Kitabı oku: «Eva Siebeck», sayfa 14
XVI
Dieses »Nein!« Eva hörte es in derselben Nacht noch im Traum, und zu wiederholten Malen schreckte sie es aus dem Schlaf heraus. Sie konnte überhaupt nicht zur Ruhe gelangen: die Eindrücke des Tages waren zu mannigfach und zu heftig gewesen. Sie fühlte sich von den widersprechendsten Empfindungen durchdrungen. Bald ein namenloses Bangen, als wäre sie in einen finsteren, ausgangslosen Weg gerathen; bald eine herzschwellende Glücksregung, als sollten sie wachsende Schwingen in den höchsten Aether tragen.
Für diese letztere Phase ihrer schwankenden Stimmungen hatte sie bald die erklärende Formel gefunden: sie brauchte nur den Augenblick sich zu vergegenwärtigen, wo Ralph – von dem sie eben geglaubt, sie habe ihn verloren – den Dürenbergschen Salon betreten, und jenen andern Augenblick, wo er seine wahrheits- und gerechtigkeitsbegeisterten Worte gesprochen, um deutlich zu erkennen, daß ihr Glücksbewußtsein darin bestand, daß sie liebte und den Edelsten liebte – den »Herrlichsten von Allen«. Das bangende Bewußtsein aber war dieses: Keine Hoffnung, keine Aussicht – am Ende der Straße nichts, nichts – eine unübersteigbare Mauer oder, schlimmer noch, ein Abgrund, in welchem ihre Selbstachtung unwiderbringlich untersänke.
Was thun? Gab es denn nicht in jeder möglichen Lebenslage eine bestimmte Handlungsweise, welche dem Pflichtgebot entspricht? Wo lag nun ihre Pflicht? Was mußte sie thun, um aus dem ausgangslosen Weg herauszugerathen, in welchen ihre Schritte sich verirrt hatten? Was – was? Sie zermarterte sich das Hirn mit dieser Frage, während – ungefragt – das Herz immer zur Antwort gab: »ihn lieben, lieben, – außer dem ist alles Nacht.«
Mit schwingenden Nerven und klopfenden Pulsen lag sie da – versuchend nachzudenken, dann wieder versuchend, einzuschlafen, aber keines von Beiden gelang.
Als der Morgen graute hielt sie es nicht länger aus; es war ihr plötzlich der Gedanke gekommen: ihre Pflicht wäre – fliehen. Sie sprang aus dem Bett, glitt in ihren Schlafrock und in ihre Pantöffelchen und ging, die Fensterladen aufreißen. Ein trübes graues Frühlicht drang herein.
So – jetzt hieß es, entschließen und handeln. Sie setzte sich in den Lehnstuhl, der vor dem Schreibtischchen stand. Wenn der Begriff »fliehen«, der sie zuletzt aufgerüttelt, zur That werden sollte, dann gab es ja einen Abschiedsbrief zu schreiben. Sie öffnete ihre Mappe und entfernte den Deckel von dem Tintenfasse. Dann lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück, eine Hand auf die Stirn gedrückt, und begann zu überlegen.
»Fliehen, dazu habe ich nicht mehr die Kraft, es ist zu spät«, hatte König gesagt. Also erkannte er, daß es hätte geschehen sollen, nur fühlte er sich nicht stark genug … war es demnach nicht an ihr, das Seinsollende auszuführen? Sie sah sich – mit Einem zusammengedrängten Vorstellungsbilde – in graue Reisekleider angethan, eine Handtasche mit ein paar Wertsachen – Andenken, Briefe und ihr Checkbuch – füllen; Abschiedsbrief schreiben; im Morgennebel zur Bahn gehen; nach Wien fahren – dort ihr Geld erheben; dann weiter, weiter – in irgend ein Dorf, wo sie Niemand finde und dort – — Was dort? Warten bis der Tod kommt … denn außer ihrer Liebe ist ja »alles Nacht«.
