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Kitabı oku: «Eva Siebeck», sayfa 6

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VII

Am folgenden Tage lernte Eva auch noch diejenigen Räume von Schloß Großstetten kennen, welche ihr von Irene nicht gezeigt worden waren, nämlich den von ihrem Schwiegervater bewohnten Flügel.

Vor Ralphs Zeiten hatte dieser Theil des Gebäudes als Haustheater gedient. Es befand sich darin ein vom Erdgeschoß bis zur Höhe eines zweiten Stockes reichender großer Theatersaal, eine erhöhte Bühne und hinter dieser mehrere Garderoben und andere zur Aufbewahrung von Requisiten und Dekorationen bestimmt gewesene Räume. Dies Alles hatte sich Ralph Siebeck als Wohnung eingerichtet. Der Saal war seine Arbeitsstätte; die Bühne, zu welcher Stufen hinaufführen, diente als Schlafzimmer, und die dahinter befindlichen Gelasse waren zu Bade-, Dienerzimmer u. s. w. verwendet worden.

»Willst Du mein Arbeitskabinet sehen, Eva?« hatte Siebeck nach dem Frühstück gefragt. »O ja – so gern!«

»Dann komm mit, ich will Dir‘s zeigen.«

Als sie über die Schwelle trat, konnte Eva einen Ueberraschungsschrei nicht unterdrücken.

»Und das ein Kabinet?« rief sie. »Das ist ja eine Kirche.«

»Im Gegentheil – ein Theater war‘s, aber ich habe es mir zu einem gemüthlichen Studirwinkel umgewandelt.«

Und in der That: trotz seiner Größe, gemüthlich war der Raum, und Winkelwerk bot er genug. Verschiedene Balustraden, Schirme und dergleichen formten allerlei Nischen; ein Riesenkamin mit vorgebautem Holzmantel bildete ein kleines Sitzzimmer für sich. Die Wände verschwanden unter Getäfel, Behängen und Gemälden; den Boden bedeckte ein dicker, dunkler Plüschteppich, auf welchem noch hier und da größere und kleinere Smyrnateppiche und verschiedene Bären-, Tiger- und Lama-Felle lagen. Ringsumher in regelloser Nachlässigkeit aufgestellt: orientalische, polsterreiche Divans, Lehn- und Schaukelstühle, alterthümliche Kästchen, kleine und große Tische – darunter ein drei Meter langer Schreibtisch, beladen mit Bilderrahmen, Mappen, Albums; Bücherschränke, Koranträger mit aufgeschlagenen Folianten; Vasen, Statuen, lebensgroße Bronzefiguren als Lampenhalter, hohe Palmengruppen; von der holz- und goldvergitterten Decke herab ein hundertarmiger alter Messinglüster; an den Thüren und gegen die Bühne hin schwerfällige Draperien: so sah dieses Arbeitskabinet wahrlich recht wohnlich aus.

Eine Weile blieb Eva an der Eintrittsthüre stehen und nahm überrascht den Gesammteindruck in sich auf. Dann erst ging sie von einer Seite zur andern, vom Schreibtisch zu den Bücherschränken, von den Statuen zu den Gemälden und ließ sich von Ralph alles Stück für Stück erklären.

So hatte die Besichtigung schon eine halbe Stunde gedauert, und noch lange war nicht Alles erledigt. Da stand in einer Ecke noch ein glasbedecktes Regal, dessen Fächer mit allerlei chinesischen, arabischen, indischen und sonstigen von seinen fernen Reisen mitgebrachten exotischen Kunstgegenständen gefüllt waren; jetzt fiel es Eva ein, daß sie vielleicht unbescheiden sei.

»Ich halte Dich so lange auf,« sagte sie, »sicherlich hast Du zu thun; wenn man so einen Arbeitstempel sich zurecht gemacht hat, so will man wohl auch arbeiten … Ich darf Dich nicht länger stören …«

»Nein, mein Kind, bitte, bleibe noch. Du hast eine so entzückende Art, Deine Wißbegier und Dein Interesse zu äußern; Du weißt so angenehm lebhaft zu fragen: was ist das? und: woher kommt das? und noch angenehmer ist Deine Art, der gegebenen Erklärung mit glänzenden Augen, mit halb geöffneten Lippen – ein Bild der Spannung – zu lauschen … ich könnte einen ganzen Tag in diesem Zimmer mit Dir herumreisen. Dir die Erinnerungen erzählen, die sich an jedes einzelne Stück knüpfen … Selten findet man so offenen Geist, so reges Verständniß … Du passest doch eigentlich gar nicht zu —«

Er brach ab, und Eva fragte nicht, was er hatte sagen wollen, sie hatte es errathen. Sie dachte eben auch Desjenigen, der beim Anblick aller möglichen Kunstschätze ein gelangweiltes Gähnen niemals unterdrücken konnte.

