste sitzen. Manche scheinen auf jemanden zu warten, andere unterhalten sich und wieder andere haben Getränke vor sich stehen. Ich spüre ihre taxierenden Blicke.

Mit einem Mal werde ich mir meiner zerknitterten Jeans, meiner verschwitzten Bluse und meiner bequemen, ausgelatschten Turnschuhe unangenehm bewusst.

Ich kann es kaum erwarten, mein Zimmer zu beziehen. Schlafen und anschließend eine ausgiebige, erfrischende Dusche.

Ich gehe zur Rezeption, nenne meinen Namen und reiche meinen Pass. Die Zimmerreservierung hat geklappt, aber das Zimmer ist erst um elf Uhr beziehbar.

Ich schaue auf meine Uhr. Neun Uhr Ortszeit. Meine Stimmung sinkt. Noch zwei lange Stunden. Eine gefühlte Ewigkeit.

Ich versuche, eine gute Miene zu einer dummen Angelegenheit zu machen. Meinen Koffer stelle ich in den Aufbewahrungsraum und mache mich auf, das Hotel zu erkunden. Mein Rundgang führt mich am Fitnessraum, am Fernsehzimmer und am Barbereich vorbei. Ein bisschen verloren stehe ich im Speisesaal und schaue mich um. Die Tische sind bereits für das Mittag- oder Abendessen gedeckt. Weiße Tischdecken auf quadratischen Vierertischen, auf denen kleine Vasen mit irgendwelchen rosa Blümchen stehen. Hübsch dekoriert mit geblümten Gardinen und Aquarellbildern an den Wänden. Ich schaue mir einzelne Bilder näher an. Es scheinen Motive aus Lima und Umgebung zu sein. Typische Touristenattraktionen.

Eine Glastür steht weit offen.

Ich gehe darauf zu und entdecke das kleine, hoteleigene Restaurant. Ein Ober, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, weist mir lächelnd einen Tisch zu. Begeistert nehme ich Platz und bestelle eine große Tasse Kaffee.

Viel schöner als in der Lounge.

Ich entledige mich meiner Turnschuhe. Ein befreiendes Gefühl, endlich die Schuhe ausziehen zu können. Langsam werden meine müden Lebensgeister wieder fit und ich beginne, mich wohlzufühlen.

Ich könnte Konrad anrufen und ihm sagen, dass ich gut angekommen bin.

Konrad hatte mir vor der Reise ein IPhone geschenkt. Erst wollte ich es nicht annehmen, denn ich bin in diesen Dingen ein bisschen altmodisch, mein einfaches Handy genügt mir völlig. Doch er hatte gute Argumente, wieso und warum WhatsApp so praktisch ist.

Ein richtiges IPhone mit Internet und so. Ich betrachte es stolz, mache ein Selfie und schicke es mit einem Gruß an Konrad. Vielleicht hätte ich mir schon früher eines anschaffen sollen. Kurz darauf, als habe er schon auf meine Nachricht gewartet, kommt eine SMS zurück.

Kapitel 11

Seit diesem bewussten Samstag hat Konrad mir gegenüber ein schlechtes Gewissen. Er hat das Gefühl, mich mit den Enthüllungen alleingelassen zu haben.

Nach unserem Telefonat schleppte ich mich ins Bett. Ich war körperlich und vor allem seelisch total erschöpft. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Meine Gedanken drehten sich wie in einem Karussell.

Meine Mutter lebte und hatte sich nie bei mir gemeldet. Sie hatte mich abgeschrieben. Wahrscheinlich hatte sie mich nie geliebt. Oder doch? Aber was war dann passiert? Mir fielen wieder die ersten Sätze ein, die sie in ihrem Buch geschrieben hatte. „Kann auch das Opfer zum Täter werden? Habe auch ich mich schuldig gemacht?“

Was meinte sie damit? Ich kam auf keine Antwort. Gegen Morgen fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Das Klingeln des Telefons weckte mich. Ärgerlich presste ich mein Kissen auf den Kopf. Ich wollte jetzt mit niemandem sprechen.

Als ich wieder aufwachte, war es bereits später Vormittag. In meinem Kopf tobte ein dumpfer Schmerz. Ich schleppte mich in die Küche, ließ mir einen Kaffee aus der Maschine und setzte mich auf die Küchenbank.