Aber kann sie denn das Alles ausführen? So allein und hilflos und erfahrungslos wie sie ist? An Tante Rosa sich wenden? Nicht um alles in der Welt – die würde direkt an Robert schreiben. Und muß man nicht, um unbehelligt existiren zu können, sich nennen, Papiere herzeigen? Sie hatte keine Papiere – weder Tauf- noch Trauschein – das alles verwahrte wohl ihr Mann. Ihr »Mann – — der hatte ein Recht, sie überall zu holen und in sein Haus zurückzubringen … Und dann: was hatte sie geschworen? Dem Namen Siebeck, der ja Ralphs Name war, keinen Makel anzuheften – wenn sie aber das Haus verließe wie eine Verbrecherin, sich versteckte, – wäre dadurch der Welt nicht Anlaß gegeben, ihren Namen zu verpönen? Also bleiben? .. Aber, wenn sie bliebe, konnte sie dann anders, als dem Manne in die Arme sinken, den sie so brennend und sehnsüchtig – wie brennend und wie sehnsüchtig, das wußte sie erst seit gestern – liebte und begehrte?
Alle die Zweifel waren zu viel für ihren armen Kopf. Sie fühlte plötzlich, wie die Kraft zu denken sie verließ und noch mehr, wie die Kraft zu wollen, zu entscheiden, ihr abhanden kam. Ihr Haupt fiel auf die Sessellehne zurück, ihre Arme glitten an den Seiten herab und alles Bewußtsein schwand. Jetzt erst schloß ihre Lider der feste Schlaf, den sie vergeblich während der Nacht gesucht.
Als nach neun Uhr Morgens die Kammerjungfer, erstaunt so lange nicht gerufen zu werden, in das Zimmer drang, fand sie ihre Herrin in dem Sessel vor dem Schreibtisch, blaß und regungslos, anscheinend ohnmächtig. Da stieß sie einen Schrei aus; doch dieser Schrei weckte die Schläferin.
»Ach, Frau Gräfin – bin ich aber erschrocken!«
Eva rieb sich die Augen. – Wie kam sie hierher? … eine Sekunde genügte, ihr die ganze Sachlage in das Gedächtniß zu bringen: sie hatte fliehen wollen … und jetzt erfüllte sie eine Freude, daß sie dies nicht gethan, daß sie nicht in der weiten kalten Welt draußen, sondern unter einem Heimdache war, wo ihr die Annehmlichkeit bevorstand, in wenigen Stunden im Theaterflügel mit König an der Übersetzung des englischen Buches weiter zu arbeiten.
Wie aus ihrem Innern – so war auch draußen der Nebel gewichen; am heiterblauen Himmel strahlte eine herrliche Septembersonne. Die Gespenster der Nacht waren alle verflogen. Auch das Leidenschaftsfeuer welches in den verflossenen Stunden ihr solche Angst eingeflößt, hatte zu lohen aufgehört; wieder war es nur sanfte, ruhige, sonnenreine Neigung, was sie für ihren theuren König empfand.
Erleichtert athmete sie auf, und da sie sich seelisch so erfrischt fühlte, sorgte sie nun auch dafür, die durch diese Fiebernacht eingetretene Erschöpfung zu vertreiben.
»Schnell, Netti!« befahl sie der Kammerjungfer »eisiges Brunnenwasser in meine Douche und dann das Frühstück: Thee mit Rum.«
Als sie drei Stunden später in das Speisezimmer sich begab, waren sämmtliche Hausgenossen – mit Ausnahme von Ralph – schon da versammelt.
»Kommt Graf Siebeck nicht?« fragte sie Doktor Hartung, von plötzlicher Angst erfaßt. Am Ende hatte doch er es ausgeführt, was sie heute morgen geplant. Sollte diese Befürchtung nun jedesmal eintreten, wenn Ralph nicht anwesend war? Doch in diesem Augenblick trat er herein.
Er mußte auch eine schlechte Nacht verbracht haben. Auf seinen Zügen lag Abspannung und Traurigkeit.
»Hast Du nicht gut geschlafen?« fragte Eva, nachdem er sie mit Händeschütteln begrüßt.
»Gar nicht,« antwortete er.
Man setzte sich zu Tisch. Ottilie ward nicht müde, die Beiden über den gestrigen Besuch in Dornegg auszufragen.