Die Speiseglocke erschallte.

»Wie – schon halb zwölf! Damit ist also die weitere Durchforschung meines Schatzgebietes für heute abgebrochen – ich wollte mich eben daran machen, Dir den Inhalt jenes Kastens mit der Gewissenhaftigkeit eines Museumführers zu erklären – das bleibt nun auf ein andermal. Gehen wir – wir dürfen meine Mutter nicht warten lassen.«

Nach dem Gabelfrühstück ward abermals die Losung ausgetheilt, daß nun Jeder an seine Beschäftigung zu gehen habe, und demgemäß zogen sich Alle in ihre Zimmer zurück.

Was sollte sie nun beginnen – was war denn eigentlich ihre Beschäftigung? so fragte sich Eva, als sie mit Robert in ihren Erdgeschoßzimmern angelangt war.

Der junge Mann warf sich auf das Sopha, zog die Beine hinauf, legte seine Arme unter den Kopf und gähnte lärmend.

»Was hast Du vor, Robert? Was sollen wir thun?«

»Thu‘, was Du willst; ich werde mir eine kleine Siesta vergönnen.«

»Ich wollte doch Deinen Rath haben – womit soll ich meine Tage ausfüllen? Hausfrauenpflichten habe ich hier keine…«

»Geh‘ spazieren.«

»Das kann man sich doch nicht zum Beruf machen,« lächelte Eva. »Indessen, ich freue mich, die hiesige Gegend zu durchwandeln. Sie schien mir beim Herfahren sehr malerisch. Wir könnten heute – etwas später, wenn die Hitze vorüber ist – wir könnten, Du und ich…«

»Da wirst Du Dir schon einen andern Fremdenführer suchen müssen, ich tauge nicht dazu. Jetzt aber, ich bitt‘ Dich, laß mich schlafen.« »Bei hellem Tage schlafen – das kann doch nicht gesund sein. Du solltest – —«

»Du solltest mich in Ruh‘ lassen, sag‘ ich.«

»Dieser Ton, Robert!«

Er sprang ungeduldig auf und verschwand in das Nebenzimmer, indem er die Thür hinter sich zuschlug. Vermuthlich legte er sich dort auf sein Bett, um ungestört schlafen zu können.

Eva blickte ihm bestürzt nach. So eine Art hatte er ihr gegenüber doch noch nicht gezeigt. Das Thürzuschlagen erinnerte sie an den Obersten. Sollte ihr Mann auch solche Heftigkeit entwickeln wie Dorinas Mann? … Sind denn alle Männer so unangenehm im Umgang mit ihren Frauen? … Doch nein: sie erinnerte sich, welches Verhältniß beiderseitiger Freundlichkeit und Rücksichtnahme zwischen ihren Eltern herrschte, und sie kann sich nicht vorstellen, daß Andere – König zum Beispiel – in so unliebenswürdiger, in so roher Weise auftreten können.

Das Wort »roh« ist ihr da mit Bezug auf den Gatten zum ersten Mal durch den Sinn gehuscht, und es hat sie erschreckt. Sie trachtete, ihren Gedanken eine andere Wendung zu geben: Ein Mensch darf doch, wenn er gerade sehr schläfrig ist, einen Anfall übler Laune haben – warum hatte sie sich auch so zudringlich und unangenehm gezeigt? – es war nur ihre Schuld…

Und jetzt also? .. Sie setzte sich nieder und stützte ihre Stirn auf die Hand, um recht ordentlich nachdenken zu können. Wie sollte sie ihre Tage eintheilen? Welcher Thätigkeit sich hingeben, welche zunächst zu erfüllende Aufgabe sich stellen? – Sie mußte wieder seufzen: noch vor Kurzem hatte es ihr als vornehmste Aufgabe – ja als Lebenszweck vorgeschwebt, den eigenen Gatten glücklich zu machen, mit ihm alle Gedanken, Wünsche und Bestrebungen zu theilen, aber – — war Robert der Mann danach? Ja, wenn er so wäre wie – sein Vater… Freundlich und sympathisch stieg das Bild Ralphs vor ihrem inneren Auge auf, und ein warmes Gefühl schwellte ihr Herz: das war ein liebenswürdiger Mensch – dessen Neigung mußte sie zu gewinnen trachten; an ihm konnte sie einen stützenden Freund, er an ihr eine liebevolle Tochter finden.

Ein Klopfen an der Thüre entriß sie ihren Gedanken.