Ich war verwirrt, kam mir vor wie zerpflückt. Meine Welt war einen großen Schritt von mir weggerückt. Wohin? Überhaupt, was sollte ich jetzt mit diesem Wissen anfangen? Meine Mutter lebte also und nun?

Das Telefon klingelte abermals. Ich stand langsam auf. Wie eine alte Frau, kam es mir in den Sinn. Vielleicht war ich über Nacht gealtert? Auf dem Weg zum Telefon riskierte ich einen Blick in den Flurspiegel. Mein Ich schaute mir aus ängstlichen, dunkel umschatteten Augen entgegen. Das Gesicht bleich und die Haare verstrubbelt. Kein aufbauender Anblick, doch wenigstens äußerlich nicht älter geworden.

„Konrad, guten Morgen.“

„Guten Morgen ist gut. Es ist bereits Mittag“, klang es durch den Hörer. „Wie geht’s dir? Hast du schlafen können?“, fragte er besorgt.

„Nicht so gut, nur wenig.“

„Möchtest du zu mir kommen oder lieber in dem Buch weiterlesen?“

„Nein, ich will nicht weiterlesen“, rief ich fast hysterisch ins Telefon.

„Musst du auch nicht. Willst du zu mir kommen?“

Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, das Haus zu verlassen und zu ihm zu fahren. Ich spürte, dass ich die Welt heute nicht ertragen würde.

„Nein, komm du zu mir. Das ist mir lieber“, entgegnete ich.

Zwei Stunden später saßen wir uns am Esstisch in der Küche gegenüber. Konrad hatte Pizza und Salat mitgebracht. Dazu tranken wir einen leichten Rotwein. Es war eine gute Idee von ihm, das Mittagessen mitzubringen, denn als er es auf den Tisch stellte, merkte ich erst, wie hungrig ich mittlerweile war.

„Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?“ Ich legte meine Gabel auf die Seite und blickte Konrad an. Er sah ebenfalls mitgenommen aus. Viel Schlaf schien auch er nicht abbekommen zu haben.

„Das musst du selbst entscheiden“, meinte er weise.

„Haben wir denn überhaupt eine Adresse und einen Namen?“, fragte ich ihn.

„Sie hat unter einem Pseudonym veröffentlicht. Aber den Namen und die Adresse des Verlages habe ich herausgesucht. Sein Sitz ist in Lima.

„Die werden mir ihre Adresse und ihren Namen bestimmt nicht geben, dürfen sie gar nicht.“

Konrad nickte und sah mich an. „Wenn du sie finden möchtest, dann musst du nach Peru fliegen und direkt bei dem Verlag vorsprechen, ihnen erklären, wer du bist und so weiter.“

„Ich soll nach Lima fliegen?“, rief ich entgeistert aus.

„Wenn du sie wiederfinden möchtest, dann wird dir nichts anderes übrigbleiben.“

Wollte ich sie überhaupt wiedersehen? Ich wusste es nicht. Aber tief in meinem Inneren spürte ich, dass ich mit diesem neuen Wissen und seinen vielen Fragen, die es aufwarf, nicht würde leben können. Ich brauchte Antworten. Das war ich mir und meinem zukünftigen Leben schuldig.

Ich nickte zur Bestätigung kräftig mit dem Kopf.

„Ja, ich muss nach Lima. Ich brauche Antworten auf meine Fragen.“

Konrad schenkte mir ein scheues Lächeln.

„Ich bin stolz auf dich. Genau diese Reaktion habe ich von dir erwartet.“ Er streichelte mir sanft über das Haar.

Ich nahm seine Hand und hielt sie fest.

„Kommst du mit nach Lima?“, fragte ich hoffnungsvoll.

Er schüttelte den Kopf. „Diesen Weg musst du allein gehen.“

„Es gibt in dem Roman einen Satz, über den wir reden müssen.“

Er schüttelte verneinend den Kopf. „Nicht jetzt. Später, wenn du wieder zurück bist.“

Ich nickte. „Vielleicht ist es besser so.“

Er schenkte mir ein wehmütiges Lächeln.

„Und wenn du sie siehst, dann grüße sie von mir.“

Mir bildete sich ein Kloß im Hals. Jetzt bloß nicht wieder weinen! Das täte uns beiden nicht gut.