»Es ist recht ungeschickt«, sagte sie, »daß Irene jetzt nicht da ist.«
»Warum denn?« fragte Eva; »sie könnte, der Trauer halber, die Dornegger Lustbarkeiten doch nicht mitmachen.«
»Das nicht, aber – ich weiß schon, was ich sagen will.«
»Ich auch« lächelte Ralph. »Graf Adolf Dürenberg ist freilich, was bei uns ein » èpouseur« heißt – aber dafür ist er durchaus nicht, was die Engländer » a marrying man« nennen. Zudem hat er sich gestern leidenschaftlich und unglücklich in eine junge Frau aus der Nachbarschaft verliebt!«
»Und Sie, lieber Ralph,« nahm Doktor Hartung das Wort, »gestehen Sie Ihrem alten Mentor offen, zappeln Sie noch nicht im Netze der russischen Nixe? Ich muß doch gelegentlich wieder ein wachsames Auge auf Sie werfen.«
Die jungen Leute, Heinrich und Georg, wechselten Blicke und wurden beide dunkelroth.
Ralph fing diese Blicke auf.
»Geben Sie acht, Hartung, Sie bringen zwei junge Herzen in Aufruhr. Bekanntlich schwärmen meine Herren Neffen für die betreffende russische – sagen wir – Göttin.«
Der Hofmeister glaubte eine strenge Miene annehmen zu müssen.
»Ich will nicht hoffen,« sagte er trocken, »daß meine Schüler gegenwärtig andere Ideen im Kopfe haben als die ihrem Alter angemessenen, und daß sie für etwas anderes schwärmen, als für die lateinische und griechische Grammatik. Der Tag der Prüfung naht – —«
»Seien Sie nicht so streng mein Lieber. Lassen Sie uns nicht so thätigen Antheil an dem härtesten Treiben unserer Zeit nehmen – ich meine an der systematischen Jugendmarter. Ein späteres Zeitalter wird Thränen weinen, glauben Sie mir, über die Jüngling-Opfer, welche wir auf dem Altare der Philologie hinschlachten.«
»Sie meinen doch nicht, Herr Graf, daß —
»Ich meine gar Vieles. Leider bin ich nicht Heinrichs und Georgs Vormund, sonst würde ich mich ihrer erbarmen. Freilich auferlegt die ganze gegenwärtige Gesellschaftsordnung mit ihrem Studienzwang, mit ihren Freiwilligen- und Staatsprüfungen, ein so unabschüttelbares Joch, daß man sich vorläufig fügen muß. Es giebt aber Dinge, die sich die Jugend doch nicht auferlegen und doch nicht verbieten läßt, und dazu gehört das Recht vierzehnjähriger Knaben, sich sterblich in dreißig- oder vierzigjährige Frauen zu verlieben – verhöhnen wir sie nicht, und schelten wir sie nicht darum; das Feuer, das Sehnen, die Träume, die in einer solchen Schwärmerei enthalten sind, geben der jungen Seele Schwung – das wirkt begeisternder, glauben Sie mir, als die Regeln der lateinischen Syntax … Waren Sie selber nicht auch verliebt in jenem Alter?«
»Das wohl, Herr Graf,« entgegnete der Hofmeister »aber mein Vater, als er dahinter kam, hat mir eine tüchtige Tracht Prügel angedeihen lassen.«
»Und dieselbe Wohlthat wollen Sie jetzt dem nächsten Geschlechte herunterreichen? Es ist doch sonderbar, daß sich die Menschen für erlittenes Unrecht immer am liebsten dadurch rächen, daß sie das gleiche an Anderen ausüben. Wer schlug die Sklaven am stärksten? Die einst selbst unter dem Peitschen-Regime gestandenen Sklaven. Wer rüppelt den Unteroffizier am ungerechtesten? Der vom Hauptmann am ungerechtesten gerüppelte Lieutenant. Wer unterdrückt und bewacht die Mädchen am strengsten? Die selber unterdrückten Frauen. Nur die Freien spenden freigebig die Freiheit.«
»Wenn Dich Fürst Dürenberg hörte, der fände wieder, daß Du keinen weiten Weg mehr hast zum – Räuberhauptmann«. Eva sagte dies lachend und mit funkelnden Augen. Was Ralph da gesprochen, hatte ihr wieder Freude gemacht. Es that ihr jedesmal wohl, wenn sie einen neuen, geistig liebenswürdigen Zug an ihm entdeckte; das galt ihr als Rechtfertigung ihrer Liebe und als Bestätigung des rein geistigen Wesens derselben.