»Nur herein, herein!« rief sie, glaubend, daß es Irene sei.

Es war aber Derjenige, mit dem sie sich eben im Geiste beschäftigt. Sie sprang auf. »Ah! König!«

»Ja, ich. Ich wollte nachsehen, wie Ihr Euch in Eurem provisorischen Nest befindet, und Euch sagen – — Ist Robert nicht da?« unterbrach er sich.

Eva deutete auf das Nebenzimmer: »Er schläft!«

»Ah so – Du etwa auch? Bei welcher Beschäftigung habe ich Dich gestört?«

»Ich that gar nichts, als nachdenken, was ich thun solle.«

»Das trifft sich gut – über diesen Gegenstand habe ich mit Dir sprechen wollen. Denken wir also mit einander nach.« Er setzte sich. Eva that das Gleiche. »Robert hat genug Geschäfte. Wenn er sich fleißig an die ihm gestellte Aufgabe macht, praktisch die Wirtschaft zu erlernen – wobei ihm der Verwalter vortreffliche Hilfe leisten wird – so kann ihm die Zeit nicht lang werden; er muß auf den Feldern nachsehen, die Bücher führen lernen; nebenbei kann er seiner Reitleidenschaft fröhnen – aber Du, Eva, könntest Dich etwa langweilen. Was ich Dir also sagen wollte, ist dieses: es steht Dir, so oft Du willst, ein Wagen zur Verfügung, und wenn Du in die Umgebung eine Spazierfahrt machen willst. Du brauchst nur den Befehl zu geben, daß angespannt werde. Ferner: mein Bücherschrank steht Dir jederzeit offen.

Doch weiß ich nicht, ob die Werke, die ich bei mir unten besitze. Deinem Geschmack besonders entsprechen; ich mache Dich darauf aufmerksam, daß im ersten Stock neben dem Billardzimmer – ich weiß nicht, ob Du es bemerkt hast – eine Bücherei sich befindet mit allerlei belletristischen Sachen; dort kannst Du Dir Unterhaltung holen, so viel Du Lust hast. Und, sage mir, Du bist ja musikalisch – wäre es Dir nicht angenehm, wenn ich ein Instrument hierher in Dein Zimmer stellen ließe?«

»Du bist sehr gütig, lieber König. Das Alles nehme ich freudig an.«

»Ich halte mich um so mehr verpflichtet, für Deine Zeitausfüllung Vorsorge zu treffen, als ich nächstens nicht mehr selber werde darüber wachen können, daß Dir der Aufenthalt in Großstetten zu einem angenehmen gestaltet werde – denn ich beabsichtige, in den nächsten Tagen mich wieder auf eine längere Reise zu begeben —«

»Was!« rief Eva mit unverhohlenem Schreck, »Du willst wieder fort? O nein, König! Bitte – bitte, nicht!«

Er nahm ihre beiden Hände in die seinen.

»Du bittest mich, zubleiben, Evinka? Was kann es Dir machen, ob ich da bin oder nicht?« Sie gab keine Antwort, sondern hielt nur einen flehenden und ängstlichen Blick auf ihn geheftet. Mit einem kräftigen Druck ließ er ihre Hände los und stand auf:

»Nun – ich bin noch nicht fort,« sagte er. »Der Entschluß war vielleicht etwas übereilt.«

»Es würde Großmama gewiß kränken, wenn Du, von so langer Reise kaum heimgekehrt, wieder von zu Hause weggingst. Und ich – —«

»Nun, Du, Evinka!«

Wieder trat eine Pause ein. Die junge Frau konnte doch nicht sagen, was sie dachte: nämlich, daß von allen Eindrücken, die sie bisher in Großstetten empfangen, der liebste und vertrauenerweckendste derjenige war, den der kurze Umgang mit dem Fragesteller auf sie hervorgebracht; daß sie von ihrem eigenen Mann hier nur Kälte und Kränkung erfuhr, und daß sie vorhin, als sie über ihre Zukunftsaufgabe grübelte, sich die Losung gab: Königs Freundschaft zu gewinnen.

Er blickte sie eine Zeit lang an; und er mochte ihr das Ungesagte vom Gesichte abgelesen haben, denn, wie eine Antwort darauf, sagte er jetzt:

»Gut – so wird Dein neuer alter Freund den Reiseplan vorläufig wieder fallen lassen. Jetzt will ich gehen und veranlassen, daß das Klavier sogleich hergebracht werde … Uebe recht fleißig – vorausgesetzt, daß Du Talent hast – die Kunst kann in so manchen Lebenslagen Trost und Halt bieten. Auf Wiedersehen, Evinka.«

Einige Minuten später wurde ein Pianino hereingetragen.