„Wann ist die beste Zeit in Peru?“, fragte ich und bog das Gespräch in eine pragmatische Richtung.

„Ich würde im Februar fliegen. Dann ist dort Sommer. Ich war auch im Sommer in Lima.

Als ich sie damals auf der Straße traf, trug sie ein hellblaues, geblümtes Sommerkleid und weiße Leinenschuhe.

Ich sehe sie noch so deutlich vor mir, als sei es gestern gewesen.“ Konrads Blick verlor sich ins Weite.

„Wie hat sie ausgesehen?“, fragte ich neugierig.

„Du hast Ähnlichkeit mit ihr. Ihr habt ungefähr dieselbe Größe und die gleiche zierliche Figur. Ihre Haare schimmerten immer in einem rötlichen Ton und sie trug sie meistens zu einem Zopf geflochten.

In Lima hatte sie allerdings eine Kurzhaarfrisur, wie du sie gerade trägst. Sie sah hübsch aus, doch auch irgendwie gezeichnet, älter, als sie an Jahren war. Sie stützte sich beim Gehen auf einen Stock. Vielleicht hatte sie durch den Unfall eine Verletzung am Bein davongetragen.“

Kapitel 12

Der Ober serviert den Kaffee. Sein Blick streift meine nackten Füße. Ein breites Lächeln überzieht sein bräunliches Gesicht. Seine schwarzen Augen blitzen.

Schnell ziehe ich sie unter den Tisch. Es ist mir peinlich. Ein gut geschulter Ober hätte eigentlich darüber hinwegsehen müssen. Nun ja, dann halt nicht.

Aber der Kaffee schmeckt köstlich. Heiß und stark. Ich spüre ein Kribbeln im ganzen Körper. Das bekomme ich immer, wenn ich im übermüdeten Zustand starken Kaffee trinke. Wahrscheinlich eine Überreizung der Nerven.

Ein Blick auf meine Armbanduhr. Erst eine halbe Stunde ist vergangen. Ich nehme meinen Rucksack und hole das Buch heraus. Ich habe seit dem bewussten Wochenende im Oktober nicht mehr darin gelesen. Ich konnte einfach nicht.

Ich schlage das letzte Drittel auf. Darin beschreibt die Autorin ausführlich ihr Leben in Peru mit Mann und Sohn. Sie scheint zur reichen Gesellschaftsschicht zu gehören. Daran habe ich bis jetzt überhaupt noch nicht gedacht. Rein theoretisch könnte sie auch in einem der Armenviertel leben, aber dann wäre sie wahrscheinlich keine Buchautorin. Das würde nicht zusammenpassen. Hoffentlich! Wenn ich daran denke, dass ich meine Mutter in einer dieser dreckigen Wellblechhütten antreffen würde, wird mir schlecht. Schnell dränge ich diese Gedanken in weite Ferne.

Ich lege das Buch zur Seite. Die Augen brennen. Sie sind zu müde zum Lesen.

Komisch, dass meine Mutter einfach wieder geheiratet und eine Familie gegründet hat, obwohl sie doch eine in Deutschland hat. Wie konnte sie nur, denke ich empört. Hier spielt sie die liebevolle Mutter für ihren Sohn und mich ließ sie einfach zurück. Ein lästiges Teil aus der Vergangenheit.

Ich packe das Buch zurück in den Rucksack. Ich kann und werde nicht weiterlesen!

Meine Wut auf meine Mutter nimmt Formen an. Jeder Gedanke an sie ist nun mit Ärger und Ablehnung verbunden. Hoffentlich hat sie ein paar gute Antworten und Entschuldigungen parat! Ich bin gespannt!

Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und schließe die Augen. Es war richtig, dass ich Vater nichts von dem Roman erzählt habe. Er würde es sicher nicht verkraften, wenn er wüsste, dass sie noch lebt. Ich werde ihm bei meiner Rückkehr sehr behutsam von ihr erzählen, nehme ich mir vor.

Kurz überfällt mich ein fast zärtliches Gefühl für den großen, schlanken Mann mit der Halbglatze und den grauen Augen in einem kantigen Gesicht. Aber das Gefühl verflüchtigt sich sehr schnell wieder, als ich an unser letztes Zusammentreffen denke.