»Unter Anderm«, sagte Ralph nach einer Weile, »ich erwarte nächster Tage – vielleicht heute schon – Besuch. Seid so gut, liebe Ottilie – oder liebe Eva – ich weiß nicht, in wessen Ressort dies fällt – ein Gastzimmer bereit halten zu lassen. Die heutige Post hat mir die überraschende Nachricht gebracht, daß ein alter Freund von mir – Doktor Söller – der seit mehr als zwanzig Jahren in Rußland gelebt hat, jetzt nach Oestereich zurückgekehrt ist und mich in Großstetten aufsuchen will.«
»Den Namen habe ich oft gehört,« sagte Ottilie, »Deine Mutter hat mir viel von diesem Söller gesprochen.«
»In der That, er war Hausfreund und Hausarzt meiner Eltern. Es ist derselbe,« fügte Ralph mit einem Blick auf Eva hinzu, »der bei der Geburt Deines Mannes anwesend war.«
Ah!« Ein leiser Schreck lag in diesem Ausruf. Derselbe also, welcher wußte, daß der Name, den sie trug, Demjenigen nicht zu Recht gebührte, von dem sie ihn erhalten. Der Gedanke hatte etwas Peinliches.
»A propos, Eva, was treibt denn Dein Mann?« fragte Ottilie. »Jetzt ist er schon seit zwei Tagen in Wien… Was macht er dort, und wann kommt er zurück?«
»Das weiß ich Alles nicht.«
»Wie sonderbar! Wenn ich einen Mann hätte so dürfte der mir nicht aus dem Bereich, ohne Rechenschaft zu geben. Verheirathet sein,« fügte sie nachdenklich hinzu, »hat seine großen Schattenseiten … es muß manchmal ein Kreuz sein. Glückliche Ehen giebt es übrigens auch. Das hängt von den Umständen ab. Da habe ich eine Frau gekannt – Amélie hieß sie, – die am Tage ihrer silbernen Hochzeit so geweint hat.«
»Nun? Und?« fragten die Andern, denen die Geschichte der Frau Amelie nicht sehr triftig für die vorangegangenen Betrachtungen zu sprechen schien. »Was weiter?«
»Nichts weiter – geweint hat sie.«
»Oh jeh!« rief Hartung mit dem Ausdruck tiefsten Mitgefühls.
»Und jetzt zur Arbeit!« sagte Eva, nachdem man sich vom Tische erhoben; »heute müssen wir ein ganzes Kapitel bewältigen … ich fühle mich sehr aufgelegt … – wir werden Großartiges leisten.«
»Gut denn – in einer halben Stunde erwarte ich Euch.«
Es wurde an diesem Tage nichts geleistet. Als Eva mit ihren Wörterbüchern und dem zu übersetzenden Huxley-Band neben dem Schreibtisch Platz genommen – Ottilie häkelte in ihrem gewohnten Winkel außer Gehörweite – sagte Ralph:
»Behalte Dein Buch offen, als ob wir arbeiteten, ich lege auch mein Manuskript hier auf … Nun will ich aber mit Dir reden. Ich will Dir sagen, daß ich so nicht fortleben kann.«
Eva erblaßte und richtete auf den Sprecher einen ängstlich fragenden Blick.
»Du verstehst mich nicht? Wenn Du wüßtest, was ich während der gestrigen Nachhausefahrt gelitten und welche Nacht ich zugebracht! Ich liebe Dich wie ein Rasender, Eva! … Suche ein Wort im Diktionär – ich schreibe … die Ottilie schielt herüber.«
Mit zitternden Händen blätterte Eva in dem Bande.
»Nun, wie heißt das Wort?« fragte er überlaut.
»Es heißt Achtung und Dank …«
»Was willst Du sagen?«
»Es sind die Worte, die ich mir merken sollte – aus einem gewissen Brief, den Du in Wien geschrieben —«
Er schüttelte den Kopf, wie Einer, der sich nicht erinnert.
»O, ich beschwöre Dich, König …« Sie konnte nicht weiter reden.