Die polternden Schritte der Leute, das Verrücken der Möbel und der Lärm des Aufstellens hatte den Schläfer nebenan geweckt.

Er kam aus dem anstoßenden Zimmer heraus.

»Was ist denn da für ein Heidenspektakel los? Ich hab‘ schon geglaubt, das Haus wird demolirt … Du hast doch gewußt, daß ich schlafen will … Aber auf Rücksicht kann man bei Dir auch nicht zählen —«

»Dein Vater hatte die Güte … er ordnete an, daß das Instrument —«

»Hoffentlich wirst Du nur dann klimpern, wenn ich nicht zu Hause bin.«

»Ich dachte, Du seiest ein Freund von Musik.«

»Musik – Musik … ja, eine ordentliche Militärkapelle, aber so ein Jammerkasten —«

»Ich werde nur spielen, wenn Du draußen Deinen Geschäften nachgehst. – Sag‘ mir, Robert, hast Du denn eigentlich Freude an der Landwirthschaft?«

»Ich? Nein – nicht gar extra. Ich hab‘ an gar nichts Freud‘ hier. Im Oktober wird‘s vielleicht erträglich werden. Bis dahin heißt‘s: sich grimmig langweilen.«

Eva hob die Beleidigung nicht aus, welche für sie in diesen Worten enthalten war. Und sie sprach das Urtheil nicht laut aus, welches Roberts Vorsatz, »sich grimmig zu langweilen«, ihr einflößte – das Urtheil: Leerer Kopf und leeres Herz.

Doch sie erschrak selber über diese Gedanken. Durfte sie denn so lieblos urtheilen – durfte sie dem leisen Gefühl der Abneigung Raum geben, das seit einiger Zeit bei manchen von Roberts Aeußerungen, mitunter auch bei seinem bloßen Anblick sie beschlich? Verstieß das nicht gegen ihre geschworenen Ehepflichten? Und war er denn nicht derselbe, für den sie noch vor kurzer Zeit so leidenschaftlich geschwärmt? Es gelang ihr noch, wenn sie sich in die ihrer Verlobung vorangehende Episode versetzte, den Wiederhall jener Schwärmerei wachzurufen, und dann bereute sie ihre bösen Gedanken.

In diesem Augenblick war ihr nun auch, als müßte sie Abbitte leisten. Sie näherte sich von rückwärts dem Sessel, auf welchem Robert saß, legte beide Arme um seinen Hals, ihn so an der Lehne gefangen haltend, und indem sie sich über ihn hinabneigte: »Du wirst Dich nicht langweilen, mein Robert,« sprach sie sanft – »das sagtest Du wohl nur im Scherz. Hast Du denn nicht Deine Eva?«

Sie drückte ihre Lippen auf seine Stirn und flüsterte noch ein paar Liebesworte.

Er aber band ihre verschlungenen Arme los und richtete sich auf.

»Sei nicht fad,« sagte er. Und er ging ans Fenster. »Mir scheint, es wird regnen – thut nichts – ich will ein wenig hinaussehen. Adieu. Jetzt kannst Du Klavier spielen.«

Eva war aber nicht in der Laune, Musik zu machen. Finsteren Blickes stand sie da. Ihr Athem ging rasch, und die Lippen waren zornig zusammengepreßt. Das letzte Mal! … das war das letzte Mal, daß sie diesem Undankbaren, diesem Fühllosen – diesem rohen – ja roh – sie will das Wort nicht mehr zurücknehmen – Menschen sich zärtlich genaht. Sie so zu demüthigen! »Sei nicht fad« – o nein, fortan könne er ruhig bleiben – sie würde sich hüten, je wieder die Schätze ihres warmen Herzens ihm vor die Füße zu werfen, ihm Vertrauen, Liebe, Innigkeit zu bieten – mit einem Worte, je wieder »fad zu sein«.

Als eine Weile später Irene auf einen kleinen Vormittagsbesuch sich einstellte, fand sie ihre Cousine in Thränen. Wie dies gewöhnlich bei jungen Frauen und Mädchen der Fall zu sein pflegt, hatte auch Evas Erbitterung sich in jenes Selbstmitleid aufgelöst, welches mit Weinen endet.

Beim Eintritt der Freundin wischte sich Eva rasch die Augen aus und versuchte eine unbefangene Begrüßung. Aber die Andere ließ sich nicht täuschen.