Kapitel 13

Ich hatte mich nach diesem Wochenende in der Kanzlei krankgemeldet. Ich war tief in meiner Seele erschüttert, hatte zudem keinen Appetit und litt unter Schlafstörungen. Ich brauchte Zeit für mich, wollte in aller Ruhe über alles nachdenken und mich mit meinen Reiseplänen vertraut machen.

Ich hatte meinen Vater mit meiner Krankmeldung verärgert und das ließ er mich am Telefon auch deutlich spüren. Eigentlich hätte ein richtiger Vater sich um seine Tochter Sorgen gemacht, hätte sie besucht, sich um sie gekümmert, aber er hatte nicht einmal nach meinem Befinden gefragt und mir auch keine gute Besserung gewünscht.

Ob der Satz in dem bewussten Roman tatsächlich der Wahrheit entsprach? Er würde so einiges erklären.

Für ihn war ich immer nur eine Arbeitskraft.

Als ich nach zwei Wochen wieder in der Kanzlei erschien, empfing er mich entsprechend distanziert und frostig.

Ich hatte mich nun endgültig für die Reise entschieden, hatte mit Konrads Hilfe das kleine Stadthotel in der Nähe der Plaza Mayor herausgesucht, ein Zimmer reserviert und einen Flug für den zweiten Februar gebucht.

Ich trinke einen Schluck Kaffee. Obwohl ich mich mit der Situation im Moment nicht auseinandersetzen möchte, drängt sie sich in meine Gedanken und ich spüre auch hier, ein paar tausend Kilometer entfernt, seine Kälte und Distanz. Es tut mir immer noch sehr weh.

Es war an einem kalten, regnerischen Morgen im November. Ich betrat sein Büro.

„Guten Morgen, Vater“, begrüßte ich ihn und versuchte mit einem Lächeln seine Kälte zu erwärmen.

„Alexandra, was gibt’s? Hast du die Unterlagen schon bearbeitet?“ Er musterte mich kühl.

Ich nickte und schluckte den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte, der sich eigentlich immer bildet, wenn ich mit ihm spreche.

Ich räusperte mich und versuchte, meine Angst zu ignorieren.

„Ich habe eine Reise nach Peru gebucht und dafür werde ich im Februar Urlaub nehmen.“

Es war mein gutes Recht, meine freien Tage nun endlich einmal einzufordern, denn ich hatte im Laufe der Jahre an die dreihundert Überstunden angehäuft.

„Du fährst wohin?“ Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und baute sich in voller Größe vor mir auf.

„Wohin fährst du?“, wiederholte er seine Frage und ein drohender Unterton lag in seiner Stimme.

Mein Vater besitzt mehrere Gesichter, die er je nach Anlass aufsetzen kann. Vor allem bei Gericht macht er davon rücksichtslos Gebrauch. Er kann seine Gegner mit sanftem Blick und Tonfall einlullen und manipulieren oder mit seiner Größe und durch eine laute, harte Stimme so einschüchtern, dass sie plötzlich zu kleinen, verängstigten Mäuschen werden.

Schmeichelnd, scheinbar verstehend, dann wieder zynisch oder ironisch. Er zieht das gesamte Register, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Als Kind hatte ich Angst vor ihm und auch heute noch gelingt es ihm, dass ich weiche Knie bekomme.

„Ich habe eine Rundreise nach Peru gebucht. Im Februar geht’s los.“ Ich streckte mich, um ein bisschen größer zu wirken, im Gegensatz zu ihm allerdings ein Witz. Wie eine Maus vor einer Katze.

„Du bist ja von allen guten Geistern verlassen! Was willst du denn in Peru? Und im Februar kommt schon gar nicht in Frage. Du weißt doch, dass wir ab Januar diesen großen Prozess führen. Da kannst du die Kanzlei nicht verlassen. Kommt nicht in Frage!“, polterte er.

„Tut mir leid, aber ich habe schon gebucht.“

Dieses Mal würde ich nicht klein beigeben. Mein Plan stand fest. Ich würde meine Mutter suchen, mit ihr sprechen und sie würde mir alles erklären. Davon sagte ich ihm natürlich nichts.

Er näherte sich mir. „Wenn du das machst, dann brauchst du morgen gar nicht mehr wiederzukommen, dann bist du fristlos gekündigt.