»Du beschwörst? … Ich bin es, der Dir zu Füßen fallen wollte und flehen, daß Du Dich meiner erbarmest. Aber ich thu‘ es nicht, Evinka. Wenn ich ein verliebter Jüngling wäre, ich würde Dich bestürmen: sei mein! Aber ich bin ein erfahrener Mann, beinahe ein alter Mann … ich kenne die Welt – ich weiß, welchem Jammer ich Dich aussetzen würde, wenn ich Dich in meine Arme riefe. Du könntest die Schmach nicht ertragen, mit welcher die Leute Dein Haupt beladen würden: die Geliebte des Schwiegervaters – —«
Eva warf den Kopf zurück:
»Wer sagt Dir, daß ich je —«
»Ich weiß, daß Du mich liebst … laß mich reden. Ich könnte Dir ja Vieles bieten, was Dich zu beglücken im Stande wäre … wir gingen in ein fremdes, fernes Land … Aber wie, wenn Du aufhörtest, mich zu lieben? … wie, wenn ich stürbe? … Und Du könntest nie mehr unter Menschen zurück, nie mehr die Stirn hoch tragen – ich hätte Dich elend gemacht! Siehst Du, ich sage Dir nur meine Gründe – warum ich Dich nicht in Versuchung führen will. Ob Du widerstündest – die Frage bleibt ganz unentschieden. Ich kann ja nicht wissen, was schließlich in Dir siegen würde – der Stolz oder die Leidenschaft; die Würde oder das Mitleid. Also verweigere nichts; ich bin kein Bittsteller; wehre Dich nicht: ich bin kein Angreifer.«
»Du sprachst aber vorhin, daß Du so nicht leben kannst – was bedeutet das?«
»Was bedeutet nicht fortleben? – sterben.«
»Also wolltest Du Dich – uns – tödten?«
»Das wäre auch keine Lösung, Eva. Nicht mein Tod, nicht der Deine. Ohne mich wärst Du verlassen – der möglichen Mißhandlung durch einen Unwürdigen preisgegeben – Und Du – sterben? Die Vorstellung enthält mir das allerfurchtbarste, was das Schicksal verhängen könnte. Meine Liebe zu Dir besteht ja in zu höchster Potenz gesteigertem Wohlwollen – glücklich, glücklich wollte ich Dich wissen – und muß Dich so unglücklich sehen.«
»Wenn Du nicht so sprichst, König, dann bin ich nicht unglücklich. Die Stunden, die wir hier verbracht haben – arbeitend – ich habe sie als herrliche Stunden genossen und unsere Wasserfahrt – unser ganzes Beisammensein … König, kann denn das nicht uns beiden harmlose dauernde Freude gewähren?«
»Nein, Kind – wir sind Menschen von Fleisch und Blut. Und noch eine Qual will ich Dir gestehen, der ich ausgesetzt bin: die Eifersucht. Ich habe das gestern erfahren: Dieser Dürenberg ist verliebt in Dich … er – und manche Andere noch werden Dir den Hof machen. Du hast an Deinem Gatten keinen Halt – der Tag wird kommen, wo Du —«
»Niemals, niemals, König! Beleidige mich nicht. Wenn meine Tugend stark genug ist, mich zurückzuhalten, Dir – Heißgeliebten – an die Brust zu sinken —«
»Solche Worte, Eva! … Du gießest mir Flammen in die Adern …« —
»Kinder, seid ihr in Streit gerathen?« fragte jetzt Fräulein Ottilie herüber. »Zwar kann ich nicht hören, was ihr redet, aber ich beobachte Euch schon die ganze Zeit – Eure Wangen glühen – ihr scheint zornige Worte zu wechseln… Ich sage immer: das Uebersetzen ist eine zuwidre Arbeit – da muß man disputiren – der Eine versteht einen Ausdruck so, der Andere so —«
Eva klappte ihr Wörterbuch zu und stand auf.
»Du hast recht,« sagte sie. »Das Uebersetzen will heute nicht recht von statten… Lassen wir es auf morgen. Ich gehe jetzt.«
»Wie Du befiehlst,« antwortete Ralph.
»Komm Ottilie …«
Das Fräulein war zum Fenster getreten:
»Ein Wagen!« rief sie. »Vermuthlich der erwartete Doktor …«
»Vielleicht Robert,« sagte Ralph, indem er sich gleichfalls dem Fenster näherte.