»Was hast Du, was ist Dir geschehen?« rief sie lebhaft. »Warum weinst Du? … Fühlst Du dich unglücklich in Großstetten? Oder hast Du Dich mit Robert gezankt? Das wäre ganz natürlich… Ich konnte nie ein paar Stunden mit ihm zusammen sein, ohne daß er mich zum Weinen brachte – er war gar so ein boshafter, rechthaberischer Junge… Doch jetzt könnte er vernünftiger geworden sein. Die Liebe allein sollte genügen, ihn zu bessern. Du mußt Dir ihn erziehen, Eva.«

Eva schüttelte mit einem leisen Lächeln den Kopf.

»Sonderbar – das ist schon die dritte Seite, von welcher mir zugemuthet wird, Roberts Hofmeisterin abzugeben. Sage mir, wie stellst Du Dir das vor, einen Mann erziehen – und wie würdest Du es in Angriff nehmen?«

»Dazu habe ich keine fertige Methode im Kopf – das müßte sich von selbst ergeben – hinge auch vom Charakter des betreffenden Schülers ab – der eine würde sanfte, der andere strengere Behandlung erfordern.«

»Du kennst ja Roberts Charakter – wie wäre der nach Deiner Meinung anzufassen?«

»Vor Allem: trachte, ihn recht verliebt zu erhalten.«

»Zu erhalten – war er es denn je?«

»Aber Eva! Eure Heirath war doch eine Liebesheirath…«

»War sie das? Ja, es hat den Anschein. Aber sprechen wir von etwas Anderem – es will mich bedünken, daß Gatten kein Recht haben, ihre ehelichen Angelegenheiten, seien dieselben Wonne oder Kummer, mit Dritten zu besprechen.«

Noch am selben Tage hatte sich Eva wieder einigermaßen beruhigt. Eine in Gesellschaft der Großmutter gemachte Spazierfahrt in die Umgebung; eine Stunde Musik mit Irene und Dr. Hartung; das Diner, bei welchem Ralph einen lebhaften und äußerst fesselnden Bericht über seinen letzten Aufenthalt in Indien zum Besten gab: das Alles hatte sie zerstreut und ihre Lebensgeister wieder aufgefrischt. Auch Robert hatte sich von etwas liebenswürdigerer Seite gezeigt – kurz, jene heftigen Empfindungen von Zorn und Kränkung, welche sie am Vormittag zum Weinen gebracht, waren Abends beinahe gänzlich verflüchtigt. »Ich muß meine hochfliegenden Ansprüche etwas herabsetzen,« sagte sie sich, »und das Leben nehmen, wie es ist. Immerhin bietet es mir viel des Schönen – und Großstetten birgt gar liebe Menschen: die herzige lustige Irene… und wie freundlich und würdevoll Königs Mutter, und König selber … o der prächtige, herrliche König …, welches Glück, daß er seinen Abreiseplan wieder aufgegeben.«

»Sag mir,« unterbrach sie diesen Gedanken, sich an Robert wendend, »sag mir, wie kommt es, daß Du mir nie von Deinem Vater erzähltest, nie seine Eigenschaften gepriesen? Du mußt ihn doch schon von Kindheit auf bewundert und geliebt haben,«

»Könnt‘ ich nicht behaupten. Hatte auch keine Ursache. Einen kältern und lieblosern Vater als ich hat wohl selten ein Kind gehabt.«

»Was sagst Du da?«

»Die Wahrheit. Er hat sich nie mit mir abgegeben. Es ist, als ob er mich von meiner Geburt an gehaßt hätte.«

»Ah, ich verstehe. Vielleicht weil Du Deiner Mutter, die er wohl vergöttert hat, das Leben gekostet?«

»Hat nicht den Anschein. Im ganzen Haus ist von meiner Mutter kein Bild, kein Andenken – ihr Name ward und wird niemals erwähnt. Ich war noch ein kleines Kind, so lebte mein Vater schon in den Banden einer anderen Frau – einer Schauspielerin—«

»Und diese Frau?«

»Ist seither auch gestorben. Dann kam die Reisemanie über ihn. Um mich hat er sich nie viel bekümmert – was mir übrigens ganz lieb ist.«

Eva war über diese Mittheilung sehr betroffen. Lieblosigkeit gegen sein einziges Kind: das war ein Zug, der zu dem übrigen Charakterbilde Königs so gar nicht stimmte … Freilich hatte Robert, das mußte sie in letzter Zeit erfahren – gar viele Fehler und reichte in geistiger Hinsicht nicht entfernt an seinen Vater heran … Doch war die Schuld davon nicht vielleicht gerade in der väterlichen Gleichgiltigkeit zu suchen? Fast fühlte sie einen Groll gegen König aufsteigen: warum hatte er die Pflicht vernachlässigt, den Sohn zu erziehen? Wie glücklich wäre sie jetzt, wenn er aus Robert einen Mann gemacht hätte, der – in allen Stücken – seinem Vater gliche …

VIII

Die Tage folgten einander in ziemlich einförmiger Weise.