Ich blickte ihn entgeistert an. Erwidern konnte ich im ersten Moment nichts, denn ich war sprachlos.

War das tatsächlich mein Vater, der mich gerade aus der Kanzlei warf? Verstand man das unter einer liebevollen Vater-Tochter-Beziehung? Aber hatten wir überhaupt je eine schöne, vertraute Beziehung gehabt?

„Das ist jetzt nicht dein Ernst“, brachte ich schließlich hervor. Eine Hitzewallung durchzog meinen Körper. Ärger und Trotz erwachten in mir.

„Das ist mein voller Ernst. Du kannst gleich deine Sachen packen. Aber vielleicht überlegst du es dir ja noch einmal.“ Seine Stimme hätte Papier durchschneiden können. Er ging langsam wieder um seinen Schreibtisch herum und setzte sich.

Ich sah ihn an, als sähe ich ihn das erste Mal. Sein hartes, kantiges Gesicht mit den kalten Augen.

„Gibt es noch was?“

„Nein. Ich bleibe dabei!“

„Dann ist ja alles gesagt.“ Er wandte den Blick von mir ab und widmete sich wieder seinen Unterlagen.

Ich war für ihn nicht mehr vorhanden. Das kannte ich von früher. Wenn ich irgendetwas angestellt hatte, dann strafte er mich mit Missachtung, manchmal tagelang.

Ich verließ fluchtartig sein Büro und widerstand dabei der Versuchung, die Tür mit voller Wucht hinter mir zuzuschlagen. Aber diesen Triumph wollte ich ihm nicht gönnen.

Im Vorzimmer traf ich Angelika, meine Kollegin. Sie war gerade dabei, Kaffee zu kochen und die Blumen auf der Fensterbank zu gießen.

„Guten Morgen Alex. Schön, dass du wieder da bist.“ Sie schenkte mir ein Lächeln, dass sich über ihr gesamtes rundes Gesicht ausbreitete. Wenigstens eine, die sich freute, mich wiederzusehen.

Ich lächelte zurück, doch es schien bei ihr nicht anzukommen, denn sie sah mich erstaunt an.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Ich bin soeben von meinem eigenen Vater gekündigt worden.“

Angelika sah mich an. Ich merkte, dass sie das eben Gehörte noch nicht richtig einordnen konnte.

Es dauerte mehrere Minuten, bis sie mir antwortete.

„Für mich tut es mir leid, denn ich verliere eine liebe Kollegin, aber für dich ist es eine Chance.“

„Wie meinst du das?“

„Sie haben dich hier doch nur ausgenützt. Du bist keine Assistentin, sondern Juristin wie alle anderen auch. Es wird langsam Zeit, dass du dich in deinem Beruf beweisen kannst.“ Sie unterstrich das Gesagte mit energischen Gesten.

Ich blickte sie erstaunt an. Von dieser Seite hatte ich das Ganze noch nie betrachtet.

„Du hast vielleicht recht. Und weißt du was? Ich werde jetzt erst einmal meine freie Zeit genießen und im Februar nach Peru reisen. Um alles andere werde ich mich kümmern, wenn ich wieder zurück bin.“

Ich spürte, wie sich in mir eine Leichtigkeit ausbreitete, die ich noch gar nie erlebt hatte. Ich war frei.

Ich nahm Angelika fest in die Arme. Meine liebe Kollegin und Freundin.

„Du gehst nach Peru? Hat er dich deswegen gefeuert?“, fragte sie nun mit einem leichten Schaudern in der Stimme.

„Ja, ich fliege nach Peru.“

„Warum ausgerechnet nach Peru?“

„Ich möchte dir den Grund für die Reise nicht hier erzählen. Lass uns heute Abend zum Italiener gehen, dort können wir ungestört miteinander reden“, schlug ich vor.

Sie nickte und stimmte begeistert zu.

Ich packte meine Siebensachen zusammen und verstaute sie in einer Plastiktüte. Mein ganzes Berufsleben passte in eine Plastiktüte. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht hätte ich diesen Schritt schon viel früher wagen sollen.

Ich staunte, mit welcher Leichtigkeit ich das Büro und das Gebäude verließ. Kein Bedauern und keinen Blick zurück.