Ottilie beschattete ihre Augen mit der Hand:
»Jetzt nehm‘ ichs aus: Ja, es ist Robert – und ein fremder Herr neben ihm – gewiß der Erwartete – sie werden mit demselben Zuge gekommen sein.
XVII
Die so schnelle Rückkehr ihres Mannes war Eva unerwünscht; sie hatte im Stillen gehofft, daß er unbestimmt lange ausbleiben würde. Dagegen war ihr die Ankunft des Doktor Söller insofern willkommen, als sie voraussetzte, daß dadurch Ralph von seinen Grübeleien und seinen heftigen Gefühlen ein wenig abgelenkt werde. Das Grübeln war ja – in ihrer beider Lage – das Gräßlichste.
Nach einer herzlichen Begrüßung hatte der Hausherr, den Doktor sogleich zu sich in den Theaterflügel geführt – und wie viel würden die zwei Männer, die sich mehr als zwanzig Jahre lang nicht gesehen hatten, einander nun zu erzählen haben: Reiseerinnerungen, Jugenderinnerungen … Unter den letzten freilich eine sehr peinliche: Roberts Geburt. Bei diesem Gedanken erröthete Eva. Wenn ihr jene Umstände einfielen, so fühlte sie sich immer gleichsam als Usurpatorin ihres Namens.
Und jetzt stand auch der Usurpator neben ihr.
Robert war nämlich, ohne um Erlaubniß zu fragen, seiner Frau in ihr Zimmer gefolgt, wohin sie, während Ralph den ankommenden Gast begrüßte, sich zurückgezogen hatte.
»Also da wäre ich wieder!«
»Ja.«
»Du, Eva, ich möchte Dich was fragen.«
»Das wäre?«
»Gefällt Dir die Existenz in Großstetten?«
»Ich weiß nicht, was Du meinst.«
»Ich meine,« er setzte sich, »daß ich‘s auf die Länge nicht aushalte. Die zwei Tage in Wien haben mir förmlich wohlgethan. Jetzt kommt die Jagdzeit – da wird‘s am Ende noch durch ein paar Wochen erträglich – aber nachher müßte man ja auswachsen. Ganz hier bleiben, wie der Vater wollte, und Landwirthschaft treiben, das bin ich nicht im Stande. Die ganze Kuh-, Holz- und Körnerwirthschaft ekelt mich an. Weizenfechsung, Schweinefutter, Jungviehzucht – hol‘s der Kuckuck!«
»Wo willst Du hinaus?«
»Von Großstetten will ich hinaus. Wenn es einmal mir gehört, werde ich es doch verpachten – die Plage mit dem Selbstverwalten ist zu groß. Daher ist es ganz überflüssig, daß ich hier bleib‘. Ich möchte künftigen Winter nach Wien. Dazu braucht man Geld. Ich muß erreichen, daß uns der Vater ein genügendes Einkommen anweist.«
»Warum sprichst Du dann nicht mit ihm?«
»Weil ich glaube, daß der Weg durch Dich sicherer ist.«
»Durch mich?«
»Meinst Du, ich hätt‘ nichts gemerkt?«
Eva erblaßte und – bisher hatte sie gestanden – ließ sich auf einen Sessel fallen.
»Ich verstehe nicht!« … murmelte sie.
»Geh‘, sei nicht fad. Da braucht ein Mensch kein Genie zu sein um zu durchblicken, wie Du den Vater herumgekriegt hast. Du wickelst ihn um den Finger. Bist hier zur Herrin des Hauses eingesetzt worden, hast Geld so viel Du willst – unter Anderem: ich könnte wieder ein Sümmchen brauchen —«
Eva sprach kein Wort. Ein unsäglicher Ekel schnürte ihr die Kehle zu.
»Die Dinge stehen also so,« fuhr Robert fort, »Du erklärst dem Papa, daß Du den Winter in Wien zubringen willst, und wir gehen mit einander hin. Es hindert ihn ja nichts, auch hinzukommen und die englischen Uebersetzungen mit Dir fortzusetzen, die ihm so viel Vergnügen machen – ich bin ja zu Tod froh, wenn Du ihm die Liuba aus dem Kopf geschlagen hast.«
Schurke! war das Wort, welches in Evas Innern kochte. Aber noch immer brachte sie keinen Laut hervor.