Das erste Frühstück nahm Jeder auf seinem Zimmer. Um halb zwölf gemeinschaftliches Gabelfrühstück; um sechs Uhr Diner. In der Zwischenzeit Arbeiten, Lektüre, Musik, Spazierfahrten. Nach dem Speisen bis zum Thee blieb man gewöhnlich beisammen im Park.

Robert war eigentlich beständig draußen. Die alte Gräfin Siebeck bewunderte den Fleiß, welchen ihr Enkel im Betrieb der Landwirthschaft an den Tag legte. Eva widersprach dem nicht, obwohl sie wußte, daß von der Zeit, welche Robert außerhalb zubrachte, durchaus nicht der größte Theil der ökonomischen Arbeit gewidmet war, sondern zumeist der Rehpürsche und Spazierritten. Auch hatte sie erfahren, daß ihr Mann öfters das Dorfwirthshaus besuchte und dort mit dem Förster, dem Praktikanten und dem Thierarzt zechte. Das erste Mal, als sie von diesem Umstand hörte, versuchte sie – eingedenk des ihr von verschiedenen Seiten übertragenen Erziehungsamtes – eine leise Vorstellung.

»Es muß doch sehr ungesund sein, lieber Robert, so untertags den sauren Wein zu trinken – und welche Anregung kannst Du in jener Gesellschaft finden?«

Da aber ward er zornig:

»Hörst Du – Predigten kann ich entbehren, und Einmischungen und Kontrole dulde ich nicht … Ich thue und lasse, was mir beliebt.«

»Ich meinte es doch nur zu Deinem Besten —«

»Zu Deinem Besten wird es sein, merke Dir das ein für alle Mal, wenn Du Dich nicht kümmerst um das, was Dich nichts angeht.«

»Robert! Was in aller Welt soll mich denn näher angehen als das Wohl und Wehe meines eigenen Gatten?«

Er zuckte mit den Achseln:

»Was das für fade Phrasen sind,« murmelte er und ging aus dem Zimmer – geradewegs in das Wirthshaus, wo er diesmal ein paar Stunden länger blieb als gewöhnlich.

Ralph pflegte nur bei den beiden Hauptmahlzeiten sichtbar zu sein, die übrige Zeit verbrachte er auf seinen Ausgängen oder in seinem Studirzimmer. Fast schien es, als ob er Evas Gesellschaft miede; wenigstens suchte er nicht mehr, wie am ersten Tag, sich mit ihr in eine abgesonderte Unterhaltung einzulassen, »um sie kennen zu lernen«, sondern zog in seine Gespräche immer die anderen Anwesenden mit. Dennoch hatte jedes direkt an sie gerichtete Wort einen so freundlichen Klang und war von so liebkosendem Blick begleitet, daß sie jedesmal, wenn er zu ihr sprach, ein warmes Zutrauen überkam – eine angenehme, tröstliche Ueberzeugung, daß wenigstens Einer im neuen Heim ihr aufrichtige Neigung entgegenbrachte. Zwar konnte sie über das Benehmen der alten Gräfin keine Klage erheben, dennoch wehte sie – trotz aller Freundlichkeit – eine gewisse Kälte von jener Seite an. Fräulein Ottilie belustigte sie; fast jedes Wort, das von des alten Fräuleins Lippen fiel, war eine gelungene Leistung unfreiwilligen Humors. Dr. Hartung war ein heiterer, amüsanter Mensch, und besonders komischen Eindruck machte die Art seines Verkehrs mit Ralph Siebeck, wobei Beide im Scherze den Ton von Mentor und Schüler anwendeten. Der Hofmeister der beiden Jünglinge verhielt sich sehr bescheiden und still – er sprach beinahe gar nichts. Von den Knaben selber sah Eva tagsüber nur wenig und dieselben gebahrten sich ihr gegenüber ziemlich unvertraut. Mit Robert hingegen waren sie auf sehr gutem Fuße, ihm erzählten sie gern ihre militärischen Zukunftsträume und fragten ihn um seine vielbeneidete Offizierszeit aus. Gewöhnlich zogen sie ihn, wenn die ganze Gesellschaft versammelt war, in eine entferntere Ecke des Salons oder des Gartens,, und bei Tisch mußte er am untern Ende zwischen ihnen beiden sitzen.