Als ich auf der Straße stand, entschied ich, noch einen kurzen Abstecher bei Konrad in der Buchhandlung zu machen. Ich ging zu Fuß. Der Regen hatte aufgehört und eine kalte Feuchtigkeit lag in der Luft. Doch irgendwie spürte ich sie nicht. Mir war innerlich warm und ich fühlte mich wie getragen. Fühlte sich so die Freiheit an?

Zehn Minuten später betrat ich den Laden. Kein Kunde da. Konrad saß in seinem kleinen Büro am Schreibtisch.

Er blickte erstaunt hoch. „Du? Jetzt? Müsstest du nicht in der Kanzlei sein?“

Ich schüttelte den Kopf. „Vater hat mich eben rausgeschmissen.“

Konrad nickte bedächtig mit dem Kopf. „Das habe ich mir fast gedacht. Aber du hast ihm doch nichts von der Peru Reise erzählt, oder?“

Ich blickte ihn beschämt an. „Doch“, gab ich leise zu, „irgendetwas hat mich geritten. Ich hab von einer Rundreise gesprochen, natürlich nicht von dem Buch.“

„Dann musst du dich auch nicht wundern. Aber du weißt ja, wie ich über diesen Job denke.“

„Ja, ich weiß. Hast du noch einen Kaffee für mich?“

„Da in der Kanne. Was willst du jetzt tun?“

Ich schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und trank genüsslich einen großen Schluck. „Herrlich! Ich kenne wenige Menschen, die so guten Kaffee machen!“

In Konrads Leben haben die modernen Kaffeemaschinen keinen Einzug gehalten. Er brüht ihn mit Filter und Papier von Hand auf. Manchmal mischt er eine Prise Kardamom, manchmal ein wenig Zimt hinein. Man spürt die Liebe, mit der er den Kaffee zubereitet.

„Ich werde die freie Zeit ausgiebig nutzen, werde Dinge tun, die ich schon immer machen wollte und mich auf die Reise vorbereiten.“

Konrad erwiderte zunächst nichts. Er sah aus, als denke er über etwas nach. Dann sah er mich an.

„Ich könnte eine Vertretung im Laden gebrauchen. Natürlich gegen Bezahlung.“

Erstaunt blickte ich ihn an. „Möchtest du verreisen?“

„Ja, das ist mir gerade in den Sinn gekommen. Wenn du den Laden übernehmen würdest, dann könnte ich für drei Wochen nach Gran Canaria fliegen. Das Meer, die milden Temperaturen. Das würde mir guttun“, gab er leise zu.

„Dich hat die Sache mit Mutter ganz schön mitgenommen, nicht wahr?“ Ich strich ihm sanft über den Arm. Er nickte.

„Das geht in Ordnung. Ich arbeite gerne hier, das weißt du ja. Du kannst buchen, wann immer du willst.“

Ich lümmelte mich in den Sessel, streckte beide Beine aus und trank genüsslich das heiße, dunkle Gebräu. Eigentlich würde ich mich rundherum gut fühlen, wenn nicht der Streit mit meinem Vater wie eine dunkle Wolke über mir schweben würde.

Mir war nicht klar, wie wir in Zukunft miteinander verkehren würden. Schließlich waren wir nicht nur Chef und Angestellte, sondern auch Vater und Tochter und das sollte doch an erster Stelle stehen! Oder etwa nicht? Komisch, alles an der Beziehung zu meinem Vater war irgendwie nicht greifbar, nicht nachvollziehbar.

Momentan würde ich die Situation nicht ändern können, das war mir klar. Aber wir würden sicher einen Weg finden.

Mein Handy klingelte. Clemens.

„Was habe ich da gehört? Du hast eine Rundreise gebucht und lässt uns im Februar im Stich? Und zu mir hast du keinen Ton davon gesagt!“ Seine Stimme klang ärgerlich und verletzt. Er tat mir leid. Ich hatte mich ihm gegenüber wirklich nicht fair verhalten.

„Wir könnten uns in deiner Mittagspause im Artbistro treffen. Dann erkläre ich dir alles.“

„Ja, da bin ich auch schon sehr gespannt“, schallte seine laute Stimme durch den Hörer.

„Clemens?“, fragte Konrad mit einem mitleidigen Ausdruck in den Augen. Ich nickte. Mir war mit einem Mal flau im Magen. Mein Leben begann sich gerade aufzulösen.

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
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ISBN:
9783961455058
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