Robert stand auf:
»So, jetzt denk‘ ein bissel über die Angelegenheit nach – ich geh. Unter andern: die Dorina läßt Dich grüßen. Die ist jetzt auch in Wien. Ich habe sie aufgesucht; aber – der Wahrheit die Ehre: sie hat mich hinausgeworfen. Das hat mir Spaß gemacht. Immer wird sie wohl nicht so unliebenswürdig sein. Wenn sie einmal weiß, daß Du nicht eifersüchtig bist —«
Als er draußen war, vergrub Eva laut stöhnend ihr Gesicht in beide Hände. »So kann ich – so kann ich nicht fortleben.«
Wäre Doktor Söller nicht bei König, sie würde sofort zu ihm hinabgeeilt sein, um an seiner Brust sich auszuweinen, um ihn zu beschwören, sie von diesem Menschen zu befreien. Sollte der Elende wirklich einen Verdacht hegen – ihr, und demjenigen, den er für seinen Vater hielt, zumuthen daß sie Verbrecher seien – und dies gleichgiltig hinnehmen wollen in Anbetracht seiner eigenen pekuniären Interessen? Nein – solche Gemeinheit der Gesinnung war nicht denkbar! Und eigentlich – was berechtigte sie denn, ihm solche Gedanken unterzuschieben? Ja, er hatte bemerkt, daß sein Vater sie liebgewonnen; daß er gern mit ihr verkehrte, daß er ihr die Regierung des Hauses übergeben; jedoch die Idee, daß da ein strafbares Verhältniß bestehe, die war – in ihrer Widernatürlichkeit – Robert vielleicht nicht einmal in den Sinn gekommen. Aber gleichviel, wenn er auch so schlecht nicht war, wie sie einen Augenblick ihm zugemuthet, war er nicht abstoßend und täglich abstoßender? Und da muthete er ihr zu, mit ihr allein in Wien zu leben! Und welche cynische Rücksichtslosigkeit, ihr ins Gesicht zu sagen, daß er seine Beziehungen zu Dorina wieder anknüpfen wollte… Sie machte eine schmerzlich-händeringende Bewegung; dabei stießen ihre Finger auf den Trauring. O der grausame kleine Goldreif! Durch den war sie festgeschmiedet an lebenslanges Unglück, durch den war sie zu Leid und Entsagung, zu ewiger Herzenseinsamkeit verdammt. Und wenn sie an das hohe Glück dachte, welches so ein Ring – wenn mit dem Rechten getauscht – bedeuten kann, so erschien ihr das eigene und das Schicksal so vieler Tausende ihrer Schwestern doppelt fürchterlich. Wie wäre es zum Beispiel, wenn ein Ralph Siebeck ihr diesen gegeben? … Sie malte sich das Bild aus und Thränen der Wehmuth füllten ihre Augen. »O, mein König, mein König,« seufzte sie halblaut, »wie sicher, wie selig wäre ich als die Deine, als Dein angetrautes, demüthiges, liebendes Weib – wie blickte ich zu Dir auf, Großer, Milder, Vornehmer – und wie gut und zärtlich und nachsichtig wärst Du mit mir… Dann dieses Leben – so reich an den erhebendsten Interessen: zusammen arbeiten, zusammen reisen und einander lieben, lieben dürfen – so warm, so leidenschaftlich, so süß … Das Anrecht zu solcher Wonne könnte so ein goldener Reif verleihen, während dieser auf ihrem Finger – — Mit einer Bewegung des Abscheus streifte sie den Ring herab und ließ ihn in eine nahestehende Schmuckschale fallen.
Bei Tisch waren alle Hausgenossen versammelt. Von den inneren Kämpfen, welche einige unter ihnen in den letzten Tagen bestanden, war an der Oberfläche nichts zu sehen. Es wurde mit der scheinbar größten Ruhe eine bald lebhafte bald gleichgültige Unterhaltung geführt; – daß hier eine unglückliche Ehe und eine noch unglücklichere Liebe waltete, das hätte kein Unbetheiligter merken können.
Eva saß zwischen Ralph und Doktor Söller. Letzterer trug die größten Kosten der Unterhaltung: er erzählte allerlei Episoden aus seinem zwanzigjährigen Aufenthalt in Rußland; auch in Sibirien war er gewesen – nicht als politischer Verbrecher, wie Fräulein Ottilie erschrocken fragte – sondern als Leibarzt des Militär-Gouverneurs.