Die meiste Ansprache fand Eva von Seiten Irenens. Diese suchte sie oft in ihrem Zimmer auf, erbot sich als Begleiterin zu den Spaziergängen, spielte mit ihr vierhändig, – aber eine rechte Vertraulichkeit, ein echtes Genügen konnte sich zwischen den Beiden doch nicht einstellen. Dazu waren sie zu verschieden beanlagt, zu verschieden erzogen. Von den höheren geistigen Bestrebungen, von den etwas schwärmerischen Idealen, welche Evas Sinne erfüllten, war bei dem jungen Mädchen keine Spur. Dann hatte sich auch eine Schranke aufgerichtet, und seit dem Tage, da ihre Cousine sie in Thränen überrascht hatte, sprach Eva mit derselben nie mehr etwas, was auf ihre ehelichen Verhältnisse sich bezog; sie vermied es, den Namen Roberts auszusprechen, und wenn Irene versuchte, sie um ihr Glück oder Unglück auszuforschen, gab sie keinerlei Antwort oder lenkte sofort ab. Diese auffällige Zurückhaltung verletzte Irene einigermaßen, und auch sie wurde weniger mittheilsam – wenngleich nicht weniger lebhaft.

Ungefähr zehn Tage nach dem Dürenbergschen Besuche fuhren die beiden Gräfinnen Siebeck nach Dornegg, den Besuch zu erwidern – »die Herrschaft« war jedoch selber ausgefahren. So bekam Eva diesmal das Nachbarschloß nur von außen zu sehen. Dasselbe in seiner windsorähnlichen Bauart, in seinen Größenverhältnissen, in der Pracht seiner Auffahrt machte den Eindruck eines wahrhaft königlichen Wohnsitzes.

Kurze Zeit nach diesem verfehlten Besuche kam aus Dornegg eine Diner-Einladung an. An dem bestimmten Tage war die alte Gräfin jedoch etwas unpäßlich, und sie ließ sich entschuldigen. Irene war zufällig abwesend – mit Fräulein Ottilie behufs Toilette-Einkäufen nach Wien gefahren —, so blieben nur drei Personen, um der Einladung Folge zu leisten: Ralph, Robert und Eva.

Die Speisestunde war sechs. Demgemäß machte man sich um halb fünf auf den Weg. Robert zog vor, zu reiten. Eva nahm auf dem Kutschirwagen an der Seite ihres Schwiegervaters Platz, welcher selbst die Zügel führte. Unter dem Regenmantel trug sie einen ihrer schönsten Gesellschaftsanzüge, denn bei Dürenberg – so hatte die Großmama ausdrücklich gemerkt – «gehe es immer großartig her.

Eva freute sich auf dieses Diner und freute sich der Fahrt. Der Weg nach Dornegg führte fast durchgehends durch den Wald; das Wetter war entzückend, alle Fluren in üppigstem Blumenschmuck, die Luft mit um so süßeren Düften gefüllt, als es in der vergangenen Nacht geregnet hatte. Es war doch eine schöne Sache, auf diesem schmucken Wagen, von einem Paar feuriger Jucker gezogen, durch die schöne Landschaft dahinzusausen, einem so schönen Ziele, wie das Fürstenschloß Dornegg, entgegen und an der Seite des lieben König – —

Es überkam sie ein Gefühl intensiver Lebensfreude, über welches sie selber staunen mußte. Sie sah doch ein – erst gestern beim Einschlafen hatte sie es recht lebhaft empfunden —, daß sie eigentlich nicht glücklich, nichts weniger als glücklich war, daß sie das Schicksal getroffen, welches doch eines der traurigsten ist, dem ein Weib verfallen kann: eine verfehlte Ehe. Doch in diesem Augenblick war ihr das Verständniß für das Beklagenswerthe ihrer Lage abhanden gekommen. Was ihr Inneres durchfluthete – was die ganze sommerliche Umgebung erfüllte – war Fröhlichkeit, war jugendkräftiger Daseinsgenuß. Wie hinreißende Tanzmusik klang ihr das rings erschallende Lerchengezwitscher, zu welchem der rhythmische Trab der acht Pferdehufe den Takt gab. »Woran denkst Du, Eva?« fragte Ralph, nachdem er seine Schwiegertochter einige Male seitwärts angeblickt. »Um Deine Lippen spielt ein so heiteres Lächeln —«

»Ich denke – denke an gar nichts, König. Die Fahrt ist so schön, ich freu‘ mich nach Dornegg —«

»Mit anderen Worten: Du bist glücklich?«

Auf diese Frage wollte Eva keine bejahende Antwort geben. Unter dem Begriffe »Glück« stellte sie sich nicht ein momentanes Freudengefühl vor – und sei es noch so heftig —, sondern einen dauernden, durch das Zusammenwirken aller Lebensumstände gesicherten Zustand.