Nach Tisch setzte sich dieselbe scheinbar Unbefangenheit fort. Hartung und Eva spielten Klavier; Ralph und Doktor Söller machten eine Partie Schach – Robert und der Hofmeister im anstoßenden Billardsaal eine Partie Billard. Die Jünglinge zogen sich früh in ihr Studirzimmer zurück, da sie beide noch – die armen Schlucker – für morgen sechs Seiten Griechisch vorzubereiten hatten. Nach zehn Uhr ward aufgebrochen, um schlafen zu gehen.
»Auf ein Wort, Eva!« Ralph zog die junge Frau in eine Fensternische. »Du verschließest Deine Zimmerthür des Nachts?«
Eva blickte bestürzt auf.
»Ich frage wegen – Robert.«
»Er kommt nicht —«
»Thut nichts. Schiebe doch den Riegel vor. Er darf Dir nie mehr in die Nähe kommen, hörst Du – nie mehr.«
»Gewiß nicht. Meine Thür ist verschlossen.«
»Gut.« Er trat wieder in das Zimmer zurück; die Unterredung war aus.
Man wünschte sich gegenseitig »Gute Nacht« und ging auseinander.
Nachdem sie ihre Kammerjungfer entlassen, verschloß Eva selber die Thüre ihres Schlafzimmers, welche gegen ihren kleineren Salon führte; die zweite Thüre, hinter welcher das Ankleidekabinet lag, das seinerseits an das Jungfernzimmer stieß, brauchte nicht abgesperrt zu werden.
Eva legte sich zu Bett. In der vorigen Nacht hatte sie so wenig geschlafen, daß sie sich heute abgespannt und müde fühlte und von den kommenden Stunden sich Ruhe versprach. Sie schlief auch schnell ein. Aber plötzlich erwachte sie mit einem jähen Schreck.
Was war das? … Ein Geräusch? … Ihr Athem stockte.
Ja, ein leises Klopfen an der Salonthür.
Das Zimmer war von einer Nachtlampe nur schwach erhellt, aber genügend, um auf der nebenan liegenden Uhr die Zeiger sehen zu lassen. Ein Uhr …
Das Klopfen dauerte fort; dazwischen auch ein Rütteln an der Schnalle. Vermuthlich Robert. Das Beste war, still bleiben – er würde schon wieder fortgehen.
Der Klopfende aber ging nicht. Immer lauter und ungeduldiger wurde das Pochen und das Rütteln.
Ein kalter Schauer lief über Evas Rücken. Wie, wenn die Thür etwa nachgäbe? Sie stieg aus dem Bette, schlüpfte in ihren Schlafrock und, die Hand an den Glockenzug legend, horchte sie weiter.
Der draußen fing an, mit den Fäusten loszuschlagen. Noch ein paar solche Schläge, und die Thür mußte nachgeben. Der Angstschweiß trat auf Evas Stirn. Diese Furcht – vor dem eigenen Gatten … Nein – das konnte in Zukunft nicht so fortgehen …
Jetzt erhoben sich andere Geräusche im Hause. Man hörte eine Thüre knarren und Schritte auf der Treppe. Vermutlich hatte das unbändige Klopfen noch einen anderen Hausgenossen aufgeweckt. Wie es schien, hatte aber auch der Klopfende die sich erhebende Unruhe vernommen und er hörte auf zu poltern.
»So mach‘ doch auf – sei nicht fad,« rief er mit lallender Stimme.
Richtig – Robert. Und richtig – wieder in betrunkenem Zustande. Eva blieb regungslos.
»Du, ich hab Dir was Wichtiges zu sagen.«
Sie antwortete nicht.
Da klirrte er noch ein paar Mal an der Thürschnalle, und dann ging er davon, mit schwankenden Schritten und gemurmelten Verwünschungen, die man nach und nach verhallen hörte.
»Gottlob!« athmete Eva auf. Sie klingelte ihrer Kammerjungfer.
»Ich bitte Dich, Netti, gieb Dein Bettzeug auf jenen Divan und schlafe hier – mir ist heute so bang allein.«
Das Mädchen that, wie ihr befohlen, und jetzt schlief Eva beruhigt ein.