»Du zögerst? Du kannst nicht Ja sagen? Armes kleines Weib. Du warst doch so recht geschaffen zum Glücklichsein.

»Sind wir das nicht Alle?«

»Wenigstens erheben wir Alle Anspruch darauf; besonders in der Jugend. Später lernt man, sich bescheiden, man lernt, auf positives Glück verzichten. Dem positiven Unglück bleibt man freilich immer ausgesetzt. – —« »Hast Du etwa einen Kummer, König?«

»Ich? Ja.«

Eva verstummte. Daß sie kein Recht habe, den Anderen weiter auszuforschen, fühlte sie wohl.

Auch Ralph blieb eine längere Weile ohne zu sprechen. Dann, mit unbefangenem Tone, wie um den Eindruck des Vorhergegangenen zu verlöschen, machte er eine Bemerkung über die Gegend oder dergleichen und hielt während des Restes der Fahrt eine harmlose Unterhaltung aufrecht.

Eine Stunde später waren die Glieder der Dürenberg‘schen Familie und ihre Gäste in dem großen Empfangssaal versammelt. Eva war von der Pracht der Umgebung geblendet. Dornegg übertraf Großstetten in demselben Verhältniß, wie letzteres die Provinzstadt-Wohnung übertraf, welches Evas Jugendheim gewesen. Treppenhaus, Hallen, Säle: überall das Maximum von Reichthum und Großartigkeit. Der Raum, in welchem jetzt die Gesellschaft die Meldung des Diners erwartete, hatte Dimensionen wie ein Kirchenschiff. Die zwanzig oder fünfundzwanzig Personen, welche da in verschiedenen Gruppen saßen und standen, waren ganz verloren in dieser weiten, mit allem erdenklichen Luxus eingerichteten Halle.

Hier, inmitten solcher königlichen Herrlichkeit machte die Fürstin Dürenberg einen viel ehrfurchtgebietenderen Eindruck auf Eva, als letzthin in Großstetten. Hier zeigte sie sich so recht als das, was sie seit 30 Jahren war: eine tonangebende Herrscherin der höchsten Aristokratie des Landes. Die junge Frau fühlte sich der Fürstin gegenüber gehoben und gedemüthigt zugleich. Gehoben in dem Bewußtsein, daß sie als »zur Gesellschaft« gehörig, auf dem Fuße der Gutsnachbarlichkeit, sozusagen als Gleichgestellte aufgenommen war; gedemüthigt in der Gewißheit, daß die Fürstin in ihrem Innern sie für nichts weniger als gleichgestellt betrachtete – daß sie im Grunde auch nichts weniger war als dieses. Sie selbst zwar von vornehmer Abstammung – aber in beinahe ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und jetzt an einen Mann verheirathet, dessen Mutter eine Bäuerin gewesen… Diese letztere Idee hatte sie bisher noch niemals peinlich berührt gehabt; aber hier, wo Alles um sie herum von Fürstenkronen zu schimmern schien, wurde ihr mit einem Male die ganze Mangelhaftigkeit ihres gesellschaftlichen Ranges klar. Alle von der Fürstin Dürenberg ihr erwiesene große Freundlichkeit erschien ihr nunmehr als ebenso große Herablassung, und sie begegnete derselben ziemlich zurückhaltend.

Nicht minder freundlich – ja sogar stürmisch liebenswürdig – zeigte sich ihr die Gräfin Liuba. Nach den ersten Begrüßungen und Betheuerungen, wie sehr sie bedaure, den vorigen Besuch versäumt zu haben, nahm sie Eva an der Hand und zog sie auf einen Sitz neben sich:

»Ach —« begann sie, diese Ausrufungssilbe in russischer Art – d. i. als ob sie mit doppeltem ch geschrieben wäre – »ach! wie ich froh! Sie sind so sympathisch – eine solche Schönheit … ich bin närrisch von Ihnen. Fragen Sie meine belle-maman; seit wir in Großstetten gewesen, spreche ich immer von Eva Siebeck. Wir müssen Freundinnen werden… Wenn ich Jemand liebe, so liebe ich von ganzem Herzen – ach wir werden uns so viel zu sagen haben! Sie müssen mir die Geschichte von Ihrem Leben erzählen, und ich erzähle Ihnen die meine… Dann muß ich Ihnen meine Thiere alle vorstellen. Sie lieben die Thiere, nicht wahr? … Die sind viel treuer als die Männer… Sie sind noch eine zu junge Verheirathete, um das zu wissen – aber, glauben Sie mir – die Männer sind alle schlecht und die Pferde alle gut.«

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Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
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